Frühstück im Majestic - Bora Cosic - E-Book

Frühstück im Majestic E-Book

Bora Cosic

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Beschreibung

Nach Jahren des Exils kehrt Bora Cosic nach Serbien zurück. Im Hotel Majestic im alten Zentrum von Belgrad erlebt er die Stadt, als ob das Leben auf den Straßen und Plätzen stehengeblieben wäre: Die Prachtbauten, die Passagen und Buchhandlungen, die alten Stoff- und Hutläden. Und die Menschen: Ein ehemaliges Dienstmädchen, das Wäsche und Wände bemalte, ein Maler, der sich am Geruch der Farbtuben berauschte, ein surrealistischer Dichter, der eine lebendige Schnecke aß. Cosic erzählt von der Wunderkammer seiner Kindheit, von jenem Viertel im Zentrum, in dem die Belgrader Moderne entstand und bis heute fortwirkt.

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Hanser eBook

Bora Ćosić

Frühstück im Majestic

Belgrader Erinnerungen

Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Grießhaber

Carl Hanser Verlag

ISBN 978-3-446-23933-3

© Bora Ćosić 2010

Alle Rechte der deutschen Ausgabe

© Carl Hanser Verlag München 2012

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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Zum Hotel Majestic, dem in Belgrad, kann man von dort kommen, vom Platz mit dem Prinzendenkmal, oder von der anderen Seite, indem man die steile Treppe nimmt, die von der grauen, schmalen und düsteren Straße, der Kosmajska, hinaufführt. Dieser Weg ist mir möglicherweise lieber, weil er der Tiefe meiner Kindheit entspringt, dort am Zeleni venac, und dann bringt er die überaus notwendige, kostbare Atemlosigkeit mit sich. Wenn man hinaufgestiegen ist, auf den breiten Obilićev venac, und nach rechts schaut, erstrahlt gleich, als Entschädigung für diesen Aufstieg, die noch immer alabasterne Fassade eines Gebäudes, fast mit Gewalt in die Ecke dieser Straße eingepasst und als Widerspruch zu ihr. Weil Hotels ohnehin im Widerspruch zu allem Unhotellischen stehen, dort spielt sich, wie es auch schon Thomas Mann schien, etwas ab, was es nirgendwo sonst gibt, wo spezielle Regeln herrschen und beinahe Gesetze, besondere.

In meiner frühen Belgrader Kindheit rief dieses namhafte Hotel ungeheure Ehrfurcht hervor. Fertiggestellt 1936, wurde es ein Jahr später feierlich eröffnet, und das war gerade in dem Herbst, als ich im Alter von fünf Jahren mit meinen Eltern eintraf, zu einem langen Aufenthalt in Belgrad. Heute kommt es mir so vor, als hätte es wie ein Geschenk für den kleinen Ankömmling ausgesehen, als hätte sich das strahlendweiße Gebäude des Majestic in einem Weihnachtspäckchen befunden, ich hätte nur die Schleife aufziehen müssen.

In den Korridoren und Cafés, im heruntergekommenen Fahrstuhl sind heute wenige Besucher, momentane Gäste, Zeitgenossen, überwiegend vernimmt man dort die Schritte von verschwundenen Menschen, Verstorbenen und Gespenstern. Wo ist jetzt Herr Milan Minić, der Erbauer dieses Hauses, mit seinem schwarzen breitkrempigen Hut, wo sein Sohn, ebenfalls Architekt, am Stock und mit seiner Multiplen Sklerose, wo der fröhliche Dichter Jocić mit seiner schwarzhaarigen Mätresse, einer Ballerina mit fremdem Namen und sehr mager! Wo sind all die namenlosen Geschöpfe, mit denen ich vor diesem Café saß, als sie noch ihre Namen hatten, denn später ist alles dahingeschwunden, zuerst, wie sie hießen, schließlich auch, wie sie aussahen. Wohin ist der Sohn von Josip Broz im Strudel der Zeit geraten, der wütend in dieses Lokal einzufallen pflegte, mit dem linken Arm alle vor sich beiseiteschiebend, weil er den rechten, 1941, im Graben der Verteidiger von Moskau gelassen hatte. Wo sind die Mädchen, die verheimlicht haben, dass sie mit Mädchen schlafen, und wo die Männer, die ebenfalls Mädchen waren. Irgendwo über meinem Kopf dröhnt der Schritt des verstorbenen kroatischen Barden Krleža, irgendwo schleicht der winzige Tenor Tito Schipa, der irgendwann, in den fünfziger Jahren, gekommen ist, um in unserer Mäuseoper seinen Cavaradossi zu singen, um eine Ecke davon, und gleich danach, in einer schrägen Perspektive, nur seine Schulter wahrnehmend, ist mir, als hätte ich jemanden erblickt, ein finsteres Gesicht, den dreitägigen Gast Anfang der Sechziger, Beckett.

Wo ist jetzt der Dichter Miloš Crnjanski, der irgendwann vor dem großen Krieg, um das Jahr 1940, an einem dieser Tische saß, mit dem ehemaligen jugoslawischen Botschafter in Berlin, Balugdžić, mit dem bekannten Polyhistor Slobodan Jovanović, dem späteren jugoslawischen Premierminister, im Londoner Exil, mit Geca Kon, dem agilen Buchhändler, dem der Laden gegenüber gehörte. Ich denke, allein so eine Gesellschaft, für kurze Zeit zusammengestellt, bevor der Krieg sie in alle Winde zerstreuen sollte – den einen ins Exil, den anderen vor das Erschießungskommando des Okkupanten –, würde für eine Chronik genügen, eine Majesticsche, eine sehr reiche. Wie ein Modell, eine Maquette, ein historisches Exponat, aber nicht wie ein Bild der Wirklichkeit. Schuld daran ist der Umgang mit der Zeit, einer Materie, die sich in alle Richtungen erstreckt, ohne spezielle Kalenderrechnung, und dass diese Zeit, da, im Herzen unseres Daseins, unentwegt den Beweis erbringt, dass sie mit diesem Leben wenig zu tun hat. Wusste nicht schon Proust, dass die Zeit ein Zählvorgang ist, dem in der Wirklichkeit nichts entspricht?

Sieh an, wie mich dort, drinnen, gleich jenes Gefühl ergreift, das der »Bizarrheit«, das der Verinnerlichung von etwas entspringt, von etwas ehemals Bekanntem, allerdings nur von außen. Denn von dort, aus den inneren Organen dieses Bauwerks, in die Welt zu gucken, ist nicht dasselbe, wie wenn man von draußen hineinspähen möchte.

Einerlei, ich bin für einige Augenblicke in dieses Magazin gezogen, in dem alles Mögliche aus meinem Belgrader Gedächtnis gespeichert ist, und in das Depot jener Zeit – der Zeit steht es auch zu, in einem Hotel zu wohnen statt in irgendwelchen normalen und gewöhnlichen Häusern. Die Zeit ist daher ein Ehrengast, ein Hotelgast, weil sich dort keine »gewöhnlichen Leute« aufhalten, sondern allerlei Personen, symbolische und artifizielle. So reihen sich dort Generationen von Besuchern pfeilschnell und im schwindelerregenden Tempo aneinander; jedes Hotelbett markiert diese beschleunigte Aneinanderreihung seiner Generationen, in einem Rhythmus, der synthetisch ist.

Im unvermeidlichen Bändchen meiner Kindheit, dem Führer durch Belgrad, sind für die erste Messe der Stadt, im Jahr 1939, alle Hotels aufgeführt, Hotel na Avali, Bristol, Ginić, Grčka kraljica, Excelsior, Zanatski dom, Imperial, London, Moskva, Palas, Paris, Petrograd, Pošta, Prag, Royal, Slavija, Splendid, Srbija, Srpska kruna, Srpski kralj, Takovo – aber das Majestic fehlt! Als hätte man mir dieses Atoll der damaligen Geschichte absichtlich überlassen, dieses autonome Gebiet eines Gedächtnisses, eines persönlichen Schicksals.

Was alles für verlockende Einzelheiten verbergen die geschlossenen Gebiete, die durch die städtischen Häuserblocks verdeckt sind und eigene innere Miniatur»viertel« bilden, wie auch dieses eins ist, das düstere und unklare Hinterland dieses Hotels! Es ist ein Hof und auch wieder nicht – ein von den Rückseiten der Häuser umschlossenes Viereck, ein verborgener Platz, ein Square »für nichts«, ein Land Null, in dem man Müll abstellt und Teppiche klopft. Manchenorts nicht einmal das. Da gibt es nur diesen Kubus des Nichts, in den die Kinderseele nur schwer ihren Fuß setzen kann, es aber gerne möchte. Geschlossene und umbaute Höfe, das ist die öde Insel, an der die Boote der Abenteurer nicht anlegen, weiße Flecken auf der Landkarte so vieler Städte, unerforschbar, besonders für jene Bewohner dieser Städte, solange sie noch von kleinem Wuchs sind. Einerlei, für mich sind das noch immer patagonische Gebiete und sibirische Tundren. Ich habe auch weiterhin den Verdacht, dass an solchen Orten dauerhaft irgendwelche kleinen geheimen Fabriken existieren, wenigstens Werkstätten, und mir scheint, dass von dort das Klopfen von Eisen zu hören ist, ungeachtet aller übrigen Geräusche, städtischen. Möglicherweise gibt es ein spezielles Volk, ein Hofvolk, mit Hämmern und Schraubenziehern in den Händen, das, auch wenn es nichts zu reparieren gibt, auf seinem Blech herumklopft, um kundzutun, dass es existiert, dass es ebenfalls auf dieser verdammten Welt ist! Wer weiß, was man alles, illegal und gesetzeswidrig, in diesen geheimen Druckereien irgendwelcher verrückter Zeitungen fabrizieren könnte, was alles für Bomben, was alles für Gifte! Oder dort wird, meine ich, der Raum selbst hergestellt, wo dieser Platz nur sich produziert, wie so viele Dinge in dieser Stadt scheinbar aus nichts entstanden sind, aus sich selbst, ohne dem Zweck, den praktischen Resultaten einer solchen Arbeit Rechnung zu tragen. Deshalb denke ich, dass dort vielleicht eine besondere Macht poltert, deren Ware nicht für Kunden bestimmt ist, sondern allein für die Zeit, die zwischen diesen Wänden verrinnt und irgendwo in die Tiefe versickert.

Vielleicht existiert ein Milieu und eben auch eine ganze Stadt ohnehin nur in den Assoziationen zu einer anderen, zu etwas anderem. Weil es auch in diesem Belgrad so viel »Unbelgraderisches«, wer weiß wo aufgelesen, gibt. Es gibt da viel Zweideutigkeit, selbst wenn diese direkt der Materie dieses Mechanismus, dieses organischen Gebildes einer Stadt entsprungen ist. Dass man dies feststellen, dass man den Moment einfangen kann, in dem sich das eine in etwas anderes verwandelt, bezeugt mir das »Knarren«, das ein französischer Phänomenologe, ein Philosoph der Wahrnehmung, ebenfalls empfunden hat. Diese knarrende Substanz, die in jeder Erscheinung existiert, ähnelt, finde ich, einem Kunstgriff des Filmemachens, wenn im ersten Moment ein Porträt im Vordergrund scharf gestellt und die ganze Landschaft dahinter vernachlässigt und im Nebel gelassen wird, während einen Augenblick später dasselbe mit dem bis dahin deutlichen Gesicht geschieht, weil nun der Park dahinter, durch das Auge der Kamera, bis in die kleinsten Einzelheiten scharf gestellt wird.

Aus vielen Gründen muss man auf den Gedanken kommen, dass die »Wirklichkeit« womöglich gar nicht von dieser Materie selbst, von dieser realen Materie des Wirklichen abhängt, sondern von ihrer Interpretation. Ich habe das Gefühl, dass eine Erscheinung, ein Sein, das Wesen eines Lebens oder die Materie eines Baus vieles ihrem Kommentar schuldet. Obwohl jeder Gedanke auf einer einzelnen Sache basiert (von der, wie der Maler Matisse sagt, man ausgehen muss), ist er doch imstande, dieser Sache eine neue Kontur und eine fast völlig neue Entelechie zu verleihen, so wie es verschiedene souveräne, nominelle und legale Interpretationen ein und desselben Musikwerks, parallele und manchmal ganz disparate Regieansätze bei ein und demselben Theaterstück gibt.

Ich habe aus meiner neuen Heimat, dem Hotel, noch keinen Schritt nach draußen gemacht, sondern habe mich erst aus dem Fenster gelehnt, und schon hat dort, unten, auf dem bloßen Pflaster, ein Film zu spielen begonnen, der nur diesem Blick »von oben« zu verdanken ist. Ein scharfsichtiger Konstruktivist und für mich in erster Linie ein Meister realer und unrealer Fotoaufnahmen, also László Moholy-Nagy, hat während der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die wohl ersten Fotoserien von Stadtansichten aus der Vogelperspektive gemacht. Wie auf seinen Aufnahmen sind die Belgrader von heute, die ich von der Zitadelle des Majestic beobachte, auf die komischen Panzer ihrer Hüte reduziert, und ihr ganzer Körperbau ist unter dieser Decke eines wandelnden Hartflüglers zusammengestaucht. So beobachtete Descartes schon vor langer Zeit, wenn auch er aus dem Fenster schaute, die Leute auf der Straße, und diese erschienen ihm, reduziert auf die allein sichtbaren Hüte und Mäntel, wie künstlich und wie Gespenster.

Alles liegt im Betrachten. Weil sich im menschlichen Auge ohnehin viel Ungesehenes und Unbeobachtetes verbirgt, da es die Welt erschafft und nicht umgekehrt. Das Auge ist an und für sich unerschaffbar, sein Geheimnis kann kein Anatom preisgeben, doch es schützt sich selbst durch sein Können, alles um sich herum zu betrachten und zu erschaffen.

Die Welt ist das, was wir wahrnehmen, sagt Merleau-Ponty, der Philosoph des Knarrens. Es gibt viele verworrene Anblicke, die von der puren Gewöhnlichkeit herrühren, wenn diese in bestimmte Gegebenheiten hineingestellt wird. So bezeuge ich die Verkehrtheit dieser Straße, die ich in meiner Kindheit aufmerksam studiert habe, sie war mir vertraut wie eine Verwandte, war mit meinem Wesen und meinem Schicksal verwachsen, aber dann, als ich ging (als wäre ich eine Zeitlang krankheitshalber weg gewesen), wurde alles auf den Kopf gestellt – etwas, unklar was, hat mir all meine vorherigen Kenntnisse genommen, meine Verwandtschaft mit diesem Ort aufgehoben, daher bin ich nicht mehr der Sohn des Obilićev venac, der Enkel des Majestictums, sondern ein Gespenst, das da herumlungert, ein Paria, ein Fremder ohne alle Rechte. So hat jemand das einst Bekannte von diesem Pfad entfernt, dieses Etwas, nicht definierbar und fast nicht existent, aber dieses Nichts gibt es trotz allem nicht mehr. Die Dämonen der Zeit sind imstande, das bekannte Aussehen der Stadt zu verändern, jene Frist, die jeder versäumt, da er sich anderswo aufhält oder nur krankheitshalber länger abwesend ist, jene Frist tut das Ihre: Dinge, Gegenstände, Orte verschwinden auch dann, wenn sie überhaupt nicht verschwinden, dir fehlt nur manchmal die Aufmerksamkeit ihnen gegenüber, und während du dir ihre Konturen gemerkt hast, begreifst du doch, dass du ihre Eigenschaften beiläufig vergessen hast. Hier ist etwas »Verstümmeltes« am Werk, ein Mangel, aber was, wenn auch das Halbgemerkte ein neues Erlebnis mit sich bringt? Die Erinnerung, die gesamte, ist eine noch nicht bestimmte und unprotokollierte Form der Kunst, vielleicht ihr avantgardistischer Teil. Denn in ihren Bildern ist alles nur scheinbar richtig und auf den ersten Blick vollständig, und gerade diese Verstümmeltheit und Partiellheit, diese stille Destruktion dessen, was gewesen ist, ist von einer Art, die zur Dichtung gehört. Deren Absicht es ist, indem sie auf so vieles verzichtet, drei Viertel der Wirklichkeit zu verwerfen, um mit dem, was übriggeblieben ist, die Republik der Literatur zu errichten. Nicht umsonst hat der Maler Mondrian behauptet, es gebe zwei parallele Wirklichkeiten, die »natürliche«, konkrete und die andere, abstrakte.

Was, wenn ich diese innere Unangemessenheit jeder Wirklichkeit, die Lukács empfunden hat, vor mir habe? Was, wenn die Materialität eines Dinges.... nur eine Komponente im Komplex der Dinghaftigkeit ist? Schon Proust wusste, dass überall um uns herum die Gegenwart einer von jenen unsichtbaren Wirklichkeiten zu spüren ist, die folglich existieren und zugleich auch nicht existieren. Denn jede Wirklichkeit unterscheidet sich vielleicht genauso von jener, die wir unmittelbar wahrzunehmen glauben. (Du erinnerst dich noch an das Buch über Philosophie, das wir zusammen in Balbec gelesen haben, vom Reichtum der Welt der Möglichkeiten im Vergleich zur wirklichen Welt?) Das, woran man bei Proust denkt, scheint sich auf Husserl zu beziehen oder auf ein noch ungeschriebenes Buch, eins von Musil.

Dieses Auge lehrt mich daher schon seit vielen Jahrzehnten, was alles wahrzunehmen ich fähig bin, zum Beispiel an den Fassaden, die mich umgeben, denn mit seiner unerklärlichen Gelatine erschafft es eine selbständige Ordnung der Dinge, so, wie sie der Maler Cézanne konstruiert hat. Da profane Bauwerke, die es überall gibt, und eben auch in dieser Umgebung, der des Majestic, imstande sind, sich im Kopf umzustellen und jene einzigartige Mise en Scène, sagen wir, Majesticsche, zu erschaffen, wie sie nur auf einem sorgfältig artikulierten Gemälde existiert. Die komplizierte Bauweise der europäischen und amerikanischen Städte unterstützt dies noch, indem sie uns zusätzliche Kenntnisse vermittelt, geometrische, die, auch in der gewöhnlichen Linse der Zeitgenossen, über die euklidische Wissenschaft hinausgehen.

Vielleicht kommt das daher, dass die Stadt ursprünglich eine Erscheinung ist, bestimmt für eine Aufführung, im Theater. Die Stadt ist eigentlich eine Vertretung, ein Ort, der alles andere repräsentiert, den Staat, das Land, die Gegend und die Leute. Deshalb wird derart viel Wert auf die Dekoration gelegt, die Szenographie ist bei der Theaterarbeit unumgänglich. Das Dekorative ist so die erste Eigenart des Städtischen, seine Arbeit an den Verzierungen, dem Schmuck des Lebens. Und da es sich um eine Synthese, eine Auswahl handelt, muss die Stadt viel Allgemeines in sich haben, jene Allumfassendheit, die außerhalb des Städtischen überall verstreut ist. Die Stadt ist die Liste, der Katalog und das Lexikon des Übrigen. Daher muss man sie handhaben, wie man das Register einer Bibliothek oder einer Meldestelle, einer polizeilichen, durchforstet.