Fromms - Götz Aly - E-Book

Fromms E-Book

Götz Aly

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

+++Die Geschichte von Julius Fromm, der das Kondom erfand und 1938 als Jude von den Deutschen enteignet wurde – eine Jahrhundertfigur+++ Hauchzarte, dreifach geprüfte Kondome – damit versorgte der Erfinder Julius Fromm in den 1920er Jahren deutsche Paare. Der Historiker Götz Aly und der »Spiegel«-Journalist Michael Sontheimer erzählen erstmals die Geschichte des Unternehmens und seines Gründers. Wöchentlich verließen Millionen »Frommser« die gläserne Fabrik in Berlin-Köpenick - architektonisch so revolutionär wie das Produkt. Binnen kurzer Zeit war der mittellose ostjüdische Zuwanderer zum angesehenen Großfabrikanten aufgestiegen, bis ihn der deutsche Staat 1938 verjagte und ihn »arische« Volksgenossen seines Lebenswerks beraubten. Hermann Göring ließ das florierende Unternehmen seiner Tante zukommen. Julius Fromm überlebte den Holocaust im Exil - doch nach dem Krieg enteigneten deutsche Kommunisten ihn ein zweites Mal. Eine bewegende Geschichte, in der sich das 20. Jahrhundert spiegelt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 216

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Götz Aly | Michael Sontheimer

Fromms

Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel

FISCHER E-Books

Inhalt

Zwei Wege zum Thema »Fromms Act«Götz Aly: Sex plus JudentumMichael Sontheimer: Eddies AuftragJulius Fromm, die Lust und die geplante FamilieAus dem Ghetto von Konin nach BerlinDas erste Markenkondom der Welt»Wir sind Deutsche geworden« – eine IllusionDie neue Fabrik: Transparenz für KennerFromms Act für Görings PatentanteNotwendiger Blick in eine private VorgeschichteExil: ohnmächtig in LondonDer deutsche Staat greift zu»Judenauktion«, Treffpunkt für VolksgenossenAus der Villa Fromm nach AuschwitzÜberleben in Paris, London und BerlinVolkseigen im neuen DeutschlandFamilie Fromm im ÜberblickAbkürzungenLiteraturInterviewsDankRegister

Zwei Wege zum Thema »Fromms Act«

Götz Aly: Sex plus Judentum

Im Herbst 2004 planten zwei Kollegen und ich eine Lesung unveröffentlichter Texte. Für unseren Auftritt wählten wir den Sonntags-Club in Berlin-Prenzlauer Berg, den ersten Schwulen-Club der DDR, heute, so die Homepage, ein »Kommunikationszentrum für Lesben, Schwule, trans-, bi- und heterosexuelle Menschen«.

Als der Abend angekündigt werden sollte, stellte der Kulturverantwortliche an Mensch Aly die Frage, ob er denn wirklich nur »stinknormales Hetero-Zeug« lesen wolle. Schließlich habe man einen Ruf zu verteidigen. »Wie bitte?«, fragte ich konsterniert. Nach einigem Zögern fiel mir eine jahrzehntelang im Keller der DDR-Notenbank versteckte Akte ein. Sie dokumentiert die 1938 vollzogene »Entjudung« der einst weltberühmten Kondom-Firma Fromms Act in Berlin-Köpenick.

Ich hatte das Konvolut einige Monate zuvor im Bundesarchiv bestellt, für ein paar Minuten durchgeblättert und – mit Bedauern – als für mein damaliges Thema unwichtig ins Magazin zurückgehen lassen. Die nicht selten abgründigen, immer nur zufällig aufgefundenen Nebengeschichten, die unsere Archivare in ihren auf die Haupt- und Staatsaktionen gerichteten Findbüchern überblenden, machen die Historiographie so liebenswert. Doch verbirgt sich in denselben Geschichtchen, in den vielen verlockenden Einzelwindungen des Lebens, der Feind des zielgerichteten Arbeitens. Dem Zwiespalt ist nicht zu entrinnen. Jeder den Quellen zugetane Historiker weiß ein Lied davon zu singen.

Den Leuten vom Sonntags-Club gefiel die Kombination von Nationalsozialismus, Kondom, Sex plus Judentum. Wir verabredeten das Thema. Doch von meinem Zufallsfund abgesehen, gaben die Archive in Potsdam wie in Berlin die anderen Enteignungs- und Restitutionsakten nicht frei, die den Firmengründer Julius Fromm betrafen. Offenbar bestanden noch Rechtsstreitigkeiten. Immerhin erhielt ich die Adresse von Edgar Fromm in London, einem Erben des einstigen Gummifabrikanten. Ich schrieb ihm mit der Bitte, mir die Akteneinsicht zu erlauben. Wie sich herausstellte, war der Adressat seit sechs Jahren tot.

So ergaben sich meine ersten Recherchen zu einem Thema, das ich noch kurz vorher als unwichtig und viel zu speziell angesehen hätte. Mein Dank geht an Martin Z. Schröder und Gustav Seibt, die seinerzeit mit mir lasen, besonders aber an Pedro vom Sonntags-Club. Mit seiner unliberalen Intervention schickte er mich auf einen lohnenden, für die Kenntnis des zwanzigsten Jahrhunderts lehrreichen Nebenweg.

Er führte zu einem jener jüdischen Unternehmen, die in der Zeit des Nationalsozialismus untergingen und von der Geschichtswissenschaft fast durchweg ignoriert werden. Der Grund dafür ist leicht gefunden: Eben weil die Firmen sang- und klanglos ausgelöscht wurden, stehen sie nicht mehr als Sponsoren für jene Unternehmenshistoriker parat, die vorzugsweise dem warmen Strom des Geldes folgen. Das so gelenkte Interesse erzeugte in den vergangenen 20 Jahren eine merkwürdige Asymmetrie: Im geschichtswissenschaftlichen Betrieb dominieren die Täter und Profiteure. Ihre Rechtsnachfolger fördern die Forschung, weil der publikumswirksame Wille zur »Aufarbeitung« einer unappetitlichen Vergangenheit dem Image und damit den Marktchancen ihrer Labels nutzt: siehe Volkswagen, Krupp, Allianz, Daimler-Benz, Deutsche Bank, Degussa, Dresdner Bank, Flick oder Bertelsmann. Weil die Unternehmensforschung so funktioniert, drohte einer Jahrhundertfigur wie Julius Fromm, dem Schöpfer des ersten Markenkondoms der Welt, das Vergessen.

Julius Fromm fand nicht einmal im Lexikon der deutschsprachigen Emigration einen Platz. Seinem Lebenswerk, seinem Talent, seinem Erfindergeist, seiner Lust an der Moderne ist dieses Buch gewidmet.

Julius Fromm, Mitte der Zwanzigerjahre/© Raymond Fromm

Michael Sontheimer: Eddies Auftrag

Zufällig sah ich Anfang 1996 im Fernsehen einen höchst einnehmenden älteren Herrn namens Edgar Fromm. In einer Talkshow erzählte er, wie sein Vater Julius im Deutschland der Zwanzigerjahre Kondome zum beliebtesten Verhütungsmittel gemacht hatte.

Im West-Berlin der Sechzigerjahre aufgewachsen und im Wesentlichen auf der Straße aufgeklärt, war »Fromms« für mich natürlich ein Begriff: So lautete die gängige Bezeichnung für ein Präservativ. Im Plural sprachen wir von Frommsen, wobei manche auch Frommser oder Frömmser sagten. Wie im Fall des Tempo-Taschentuchs bezeichnete der Markenname Fromms umgangssprachlich sämtliche Produkte dieser Art. Dass der Begriff auf einen Mann namens Julius Fromm zurückging, einen deutschen Juden, der 1938 aus Berlin nach England hatte fliehen müssen, das war mir neu.

Es gehört zu den Privilegien des Journalistenberufs, der eigenen Neugierde zu folgen und dafür bezahlt zu werden. So schlug ich vor, die Geschichte des Berliner Kondomfabrikanten für ein Spiegel-Spezial-Heft zum Thema »Liebe« zu recherchieren. Bald darauf saß ich im Wohnzimmer eines kleinen Hauses in London. Es liegt in Hampstead Garden Suburb, einem besseren Viertel im Nordwesten, in dem sich viele in den Dreißigerjahren aus Deutschland und Österreich geflüchtete Juden niedergelassen hatten. Hier lebte Edgar Fromm mit seiner Partnerin Lisa Abramson. Sie war 1937 aus Danzig nach London emigriert. Beide waren verwitwet und einander auf beneidenswerte Weise zugetan.

Bei gutem Whisky erzählte Edgar Fromm, was er über seinen Vater und die Firma Fromms Act wusste. Er tat das in einem Deutsch, dessen Differenziertheit heute altmodisch anmutet. Den geplanten Artikel über seinen Vater Julius, dem er so viel verdanke, empfand er als späte Genugtuung. Was er sich davon erhoffte, formulierte er auf Englisch: »To put him back on the map.« Frei lässt sich das mit »ihn aus der Versenkung holen« oder »ihn dem Vergessen entreißen« übersetzen. In den Archiven fanden sich rasch mehr Dokumente, als ein Magazinartikel zu fassen vermag. So entstand der Plan zu einem Buch über die Geschichte der Fromms Act.

Nur selten freunden sich Journalisten mit ihren Informanten an, aber fortan besuchte ich mindestens einmal im Jahr Eddie und Lisa in London, oder wir trafen uns, wenn sie nach Berlin kamen. Hier, in Edgars Heimatstadt, suchten und fanden wir auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee das Grab seiner Großeltern und eines Cousins.

Als Edgar Fromm im Sommer 1999 in Baden-Baden unerwartet starb, hatte ich ein schlechtes Gewissen: Die öffentliche Würdigung der vergessenen Lebensleistung seines Vaters würde er nun nicht mehr erleben, und mir fehlte der Stachel, an dem Buch zu arbeiten. Die Dokumentenordner setzten Staub an.

Sechs Jahre später, im Februar 2005, erzählte mir Lisa Abramson bei einem Besuch, sie habe den an Eddie adressierten Brief eines Berliner Historikers erhalten, der um Informationen über Fromms Act bitte. Mit dem Absender Götz Aly hatte ich Anfang der Achtzigerjahre bei der taz gearbeitet. Wir telefonierten und beschlossen, das Buch gemeinsam zu schreiben.

Weder der private Nachlass noch das Firmenarchiv überdauerten Emigration, Bombenkrieg und die wegwerffreudige Zeit des psychischen und physischen Wiederaufbaus. Von Julius Fromm fanden sich zwei Testamente, zwei knappe persönliche Briefe, zwei an den Potsdamer Regierungspräsidenten gerichtete Gesuche, mit denen er – zunächst erfolglos – versuchte, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, und schließlich ein selbstbewusst formuliertes Schreiben an den Berliner Polizeipräsidenten, mit dem er 1934 seine Ausbürgerung als »Ostjude« fürs Erste erfolgreich verhinderte. Doch beschafften wir Urkunden, Werbeschriften und Fotos, aus denen sich ein Bild gewinnen lässt, und sprachen mit den wenigen, die noch etwas über Julius Fromm wissen. Aus der Summe der Fragmente entstand ein Schattenriss – to put him back on the map.

 

Frankfurt am Main und Berlin, Oktober 2006

Julius Fromm, die Lust und die geplante Familie

In der weitläufigen Verwandtschaft lebt nur noch eine Person, die Julius Fromm gut kannte – und nicht mochte. Es ist Ruth Fromm, geboren 1920 in Berlin, Tochter von Julius’ älterem Bruder Salomon. Winzig und zart, von Arthrose geplagt, doch munter, wohnt die 87-jährige Dame in Manhattan und spricht ein wunderbar altmodisches Berlinerisch. Sie geht zum Beispiel noch »über den Damm« statt über die Straße. Natürlich fällt sie immer wieder ins Englische, um dann jäh, wenn sie über ihre Ernährung und die Gefahren der bird flu, der Vogelgrippe, spricht, in ein heiteres Kikeriki auszubrechen. Selbst kinderlos geblieben, hält sie eine Familie zusammen – »verstreut über den Planeten«.

Da gibt es den nicht einfachen, hochintelligenten Neffen in Berlin und die Witwe eines Cousins in München, die sehr unter ihrem ordnungssüchtigen Mann zu leiden hatte. Er war im Krieg auf dem Land bei einer christlichen Familie versteckt gewesen. Wegen einer solch schweren Jugend sei er wohl ein wenig – in Wahrheit: erheblich – obsessiv geworden. Ruth, die bis zum 77. Lebensjahr als Kinderpsychologin arbeitete, fügt hinzu: »Als Psychoanalytiker darf man solche Ticks nicht wegtherapieren wollen, sonst besteht die Gefahr, dass dahinter nichts mehr ist, woran sich ein solcher Mensch halten kann.«

Von den lebenden wie den toten Verwandten in Johannesburg, Berlin, Paris, München und London weiß sie vielerlei Geschichten zu erzählen. Gerne kommt sie auf Tante Helene zu sprechen, die lebenslustigste unter den sieben Geschwistern von Julius Fromm, rasch und glücklich verwitwet. Sie betrieb vor dem Krieg in Berlin ein Optikergeschäft: »Nein, eine fromme Helene war sie jedenfalls nicht. Sie wusste die Männer zu nehmen.«

Über einen spricht Ruth nicht, verwahrt auch in ihren Fototüten kein Bild von ihm: Das ist Onkel Julius. Man muss sie regelrecht ausfragen. Kalt sei er gewesen, sagt sie irgendwann; ganz anders als die vielen anderen warmherzigen Onkel und Tanten. Immerfort habe er ans Geschäft gedacht, an Geld, an die Firma. »Sonst ist von ihm nichts zu berichten.« Von den Gründen für Ruths dauerhaften Groll wird noch zu reden sein, doch lässt sich über ihren Onkel sehr viel mehr erzählen.

 

Zur innerfamiliären Sicht fügt sich eine öffentliche, nicht zwingend gegensätzliche Würdigung, die 1933, in den ersten Wochen der NS-Herrschaft, zum 50. Geburtstag von Julius Fromm erschien, und zwar im Drogisten-Fachblatt Der Drogenhändler: »Nur durch schärfste, zielbewusste Arbeit hat er es erreicht, dass er jetzt als ein Mann dasteht, dem von allen Seiten für sein großangelegtes und genial durchgeführtes Lebenswerk Anerkennung gezollt wird. Das frühzeitige Ableben seines Vaters verlangte schon von dem jungen Menschen die Fähigkeit, allein den Weg zu suchen und aus eigener Kraft seinem Leben einen Inhalt und eine Idee zu geben.« Als Unternehmer habe er es verstanden, die Firma »ständig in seiner Hand zu behalten«, und die »wuchtigen neuzeitlichen Bauten« seiner Fabrik ließen »ahnen, welche Weltgeltung diese Stätten deutscher Arbeit genießen«: »Großzügige Reklame, der mit meisterhaftem Organisationstalent ausgebaute Dienst am Kunden und vor allem die stets gleichbleibende Qualität verschafften der Marke ›Fromms Act‹ das volle Vertrauen der Abnehmer und ihre größte Zufriedenheit.«[1]

 

Schon während des Ersten Weltkriegs, erst recht aber in den unruhigen Anfangsjahren der Weimarer Republik brach sich ein freieres Verhältnis zur körperlichen Liebe Bahn. Symptomatisch dafür war eine alle Klassen erfassende Tanzwut. Selbst eine Trauerveranstaltung für den 1919 ermordeten Kommunisten Karl Liebknecht wurde »mit anschließendem Tanztee« angekündigt. Noch außeruniversitäre Institute begründeten die moderne Sexualwissenschaft. Eine »neue Sexwelle« diagnostizierte der Historiker Walter Laqueur, die »bis zu Nacktdarbietungen und saftiger Pornographie« reichte. Berlin begann Paris zu kopieren, kleine Etablissements schossen aus dem Boden, erotische Trivialliteratur erblühte. Sie befasste sich, den Titeln nach zu schließen, mit Nächten im Harem, Frau und Peitsche, Kokottchens Lehrzeit, Knackmadeln, Liebesbriefen zweier Knaben, dem Tagebuch eines Frauenarztes, dem lesbischen Weib (»Konträrsexuelle weibliche Erotik«) oder mit den Wechselfällen im Venusgärtchen.

Julius Fromm, Ende der Zwanzigerjahre/© Raymond Fromm

Der Reichsverband der Büromaschinenhändler organisierte einen Schönheitswettbewerb der Stenotypistinnen, und zu Beginn der Dreißigerjahre eröffnete »Berlins neueste Sehenswürdigkeit«, nämlich die Sexualwissenschaftliche Buchhandlung am Wittenbergplatz: »In Riesenrömisch-Antiqua-Lettern in Blau und Silber prangt dem Beschauer das Wort ›Sexual‹ entgegen. Tagsüber drängt sich das Publikum vor dem Schaufenster.« Diese »Sondernote des Geschäfts« führte rasch »zu mehrfachen Besuchen der Kriminalpolizei«. Im Dezember 1932 verpasste das zuständige Gericht dem Inhaber eine Gefängnisstrafe von acht Monaten »wegen des Vertriebs unzüchtiger Schriften«.[2]

In diese Zeit hinein platzierte Julius Fromm seine »Spezialmarke«. Einerseits zielte sie direkt auf die sensible, höchst private Sphäre. Andererseits hatte der Gebrauch der neuartigen, hauchdünnen und nicht als übertrieben störend empfundenen Verhütungsmittel weitreichende Folgen für das gesamte Sozialgefüge. Das Kondom trug dazu bei, die traditionelle Einheit von Sexualität und Fortpflanzung zu beenden. Es erleichterte die Promiskuität, das sexuelle Experiment, ein von den Pflichten des familiären Alltags befreites Lieben.

Folglich geißelte der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Adolf Kardinal Bertram, 1921 das technisch perfektionierte Verhütungsmittel als »Anreiz zur Unzucht«. Das Werben für Präservative würde »die moralischen Begriffe unseres Volkes aufs höchste verwirren, zerrütten«, zu einer »Herabdrückung der Geburten« und damit zum »Verlust an edelster Volkskraft« führen. Magnus Hirschfeld, der Mitbegründer der modernen Sexualwissenschaft, sah das umgekehrt: »Gibt es doch in Berlin eine führende Firma«, schwärmte er, »die Tag für Tag nicht weniger als 144000 Stück dieser Schutzmittel fabriziert und damit kaum der Nachfrage genügt.«

Anzeige im Drogisten-Fachblatt 1930/© aus Das Drogisten-Fachblatt 4/1930

Angesichts bedrohlicher Geschlechtskrankheiten – insbesondere der Syphilis – malte Hirschfeld aus, wie viel Unglück, »wie viele Krankheits- und Menschenkeime durch diese Fabrikate ›im Keime erstickt‹ worden« seien. Nur wenige Industrien würden »in das menschliche Geschlechts- und Gesellschaftsleben so tief einschneiden« wie jene Fabrik, deren Produkte unter dem stolzen, aber vieldeutigen Namen »Fromms Act« sprichwörtlich geworden waren. Nach einem Rundgang durch das Fromm’sche Werk urteilte Hirschfeld 1926: »Nach bestem Wissen und Gewissen, aufgrund praktischer Erfahrungen und theoretischer Erwägungen gebe ich mein Urteil dahin ab, dass das unter der Bezeichnung Fromms Act verbreitete Präservativ in vollkommenster Weise alle Vorbedingungen eines zweckentsprechenden Schutz- und Vorbeugungsmittels erfüllt.«

 

Um 1875 setzte in Deutschland ein zunächst bescheidener Geburtenrückgang ein und beschleunigte sich nach der Jahrhundertwende rasch. Allgemein führte man das auf »die Rationalisierung des Sexuallebens« zurück. In einer so betitelten, 1912 gedruckten Studie befand der Nationalökonom Julius Wolf, dass »die fortschreitende Kenntnis der Mittel der Geburtenverhinderung, ihre fortschreitende technische ›Entfaltung‹, endlich die fortschreitende Zugänglichkeit derselben dem Rückgang der Geburten mächtig Vorschub geleistet hat«.

Zuerst in den Städten, dann auch auf dem Land vollzogen immer mehr Deutsche den Übergang zum »Zweikindersystem«, nach dem Ersten Weltkrieg gar zum »Einkindsystem« – zum Schrecken nicht allein der katholischen Würdenträger, sondern auch vieler Demographen und Politiker. Die deutschen Juden führten den Trend an. So liest man im Jüdischen Lexikon von 1927: »Trotz Zunahme der Ehen um 29 Prozent in 50 Jahren« sei die Zahl der »Geburten in diesem Zeitraum um über 43 Prozent gefallen«. In Berlin bedürfe es, um die jüdische Bevölkerung auf gleicher Höhe zu halten, »eines unaufhaltsamen Zuströmens jüdischer Menschen von außerhalb«.[3]

Tatsächlich war es Julius Fromm nach lang andauernden Widerständen 1928 gelungen, erste Kondom-Automaten aufzustellen. Er bewarb sie mit dem Hygiene-Slogan: »Männer, schützt eure Gesundheit«, weil der sozialdemokratische Justizminister Gustav Radbruch jede Reklame untersagt hatte, die auf Liebeslust und das Verhüten von Schwangerschaften zielte. Der Zentrumsabgeordnete Geheimrat Martin Fassbender warnte im Preußischen Landtag, solche Automaten würden »die Jugend auf Schritt und Tritt« mit »erotischen Reizen« überfluten.

1936 erinnerte Gerstein in einem Schriftsatz, mit dem er sich gegen seinen Ausschluss aus der NSDAP und die damit verbundene Entlassung aus dem Staatsdienst wehrte, an seine Verdienste an der Sittenfront: »Im übrigen verweise ich auf meine jahrelange Abwehr gegen die jüdisch-bolschewistischen Angriffe gegen die deutsche Volkskraft. […] Die Akten über meinen jahrelangen Kampf gegen die jüdisch-galizischen Schweinefirmen Fromms Act und Primeros, die Millionen von Gratismustern unter die jüngste Jugend verbreiteten, liegen beim Herrn Innenminister.«

Gerstein und seine Kampfgefährten hatten in den Zeiten der Republik eine kleine Bürgerinitiative gegründet, die sich »Reichsschundkampfstelle der evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands« nannte. Sie gab das Blättchen Der Schundkampf heraus und bezweckte, dass »Inserate für pikante Bucherscheinungen, für sexuelle Aufklärungsschriften, über Gummiwaren und andere sanitäre Artikel« und Ähnliches »verboten werden und größere Strenge bei der Überwachung von Anzeigen von Massagesalons und Sprachunterrichtsinstituten waltet«. Parallel dazu agierte der »Volkswartbund, katholischer Verband zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit«.

Die evangelische Reichsschundkampfstelle trat 1925 mit »Zehn Geboten zur Schundbekämpfung« hervor; das dritte Gebot forderte: »Unterstütze keine jüdische oder Skandalpresse.« Am 10. Mai 1933 beteiligten sich die Schundkämpfer nach ihren Spezialkriterien an der Berliner Bücherverbrennung: »Während die Turnphilologen die Bücherei des Magnus-Hirschfeld-Institutes säuberten, bereinigten die evangelischen Schundkämpfer an einem Tage etwa 10 städtische und 70 private Büchereien. Die Ausbeute war groß. Mit zwei Lastkraftwagen mussten die gesammelten 1212 Bücher, unter denen sich Schmutzwerke übelster Art befanden, zu der feierlichen Verbrennung am Opernplatz gebracht werden. Die Säuberungsarbeit ist durch das von der Studentenschaft angezündete Feuer nicht beendet. Wir setzen zielbewusst die Bereinigung fort.« Von sich und den neuen politischen Entfaltungsmöglichkeiten begeistert, bilanzierten die frommen Aktivisten: Nach »dem Angriffszeichen von Dr. Goebbels wurden in mehr als 40 deutschen Städten evangelische Schundkämpfer zur Bereinigung öffentlicher und privater Büchereien eingesetzt«.[4]

Als Julius Fromm 1914 mit der Herstellung seiner »Präservativs« begann, wie der Plural zunächst noch gebildet wurde, fragten die Männer des wilhelminischen Deutschlands verschämt beim Friseur oder beim Drogisten danach. Die Herkunft der Kondome war meist ungewiss, die Qualität zweifelhaft. Doch der Bedarf wuchs schnell. Weil die Zahl von unheilbar Syphiliskranken ständig stieg, schlugen die Ärzte Alarm und forderten die Popularisierung des Kondoms mit seuchenhygienischen Argumenten. Als der Reichstag 1913 ein Gesetz diskutierte, mit dem der »Verkehr mit Mitteln zur Verhinderung von Geburten« beschränkt werden sollte, reagierte die Deutsche Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie entsetzt. »Nach unserer Meinung«, so schrieben fünf prominente Berliner Frauenärzte, »kann weder ein Untersagen noch auch nur eine Beschränkung des Verkehrs mit Kondomen in Frage gezogen werden, da sie außer dem antikonzeptionellen Zwecke in hervorragendem Maße einem gesundheitlichen Zwecke dienen.« Zweifellos nähmen die Geschlechtskrankheiten erheblich zu, würde der Bezug dieses Schutzmittels erschwert. Einig waren sich die Gutachter allerdings darin, dass das »Zurschaustellen« von Verhütungsmitteln zu verbieten sei.

Im Jahr 1912 untersuchte das Königlich Preußische Ministerium des Inneren die Ursachen des Geburtenrückgangs und stellte fest: »Stadt und Land« würden »geradezu überschwemmt mit Anpreisungen, Preisverzeichnissen und dergleichen, in denen solche als ›Gummiwaren‹, ›Schutzmittel‹, ›hygienische Bedarfsartikel‹ usw. bezeichnete Mittel« angeboten würden. Das geschehe »immer wieder unter Hinweis auf die ›wirtschaftlichen und gesundheitlichen Nachteile einer zu großen Kinderzahl‹ sowie auf die Notwendigkeit einer Beschränkung des Nachwuchses, ›um die wenigen Kinder besser erziehen zu können‹«. Verlobten und jungen Ehepaaren würden demnach »planmäßig« Broschüren zugesandt, die darauf hinausliefen, »wenigstens die ersten Jahre der Ehe« mit modernen Hilfsmitteln »möglichst angenehm zu gestalten«. Nicht nur das: Auch unverheiratete Personen wurden nach dieser Untersuchung mit solcher zumeist »medizinisch-wissenschaftlich« aufgemachten Reklame beschickt. Zudem propagierten die Hersteller »die Gefahrlosigkeit des außerehelichen Geschlechtsverkehrs«. Wer sich so an Verhütungsmittel gewöhne, resümierten die Ministerialbeamten, entwickle »die Neigung«, sie »in der Ehe anzuwenden«.[5]

Deutsches »Feld-Freudenhaus« für Offiziere im Ersten Weltkrieg/© aus Hirschfeld/Gaspar, Sittengeschichte des Ersten Weltkriegs, S. 242, ursprünglich aus A.I.Z.

Jenseits solcher Besorgtheiten des Innenministeriums wurde das Kondom nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und den USA populär, und zwar infolge des Ersten Weltkriegs. Die venerischen Seuchen bereiteten den Armeeführungen schon in Friedenszeiten Probleme; unter den Umständen des modernen Massenkrieges lockerte sich die hergebrachte Moral, die Infektionsraten schnellten nach oben. Im deutschen Feldheer nahm die Zahl der von Syphilis oder Gonorrhö befallenen Soldaten um 25 Prozent zu, im Besatzungsheer um 100 Prozent.

Soldatenbordell in Galizien/© aus Hirschfeld/Gaspar, S. 353

Die Führungen aller am Krieg beteiligten Armeen priesen die Enthaltsamkeit als soldatische Tugend. Doch fügten sie sich zugleich der Realität. Um die Prostitution zu kontrollieren, errichteten sie Soldatenbordelle. In der Etappe wurden bestehende Etablissements gerne übernommen und ausgebaut. Nahe der Hauptkampflinie improvisierten die Sanitätsinspektionen einfache Feldpuffs. In vielen dieser trostlosen Einrichtungen herrschte Kondomzwang. Ein deutscher Militärarzt, der den Befehl bekam, in der Nähe von Warschau ein »Bordell für die Angehörigen durchmarschierender Formationen« zu eröffnen, berichtete in seinen Memoiren: »Der Eintritt kostete für Offiziere drei Mark, für Soldaten eine Mark. Dafür bekam jeder ein Präservativ und einen Bon, den er dem Mädchen abzugeben hatte.«

Normalerweise waren die Bordelle für einfache Soldaten und Offiziere strikt getrennt. Vor den gehobenen Freudenhäusern fanden sich Schilder wie: »Eintritt für Hunde und Mannschaften verboten!« Gewöhnliche Soldaten mussten dem sprichwörtlichen Sanitätsgefreiten Neumann ihr Geschlechtsteil präsentieren und sich registrieren lassen, bevor sie sich in eine der Warteschlangen vor den Mannschaftsbordellen einreihen konnten. Den Offizieren blieb das erspart. Dafür war der Anteil der Geschlechtskranken bei ihnen deutlich höher. Bald schon mangelte es an Kondomen. Nicht zufällig begann der Aufstieg der Fromm’schen Manufaktur zum modernen Industrieunternehmen im Jahr 1916.

Nach dem Krieg erklärten viele Patienten dem Berliner Sexualwissenschaftler Max Marcuse, sie seien in der Armee schlauer geworden. Besonders Männer vom Land wurden als Soldaten zum ersten Mal mit Kondomen versorgt. Sie sollten sich vor Geschlechtskrankheiten schützen und lernten nebenbei, wie die Kinderzahl besser zu regulieren wäre. Schon 1916 prognostizierten die im Innenministerium für die Volksgesundheit zuständigen Herren: »Gerade nach dem Kriege [werde] die Neigung zur Anwendung empfängnisverhütender Mittel bei den heimkehrenden Kriegern und anderen Personen noch stärker hervortreten, um mit Rücksicht auf die dann herrschende Unsicherheit der wirtschaftlichen Lage einem Anwachsen der Kinderzahl vorzubeugen.« In dem 1923 von Marcuse herausgegebenen »Handwörterbuch der Sexualwissenschaft« ist das Kondom »mit seiner ungeheuren Verbreitung« als »relativ sicherstes antikonzeptionelles Mittel« aufgeführt. Es müsse »für Mann und Frau als fast vollkommen unschädlich gelten«.[6]

 

Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wurde seit 1916 im Reichstag verhandelt. Nach langem Hin und Her sollte es am 1. Oktober 1923 in Kraft treten und die Werbung für Kondome freigeben. Doch gelang es den konservativen Kräften in letzter Minute, die Verkündung im Reichsgesetzblatt bis zum 18. Februar 1927 aufzuschieben und den entscheidenden Paragraphen 11 restriktiv zu fassen. Demnach war jede öffentliche Werbung für Kondome verboten. Wer dagegen verstieß, konnte mit bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Straflos blieb allein die Reklame in Fachzeitschriften, die sich an Personen wandte, »die mit solchen Mitteln oder Gegenständen erlaubterweise Handel treiben«. Andererseits konnten nun Mittel, »welche zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, ausgestellt und angepriesen werden«. Das Kondom fiel unter beide Kategorien – es verhütet und schützt.

So blieb die in einer Publikumszeitschrift erschienene Kleinanzeige »Eheleute, Hygienische Artikel, Preisliste gratis!« auch in der Weimarer Republik juristisch umstritten. Mit strengem Auge wachte die »Deutsche Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchtiger Bilder, Schriften und Inserate« darüber, ob die Werbung für Kondome »in ärgerlicher«, das heißt allzu öffentlicher Form erfolgte. Die spezielle, für das gesamte Reich zuständige Behörde saß in der Berliner Magazinstraße 3–5, und zwar in dem Gebäude, in dem der Staatssicherheitsdienst der DDR später auf seine Weise Hygiene betrieb, allerdings politische: Hier entstand das »Braunbuch« über die »Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik«.

Angesichts der Rechtslage konnte für Kondome nur mit Hinweis auf den Schutz vor Geschlechtskrankheiten geworben werden. Die empfängnisverhütende Funktion blieb unerwähnt, da sie nach dem Gesetz als »öffentliche Aufforderung zur Unzucht« verfolgt und mit Haftstrafe geahndet werden konnte. Daher lautete die Reklame vage: »Fromms Act – Gegen Infektion. In allen einschlägigen Geschäften erhältlich«.[7] Erst 1932 wagte Fromm, seine Produkte mit »wichtigen Vorzügen« zu bewerben, wenn auch nur in einem Fachblatt für Drogisten:

 

»1. Unsere in Deutschland am meisten gekauften Spezialmarken Fromms Act nennen sich nicht nur transparent, sondern sind tatsächlich transparent, worauf anspruchsvolle Kunden besonders achten.

2. Unsere Spezialmarken Fromms Act sind gleichmäßig getaucht und garantiert doppelt geprüft, worauf ihre Zuverlässigkeit beruht.

3. Unsere Spezialmarken Fromms Act riechen nicht unangenehm, wirken also nicht illusionsstörend.

4. Unsere Spezialmarken Fromms Act isolieren nicht, d.h., sie werden infolge ihrer seidenweichen Feinheit nicht als Fremdkörper empfunden.«

 

Im Übrigen sei der als Gleitmittel verwandte Puder »praktisch erprobt« und enthalte keinerlei »scharfen oder ätzenden Stoff«. Kurz zuvor hatte die Firma in einer anderen Großanzeige noch darauf hinweisen müssen: »Fromms Act-Reklame erlaubt!« Zur Sicherheit bat sie die Drogisten: »Sollten Sie wider Erwarten gelegentlich behelligt werden, dann bitten wir Sie, uns so schnell wie möglich zu verständigen, damit wir Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen können.«[8]

Die Weimarer Verhältnisse weichten die tradierte Sittenstrenge weiter auf. Die Verstädterung, die der industriellen Gesellschaft eigene soziale Mobilität, der Bildungswille und die Emanzipation der Frauen förderten das Bedürfnis, die Zahl der Nachkommen nicht länger der Natur zu überlassen. Andererseits hielten sich Prüderie und Unaufgeklärtheit. Nicht ohne Grund lagen den Fromms-Act-Packungen noch jahrzehntelang Faltzettel bei, die von den Kunden in den Drogerien oder Apotheken schweigend über den Tresen geschoben werden konnten. Darauf stand gedruckt: »Bitte händigen Sie mir diskret aus 3 Stück ›Fromms‹-Gummi.«

Die Haller-Girls im Berliner Wintergarten 1926/© aus Friedrichstadtpalast Berlin, S. 18

Unermüdlich arbeitete Fromm an der Verbesserung seiner technisch so bezeichneten Gummihohlkörper und entwickelte neue Varianten, die nichts mit Hygiene, aber einiges mit Lebensfreude zu tun hatten. Im Jahre 1927 ließ er sich zum Beispiel ein Verfahren zur Produktion gemusterter Präservative patentieren: »Dabei kann man der gemusterten Fläche jede gewünschte Form geben, z.B. die Form von Streifen und Figuren, in einer oder in mehreren verschiedenen Farben.«

Im Übrigen teilte der findige Gummifabrikant auf seinen Beipackzetteln mit: »Neben unseren Normalgrößen liefern wir auf Wunsch auch hiervon abweichende Weiten. Unterbreiten Sie etwaige Wünsche Ihrer Bezugsquelle, die uns dann eine entsprechende Bestellung aufgeben wird.« Dem folgte ein umrahmter Hinweis: »Der Anstand gebietet Ihnen, unsere Schutzmittel und Packungen nach dem Gebrauch nicht achtlos fortzuwerfen, damit sie nicht auf Straßen, Plätzen oder Wegen gefunden werden können. Bewahren Sie unsere Drucksachen vor den Augen Jugendlicher. Für diese sind sie nicht bestimmt.«[9]