Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen - Waldemar von Suchodoletz - E-Book

Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen E-Book

Waldemar von Suchodoletz

0,0

Beschreibung

Etwa jedes 10. Kind hat eine Sprachentwicklungsstörung. Bleiben Sprachauffälligkeiten bis ins Schulalter bestehen, sind Schulprobleme und Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentwicklung zu befürchten. Wichtig ist daher die Früherkennung als Voraussetzung für eine angemessene Frühförderung, wodurch die Entwicklungschancen sprachgestörter Kinder erheblich verbessert werden können. Das Buch gibt einen Überblick über Methoden zur Früherkennung sprachentwicklungsgestörter Kinder vom Säuglingsalter bis zum dritten Lebensjahr. Besprochen wird, ab wann eine Früherkennung möglich ist, welche Methoden für einzelne Altersstufen zur Verfügung stehen und wie zuverlässig diese sind. Enthalten sind zudem Manuale für zwei neue, standardisierte Elternfragebögen (SBE-2-KT, SBE-3-KT), die sich am Ende des zweiten bzw. dritten Lebensjahres als effektive Instrumente zur Erfassung sprachauffälliger Kinder erwiesen haben. Die Manuale bieten alle für den praktischen Einsatz erforderlichen Informationen zu Anwendung, Auswertung, Interpretation, Normwerten und Zuverlässigkeit.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 238

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Etwa jedes 10. Kind hat eine Sprachentwicklungsstörung. Bleiben Sprachauffälligkeiten bis ins Schulalter bestehen, sind Schulprobleme und Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsentwicklung zu befürchten. Wichtig ist daher die Früherkennung als Voraussetzung für eine angemessene Frühförderung, wodurch die Entwicklungschancen sprachgestörter Kinder erheblich verbessert werden können. Das Buch gibt einen Überblick über Methoden zur Früherkennung sprachentwicklungsgestörter Kinder vom Säuglingsalter bis zum dritten Lebensjahr. Besprochen wird, ab wann eine Früherkennung möglich ist, welche Methoden für einzelne Altersstufen zur Verfügung stehen und wie zuverlässig diese sind. Enthalten sind zudem Manuale für zwei neue, standardisierte Elternfragebögen (SBE-2-KT, SBE-3-KT), die sich am Ende des zweiten bzw. dritten Lebensjahres als effektive Instrumente zur Erfassung sprachauffälliger Kinder erwiesen haben. Die Manuale bieten alle für den praktischen Einsatz erforderlichen Informationen zu Anwendung, Auswertung, Interpretation, Normwerten und Zuverlässigkeit.

Prof. Dr. Waldemar von Suchodoletz ist Kinder- und Jugendpsychiater. Er leitete die Abteilung für Entwicklungsstörungen an der kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik der LMU München.

Waldemar von Suchodoletz

Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen

Der SBE-2-KT und SBE-3-KT für zwei- bzw. dreijährige Kinder

Unter Mitarbeit von Steffi Sachse, Stefanie Kademann und Susanne Tippelt

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe vonWarenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

1. Auflage 2012 Alle Rechte vorbehalten © 2012 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart

Printed in Germany 978-3-17-021069-1

E-Book-Formate

pdf:

978-3-17-026624-7

epub:

978-3-17-027412-9

mobi:

978-3-17-027413-6

Inhalt

Vorwort

1 Sprache und Sprachentwicklung

2 Sprachentwicklungsstörungen

2.1 Sprachentwicklungsverzögerungen

2.2 Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen

2.2.1 Charakteristika von Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen

2.2.2 Umschriebene Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen

2.2.3 Sekundäre Sprech- und Sprachentwicklungsstörungen und Sprachprobleme bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern

2.2.4 Andere Klassifikationsschemata für Sprachentwicklungsstörungen

3 Warum Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen?

3.1 Häufigkeit von Sprachentwicklungsstörungen

3.2 Gesundheitspolitische Relevanz von Sprachentwicklungsstörungen

3.3 Langfristige Auswirkungen von Sprachentwicklungsstörungen

3.4 Bedeutung einer Früherkennung für Kinder aus unterprivilegierten Familien

4 Anforderungen an Früherkennungsmethoden

4.1 Gütekriterien für Methoden zur Sprachstandsbestimmung

4.1.1 Objektivität

4.1.2 Reliabilität

4.1.3 Validität

4.1.4 Ökonomie

4.1.5 Nützlichkeit

4.1.6 Normierung

4.2 Zusätzliche Validitätskriterien für Methoden zur Erfassung von Sprachstörungen

4.2.1 Diagnostische Validitätskriterien

4.2.2 Charakteristika diagnostischer Validitätskriterien

5 Risiken von Früherkennung

5.1 Emotionale Verunsicherung

5.2 Stigmatisierung und Labilisierung familiärer Interaktionen

6 Früherkennungsmethoden

6.1 Untersuchung des Kindes

6.2 Elternfragebögen

6.3 Experimentelle Methoden

6.4 Kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen

7 Früherkennung im Säuglingsalter bis zum Ende des ersten Lebensjahres

7.1 Verspätetes kanonisches Lallen

7.2 Nederlandstaligen Nonspeech Test (NNST)

7.3 CSBS-DP Säugling/Kleinkind Checkliste

7.4 Elternfragebogen 1 (ELFRA-1): Sprache, Gesten, Feinmotorik

7.5 Weitere Früherkennungsinstrumente

7.6 Zusammenfassender Elternfragebogen

7.7 Zusammenfassung

8 Früherkennung am Ende des zweiten Lebensjahres

8.1 Sprachtests

8.2 Elternfragebögen

8.2.1 MacArthur Communicative Development Inventories (CDI)

8.2.2 Language Development Survey (LDS)

8.2.3 Elternfragebogen für zweijährige Kinder: Sprache und Kommunikation (ELFRA-2: Lang- und Kurzversion)

8.2.4 Elternfragebogen für die Erfassung der frühen Sprachentwicklung für (österreichisches) Deutsch (A-CDI)

8.2.5 Elternfragebogen zur Wortschatzentwicklung im frühen Kindesalter: ELAN – Eltern Antworten

8.2.6 Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung (FRAKIS/FRAKIS-K)

9 Sprachbeurteilung durch Eltern: Kurztest für die U7 (SBE-2-KT) – Manual

9.1 Grundkonzept

9.2 Entwicklung des SBE-2-KT

9.3 Beschreibung des SBE-2-KT

9.3.1 Fremdsprachige Versionen des SBE-2-KT

9.4 Anwendung und Auswertung

9.4.1 Auswertung bei einsprachig deutsch aufwachsenden Kindern

9.4.2 Auswertung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern

9.4.3 Umgang mit Synonymen und kindersprachlichen Äußerungen

9.5 Normierung und Normwerttabellen

9.5.1 Normwerte

9.5.2 Normierungsstichprobe

9.6 Interpretation und weiteres Vorgehen

9.6.1 Interpretation

9.6.2 Diagnostische und therapeutische Konsequenzen

9.7 Zuverlässigkeit des SBE-2-KT (Testgütekriterien)

9.7.1 Zuverlässigkeit bei der Bestimmung des Sprachentwicklungsstands

9.7.2 Zuverlässigkeit bei der Erfassung von Late Talkers

9.7.3 Zuverlässigkeit bei der Vorhersage von Sprachentwicklungsstörungen

9.8 Weitere Testgütekriterien

9.8.1 Interne Konsistenz

9.8.2 Konstruktvalidität

9.8.3 Lösungshäufigkeit

9.9 Zusammenfassung

10 Früherkennung am Ende des dritten Lebensjahres

10.1 Normierte Sprachtests

10.1.1 Langtests

10.1.2 Sprachscreening für das Vorschulalter – SSV

10.2 International verfügbare Elternfragebögen für dreijährige Kinder

11 Sprachbeurteilung durch Eltern: Kurztest für die U7a (SBE-3-KT) – Manual

11.1 Grundkonzept

11.2 Entwicklung des SBE-3-KT

11.3 Beschreibung des SBE-3-KT

11.4 Anwendung und Auswertung

11.4.1 Anwendung bei einsprachig deutsch aufwachsenden Kindern

11.4.2 Anwendung bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern

11.4.3 Umgang mit Synonymen, kindersprachlichen Äußerungen und Anmerkungen der Eltern

11.5 Normierung und Normwerttabellen

11.5.1 Normwerte

11.5.2 Charakterisierung der Normierungsstichprobe

11.5.3 Bedeutung von Einflussfaktoren (Alter, Geschlecht u. a.)

11.5.4 Differenzierungsfähigkeit des SBE-3-KT in Abhängigkeit vom Sprachniveau

11.5.5 Beziehung zwischen Wortschatz- und Grammatik-Wert

11.6 Interpretation und weiteres Vorgehen

11.6.1 Interpretation

11.6.2 Diagnostische Konsequenzen

11.6.3 Therapeutische Konsequenzen

11.7 Zuverlässigkeit des SBE-3-KT

11.7.1 Zuverlässigkeit bei der Bestimmung des Sprachentwicklungsstands

11.7.2 Zuverlässigkeit bei der Erfassung sprachgestörter Kinder

11.8 Weitere Testgütekriterien

11.8.1 Lösungshäufigkeit

11.8.2 Konstruktvalidität

11.8.3 Interne Konsistenz

11.8.4 Akzeptanz des Bogens von Seiten der Eltern

11.9 Zusammenfassung

12 Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen – ein Fazit

12.1 Methoden zur Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen

12.2 Früherkennung bis zum Ende des ersten Lebensjahres

12.3 Früherkennung am Ende des zweiten Lebensjahres

12.4 Früherkennung am Ende des dritten Lebensjahres

12.5 Diagnostische und therapeutische Konsequenzen

Literatur

Anhang 1

Anhang 2

Verzeichnis der Untersuchungsinstrumente

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Wie Bildungsstudien übereinstimmend zeigen, ist in unserer Wissensgesellschaft Sprachkompetenz eine zentrale Schlüsselfähigkeit, welche die langfristigen Entwicklungschancen eines Kindes maßgeblich bestimmt. Sprachentwicklungsstörungen bedeuten ein erhebliches Risiko für die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung eines Kindes. Werden Sprachstörungen nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, dann ist mit dem Auftreten von Schulschwierigkeiten, sozialen Ängsten und Verhaltensauffälligkeiten zu rechnen. Sprachentwicklungsgestörte Kinder werden häufig zu Außenseitern und „Prügelknaben“ in Kindergruppen. Eine frühzeitige Erfassung und Förderung betroffener Kinder lässt eine Verbesserung der Entwicklungsprognose erwarten. Schon im Säuglingsalter wird deshalb versucht, Kinder mit Risiken für den Spracherwerb zu erkennen. Dadurch soll erreicht werden, dass die ersten Lebensjahre, die sensible Phase der Sprachentwicklung, zur Sprachförderung und Sprachtherapie genutzt werden kann.

Frühe Sprachscreenings sind allerdings nicht unumstritten. Der Spracherwerb verläuft außerordentlich variabel. Nicht jedes Kind, das im Säuglingsalter wenig lallt, zu Beginn des zweiten Lebensjahres Wörter weder versteht noch spricht und dessen Wortschatz mit zwei Jahren aus nur wenigen Wörtern besteht, hat eine Sprachentwicklungsstörung. Manche Kinder fangen spät an zu sprechen, holen diesen Rückstand aber bis zum Kindergartenalter ohne eine besondere Förderung auf und haben später keinerlei Sprachprobleme. Sie bedürfen keiner Frühförderung und ein Sprachscreening zu Beginn des Spracherwerbs führt bei ihnen eher zu einer Verunsicherung der Eltern als zu sinnvollen Interventionen. Sprachscreenings in einem sehr frühen Alter beinhalten somit nicht nur Chancen, sondern auch Risiken.

Das vorliegende Buch zeigt Möglichkeiten und Grenzen einer Früherkennung sprachentwicklungsgestörter Kinder auf. Es gibt einen Überblick über Früherkennungsmethoden vom Säuglingsalter bis zum dritten Lebensjahr. Des Weiteren wird darauf eingegangen, wie zuverlässig Kinder mit längerfristig anhaltend Sprachproblemen mit den einzelnen Instrumenten erkannt werden und welche davon für ein generelles Sprachscreening geeignet sind.

Einen Schwerpunkt des Buches bilden die Manuale für zwei neue Elternfragebögen (SBE-2-KT, SBE-3-KT), die für ein Sprachscreening bei den Vorsorgeuntersuchungen am Ende des zweiten bzw. dritten Lebensjahres gedacht sind. Die Bögen sind gut normiert und hinsichtlich ihrer Aussagefähigkeit ausführlich untersucht. Im Buch finden sich alle für deren praktischen Einsatz erforderlichen Informationen, wie Hinweise zur Anwendung, Auswertung und Interpretation sowie Normwerttabellen und Daten zur Zuverlässigkeit. Auf diagnostische und therapeutische Konsequenzen aus auffälligen Befunden wird ebenfalls eingegangen.

Bei der Erarbeitung von Daten eigener Studien, die im Buch Erwähnung finden, und der Elternfragebögen SBE-2-KT und SBE-3-KT waren zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung für Entwicklungsfragen der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München beteiligt. Wesentliche Vorarbeiten als Grundlage für die Entwicklung von kurzen Sprachfragebögen wurden von Frau Dr. Dipl.-Psych. Steffi Sachse geleistet. Frau Dr. Dipl.-Psych. Stefanie Kademann hat zur Entwicklung des SBE-3-KT durch die Formulierung und Selektion der Items entscheiden beigetragen. Frau Dipl. Psych. Susanne Tippelt führte für den SBE-3-KT die Validierungsstudie durch. Im Rahmen der Validitätsstudie hatten Frau Dr. Dipl.-Psych. Nicole Großheinrich und Herr Dr. M. A. Philipp Kühn das unabhängige Spontansprachrating übernommen. Das Verschicken von Elternfragebögen und die Eingabe der Daten erfolgte zu wesentlichen Teilen durch Frau Evelyn Maier, Frau Monika Hage und Frau Ann-Kristin Adam. Diese engagierte Unterstützung war Voraussetzung dafür, dass die Sprachscreenings erstellt, normiert und hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit überprüft werden konnten.

Ein besonderer Dank gilt den vielen Familien, die durch die Teilnahme an Sprachuntersuchungen mit ihren Kindern und das Ausfüllen von Fragebögen die Entwicklung und Überprüfung von Sprachscreenings erst möglich gemacht haben.

München, September 2011

Waldemar von Suchodoletz

1 Sprache und Sprachentwicklung

Dass der Mensch über eine hoch differenzierte Sprache verfügt, unterscheidet ihn von allen anderen Lebewesen. Zwar verfügen auch Tiere über ganz erstaunliche Kommunikationssysteme, doch sind diese im Vergleich zur menschlichen Sprache in ihrem Repertoire äußerst begrenzt.

Die menschliche Sprache ist für neue, bislang nie verwendete Äußerungen offen. Ihre Kreativität wird durch eine Strukturierung in mehreren Ebenen erreicht. Auf der ersten Ebene werden Laute (Phoneme) zu Morphemen, den kleinsten bedeutungstragenden Spracheinheiten, zusammengesetzt. Im Deutschen gibt es etwa 40 Laute, mit denen sich mehrere Tausend Morpheme bilden lassen. Die Morpheme wiederum können zu mehr als 500 000 Wörtern kombiniert werden und mit diesen lassen sich unendlich viele und immer wieder neue Sätze bilden.

Dieser Variationsreichtum der Sprache ermöglicht einen intensiven Austausch von Gedanken, Wünschen und Gefühlen. Individuelle Erfahrungen können über Generationsgrenzen hinweg weitergegeben und zu einem wachsenden Wissenspool zusammengetragen werden. Sprache ist zudem ein wichtiges Werkzeug zur Strukturierung des Denkens und ist Voraussetzung für komplexe Handlungs- und Denkabläufe. Sie dient des Weiteren der kollektiven Identitätsbildung. Wer bspw. außerhalb eines Dialektbereichs aufgewachsen ist, wird immer als hinzugekommen und als Fremder erkannt. Sprache ist demnach für alle Lebensbereiche von zentraler Bedeutung. Dies macht verständlich, dass Sprachentwicklungsstörungen nicht nur zu einer Beeinträchtigung der Wissensaneignung führen, sondern auch ein Risiko für die emotionale und soziale Entwicklung darstellen.

Obwohl die Regeln, nach denen Laute zu Wörtern und Wörter zu Sätzen kombiniert werden können, äußerst komplex sind, erlernen Kinde ihre Muttersprache fast automatisch. Treibende Kraft ist ihr Bedürfnis nach Kommunikation und Interaktion. Nur wenn Sprache im Umfeld vollständig fehlt und keine Möglichkeiten zur menschlichen Kommunikation gegeben ist, bleibt der Spracherwerb aus.

Die Sprachentwicklung erfolgt einerseits nach recht regelhaften Prinzipen. Gesetzmäßig folgt ein Erwerbsschritt dem anderen: Zuerst äußert sich ein Kind durch Schreien, dann folgen Gurren und Lallen in zunehmender Komplexität und schließlich Wörter und Wortkombinationen, die über Ein-, Zwei- und Mehrwortäußerungen zu langen Erzählungen werden. Auf der anderen Seite besteht eine hohe Variabilität im Spracherwerb hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem ein Meilenstein der Sprachaneignung erreicht wird (Szagun 2006). 10 % der Kinder sprechen bereits mit 12 Monaten die ersten drei Wörter, aber die langsamsten 10 % benutzen mit 21 Monaten noch keine sinnbezogenen Wörter. Zweiwortsätze bilden die schnellsten 10 % der Kinder mit 15 Monaten und die langsamsten erst nach dem 25. Lebensmonat (Largo 2003). Der Abstand zwischen den schnellsten und langsamsten 10 % beträgt somit fast ein Jahr. Auch die Verläufe sind unterschiedlich. Einige Kinder zeigen kontinuierlich gleichbleibende Sprachfortschritte, während die Sprachentwicklung bei anderen sehr ungleichmäßig erfolgt, mit sprunghaften Lernzuwächsen und nachfolgend mehr oder weniger langen Pausen. Je jünger Kinder sind, umso größer sind die Unterschiede zwischen ihnen und umso schwieriger ist es, aus dem momentanen Sprachentwicklungsstand Rückschlüsse auf spätere Sprachleistungen zu ziehen. Dies ist ein wesentlicher Grund für Grenzen bei der Früherkennung von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen.

Wie Sprache im Einzelnen erworben wird, ist bis heute nicht völlig geklärt. Lerntheoretische Spracherwerbstheorien gehen davon aus, dass eine Anregung durch das Umfeld der entscheidende Faktor ist. Kinder hören Sprache, ahmen diese nach, werden bestätigt bzw. korrigiert und perfektionieren so schrittweise ihre Fähigkeiten. Genauere Beobachtungen haben jedoch gezeigt, dass einfaches Nachahmen nur einen recht geringen Anteil an sprachlichen Interaktionen ausmacht. Kinder formulieren überwiegend neu und nach eigenen Regeln. Dies lässt vermuten, dass nicht vollständig formulierte Äußerungen durch Imitation erlernt werden, sondern die zugrundeliegenden Regeln. Wenn die Mutter auf einen Teller zeigt und das Wort dazu nennt, wird das Kind vielleicht vermuten, dass „Teller“ ein Gegenstand zum Hineintun ist. Es wird diese Hypothese ausprobieren und Teller zu allen Gefäßen sagen. Die Reaktionen des Umfelds zeigen ihm, dass weitere Merkmale zur Begriffsdefinition hinzuzunehmen sind. Das Kind wird den Begriff immer weiter einengen, bis seine Vorstellungen über die Bedeutung des Worts zu denen des Umfelds passen. Ähnlich werden auch grammatische Regeln erworben und anfangs überdehnt eingesetzt. Dies führt zu alterstypischen Äußerungen, wie z. B. einer generellen Verbendstellung, die regelhafte Durchgangsstufen sind, nicht aber mit den Normen der Erwachsenensprache übereinstimmen.

Manche Beobachtungen lassen sich allerdings mit lerntheoretischen Modellen alleine nicht erklären. Die wesentlichen Meilensteine der Sprachentwicklung werden von Kindern in allen Kulturen im Mittel zu etwa der gleichen Zeit erworben. Aus lerntheoretischer Sicht wäre zu erwarten, dass sich die Geschwindigkeit des Spracherwerbs mit zunehmender Sprachanregung erhöht, was aber nicht der Fall ist. Der Spracherwerb erfolgt in Kulturen, in denen mit Kindern sehr wenig gesprochen wird, nicht langsamer als in solchen mit intensiven sprachlichen Interaktionen zwischen Kindern und Erwachsenen. Auch erlernen Kinder selbst bei recht mangelhaften Sprachvorbildern ihre Muttersprache ohne Probleme. Wenn eine Schwelle an sprachlicher Anregung, die sehr niedrig liegt, überschritten wird, reicht dies für einen unauffälligen Spracherwerb aus. Dies führte zu der Vermutung, dass das Erlernen grammatischer Regeln weitgehend genetisch gesteuert verläuft. Dem Umfeld komme nur die Aufgabe zu, aus dem großen Pool eines ererbten universellen Grammatikwissens diejenigen Regeln herauszufiltern, die für die Muttersprache zutreffen (generative Spracherwerbstheorie). Diese Modellvorstellung erklärt sehr gut, dass Sprachentwicklungsstörungen eine hohe erbliche Komponente aufweisen und dem Grad an Anregung durch das Umfeld nur eine moderierende Bedeutung zukommt.

Trotz intensiver Versuche ist es bis heute nicht gelungen, die Grammatiken aller Sprachen auf eine gemeinsame Universalgrammatik zurückzuführen. In der kognitionspsychologischen Spracherwerbstheorie wird deshalb davon ausgegangen, dass nicht das Grammatikwissen selbst über Gene vermittelt wird, sondern allgemeine kognitive Fähigkeiten, wie Verständnis für Konzepte und Symbole. Je nach ererbter Begabung hinsichtlich dieser Grund- und Vorläuferfertigkeiten erfolge der Spracherwerb mehr oder weniger schnell.

Derzeit wird eine Kombination der verschiedenen Spracherwerbsmodelle favorisiert. Es wird davon ausgegangen, dass genetische und Umwelteinflüsse miteinander interagieren. Grammatische und Lautbildungsfähigkeiten werden als durch erbliche Faktoren stärker geprägt angesehen als Wortschatz- und Sprachkompetenzentwicklung, die als wesentlich durch Umweltfaktoren beeinflusst betrachtet werden. Wie bedeutsam der jeweilige Anteil von genetischen und Umweltfaktoren beim Spracherwerbsprozess ist, ist von Kind zu Kind verschieden. Dadurch ist bei sehr jungen Kindern eine Vorhersage der weiteren Entwicklung und späterer Entwicklungsstörungen mit erheblichen Unsicherheiten verbunden (Meyer-Probst 2004).

2 Sprachentwicklungsstörungen

Die normale Variationsbreite sprachlicher Kompetenzen ist groß. Der Wortschatz ist bei Erwachsenen recht unterschiedlich und komplexere grammatische Strukturen werden mehr oder weniger virtuos eingesetzt. Nur wenn die sprachlichen Leistungen erheblich unter dem Durchschnitt liegen, ist von einer Sprachstörung auszugehen. Dabei ist die Grenze zwischen schwachen und gestörten sprachlichen Fähigkeiten fließend.

Wann von einer Sprachentwicklungsstörung gesprochen wird, ist das Ergebnis einer willkürlichen Festlegung. Je nachdem, wo die Grenze zwischen normaler und gestörter Sprachentwicklung gezogen wird, werden mehr oder weniger viele Kinder als sprachgestört angesehen.

Fließende Übergänge zwischen normal und gestört sind nicht nur für Sprachstörungen, sondern für alle Entwicklungsstörungen charakteristisch. Was als Störung aufgefasst wird, ist eine Frage der Konvention. Bei Intelligenzstörungen zum Beispiel wird bei einem IQ unter 85 von einer schwachen Intelligenz und unter 70 von einer Intelligenzminderung gesprochen. Für Sprachentwicklungsstörungen gibt es bislang keine allgemein akzeptierte Falldefinition. Entsprechend widersprüchlich sind Angaben zur Häufigkeit und zur Therapienotwendigkeit. Aussagen zum Thema Sprachentwicklungsstörung beziehen sich oft auf recht unterschiedlich beeinträchtigte Kinder. Welche Kinder und welche Sprachauffälligkeiten gemeint sind, lässt sich immer nur dann sagen, wenn klare Angaben zur Falldefinition gemacht werden. Wenn im Folgenden Möglichkeiten zur Früherkennung thematisiert werden, sind diese Unsicherheiten immer mitzubedenken.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!