Für immer und du - Nikola Hotel - E-Book

Für immer und du E-Book

Nikola Hotel

4,7

Beschreibung

Liebe und andere Irrwege

Leonie hat es geschafft: Sie ist erfolgreich in ihrem Job, hat eine schicke Wohnung und steht kurz davor, einen Millionen-Deal abzuschließen. Doch dann wird sie plötzlich »beurlaubt«, weil sie eine Geschäftsidee der Brüder Emil und Ben gestohlen haben soll. Von einem Moment auf den anderen steht sie vor einem Scherbenhaufen. Sie muss Emil finden und die Sache in Ordnung bringen. Blöd nur, dass der sich bei seiner Tante auf dem Land verkrochen hat und Leonie neuerdings Herzrasen bekommt, wenn sie Emil in die Augen schaut. Oder liegt es an der Landluft? 

Eine so charmante wie lebensnahe Liebesgeschichte von Bestseller-Autorin Nikola Hotel.

»Für immer und du« ist eine überarbeitete Version des erstmals 2016 erschienenen Romans »Für immer und Emil«.

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Über das Buch

Liebe und andere Irrwege

Leonie hat es geschafft: Sie ist erfolgreich in ihrem Job, hat eine schicke Wohnung und steht kurz davor, einen Millionen-Deal abzuschließen. Doch dann wird sie plötzlich »beurlaubt«, weil sie eine Geschäftsidee der Brüder Emil und Ben gestohlen haben soll. Von einem Moment auf den anderen steht sie vor einem Scherbenhaufen. Sie muss Emil finden und die Sache in Ordnung bringen. Blöd nur, dass der sich bei seiner Tante auf dem Land verkrochen hat und Leonie neuerdings Herzrasen bekommt, wenn sie Emil in die Augen schaut. Oder liegt es an der Landluft? 

Eine so charmante wie lebensnahe Liebesgeschichte von Bestseller-Autorin Nikola Hotel.

»Für immer und du« ist eine überarbeitete Version des erstmals 2016 erschienenen Romans »Für immer und Emil«.

Über Nikola Hotel

Nikola Hotel, geboren 1978 in Bonn, hat eine große Schwäche für dunkle Charaktere und unterdrückte Gefühle, deshalb schreibt sie neben ihren RomComs mit Vorliebe auch New-Adult-Romane. Ein Großteil ihrer Bücher schaffte es unmittelbar nach Erscheinen auf die Bestsellerliste. Nikola Hotel lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bonn. Auf Instagram gewährt sie allerlei Einblicke in ihren Schreiballtag.

Im Aufbau Taschenbuch liegen ihre Romane »Jetzt und mit dir«, »Für immer und du«, »Liebe oder gar nicht« und »Ab morgen nur noch Liebe« vor.

Mehr unter @nikolahotel oder www.nikolahotel.de.

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Nikola Hotel

Für immer und du

Roman

Übersicht

Titelinformationen

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

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Titelinformationen

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Kapitel 33

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In Erinnerung an Emil und Loisi

»Wenn du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas bewirken zu können, dann versuche mal, mit einer Mücke im Zimmer einzuschlafen.«

ANITA RODDICK, GRÜNDERIN

To-do

Wäsche abholen lassen und darauf hinweisen, dass meine Seidenbluse beim letzten Mal einen gelben Fleck auf der Knopfleiste hatte, DER VORHER NOCH NICHT DA WAR!

Olga daran erinnern, dass die Lichtschalter und Fußleisten dringend geputzt werden müssen, und ihr sagen, dass ich – nachdem sie am Dienstag gegangen ist – einen Zigarettenstummel auf dem Balkon gefunden habe.

Auf dem Mitarbeiterplakat im Büroflur Marc einen D’Artagnan-Bart malen, wenn er noch einmal etwas sagt wie »Damit bin ich agreed« oder »Das wird diese Company saven«.

Sylvia informieren, dass ich heute Mittag eine vegane Tortilla essen möchte.

Den Brüdern Emil und Benjamin Rau die angebotene Finanzierung streichen und ihnen stattdessen ihr Start-up SubSox.de abkaufen. Höchstgebot:

10 Mio. Euro

5 Mio. Euro

1,5 Mio. Euro

Kapitel 1

Heute ist ein perfekter Tag! Und das nicht, weil ich von Sylvia ausnahmsweise einen heißen Latte macchiato mit Sojamilch bekommen habe, sondern weil ich perfekt darauf vorbereitet bin, das perfekte Geschäft abzuschließen. Gleich werde ich im Namen unserer Firma Cosmic Internet ein brandneues Start-up-Unternehmen kaufen und uns damit einen Millionengewinn einfahren.

Ich bin nicht nervös. Kein bisschen. Okay, ich gebe es zu, ich habe totales Lampenfieber, aber das ist nichts, was sich nicht mit einem inneren Omm beherrschen lassen würde. Ich runzle die Stirn und schneide meinem Spiegelbild eine Grimasse, bevor ich den Taschenspiegel zuklappe und in der Schreibtischschublade vergrabe.

Emil und Benjamin Rau sind zwei Brüder, die erst vor einigen Monaten angefangen haben, Socken zu verkaufen. Das klingt vielleicht banal, aber die besten Ideen sind meistens äußerst simpel. Erst neulich habe ich von Frank Epperson gelesen, der als Elfjähriger im Winter seine Limo auf der Terrasse vergessen hat. Am nächsten Tag hat er das erste Eis am Stiel entdeckt. Wenn das nicht babyleicht gewesen ist! Und das Start-up von den Rau-Brüdern könnte wirklich das neue Eis am Stiel werden.

Außerdem verkaufen die beiden Brüder nicht einfach bloß Socken – sie verkaufen über das Internet ein Socken-Abonnement! Die Idee ist so genial, dass mein Bauch kribbelt und meine Hände zu schwitzen anfangen. Als ich Daniel Herbst, meinem Chef, von dieser bahnbrechenden Idee erzählt habe, hat er sofort sein Jägerlächeln aufgesetzt. Das macht er nur dann, wenn ein Start-up besonders Erfolg versprechend ist.

»Erstens hassen Männer es, Socken einzukaufen«, habe ich behauptet. »Und zweitens haben ihre Socken fast immer Löcher. Gerade dann, wenn sie zu einem Geschäftsessen beim Japaner eingeladen sind.«

Daniel hat genickt. »Die Idee allein reicht aber nicht. Jeder Vollidiot hat eine Idee. Eine Idee zu haben, ist so, als würde man aus einem Traum aufwachen und sich noch mal auf die andere Seite rollen. Aufstehen«, hat er gesagt. »Auf das Aufstehen kommt es an! Können diese Jungs aufstehen?«

»Ganz bestimmt. Wenn wir ihnen dabei helfen.«

»Nun gut, aber keine Experimente! Du hast zehn Millionen zur Verfügung. Biete ihnen erst mal fünfhunderttausend als Venture-Capital an, um sie finanziell zu unterstützen. Und dann überzeuge sie davon, dass sie Schwachköpfe sind und das nötige Wachstum keinesfalls allein erreichen können. Wir sind hier bei der Formel 1 und nicht beim Golf, ist das klar?« Dann hat er mir auf die Schulter geklopft. Nicht so gönnerhaft wie sonst, sondern nur ein einziges Mal. »Leonie, du bist mein Prätorianer! Auf dich kann ich mich immer verlassen.«

Mein Herz macht noch in der Erinnerung an dieses Gespräch einen Satz. Wie ich es liebe, neuen Ideen Starthilfe zu geben und kreative Menschen zu fördern! Das ist fast so, als wäre man bei einer Geburt dabei. Der Geburt von etwas ganz Großem.

In dem Augenblick, in dem ich mein Büro verlasse und über den Gang marschiere, dröhnen Stimmen aus dem Konferenzraum, in denen ein Hilfeschrei mitschwingt: »Ich werde mit meinen Vorgesetzten Rücksprache halten. Eventuell können wir Ihnen ein special offer machen. Ich arbeite auf commission basis, unsere interests sind also perfekt aligned.«

Okay, das ist nicht nur ein Hilferuf, das schreit auch nach einem wasserfesten Edding für das Mitarbeiterplakat. Man versteht ja kaum ein Wort von dem, was Marc da schwadroniert.

Ich werfe einen Blick auf meine Uhr: 12.35 Uhr. Marcs Termin mit Gregor Effelsberg ist für halb eins angesetzt gewesen. Er hat also nur fünf Minuten gebraucht, um seinen Deal an die Wand zu fahren, dieser Anfänger!

Ich beobachte die Männer durch den aufgeschobenen Lamellenvorhang. Mein Kollege Marc hat jetzt schon einen roten Kopf und fasst sich mit den Händen an den Kragen, um die Krawatte zu lockern. Damit hat er quasi bereits das Handtuch geworfen. Effelsberg und seine beiden Partner haben sich in ihren Sitzen zurückgelehnt und lächeln müde. In der Capital habe ich einen Artikel darüber gelesen, wie er es geschafft hat, seine App für Sprachübersetzungen an die Spitze Europas zu katapultieren. Doch vor Kurzem hat er in einem Interview offenbart, dass er zurückschrauben möchte, um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Der perfekte Zeitpunkt für uns. Eigentlich. Wenn Marc jetzt keinen Fehler macht.

Während ich so tue, als würde ich einen Aushang an der Pinnwand lesen, beobachte ich Marc mit dem Gefühl, einem Autounfall zuzusehen. Wenn niemand einschreitet, dann können wir in ein paar Minuten nur noch die Scherben zusammenfegen, und ich werde das ganz sicher nicht tun, denn ich hasse es, zu putzen.

Schnell zücke ich mein Smartphone und tippe Effelsbergs Namen in die Suchleiste. Die einschlägigen Seiten von Wikipedia, Spiegel und dem Manager-Magazin schließe ich gleich aus und tippe einen Artikel der Online-Ausgabe der Reflex an: Manager aus Köln unterstützt Gehörlosenschule. Darunter ist ein Bild, auf dem ich Effelsberg erkenne. Ich vergrößere den Ausschnitt und kann nun auch die Unterschrift unter dem Foto lesen: Die Schüler freuen sich sichtlich über den Neubau der Sporthalle (v. l. n. r. Finn Schilling, Luisa Scherz, Tim Effelsberg und Annika-Eva Biebel).

Sieh an! Die Namensgleichheit kann ja wohl kein Zufall sein, Effelsberg hat offenbar ein gehörloses Kind! Meine Gedanken rasen. Hastig schiebe ich mein iPhone in die Tasche, als ich sehe, dass die Männer im Konferenzraum aufstehen.

Sie haben nicht einmal an ihrem Kaffee genippt – ich kann die dunkle Brühe noch in den Tassen schimmern sehen –, es ist also höchste Zeit, einzugreifen, wenn Cosmic Internet nicht einen empfindlichen Verlust hinnehmen soll. Doch ich bin Daniels Prätorianer! Ich werde das schaffen, auch wenn mir das Herz bis zum Hals schlägt.

Mit ausgebreiteten Armen fange ich an zu hecheln, um vorzutäuschen, dass ich den Gang heruntergerannt bin. Dann drücke ich die Klinke nach unten und stemme mich gegen die Tür. »Entschuldigen Sie meine Verspätung«, keuche ich, bevor ich mich an den Männern vorbeischlängele und mich demonstrativ auf einen der Sitze fallen lasse. Jeder im Raum starrt mich mit offenem Mund an, allen voran Marc, der aussieht, als müsse er sich vor Panik übergeben.

Ich winke mit meinem Handy und schiebe es über die Tischplatte. Ich muss improvisieren. Schnell! »Wir haben gerade die Zusage von der Entwicklungsabteilung bekommen, halleluja!«

Effelsberg sieht genervt aus, seine Mitarbeiter gelangweilt. Nur Marcs Gesicht ist ein einziges Fragezeichen.

»Kannst du mich kurz briefen?«

Immerhin stellt Marc sich nicht total doof, stelle ich erleichtert fest, bevor ich einen Schluck aus der Tasse vor mir nehme. Ich wünschte nur, er hätte seine Mimik besser im Griff. Der Kaffee schmeckt bitter, und ich verziehe angewidert das Gesicht.

»Leonie Schiller«, stelle ich mich kurz vor. »Dein Vorschlag hat die Jungs ganz schön auf Trab gehalten, aber sie werden es hinkriegen. Marc«, sage ich feierlich und kratze meine Gedanken fieberhaft zusammen. Jetzt bloß nicht nervös werden! »Das war eine grandiose Idee, die diese Sprach-App in Zukunft noch mehr aufwerten wird. Einmalig!« Mit einem Lächeln wende ich mich direkt an Effelsberg: »Nichts gegen die hervorragende Arbeit, die Sie mit dieser App bisher geleistet haben! Aber Erfolg ist doch nicht alles im Leben«, rede ich drauflos. »Wir tragen schließlich auch eine gesellschaftliche Verantwortung.«

Oje, was erzähle ich denn da? An Effelsbergs Blick sehe ich, dass ich wohl eine Spur zu dick aufgetragen habe. Er wirkt amüsiert. Aber das ist immer noch besser als genervt, und er zieht sich sogar einen Stuhl heran. »Dann lassen Sie mal hören«, sagt er. Seine beiden Mitarbeiter nehmen ebenfalls wieder Platz, nur Marc tritt auf der Stelle, als zerstampfe er Weintrauben in einem Fass.

»Würde es dir etwas ausmachen, mit mir in confidence zu sprechen, Leonie?«

Seine Frage wische ich mit einer Handbewegung beiseite. »Ich weiß, dass du erst damit herausrücken wolltest, wenn wir eine Betaversion unserer Programmierer vorstellen können. Aber ich finde, du solltest mit dieser Idee nicht hinter dem Berg halten. Herr Effelsberg, da sind wir doch sicher einer Meinung?« Meine Augenbrauen gehen auffordernd in die Höhe. Glücklicherweise sieht niemand, wie mir das Herz dabei in die Hose rutscht.

»Drücken Sie sich nicht so kryptisch aus«, lässt sich Effelsberg vernehmen. »Um was genau geht es bei dieser App-Erweiterung?«

»Ein neues, äh …«, Marcs Blick fliegt hastig zwischen uns hin und her, »… Feature. Das betrifft die, äh …«

»Sprachsteuerung«, platze ich dazwischen. Marc wirft mir einen dankbaren Blick zu, und ich spüre, wie die Absätze unter meinen Schuhen wachsen, obwohl ich sitze. Das ist der Moment, in dem alles kippen könnte. Der Moment, wenn man die Spitze des Berges erreicht hat und noch nicht weiß, ob man rückwärts hinunterpurzeln oder vorwärts bergab sausen wird. Ich liebe solche Momente!

»Marc ist als Einziger von uns auf den Haken in dieser Sprachsteuerung gestoßen, und davor kann ich nur meinen Hut ziehen. Der Haken ist, dass man natürlich sehr deutlich sprechen muss, um sie überhaupt bedienen zu können. Eine Sprachsteuerung soll die Bedienung vereinfachen. Sie, Herr Effelsberg, wollten mit Ihrer App die Verständigung revolutionieren, und das haben Sie geschafft. Mir fällt kein anderes Programm ein, das so simpel zu bedienen ist. Aber wenn man zum Beispiel von Geburt an gehörlos ist, ist das Programm nahezu unbrauchbar.«

Effelsbergs Mitarbeiter ziehen laut die Luft durch die Zähne ein, und Marc scheint einer Ohnmacht nah. Davon lasse ich mich aber nicht beirren. »Auch für gehörlose Menschen ist es schließlich nützlich, wenn sie nicht jedes einzelne Wort von Hand tippen müssen, deshalb hat sich unser Team überlegt, wie wir die Sprache optimal visualisieren können. Und umgekehrt. Die Idee dahinter ist, dass der Benutzer sich selbst filmt, während er die Gebärdensprache anwendet, und diese Gesten von der App erkannt und übersetzt werden.«

»Das klingt ja ganz interessant«, beginnt Effelsberg, und ich setze im nächsten Moment alles auf eine Karte.

»Ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen! Sie denken bestimmt, dass es sich dabei doch nur um eine Randgruppe handelt. Dass es sich nicht lohnt, in diesen Bereich der App-Entwicklung zu investieren, weil es viel zu wenig potenzielle Nutzer gibt. Und das genau ist der Grund, warum wir von Cosmic Internet Ihr Unternehmen übernehmen und weiterentwickeln wollen.«

»Ach tatsächlich?« Effelsberg beugt sich interessiert vor.

Jetzt habe ich ihn!

»Circa 0,1 Prozent der Weltbevölkerung ist gehörlos oder verfügt nur noch über ein geringes Resthörvermögen«, fahre ich fort. »Mag sich nach wenig anhören, aber das sind immerhin fast 80 Millionen Menschen. Fast so viele wie die Bevölkerung Deutschlands. Mit dieser Entwicklung werden wir eine Schneise durch den Dschungel schlagen.«

Ich gebe zu, mein Schlusssatz ist zu melodramatisch geraten, schließlich halte ich hier kein Plädoyer vor einem Schwurgericht, aber ich bin von meiner eigenen Idee selbst völlig begeistert. Hier geht es nicht nur um Geld, wir könnten wirklich etwas bewirken, wenn Effelsberg sich darauf einlässt. Im nächsten Moment greift Effelsberg über den Tisch und nimmt sich ein Plätzchen aus der Schale, die bereitsteht. Er kaut gedankenverloren.

Ich hoffe, Sylvia hat die guten eingekauft und nicht diese Dinkelplätzchen vom letzten Mal, von denen man eine Stauballergie bekommen konnte. Während Effelsberg also kaut, habe ich Zeit, durchzuatmen und dann meinen Körper wieder zu straffen, denn nur wer gerade sitzt, strahlt das nötige Selbstbewusstsein aus. Ich stelle mir vor, ein Medaillon zu tragen, das ich jedem präsentieren möchte, strecke die Brust raus und ziehe den Bauch ein. (Nicht, dass das nötig wäre, denn ich habe seit dem Frühstück noch nichts Richtiges gegessen.)

Effelsberg seufzt und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch. Marc zuckt zusammen, doch in mir baut sich eine freudige Erregung auf, die jedes Hungergefühl verdrängt: Effelsberg hat eine Entscheidung getroffen.

»Ich war noch nie ein Freund davon, lange um den heißen Brei herumzureden«, sagt er.

Marc fängt an zu haspeln. »S-selbstverständlich können Sie erst in Ruhe feedbacken. Wir werden dieses Feature dann einpriorisieren, wenn Sie damit einverstanden sind.«

Effelsberg schüttelt für einen kurzen Moment irritiert den Kopf. »Ich muss zugeben, dass ich mit geringen Erwartungen hierhergekommen bin. Ihr Angebot ist weder besser noch schlechter als das, was mir bisher untergekommen ist. Aber ich sehe das Potenzial in Ihren Ideen. Sie haben Visionen, die sich nicht nur am Profit orientieren. Visionen, die sich zu Innovationen mausern könnten.«

Ich halte mich zurück, um Effelsberg nicht von seinem positiven Monolog abzubringen. Leider meint Marc, er müsse noch etwas dazu beitragen, und macht eine ausladende Geste: »Innovation steht in unserer DNA!«, sagt er stolz.

Effelsbergs Stirn umwölkt sich, und mir wird klar, dass sich die Waagschale wieder in die falsche Richtung neigt.

Sag was, Leonie! Irgendwas Kluges. Oder mach einen Witz!

»Na ja.« Ich ziehe das Wort in die Länge, während meine Gedanken rasen. »Unsere DNA ist allerdings auch zu fünfzig Prozent identisch mit der von Bananen.«

Im ersten Moment bin ich selbst erschrocken über meinen Vergleich, dann sehe ich, wie die Männer breit grinsen.

»Nicht nur das«, sagt Effelsberg und nickt mir anerkennend zu. »Wir Menschen gleichen uns zu 99,5 Prozent. Leonie Schiller, ich habe den Eindruck, dass Sie Ihre 0,5 Prozent Individualität optimal genutzt haben.«

Ein heiseres Lachen dringt aus seiner Kehle, dann hält er mir die Hand hin. Als ich einschlage, zwinkert er doch tatsächlich.

»Sie haben gerade ein gutes Geschäft gemacht!«

Kapitel 2

Ich habe das Gefühl, zu fliegen. Nicht ich habe ein gutes Geschäft gemacht, sondern wir – Cosmic Internet. Wir werden Effelsbergs App noch weiter voranbringen und sie nun auch noch für Gehörlose nutzbar machen. Diese Aussicht beflügelt mich, und mit Appetit beiße ich in die Tortilla, die Sylvia mir eben mitgebracht hat, denn die habe ich mir nun mehr als verdient. Dabei schiele ich auf meine Smartwatch, die mir den Eingang einer SMS anzeigt:

Daniel Herbst:

Meeting abgesagt. Treffen uns um 19.00 Uhr im Raphaello.

Der Bissen bleibt mir im Hals stecken. Was ist denn da los? Wenn das Meeting abgesagt worden ist, weshalb treffen wir uns dann trotzdem im Restaurant wie vereinbart? Will er etwas ganz allein mit mir besprechen? Eigentlich kann diese Verabredung nur eines bedeuten: Er hat endlich einen Managerposten für mich!

Bei diesem Gedanken fängt mein Herz an zu trommeln. Ist heute der Tag, an dem sich die Weichen für mein zukünftiges Leben stellen? Der Tag, an dem ich meiner Mutter endlich verkünden kann, dass ich einen Erfolgsweg eingeschlagen habe, genau wie sie? Auf jeden Fall werde ich mich am Abend nicht vorher umziehen, sondern in meinem Businessoutfit aufkreuzen. Wie peinlich, wenn ich mich für ein Date aufbrezeln würde und Herbst mir eigentlich nur einen Stapel Unterlagen übergeben will.

Ich sehe an mir herunter und kann nichts entdecken, was darauf hinweisen könnte, dass ich eben auf dem Damenklo ganz heimlich einen Schokoriegel in mich reingestopft habe. Dieser winzige Fleck von der Karamellsoße ist vollständig in den Bundfalten meiner Hosen verschwunden. Trotzdem schiebe ich meine Bluse noch etwas tiefer. Nur zur Sicherheit.

Das Einzige, was mir nun noch zu meinem Glück fehlt, ist die Zusage der beiden Rau-Brüder, wobei es sich aber nur noch um Minuten handeln kann. Heute Abend, wenn ich Daniel im absoluten In-Restaurant namens Raphaello treffe, werde ich als seine erfolgreichste Mitarbeiterin auftreten und es ihm so leicht wie nur irgend möglich machen, mich zu befördern.

Auf diesen Moment habe ich Jahre hingearbeitet! Jahre, in denen ich ziemlich viel Energie dareingesteckt habe, mich möglichst umfassend zu bilden. Selbst zu optimieren, wie meine Mutter immer sagt. Also habe ich alle wichtigen Klassiker gelesen, um bei Dinnerveranstaltungen mitreden zu können. (Wenn ich ehrlich bin, aber nur die Erläuterungen. Und auch die nur von den Büchern, die auf einer dieser Listen stehen. Sie wissen schon: 100 Bücher, die Sie gelesen haben müssen, bevor Sie sterben oder so ähnlich.) Und ich lese regelmäßig alle wichtigen Magazine und Businesszeitschriften im Abo. Ich sehe mir im Fernsehen die Zusammenfassung der Bundesligaspiele an, obwohl ich sie ehrlich gesagt todlangweilig finde. Aber meine Mutter hat mir schon als Grundschulkind eingebläut, dass man sich mit Männerthemen beschäftigen muss, wenn man in der Männerwelt erfolgreich sein will. Jeden Morgen jogge ich eine Runde am Rhein, damit ich mir auch noch mit achtzig die Schuhe selbst zubinden kann, und ich habe schon seit Jahren kein totes Tier mehr gegessen. (Es zählt doch bestimmt nicht, dass ich heimlich von Currywurst träume, oder? Ich meine, ich esse sie dabei ja nicht wirklich.) Und ich trage schicke Kostüme aus Bioware, für die kein Kind arbeiten musste.

Ich bin nicht bloß Leonie Schiller, ich bin Leonie Schiller 2.0!

Die Vorfreude auf heute Abend lässt mich erbeben. Vor allem aber auch die Aussicht auf das Essen, denn diese Tortilla ist einfach grauenvoll. Der Weizenfladen schmeckt pappig und taugt allenfalls zum Fensterputzen, die Füllung riecht nach Konserve wie das Nachmittagsprogramm auf RTL. Angewidert lasse ich die Tortilla auf den dünnen Fetzen fallen, der sich Serviette nennt, und nehme einen großen Schluck aus der Wasserflasche, die ich immer in meiner Handtasche dabeihabe. Cosmic Internet ist weithin bekannt für seine Gesundheitsphilosophie, und im Süßigkeitenautomaten auf dem Flur gibt es nicht mal ein Snickers, sondern nur Ökoriegel aus Fruchtmark.

13.15 Uhr – auf meiner Smartwatch leuchtet der nächste Termin auf. Noch fünfzehn Minuten, bis die beiden Rau-Brüder eintreffen, vielleicht kommen sie auch schon etwas früher, schließlich geht es heute für sie um ein ziemlich hohes Darlehen. Ich klappe meinen Laptopdeckel auf, und das Hintergrundbild zeigt mir das Firmenzitat des Tages:

Der beste Weg, erfolgreich zu sein, ist, jeden Tag hart daran zu arbeiten.

Ich verdrehe die Augen. Als ob ich nicht jeden einzelnen Tag der vergangenen zwei Jahre hart gearbeitet hätte!

Was jedoch die Rau-Brüder betrifft – das wird ein leichter Job, da kann gar nichts mehr schiefgehen. Man muss schließlich die Ziele seiner Gegner, äh, Geschäftspartner kennen, und ich habe wirklich jeden Winkel des Internets nach ihnen durchforstet und bin bestens vorbereitet. Ich weiß so gut wie alles, was für unsere Verhandlungen relevant ist:

Der jüngere der beiden Brüder ist eine Sportskanone. Benjamin Rau hat nämlich im letzten Jahr beim Marathonrudern auf dem Rhein den Titel geholt und postet beinahe täglich auf Facebook und Instagram irgendwelche Fotos von Schachpartien, die er gewonnen hat. Außerdem hat er mehrere Patente angemeldet, schreibt Gedichte auf kleine bunte Zettel und faltet anschließend Kraniche daraus. Er ist Mitglied bei MindD – demnach muss sein IQ über 130 liegen – und scheint überhaupt das Hirn in dieser brüderlichen Geschäftsbeziehung zu sein, denn Emil …

Also sein Bruder Emil ist da schon eine härtere Nuss. Ihn zu knacken hat mich etliche Tage gekostet, in denen ich seine Daten gegoogelt habe oder mit seinem Twitter-Profilbild auf die Suche gegangen bin. Emil hat seit über einem Jahr seine verschiedenen Social-Media-Accounts nicht benutzt, aber ich weiß jetzt, dass er in der Schule Handball gespielt hat und an Karneval mit einer David-Hasselhoff-Perücke aufgetreten ist. Sein uraltes Twitter-Profilbild hat er außerdem noch auf Xing und soul-surfers.de hochgeladen, einer Gemeinschaft zum Thema Wellenreiten. Auf einem Foto in der Timeline seines Bruders ist er mit einem Bier in der Hand und einem labberigen weißen T-Shirt zu sehen, auf dem steht:

Ich bin eine Granate am Grill.

Und auf Spotify hat er Musiklisten abonniert, die Namen tragen wie Chill-out Lounge, Sonntags Chill-out, Total stressfrei oder Relaxing Summer.

Er ist also das absolute Gegenteil von seinem jüngeren Bruder und ebenso von mir, denn meine Lieblingsplaylist heißt Rush Hour. Außerdem habe ich das letzte Mal als Kind gegrillt oder Urlaub gemacht, denn wer braucht schon Urlaub, wenn er einen Job hat, den er liebt? Und surfen war ich noch nie. Wie kann man bitte auch Spaß daran haben, auf einem dämlichen Brett im Wasser zu stehen?

In meinem Kopf ertönt bei diesen Gedanken der Jingle aus einer alten Fernsehshow:

So, liebe Leonie, wer soll nun Dein Herzblatt sein? Kandidat 1: Die hochbegabte Sportskanone, die Kraniche faltet und Dich jederzeit schachmatt setzen kann? Oder doch lieber Kandidat 2: Der stressfreie Surfer, der mit einer David-Hasselhoff-Perücke am Grill Fleisch brutzelt?

Angewidert verziehe ich das Gesicht. Ich muss kein Psychologe sein, um aus diesen Informationen herauszulesen, dass ich Emil komplett vernachlässigen kann, was unsere Verhandlungen betrifft. Wahrscheinlich hat ihn sein Bruder Benjamin überhaupt nur aus Mitleid bei diesem Start-up mitmachen lassen, damit er auch einmal im Leben etwas auf die Reihe kriegt. Ich werde mich also an Benjamin halten. Bei einem IQ über 130 wird er wohl so clever sein, zu begreifen, dass sie ihr Start-up besser, so schnell es geht, an uns verkaufen, bevor das Unternehmen den Bach runtergeht. Und mit einem Typen wie Emil an der Seite kann das Ganze nur den Bach runtergehen. Denn mal ehrlich: Chill-out Lounge? Was ist das schon für eine Lebenseinstellung?

Meine Smartwatch vibriert und bemäkelt, dass ich seit mehr als 20 Minuten nicht aufgestanden bin. Mein Tagesziel liegt bei 10 000 Schritten, und trotz kleiner Joggingrunde habe ich heute erst 6356 erreicht, deshalb stehe ich auf und beginne, um den Tisch zu tigern. Das mache ich fünf Minuten lang – dabei diktiere ich über die Sprachsteuerung meines iPhones Nachrichten, denn ich bin ein Fan von Multitasking. Mit einer Hand essen und mit der anderen Hand E-Mails tippen – kein Problem! Mit den Füßen auf dem Massagegestell unter meinem Tisch die Reflexzonen bearbeiten und gleichzeitig auf dem Laptop eine neue Finanzkalkulation erstellen – nichts leichter als das! Meiner Assistentin Sylvia einen Auftrag erteilen und währenddessen auf der anderen Leitung mit den Leuten aus der Entwicklungsabteilung in einen kollegialen Dialog treten – gebongt!

Als habe sie gespürt, dass ich gerade an sie denke, platzt Sylvia herein. »Dein Halb-zwei-Termin ist da.« Sie bleibt in der Tür stehen und sieht konsterniert zu, wie ich meine Runde um den Tisch beende.

»Kann ich die beiden hereinrufen, oder brauchst du noch ein paar Minuten?« An ihrer Miene lässt sich ablesen, dass sie ein paar Minuten nicht für ausreichend hält, sie kennt mein Lampenfieber. Aber ich bin voll da, ehrlich. Nur dieses nervöse Flattern in der Magengegend lässt mich kurz innehalten.

Neugierig schiele ich an Sylvia vorbei, kann aber auf dem Flur niemanden entdecken. »Sie sind zu früh«, erkläre ich ihr. »Lass sie keinesfalls vor halb zwei herein, okay? Lieber ein paar Minuten später.«

Sylvia nickt, dabei runzelt sich ihre Stirn. Allerdings trägt sie ihren Pferdeschwanz so straff gespannt, dass ich mich wundere, wie sie das überhaupt hinbekommt. Mit einem Seufzen zieht sie die Tür hinter sich zu.

Noch fünf Minuten. Zeit genug, um schnell noch zwei Mails zu beantworten und dann meine »Victory«-Pose einzunehmen. Ich brauche diesen Moment, um meine Körperhaltung optimal auf meine Stimmung einwirken zu lassen: Ich reiße die Arme in V-Haltung in die Luft und recke das Kinn nach oben. Dann springe ich mehrmals hintereinander in die Luft, als hätte ich gerade einen Wettkampf hinter mich gebracht und wäre durch das Zielband gelaufen. Das erhöht meinen Testosteronspiegel und macht mich überzeugender, wie ich in der Studie einer US-amerikanischen Sozialpsychologin gelesen habe. Zu guter Letzt ziehe ich die Schreibtischschublade auf und hole ein Paar Essstäbchen heraus, das ich dort seit Monaten aufbewahre, und klemme es mir zwischen die Zähne. Damit aktiviere ich alle Muskeln, die auch bei einem Lächeln beansprucht werden, was meine Stimmung heben soll. (Obwohl das gar nicht nötig ist, ich bin auch so schon in einer absoluten Hochstimmung. Ich meine, kann ein Tag noch besser laufen als dieser?)

Mit den Stäbchen im Mund drehe ich mich zum Fenster und genieße den Blick auf den Rheinauhafen. Siegesgewiss balle ich meine Hände zu Fäusten, da geht hinter mir die Tür auf. Auf meiner Smartwatch steht: 13.29 Uhr, und verärgert fahre ich herum.

In der Tür stehen zwei Männer in Jeans, beide identisch groß, der eine steif wie ein Besenstiel, der andere hat lässig die Hände in den Hosentaschen vergraben. Hektisch zerre ich mir die Stäbchen zwischen den Zähnen hervor und schaffe es gerade noch, mein eben erstarrtes Lächeln zu entspannen.

Sylvia taucht hinter den beiden auf und hebt eine Hand. »Emil und Benjamin Rau«, stellt sie vor und grinst breit. »Sie können leider nicht länger warten, weil sie gleich noch zu einem weiteren Termin müssen, deshalb …« Den Rest des Satzes lässt sie unbeendet, und mir fließt nur langsam wieder das Blut ins Gesicht, dafür allerdings gleich in doppelter Menge.

»Kein Problem, Sylvia. Kommen Sie herein und nehmen Sie Platz«, wende ich mich an die beiden Jungunternehmer. »Herzlich willkommen bei Cosmic Internet! Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ein Wasser, einen Latte macchiato mit Sojamilch oder einen grünen Tee?«

Benjamin, den ich von seinen Fotos auf Facebook sofort erkenne, steht immer noch zur Salzsäule erstarrt im Türrahmen, sein Bruder Emil aber schleicht sich wie ein Panther an ihm vorbei. Seine Jeans ist an den Knien abgewetzt und sieht ein bisschen so aus, als würde sie riechen. Darüber trägt er eines dieser idiotischen T-Shirts, auf denen sich pubertäre Jungs in den Dreißigern ihre Lebensmottos drucken lassen. Seines ist hellblau und hat die gelbe Aufschrift ›Einen Scheiß muss ich!‹.

»Bloß keinen Tee«, sagt Emil, »wenn Sie nicht wollen, dass ich Ihnen das Büro vollkotze. Eine stinknormale Coke wäre super.«

Kapitel 3

Okay, ich gebe zu, der Auftakt zu unserem Gespräch ist das Erste an diesem Tag, was nicht perfekt gelaufen ist. Es fängt schon damit an, dass wir bei Cosmic Internet keine Cola anbieten. Cola ist so was von ungesund und chemisch – unsere Firmenleitung würde vermutlich einen Ausschlag bekommen, sollte ihr auch nur das Etikett dieses Gebräus ins Auge fallen. Ich seufze. Vermutlich werde ich heute Nacht nicht nur von Currywurst, sondern auch noch von einer eiskalten Cola träumen. (Nicht die Light-Variante!)

Nach diesem ersten Problem, das Emil noch mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nimmt, geht es jedoch auch nicht optimal weiter. Aus irgendeinem idiotischen Grund meint Benjamin, er könne die Verhandlungen ausschließlich seinem eher minderbegabten Bruder überlassen, und hockt in seltsam starrer Haltung auf dem Stuhl, einen Notizblock auf den Knien balancierend. Die ganze Zeit kritzelt er etwas, von dem ich vermute, dass es Stichpunkte zu den Fakten sind, die ich im Gespräch fallen lasse.

Beide Brüder haben denselben dunkelbraunen Wuschelkopf, doch alles, was bei Benjamin schmal, dünn und steif wirkt, gibt es bei seinem Bruder in einer breiteren, männlicheren und viel zu lässigen Ausführung. Emil ist auf dem Sitz nach vorn gerutscht und hat einen Körperwinkel eingenommen, der ziemlich nah an die 127 Grad kommt, die Jugendliche einnehmen, wenn sie schlaff vor ihrer Playstation hängen und bei Call of Duty ein paar Menschen abballern. Überhaupt habe ich das Gefühl, Emil ist nicht ganz bei der Sache. Ich sollte ihn dringend mal wachrütteln!

»Wir sind also bereit, ein Kapital von 500 000 Euro in Ihr vielversprechendes Start-up zu investieren«, sage ich zum Wachwerden. »Was sagen Sie dazu?«

Emil sagt erst einmal nichts, und ich frage mich zum wiederholten Male, warum er sich für dieses Gespräch nichts Anständiges angezogen hat. Ganz offensichtlich hat er keine Mutter wie ich, die ihn sein Leben lang mit dem Slogan ›Kleider machen Leute‹ getriezt hat. Wie soll man denn jemanden ernst nehmen, der rumläuft, als käme er gerade aus dem Biergarten? Im Augenblick verschränkt er die Arme vor der Brust, so dass mir der Anblick des Spruchs erspart bleibt.

»T-Venture hat uns bereits eine Million angeboten.« Emil gähnt und wirft mir einen müden Blick durch halb geschlossene Lider zu. Ich glaube, seine Augen sind genauso blau wie das T-Shirt, das garantiert arme Waisenkinder in Kalkutta färben mussten, kann es aber nicht mit Bestimmtheit sagen.

»Oh«, mache ich und tue überrascht. »Da sollten Sie unbedingt zuschlagen. Dieses Angebot ist ja kaum zu überbieten. Erstaunlich, dass T-Venture da Interesse hat. Normalerweise investieren sie nur in Neugründungen, bei denen es sich um Produkte der Kommunikation handelt. Und bei SubSox. de verkaufen Sie doch Socken, oder haben Sie neuerdings ein Datenerfassungssystem, von dem ich noch nichts weiß?«

»Als ob.«

Seine lakonische Art irritiert mich. Was will er mir damit sagen? Dass ich unrecht habe? Dass ich etwas Offensichtliches festgestellt habe, was nicht der Rede wert ist? Unauffällig presse ich beide Handflächen von unten gegen die Tischplatte. Bei meinem letzten Frisörbesuch habe ich in der Brigitte gelesen, mein archaisch programmiertes Gehirn würde dies als Willkommensgeste erkennen und mich positiv stimmen. Doch irgendwie hilft es mir nicht, egal, wie fest ich drücke, ich verspüre eher das Bedürfnis, diesem Esel von einem Emil die Tischplatte vor die Stirn zu knallen.

Benjamin reißt in diesem Moment den obersten Zettel seines Blocks ab und faltet ihn in der Mitte zusammen. Während ich noch überlege, wie ich eine Überleitung zu unserem echten Angebot schaffen kann, falzt und knetet Benjamin munter drauflos. Nach wenigen Sekunden stellt er einen Papierkranich vor mir auf den Tisch. Auf seinem jugendlichen Gesicht, das im Gegensatz zu Emils glatt rasiert ist, bildet sich ein zaghaftes Lächeln. »812«, sagt er und fängt wieder an zu kritzeln. »Jetzt fehlen mir nur noch 188.«

Verblüfft starre ich auf das Gebilde. »Das … haben Sie, äh, fein gemacht«, lobe ich ihn wie ein Kindergartenkind.

Kaum habe ich das gesagt, setzt sich sein Bruder kerzengerade auf. In Emils Augen funkelt es, und ich bin mir nicht sicher, ob es sich dabei um ein gefährliches Glitzern handelt, weil ich seinen Bruder eventuell beleidigt habe.

»Ich meine, das war ziemlich schnell«, füge ich hastig hinzu, um zu überspielen, wie bescheuert ich es finde, dass ein erwachsener Mann bastelt. Erst recht bei einem Gespräch, bei dem es um die Zukunft ihres Start-ups geht. Ist den beiden denn der Ernst ihrer Lage gar nicht bewusst?

Jetzt grinst Benjamin breit. »Ich schaffe einen Kranich in vierunddreißig Sekunden, das macht 6392  Sekunden, bis ich die 1000  voll habe. Also eine Stunde und sechsundvierzig Minuten, wenn ich keine Pause einlege. Aber das wäre zu einfach, deshalb schreibe ich auf jeden Kranich ein Gedicht.«

»Was für ein Gedicht?« Es interessiert mich ehrlich gesagt nicht die Bohne, außerdem habe ich davon ja bereits auf seinem Facebookprofil gelesen, trotzdem kann es nicht schaden, etwas Interesse zu heucheln und ihn zum Reden zu animieren.

»Ein Haiku. Drei Zeilen mit durchschnittlich 17 Silben. Wollen Sie hören, was auf diesem steht?« Er nickt mit dem Kinn zu dem Papiervogel auf meinem Schreibtisch, und ich überlege, ob Benjamin Rau vielleicht Asperger-Autist ist.

»Und wie sie das hören will«, mischt sich Emil ein. »Ich wette, sie ist total scharf auf Haikus.« Während sich Emils Mund zu einem süffisanten Grinsen verzieht, gehen seine Augenbrauen steil nach oben und verleihen ihm einen diabolischen Ausdruck.

»Wirklich?« Benjamin sieht einfach nur glücklich aus, sein Gesicht strahlt wie eine Lampe, und ich unterdrücke den Impuls, seinem Bruder einen bösen Blick zuzuwerfen. Dieser Emil macht sich ganz offensichtlich über mich lustig. Irgendwo zwischen der Begrüßung und meinem Einstiegsdialog habe ich offenbar jegliche Kompetenz und Professionalität verloren. Ich muss aber auch sagen, dass ich bisher immer mit Gründern zu tun hatte, die keine Neandertaler gewesen sind.

Fieberhaft überlege ich, wie ich mir den Respekt zurückerobern kann, wir sind hier schließlich auf meinem Terrain! Das ist mein Büro, meine Firma, mein Investitionsangebot. Doch irgendwo habe ich die falsche Abzweigung genommen, und jetzt wird es ziemlich schwierig, wieder auf Spur zu kommen.

»Vielleicht später«, sage ich. »Wenn wir alles Geschäftliche besprochen haben, können Sie mir bei einem Tee gerne Ihre Haikus vorlesen.«

»Mein Bruder trinkt auch keinen Tee«, sagt Emil.

Dieser Blödmann! Kann er nicht einfach mal die Klappe halten? »Dann vielleicht bei einem stinknormalen Kaffee«, presse ich durch zusammengebissene Zähne und spüre, dass ich mehr und mehr die Kontrolle verliere.

»Fair Trade?«

»Selbstverständlich«, platze ich heraus und ärgere mich im gleichen Augenblick, denn das war offensichtlich keine ernst gemeinte Frage. Tief durchatmen, Leonie! Im Stillen zähle ich bis zehn und lasse meinen Atem fließen. Ich richte meinen Oberkörper auf und denke krampfhaft an das imaginäre Medaillon, dass ich trage und präsentieren möchte, aber ich kann es nicht spüren. Da ist kein Medaillon, da ist nur ein enormer Druck, der auf meinem Brustkorb lastet. Es ist nicht das erste Mal, dass ich einen solchen Druck spüre, schließlich sind wir hier bei der Formel 1, nicht wahr? Aber es ist das erste Mal, dass ich befürchte, gleich in eine Papiertüte schnaufen zu müssen. Außerdem vibriert mein Handgelenk ständig. Im Augenwinkel nehme ich die verschiedenen SMS-Nachrichten wahr, die eintrudeln:

Marc Krings: Hast du das neue Venture schon gelauncht?

Daniel Herbst: Der Champagner steht schon bereit.

Sylvia: Habe deine Blusen aus der Reinigung geholt. Gelber Fleck ist noch da.

Hastig tippe ich eine Antwort an meinen Chef: Gib mir noch zehn Minuten.

Bin ich irre? Zehn Minuten, um diesen bockigen Emil zu einer Unterschrift oder zumindest zu einem Handschlag zu bewegen? Ich sehe schwarz, aber das darf ich mir auf keinen Fall anmerken lassen. Ich strecke meinen Oberkörper und setze ein nachsichtiges Lächeln auf.

»Sprechen wir offen miteinander, Herr Rau«, beginne ich und lege die Fingerspitzen aneinander, damit Emil meine superteure Apple Watch sehen kann – ein Symbol für meinen Erfolg, das ich mir erst vor zwei Monaten zugelegt habe. Das Armband schlingt sich zweimal äußerst elegant um mein Handgelenk. Ich kann beobachten, wie Emils Blick daran hängen bleibt, und spüre mein Herz schneller pochen. Jetzt zeige ich ihm, bei welchem Spiel wir hier wirklich sind. Einem Spiel für Erwachsene, nicht für Surfer in Hängemattenpose! Einem Spiel mit den Regeln von Leonie Schiller 2.0!

»Wir halten Ihr Start-up für sehr vielversprechend, wie Sie wissen. Sie und Ihr Bruder haben gezeigt, dass Sie nicht nur Ideen haben, sondern auch aufstehen können, um diese Ideen weiterzuentwickeln. SubSox hat das Potenzial, zu den ganz großen Unternehmen aufzusteigen, wenn man es richtig anpackt.«

»Und Sie wollen uns mit 500 000 abspeisen, weil Sie uns das nicht zutrauen?« Emil beugt sich vor, und mir fällt sofort wieder der Spruch auf seinem T-Shirt ins Auge. Sein Bruder hört nicht einmal hin und kritzelt nur wie verrückt Zettelchen voll.

»Ganz im Gegenteil!«, flunkere ich. »Wir trauen Ihnen zu, mit einer Investition von 500 000 Euro SubSox noch weiter voranzubringen, aber wir befürchten, dass Ihnen die Puste ausgehen könnte.« So, nun ist es heraus, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich muss ihn davon überzeugen, dass er eine Niete ist. Also keine totale Niete, aber dass er nicht den Biss hat, es bis ganz nach oben zu schaffen.

»Sie denken zu klein«, fahre ich fort. »Sie müssen groß denken, angriffslustig sein. Es kommt nicht darauf an, als Erster auf eine tolle Idee zu kommen, sondern darauf, sein Unternehmen aggressiv voranzutreiben. Wie viele Mitarbeiter haben Sie aktuell?«

Emil verschränkt erneut die Arme vor der Brust und lehnt sich zurück. »Zwei. Meinen Bruder und mich mitgerechnet.«

»Sie sind nur zu zweit?« Das Entsetzen muss mir förmlich aus dem Gesicht springen, denn meine Haut spannt unangenehm. Eventuell liegt es aber auch daran, dass ich bis auf den Latte macchiato heute kaum etwas getrunken habe.

»Wir zwei sind die einzigen vier Mitarbeiter von SubSox.«

Was für ein Angeber!, denke ich. Als ob er mit dieser 127-Grad-Haltung für zwei arbeiten könnte!

»Sehen Sie, das Ganze entwickelt sich zu träge! Damit gehören Sie immer noch zu den 84 Prozent aller Start-ups, die weniger als fünfundzwanzig Mitarbeiter haben. Und wissen Sie, dass beinahe alle Internet-Domains mit dem Namen Sub-Sox noch frei verkäuflich sind? Ganz offensichtlich haben Sie noch nicht einmal daran gedacht, dass SubSox seine Produkte auch ins Ausland verkaufen könnte. SubSox.com, SubSox.ch, SubSox.at, SubSox.fr, SubSox.it, SubSox.uk – das sind Adressen, die Sie sich gleich zu Beginn hätten sichern müssen. Was wollen Sie tun, wenn jemand anders diese Domains kauft? Ihr Unternehmen umbenennen, in das Sie bis dahin bereits Hunderttausende an Marketing investiert haben?«

Unter seinem Dreitagebart wird Emil blass. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er meine Argumente einsieht oder ob er schlicht wütend wird.

In diesem Augenblick reißt Benjamin den nächsten Zettel vom Block. Das Geräusch lässt mich zusammenzucken. Er hält seinem Bruder den Wisch vor die Nase. Dummerweise kann ich nicht erkennen, was daraufsteht, aber es muss ein Haiku sein, das Emil nicht gefällt, denn dessen Gesicht entspannt sich keineswegs. Mit einer Grimasse verlagert er sein Gewicht und sitzt nun breitbeinig vor mir.