Frontlinien - Christian Wehrschütz - E-Book

Frontlinien E-Book

Christian Wehrschütz

0,0

Beschreibung

Christian Wehrschütz berichtet seit Jahren von den Frontlinien Europas. Wie niemand sonst sieht er die politischen Veränderungen aus nächster Nähe. Wie kann es in der Ukraine Frieden geben? Wie stark ist Russland wirklich? Wird Europa zur nächsten Supermacht? Welche neue Weltordnung erwartet uns? Christian Wehrschütz beantwortet verständlich und mit zahlreichen Anekdoten aus seinem Journalistenleben die drängenden Fragen unserer Gegenwart.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christian Wehrschütz:Frontlinien

Alle Rechte vorbehalten© 2025 edition a, Wienwww.edition-a.at

Coverfoto: Christoph MatzlCover: Bastian WelzerSatz: Bastian Welzer

Fotos im Buch:

© Perry Rhodan-Redaktion (S.21)© Vier Pfoten (S.191)© picturedesk.com (S.150, 155, 174, 218)© ORF (alle weiteren Bilder)

Gesetzt in der PremieraGedruckt in Europa

1   2   3   4   5   —   28   27   26   25

ISBN: 978-3-99001-878-1eISBN: 978-3-99001-879-8

CHRISTIAN WEHRSCHÜTZ

FRONTLINIEN

25 Jahre zwischenKrise, Krieg und Hoffnung

INHALT

Teil I

DER KRIEG ZWISCHEN RUSSLAND UND DER UKRAINE

Berichte von der Front

Teil II

DIE ROLLE DES WESTENS IN DER NEUEN WELTORDNUNG

Teil III

MEIN BALKAN

Für meine Gattin Elisabeth, für meine TöchterMichaela und Immanuela sowie für meineEnkelin Emilia: mein weibliches Kleeblatt,meine Damen, denen ich unendlich dankbarbin für jeden Augenblick unseresgemeinsamen Lebens.

»Warum führen große Staaten heutzutage Krieg? Die einzig gesunde Grundlage eines großen Staates, und dadurch unterscheidet er sich wesentlich von einem kleinen Staate, ist der staatliche Egoismus und nicht die Romantik, und es ist eines großen Staates nicht würdig, für eine Sache zu streiten, die nicht seinem eigenen Interesse angehört. Zeigen Sie mir also, meine Herren, ein des Krieges würdiges Ziel, und ich will Ihnen beistimmen. Es ist leicht für einen Staatsmann, sei es im Kabinette, sei es in der Kammer, mit dem populären Winde in die Kriegstrompete zu stoßen und sich dabei an seinem Kaminfeuer zu wärmen oder von dieser Tribüne donnernde Reden zu halten und es dem Musketier, der auf dem Schnee verblutet, zu überlassen, ob sein System Sieg und Ruhm erwirbt oder nicht. Es ist nichts leichter als das, aber wehe dem Staatsmann, der sich in dieser Zeit nicht nach einem Grunde zu Kriegen umsieht, der auch nach dem Kriege noch stichhaltig ist.«

Otto von Bismarck, Rede vor dempreußischen Abgeordnetenhausam 3. Dezember 1850

25 Jahre zwischen Sokrates und Perry Rhodan

»Je mehr ich weiß, desto mehr weiß ich, dass ich nichts weiß; doch daher weiß ich mehr als die, die nicht wissen, dass sie nichts wissen.« Zumindest dem Sinne nach soll diese Weisheit vom griechischen Philosophen Sokrates stammen, die uns sein Schüler Plato überliefert hat. Ich halte diese Erkenntnis für eine der Grundregeln, die Journalisten vor Irrtümern bewahren können. Die zweite Grundregel ist für mich die Demut vor dem Nichtwissen, das Bewusstsein, wie begrenzt unser Wissensstand im Zusammenhang mit vielen, nicht nur weltpolitischen, Ereignissen ist.

Dazu ein Beispiel. Als ich diese Zeilen schrieb, standen wir wenige Tage vor dem Gipfeltreffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin in Alaska. Zur Verfügung hatten wir nur wenige und recht unklare Aussagen beider Politiker. Hinzu kamen Stellungnahmen von US-Vizepräsident J.D. Vance sowie europäischer Spitzenpolitiker, die klar zeigten, dass es Widerstand gegen und Befürchtungen vor einer möglichen Einigung zwischen den USA und Russland über das Schicksal der Ukraine ohne die Ukraine und die Europäer gab. Doch tiefgehende Einblicke in die Vorbereitungen des Treffens und in das Tauziehen zwischen den USA und Europa/Ukraine hatten wir als Journalisten nicht. Bei der Endkorrektur des Buchs war der Gipfel gerade vorbei, und konkrete Informationen über erzielte Ergebnisse und strittige Punkte gab es gar nicht, nur kurze Stellungnahmen beider Präsidenten, denn Journalistenfragen waren nicht zugelassen. Das ist journalistisch unbefriedigend, aber nicht überraschend; denn natürlich müssen zuerst Wolodymyr Selenskyj und die führenden Staaten der EU informiert werden; erst danach können etwa Arbeitsgruppen konkrete Fahrpläne und Lösungen ausarbeiten, denn bei derart komplexen Themen steckt der Teufel im Detail.

Journalisten müssen sich oft auch in Geduld üben, obwohl es dann nach derartigen Großereignissen schwer ist, die Sendungen am Tag danach zu füllen. Was den Zugang zu Informationen betrifft, heißt es eben abwarten. Dazu kommen noch zwei Faktoren: Österreich ist ein weltpolitisch unbedeutender Kleinstaat, seine Journalisten haben weit weniger Zugänge zu Entscheidungsträgern als etwa Journalisten aus den USA. Damit muss man leben. Umso umfassender gilt es zu recherchieren und auf Nuancen zu achten. Hinzu kommt zweitens die Informationsmenge, die es an offenen Quellen zu verarbeiten gilt, wenn die USA, Russland und mehrere europäische Mittelmächte involviert sind. Ich habe viele Bücher ehemaliger, vor allem hochrangiger, US-Diplomaten gelesen. Darin stand viel Wissenswertes über die Vorbereitung von Gipfeltreffen und ihren Ablauf. Doch diese Bücher zeigten auch, wie wenig Journalisten im Vorfeld und zum Zeitpunkt des Gipfels tatsächlich wussten. Außerdem haben Politiker ebenso ihre subjektiven Betrachtungsweisen, können sich irren oder haben die Absicht, Journalisten zu manipulieren. Vorsicht ist somit in allen Lebenslagen die Mutter der Porzellankiste.

Mein drittes Grundprinzip lautet »Cui bono« – wem nützt es! Seine Beherzigung schützt vor moralisierenden Bewertungen und einem einseitigen Gut-Böse-Schema, dem Journalisten leider zunehmend verfallen, obwohl es in der Politik nur selten angebracht ist.

Entstanden ist dieses Buch zu einem Zeitpunkt, zu dem unklar war, ob, wann und wie der Krieg in der Ukraine endet, und wenn ja, ob es zu einer Friedenslösung oder nur zu einem eingefrorenen Konflikt kommen wird wie zwischen Nord- und Südkorea. Die Grundidee des Buchs war es daher, Entwicklungslinien aufzuzeigen, die zum Ukraine-Krieg geführt haben. Dazu zählen die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine, die Runden der NATO-Osterweitung, die Beziehungen zwischen den USA und Russland, die Rolle der EU und ihre Beziehung zur Ukraine, um nur einige Themen zu nennen. Ein eigener Abschnitt ist dem Balkan gewidmet. Immer wieder eingestreut sind meine Erfahrungen als Journalist, Erlebnisse als Berichterstatter, aber auch besondere Momente meines Berufslebens. Generell habe ich mich davon leiten lassen, dass es zwar in der Regel keinen Zweifel gibt, wer den ersten Schuss abgegeben hat, doch dass Kriege ihre Vorgeschichte haben, die bei der Informationskriegsführung gern verschwiegen wird. Wie objektiv und umfassend wäre eine Darstellung des Ersten Weltkriegs, die erst mit dem Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo am 28. Juni 1914 beginnt?

Erfahren, Erlernen und Erlesen bilden für mich einen Dreiklang beim Gewinn von Erkenntnissen und Informationen, die dann zu einer Berichterstattung führen, die dem Seher, Hörer und Leser die Möglichkeit bieten soll, sich selbst eine Meinung zu bilden. Um die Lesbarkeit zu fördern, habe ich nur auf wenige Quellen verwiesen. Desgleichen habe ich bei Städten deutsche Bezeichnungen und eingebürgerte Schreibweisen benutzt (z.B. Kiew), denn es geht um das Verständnis ohne nutzlose Zungenbrecher.

Geschrieben habe ich dieses Buch »sine ira et studio«, also »ohne Zorn und Eifer«! Die Ukraine und die Länder des Balkans sind meine Zielländer, aber ebenso wenig meine Heimat wie die USA und Russland oder die EU, deren Politik ebenfalls erörtert wird. Ich habe Sympathien für Menschen und Völker, nicht aber für Politiker und Staaten. Ich analysiere, aber ich moralisiere nicht. »Fortiter in re, suaviter in modo« (Entschlossen in der Sache, freundlich in der Art) sollte das Grundprinzip einer intellektuellen Auseinandersetzung sein, das viele Politiker, aber auch Kommentatoren und Nutzer sozialer Netzwerke immer öfter missachten. Im Umgang miteinander bedarf es einer Trendwende, die nicht nur durch Strafen gegen Hasstiraden im Netz erreichbar sein wird.

Politiker sind in der Arena, Journalisten auf den Rängen. Dieses Diktum des prägendsten ORF-Generalintendanten Gerd Bacher, der mich dereinst in den ORF holte, sollte nicht vergessen werden.

Auf dem Balkan betreue ich acht Länder, die Staaten des ehemaligen Jugoslawien und Albanien. Hinzu kam im Jahr 2014 die Ukraine. Ich bin somit derzeit der einzige Korrespondent des ORF mit zwei Büros.

Besonders wichtig ist es für mich, dass ich nach wie vor auch über einen Außenposten in den russisch besetzten Gebieten der Ostukraine verfüge. Dorthin könnte ich nur über Russland einreisen. Das darf ich aber nicht, weil das die politische Führung in Kiew zu Recht als illegale Einreise auf ihr Territorium auffassen würde und ich daher meine Arbeitsgenehmigung in der Ukraine verlieren könnte. Doch ich habe einen Kameramann und einen Produzenten mit Sitz in Donezk. Der Produzent schlägt mir Themen für Beiträge vor, ich schicke ihm die Fragen für Interviewpartner und überprüfe danach über andere Quellen, ob alles richtig gedreht wurde. Auf diese Weise haben wir bereits Exklusivbeiträge gestaltet.

Natürlich ist das »Leben in der Lage«, das ständige Auf-dem-Laufenden-Bleiben, eine Herausforderung, zumal ich alle Staatssprachen meiner Länder beherrsche, sodass ich über sehr viele Quellen verfüge, die ich bearbeiten kann. In meinem Fall kommt jedoch noch ein Bereich hinzu, der meine ständige Aufmerksamkeit erfordert, den viele andere Journalisten und Korrespondenten nicht zu bearbeiten haben – das ist die Entwicklung der Rüstungstechnologie, insbesondere der Drohnen.

Mein erster Krieg im Jahr 2001 in Mazedonien entsprach vom Einsatz der Waffensysteme einem moderneren Zweiten Weltkrieg, zumal die Arsenale beschränkt waren, über die mazedonische Streitkräfte und albanische Freischärler verfügten. Doch bereits in der Ostukraine kamen schon vor 2022 Drohnen zum Einsatz, damals vor allem zur Aufklärung sowie in primitiverer Form als Waffen. Nach dem russischen Großangriff vom 24. Februar 2022 erfolgte regelrecht eine technische Revolution bei der Nutzung von Drohnen auf dem Gefechtsfeld und weit dahinter. Diese Entwicklung beeinflusst massiv die Möglichkeiten und Gefahren bei einer Berichterstattung. Mittlerweile werden russische Drohnen bereits dreißig Kilometer hinter der Front auf ukrainischer Seite eingesetzt, ein Umstand, den wir bei jeder Planung einer Reise berücksichtigen müssen!

Mein verstorbener Vater sagte einmal scherzhaft, dass es vier Stufen des Alterns gebe: alt, uralt, Zeitzeuge und Legende. Mehr als 25 Jahre auf dem Balkan und mehr als zehn Jahre in der Ukraine haben mich sicherlich zu einem Chronisten vieler Entwicklungen werden lassen, die ich in meinen bisherigen Büchern ebenfalls beschrieben habe. Dazu zählen viele politische Krisen sowie einige Kriege, denn ich sehe mich grundsätzlich nicht als Kriegsberichterstatter, sondern als Korrespondent, der in Brennpunktregionen in Europa tätig ist, die eben auch von Kriegen heimgesucht werden. Hinzu kommt, dass aus Krisen Kriege entstehen können, wie wir das am Beispiel der Ukraine sehr klar feststellen konnten. Somit wird dieses Buch möglicherweise nicht das letzte gewesen sein. Als ich Ende 1999 zum Korrespondenten des ORF in Belgrad bestellt wurde, war in Kroatien Präsident Franjo Tuđman gerade gestorben, und eine stärkere Demokratisierung setzte ein. In Belgrad herrschte weiterhin der Autokrat Slobodan Milošević, der jedoch am 5. Oktober des Jahres 2000 gestürzt wurde. Diese unblutige Revolution war meine erste große journalistische Feuertaufe. Euphorie und Optimismus, die damals in Serbien und auf dem Balkan insgesamt herrschten, hatten leider nicht Bestand, wurden enttäuscht – von den lokalen Eliten ebenso wie von der Brüsseler Bürokratie oder Mitgliedern der EU.

Mit den Anschlägen in New York am 11. September 2001 setzte bereits eine spürbare Verlagerung der außen- und geopolitischen Prioritäten ein – trotz der drei Jahre später folgenden großen Runde der EU-Erweiterung. Nach Slowenien im Jahre 2004 schaffte es Kroatien gerade noch auf den letzten Drücker, 2013 der EU beizutreten. Ab dann herrschte Erweiterungsmüdigkeit bis zum russischen Krieg im Jahr 2022. Aus einem »Blitzschach« auf dem Weg Richtung EU wurde eine Hängepartie, die für viel Frustration auf dem sogenannten Westbalkan (Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Albanien) sorgte.

Hinzu kamen internationale Finanzkrise, Brexit und Corona, Krisen, deren Handhabung durch die EU auf dem Westbalkan nicht gerade das Vertrauen einer breiten Öffentlichkeit in diese Organisation stärkten. Das ist bedauerlich, zumal die EU auf dem Westbalkan der entscheidende Faktor einer Modernisierung ist, eine Tatsache, die Brüssel nach wie vor nicht erfolgreich zu kommunizieren vermag.

Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne die Hilfe, die mir von vielen Personen zuteilgeworden ist. Nennen kann ich nur einige von ihnen. Mein erster und größter Dank gilt meiner Familie, die mir diese 25 Jahre durch Engelsgeduld und enormes Verständnis ermöglicht hat. Was die konkrete Entstehung des Buchs betrifft, so danke ich vor allem meiner jüngeren Tochter Immanuela. Sie hat die Kommunikation mit dem Verlag abgewickelt und war mir eine entscheidende Stütze bei der Korrektur des Texts, die bei diesem Interview-Buch unvermeidbar war. Alle meine Erfahrungen und Berichte wären in diesen vielen Jahren unmöglich gewesen ohne meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Balkan und in der Ukraine. Sie alle können ermessen, welche großen Leistungen wir in den »Schluchten des Balkan« sowie in der Ukraine insbesondere in Zeiten des Krieges erbracht haben. Ich danke auch dem Verlag für die Idee zu diesem Buch, die Durchführung der Interviews und ihre redaktionelle Umsetzung, die zu einem Werk geführt hat, das Einblicke in die Entwicklung des Balkans und der Ukraine in gut lesbarer Form bieten soll.

Frontlinien – 25 Jahre zwischen Krise, Krieg und Hoffnung lautet der Titel dieses Buchs. Ich habe viel Elend gesehen, aber auch viel Heldenmut und Gutes. Politiker und Diplomaten erlebte ich aus der Nähe – im Guten wie im Schlechten. Mein Maßstab ist, ob sie das Leben ihrer Völker verbessert haben oder nicht. Manche Leser, Zuseher oder Zuhörer könnten annehmen, dass ich in all diesen Jahren die Hoffnung und den Glauben an die Menschheit verloren habe. So bin ich bei Vorträgen und Buchpräsentationen oft gefragt worden, wie ich all diese schrecklichen Bilder verkrafte, die ich zu sehen bekomme. Der Anblick von Toten ist bedrückend, doch das Elend von Hinterbliebenen, Kindern, die zu Waisen wurden, und von Pensionisten, die in Armut leben, noch viel mehr. Das Zusammensein mit meiner Familie, das Spielen mit meiner Enkelin sind für mich der beste Ausgleich. Dazu zählt auch die wöchentliche Lektüre der größten Science-Fiction-Serie der Welt, Perry Rhodan; denn bei der Befassung mit der »galaktopolitischen Lage« – von den Entwicklungen in der heimischen Milchstraße bis hin zum Andromeda-Nebel – kann ich die irdischen Probleme in den Hintergrund treten lassen.

Ich bin nicht zum Zyniker geworden, sondern ein Optimist geblieben, der nach dem Motto lebt: »Verloren ist nur, wer sich selbst aufgibt.« In diesem Sinne sei zum Schluss meine grundlegende Lebensphilosophie beschrieben, die niemand besser formuliert hat als William Voltz im Perry-Rhodan-Band 1000 mit dem Titel »Der Terraner«. Zum Schluss des Jubiläumsbands wird der Held der Serie so charakterisiert:

»Sein Name ist Perry Rhodan.

Er kennt die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, die Niedertracht, die Angst, den Hass, den Neid und die Sinnlosigkeit.

Er kennt das alles aus eigener Erfahrung, denn er ist einer von vielen Milliarden Menschen.

Er kennt aber auch den Mut, die Hoffnung, die Liebe, die Hilfsbereitschaft, die Kreativität, die Größe und die Erfüllung.

Er kennt das alles aus eigener Erfahrung, denn er ist einer von vielen Milliarden Menschen.

Er glaubt nicht, dass der Mensch das Produkt des Zufalls in einem chaotischen Kosmos ist.

Er glaubt, dass tief im Menschen eine unstillbare Sehnsucht verankert ist, seine kosmische Bestimmung zu erfahren.

Er glaubt nicht, dass der Mensch über den Rand des Abgrunds hinaustaumeln und auf einer von ihm selbst verwüsteten Erde untergehen wird.

Er glaubt, dass der Mensch sich als Teil eines wunderbaren Universums begreifen und voller Harmonie darin leben kann.

Perry Rhodan ist der Terraner.«

Salzburg, Kiew, Belgrad, Ende August 2025

Christian Wehrschütz

Mit freundlicher Genehmigung der PERRY RHODAN-Redaktion (PERRY RHODAN ist eine eingetragene Marke der Heinrich Bauer Verlag KG)

Teil I

DER KRIEG ZWISCHEN RUSSLAND UND DER UKRAINE

Berichte von der Front

Die Entwicklung der Ukraine seit der Unabhängigkeit 1991

Der erste Besuch in der Ukraine

Das erste Mal als Journalist in der Ukraine war ich bereits im Mai 1992. Da habe ich gelegentlich für die Kleine Zeitung und andere Medien geschrieben. Zu dieser Zeit ist die Ukraine vom Büro Moskau aus betreut worden, wobei man »Betreuung« unter Anführungszeichen setzen muss. Es gab damals kaum Interesse an der Ukraine. Erst 2004, beim ersten Maidan, und dann 2009, als es ums Gas gegangen ist, stieg das Interesse kurzfristig. Und natürlich 2012, als Polen und die Ukraine sogar noch gemeinsam die Fußball-Europameisterschaft ausgetragen haben. Mit der Maidan-Bewegung 2014, der russischen Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine rückte dann das Land plötzlich ins Zentrum medialer Berichterstattung.

Wie sich das Land in den vergangenen dreißig Jahren verändert hat

Als ich 1992 zum ersten Mal in der Ukraine war, gab es ein postsowjetisches Trauma. Es wurde zuerst der Kupon als Währung verwendet, es herrschte Hyperinflation, eine Wirtschaftskrise. Es gab keinen Plan, wie das Land wirtschaftlich reformiert werden sollte. Sehr mächtig waren damals bereits die roten Direktoren, die Chefs großer Kombinate, die gemeinsam mit ukrainischen Nationalisten die Unabhängigkeit verwirklicht haben, um nicht mehr von Moskau abhängig zu sein.

Und trotzdem herrschte Optimismus. »Wir haben alles, was wir brauchen«, war die Devise. Die Ukraine hatte alle Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein. Doch je länger Aufschwung und Erfolg ausblieben, je länger es keine Reformen gab und je mächtiger die sogenannten Räuberbarone und die organisierte Kriminalität wurden, desto größer wurde auch der Frust.

Das bedeutete nicht, dass die Mehrheit dachte, mit Russland ginge es besser. Russland war kein attraktives Modell, dort herrschten ebenfalls Armut und Wirtschaftskrise, das war nicht so wie zwischen West- und Ostdeutschland.

Als ich 2014 zurückgekommen bin, war die Ukraine ein viel moderneres Land, da konnte ich schon enorme Fortschritte sehen. Bloß die Infrastruktur war noch immer kaputt. Alles, was staatlich war, etwa Überlandstraßen, waren eine Katastrophe. Ich kann mich noch gut erinnern, als wir 2014 angefangen haben, in die Ostukraine zu fahren. Ich verstand zunächst nicht, warum es dort rund um die Uhr die Möglichkeit gibt, Reifen zu wechseln. Ich kenne keine Tankstelle in Österreich, wo das möglich ist. Nach zehn Patschen im ersten Jahr habe ich es verstanden. Der Gegensatz zwischen dem Staat mit unterentwickelter Infrastruktur, fehlendem Entwicklungsplan und grassierender Korruption einerseits und hochprofessionellen Privatbetrieben und Unternehmen andererseits war und ist gewaltig.

Die Ukraine hatte meiner Ansicht nach keine Entwicklungsstrategie. Zum Vergleich: Die Kroaten waren in der Lage, in wenigen Jahren vierhundert Kilometer Autobahn zu bauen, zum Teil mit viel schwierigerem Territorium.

Michail Gorbatschow (1931–2022) war zwischen 1985 und 1991 führender Politiker der Sowjetunion und der Kommunistischen Partei. Seine Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umbau) sollte die Sowjetunion liberalisieren und führte zum Ende des Kalten Kriegs mit den USA, wofür er 1990 den Friedensnobelpreis erhielt. Seine Reformen führten allerdings zu Machtverlust und heftigem Widerstand im eigenen Land. Unter seiner Führung zerfiel die Sowjetunion.

Die Grundprobleme der Ukraine

Meiner Erfahrung nach hat die Ukraine drei Grundprobleme. Erstens die Korruption, zweitens der russische Nachbar, drittens die eigene politische Elite, die es in der Phase der russischen Schwäche verabsäumt hat, ihr Land zu einem Powerhouse in Osteuropa zu entwickeln. Dieses Potenzial hätte die Ukraine wirklich gehabt.

Die Ukraine in ihren völkerrechtlich anerkannten Grenzen

Die Ursprünge des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine

Die historischen Ursprünge des Kriegs

Roman Solchanyk, ein Politikwissenschaftler, der in den USA lebt, hat vor einigen Jahren einen fantastischen Aufsatz geschrieben. Darin stand: Putins größter Fehler war zu glauben, dass die Ukrainer Russen sind. Darüber hat Solchanyk in den neunziger Jahren auch ein Buch geschrieben. Die russisch-ukrainischen Beziehungen sind nicht nur mit einem postimperialen Trauma nach dem Zerfall der Sowjetunion zu erklären. Es geht um Grundfragen der nationalen Identität.

Seit der Unabhängigkeit entwickelte sich schrittweise eine eigenständige ukrainische Identität. Am Beginn der Unabhängigkeit in den neunziger Jahren war sie noch schwach ausgeprägt, hatte große regionale Unterschiede. Aber die Identität wurde immer stärker. Im großen Unterschied etwa zum Balkan war in der Ukraine die Muttersprache nie mit der nationalen Identität gleichzusetzen. Jemand, der in der Ukraine Russisch gesprochen hat, war nicht automatisch prorussisch. Jemand, der in Bosnien Serbisch spricht, gibt damit auch ein Nationsbekenntnis ab.

Allerdings rührt die ukrainische Nationsbildung stark an der nationalen Identität der Russen. Das geht tief in die russische Geschichte hinein. Es gibt ein interessantes Beispiel aus dem Jahr 1912 von Peter Struve, einem deutschstämmigen russischen Politiker, Ökonomen und Philosophen. Struve war ein führender Repräsentant für eine liberale, demokratische Orientierung. Er hat geschrieben: »Ich bin zutiefst überzeugt, dass neben der russischen Kultur und Sprache die ukrainische Kultur eine lokale oder regionale Kultur ist.« Putin hat die Idee, dass die Russen und die Ukrainer ein Volk und eine Nation sind, nicht erfunden. Er mag nur besonders davon besessen sein. Aber die Unterdrückung der ukrainischen Nationsbildung geht weit ins Zarenreich zurück.

Im 19. Jahrhundert war zum Beispiel der Druck ukrainischer Bücher verboten. Und besonders die Ukrainer sehen den Holodomor (Hungermord) als Versuchs Stalins, die ukrainischen Bauern als Träger der nationalen Identität zu vernichten. Diese Hungersnot zu Beginn der 1930er Jahre wurde durch die stalinistische Zwangskollektivierung der Landwirtschaften ausgelöst, die es allerdings auch in anderen Teilen der Sowjetunion gab.

Holodomor (ukrainisch für »Tötung durch Hunger«) bezieht sich auf eine Hungersnot, die in den 1930er Jahren in der heutigen Ukraine wütete. Schätzungsweise starben dabei zwischen drei und sieben Millionen Menschen. Ursachen dafür waren die beschleunigte Industrialisierung und Kollektivierung der Landwirtschaft, die Josef Stalin der Sowjetunion vorschrieb. Inwieweit diese Maßnahme gezielt zu einer Hungersnot führte, ist bis heute umstritten.

Über Widersprüche zwischen Russland und der Ukraine

Ich habe den prorussischen Separatisten in Donezk immer wieder gesagt, ich verstehe nicht, warum ihr eine Statue von Lenin auf dem zentralen Platz der Stadt stehen lasst. Denn ohne Lenin hätte es die ukrainische Nationsbildung in der heutigen Form gar nicht gegeben. Das war ein Konflikt zwischen Lenin und Stalin. Lenin hat sich stark zur ukrainischen Nationsbildung bekannt, während Stalin, der ja eigentlich Georgier war, das rasch unterbinden wollte.

Wenn wir also heute fragen: Warum haben die Russen die NATO-Mitgliedschaft von Finnland oder Schweden akzeptiert, wollen sie aber nicht für die Ukraine akzeptieren? Dann müssen wir diesen historischen Kontext ansehen, um zu erkennen, dass die Frage der ukrainischen Nation für die Russen insgesamt weit über Sicherheitspolitik hinausgeht.

Die unterschiedlichen Weltsichten von Ukrainern und Russen

Interessant war ein Interview, das ich mit Sir Rodric Braithwaite geführt habe, dem letzten britischen Botschafter in der Sowjetunion. Er hat mir erzählt, selbst für die liberalen Russen unter Gorbatschow war die Ukraine Teil Russlands. Seine Gesprächspartner meinten, wenn die Ukraine mit der Halbinsel Krim Probleme bereitet, wird selbst Boris Jelzin Krieg gegen die Ukraine führen müssen. Bei all der Kriegspropaganda, die uns erreicht, müssen wir uns klarmachen, wie unterschiedlich die Vorstellungen dieser Völker sind. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Viele Städte der Ostukraine bis hin zu Donezk, Odessa oder Mariupol sind entweder Gründungen aus der russischen Zarenzeit oder nahmen in dieser Zeit ihren Aufschwung; siehe dazu etwa die Oper in Odessa, die österreichische Architekten gebaut haben.

Sir Rodric Braithwaite, der letzte britische Botschafter in der Sowjetunion