Führung und Beratung - Falko von Ameln - E-Book

Führung und Beratung E-Book

Falko von Ameln

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Beschreibung

Beratung, Supervision und Coaching sind eng mit dem Thema Führung verknüpft. Führungsverhalten, Führungskultur oder Führungsinstrumente sind häufig direkter Gegenstand der Beratung. Doch auch in Prozessen, bei denen Führung nicht im Fokus des Auftrags steht (z. B. Fallsupervision oder Trainings auf der Mitarbeiterebene), stellen das Führungsverständnis von Vorgesetzten und die Führungskultur in der Organisation Faktoren dar, die Erfolg oder Misserfolg von Training und Beratung wesentlich beeinflussen. Für alle Beratende ist es daher wichtig, über fundiertes und handlungspraktisches Wissen zum Thema Führung zu verfügen. Falko von Ameln bereitet beratungsrelevantes Wissen über Führung in kompakter Form auf. Das Buch versteht sich als Navigator durch Wissensbestände und Führungsdiskurse. Es gibt Neulingen in der Beratung kognitive Landkarten über das Feld an die Hand und liefert Profis weiterführende Denkimpulse und Anregungen für ihre praktische Arbeit.

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Seitenzahl: 138

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BERATEN IN DER ARBEITSWELT

Herausgegeben vonStefan Busse, Rolf Haubl und Heidi Möller

Falko von Ameln

Führung und Beratung

Kognitive Landkarten durch die Weltder Führung für Coaching, Supervisionund Organisationsberatung

Mit Beiträgen von Günter Engel, Stephan Fischer, Raimund Gebhardt,Jürgen Hansel, Simone Kauffeld, Anne Katrin Matyssek, Nils Christian Sauer,Anja Schmitz und Andreas Steinhübel

Mit 13 Abbildungen und 7 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 GöttingenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: Macrovector/shutterstock.com

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-90097-1

Inhalt

Zu dieser Buchreihe

Vorwort

1 Führung – ein Überblick

1.1 Brauchen Organisationen Führung – und wenn ja: wozu?

1.2 Das klassische Führungsverständnis und das Erbe des Taylorismus

1.3 Eine sehr kurze Reise durch die Geschichte der Führungsforschung

1.4 Aufgaben und Kompetenzen der Führung

1.5 Was ist gute Führung? Ein Mehrebenenmodell der Führung

1.6 Macht und Einfluss als Steuerungsmedien der Führung

2 Aktuelle Führungsdiskurse: Führung zwischen Fremdsteuerung und Unterstützung von Selbststeuerung

2.1 VUKA und die Folgen

2.2 Führung in der VUKA-Welt

3 Beratung an der Schnittstelle von Führung, Person und Organisation

3.1 Die Ebene der Person

3.2 Die Ebene des Führungsteams

3.3 Die Ebene der Organisation

4 Literatur

5 Spotlights

5.1 Spotlight: Führen in der Krise (Raimund Gebhard und Falko von Ameln)

5.2 Spotlight: Informelle oder laterale Führung (Jürgen Hansel)

5.3 Spotlight: Führen in der Sandwichposition (Andreas Steinhübel)

5.4 Spotlight: Führung von Digital Natives (Stephan Fischer und Anja Schmitz)

5.5 Spotlight: Virtuelle Führung (Nils Christian Sauer und Simone Kauffeld)

5.6 Spotlight: Gesund Führen – Herausforderungen der Führungsrolle (Anne Katrin Matyssek)

5.7 Spotlight: Führung und Self Leadership (Günter Engel)

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe wendet sich an erfahrene Berater/-innen und Personalverantwortliche, die Beratung beauftragen, die Lust haben, scheinbar vertraute Positionen neu zu entdecken, neue Positionen kennenzulernen, und die auch angeregt werden wollen, eigene zu beziehen. Wir denken aber auch an Kolleginnen und Kollegen in der Aus- und Weiterbildung, die neben dem Bedürfnis, sich Beratungsexpertise anzueignen, verfolgen wollen, was in der Community praktisch, theoretisch und diskursiv en vogue ist. Als weitere Zielgruppe haben wir mit dieser Reihe Beratungsforscher/-innen, die den Dialog mit einer theoretisch aufgeklärten Praxis und einer praxisaffinen Theorie verfolgen und mitgestalten wollen, im Blick.

Theoretische wie konzeptuelle Basics als auch aktuelle Trends werden pointiert, kompakt, aber auch kritisch und kontrovers dargestellt und besprochen. Komprimierende Darstellungen »verstreuten« Wissens als auch theoretische wie konzeptuelle Weiterentwicklungen von Beratungsansätzen sollen hier Platz haben. Die Bände wollen auf je rund 90 Seiten den Leserinnen und Lesern die Option eröffnen, sich mit den Themen intensiver vertraut zu machen, als dies bei der Lektüre kleinerer Formate wie Zeitschriftenaufsätzen oder Hand- oder Lehrbuchartikeln möglich ist.

Die Autorinnen und Autoren der Reihe werden Themen bearbeiten, die sie aktuell selbst beschäftigen und umtreiben, die aber auch in der Beratungscommunity Virulenz haben und Aufmerksamkeit finden. So werden die Texte nicht einfach abgehangenes Beratungswissen nochmals offerieren und aufbereiten, sondern sich an den vordersten Linien aktueller und brisanter Themen und Fragestellungen von Beratung in der Arbeitswelt bewegen. Der gemeinsame Fokus liegt dabei auf einer handwerklich fundierten, theoretisch verankerten und gesellschaftlich verantwortlichen Beratung. Die Reihe versteht sich dabei als methoden- und schulenübergreifend, in der nicht einzelne Positionen prämiert werden, sondern zu einem transdisziplinären und interprofessionellen Dialog in der Beratungsszene angeregt wird.

Wir laden Sie als Leserinnen und Leser dazu ein, sich von der Themenauswahl und der kompakten Qualität der Texte für Ihren Arbeitsalltag in den Feldern Supervision, Coaching und Organisationsberatung inspirieren zu lassen.

Stefan Busse, Rolf Haubl und Heidi Möller

Vorwort

Organisationen müssen sich heute mehr denn je verändern. Wirtschaftsunternehmen, aber auch Organisationen im Gesundheits- und Bildungswesen oder in der öffentlichen Verwaltung bekommen einen zunehmenden Veränderungsdruck zu spüren, der von außen (etwa in Form einer verschärften Konkurrenzsituation oder immer kürzeren Produktzyklen) oder von innen (in Form veränderter Anforderungen der Beschäftigten) an sie herangetragen wird. Führungskräfte sind einerseits Schlüssel für die Bewältigung des Wandels, andererseits sind sie selbst diesem Wandel unterworfen.

Alte Gewissheiten lösen sich auf: Nicht nur bei den Mitarbeiterinnen1, sondern auch bei der Mehrheit der Führungskräfte selbst ist die Überzeugung gewachsen, dass es einen grundlegenden Wandel im Führungsverständnis braucht, wie z. B. die INQA-Studie von Kruse und Greve (2014) belegt. Konturen einer zukunftsfähigen Führung erscheinen bislang nur am Horizont. Wo steigende Unsicherheit und zunehmender Handlungsdruck aufeinandertreffen, entsteht Bedarf für Beratung.

Dieser Band soll es Beratern, Supervisorinnen und Coachs erleichtern, Organisationen und Führungskräfte auf dem Weg in die Zukunft zu begleiten. Das Buch ist keine Tool-Sammlung – es gibt zahlreiche Coaching-Ratgeber und andere gute Bücher, die konkrete Methoden für die Beratung von Führungskräften auflisten. Vielmehr geht es darum, kognitive Landkarten zu entwickeln, die es Beratern möglich machen, ihr eigenes Handeln in den aktuellen Führungsdiskursen zu verorten. Allgemeine Überlegungen zu einer zukunftsfähigen Führung werden dabei ergänzt durch Spotlights zu aktuellen Führungsthemen, die hilfreiche Anregungen für die konkrete Gestaltung von Beratungsprozessen geben sollen.

Ich wünsche allen Leserinnen eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre.

Falko von Ameln

___________________

1 In diesem Band werden abwechselnd die weibliche und männliche Form verwendet. Im Sinne der gendersensiblen Sprache mögen sich alle Geschlechtsidentitäten mitgemeint fühlen.

1 Führung – ein Überblick

In diesem Kapitel wird zunächst ein systemtheoretischer Blick auf Führung geworfen. Nach einem Blick auf den Entstehungskontext der bisherigen Vorstellungen von Führung (Abschnitt 1.2) werden die wichtigsten Führungstheorien (Abschnitt 1.3) sowie Aufgaben der Führung (Abschnitt 1.4) in Kurzform vorgestellt und in ein Rahmenmodell guter Führung integriert (Abschnitt 1.5). Ein abschließender Abschnitt (1.6) befasst sich mit Macht und Einfluss als zentralen Steuerungsmedien von Führung.

1.1 Brauchen Organisationen Führung – und wenn ja: wozu?

Jede Beschäftigung mit dem Thema Führung muss mit der Frage beginnen, worin eigentlich Funktion, Daseinsberechtigung und Erfolgsfaktoren von Führung liegen. In Zeiten, in denen hierarchiefreie oder zumindest hierarchiearme Organisationsmodelle (wieder) zunehmend diskutiert werden, ist diese Frage keineswegs obsolet, sondern umso bedeutsamer.

In jedem sozialen System – d. h. nicht nur in Organisationen, sondern auch in längerfristig zusammenarbeitenden Gruppen aller Art – bilden sich informelle Führungsstrukturen aus. Wie ist dies zu erklären?

Eine vom Individuum ausgehende Erklärungsmöglichkeit lautet, dass sich Führungsrollen ausbilden, weil Menschen bestrebt sind, Einfluss zu gewinnen, um ihre Ziele durchzusetzen. Der US-amerikanische Psychologe David McClelland (1975) sieht das Streben nach Macht (in jeweils individuell unterschiedlicher Ausprägung) als Teil der menschlichen Persönlichkeit an.

Aus einer systemtheoretischen Perspektive (z. B. Luhmann, 2012) betrachtet, kann man davon ausgehen, dass Führung offenbar eine wichtige Funktion für soziale Systeme erfüllt – sonst würden Führungsstrukturen nicht in jedem System gebildet und über die Zeit hinweg beibehalten.

Der Zusammenhang zwischen der sozialen Funktion von Führung und der individuellen Motivationslage der Führungsperson bildet ein Spannungsfeld, das auf der Seite der Organisation, auf der Seite der Geführten, aber auch bei der Führungskraft selbst zu Verwerfungen führen kann und das insofern für Beratung, Supervision und Coaching sehr bedeutsam ist.

Auch im Tierreich und bereits in frühen menschlichen Gemeinschaften gibt und gab es Führung. In einem Prozess des Aushandelns bzw. Auskämpfens bildet sich ein Mitglied der Gemeinschaft heraus, dem die anderen Folge leisten. Grundlage dieser sogenannten natürlichen Führung ist eine Eigenschaft bzw. Fähigkeit, die für das Überleben der Gemeinschaft notwendig ist. Dabei kann es sich um körperliche Kraft handeln, aber auch um überlegenes Wissen, z. B. wo Wasserstellen zu finden sind. Solange Arbeit ausschließlich in solchen natürlichen Sozialsystemen verrichtet wird, sichern die gruppendynamischen Mechanismen der Herausbildung einer natürlichen Führung die Zielerreichung, d. h. das Überleben (sehr anschaulich beschrieben bei Schwarz, 2016).

Definition

Führung ist eine Systemleistung, die das Handeln der Systemmitglieder so ausrichtet und koordiniert, dass das Überleben des Systems gesichert wird.

Systemtheoretisch formuliert, dient Führung also

– als Mechanismus der Kopplung von Individuum und System. Die Systemtheorie hat die schon im Rahmen der Rollentheorie herausgearbeitete Erkenntnis, dass das einzelne Individuum nicht voll in das System inkludiert ist, bezogen auf Organisationen zugespitzt: Menschen werden nicht als Teil der Organisation verstanden, sondern gehören zu ihrer Umwelt (vgl. beispielsweise Luhmann, 1984, S. 286 ff.). Das bedeutet: Man kann immer im Sinne der Organisation, aber grundsätzlich auch ganz anders handeln.

– der Sicherstellung der Integration des Systems. In jedem System bilden sich lokale Teilrationalitäten aus (in einem Krankenhaus hat typischerweise das ärztliche Personal eine ganz andere Perspektive als die Pflegekräfte oder die Verwaltung). Jede größere Gruppe tendiert also dazu, in Subgruppen mit unterschiedlichen Sichtweisen, Zielen und Interessen zu zerfallen. Führung hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass trotz dieser Ausdifferenzierungsund Desintegrationsdynamiken alle an einem Strang ziehen, soweit es nötig ist.

Diese Bestimmung von Führung gilt für natürliche Gemeinschaften (Gruppen, aber auch die politische Führung einer Nation), für Organisationen aller Art und für unterschiedlichste Führungskonzeptionen und -verständnisse.

Nach diesem Verständnis kann in einer Organisation potenziell jede Mitarbeiterin führen, indem sie das Handeln der anderen Mitarbeiter auf das Organisationsziel hin ausrichtet. Organisationen zeichnen sich gegenüber natürlichen Sozialsystemen dadurch aus, dass es nicht dem Zufall bzw. den natürlichen Gruppenentwicklungsprozessen überlassen bleibt, wer Führung übernimmt. Führung wird als Funktion im System institutionalisiert und an besondere Rollen gebunden. Wie kann aber diese gemeinsame Handlungsorientierung gelingen trotz der immer gegebenen Autonomie der Beteiligten, auch andere Ziele zu verfolgen? Lösungsansätze für dieses Grundproblem von Führung werden in Kapitel 1.6 eingehender besprochen.

Es kann also festgehalten werden: Ziel und Funktion von Führung sind in unterschiedlichen Führungsansätzen identisch, nämlich das Handeln der Systemmitglieder auf das Überleben des Systems auszurichten. Allerdings gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Führungskräfte diese Aufgabe erfüllen können. Diese unterschiedlichen Führungskonzeptionen stelle ich in Kapitel 1.3 vor.

1.2 Das klassische Führungsverständnis und das Erbe des Taylorismus

Beim Entstehen von Organisationen in unserem modernen Sinne kommt gegenüber der natürlichen Führung in Gruppen eine ganz neue Problemlage hinzu. Das klassische Organisationsverständnis, wie es sich im Zeitalter der Industrialisierung entwickelt und weitgehend bis heute erhalten hat, geht – kurz gefasst – davon aus, dass eine Organisation dazu dient, ein Ziel zu erreichen,

– das per Entscheidung von außen vorgegeben ist (von einem Gründer, durch Ausgründung aus einer bestehenden Organisation, durch politische Beschlüsse etc.) und immer wieder nachjustiert werden muss;

– das nicht von einer Person allein, sondern nur arbeitsteilig erreicht werden kann;

– bei dem die intrinsische Motivation der Mitarbeiterinnen zu seiner Verfolgung nicht in ausreichendem Maße vorausgesetzt werden kann.

Aus diesem Führungsverständnis ergeben sich drei Kernaufgaben der Führungskräfte: Sie müssen

– den Mitarbeitern die Ziele immer wieder neu vor Augen führen;

– dafür sorgen, dass die Mitarbeiterinnen die ihnen zugewiesenen Aufgaben (möglichst eigenmotiviert, schlimmstenfalls aber auch ohne eigene Motivation) erledigen;

– sicherstellen, dass die Arbeitsleistungen der Beteiligten auf möglichst effiziente Weise ineinandergreifen – dazu gehört z. B. die Definition von Arbeitsprozessen, das Bereitstellen der benötigten Informationen, die Regulation von Konfliktpotenzialen an den Schnittstellen usw.

Infolge des erhöhten Bedarfs an Führungsleistungen, der aus der zunehmenden Ausdifferenzierung arbeitsteiliger Prozesse im Zuge der Industrialisierung erwächst, tritt eine neue Form von Führung zu den (auf der informellen Ebene ja weiterhin bestehenden) natürlichen Führungsmechanismen hinzu: Führung wird als Rolle formalisiert, deren Einflussmöglichkeiten nicht mehr allein auf Attributen der Person beruhen, sondern auf der mit ihr verbundenen Machtausstattung. Vorgesetzte können Mitarbeiter durch Belohnung (z. B. Bonuszahlungen) und Bestrafung (z. B. Zuweisung geringerwertiger Arbeitsaufgaben) dazu bringen, auf das Organisationsziel hinzuarbeiten, auch wenn sie sich nicht mit diesem Ziel identifizieren. Durch die Zahlung eines Gehalts wird eine »Indifferenzzone« eröffnet, innerhalb derer die Mitarbeiterinnen den Weisungen der Führungskraft Folge leisten, auch ohne dass dafür besondere fachliche oder menschliche Autorität auf der Seite der Führung nötig wäre.

Ein wesentlicher Vorteil dieses Arrangements für die Organisation besteht darin, dass es die Führungskräfteauswahl deutlich vereinfacht: Da die Einflussmöglichkeiten nicht – wie im Fall natürlicher Führung – auf besonderen Qualitäten wie Charisma, Erfahrung, Spezialwissen, herausragenden sozialen Kompetenzen oder dergleichen beruhen, kann die Organisation darauf verzichten, »geborene Führer« zu suchen, und stattdessen Menschen entsprechend ihres Dienstalters oder ihrer fachlichen Qualifikation als Führungskräfte einsetzen.

Die möglichen Folgeprobleme und Nebenwirkungen dieses noch dem tayloristischen Erbe verpflichteten Organisations- und Führungsverständnisses sind hinlänglich bekannt:

– Führungskräfte bringen oft nicht die nötigen Führungskompetenzen und -qualitäten mit. In der Gallup-Studie zur Mitarbeiterzufriedenheit 2016 (Gallup, 2017) geben 69 % der 1.413 Befragten an, schon einmal eine (aus ihrer Sicht) schlechte Führungskraft gehabt zu haben.

– Führungskräfte schätzen ihre Führungsqualitäten oft zu positiv ein: In derselben Studie geben 97 % der befragten Führungskräfte an, sie hielten sich für eine gute Führungskraft. Diese Tendenz zu einer zu vorteilhaften Selbstbewertung wird dadurch gestützt, dass Inhaberinnen einer mit Macht ausgestatteten Rolle typischerweise den Blick für die Perspektive der anderen verlieren (von Ameln u. Heintel, 2016, S. 110 ff.). Führungskräfte erhalten oft kein offenes Feedback aus der Organisation mehr – das gilt umso mehr für »schlechte« Führungskräfte, bei denen das Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeitern gestört ist.

– Hierarchische Organisationen neigen zur Schwerfälligkeit, zu langen Entscheidungswegen, zur Innovationsfeindlichkeit, zur kommunikativen Abkoppelung der Hierarchieebenen voneinander und zur Ausbildung kalter Konflikte.

Diese Problemlagen stellen für Supervisorinnen, Berater und Coaches wichtige Aufgabenfelder dar: die Weiterentwicklung von Führungskompetenzen, der Abgleich des Selbst- und Fremdbildes und die Aufhellung der blinden Flecke von Führungskräften, die Kompensation der Nebenwirkungen hierarchischer Organisation und die Sicherstellung der Effizienz von Führung. Nicht zuletzt geht es darum, zur Weiterentwicklung einer Führungskultur beizutragen, die den veränderten Anforderungen der Organisation ebenso Rechnung trägt wie den veränderten Erwartungen an Führung seitens der Mitarbeitenden und der Gesellschaft. Umrisse einer solchen Führungskultur werden in Kapitel 2.2 näher dargestellt.

1.3 Eine sehr kurze Reise durch die Geschichte der Führungsforschung

Die Führungstheorie und -forschung hat verschiedene Modelle dazu entwickelt, wie der Führungserfolg erreicht werden kann. Im Folgenden soll nur ein sehr knapper Überblick über Führungstheorien gegeben werden – ausführlichere Darstellungen finden sich z. B. in Blessin und Wick (2017) oder Stippler, Moore, Rosenthal und Dörffer (2011).

Die Great-Man-Theorie ging davon aus, dass man zum Führer geboren sein muss, d. h. Talent und eine förderliche Persönlichkeitsdisposition mitbringen muss. In Fachkreisen gilt diese Theorie als hoff-nungslos veraltet, dennoch ist in der Praxis gerade bei der Besetzung höherer Führungspositionen immer wieder die Neigung festzustellen, Krisen durch den Austausch von Führungskräften bewältigen zu wollen, die dann aufgrund ihres Persönlichkeitsprofils als Heilsbringer wahrgenommen werden.

Eine abgeschwächte Fassung dieses Ansatzes bieten eigenschaftstheoretische Modelle der Führung. Auf solchen Modellen basierende Publikationen enthalten Aufzählungen von Charaktermerkmalen, die man als erfolgreiche Führungspersönlichkeit aufweisen sollte. Hier ein Beispiel aus Stogdill (1974, S. 81):

1. das Streben nach Verantwortung und Aufgabenerfüllung,

2. Ehrgeiz und Beharrlichkeit bei der Zielerreichung,

3. Risikobereitschaft und Originalität bei der Lösung von Problemen,

4. Initiative und Zugehen auf andere,

5. Selbstvertrauen und Selbsterkenntnis,

6. Bereitschaft, Konsequenzen zu tragen,

7. Stresstoleranz,

8. Frustrationstoleranz,

9. die Fähigkeit, andere Menschen zu beeinflussen,

10. die Fähigkeit, soziale Strukturen zu schaffen.

Tatsächlich zeigt sich in Studien eine positive Korrelation zwischen bestimmten Eigenschaften wie Intelligenz, Ausdauer oder Extraversion und Führungserfolg. Die Korrelationen sind jedoch nur relativ gering und eine valide Liste lässt sich nicht erstellen.

Die Führungsstilforschung wendet sich von der eigenschaftstheoretischen Annahme ab, dass Führungserfolg an mehr oder weniger statische Persönlichkeitsmerkmale gebunden ist und fokussiert stärker auf gestaltbares Verhalten. In den 1960er Jahren wurden an der Ohio State University und der University of Michigan die Auswirkungen von zwei Führungsstilen untersucht: dem aufgabenorientierten Führungsstil (»initiating structure«: leistungsbezogen, motiviert zur Leistungserbringung und sanktioniert bei Minderleistung) und dem mitarbeiterorientierten Führungsstil (»consideration«: Eingehen auf Bedürfnisse der Mitarbeiter, unterstützend, respektvoll, um offene Kommunikation bemüht; vgl. etwa Felfe, 2009, S. 28). Eine wenig überraschende Erkenntnis aus diesen Studien lautet, dass Führungserfolg nur in der Kombination beider Stile entsteht, dass es »den« erfolgreichen Führungsstil aber nicht gibt.

Alle bisher angesprochenen Modelle blenden zwei entscheidende Faktoren aus, nämlich den Einfluss der Geführten auf den Führungserfolg und die Notwendigkeit, unterschiedlichen Situationen mit einem jeweils situationsangepassten Führungsverhalten gerecht zu werden. Die in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren aufkommenden situativen Führungstheorien versuchen, diese Randbedingungen in die Modellierung von Führung einzubeziehen. Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Ansatz ist die situative Führungstheorie von Hersey und Blanchard (Hersey, Blanchard u. Johnson, 2013). Das Modell geht von der Annahme aus, dass der optimale Führungsstil vom Reifegrad der Mitarbeiterinnen abhängt (vgl. Abbildung 1). Bei geringem Reifegrad ist ein vorrangig aufgabenorientierter (im Sinne von: direktiver) Führungsstil empfehlenswert, mit zunehmender Reife der Mitarbeiter kann dann ein nondirektiver Führungsstil gewählt und den Mitarbeitenden mehr Verantwortung übertragen werden. Die Mitarbeiterorientierung sollte gemäß den Empfehlungen von Hersey und Blanchard bei einem mittleren Reifegrad am höchsten sein.

Abbildung 1: Situative Führungstheorie von Hersey und Blanchard (eigene Darstellung)