Konsul in Belgrad - Bora Cosic - E-Book

Konsul in Belgrad E-Book

Bora Cosic

4,4

Beschreibung

Bora Ćosićs schelmisch-nachdenkliches Buch umfasst die Zeit zwischen 1937, als er mit seinen Eltern nach Belgrad zieht, und Anfang der 1990er-Jahre, als der Protagonist die Stadt, angewidert vom Nationalismus seiner Landsleute, wieder verlässt. Ganz im Einklang mit seiner selbst gewählten Rolle als Konsul blickt der Autor mit der Distanz eines Fremden abgeklärt und sprachlich virtuos auf Kindheit, Jugend, Erwachsenenleben zurück. Er erzählt von der deutschen Besatzung, dem Sozialismus unter Tito, vom Leben als Bohemien inmitten eines faszinierenden intellektuellen Biotops, mit Akteuren wie Ivo Andric, Georges Perec, Danilo Kiš, Bogdan Bogdanović und anderen, bis herauf in die Neunzigerjahre, als der "Konsul" "demissioniert".

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Seitenzahl: 369

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Bora Ćosić

Konsul in Belgrad

© Folio

DER AUTOR

Bora Ćosić, geboren 1932 in Zagreb, lebt seit 1992 in Rovinj / Istrien und Berlin. Wichtigster Autor der Belgrader Avantgarde.

Zahlreiche Preise, u. a. Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2002 und Albatros-Preis 2008 gem. mit Katharina Wolf-Grießhaber. Auf Deutsch u. a.: Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution (1994), Die Zollerklärung (2001), Eine kurze Kindheit in Agram (2011), Die Tutoren (2015). Bei Folio: Irenas Zimmer (Gedichte, 2005), Die Vogelklasse (2008), Im Ministerium für Mamas Angelegenheiten (2010).

DIE ÜBERSETZERIN

Katharina Wolf-Grießhaber, geboren 1955 in Stuttgart, Studium der Slawistik und Osteuropäischen Geschichte in Heidelberg und Bochum, Promotion mit einer Arbeit über Danilo Kiš in Bielefeld. Lebt in Münster. Übersetzte u. a. Bogdan Bogdanović, Bora Ćosić, Slavenka Drakulić, Dževad Karahasan, Danilo Kiš. 2008 Albatros-Preis zusammen mit Bora Ćosić.

Bora Ćosić

Konsulin Belgrad

Aus dem Serbischen von Katharina Wolf-Grießhaber

TransferBibliothek

FolioVerlag

TransferBibliothek CXXVIII

Titel der Originalausgabe: Consul u Beogradu, Belgrad. © der Originalausgabe: Bora Ćosić

Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.

Die Abbildungen im Anhang stammen aus Bora Ćosićs Privatarchiv. Covermotiv: © Erich Lessing / Magnum Photos: Belgrad, 1952

© Folio Verlag, Wien · Bozen 2016 Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Joe Rabl Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde

ISBN 978-3-85256-699-3

www.folioverlag.com

E-Book: ISBN 978-3-99037-060-5

Andrić’ Travnička hronika wird mit Wesire und Konsuln, manchmal auch mitDie Zeiten der Konsuln ins Deutsche übersetzt.

„Embahade“1 ist ein spanisches Wort und bedeutete Botschaft im Ausland. Warum meine Erinnerungen einen spanischen Titel tragen, nach dem Zeremoniell, wird der Leser sehen, wenn er meine Erinnerungen liest. Es wird ihm von selbst einleuchten. Eigentlich sind das meine Aufzeichnungen über das Unglück unseres Volkes, sie sind kein Tagebuch, keine historische Abhandlung, keine Studie, kein Pamphlet. Sondern schlicht Erinnerungen eines Augenzeugen, eines Schriftstellers. Miloš Crnjanski

Und dann diese Stadt! Wie haben wir sie uns nur ausgedacht, erklären Sie mir das bitte! Swidrigailow in Verbrechen und Strafe

Ich war nie im diplomatischen Dienst. Demnach bin ich nicht imstande, neue Embahade zu schreiben. Doch weil ich schon lange außer Landes lebe, denke ich über meine ehemalige Heimat wie über eine weit entfernte Gegend, wo ich ziemlich lang meinen Dienst versehen habe, und für das Land wiederum bin ich, wie sich herausgestellt hat, ein Ausländer geblieben. Dies sind also meine Erinnerungen, die Aufzeichnungen eines Ausländers, der sich im eigenen Land als Fremder aufgehalten hat. Deshalb können die Personen, die hier vorkommen, obwohl sie real sind, wie Puppen in einem Panoptikum und wie Marionetten in einem Theater über längst vergangene Ereignisse in Europa wirken. Wie wenn ein alt gewordener Diplomat seine Begegnungen mit allen möglichen Helden der Geschichte, den handelnden Personen einer Komödie, einer historischen, reproduziert. Die meisten von ihnen sind tot, und die anderen, die noch am Leben sind, betrachten mich als Toten. So beginnt meine Chronik, meine Embahade der gewöhnlichen Leute, der Belgrader, in den Jahren zwischen 1937 und der Endphase meines Lebens dort, als das jugoslawische Reich, das sozialistische, Anfang der Neunzigerjahre, zu zerfallen begann.

Das Erste, womit mich Belgrad empfing, als ich, ein fünfjähriger Junge, dorthin zog, waren die Leuchtreklamen auf den Terazije, besonders eine, die für eine wundertätige Flüssigkeit zur Körperpflege, Alga, warb. Diese war animiert und sonderte aus ihrem elektrischen Bauch Bläschen ab, ebenfalls elektrisierte, die in die Nacht hinaufstiegen. Sofort verstand ich, dass es in dieser angenehmen Stadt, die, wie ich nachträglich finde, Dublin gleicht, wichtig war, den Körper zu pflegen, den eigenen wie auch den von Fremden. Überhaupt glich Belgrad 1937 im Vergleich zu Zagreb, wo ich geboren war, einer Stadt des Lichts, nicht nur wegen der riesigen Reklamen über den Häusern, sondern überhaupt. Ein Leben schien zu beginnen, das außen beleuchtet, aber auch innen von Lichtstrahlen erfüllt war. Belgrad mit seinen Straßenbahnen, dem Springbrunnen auf dem zentralen Platz, den kleinen Rondellen darum herum, mit dem riesigen Kalemegdan-Park, dessen Treppen, verborgenen Winkeln und den für ein fünfjähriges Geschöpf faszinierendsten Tennisplätzen, angelegt zwischen den alten Mauern der österreichisch-ungarischen Festung. Dorthin nahm mich meine Mutter auf unseren vormittäglichen Spaziergängen mit, als hätten wir uns in ein Zauberland begeben; plötzlich hörte die Knez-Mihajlova-Straße auf, wir betraten einen Wald mitten in der Stadt, seine geheimen Wege und verborgenen Ecken, eine gewöhnliche, aus Häusern gemachte Stadt verwandelte sich in eine Galerie mit impressionistischen Bildern, in ein Museum gemalter Landschaften, nicht in einen realen Raum und eine reale Umgebung. Im zentralen Teil der Promenade, etwas ähnlich der, die ich später im Jardindu Luxembourg in Paris sah, waren um ein Denkmal, das den Kampf eines Fischers mit einer Schlange darstellt, Stühlchen angeordnet, für die ein grün gekleideter Beschäftigter von den Besuchern Geld kassierte. So sah ich, dass dies ebenfalls ein Theater oder Kino war, in dem nichts Besonderes gezeigt wurde außer dem, was sich um uns herum befand, Bäume, Rasen, Pfade, spazierende Mädchen, Kinder mit Bällen. Ein Gebiet, das mir sagte, dass es neben den ernsten Lebensumständen auch so etwas gab, einen Park, Erholung, Lethargie, den ewigen Sommer des Nichtstuns.

Ich fühlte mich, als wäre ich in einer Mission, einer diplomatischen, in diese Zeit gekommen. Als hätte mich meine Zagreber Kindheit mit dem Mandat beauftragt, dem des Lebens, das in Belgrad fortgesetzt werden sollte. Damit ich später über alles, was ich dort beobachtet habe, einen Bericht für das Außenministerium meines Schicksals verfasse: wen ich getroffen habe, mit wem ich gesprochen habe und worüber. Das zog sich sehr in die Länge. Und es ergab sich, dass ich mein ganzes Leben im selben Mandat, in Belgrad, zugebracht habe und erst jetzt, wo es aufs Ende zugeht, dazu komme, über alles zu berichten. Obwohl dort, in dem Ministerium, wo man möglicherweise auf mein Zeugnis wartet, schon alle verstorben sind. Dann ist das, was ich als meine Beobachtungen, meine konsularischen, vorbringen möchte, womöglich ein Reden in den Wind. Wie jedes Reden nach einer gewissen Zeit genau das ist, ein Reden in den Wind und sonst nichts. Weil mein Mandat, mein Belgrader, in frühen Jahren begonnen hat, wird das ganze Geschreibsel außerdem unvermeidlich, zumindest am Anfang, etwas Kindisches an sich haben. Nur dass auch jede andere schriftliche Mitteilung und viele Depeschen, die ein Diplomat in der ernstesten Absicht verfasst, oft gerade diesen Zug haben, den der kindlichen Hoffnung, dass passieren wird, was der Berichterstatter erwartet. Doch in der Geschichte geschieht meist das Gegenteil des Vorhergesehenen. Das ist der allgemeine Sinn des historischen Gangs, sowohl des staatlichen als auch meines persönlichen, der mich interessiert, meines familiären, völlig subjektiven Laufs.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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