Fünf Bücher gegen die Häresien - Irenäus von Lyon - E-Book

Fünf Bücher gegen die Häresien E-Book

Irenäus von Lyon

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die "Fünf Bücher gegen die Häresien", manchmal auch unter dem lateinischen Titel "Adversus Haereses" bekannt, sind ein Werk der christlichen Theologie, das um das Jahr 180 von Irenäus, dem Bischof von Lyon in griechischer Sprache verfasst wurde. Darin identifiziert und beschreibt Irenäus mehrere Schulen des Gnostizismus sowie andere Schulen des christlichen Denkens und kontrastiert ihre Überzeugungen mit seiner Vorstellung vom orthodoxen Christentum. Bis zur Entdeckung der Bibliothek von Nag Hammadi im Jahr 1945 war das Werk die beste erhaltene zeitgenössische Beschreibung des Gnostizismus. Auch heute noch ist das Traktat von historischer Bedeutung, da es eines der ersten eindeutigen Zeugnisse der kanonischen Evangelientexte und einiger Paulusbriefe darstellt. Irenäus zitiert aus dem größten Teil des neutestamentlichen Kanons sowie aus den nicht-kanonischen Werken I. Clemens und "Der Hirte des Hermas", erwähnt jedoch nicht Philemon, II. Petrus, III. Johannes oder Judas - vier der kürzesten Episteln.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 858

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

Fünf Bücher gegen die Häresien

 

IRENÄUS VON LYON

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Fünf Bücher gegen die Häresien, Irenäus von Lyon

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660659

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Fünf Bücher gegen die Häresien. 1

Erstes Buch. 2

Zweites Buch. 91

Drittes Buch. 197

Viertes Buch. 292

Fünftes Buch. 420

Fußnoten. 512

 

 

Fünf Bücher gegen die Häresien

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Gegen die Häresien (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Gegen die Häresien (Contra Haereses) In: Des heiligen Irenäus fünf Bücher gegen die Häresien. Aus dem Griechischen übersetzt von E. Klebba. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 3) München 1912. Unter der Mitarbeit von: Ottmar Strüber.

 

 

 

 

Erstes Buch

 

Vorrede

 

1.

Es gibt Leute, welche die Wahrheit aus dem Hause schicken, die Lüge aber hereinrufen und endlose Stammtafeln erdenken, die mehr Klügeleien fördern, wie der Apostel sagt, als göttliche Erbauung im Glauben1 . Durch Scheingründe, die sie geschickt zusammenstellen, verführen sie die Halbgebildeten und nehmen sie gefangen, indem sie des Herrn Worte fälschen und schlechte Deuter seiner guten Reden werden. So bringen sie viele auf Irrwege und unter dem Deckmantel der Wissenschaft, Gnosis genannt, als ob sie etwas Höheres und Größeres zu zeigen hätten als den, der Himmel und Erde gemacht hat und alles, was darin ist, lenken sie viele ab von dem Urheber der Ordnung und Schönheit des Weltalls. Wie Ratgeber leiten sie durch kunstvolle Worte die Harmlosen auf den Weg des Suchens und stürzen sie ratlos ins Verderben, bis diese zur Gottlosigkeit und Lästerung gegen den Welterbauer gelangt sind und die Lüge von der Wahrheit nicht mehr zu unterscheiden vermögen. Die Lüge zeigt sich nämlich nicht als solche und läßt sich nicht in ihrer Nacktheit erblicken; geschickt versteht sie es, sich in ein ehrbar Gewand zu kleiden, um nach außen für die urteilslose Menge wahrer zu erscheinen als die Wahrheit selber. So spottet ja auch, wie ein Würdigerer als wir mit Bezug auf solche Menschen gesagt hat, des wertvollen und vielgeschätzten Smaragdes eine künstliche Imitation aus Glas, so lange niemand da ist, der das Ding untersuchen und die schlaue Nachahmung nachweisen kann. Kupfer in Silber getan, wer kann das ohne weiters erkennen, wenn er arglos ist!

Möge uns nun keine Schuld treffen, wenn einige wie Schafe von den Wölfen sich rauben lassen, indem sie dieselben wegen ihres Schaffelles, mit dem sie von außen sich umkleidet haben, nicht erkennen, da sie ja so ähnlich reden, aber der Geist ein ganz anderer ist. Vor ihnen uns zu hüten, hat der Herr uns befohlen. Aus all diesen Gründen erachtete ich es für eine Notwendigkeit, Dir, Geliebter, ihre wunderbaren und tiefen Geheimnisse bloßzulegen, die nicht alle fassen können, weil noch nicht alle ihren Verstand verloren haben. Ich habe sie entnommen den Kommentaren der sogen. Valentinianer, der Schüler Valentins, sowie auch den Äußerungen einiger, mit denen ich zusammentraf, und teile sie Dir nun mit, damit Du sie allen offenbarst, die bei Dir sind, und sie ermahnst, sich zu hüten vor dem Abgrund des Unsinns und der Lästerung gegen Christus. Zugleich wollen wir nach Maßgabe unserer Kräfte auch die neueste Lehre, ich meine die der Ptolemäer, die ein Abzweig der Schule des Valentinus ist, kurz und klar wiedergeben, auch gemäß unserer Mittelmäßigkeit Stützpunkte darbieten, um sie zu widerlegen, indem wir zeigen, daß ihre Behauptungen unnatürlich sind und mit der Wahrheit nicht zu vereinigen. Zwar ist das Schreiben uns ungewohnt, noch besitzen wir Übung in der Kunst der Rede — aber die Liebe treibt uns, Dir und den Deinigen ihre Lehren kundzutun, die bisher verborgen waren, nun aber gemäß der Gnade Gottes offenbar wurden. Denn nichts ist verhüllet, was nicht soll enthüllet, noch verborgen, was nicht soll gewußt werden2 .

Du darfst jedoch bei uns, die wir unter den Kelten weilen und uns zumeist mit der barbarischen Sprache abmühen, weder die Kunst der Rede suchen, die wir nicht gelernt, noch die Kraft des schriftlichen Ausdruckes, den wir nicht geübt haben, noch schöne Redewendungen oder Dialektik, die wir nicht verstehen. Aber was wir recht und schlecht und kunstlos an Dich in Liebe geschrieben, das wirst Du mit Liebe aufnehmen und in Dir wachsen lassen, indem Du, der Du begabter bist als wir, es wie Samenkörner und Anfänge von uns empfängst. In der Weite Deines Gesichtskreises wirst Du viele Frucht bringen von dem Wenigen, was wir gesagt haben, und mit Macht wirst Du den Deinigen das nahebringen, was wir Dir in Schwachheit verkündeten; und wie wir uns bemühten, auf Deinen Wunsch, ihre Lehren kennen zu lernen, sie Dir nicht bloß kundzutun, sondern Dir auch Fingerzeige zu geben, um ihre Unwahrheit aufdecken zu können, so wirst auch Du eifrig den andern gemäß der Dir verliehenen Gnade dienen, auf daß die Menschen nimmermehr durch ihre Scheingründe verleitet werden.

Ihre Lehre aber ist die folgende.

 

 

 

1. Kapitel: Die dreißig Äonen der Valentinianer

 

1.

Es lehren die Valentinianer, in unsichtbaren und unnennbaren Höhen sei ein vollkommener Äon gewesen, der vor allem war. Diesen nennen sie auch Uranfang, Urvater und Tiefe3 . Er ist aber unsichtbar, und kein Ding kann ihn fassen. Da er unfaßbar, unsichtbar, ewig und unerzeugt ist, so ist er unermeßliche Zeiten in tiefster Ruhe gewesen. Mit ihm hat zugleich angefangen die Ennoia, die sie auch Charis und Sige nennen. Nun ist jener einmal auf den Gedanken gekommen, von sich diesen Bythos als Anfang aller Dinge auszusenden und diesen Sprößling, den er auszusenden im Sinne gehabt hatte, wie ein Sperma gleichsam in den Mutterschoß der bei ihm befindlichen Sige einzusenken. Nachdem diese ihn empfangen hatte und schwanger geworden war, hat sie den Nous geboren, der dem Erzeuger ähnlich und gleich war und allein die Größe des Vaters erfaßte. Diesen Nous nennen sie auch den Eingebornen, Vater und Anfang aller Dinge. Mit Ihm zusammen ist auch die Wahrheit geboren und dies ist die erste und ursprüngliche Pythagoräische Vierheit, die sie auch die Wurzel aller Dinge heißen. Sie besteht nämlich aus dem Bythos und der Sige, dann aus dem Nous und der Wahrheit4 .

Indem er nun merkte, wozu er hervorgebracht war, hat der Eingeborne nun seinerseits den Logos und die Zoe hervorgebracht, den Vater aller Dinge, die nach ihm kommen sollten, und die Mutter und Gestaltungskraft des gesamten Weltalls. Aus ihrer ehelichen Verbindung sind hervorgegangen der Mensch und die Kirche Das ist die ursprüngliche Achtheit, die Wurzel und Substanz aller Dinge, die nur mit vier Namen bei ihnen belegt ist: Bythos und Nous, Logos und Anthropos5 , weil in dem männlichen Prinzip jedesmal auch das weibliche enthalten ist, indem sich der erste Urvater6 paarweise mit seiner Ennoia, der Eingeborne7 mit der Aletheia, der Logos mit der Zoe, der Mensch mit der Kirche vereinigte.

 

2.

Diese Äonen, zur Verherrlichung des Vaters hervorgebracht, wollten nun auch ihrerseits aus dem Ihrigen den Vater verherrlichen. So entsprossen der Verbindung des Logos und der Zoe, nachdem sie den Menschen und die Kirche erzeugt hatten, zehn weitere Äonen, die da heißen: Bythios und Mixis, Ageratos und Henosis, Autophyes und Hedone, Akinetos und Synkrasis, Monogenes und Makaria. Diese zehn Äonen also stammen von dem Logos und der Zoe. — Der Mensch mit der Kirche hat gleichfalls Äonen hervorgebracht und zwar zwölf, denen sie folgende Namen verleihen: Parakletos und Pistis, Patrikos und Elpis, Metrikos und Agape, Aeinous und Synesis, Ekklesiastikos und Makariotes, Theletos und Sophia.

 

3.

Da haben wir die dreißig Äonen ihrer Irrlehre, die geheimnisvollen, nicht zu verratenden; das ist ihr unsichtbares und geistiges Pleroma, dreifach geteilt in die Achtheit, Zehnheit und Zwölfheit, und deswegen, sagen sie, habe der Erlöser, denn „Herr“ wollen sie ihn nicht nennen, dreißig Jahre lang ein verborgenes Leben geführt, indem er dadurch das Geheimnis dieser Äonen andeutete. Aber auch in der Parabel von den in den Weinberg geschickten Arbeitern sind nach ihrer Ansicht diese dreißig Äonen auf das deutlichste angezeigt; die einen werden nämlich um die erste, die andern um die dritte, die andern um die sechste, noch andere um die neunte, die letzten um die elfte Stunde gemietet. Die genannten Stunden zusammengezählt ergeben gerade die Zahl dreißig. Die Stunden aber sollen die Äonen bedeuten. Das sind die großen, wunderbaren, unsäglichen Geheimnisse, die Früchte, die sie tragen, und wenn sich irgendwie etwas von dem vielen in den Schriften Gesagten anpassen läßt, dann bringen sie es mit ihren Phantasiegebilden in Einklang.

 

 

 

 

2. Kapitel: Die Verirrung der Sophia. — Christus und der Hl. Geist

 

1.

Ihren Urvater nun kann nach ihrer Lehre nur der von ihm erzeugte Erstgeborne, der Nous, erkennen, allen andern bleibt er unsichtbar und unfaßbar. Nur der Nous erfreute sich nach ihnen der Anschauung des Vaters und ergötzte sich in der Betrachtung seiner unermesslichen Größe. Auch den übrigen Äonen gedachte er, die Größe, das Wesen, die Ewigkeit, Unbegrenztheit und Unfassbarkeit des Vaters mitzuteilen, aber nach dem Ratschluß des Vaters hielt die Sige ihn zurück, da sie diese alle zum Nachdenken führen wollte und zu dem Verlangen, ihren oben erwähnten Urvater aufzusuchen. Und so im stillen strebten denn die übrigen Äonen danach, den Urheber ihres Samens zu sehen und die anfangslose Wurzel zu erforschen.

 

2.

Den weitesten Sprung aber tat der letzte und jüngste Sprößling der Zwölfheit, der von dem Menschen und der Kirche erzeugte Äon, die Sophia, und geriet in leidenschaftliche Erregung ohne die Umarmung ihres Gemahls Theletos. Die Erregung nahm ihren Ausgang bei dem Nous und der Aletheia, sprang aber über, sich danebenwendend, auf die Sophia unter dem Vorwand der Liebe, in Wirklichkeit aus Tollheit, da sie mit dem vollkommenen Vater nicht solche Gemeinschaft besaß wie der Nous, und sie ist nichts anders als das Suchen nach dem Vater, indem sie seine Größe erfassen wollte. Dann aber konnte sie es nicht, weil sie an Unmögliches sich gemacht hatte, und geriet wegen der Tiefe des Abgrundes und der Unergründlichkeit des Vaters und Zärtlichkeit gegen ihn in große Not, und weil sie immer weiter vorwärts strebte, so wäre sie von seiner Süßigkeit schließlich wohl verschlungen und in die allgemeine Substanz aufgelöst worden, wenn sie nicht auf eine Kraft gestoßen wäre, die das Weltall befestigt und außerhalb der unaussprechlichen Größe bewacht. Diese Kraft nennen sie Horos. Von ihr ist sie angehalten und befestigt, und mit Mühe bekehrt und überzeugt worden, daß der Vater unfaßbar ist. So hat sie denn abgelegt ihre frühere Begierde samt der aus dem furchtbaren Staunen entsprossenen Erregung.

 

3.

Einige von ihnen erklären die Erregung und Bekehrung der Sophia auf mythische Art. Da sie nach etwas Unmöglichem und Unerreichbarem trachtete, so gebar sie ein formloses Wesen, wie es eben ohne Mann ein weibliches Wesen hervorzubringen vermochte. Wie sie dies nun erblickte, ist sie zuerst wegen des unvollkommenen Geschöpfes betrübt gewesen, dann aber in Furcht geraten, daß es nicht einmal das Sein vollkommen besitze. Dann ist sie in die äußerste Verlegenheit geraten, indem sie nach der Ursache suchte und auf welche Weise sie das Geschöpf verbergen könne. Nun dachte sie über ihre Gefühle nach und kam zur Umkehr und versuchte zum Vater zurückzukehren, aber nach einer gewissen Strecke wurde sie schwach und bat demütig den Vater, indem auch die übrigen Äonen, in Sonderheit Nous, mit ihren Bitten sich vereinigten. Von hier, aus der Unwissenheit, dem Leid und der Angst hat die Materie ihren Uranfang genommen.

 

4.

Danach aber brachte der Vater den oben erwähnten Horos nach seinem Ebenbilde durch den Eingebornen hervor, unvermählt, ohne Weib. Bald nämlich lassen sie den Vater mit der Sige sich vermählen, bald auch übermännlich und überweiblich sein. Diesen Horos aber nennen sie Stauros8 , Lytrotes9 , Karpistes10 , Horothetes11 und Metagogeus12 . Durch diesen Horos ist nach ihrer Lehre die Sophia gereinigt und befestigt und Ihrem Gatten zurückgegeben worden. Nachdem sie so befreit war von ihrer Begierde samt der Erregung, ist sie in dem Pleroma verblieben, die Begierde aber samt der Erregung hinausgewiesen, abgegrenzt and vertrieben. Sie ist aber als natürlicher innerer Drang eines Äonen eine geistige Wesenheit, ohne Gestalt und Erscheinung, da sie nichts empfangen hatte. Deswegen heißt sie auch eine kraftlose und weibische Frucht.

 

5.

Nachdem diese aus dem Pleroma der Äonen hinausgewiesen und ihre Mutter ihrem eigenen Gemahle wiedergegeben war, da hat der Eingeborne wiederum noch ein anderes Paar, Christus und den Hl. Geist, zur Befestigung und Sicherung des Pleroma hervorgebracht, damit durch sie die Äonen wieder geordnet wurden. So wollte es die Vorsehung des Vaters, damit keiner der Äonen Ähnliches erleide. Christus belehrte sie nämlich, daß es hinreiche, wenn sie die Natur der Paarung als einen Denkakt des Urvaters erkennen, und verkündete ihnen seine Erkenntnis des Vaters, daß er unfaßbar und unbegreiflich ist, daß ihn niemand sehen oder hören kann und daß nur der Eingeborne ihn erkennt. Die Ursache des ewigen Verharrens der übrigen ist in dem unbegreiflichen Urschoße des Vaters, die begreifliche Ursache ihrer Erschaffung und Gestaltung ist der Sohn. Dieses verkündete unter ihnen Christus sogleich nach seiner Entsendung.

 

6.

Der Hl. Geist aber hob die Unterschiede zwischen ihnen auf, lehrte sie Dank sagen und führte die wahre Ruhe ein. So wurden sie alle innerlich und äußerlich gleich, alle wurden zum Nous, zum Logos, zum Anthropos, zum Christus; und ähnlich wurden die weiblichen Äonen alle zur Aletheia, zur Zoe, zum Pneuma, zur Kirche. Als so alle insgesamt befestigt und zur vollkommenen Ruhe gebracht waren, da haben sie mit großer Freude den Urvater besungen, der an ihrem lauten Jubel teilnahm. Aus Dank für diese Wohltat hat das ganze Pleroma der Äonen einhellig und mit Zustimmung Christi und des Geistes und mit Gutheißung ihres Vaters das Schönste und Blühendste, was jeder von den Äonen in sich hatte, zusammengetragen, gesammelt, passend verbunden und sorgfältig vereint, so daß zur Ehre und zum Ruhme des Bythos die vollkommenste Schönheit und das Gestirn des Pleroma hervorgebracht wurde, eine vollkommene Frucht: Jesus nämlich, der auch Heiland zubenannt wird, oder auch nach seinem Vater, Christos und Logos, oder auch das All, weil er von allen abstammt. Als Trabanten sind zugleich mit ihm zu ihrer Ehre stammverwandte Engel hervorgebracht worden.

 

 

 

 

3. Kapitel: Allegorische Beweisführung der Valentinianer aus der Hl. Schrift

 

1.

Das also trug sich nach ihnen innerhalb des Pleroma zu. So geriet der Äon in Leid und wäre um ein kleines zugrunde gegangen, wie er auf der Suche nach dem Vater in der vielen Materie ins Unglück geriet; so wurde infolge seines Kampfes Horos und Stauros und Lytrotes und Karpistes und Horothetes und Metagogeus zusammengefügt, und der erste Christus samt dem Geiste infolge seiner Bekehrung durch den Vater erschaffen, aber später als die Äonen; so auch der zweite Christus, den sie auch Heiland nennen, in gemeinschaftlichem Wirken hergerichtet. Dies ist zwar nicht deutlich geoffenbart, weil ja nicht alle die Gnosis erfassen, aber durch Parabeln hat es der Heiland geheimnisvoll denen gezeigt, die es fassen können. Die dreißig Äonen nämlich sind, wie oben erwähnt, angedeutet durch die dreißig Jahre, in denen der Heiland nichts in der Öffentlichkeit gewirkt haben soll, und auch in der Parabel von den Arbeitern im Weinberg. Auch Paulus spricht nach Ihrer Lehre häufig aufs deutlichste von den Äonen und beobachtet sogar auch ihre Rangordnung, indem er sagt: „Auf alle Geschlechter der Äonen des Äonen“13 . Aber auch wir sollen von jenen Äonen sprechen, wenn wir bei der Feier der Eucharistie sagen: Von Äonen zu Äonen14 . Und wo immer dies Wort vorkommt, da soll es ein Hinweis auf ihre Äonen sein.

 

2.

Die Entsendung der zwölf Äonen aber soll angedeutet sein durch die Unterredung des zwölfjährigen Jesus mit den Gesetzeslehrern und durch die Auswahl der zwölf Apostel. Die übrigen achtzehn Äonen aber werden dadurch angezeigt, daß er nach seiner Auferstehung von den Toten angeblich achtzehn Monate mit seinen Jüngern verkehrt habe. Aber auch durch die beiden ersten Buchstaben seines Namens — J und E — werden die achtzehn Äonen genau bezeichnet; in gleicher Weise die zehn Äonen durch den ersten Buchstaben seines Namens, deswegen hat der Heiland auch gesagt: „Nicht ein Jota noch ein Strichlein wird vergehen, bis dies alles geschieht“.15

 

3.

Das dem zwölften Äon widerfahrene Missgeschick wird angezeigt durch den Verrat des Judas, welcher der zwölfte Apostel war, und dadurch, daß er im zwölften Monat litt, denn nur ein Jahr soll er nach der Taufe gepredigt haben. Ferner zeigt sich dies deutlichst an der blutflüssigen Frau. Nachdem sie zwölf Jahre krank gewesen ist, wurde sie durch die Ankunft des Erlösers geheilt, indem sie seinen Rocksaum berührte. Deswegen sprach der Heiland: „Wer hat mich berührt?“16 . Hierdurch lehrte er den Jüngern die oben erzählte, geheimnisvolle Geschichte der Äonen und wie der in das Unglück verstrickte Äon geheilt wurde. Die zwölf Jahre lang blutflüssige Frau bedeutet jene Äonenkraft, die nach außen strebte und in das Endlose ihrer Wesenheit ausfloß; hätte sie nicht sein Gewand berührt17 , so wäre sie eben in ihre Wesenheit aufgelöst worden. So machte er halt und ihr Leiden hörte auf; denn die von ihm ausgehende Kraft, der Horos, heilte sie und befreite sie von ihrem Leiden.

 

4.

Daß aber der aus dem All stammende Heiland das All selber sei, wird nach ihrer Meinung durch das Schriftwort offenbart: „Alles Männliche, das den Mutterschoß öffnet“18 . Er war nämlich dies All, das den Schoß der Enthymesis öffnete, des leidenden Äonen, und ausgestoßen wurde aus dem Pleroma. Diese nennen sie auch die zweite Achtheit, von der wir später reden werden. Auch von Paulus wird offenbar aus diesem Grunde gesagt: „Alles ist Christus“19 und wiederum: „Alles ist für ihn, und aus ihm ist alles20 und wiederum: „In ihm wohnt das ganze Pleroma der Gottheit21 und schließlich: „Alles erneuern in Christus durch Gott.“22 . So erklären sie diese und andere ähnliche Stellen.

 

5.

Ihr Horos ferner, den sie bekanntlich auch mit verschiedenen Namen bezeichnen, besitzt nach ihrer Behauptung zwei Tätigkeiten, eine befestigende und eine teilende. Im ersten Sinne heißt er Stauros23 , im zweiten Horos24 . Seine erste Tätigkeit, die befestigende, hat der Heiland angezeigt, indem er sagte: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nachfolgt, kann mein Schüler nicht sein.“25 und abermals: „Nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach!“ Seine trennende Tätigkeit aber hat er angedeutet durch die Worte: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“26 . Auch Johannes hat ebendasselbe gelehrt, indem er sagt: „Die Wurfschaufel ist in seiner Hand, er wird seine Tenne reinigen und er wird den Weizen in seine Scheune sammeln, die Spreu aber in unauslöschlichem Feuer verbrennen“27 . Hierdurch hat er die Tätigkeit des Horos angedeutet; denn jene Wurfschaufel bedeutet das Kreuz, welches alles Irdische verzehren muß wie die Spreu das Feuer, und reinigen die, welche gerettet werden, wie die Wurfschaufel das Getreide. Der Apostel Paulus aber hat dieses Kreuz folgendermaßen erwähnt: „Das Wort vom Kreuze ist denen, die verloren gehen, eine Torheit, aber uns, die wir gerettet werden, eine Kraft Gottes“28 und wiederum; „Ferne sei mir, mich wegen etwas zu rühmen, wenn nicht wegen des Kreuzes Christi, für das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“29 .

 

6.

Das ist ihre Lehre von dem Pleroma und ihrem erdichteten All und durch solche gewaltsamen Erklärungen werden sie schlechte Deuter der guten Schriftworte. Doch nicht bloß aus den Evangelien und den Apostelbriefen versuchen sie, sich ihre Beweise zu machen, indem sie die Erklärungen verdrehen und die Deutungen leicht nehmen. Nein, auch aus dem Gesetz und den Propheten; sie enthalten ja viele Geheimnisse und Sinnbilder, die man auf vieles beziehen kann. Da passen die einen das Vieldeutige durch Erklärung, die andern durch grobe Fälschung ihrem Phantasiegebilde an und führen aus dem Lande der Wahrheit in ihre Gefangenschaft diejenigen, die keinen festen Glauben bewahren an den einen Gott, den allmächtigen Vater und an den einen Herrn, Jesus Christus, den Sohn Gottes.

 

 

 

 

4. Kapitel: Die Vorgänge außerhalb des Pleroma.— Entstehung der Materie

 

1.

Wir kämen nun zu den Vorgängen, die sich außerhalb des Pleroma zugetragen haben. Da soll zunächst die Enthymesis der oberen Weisheit, die sie auch Achamoth nennen, mit der Leidenschaft von dem oberen Pleroma abgesondert und in die Räume des Schattens und der Leere zwangsweise hinausgeworfen sein. So war sie verbannt von dem Licht und dem Pleroma, form- und gestaltlos wie ein Embryo, nicht imstande, etwas zu erfassen. Da erbarmte sich ihrer Christus, dehnte sie aus durch sein Kreuz und gab ihr Gestalt durch seine Kraft, so daß sie zur Existenz, doch nicht zum Bewußtsein gelangte. Darauf hat er sie wieder verlassen und ihr seine Kraft entzogen, damit sie inne würde des Leidens, welches eine Folge war ihrer Trennung vom Pleroma, und Sehnsucht nach dem Höheren empfinde, denn ihr war ja von Christus und dem Hl. Geiste eine gewisse Ahnung der Unsterblichkeit hinterlassen. Deswegen trägt sie auch zwei Namen: nach dem Vater Sophia, wie ja auch ihr Vater Sophia heißt, und Heiliger Geist wegen des Geistes Christi. Da sie nun Gestalt bekommen hatte und zu sich gekommen war, gleich darauf aber von ihrem unsichtbaren Beistande, d, i. von dem Logos oder Christus, verlassen war, so hat sie sich auf die Suche nach dem ihr entschwundenen Lichte begeben, es aber nicht erreichen können, weil sie von Horos zurückgehalten wurde. Bei dieser Gelegenheit hat Horos „Jao“ gerufen und daraus ist der Name Jao30 entstanden. Da sie nun den Horos nicht zurückdrängen konnte und allein draußen bleiben mußte, weil sie in ihre Leidenschaft so verwickelt war, so ist alles Leid jeder Art und Gestalt über sie gekommen: Trauer, weil sie nichts erfaßte, Furcht davor, daß sie wie das Licht auch das Leben verlieren könnte, Bestürzung und gänzliche Unwissenheit. Aber nicht wie ihre Mutter, die erste Sophia, der Äon, bekehrte sie sich von ihrer Leidenschaft, sondern im Gegenteil. Noch eine andere Leidenschaft kam über sie, die Sehnsucht nach ihrem Lebendigmacher.

 

2.

Das soll der Ursprung und das Wesen der Materie gewesen sein, aus der diese Welt besteht. Aus dieser Sehnsucht hat die ganze Seele der Welt und des Weltenschöpfers ihren Anfang genommen, aus der Furcht und Trauer aber das übrige. Von den Tränen komme her alle feuchte Substanz der Welt, von dem Lachen die leuchtende, aus der Trauer und Bestürzung die körperliche. Bald nämlich soll sie geweint und getrauert haben, wie sie in der Finsternis und Leere allein gelassen war, bald aber erhob sie sich und lachte, wenn sie des entschwundenen Lichtes gedachte, dann aber fiel sie wieder in Furcht und ein andermal in Pein und Entsetzen.

 

3.

Was ist das anders als langes Gefabel und Hirngespinst von jedem aus ihnen, indem jeder auf eine andere Weise mit hochtönenden Phrasen erörtert, aus welcher Empfindung, aus welchem Element das Seiende seinen Ursprung nahm. Aber nicht allen scheinen sie mir dies geziemenderweise öffentlich lehren zu wollen, sondern nur denen, welche hohes Honorar für so beschaffene Geheimnisse zu zahlen vermögen. In dieser Beziehung sind sie denen gar nicht gleich, zu denen unser Herr gesagt hat: „Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebet es“31 , vielmehr werden die sonderlichen, staunenerregenden, tiefen Geheimnisse nur um großen Lohn den Lügenfreunden anvertraut. Wer mochte auch nicht sein ganzes Vermögen hingeben um zu hören, daß aus den Tränen der Enthymesis, des erregten Äonen, die Meere, Quellen, Flüsse und allerlei nasse Substanz entstanden ist, aus ihrem Lachen das Licht, aus ihrer Trauer und Bestürzung die körperliche Substanz der Welt!

 

4.

Da will ich auch noch etwas zu ihrer Fruchtbarkeit beitragen. Weil ich nämlich sehe, daß ein Teil der Gewässer süß ist, wie die Quellen, die Flüsse, der Regen, das Meerwasser aber salzig, so meine ich, nicht alle stammen von ihren Tränen, die ihrer Beschaffenheit nach salzig sind. Also ist es offenbar, daß nur das salzige Wasser von ihren Tränen stammt. Doch vermutlich hat sie in ihrer schweren Pein und Hilflosigkeit auch geschwitzt. Daher muß man nach ihrer Weise annehmen, daß die Quellen und Flüsse und das übrige Süßwasser von ihrem Schweiße stammen. Unglaublich nämlich ist es, da die Tränen doch nur eine Beschaffenheit haben, daß die bitteren wie die süßen Gewässer von ihnen in gleicher Weise abstammten. Es ist glaublicher, daß die einen von den Tränen, die andern von dem Schweiß herrühren. Nun gibt es aber noch warme und ätzende Gewässer in der Welt. Da solltest du nachdenken, was die Enthymesis denn da tat, und aus welchem Gliede sie denn diese hervorbrachte. Diese Folgerungen ergeben sich just aus ihrer Hypothese.

 

5.

Als nun aber ihre Mutter jegliches Leid durchgemacht und sich kaum erhoben hatte, da kehrte sie sich hin zur Anrufung des ihr entschwundenen Lichtes, nämlich Christus. Der aber war in das Pleroma zurückgekehrt und trug natürlich Bedenken, zum zweitenmal hinabzusteigen. Darum schickte er den Tröster zu ihr, d. h. den Heiland, indem ihm der Vater alle Macht verlieh und alles seiner Gewalt unterstellte, und ebenso die Äonen, damit in ihm alles geschaffen würde, das Sichtbare, das Unsichtbare, die Thronen, die Gottheiten, die Herrschaften32 . Ausgesandt aber wird er zu ihr mit seinen Altersgenossen, den Engeln. Da soll nun die Achamoth bei der Begegnung mit ihm zuerst aus Scham sich verhüllt haben, dann aber, wie sie ihn mit seiner ganzen Fruchtfolge erblickte, ihm entgegengestürzt sein und Kraft aus seiner Erscheinung geschöpft haben. Der hat sie alsdann zur Form der Erkenntnis gestaltet und von ihrem Leiden sie geheilt. Diese Leiden aber konnte er nicht, wie bei der ersten Sophia, vernichten, weil sie schon in den Zustand der Macht übergegangen waren. Darum hat er sie nur abgesondert, aber nicht sich selbst überlassen, und danach sie vermischt und verdichtet, so daß sie aus einem unkörperlichen Leiden in körperlose Materie überführt wurden. So wurden diese zugepaßt und befähigt, in Mischungen und Körper überzugehen, um zwei Wesenheiten anzunehmen, die schlechte der Leidenschaften und die leidenschaftliche der Sehnsucht. Dazu soll mit seiner Kraft der Heiland gewirkt haben. Als aber die Achamoth von ihrem Leiden befreit war, da schaute sie an in ihrer Freude die Lichter um ihn herum, d. h. die Engel in seiner Begleitung, verführte sie zur Schwängerung und trug dann Leibesfrüchte nach ihrem Ebenbild, eine geistige Frucht nach dem Ebenbild der Trabanten des Heilandes.

 

 

 

 

5. Kapitel: Erschaffung des Demiurgen und des Menschen

 

1.

So waren nun nach ihrer Lehre diese drei Dinge entstanden, das eine aus dem Leiden, das war die Materie, das andere aus der Umkehr, das war das Seelische, das dritte, das aus der Achamoth stammte und auf besagte Weise ihre Gestalt annahm, war das Geistige. Aber dieses Geistige konnte sie nicht gestalten, da es ihr gleichgeartet war. Da machte sie sich an die Gestaltung der aus ihrer Umkehr entstandenen seelischen Substanz und brachte ihre von dem Heiland empfangene Wissenschaft hervor. Nun soll sie zuerst aus der seelischen Substanz den Vater und König aller Dinge, die ihm gleichartig waren, d. i. der seelischen, sowie der Dinge, die aus dem Leib und der Materie entstanden, gebildet haben. Jene gehören nach ihnen auf die rechte, diese auf die linke Seite. Alles nämlich habe er dann nach seinem Bilde gestaltet, indem er im Innern von seiner Mutter getrieben wurde. Deswegen nennen sie ihn auch Vater-Mutter, Vaterlos, Demiurg und Vater schlechthin, oder Vater der rechten Seite, d. i. der seelischen Dinge, und Demiurg der linken Seite, d. i. der materiellen Dinge, und König des Ganzen. Indem nämlich diese Enthymesis zur Ehre des Äonen das All machen wollte, soll sie, oder vielmehr der Heiland durch ihre Vermittlung, nur die Bilder davon gemacht haben. Sich selbst hat sie in dem Bilde des unsichtbaren Vaters bewahrt, nicht einmal von dem Demiurgen erkannt, diesen aber in dem Bilde des eingebornen Sohnes, die von ihm geschaffenen Engel und Erzengel in dem Bilde der übrigen Äonen.

 

2.

So ist er der Vater und Gott der außerhalb des Pleroma befindlichen Dinge geworden, da er ja alle seelischen und körperlichen Dinge gemacht hat. Indem er die beiden zusammengemischten Substanzen trennte und aus dem körperlosen Körper baute, schuf er die himmlischen und irdischen Dinge und wurde der Demiurg der Seelen und Körper der linken und rechten Seite, des Leichten und Schweren, des Fallenden und Steigenden. Auch sieben Himmel nämlich schuf er, über denen er thronen soll. Deswegen nennen sie ihn auch die Siebenheit, seine Mutter Achamoth aber heißt die Achtheit, indem sie die Zahl der uranfänglichen und ursprünglichen Achtheit des Pleroma beibehält. Die sieben Himmel aber besitzen Verstand, denn es sind Engel, und auch der Demiurg ist ein gottähnlicher Engel; ebenso das Paradies über dem dritten Himmel, das ist nach ihrer Behauptung auch ein Engel an Macht, und von ihm nahm Adam etwas, als er sich darin aufhielt.

 

3.

Nun meinte zwar der Demiurg, so sagen sie, dass er persönlich dies geschaffen habe, aber in Wirklichkeit hat er sie doch nur gemacht, indem Achamoth es hervorbrachte. Einen Himmel schuf er, ohne den Himmel zu kennen; einen Menschen bildete er, und kannte nicht den Menschen; er ließ Erde erscheinen, aber von der Erde wußte er nichts. So hat er bei seinem ganzen Schaffen die Vorbilder der Dinge, die er schuf, ja nicht einmal die Mutter gekannt, sondern geglaubt, daß er allein alles sei. Auf diese Meinung brachte ihn seine eigene Mutter, indem sie ihn so erziehen wollte zum Haupt und Ursprung seiner eigenen Wesenheit, zum Herrn des ganzen Getriebes. Diese Mutter nennen sie die Achtheit, Sophia, Erde, Jerusalem, hl. Geist und männlich Herrn. Sie nimmt aber den Platz in der Mitte ein, ist über dem Demiurgen, unter- und außerhalb des Pleroma bis zum Weltende.

 

4.

Die materielle Substanz soll also aus drei Affekten, Furcht, Trauer und Verwirrung bestehen, aus der Furcht und Bekehrung die seelische; aus der Bekehrung soll der Demiurg seinen Anfang genommen haben und aus der Furcht die gesamte übrige seelische Substanz, sowohl die Seelen der unvernünftigen Wesen, der Tiere, als auch der Menschen. Wegen seines seelischen Ursprungs war der Demiurg aber zu schwach, um das höhere Geistige zu erkennen; so konnte er glauben, allein Gott zu sein und hat durch den Propheten gesprochen: „Ich bin Gott und außer mir ist keiner“33 . Aus der Trauer sind nach ihrer Lehre die Geister der Bosheit entstanden, ebenso auch der Teufel, den sie den Fürsten der Welt nennen, und die Dämonen samt ihren Dienern und die ganze geistige Substanz der Bosheit. Nun aber nennen sie den Demiurgen den seelischen Sohn ihrer Mutter, den Fürsten der Welt ein Geschöpf des Demiurgen, der als Geist der Bosheit auch das über ihm befindliche geistige Prinzip erkennt, während der Demiurg als seelisches Wesen es nicht kann. Die Wohnung ihrer Mutter ist im überhimmlischen Raume, dem Zentrum des Demiurgen, auf dem Himmel, in der Siebenheit, des Fürsten der Welt auf unserer Welt. Diese körperliche Welt aber ist, wie schon gesagt, aus der niederen Bestürzung und Ratlosigkeit entstanden, und zwar entspricht die Erde dem Zustand der Bestürzung, das Wasser der Bewegung der aus der Furcht entstandenen Tränen, die Luft dem Verharren der Trauer, das Feuer aber ist in ihnen allen als Tod und Verderben enthalten, wie auch die Unwissenheit in allen drei Affekten verborgen ist.

 

5.

Nachdem er nun die Welt gebaut hatte, machte er auch den irdischen Menschen, bildete ihn aber nicht aus dieser trockenen Erde, sondern von der unsichtbaren Substanz, aus der beweglichen, flüssigen Materie, und dahinein pflanzte er den seelischen Menschen. So wurde er „nach seinem Bild und Gleichnis34 ; nach seinem Bild der materielle Teil, gottähnlich zwar, aber nicht -gleich, nach seinem Gleichnis der seelische Teil, dessen Wesenheit auch als „Geist des Lebens“35 bezeichnet wird, weil er aus dem Geistigen entströmt ist. Darauf ist er mit einem fellartigen Gewand bekleidet worden, das ist das Sinnliche, Fleischliche.

 

6.

Die Leibesfrucht ihrer Mutter Achamoth, die sie nach der Anschauung der den Heiland begleitenden Engel gebar, von derselben geistigen Wesenheit wie die Mutter, hat der Demiurg ebensowenig erkannt, und ohne sein Wissen ist sie heimlich in ihm niedergelegt worden, damit sie, durch ihn in die von ihm stammende Seele und in den materiellen Leib eingepflanzt, hier ausgetragen werde und wachse und zur Aufnahme der vollkommenen Erkenntnis fähig werde. Zugleich mit ihrer Einhauchung, die die Sophia mit unsagbarer Macht und Klugheit vornahm, blieb nun auch, wie sie sagen, dem Demiurg der geistige Mensch verborgen. Wie er nämlich seine Mutter nicht kannte, so kannte er auch nicht ihren Samen, den sie als Gegenbild der oberen Kirche gleichfalls Kirche nennen. Das ist bei ihnen der Mensch, wie sie meinen, da sie ja die Seele vom Demiurgen, den Leib von der Erde, wie das Fleisch von der Materie, den Geist aber von ihrer Mutter Achamoth haben.

 

 

 

 

6. Kapitel: Die Moral der Gnostiker

 

1.

Aus drei Stücken also besteht der Mensch. Das Materielle, die linke Seite, geht notwendig zugrunde, da es keinen Hauch von Unsterblichkeit aufnehmen kann; das Seelische, die rechte Seite, das zwischen dem Geistigen und Körperlichen liegt, geht dorthin, wohin es sich neigen wird; das Geistige aber ist dazu hinausgesandt, damit es hienieden durch die Vermählung mit dem Seelischen gestaltet, erzogen und emporgehoben werde. Das sei das „Salz und Licht der Welt“36 . Doch auch dem Seelischen taten sinnliche Zuchtmittel not. Deswegen wurde die Welt erschaffen und kam der Heiland zu dem mit freiem Willen ausgerüsteten Seelischen, um es zu retten. Von dem nämlich, was er retten wollte, nahm er die Erstlinge, von der Achamoth das Geistige, von dem Demiurg den seelischen Christus, von der Heilsordnung aber den umkleidenden Leib, der zwar eine seelische Substanz besitzt, aber mit unsäglicher Kunst so eingerichtet wurde, daß er sichtbar, greifbar und leidensfähig wurde, Materielles aber nahm er nichts an, denn das Materielle ist für das Heil unempfänglich. Die Vollendung aber wird eintreten, wenn das Geistige, d. h. die geistigen Menschen, die eine vollkommene Erkenntnis Gottes und der Achamoth besitzen — das sind die in den Mysterien Unterrichteten — durch diese Erkenntnis umgestaltet und vollendet sein werden.

 

2.

Seelisch aber werden erzogen die seelischen Menschen, die auf ihre Werke und den schlichten Glauben bauen und keine vollkommene Erkenntnis besitzen. Das sind wir von der Kirche, denen allerdings zur Seligkeit gute Werke notwendig sind. Sie aber werden nicht durch die Werke, sondern durch ihre geistige Natur auf jeden Fall selig. Wie nämlich das Materielle unmöglich selig werden kann, weil es der Seligkeit nicht fähig ist, so kann das Geistige — was sie selber sind — nicht verdammt werden, wie auch immer seine Taten waren. Wie nämlich das Gold im Kote seine Schönheit nicht verliert und seine Natur bewahrt, unbeeinträchtigt von dem Kote, so werden auch sie nicht beschädigt, noch verlieren sie ihre geistige Wesenheit, da ihnen die materiellen Handlungen nichts anhaben können,

 

3.

Daher tun denn auch die Vollkommensten von ihnen alles Verbotene ohne Scheu, jene Dinge, von denen die Schriften versichern, daß „die, welche solches tun, das Reich Gottes nicht erben werden“37 . Götzenopfer essen sie unbedenklich und glauben sich nicht dadurch zu beflecken. Bei jedem Feiertagsvergnügen der Heiden, das zu Ehren der Götzen veranstaltet wird, stellen sie sich als die ersten ein. Nicht einmal von den bei Gott und den Menschen verhaßten Tierkämpfen und menschenmordenden Einzelkämpfen halten manche sich fern. Andere dienen maßlos den Lüsten des Fleisches und sagen, man müsse das Fleisch dem Fleische, den Geist dem Geiste darbringen. Einige wiederum schänden heimlich die Weiber, die sie in ihrer Lehre unterrichten, — oftmals schon haben es Frauen, die von ihnen verführt waren und sich alsdann bekehrten, mit ihrer sonstigen Verirrung bekannt —; andere nahmen öffentlich und ohne Scheu Frauen, in die sie sich verliebt hatten, ihren Männern weg und machten sie zu ihren Weibern; noch andere schließlich, die anfangs ehrbar mit ihnen wie mit Schwestern zu verkehren vorgaben, wurden im Laufe der Zeit ertappt, als die Schwester von dem Bruder schwanger geworden war.

 

4.

Nicht genug damit: während sie vieles Schändliche und Gottlose begehen, fallen sie über uns her, die wir aus Gottesfurcht uns hüten, auch nur in Gedanken oder Worten zu sündigen, wie über Idioten und Dummköpfe; sich selbst aber überheben sie, indem sie als die Vollkommenen sich bezeichnen und den Samen der Auserwählung. Wir sollen die Gnade nur zum Gebrauch erhalten und danach wieder verlieren, sie wollen die Gnade von oben her aus der unaussprechlichen und unnennbaren Verbindung als ihr Eigentum in Besitz haben, und deswegen werde ihnen „noch hinzugelegt werden“38 .

 

5.

Deswegen müssen sie sich auch immer um das Geheimnis der Eheverbindung bemühen. Und deswegen reden sie den Unverständigen wortwörtlich vor: Wer in dieser Welt ist [der Gnostiker] und kein Weib liebt, so daß dasselbe bezwungen wird, der ist nicht aus der Wahrheit, noch wird er zur Wahrheit gelangen. Wer aber von dieser Welt ist [der Psychiker] und vom Weibe bezwungen wird, der kommt nicht zur Wahrheit, eben weil er der Begierde zum Weibe unterlegen ist. Wir also, die Psychiker, die wir von dieser Welt sind, brauchen die Enthaltsamkeit und gute Werke, damit wir dadurch in den Ort der Mitte gelangen; sie aber, die Geistigen und Vollkommenen, keineswegs. Denn nicht die Werke fuhren ins Pleroma hinein, sondern der Same, der von dort im Anfangsstadium entsendet, hier aber vollendet wird.

 

 

 

 

7. Kapitel: Dreierlei Menschen und ihr Los

 

1.

Wenn aber der gesamte Same vollendet ist, dann verläßt ihre Mutter Achamoth den Ort der Mitte, um in das Pleroma einzugehen und dort ihren Bräutigam, den Heiland zu empfangen, der aus dem All geworden ist, und dann vereinigt sich der Heiland mit der Sophia, der Achamoth. Das ist der „Bräutigam und die Braut“39 . Das Brautgemach aber ist das gesamte Pleroma. Dana ziehen die Geistigen, die ihre Seelen abgelegt haben und reine Geister geworden sind, ungehindert und ungesehen in das Pleroma ein, um den Engeln aus der Umgebung des Heilandes als Bräute zugeführt zu werden, und auch der Demiurg siedelt über nach dem Ort seiner Mutter Sophia, dem Ort der Mitte, und hier machen auch die Seelen der Gerechten halt, denn nichts Seelisches kann in das Pleroma eingehen. Danach aber wird das in der Welt verborgene Feuer hervorbrechen, sich entzünden, alle Materie zerstören und zugleich mit ihr vernichtet und in das Nichts übergeführt werden. Der Demiurg aber hat vor der Ankunft des Heilands von diesen Dingen nichts gewusst.

 

2.

Manche jedoch sagen, er habe Christum als seinen eigenen, wenn schon seelischen Sohn hervorgebracht, von diesem redete er durch die Propheten. Er ging durch Maria hindurch, wie Wasser durch die Rinne läuft, auf ihn ist bei der Taufe der von dem Pleroma des Alls abstammende Heiland in Gestalt einer Taube hinabgestiegen, wie in ihm auch der geistige Same der Achamoth gewesen ist. Aus folgenden vier Dingen also soll unser Heiland zusammengesetzt sein, indem er die Form der ursprünglichen ersten Vierheit beibehielt: aus dem Geistigen, das aus der Achamoth stammte, aus dem Seelischen von dem Demiurgen, aus der unsagbar kunstvoll hergerichteten Wohnstätte und aus dem in Gestalt einer Taube auf ihn herabgestiegenen Heiland. Leidensunfähig aber war er und konnte nicht leiden, da er unbesiegbar und unsichtbar war. Darum hat sich, als er zu Pilatus geführt wurde, der ihm eingepflanzte Geist Christi zurückgezogen. Ebensowenig hat auch der von der Mutter stammende Same gelitten, da er als geistiges und selbst für den Demiurgen unsichtbares Wesen nicht leiden konnte. So litt denn nur der seelische Christus und der aus der Heilsordnung geheimnisvoll zubereitete, damit in ihm die Mutter das Bild jenes oberen Christus darstellte, die sich bis zum Kreuze ausdehnte und die Achamoth nach seiner Wesenheit gestaltete. Denn die irdischen Vorgänge sind nur die Abbilder jener Ereignisse.

 

3.

Die den Samen der Achamoth empfangen haben, sind besser als die übrigen Seelen, darum liebt sie der Demiurg auch mehr als die andern, indem er meint, daß er sie so erschaffen habe, und die wahre Ursache nicht kennt. Deshalb verordnete er sie auch zu Propheten, Priestern und Königen. Da aber die Propheten von besserer Wesenheit sind, hat der Same vieles durch ihren Mund gesprochen; vieles aber von diesen höheren Dingen hat auch die Mutter gesprochen, jedoch durch ihn und die von ihm abstammenden Seelen. Demgemäß zerfallen die Prophezeiungen in solche, die vom Sperma, in solche, die von der Mutter, in solche, die von dem Demiurgen kommen. Ebenso hat Jesus seine Aussprüche teils vom Heiland, teils von der Mutter, teils von dem Demiurgen, wie wir im Verlauf unseres Werkes zeigen werden.

 

4.

Der Demiurg aber, der ja das, was über ihm ist, nicht kennt, wird zwar von seinen Aussprüchen bewegt, achtet sie aber gering, indem er ihre eigentliche Ursache verkennt und bald den Geist mit der diesem eigentümlichen Bewegung, bald auch den Menschen oder auch irgend einen niederen Anstoß dafür ansieht. In dieser Unwissenheit verharrte er bis zur Ankunft des Herrn. Wie der aber kam, hat er alles von ihm erfahren und ist freudig mit allen Kräften ihm entgegengeeilt. Er ist der Hauptmann im Evangelium, der zu dem Heiland sprach: „Auch ich nämlich habe unter meiner Botmäßigkeit Soldaten und Knechte, und wenn ich etwas befehle, so tun sie es“40 . Er wird aber seine Weltregierung bis zur festgesetzten Zeit fortführen, hauptsächlich weil ihm die Kirche am Herzen liegt, dann aber weil er weiß, daß ihm als Kampfpreis bestimmt ist, an den Ort seiner Mutter zu gelangen.

 

5.

Es gibt also dreierlei Menschen: geistige, materielle und seelische, wie Kain, Abel und Seth; aus diesen weisen sie die drei Naturen nicht mehr für den einzelnen, sondern für die ganzen Gattungen nach. Die materielle Gattung geht einfach zugrunde; die seelische wird, wenn sie den bessern Teil erwählt, an dem Ort der Mitte ausruhen, wenn sie aber das Schlechtere erwählt, wird ihr nach ihrem Wunsch geschehen; das Geistige aber, das die Achamoth von ehemals bis jetzt in die Seelen der Gerechten einpflanzte, das wird hienieden erzogen und ernährt, weil es ja unmündig entlassen wurde, später aber der Vollendung gewürdigt, indem es als Braut den Engeln des Heilandes übergeben wird, während ihre Seelen notwendigerweise in dem Ort der Mitte bei dem Demiurgen auf ewig ausruhen werden. Aber auch die seelischen Seelen zerfallen wieder in zwei Abteilungen: die einen sind von Natur gut, die andern böse. Nur die guten sind fähig, den Samen aufzunehmen, die von Natur bösen werden ihn niemals empfangen.

 

 

 

 

8. Kapitel: Weiterer Mißbrauch der Hl. Schrift

 

1.

Das sind nun ihre Lehrmeinungen, die weder die Propheten verkündeten, noch der Herr lehrte, noch die Apostel überlieferten, die sie besser zu verstehen sich rühmen als alle anderen, die niemals gelehrt, nirgends in der Schrift enthalten sind, und die sie doch vorlesen. Indem sie, wie man so sagt, aus Sand Seile flechten, suchen sie ihren Lehren die Parabeln des Herrn, die Aussprüche der Propheten oder die Worte der Apostel anzupassen, damit ihr Hirngespinst nicht ohne Zeugnisse bleibe. Aber die Ordnung und den Zusammenhang der Schriften übertreten sie und lösen nach Kräften die Glieder der Wahrheit auf. Sie versetzen und stellen um, verändern völlig den Sinn und täuschen viele durch ihre trügerische Zusammenstellung der Reden des Herrn. Gleichwie wenn jemand an dem von einem weisen Künstler aus bunten Steinen schön zusammengestellten Bilde eines Königs die zugrunde liegende menschliche Gestalt auflösen, die Steine versetzen und umändern, die Gestalt eines Hundes oder Fuchses machen und dazu noch schlecht ausführen wollte und behaupten, das sei jenes schöne Bild des Königs, das der weise Künstler fertigte, um so durch sein Steingebilde die Unerfahrenen in Irrtum zu führen, die keine Ahnung von der wirklichen Gestalt eines Königs haben, und ihnen einzureden, die stinkende Figur des Fuchses sei das schöne Bild des Königs — auf genau dieselbe Weise flicken auch diese Alteweibermärchen zusammen, reißen dann Reden, Worte und Parabeln aus ihrem Zusammenhang und wollen diese Worte des Herrn ihren Fabeln anpassen. So erhielten sie die oben erzählte Geschichte von den innern Vorgängen im Pleroma.

 

2.

Was sie aber für die äußern Vorgänge des Pleroma aus den Schriften sich anzueignen versuchen, ist folgendes: Der Herr ist in den letzten Zeiten der Welt in sein Leiden geraten, um das über den letzten der Äonen gekommene Leiden anzuzeigen, und durch sein Ende zu offenbaren das Ende des Schicksals der Äonen. Das zwölfjährige Mädchen aber, die Tochter des Synagogenvorstehers, die der Herr durch seine Gegenwart von den Toten auferweckte, ist ein Sinnbild der Achamoth, welche ihr Christus gestaltete, indem er sich nach ihr ausstreckte und zum Bewußtsein zurückführte, daß sie das Licht verlassen hatte. Daß aber der Heiland ihr, als sie außerhalb des Pleroma im embryonalen Zustande verweilte, erschienen sei, das hat Paulus im Korintherbriefe mit den Worten gesagt: „Zuletzt ist er auch mir erschienen als einer frühzeitigen Geburt“41 . Auch das Herniedersteigen zu der Achamoth in Begleitung seiner Altersgenossen hat er gleichfalls in demselben Briefe kundgetan, indem er sagt: „Das Weib soll wegen der Engel einen Schleier auf dem Kopfe tragen“42 . Und als der Heiland zu ihr kam, da warf aus Scham Achamoth einen Schleier um; das zeigt Moses an, indem er einen Schleier über sein Angesicht legte. Ebenso tat ihre schmerzlichen Leiden der Heiland am Kreuze kund. Und indem er rief: „O mein Gott, warum hast du mich verlassen?“43 erinnerte er daran, daß die Sophia von dem Lichte verlassen und vom Horos am Weiterdringen verhindert wurde. Auf ihre Trauer nimmt Bezug sein Ausspruch: „Meine Seele ist betrübt bis zum Tode“44 , auf ihre Angst ebenso sein Wort: „Vater, wenn es möglich ist, gehe an mir dieser Kelch vorüber“45 , und auf ihre Verwirrung auch sein Wort: „Und was ich sagen soll, weiß ich nicht“46 .

 

3.

Die drei Gattungen der Menschen hat er so angezeigt: Die materielle, indem er zu dem, der ihn fragte: „Soll ich Dir folgen?“ sprach: „Des Menschen Sohn hat nicht, wohin er sein Haupt lege“47 , die seelische, da er dem, der da sagte: „Ich will Dir folgen, doch laß mich zuerst von meinen Hausgenossen Abschied nehmen“, antwortete: „Keiner, der seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist für das Himmelreich tauglich“48 . Das war einer von den Mittleren und ebenso auch jener, der da behauptete, die meisten Stücke der Gerechtigkeit erfüllt zu haben, dann aber nicht folgen wollte, indem der Reichtum ihn hinderte vollkommen zu werden. Das also war auch einer von den seelischen Menschen. Das Geistige aber hat der Heiland bezeichnet, indem er sprach: „Laß die Toten ihre Toten begraben, du aber geh und verkündige das Reich Gottes“49 . Und der Zöllner, zu dem er sprach: „Steig eilends herab, denn heute muß ich in deinem Hause verbleiben“50 , der gehörte auch zu dem geistigen Geschlecht. Auch die Parabel von dem Sauerteig, den das Weib unter die drei Scheffel Mehl verbarg, zeigt nach ihnen deutlich die drei Gattungen an. Das Weib nämlich soll die Sophia bedeuten, die drei Scheffel Mehl aber die drei Gattungen von Menschen, die geistige, seelische und materielle. Der Sauerteig soll der Heiland selbst sein. Auch Paulus hat deutlich die geistigen, seelischen und materiellen Menschen bezeichnet. „Wie der Irdische, so auch die Irdischen“, sagt er an einer Stelle51 , an einer andern aber: „Der seelische Mensch faßt nicht, was des Geistes ist“52 , and wiederum: „Der Geistige beurteilt alles“53 . Die eben genannte zweite Stelle zielt auf den Demiurgen, der als seelisches Wesen weder die Mutter kennt, die geistig ist, noch ihren Samen, noch die im Pleroma befindlichen Äonen. Daß aber der Heiland von denen, die er retten wollte, die Erstlinge aufnahm, bezeichnet Paulus mit den Worten: „Wenn die Erstlinge heilig sind, ist es auch die Masse“54 . Der Erstling bedeutet das Geistige, die Masse sind wir, d, h. die seelische Kirche, von der er die Teigmasse angenommen und in sich erhoben hat, da er selbst der Sauerteig war.

 

4.

Auch daß die Achamoth außerhalb des Pleroma herumirrte, von dem Christus gestaltet und von dem Heiland aufgesucht wurde, sehen sie offenbart in den Worten: „Ich bin gekommen zu den Verirrten“55 . Das verirrte Schaf nämlich erklären sie für ihre Mutter, von der die irdische Kirche ausgesät sein soll; die Verirrung aber für ihren schmerzvollen Aufenthalt außerhalb des Pleroma, aus dem die Materie entstanden sein soll. Das Weib, das ihr Haus auskehrt und die Drachme findet, deuten sie als die obere Sophia, die ihre Enthymesis verloren hatte und sie später fand, als alles durch die Ankunft des Heilandes gereinigt wurde. Darum wird diese auch nach ihnen wieder in das Pleroma eingesetzt. Simeon, der Christum auf seine Arme nahm, Gott dankte und sprach: „Nun entlassest Du Deinen Diener, o Herr, nach Deinem Worte in Frieden“56 ist ein Abbild des Demiurgen, der durch die Ankunft des Heilandes seine Veränderung spürte und dem Bythos Dank sagte, Die Prophetin Anna, von der es im Evangelium heißt, daß sie sieben Jahre mit ihrem Manne verkehrte, die ganze übrige Zeit aber Witwe blieb, bis sie den Heiland sah und erkannte und von ihm zu allen redete, bedeutet auf das klarste die Achamoth, die auf kurze Zeit mit ihren Gefährten den Heiland erblickte, die ganze übrige Zeit aber in der Mitte blieb und ihn erwartete, bis er wieder kommen und sie in ihre Verbindung einsetzen werde. Sogar ihr Name ist von dem Heiland offenbart, indem er sagte: „Gerechtfertigt ist die Weisheit vor ihren Kindern“57 ; auch von Paulus mit den Worten: „Weisheit aber reden wir unter den Vollkommenen“58 . — Auch die Eheverbindungen innerhalb des Pleroma hat Paulus mit dem einen Worte gekennzeichnet, indem er von den Ehen dieses Lebens schreibt: „Dies Geheimnis ist groß, ich sage aber in Christas und der Kirche“59 .

 

5.

Ferner hat Johannes, der Schüler des Herrn, die erste Achtheit auf folgende Weise gelehrt: Da derselbe Johannes den Anfang aller Dinge darstellen wollte, wonach der Vater alles hervorgebracht hat, da stellte er gewissermaßen als Anfang das zuerst vom Vater Erzeugte hin, das er auch den Eingebornen Sohn und Gott nannte, in welchem der Vater das All wie in einem Samenkeime hervorbrachte. Von diesem ist der Logos ausgegangen und in ihm die ganze Wesenheit der Äonen, die später der Logos selber gestaltete. Da er nun vom ersten Anfang sprechen will, so beginnt er geziemenderweise seinen Unterricht von dem Anfang, d. h. vom Vater und dem Logos, indem er also spricht: „Im Anfange war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort, dieses war im Anfang bei Gott“60 . Zuerst unterscheidet er sie dreifach: Gott, den Anfang und das Wort, dann zieht er sie in eins zusammen, um den Ausgang des Sohnes und des Logos anzuzeigen und auch die zwischen ihnen gegenseitig und dem Vater bestehende Einheit. In dem Vater nämlich und aus dem Vater ist der Anfang, und in dem Anfang wie aus dem Anfang ist der Logos. Darum sagte Johannes ganz richtig: „Im Anfange war das Wort“, denn das Wort war in dem Sohne, „und das Wort war bei Gott“ d. h. bei dem Anfang, „und Gott war das Wort“ natürlich, denn was aus Gott geworden, ist selber Gott. „Dieser war im Anfang bei Gott“, damit zeigte er die Reihenfolge des Ausganges an; „alles ist durch ihn geworden und ohne ihn wurde nichts“, denn allen Äonen nach ihm hat der Logos Wesenheit und Gestalt gegeben. „Aber was in ihm geworden ist, ist das Leben.“ Damit weist er auf die eheliche Zeugung hin; von dem All nämlich sagt er, daß es durch ihn geworden sei, das Leben aber ist in ihm geworden. Dieses in ihm gewordene Leben steht ihm also näher als das durch ihn Gewordene, denn es ist mit ihm zusammen und bringt durch ihn Früchte. Indem Johannes dann fortfährt: „Und das Leben war das Licht der Menschen“, hat er die Kirche und den Menschen mit demselben Namen bezeichnet, damit er durch denselben Namen ihre eheliche Gemeinschaft bezeichne. Denn aus dem Logos und der Zoe61 wurde der Mensch und die Kirche. Licht der Menschen aber nannte er das Leben, weil sie von der Zoe erleuchtet wurden, d. h. gestaltet und geoffenbart. Dasselbe sagt auch Paulus mit den Worten: „Alles, was sich offenbart, ist Licht“62 .

 

6.

Da nun die Zoe den Menschen und die Kirche offenbarte und gebar, so wird sie mit Recht ihr Licht genannt. Dies alles hat der Apostel deutlich angezeigt und auch die zweite Vierheit, die da aus dem Logos und der Zoe, dem Menschen und der Kirche besteht. Aber auch die erste Vierheit tat er kund. Indem er nämlich von dem Heiland spricht und sagt, daß alles außerhalb des Pleroma von ihm gestaltet wurde, lehrt er, der Heiland sei eine Frucht des gesamten Pleroma. Er nannte ihn auch das Licht, das in der Finsternis leuchtete und von ihr nicht begriffen wurde, weil er ja von ihr nicht als der Ordner aller aus dem Leid entstandenen Dinge erkannt wurde. Sohn und Wahrheit und Leben und Fleisch gewordenes Wort nennt er ihn. „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, und es war seine Herrlichkeit, wie die des Eingebornen, die ihm vom Vater verliehen wurde, voll der Gnade und Wahrheit.“ In Wirklichkeit aber heißt es: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir sahen seine Herrlichkeit als die des Eingebornen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit“63 . Genau also offenbarte er die erste Vierheit: den Vater und die Gnade64 , den Eingebornen und die Wahrheit65 . Ebenso hat Johannes von der ersten Achtheit und Mutter aller Äonen gesprochen, denn er nannte den Vater und die Charis, den Eingebornen und die Wahrheit, den Logos und das Leben, den Menschen und die Kirche.

 

 

 

 

9. Kapitel: Widerlegung der gnostischen Schrifterklärung

 

1.

Das ist, mein Lieber, die Methode, mit der sie sich selbst betrügen, indem sie die Schriften misshandeln und ihren Hirngespinsten anzupassen versuchen. Deshalb habe ich Dir auch ihre Redereien vorgeführt, damit Du daraus die Hinterlist ihres Betruges und die Bosheit ihres Irrtums erkennest. Erstens, wenn dem Johannes daran lag, die obere Achtheit anzuzeigen, dann hätte er wohl die Reihenfolge des Hervorganges innegehalten und die erste Vierheit als die ehrwürdigere zuerst genannt und dann die zweite angefügt, damit durch diese Reihenfolge in der Nennung auch die Reihenfolge in der Achtheit angezeigt werde. Nicht aber hätte er nach einem so großen Zwischenraum, der den Anschein erweckt, als hätte er sie zunächst vergessen und sich später erst besonnen, die erste Vierheit an letzter Stelle erwähnt. Zweitens, wenn er die Verbindungen hätte offenbaren wollen, dann hätte er den Namen der Kirche gewiß nicht ausgelassen. Er hätte sich entweder wie bei den übrigen Verbindungen mit der Anführung der männlichen Namen begnügt, da man sich hier wie dort jene hinzudenken kann, um überall die Gleichmäßigkeit zu beobachten, oder wenn er die Verbindungen der übrigen aufzählte, dann hätte er auch die Ehehälfte des Menschen genannt, nicht aber uns es überlassen, ihren Namen durch Wahrsagerei zu erraten.

 

2.

Ihre Schriftauslegung ist also eine offenkundige Fälschung. Denn wenn Johannes einen allmächtigen Gott und einen Eingebornen, Christus Jesus, verkündet, durch den er alles gemacht sein läßt, diesen Sohn als das Wort Gottes, als den Eingebornen, als den Urheber aller Dinge, als das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, als den Urheber der Welt, als den, der in sein Eigentum kam und Fleisch geworden ist und unter uns wohnte — so verdrehen diese offensichtlich den richtigen Sinn und unterscheiden in Bezug auf ihren Ursprung den Eingebornen, den sie auch Anfang nennen, von dem Heiland, lassen den Logos hinwiederum einen Sohn des Erstgebornen sein und den Christus, wieder einen andern, zur Wiederherstellung des Pleroma ausgegangen sein. So reißen sie alle diese Schriftworte von der Wahrheit los und mißbrauchen die Namen, indem sie diese in ihre eigene Dichtungen hineinzwängen, damit nur ja nicht unser Johannes an so viel Stellen von dem Herrn Jesus Christus gesprochen habe. Wenn er den Vater nannte, die Gnade, den Eingebornen, die Wahrheit, das Wort, das Leben, den Menschen, die Kirche, dann hat er nach ihren Voraussetzungen von der ersten Achtheit gesprochen, aber bei Leibe nicht von seinem Herrn und Meister Jesus Christus. Und doch hat er so deutlich dargetan, daß er nicht von ihren Verbindungen, sondern von unserm Herrn Jesus Christus sprach, den er als den Sohn Gottes kannte. Indem er nämlich das von ihm oben über das Wort Gesagte zusammenfaßt, erklärt er: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Nach ihrer Voraussetzung aber ist nicht das Wort Fleisch geworden, da es ja gar nicht aus dem Pleroma herauskam, sondern der Heiland der Weltordnung, der jünger ist als der Logos.

 

3.

Wisset also, ihr Unverständigen, daß Jesus, der für uns gelitten hat und unter uns wohnte, selber das Wort Gottes ist. Denn wenn irgendein anderer von den Äonen, um uns zu retten, Fleisch geworden wäre, dann hätte der Apostel gewiß von einem andern gesprochen. Wenn aber das Wort des Vaters, das zu uns hinabstieg, dasselbe ist, welches hinaufstieg, nämlich der eingeborne Sohn des einen Gottes, der da nach dem Wohlgefallen des Vaters für die Menschen Fleisch wurde, dann paßt das Wort nicht auf einen andern, noch auf die Achtheit, sondern bloß auf den Herrn Jesus Christus. Denn nach ihnen ist ja das Wort überhaupt nicht Fleisch geworden, sondern der Heiland hat einen seelischen Leib angenommen, der ihm infolge des Heilsplanes unsagbar künstlich hergerichtet war, um sichtbar und greifbar zu werden. Fleisch ist jenes alte, aus der Erde für Adam von Gott gemachte Gebilde, welches nach dem Zeugnis des Johannes das Wort Gottes in Wahrheit annahm, und aufgelöst ist ihre erste und ursprüngliche Achtheit. Das Wort, der Eingeborne, das Leben, das Licht, Heiland, Christus und Sohn Gottes, der für uns Fleisch geworden, das ist ein und dasselbe, und aufgelöst ist die Wohnstätte der Achtheit. Da aber diese aufgelöst ist, ist ihr ganzes Kartenhaus eingestürzt, das sie fälschlich auf den Grund der Schriften aufgebaut hatten.

 

4.

Indem sie die zerstreut gebrauchten Redewendungen und Namen zusammenlesen, tun sie dem natürlichen Sinne Gewalt an. Sie machen es ähnlich wie diejenigen, die sich ein ganz beliebiges Thema stellen und dasselbe dann in Homerischen Versen bearbeiten, so daß die Unkundigen glauben können, Homer habe das aus dem Stegreif gestellte Thema besungen, und viele werden durch die künstliche Wortfolge zu glauben verführt, daß vielleicht doch die Sache so von Homer gemacht sei. Es sei mir erlaubt, des Beispiels halber jene Verse Homers anzuführen, die jemand auf Herkules zusammengestellt hat, der im Auftrag des Eurystheus den Höllenhund holen sollte. Denn das Verfahren beider hat große Ähnlichkeit.

Also sprechend entließ aus dem Hause den schmerzlich bewegten66

Herkules, den zu gewaltigen Taten befähigten Helden67 ,

Eurystheus, des Stenelos Sohn, der Enkel des Perseus68 ,

Daß aus der Hölle den Hund er hole des düsteren Hades.69

Er nun ging wie ein Löwe vom Berge, der Stärke vertrauend70 ,

Eilig hinab in die Stadt. Es begleiteten sämtliche Freunde71 ,

Mädchen und Jünglinge ihn und im Dulden erfahrene Greise72 ,

Kläglich jammernd um ihn, als ob er gehe zum Tode73 .

Hermes gab das Geleit und auch die blauäugige Pallas74 ,

Denn im befreundeten Herzen empfand sie, wie sehr er bedrängt war75 .

Welcher Harmlose sollte von solchen Versen nicht verführt werden und glauben, daß sie Homer auf dieses Thema gemacht habe! Dem Homerkenner sind die Verse zwar bekannt, aber das Thema wird ihm unbekannt sein, indem er weiß, daß dies auf Odysseus, jenes auf Herakles, das auf Priamus oder auf Menelaus und Agamemnon geht. Nimmt er nun die Verse auseinander und stellt jeden an seinen richtigen Platz, dann fällt die ganze Geschichte auseinander. Ebenso wird der, welcher die Richtschnur der Wahrheit unerschütterlich in sich festhält, die er in der Taufe empfangen hat, zwar die Namen und Redewendungen und Parabeln aus den Schriften, aber nicht ihre gotteslästerlichen Hirngespinste anerkennen. Zwar wird er die Mosaiksteinchen erkennen, aber den Fuchs nicht für das Bild des Königs halten. Er wird jeden der Aussprüche an seine gehörige Stelle setzen und dem Körper der Wahrheit sie einverleiben, aber ihre Phantasiegebilde bloßlegen und als haltlos dartun.

 

5.

Da aber diesem Theaterstück noch der Abschluß fehlt, indem jemand, ihre Fabeleien erklärend, sie abfertigt, so hielten wir es für richtig, zuvor darzulegen, wie die Väter dieser Sagen von einander abweichen, da sie aus verschiedenen Geistern des Irrtums stammen. Daraus schon kann man deutlich erkennen, noch bevor ihr Irrtum aufgedeckt ist, daß zuverlässig nur die von der Kirche verkündete Wahrheit ist, ihre Lügenrede aber falsch.

 

 

 

 

10. Kapitel: Die Kirche als Trägerin der Wahrheit

 

1.

Die Kirche erstreckt sich über das ganze Weltall bis an die äußersten Grenzen der Erde. Sie hat von den Aposteln und ihren Schülern den Glauben empfangen, den Glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde und der Meere und alles was in ihnen ist, und an den einen Christus Jesus, den Sohn Gottes, der, um uns zu erlösen, Fleisch angenommen hat, und an den heiligen Geist, der durch die Propheten die Heilsordnung Gottes verkündet hat, die zweifache Ankunft des Herrn, seine Geburt aus der Jungfrau, sein Leiden, seine Auferstehung von den Toten und die leibliche Himmelfahrt unseres lieben Herrn Christus Jesus und seine Wiederkunft vom Himmel in der Herrlichkeit des Vaters, um „alles wiederherzustellen“76 und alles Fleisch der ganzen Menschheit wiederzuerwecken, damit vor Jesus Christus, unserm Herrn und Gott, unserm Heiland und König, nach dem Wohlgefallen des unsichtbaren Vaters, „jedes Knie sich beuge derer, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind, und jegliche Zunge ihn preise“77 . Dann wird er ein gerechtes Gericht über alle halten. Die Geister der Bosheit und die ungehorsamen Engel, die von Gott abfielen, und die Gottlosen und Ungerechten und Frevler und Gotteslästerer wird er in das ewige Feuer schicken. Den Gerechten aber und Frommen und denen, die seine Gebote beobachtet haben, und die in seiner Liebe verharrt sind teils von Anfang, teils seit ihrer Bekehrung, denen wird er das ewige Leben in Gnaden schenken und mit ewiger Herrlichkeit sie umkleiden.

 

2.

Nun wohl, diese Botschaft und diesen Glauben bewahrt die Kirche, wie sie ihn empfangen hat, obwohl sie, wie gesagt, über die ganze Welt zerstreut ist, sorgfältig, als ob sie in einem Hause wohnte, glaubt so daran, als ob sie nur eine Seele und ein Herz hätte, und verkündet und überliefert ihre Lehre so einstimmig, als ob sie nur einen Mund besäße. Und wenngleich es auf der Welt verschiedene Sprachen gibt, so ist doch die Kraft der Überlieferung ein und dieselbe. Die in Germanien gegründeten Kirchen glauben und überliefern nicht anders als die in Spanien oder bei den Kelten, die im Orient oder in Ägypten, die in Lybien oder in der Mitte der Welt. So wie Gottes Sonne in der ganzen Welt eine und dieselbe ist, so dringt auch die Botschaft der Wahrheit überall hin und erleuchtet alle Menschen, die zur Erkenntnis der Wahrheit kommen wollen. Der größte Redner unter den Vorstehern der Kirche kann nichts anders verkünden, denn niemand geht über den Meister; und auch der Schwachbegabte wird nichts von der Überlieferung weglassen. Es ist nur ein und derselbe Glaube, ihn kann nicht vermehren, wer viel versteht zu reden, nicht vermindern, wer wenig spricht.

 

3.

Wenn nun einzelne mehr als die andern verstehen und wissen, so haben sie keineswegs eine andere Lehre, oder einen andern Gott neben dem Urheber und Schöpfer und Ernährer des Weltalls, gleich als ob ihnen dieser nicht genüge, noch einen andern Christus oder Eingebornen. Ihre höhere Kenntnis besteht vielmehr darin, daß sie den Inhalt der Parabeln verarbeiten und dem Fundament des Glaubens einverleiben, daß sie das Ziel und die Absicht Gottes mit der Menschheit klarlegen, und die Langmut Gottes bei dem Abfall der ungehorsamen Engel, wie bei dem Ungehorsam der Menschen. Sie erörtern, warum ein und derselbe Gott dieses zeitlich, jenes ewig gemacht hat, dies himmlisch, jenes irdisch; sie bemühen sich, zu verstehen, warum der unsichtbare Gott den Propheten nicht in einer, sondern in verschiedenen Gestalten erschien, weshalb mehr als ein Bund mit der Menschheit geschlossen wurde, und welches die besondere Art eines jeden war. Sie suchen zu erforschen, warum Gott „alles im Unglauben verschlossen habe, um sich aller zu erbarmen“78 , und dankbar zu verstehen, warum das Wort Gottes Fleisch geworden ist und gelitten hat, und warum die Ankunft des Sohnes Gottes in den letzten Zeiten stattfindet, d. h. der Anfang am Ende erscheinet. Sie legen auseinander, was in den Schriften über das Ende und die letzten Dinge enthalten ist und verschweigen nicht, warum Gott die einst verstoßenen Heiden nun zu Miterben, Tischgenossen und Mitbürgern der Heiligen gemacht hat. Sie verkünden, auf welche Weise „dieses sterbliche Fleisch anziehen wird die Unsterblichkeit, das Vergängliche die Unvergänglichkeit“79 und „wie das Nichtvolk zum Volk und die Nichtgeliebte zur Geliebten geworden ist“80 , und wie „mehr Kinder die einsame hat, als die, welche den Mann hat“81 . In Bezug auf diese und ähnliche Stellen rief der Apostel aus: „O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. Wie unerforschlich sind seine Urteile und wie unergründlich seine Wege!“82