Furcht - Bob Woodward - E-Book

Furcht E-Book

Bob Woodward

4,3
12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Bob Woodward, die Ikone des investigativen Journalismus in den USA, hat alle amerikanischen Präsidenten aus nächster Nähe beobachtet. Nun nimmt er sich den derzeitigen Präsidenten vor und enthüllt den erschütternden Zustand des Weißen Hauses unter Donald Trump. Woodward beschreibt, wie dieser Präsident Entscheidungen trifft, er berichtet von eskalierenden Debatten im Oval Office und in der Air Force One, dem volatilen Charakter Trumps und dessen Obsessionen und Komplexen. Woodwards Buch ist ein Dokument der Zeitgeschichte: Hunderte Stunden von Interviews mit direkt Beteiligten, Gesprächsprotokolle, Tagebücher, Notizen – auch von Trump selbst – bieten einen dramatischen Einblick in die Machtzentrale der westlichen Welt, in der vor allem eines herrscht: Furcht. Woodward ist das Porträt eines amtierenden amerikanischen Präsidenten gelungen, das es in dieser Genauigkeit noch nicht gegeben hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
4,3 (14 Bewertungen)
8
2
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bob Woodward

Furcht

Trump im Weißen Haus

Aus dem Englischen von Sylvia Bieker, Pieke Biermann, Gisela Fichtl, Thomas Gunkel, Stephan Kleiner, Hainer Kober, Monika Köpfer, Elisabeth Liebl, Stefanie Römer, Karl Heinz Siber, Karsten Singelmann, Peter Torberg, Henriette Zeltner

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Bob Woodward, die Ikone des investigativen Journalismus in den USA, hat alle amerikanischen Präsidenten aus nächster Nähe beobachtet. Nun nimmt er sich den derzeitigen Präsidenten vor und enthüllt den erschütternden Zustand des Weißen Hauses unter Donald Trump.

Woodward beschreibt, wie dieser Präsident Entscheidungen trifft, er berichtet von eskalierenden Debatten im Oval Office und in der Air Force One, dem volatilen Charakter Trumps und dessen Obsessionen und Komplexen. Woodwards Buch ist ein Dokument der Zeitgeschichte: Hunderte Stunden von Interviews mit direkt Beteiligten, Gesprächsprotokolle, Tagebücher, Notizen – auch von Trump selbst – bieten einen dramatischen Einblick in die Machtzentrale der westlichen Welt, in der vor allem eines herrscht: Furcht.

 

Woodward ist das Porträt eines amtierenden amerikanischen Präsidenten gelungen, das es in dieser Genauigkeit noch nicht gegeben hat.

Über Bob Woodward

Bob Woodward ist Leitender Redakteur der «Washington Post», für die er seit 47 Jahren arbeitet. Er war beteiligt an zwei Pulitzer-Preisen, der erste mit Carl Bernstein für die Berichterstattung der «Post» zum Watergate-Skandal, der zweite 2003 als Chefreporter nach den Terroranschlägen von 9/11. «Furcht» ist Woodwards 19. Buch seit «Die Watergate-Affäre», jedes dieser 18 Bücher, die er geschrieben oder mitverfasst hat, war ein Sachbuch-Bestseller. Zwölf standen an Nummer eins der amerikanischen Bestsellerliste.

Für Elsa

Persönliche Danknotiz des Autors

Ganz herzlichen Dank an Evelyn M. Duffy, meine Assistentin bei fünf Büchern über vier Präsidenten. Präsident Trump erweist sich als besonders vertrackter Fall, nicht zuletzt wegen der Emotionen, die er bei Anhängern und Kritikern auslöst. Evelyn verstand sofort, dass die Herausforderung darin lag, an neue Informationen zu gelangen, sie zu verifizieren, miteinander in Beziehung zu setzen und zugleich die Sonde des Reporters so tief wie möglich ins Weiße Haus einzuführen.

Evelyn erkannte, dass hier Geschichte geschrieben wird und wir so viel wie möglich schnellstens zu fassen bekommen mussten, solange die Erinnerungen noch frisch, die Arbeitsakten und Notizen noch greifbar waren. Es kam vor, dass wir innerhalb von einem oder zwei Tagen Recherchen und Interviews zu außenpolitischen Themen machten, von Nordkorea über Afghanistan bis zu Nahost, und mit der anderen Hand transkribierten und Textabschnitte für dieses Buch überarbeiteten, gleichzeitig mit dem ganzen Spektrum der innenpolitischen Themen wie Wirtschaft, Einwanderung und Steuern.

Dank Evelyn konnten wir das Buch aus konkreten Szenen mit konkreten Orts- und Zeitangaben zusammenbauen, mit namentlich genannten Beteiligten und Schilderungen realer Vorgänge. Bei alledem hat sie sich ein bemerkenswertes Arbeitsethos bewahrt, gepaart mit Gerechtigkeitsgefühl, Neugier und Aufrichtigkeit. Außer mit dicken Stapeln von Recherchematerial, Hintergrundwissen, Zeittafeln, Zeitungsausschnitten, versorgte sie mich mit eigenen Erkenntnissen und immer wieder Listen wichtiger unbeantworteter Fragen und noch zu führender Interviews.

Evelyn hat ihren unerschöpflichen Menschenverstand und ihre Weisheit eingebracht; ihr Beitrag zu diesem Buch ist der einer erstrangigen Kollegin, geleistet im Geist – und mit dem Engagement und Arbeitspensum – einer Mit-Autorin.

«Wirkliche Macht ist – ich möchte dieses Wort eigentlich gar nicht benutzen – Furcht.»

Präsidentschaftsbewerber Donald J. Trump in einem Interview mit Bob Woodward und Robert Costa am 31. März 2016 im Old Post Office Pavillon des Trump International Hotels in Washington, D.C.

Mitteilung an die Leser

Die Interviews für dieses Buch wurden nach dem journalistischen Grundsatz «unter zwei» geführt. Damit ist gemeint, dass alles, was ich dabei erfuhr, verwendet werden durfte, jedoch ohne Kenntlichmachung der Person, von der ich es hatte. Das Buch ist ein Extrakt aus Hunderten von Stunden an Interviews mit Leuten, die die geschilderten Vorgänge selbst mitgestaltet und miterlebt haben. Fast alle gestatteten mir, unsere Interviews auf Tonträger aufzunehmen, um mir eine präzisere Nacherzählung des Geschehens zu ermöglichen. Wörtliche Zitate, Gedankengänge oder Schlussfolgerungen stammen von der zitierten Person, von einem unmittelbar beteiligten und daher kundigen Kollegen oder aus Protokollnotizen, Tagebüchern, Akten sowie aus amtlichen oder persönlichen Dokumenten.

Präsident Trump lehnte es ab, für dieses Buch interviewt zu werden.

Prolog

Anfang September 2017, im achten Monat der Präsidentschaft Donald Trumps, pirschte sich Gary Cohn, ehemaliger Präsident von Goldman Sachs und als Chef des Nationalen Wirtschaftsrats inzwischen der ranghöchste Wirtschaftsberater des US-Präsidenten, vorsichtig an den Resolute Desk, den großen Schreibtisch des Präsidenten im Oval Office des Weißen Hauses, heran.

In seinen siebenundzwanzig Jahren bei Goldman Sachs hatte Cohn – fast eins neunzig, kahlköpfig, schnodderig und berstend vor Selbstbewusstsein – Milliarden für seine Kunden und Hunderte Millionen für sich erwirtschaftet. Er hatte sich selbst das Privileg erteilt, jederzeit Trumps Oval Office betreten zu können, und der Präsident hatte das akzeptiert.

Auf dem Tisch lag der Entwurf eines nur eine Seite umfassenden Briefes des US-Präsidenten an den Präsidenten von Südkorea mit der Aufkündigung des Freihandelsabkommens zwischen den beiden Ländern, genannt KORUS.

Cohn war entsetzt. Seit Monaten drohte Trump mit der Kündigung dieses Abkommens, das eine der Grundfesten einer wirtschaftlichen Partnerschaft, eines militärischen Bündnisses und, wichtiger noch, einer Zusammenarbeit bei hochgeheimen nachrichtendienstlichen Operationen und Kapazitäten bildete.

Gemäß einem in den 1950er Jahren geschlossenen Vertrag stationierten die Vereinigten Staaten 28500 Soldaten in Südkorea und installierten dort unter höchster Geheimhaltung stehende, sehr sensible Special-Access-Programme (SAP) mit hochtechnisierten Fähigkeiten zur Codewort-Aufklärung und militärischen Abwehr. Langstreckenraketen der Nordkoreaner waren mittlerweile in der Lage, Atomwaffen zu transportieren, vielleicht bis in die USAhinein. Eine nordkoreanische Rakete würde achtunddreißig Minuten brauchen, um Los Angeles zu erreichen.

Die Special-Access-Programme versetzten die Vereinigten Staaten in die Lage, den Start einer Langstreckenrakete in Nordkorea innerhalb von sieben Sekunden zu detektieren. Dieselbe Technik, in Alaska stationiert, brauchte dazu fünfzehn Minuten – ein beachtlicher Zeitunterschied.

Die Möglichkeit, einen Raketenstart innerhalb von sieben Sekunden zu detektieren, verschaffte den US-Streitkräften genug Zeit für den Abschuss einer nordkoreanischen Rakete. Es ist dies die vielleicht wichtigste und geheimste operative Mission einer US-Regierung. Die amerikanische Präsenz in Südkorea ist essenziell für die nationale Sicherheit.

Die Aufkündigung des Handelsabkommens KORUS, das Südkorea als unentbehrlich für seine Volkswirtschaft ansah, hätte zu einem Kollaps der Beziehungen der beiden Länder führen können. Cohn konnte nicht glauben, dass Präsident Trump das Risiko eingehen würde, den Zugang zu Geheimdienstinformationen einzubüßen, die für die Sicherheit der USA überlebenswichtig waren.

Das alles entsprang der Wut Trumps darüber, dass die USA gegenüber Südkorea ein Handelsdefizit von jährlich 18 Milliarden Dollar hatten und 3,5 Milliarden Dollar jährlich für den Unterhalt ihrer dort stationierten Truppen ausgaben.

Trotz der fast täglichen Berichte über Chaos und Zerwürfnisse im Weißen Haus wusste die Öffentlichkeit nicht, wie schlimm es hinter den Kulissen tatsächlich aussah. Trump war immer sprunghaft, erratisch, änderte seine Meinung. Er verfiel oft in schlechte Laune, ärgerte sich über irgendetwas Großes oder Kleines, und über das KORUS-Abkommen sagte er immer wieder: «Heute steigen wir aus.»

Und jetzt lag da dieser Brief mit dem Datum 5. September 2017, potenzieller Auslöser einer nationalen Sicherheitskatastrophe. Cohn hatte die Sorge, dass Trump den Brief unterschreiben würde, wenn er ihn sah.

Cohn nahm den Briefentwurf vom Schreibtisch. Er legte ihn in eine blaue Mappe mit der Aufschrift «KEEP».

«Ich klaute ihn von seinem Schreibtisch», erzählte er später einem Mitarbeiter. «Ich wollte dafür sorgen, dass er ihn nicht zu sehen bekam. Er wird dieses Dokument nie zu sehen bekommen. Der Schutz des Landes geht vor.»

Inmitten der Anarchie und Unordnung, die im Weißen Haus – und in Trumps Kopf – herrschten, bemerkte der Präsident nicht, dass der Brief fehlte.

Im Normalfall wäre Rob Porter, Stabssekretär des Weißen Hauses und ordnende Hand für die Präsidentenakten, der verantwortliche Mann für die Erstellung von Briefen wie dem an den Präsidenten Südkoreas gewesen. Doch diesmal war der Briefentwurf ominöserweise durch unbekannte Kanäle zu Trump gelangt. Der Stabssekretär erfüllt eine der wenig sichtbaren, aber wichtigen Funktionen im Weißen Haus. Seit Monaten war Porter derjenige gewesen, der Trump Beschlussvorlagen und andere präsidiale Dokumente erläutert hatte, bis hin zu den sensibelsten die nationale Sicherheit berührenden Freigaben für Militäraktionen und verdeckte CIA-Aktivitäten.

Porter, vierzig Jahre, eins neunzig, gertenschlank und als Mormone aufgewachsen, war einer der grauen Männer: ein Apparatschik mit wenig Ausstrahlung, der die juristische Fakultät von Harvard absolviert hatte und Rhodes-Stipendiat gewesen war.

Wie Porter später herausfand, gab es mehrere Exemplare des Briefentwurfs; entweder er oder Cohn sorgten dafür, dass keines davon auf dem Tisch des Präsidenten verblieb.

Im Zusammenwirken bemühten sich die beiden, die ihrer Überzeugung nach impulsiven und gefährlichen Weisungen Trumps aufs Abstellgleis umzuleiten. Der Korea-Brief und andere Dokumente seiner Art verschwanden einfach. Wenn Trump einen Entwurf zum Gegenlesen auf den Schreibtisch bekam, schnappte ihn sich Cohn manchmal unbemerkt, und der Präsident vergaß dann den Vorgang. Wenn aber ein Brief auf seinem Schreibtisch lag, pflegte er ihn zu unterschreiben. «Es geht nicht darum, was wir für das Land getan haben», sagte Cohn im Vertrauen, «sondern darum, vor welchen Dingen wir ihn bewahrt haben.»

Das war nicht weniger als ein administrativer Staatsstreich, eine Sabotage des Willens des Präsidenten der Vereinigten Staaten und seiner verfassungsgemäßen Macht.

Wie Porter einem Kollegen sagte, umfassen seine Amtspflichten mehr als das Koordinieren politischer Entscheidungen und Verfahrensabläufe und das Führen der präsidialen Akten: «Ein Drittel meiner Arbeit bestand in dem Bemühen, auf einige der wirklich gefährlichen Ideen zu reagieren, die er hatte, und ihm Gründe an die Hand zu geben, die ihn hoffentlich einsehen ließen, dass es vielleicht doch keine so guten Ideen waren.»

Eine andere Strategie bestand darin, Dinge hinauszuzögern, auf Zeit zu spielen, auf rechtliche Hindernisse hinzuweisen. Wie der Jurist Porter sagte: «Dinge in die Länge zu ziehen oder ihm nicht vorzulegen oder ihm – korrekterweise, nicht nur als Ausflucht – zu sagen, dass dieser Vorgang geprüft werden muss oder wir daran noch gründlicher arbeiten müssen oder dass wir dafür noch keine Freigabe von der Rechtsabteilung haben – das kam zehnmal öfter vor als das Wegzaubern von Papieren von seinem Schreibtisch. Es fühlte sich an, als würden wir die ganze Zeit am Rand des Abgrunds balancieren.»

Es gab Tage oder Wochen, in denen die Dinge halbwegs geregelt zu laufen schienen und man wenigstens ein paar Schritte vom Abgrund entfernt war. «Andere Male stürzten wir jedoch ab, und dann bedurfte es einer Rettungsaktion. Wir hatten das Gefühl, immer direkt am Abgrund entlangzulaufen.»

Auch wenn Trump das Verschwinden des Briefs vom 5. September nie erwähnte, vergaß er nicht, was er mit dem Handelsabkommen vorhatte. «Dieser Brief tauchte mehrmals wieder auf», berichtete Porter einem Mitarbeiter.

Im Laufe einer späteren Besprechung im Oval Office entspann sich eine hitzige Debatte über das Handelsabkommen mit Südkorea. «Interessiert mich nicht», tönte Trump, «ich habe genug von diesen Argumenten! Ich will nichts mehr davon hören. Wir steigen aus KORUS aus.» Er begann mit dem Diktieren eines neuen Briefes, den er nach Seoul schicken wollte.

Jared Kushner, der Schwiegersohn des Präsidenten, nahm Trumps Diktum ernst. Mit seinen sechsunddreißig Jahren war Jared bereits einer der ranghöchsten Berater des Weißen Hauses. Sein gemessenes Auftreten trug fast aristokratische Züge. Seit 2009 war er mit Trumps Tochter Ivanka verheiratet.

Weil Jared bei der Sitzung näher als alle anderen beim Präsidenten saß, begann er, die Worte Trumps mitzuschreiben wie ein Diktat.

Mach den Brief fertig und dann her damit, damit ich ihn unterschreiben kann, wies Trump seinen Schwiegersohn an.

Jared war dabei, das Diktat des Präsidenten in einen neuen Brief umzusetzen, als Porter davon erfuhr.

«Lass mir den Entwurf zukommen», wies er Jared an, «wenn wir das tun, können wir es nicht auf der Rückseite einer Serviette tun. Wir müssen daraus ein Schriftstück machen, mit dem wir uns nicht blamieren.»

Kushner schickte ein ausgedrucktes Exemplar seines Entwurfs los. Es war nicht wirklich brauchbar. Porter und Cohn ließen selbst einen Text aufsetzen, um zu zeigen, dass sie taten, was der Präsident gefordert hatte. Trump erwartete ein schnelles Ergebnis. Sie durften nicht mit leeren Händen dastehen. Ihr Entwurf war Bestandteil des Täuschungsmanövers.

Auf einer offiziellen Sitzung brachten die Gegner eines Ausstiegs aus KORUS alle erdenklichen Argumente vor – die Vereinigten Staaten hätten noch niemals zuvor ein Freihandelsabkommen aufgekündigt; es gebe rechtliche Gesichtspunkte, geopolitische Gesichtspunkte, grundlegend wichtige Belange der nationalen Sicherheit und der Geheimdienstarbeit; der Brief sei noch nicht reif. Sie deckten den Präsidenten mit Fakten und Logik ein.

«Na gut, dann arbeiten wir also weiter an dem Brief», sagte Trump schließlich, «ich will den nächsten Entwurf sehen.»

Cohn und Porter schrieben keinen nächsten Entwurf. Es gab also nichts, das man dem Präsidenten hätte vorlegen können. Die Angelegenheit ging erst einmal im Strudel der präsidialen Beschlussfassungen und Verkündungen unter. Andere Dinge beanspruchten seine Aufmerksamkeit und seine Zeit.

Doch das Thema KORUS verschwand nicht. Cohn besprach sich mit Verteidigungsminister James Mattis, dem Marineinfanteriegeneral i.R., dessen Stimme in Trumps Kabinett und Stab vielleicht das größte Gewicht hatte. General Mattis, ein Kriegsveteran, hatte vier Jahrzehnte im Marine Corps gedient. Er war eins fünfundsiebzig und von kerzengerader Haltung, wenn auch mit einer Attitüde chronischer Weltverdrossenheit.

«Wir taumeln am Abgrund entlang», vertraute Cohn dem Minister an, «es kann sein, dass wir diesmal Rückenstärkung brauchen.»

Mattis versuchte, seine Besuche im Weißen Haus sparsam zu dosieren und sich nach Möglichkeit nur mit militärischen Angelegenheiten zu befassen, doch er verstand die Dringlichkeit der Sache und begab sich ins Oval Office.

«Mr. President», sagte er, «Kim Jong-un stellt die größte Bedrohung unserer nationalen Sicherheit dar. Wir brauchen Südkorea als Verbündeten. Es mag den Anschein haben, als habe der Handel mit alldem nichts zu tun, dabei ist er zentral.»

Die Einrichtungen und Verbindungen der amerikanischen Streitkräfte und Geheimdienste in Südkorea seien das Rückgrat unserer Fähigkeit, uns gegen Nordkorea zu verteidigen. Er solle das Abkommen bitte nicht kündigen.

Warum die USA eine Milliarde Dollar im Jahr für ein System zur Raketenabwehr in Südkorea bezahlten, wollte Trump wissen. Ein Raketenabwehrsystem namens THAAD (Terminal High Altitude Area Defense) hatte seinen Zorn erregt, und er drohte damit, es aus Südkorea abzuziehen und nach Portland in Oregon zu verlegen.

«Wir tun das nicht für Südkorea», erklärte Mattis, «wir helfen Südkorea, weil es uns hilft.»

Der Präsident schien ein Einsehen zu haben, aber nur für einen kurzen Augenblick.

Als Präsidentschaftskandidat hatte Trump Bob Costa und mir diese Definition der Pflichten des Präsidenten gegeben: «Seine oberste Pflicht ist die Sicherheit unserer Nation … Das ist die Nummer eins, zwei und drei … Dass die Streitkräfte stark sind und sicherstellen, dass unserem Land nicht von außen her Schlimmes angetan wird. Und ich bin mir ganz sicher, dass das immer der Punkt eins meiner Definition sein wird.»

Ein Jahr danach waren die Vereinigten Staaten zur Geisel der Worte und Taten eines emotional überreizten, sprunghaften und unberechenbaren politischen Führers geworden. Mitglieder seines Stabes hatten sich zusammengetan, um vorsätzlich die nach ihrem Dafürhalten gefährlichsten Impulse des Präsidenten abzublocken. Es war der Nervenzusammenbruch der politischen Exekutive des mächtigsten Landes der Welt.

Die nachfolgenden Kapitel erzählen diese Geschichte.

Vorlage vom 5. September 2017 für einen Brief an den Präsidenten von Südkorea zur Aufkündigung des Freihandelsabkommens. Gary Cohn fand den Brief auf Präsident Trumps Schreibtisch im Oval Office und nahm ihn an sich, damit er nicht unterschrieben und abgeschickt würde.

Entwurf / Entscheidungsgrundlage

5. September 2017

 

 

Sehr geehrte Herren,

 

das Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Korea («Abkommen») entspricht in seiner gegenwärtigen Form nicht dem besten Gesamtinteresse der US-amerikanischen Wirtschaft. Deshalb tun die Vereinigten Staaten hiermit in Übereinstimmung mit Artikel 24.5 des Abkommens ihren Wunsch kund, das Abkommen zu kündigen. Wie sich aus den Bestimmungen in Artikel 24.5 des Abkommens ergibt, wird das Abkommen 180 Tage nach dem Datum dieser Mitteilung auslaufen. In dieser Zeitspanne sind die Vereinigten Staaten bereit, mit der Republik Korea über wirtschaftliche Themen, die für beide Länder von Belang sind, zu verhandeln.

 

Hochachtungsvoll

 

Donald J. Trump

Präsident der Vereinigten Staaten

 

Robert E. Lighthizer

Handelsbeauftragter der Vereinigten Staaten

Kapitel 1

Im August 2010, sechs Jahre bevor er Trumps letztlich erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf übernahm, bekam Steve Bannon einen Anruf. Er war damals siebenundfünfzig und Produzent von rechtsreaktionären Politfilmen.

«Was hast du morgen vor?», fragte David Bossie. Der konservative Aktivist saß seit langem für die Republikaner in Ermittlungsausschüssen des Kongresses und hatte beinahe zwanzig Jahre lang hinter Skandalen von Bill und Hillary Clinton hergefahndet.

«Alter», antwortete Bannon, «ich schneide gerade diese beschissenen Filme für dich.»

Die Midterm-Wahlen zum Kongress standen an. Die Tea Party war auf dem Höhepunkt, die Republikaner gewannen an Boden.

«Wir hauen zwei weitere Filme raus. Ich bin andauernd im Schneideraum. Ich arbeite zwanzig Stunden am Tag» – und zwar an Anti-Clinton-Filmen im Auftrag von Citizens United, einem konservativen Aktionsbündnis unter Bossies Ägide.

«Kannst du morgen mit mir nach New York kommen?»

«Wozu?»

«Donald Trump treffen.»

«Wozu?»

«Er erwägt, sich um die Präsidentschaft zu bewerben.»

«In welchem Land?»

Echt, im Ernst, versicherte Bossie. Er traf sich seit Monaten mit Trump und arbeitete für ihn. Das Treffen jetzt hatte Trump gewollt.

«Ich hab keine Zeit für Gewichse, Alter», sagte Bannon, «Donald Trump wird nie Präsidentschaftskandidat. Vergiss es. Gegen Obama? Vergiss es. Ich hab keine Zeit für so ’n Scheißblödsinn.»

«Willst du ihn nicht mal kennenlernen?»

«Nein, kein Interesse.» Bannon kannte Trump, er hatte ihn einmal dreißig Minuten lang interviewt, für The Victory Sessions, seine in Los Angeles produzierte Radiosendung am Sonntagnachmittag, die er als «Radioshow für den denkenden Mann» bewarb.

«Der Typ meint es nicht ernst», sagte Bannon.

«Doch, ich glaub schon», sagte Bossie. Trump war ein Fernsehpromi mit einer berühmten Show namens The Apprentice, die auf NBC lief und wochenlang auf Platz eins stand. «Wir vergeben uns nichts, wenn wir ihn mal besuchen.»

Schließlich stimmte Bannon zu und flog mit nach New York.

 

Im Trump Tower fuhren sie in den sechsundzwanzigsten Stock. Trump begrüßte sie herzlich im Konferenzsaal, und Bossie sagte, er habe eine detaillierte Präsentation vorbereitet. Es war eher ein Grundkurs.

Der erste Teil, so Bossie, stellt dar, wie man bei den Republikanern in Vorwahlen geht und gewinnt, erklärte er. Der zweite zeigt auf, wie man im Wahlkampf um das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten gegen Barack Obama antritt. Bossie beschrieb die üblichen Strategien für Wahlkämpfe und erörterte Verfahren und Themen. Er war ein konservativer Traditionalist, Anhänger des schlanken Staats und kalt erwischt worden von der Tea-Party-Bewegung.

Dies sei ein bedeutender Augenblick in der amerikanischen Politik, erläuterte er, der Populismus der Tea Party sei gerade dabei, das ganze Land im Sturm zu erobern. Endlich habe der kleine Mann eine Stimme. Populismus sei eine Graswurzelbewegung, mit der sich der politische Status quo zugunsten der Normalverbraucher zerschlagen lasse.

«Ich bin Geschäftsmann», warf Trump ein, «ich bin keiner für politische Karrieren.»

«Wenn Sie fürs Präsidentenamt kandidieren wollen», sagte Bossie, «müssen Sie eine Menge kleine und eine Menge große Dinge wissen.» Kleine wie zum Beispiel Bewerbungsfristen oder die bundesstaatlich unterschiedlichen Regeln für Vorwahlen – Details eben. «Sie müssen das Regelwerk kennen und wissen, wie man Delegierte gewinnt. Aber als Erstes», sagte Bossie, «müssen Sie die konservative Bewegung verstehen.»

Trump nickte.

«Sie haben ein paar Probleme mit bestimmten Themen», sagte Bossie.

«Ich habe mit gar keinem Thema irgendein Problem», sagte Trump, «wovon reden Sie eigentlich?»

«Erstens hat bei den Republikanern noch nie jemand die Vorwahlen gewonnen, der nicht Abtreibungsgegner ist», erklärte Bossie, «und das sind Sie leider ganz und gar nicht.»

«Was soll das heißen?»

«Es ist bekannt, dass Sie an die Abtreibungsleute gespendet haben, an Kandidaten, die für Wahlfreiheit stehen. Sie haben sich auch öffentlich so geäußert. Sie müssen aber Pro-Life sein, gegen Abtreibung.»

«Ich bin gegen Abtreibung», sagte Trump, «ich bin Pro-Life.»

«Nun ja, es gibt Beweise für das Gegenteil.»

«So was kann man ja wegkriegen», sagte Trump, «sagen Sie mir einfach, wie das geht. Ich bin – wie nennen Sie das? Pro-Life. Ich bin Pro-Life, das sage ich Ihnen.»

Je länger Trump redete, desto mehr war Bannon fasziniert von seinem Talent zur Selbstdarstellung. Trump wirkte engagiert, reaktionsschnell und körperlich in bester Verfassung. Seine Präsenz war überlebensgroß und raumfüllend, die personifizierte Befehlsgewalt. Der Mann hatte was. Gleichzeitig kam er rüber er wie ein Kneipengast, der im Fernsehen auftritt, ein Typ aus Queens, streetsmart. Dieser Trump war nach Bannons Einschätzung Archie Bunker in echt, allerdings ein zielstrebiger Archie Bunker.

«Die zweite große Frage», sagte Bossie, «ist Ihr Wahlverhalten.»

«Mein Wahlverhalten? Was meinen Sie damit?»

«Wie oft Sie gewählt haben.»

«Wovon reden Sie?»

«Nun ja», sagte Bossie, «wir haben es hier mit Vorwahlen bei den Republikanern zu tun.»

«Ich gehe immer zur Wahl», prahlte Trump, «ich gehe immer wählen, seit ich achtzehn, zwanzig bin.»

«Das ist leider nicht korrekt. Ihr Wahlverhalten ist nämlich öffentlich belegt.» Der altgediente Ermittler Bossie zeigte auf einen Stapel Unterlagen.

«Kein Mensch weiß, wie ich wähle.»

«Nein, nein, nein, nicht, wie Sie wählen. Aber wie oft Sie wählen.»

Bannon stellte fest, dass Trump nicht einmal rudimentäre Vorstellungen vom politischen Geschäft hatte.

«Ich bin jedes Mal wählen gegangen», beharrte Trump.

«Durchaus nicht, bis auf eine Ausnahme haben Sie noch nie an einer Vorwahl teilgenommen.» Bossie zitierte aus den Unterlagen.

«Das ist eine dreckige Lüge», sagte Trump, «absolut gelogen. Ich habe jedes Mal gewählt, wenn eine Wahl anstand.»

«Sie haben nur einmal bei einer Vorwahl mitgestimmt», sagte Bossie, «1988 oder so, bei den Republikanern.»

«Ja, stimmt.» Wieder vollzog Trump, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Wende um hundertachtzig Grad. «Damals für Rudy.» Giuliani hatte 1989 für den New Yorker Bürgermeisterposten kandidiert. «Steht das da auch drin?»

«Ja.»

«Das stecken wir weg», sagte Trump.

«Vielleicht zählt nichts von alldem», sagte Bossie, «vielleicht aber doch. Man muss methodisch vorgehen, wenn man vorwärtskommen will.»

Dann war Bannon dran. Er leitete über zu der Tea Party und ihren Motiven. Dass sie die Eliten nicht leiden könne. Dass Populismus etwas für den gemeinen Mann sei, der das ganze System für Schmu halte. Populisten seien gegen Vetternwirtschaft und Insidergeschäfte, mit denen der Arbeiter ausgeblutet werde.

«Das finde ich toll. Genau das bin ich», sagte Trump, «ich bin Popularist.» Er kriegte schon das Wort nicht hin.

«Nein, nein», sagte Bannon. «Es heißt Populist.»

«Doch, doch», beharrte Trump, «Popularist.»

Bannon gab auf. Zuerst dachte er, Trump hätte das Wort nicht verstanden. Aber vielleicht hatte er einfach seine eigene Interpretation – populär sein, beliebt bei Leuten. Bannon wusste auch, dass «Popularist» eine ältere britische Version von «Populist» war, ein Wort für die nichtintellektuelle breite Masse.

Nach etwa einer Stunde sagte Bossie: «Wir haben noch ein großes Thema.»

«Was denn?» Trump klang jetzt etwas argwöhnischer.

«Nun ja, achtzig Prozent Ihrer Spenden sind an die Demokraten gegangen», erklärte Bossie. Für ihn war das Trumps größtes politisches Handicap, aber das sagte er nicht.

«Das ist Unsinn!»

«Das ist öffentlich einsehbar», sagte Bossie.

«Davon gibt’s auch Belege?» Trump staunte Bauklötze.

«Von jeder Spende, die Sie je getätigt haben.» Es war Vorschrift, alle Parteispenden offenzulegen.

«Die gleichen sich am Ende aus», konterte Trump, er habe seine Spenden gerecht aufgeteilt unter Kandidaten beider Parteien.

«Sie haben in der Tat reichlich gespendet. Allerdings zu achtzig Prozent an die Demokraten. In Chicago, Atlantic City …»

«Das muss ich machen», sagte Trump. «Da regieren doch überall diese Scheißdemokraten. Man will Hotels bauen, also muss man die schmieren. Die sind doch zu mir gekommen.»

«Hören Sie», sagte Bannon, «was Dave damit sagen will, ist Folgendes. Als Kandidat der Tea Party haben Sie das Problem, dass deren Leute erbost auf solche Deals reagieren. Und genau die macht jemand wie Sie.»

«Ach was», sagte Trump, «das ist doch alles Schmu. Das ganze System ist manipuliert. Diese Typen haben mich jahrelang ausgenommen. Ich will denen nichts spenden. Die kommen einfach an. Und wenn man keinen Scheck ausstellt …»

In Queens sitze auch so ein Politikerhai, «ein alter Kerl mit Baseballschläger. Zu dem muss man, und dem muss man auch was geben – normalerweise Bargeld. Wenn man das nicht macht, läuft gar nichts. Dann ist nichts mit Bauen. Lässt man ihm einen Umschlag mit Geld da, dann läuft’s. So geht das nun mal. Aber das kriege ich geregelt.»

Bossie erklärte, er habe einen Plan. «Alles dreht sich um die konservative Bewegung. Die Tea Party kommt und geht. Populismus kommt und geht. Die konservative Bewegung dagegen ist unser fester Urgrund seit Goldwater.»

Zweitens, fuhr er fort, empfehle er Trump, seinen Wahlkampf damit zu eröffnen, dass er sich erst mal der Form halber in drei Staaten um den Gouverneursposten bewerbe – Iowa, New Hampshire und South Carolina. Dort liefen die ersten Vorwahlen. «Da kandidieren Sie und geben sich lokalverbunden, so als ob Sie da Gouverneur werden wollten.» Viele Kandidaten würden einen großen Fehler machen, weil sie in siebenundzwanzig Staaten gleichzeitig gewählt werden wollten. «Gehen Sie erst mal in die drei Gouverneurswahlen, dann haben Sie ziemlich gute Chancen. Konzentrieren Sie sich auf die drei. Machen Sie da Ihre Sache gut. Die anderen Staaten kommen dann von selbst.»

«Ich bin ein prima Kandidat», sagte Trump. «Solche Gegner schlage ich locker, egal, wer sie sind. Das hab ich im Sack. Um das andere werde ich mich kümmern.»

Alles lasse sich revidieren, neu verhandeln.

«Ich bin Pro-Life», erklärte Trump. «Ich will loslegen.»

«Dann müssen Sie unbedingt zunächst Folgendes tun», sagte Bossie, «Sie müssen etwa zweihundertfünfzig- bis fünfhunderttausend Dollar in Form von einzelnen Schecks für Kongressabgeordnete und Senatoren investieren. Alle werden sie angekleckert kommen. Sehen Sie ihnen in die Augen, schütteln Sie ihnen die Hand. Dann überreichen Sie den Scheck. Wir müssen ein paar Pflöcke einschlagen. Das muss alles unter vier Augen laufen, damit denen das auch klar ist. Denn das wird später mal zumindest ein Einstieg sein, um Beziehungen aufzubauen.»

Bossie war noch nicht fertig. «Sagen Sie deutlich: Das hier ist für Sie, zweitausendvierhundert Dollar.» Der höchste erlaubte Betrag. «Es müssen Barschecks sein, echtes Geld, für ihren eigenen Wahlkampf, damit die sich erinnern, dass es von Ihnen persönlich kommt. Ab da wissen die Republikaner, dass Sie es ernst meinen.»

Das viele Geld, erklärte Bossie, sei zentraler Baustein der Kunst präsidentieller Politik. «Später wirft es Riesendividenden ab.» Wichtig seien die Kandidaten der Republikaner in ein paar hart umkämpften Staaten, in Swing States wie Ohio, Pennsylvania, Virginia und Florida.

Und noch eins, sagte Bossie: «Sie werden etwas Politisches schreiben müssen. Sie sollten ein Buch verfassen über Amerika und was Sie so über die jetzige Politik denken.»

Danach hielt Bannon noch ein weitschweifiges Referat über China, das immer erfolgreicher dabei war, Geld und Arbeitsplätze aus den Vereinigten Staaten wegzulocken. Er war besessen von der chinesischen Gefahr.

«Was denkst du?», fragte Bossie ihn hinterher.

«Ich finde den Mann ziemlich beeindruckend», sagte Bannon. Aber was eine Kandidatur für das Präsidentenamt anging: «Null Chancen. Schon allein wegen der beiden Einstiegsszenarien. Der Wichser verteilt keinen einzigen Scheck. Das ist kein Typ, der Schecks ausschreibt, der unterschreibt bloß auf der Rückseite» von Schecks, die er von anderen bekommen hat. «War gut, dass du ihm das gesagt hast, das wird er nämlich nie tun.»

«Und das Politikbuch?»

«Schreibt der auch nie. Hör mir doch auf. Das kauft sowieso kein Mensch. Das Ganze war reine Zeitverschwendung, mal abgesehen vom irrsinnigen Unterhaltungswert.»

Bossie erklärte, falls Trump tatsächlich kandidieren wolle, werde er versuchen, ihn darauf vorzubereiten. Denn Trump habe einen einzigartigen Trumpf in der Hand: Mit dem gesamten Politikbetrieb hatte er nichts, aber auch gar nichts am Hut.

Sie spazierten weiter, und Bossie gingen dieselben Sätze durch den Kopf wie sechs Jahre später den meisten Amerikanern. Der wird nie Kandidat. Der lässt sich nie aufstellen. Der kündigt das nie an. Der legt nie seine Steuersachen offen. Richtig? Der macht nichts von alldem. Der wird nie gewinnen.

«Glaubst du, er tritt an?», fragte er schließlich Bannon.

«Keine Chance. Null Chance», sagte Bannon noch einmal. «Weniger als null. Guck dir mal an, was für ’n verficktes Leben der jetzt hat, Alter. Ich bitte dich. Der macht das nicht. Der lässt sich nicht nackt machen.»

Kapitel 2

Sechs Jahre später.

 

Eines ist so gut wie sicher: Die Welt sähe heute ganz anders aus, hätten sich die folgenden Ereignisse nicht auf eine so unwahrscheinliche, willkürliche, fahrlässige Weise weiterentwickelt. Am 21. Juli 2016 ließ sich Donald Trump als Kandidat der Republikaner aufstellen, und am frühen Morgen des 13. August 2016 erfuhr sein Streben nach der Präsidentschaft eine entscheidende Wende.

Steve Bannon, nunmehr Leiter der rechtsgerichteten Nachrichtenorganisation Breitbart News, saß auf einer Bank im New Yorker Bryant Park und beugte sich über seine Zeitungen, sein samstägliches Ritual. Er blätterte zuerst die Financial Times durch und wandte sich dann der New York Times zu.

«Trumps Umfeld scheitert daran, seiner Zunge Zügel anzulegen», lautete die Schlagzeile auf Seite eins der Times. Bis zur Präsidentschaftswahl waren es noch drei Monate.

«Du meine Güte», dachte Bannon.

Bannons Drama beginnt bei seinem Äußeren – der über mehreren Polohemden getragenen alten Armeejacke. Sodann: sein Auftreten – aggressiv, bestimmt und laut.

Die Verfasser der Times-Reportage gaben an, über zwanzig ungenannte republikanische Informanten zu verfügen, die Trump nahestanden oder Verbindungen zu seinem Wahlkampfteam hatten. In dem Artikel wurde Trump als ein konfuser, ausgelaugter, verdrossener Mann dargestellt, der ungeschickt agierte, Schwierigkeiten mit Spendern hatte und gerade in den heftig umkämpften, für den Ausgang der Wahl entscheidenden Staaten Florida, Ohio, Pennsylvania und North Carolina einen schweren Stand hatte. Der Artikel zeichnete ein hässliches Porträt, und Bannon wusste, dass es der Wahrheit entsprach. Er schätzte, dass Trump der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton um einen zweistelligen Prozentwert, vielleicht bis zu zwanzig Punkte unterliegen würde.

Gewiss war Trump ein Medienspektakel, aber er verfügte noch immer über keinerlei Mannschaft jenseits der vom Republican National Committee (RNC), dem Organisationsgremium der Republikanischen Partei, bereitgestellten. Bannon wusste, dass Trumps Wahlkampfteam sehr überschaubar war – ein Redenschreiber und etwa sechs Leute, die überall im Land an den billigsten Veranstaltungsorten, oft in heruntergekommenen alten Sport- oder Hockeystadien, Kundgebungen organisierten.

Trotzdem hatte sich Trump als Kandidat gegen sechzehn Mitbewerber durchgesetzt, er war eine große, vulgäre, subversive Präsenz, die in exponierter Stellung die Aufmerksamkeit der Nation auf sich zog.

Bannon, der inzwischen dreiundsechzigjährige Absolvent der Harvard Business School mit leidenschaftlich nationalistischer Gesinnung, für den Amerika immer an erster Stelle stand, rief Rebekah Mercer an.

Mercer und ihre Familie waren eine der wichtigsten und umstrittensten Geldquellen zur Wahlkampfförderung der Republikanischen Partei, und Geld war der Motor der amerikanischen Politik, vor allem auch innerhalb der Partei. Die Mercers standen ein wenig abseits, aber wegen ihres vielen Geldes saßen sie doch mit am Tisch. Außerdem hielten sie Eigentumsanteile an Breitbart.

«Das ist eine üble Sache, weil man uns die Schuld geben wird», sagte Bannon zu Mercer. Breitbart hatte Trump in dessen dunkleren Stunden beigestanden. «Das bedeutet das Ende von Breitbart.»

«Warum greifst du nicht ein?», fragte Rebekah.

«Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Wahlkampf geführt», sagte Bannon. Nicht einmal annähernd. Die Vorstellung war absurd.

«Der Typ ist eine Katastrophe», sagte sie mit Blick auf Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort. «Der Wahlkampf ist jetzt führungslos. Trump hört auf dich. Er braucht immer eine Aufsichtsperson.»

«Hör zu», sagte Bannon, «ich wäre sofort dabei. Aber warum sollte er das tun?»

«Er war immer ein Außenseiter», sagte sie und wies auf den Artikel in der New York Times hin. «Sie sind jetzt im Panikmodus.» Kurz gesagt, Trump könnte Bannon einstellen, weil er verzweifelt war.

 

Die Mercers setzten sich mit Trump in Verbindung, der bei einer Benefizveranstaltung in East Hampton, Long Island, war, der Heimat von Woody Johnson, Eigentümer der New York Jets. Normalerweise stellten die Mercers ihre Schecks aus, ohne den Kandidaten überhaupt sehen zu wollen. Diesmal verlangten sie zehn Minuten mit Trump.

In einem kleinen Wintergarten redete Rebekah, eine großgewachsene Rothaarige, drauflos. Ihr Vater Bob Mercer, ein hochintelligenter Mathematiker, sprach kaum. Er gehörte zu den Köpfen von Renaissance Technologies, einem sagenhaft erfolgreichen Hedgefonds, in dem 50 Milliarden Dollar verwaltet wurden.

«Manafort muss weg», erklärte sie Trump. Sie sagte, es herrsche Chaos.

«Was schlagen Sie vor?», fragte Trump.

«Steve Bannon wird übernehmen», sagte sie.

«Das macht er niemals.»

Er werde es «definitiv» tun, entgegnete sie.

 

Abends rief Bannon Trump an.

«Diese Zeitungsgeschichte ist eine Peinlichkeit», sagte Bannon mit Bezug auf den Artikel in der New York Times. «Sie sind besser. Wir können gewinnen. Wir sollten gewinnen. Himmelherrgott, wir reden hier von Hillary Clinton.»

Trump ließ sich über Manafort aus. «Der ist total hölzern», sagte er. Er sei nicht fürs Fernsehen geeignet.

«Treffen wir uns morgen und stellen die Sache auf die Beine. Wir kriegen das hin», ereiferte sich Bannon. «Aber zu niemandem ein Wort.»

Trump stimmte einem Treffen am darauffolgenden Sonntagmorgen zu.

Eine politische Figur, die sich an diesem Tag ebenfalls Sorgen machte, war Reince Priebus, der vierundvierzigjährige Vorsitzende des Republican National Committee und Anwalt aus Wisconsin. Während seines fünfjährigen Vorsitzes war Priebus Mr. Brückenbauer und Mr. Netzwerker gewesen. Hinter seinem fröhlichen Auftreten verbarg sich vor allem die Absicht, das Reich zu vergrößern. Priebus traf die finanziellen Entscheidungen der Partei, war für die Einstellung der 6500 Außendienstmitarbeiter zuständig, trat regelmäßig im Fernsehen auf und verfügte über ein eigenes Öffentlichkeitsteam. Er befand sich in einer unangenehmen Lage.

Privat betrachtete Priebus den August als eine einzige Katastrophe. «Ein permanent laufender Heizstrahler, der einfach nicht aufhörte.» Und verantwortlich war der Kandidat Trump.

Priebus hatte von Anfang an versucht, den Wahlkampf zu steuern. Als Trump in der Rede zum Antritt seiner Kandidatur am 16. Juni 2015 Mexikaner als «Vergewaltiger» bezeichnete, rief Priebus ihn an und sagte: «So können Sie nicht reden. Wir haben hart daran gearbeitet, die Hispanics für uns zu gewinnen.»

Trump änderte seinen Tonfall nicht, und er griff jeden an, der ihn angriff. Kein Vorsitzender einer nationalen Partei hatte es je mit einem solchen Plagegeist wie Trump zu tun bekommen.

Senator Mitch McConnell, der gewiefte republikanische Mehrheitsführer, hatte Priebus im Vertrauen angerufen. Seine Botschaft: Vergessen Sie Trump, lenken Sie die republikanischen Gelder in die Richtung von uns Senatskandidaten, und drehen Sie Trump den Geldhahn zu.

Aber Priebus wollte die Brücken zu Trump nicht abbrechen, und er beschloss, auf halbem Weg zwischen Trump und McConnell vor Anker zu gehen. Er hielt das für die richtige Taktik, um sein eigenes Überleben und das der Partei zu sichern. Er hatte zu Trump gesagt: «Ich bin hundertprozentig auf Ihrer Seite. Ich bin ein Fan von Ihnen. Ich werde weiter für Sie arbeiten. Aber ich muss die Partei schützen. Ich bin nicht nur Ihnen verpflichtet.»

Priebus hatte eingewilligt, Trump im Wahlkampf zu begleiten und ihn bei öffentlichen Auftritten anzukündigen. Für ihn hieß das, einem Ertrinkenden die Hand zu reichen.

Der Times-Artikel über die gescheiterten Versuche, Trump im Zaum zu halten, hatte eine aufrüttelnde Wirkung. «Ach du Scheiße!», dachte Priebus. «Das ist eine Katastrophe.» Die Wahlkampagne zerlegte sich gerade selbst. «Es war gar keine Kampagne», hatte er schließlich festgestellt. «Die reinsten Witzfiguren.»

In dem Times-Artikel wurde so viel ausgebreitet, dass Priebus klarwurde, die zwanzig Quellen wollten entweder den Wahlkampf sabotieren oder sich wie üblich selbst ins rechte Licht rücken.

Gefährliche Zeiten für Trump und die Partei, vielleicht die schlimmsten überhaupt, dachte Priebus. Es gab nur einen Weg: die Lage an allen Fronten zur Eskalation bringen. Die Aggression maximieren, um die lebensbedrohliche Schwäche zu verschleiern.

 

An jenem Sonntagmorgen traf Steve Bannon am Trump Tower in Manhattan ein und sagte dem Wachmann, er habe einen Termin mit Mr. Trump.

«Das ist ja klasse», sagte der Wachmann. «Am Wochenende ist er grundsätzlich nicht hier.»

Bannon rief Trump an.

«Hey», erklärte der Kandidat, «ich bin in Bedminster» – wo der Trump National Golf Club ansässig war. «Weil Sie nicht hier sind, gehe ich eine Runde Golf spielen. Kommen Sie her, dann essen wir zu Mittag. Sagen wir um eins.»

Er setzte an, um Bannon genaue Anweisungen für die Fahrt ins 65 Kilometer westlich von New York gelegene Bedminster zu geben.

«Ich finde es schon», sagte Bannon.

Nein, er müsse rechts in die Rattlesnake Bridge Road abbiegen, dann wieder rechts und dann anderthalb Kilometer geradeaus.

«Ich finde es schon. Es ist Ihr National Golf Club.»

Nein, beharrte Trump, Sie müssen mir zuhören. Trump gab ihm vollständige Anweisungen, detaillierter als alles andere, was Bannon je aus seinem Mund gehört hatte.

Bannon ließ sich von einem Fahrer gegen Mittag nach Bedminster bringen, um in jedem Fall rechtzeitig da zu sein. Im Klubhaus wurde er an einen für fünf Personen gedeckten Tisch geführt.

Er sei früh dran, sagte jemand vom Personal zu ihm. Die anderen werden erst gegen 13 Uhr eintreffen.

Welche anderen?, fragte Bannon.

Roger Ailes, Gouverneur Chris Christie und «der Bürgermeister» – Rudy Giuliani – würden auch am Essen teilnehmen.

Bannon war sauer. Er war nicht zum Vorsingen vor irgendwem gekommen. Trump und er hatten eine Abmachung getroffen, einen Deal zu klaren Konditionen.

Ailes, Gründer und Chef von Fox News und langjähriger politischer Funktionär, dessen Engagement bis in die Zeit von Richard Nixon zurückreichte, erschien als Erster. Er war einer von Bannons Ziehvätern.

«Was zum Teufel?», sagte Ailes und begann umgehend, den Wahlkampf zu kritisieren.

«Wie schlimm sehen die Zahlen aus?», fragte Bannon.

«Das wird ein Reinfall.»

«Ich habe gestern Abend mit Trump gesprochen», sagte Bannon. «Die Mercers haben mit ihm geredet. Ich soll den Wahlkampf übernehmen, aber sag den anderen beiden nichts davon.»

«Was zum Teufel?», sagte Ailes wieder. «Du hast doch überhaupt keine Wahlkampferfahrung.» Das sei völlig abwegig.

«Ich weiß, aber jeder könnte etwas Besseres aufstellen als das hier.»

Obwohl Bannon Ailes seit Jahren kannte, trat er nie auf Ailes’ Kanal Fox News auf.

Bannon sagte einmal: «Ich bin nie auf Fox aufgetreten, weil ich ihm zu nichts verpflichtet sein wollte … Wenn du Roger zu irgendetwas verpflichtet bist, dann gehörst du ihm mit Haut und Haar.»

Das stand in völligem Gegensatz zu seiner Beziehung zu Trump, der für ihn ein Bittsteller war. Trump hatte zwischen November 2015 und Juni 2016 an einer Reihe von Radio-Interviews mit Bannon unter dem Titel Breitbart News Daily auf SiriusXM teilgenommen.

Ailes sagte, sie seien zum Zweck ihrer wöchentlichen Duellvorbereitung hier. Das erste Präsidentschaftsduell gegen Hillary Clinton sollte in anderthalb Monaten, am 26. September, stattfinden.

«Duellvorbereitung?», sagte Bannon. «Du, Christie und Rudy?»

«Das ist unsere zweite.»

«Er bereitet sich wirklich auf die Duelle vor?», sagte Bannon, mit einem Mal beeindruckt.

«Nein, er kommt und spielt Golf, und wir reden einfach über den Wahlkampf und so weiter. Aber wir wollen ihn an die Sache heranführen.»

Der Wahlkampfmanager Paul Manafort kam herein.

Bannon, der sich regelmäßig als «feuerspeienden Populisten» bezeichnete, war angewidert. Manafort war gekleidet wie für einen Yachtausflug, inklusive Einstecktuch. Wie aus Southampton zugeschaltet!

Trump kam und setzte sich. Hotdogs und Hamburger wurden aufgetischt. Das Traummenü eines Elfjährigen, dachte Bannon, während Trump zwei Hotdogs verschlang.

Trump erwähnte die Geschichte in der New York Times über die gescheiterten Versuche, seine Zunge zu zügeln, und fragte Manafort, wie es überhaupt zu einem solchen Artikel kommen könne. Das war eines der Trump’schen Paradoxe: Er attackierte die Mainstream-Presse, vor allem die Times, mit wahrer Wollust – aber der Kampfsprache zum Trotz betrachtete er die Times als Leitmedium und schenkte ihren Artikeln weitgehend Glauben.

«Paul, bin ich ein Baby?», fragte Trump zu Manafort. «Willst du mich als Baby bezeichnen? Du kommst im Fernsehen schrecklich rüber. Du hast keine Energie. Du verkörperst den Wahlkampf nicht. Ich habe es dir im Guten gesagt. Du trittst nicht mehr im Fernsehen auf.»

«Donald …», setzte Manafort zu einer Erwiderung an.

Bannon vermutete, dass diese vertraute Art der Anrede beim Vornamen, sozusagen auf Augenhöhe, Trump verärgerte.

«Sie müssen sich eines klarmachen, Mr. Trump», sagte Bannon, «dieser Artikel berief sich auf sehr viele ungenannte Informanten; wir können den Wahrheitsgehalt nicht überprüfen.»

«Nein, das kann ich euch sagen», antwortete Trump, der seinen Zorn auf Manafort richtete. «Das sind undichte Stellen.» Er wusste, dass die Zitate echt waren.

«Vieles wurde nur unter der Bedingung gesagt, dass keine Namen genannt werden», sagte Bannon. Niemand will identifiziert werden, alle verstecken sich. «Die New York Times, das sind alles Lügen. Hören Sie, das ist doch alles Blödsinn», setzte Bannon seine vollmundige Gegenrede fort, obwohl er wusste, dass die Geschichte stimmte.

Trump kaufte es ihm nicht ab. Die Geschichte war die reine Wahrheit, und sein Wahlkampfteam steckte voller Leaker. Manaforts Vernichtung dauerte noch eine Weile an, dann erzählte Trump eine halbe Stunde lang Geschichten aus dem Krieg. Manafort ging.

«Bleiben Sie noch», sagte Trump zu Bannon. «Das ist alles fürchterlich. Es ist so unkontrolliert. Dieser Typ ist so ein Schwächling. Er führt den Wahlkampf gar nicht richtig. Ich habe ihn nur geholt, damit er mir durch den Nominierungsparteitag hilft.»

«Machen Sie sich keine Gedanken wegen irgendwelcher Zahlen», sagte Bannon. «Machen Sie sich keine Gedanken wegen dieser 12 bis 16 Punkte, oder wie auch immer die Umfrageergebnisse lauten. Machen Sie sich keine Gedanken wegen der Swing States. Es ist ganz einfach.» Zwei Drittel des Landes sind der Meinung, wir sind auf dem falschen Weg, und 75 Prozent des Landes sind der Meinung, wir sind auf dem absteigenden Ast, setzte er auseinander. Das ebne den Weg für jemanden, der für den Wechsel stehe. Hillary gehöre der Vergangenheit an. So einfach sei das.

In gewisser Weise hatte Bannon sein gesamtes Erwachsenenleben lang auf diesen Augenblick gewartet. «Ich sage Ihnen, was der Unterschied ist», erklärte er. «Wir werden uns einfach neben Clinton stellen und uns von ihr abheben. Sie dürfen eins nicht vergessen», sagte er und rezitierte eines seiner Mantras: «Die Eliten geben sich damit zufrieden, den Niedergang zu verwalten. Oder?»

Trump nickte zustimmend.

«Und die arbeitende Bevölkerung tut es eben nicht. Sie will Amerika wieder groß machen. Wir werden diesen Wahlkampf vereinfachen. Sie ist die Tribunin eines korrupten und inkompetenten Status quo der Eliten, die sich damit zufriedengeben, den Niedergang zu verwalten. Sie sind der Tribun der Abgehängten, der Amerika wieder groß machen will. Und dabei beschränken wir uns auf eine Handvoll Themen. –

Erstens», fuhr Bannon fort, «werden wir die illegale Masseneinwanderung stoppen und die legale Einwanderung begrenzen, um unsere Volkshoheit zurückzugewinnen. Zweitens werden Sie die Arbeitsplätze im Produktionssektor wieder ins Land holen. Und drittens werden wir uns aus diesen sinnlosen Auslandskriegen zurückziehen.»

Für Trump waren das keine neuen Gedanken. Eine Woche zuvor, am 8. August, hatte er in einer Rede vor dem Detroit Economic Club genau diese Töne angeschlagen und Clinton niedergemacht. «Sie ist die Kandidatin der Vergangenheit. Unserem Wahlkampf gehört die Zukunft.»

«Das sind die drei großen Themen, gegen die sie nichts vorzubringen hat», sagte Bannon. «Sie ist Teil der Bewegung, die die Grenzen geöffnet hat, sie ist mitverantwortlich für die schlechten Handelsvereinbarungen und die nach China abgewanderten Arbeitsplätze, und sie ist eine Neokonservative. Richtig?»

Trump schien ebenfalls der Meinung zu sein, dass Hillary eine Neokonservative war.

«Sie hat jeden Krieg da draußen unterstützt», sagte Bannon. «Wir machen sie einfach nur nieder. Das ist alles. Bleiben Sie einfach dabei.»

Bannon setzte hinzu, dass Trump über einen weiteren Vorteil verfüge. Er klinge nicht wie ein Politiker. Das sei es, was Barack Obama in der Vorwahl von 2008 Clinton vorausgehabt habe, die wie die geschulte Politikerin spreche, die sie ja auch sei. Ihre Sprache sei zu poliert. Selbst wenn sie die Wahrheit sage, klinge die aus ihrem Mund wie eine Lüge.

Politiker wie Hillary könnten nicht natürlich reden, sagte Bannon. Es sei eine mechanische Sprechweise, die sich direkt aus den Umfragen und Fokusgruppen speise und die Fragen im Politikersprech beantwortete. Sie sei einlullend statt aufrüttelnd, sie komme nicht von Herzen oder aus tiefer Überzeugung, sondern fuße auf den Argumentationshilfen irgendeines hochbezahlten Beraters – nicht wütend.

Okay, sagte Trump, Sie werden Wahlkampfleiter.

«Ich will kein großes Theater um Ränkespiele», sagte Bannon. «Lassen Sie uns Manafort als Vorsitzenden behalten. Er wird nichts zu melden haben. Überlassen Sie das mir.»

Sie einigten sich darauf, dass Kellyanne Conway – eine angriffslustige republikanische Meinungsforscherin, die den Wahlkampf bereits unterstützte – zur Wahlkampfmanagerin ernannt werden sollte.

«Wir schicken sie jeden Tag als das freundliche weibliche Gesicht des Ganzen ins Fernsehen», schlug Bannon vor. «Denn Kellyanne ist eine Kriegerin. Sie wird das feindliche Feuer auf sich ziehen. Aber sie ist beliebt. Und Beliebtheit ist das, was wir brauchen.»

In einem Moment der Selbsterkenntnis fügte er hinzu: «Ich werde nie im Fernsehen auftreten.»

Auch Conway hatte noch nie einen Wahlkampf geleitet. Damit waren sie zu dritt – der strahlende Kandidaturnovize, der Wahlkampfleiter und die Wahlkampfmanagerin.

 

Kellyanne Conway überwachte in diesem Monat die Produktion einiger Wahlkampfwerbespots.

«Bezahle ich diese Leute?», fragte Trump sie.

Er beschwerte sich über die Kameraaufstellung. Die Ausrüstung wirke veraltet, und das Licht gefalle ihm nicht. Die Aufnahmen seien nicht in HD. Er murrte über die Crew. «Sagen Sie ihnen, dafür zahle ich nicht.» Das war ein Standardsatz von ihm.

Später sagte er: «Alle außer Kellyanne sollen gehen.»

«Ich kriege ständig zu hören, dass ich ein viel besserer Kandidat bin als Hillary Clinton», sagte er, halb um ihre Einschätzung bittend.

«Nun, ja, Sir. Dazu braucht es keine Umfragen.» Aber man könne einiges anders machen. «Sie treten gegen die freudloseste Kandidatin in der Präsidentschaftsgeschichte an. Und allmählich fühlt es sich an, als wären wir genauso.»

«Nein, sind wir nicht.»

«Es fühlt sich nur so an. Ich habe Sie während der Vorwahlen beobachtet, und da wirkten Sie viel fröhlicher.»

«Ich vermisse die Zeit, als wir mit einer Handvoll Leute durch die Gegend geflogen sind, Wahlveranstaltungen gemacht haben und mit den Wählern zusammengekommen sind», sagte Trump.

«Die Zeiten sind vorbei», räumte sie ein. «Aber um Ihnen gerecht zu werden, sollten wir diese Stimmung in einer Wahlstrategie und einem Terminplan wieder zum Leben erwecken können, damit Ihre Fähigkeiten und Ihr Enthusiasmus wieder voll zum Tragen kommen.»

Sie versuchte es mit Offenherzigkeit. «Sie wissen, dass Sie verlieren? Aber das muss nicht sein. Ich habe mir die Umfragen angesehen.» Beim Fernsehsender CNN war er an diesem Tag um fünf bis zehn Prozentpunkte gefallen. «Es gibt einen Weg zurück.»

«Nämlich?»

Sie war der Meinung, ihm sei etwas gelungen, ohne dass er es gemerkt habe. «Das Gerede von der Wählbarkeit, die der Republikanischen Partei das Wasser abgegraben hat», dass er aus irgendeinem Grund nicht gewinnen könne und nicht wählbar sei.

Die Wähler seien enttäuscht von den republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Die Argumente lauteten: «Wir müssen uns hinter Mitt Romney stellen. Er kann als Einziger gewinnen. Wir müssen John McCain unterstützen. Er kann gewinnen. Jeb kann gewinnen. Marco kann gewinnen. Dieser hier», Trump, Sie, «der kann nicht gewinnen. Das Volk hat entschieden. Ich falle nicht mehr drauf rein», und er hatte sich bei den Republikanern als Kandidat durchgesetzt.

«Sie ziehen große Massen an, wo Sie gar keinen traditionellen politischen Wahlkampf auf die Beine gestellt haben. Sie haben eine Bewegung ins Leben gerufen. Und die Leute fühlen sich als Teil von ihr. Die haben keinen Eintritt bezahlt. Ich kann Ihnen sagen, was ich aus den Umfrageergebnissen herauslese. Wir sind mit zwei großen Hindernissen konfrontiert.» Sie sagte, man sollte niemals nationale Umfragen durchführen. «Das ist der große Fehler der Medien», die nationale Umfragen durchführten. Wahlentscheidend sei offenkundig das Wahlmännerkollegium – man müsse die 270 Wahlmännerstimmen bekommen. Sie müssten die richtigen Staaten in Angriff nehmen, die etwa acht Swing States.

«Die Leute wollen detaillierte Vorschläge», sagte Conway. Es sei großartig von Trump gewesen, im Juli seinen Zehn-Punkte-Plan zur Reform der Veteranenversorgung oder einen geplanten Fünf-Punkte-Plan zur Steuerreform vorzustellen. «Die Leute wollen diese Art von Details, aber man muss sie ihnen immer wieder vorkauen. – Die zweite verwundbare Stelle ist in meinen Augen, dass die Leute sicher sein wollen, dass Sie Ihre Versprechungen auch halten. Denn wenn Sie nicht liefern können, wenn der Geschäftsmann nicht zum Abschluss kommen und liefern kann, dann sind Sie nur irgendein weiterer Politiker. Und genau das sind Sie nicht.»

Es war ein Verkaufsgespräch, ein Weg, den Trump zu begrüßen schien.

«Meinen Sie, Sie können dieses Ding leiten?», fragte er.

«Was ist denn ‹dieses Ding›?», fragte sie. «Ich leite hier die Aufnahmen.»

«Den Wahlkampf», sagte Trump. «Den ganzen. Wären Sie bereit, Ihre Kinder ein paar Monate lang nicht zu sehen?»

Sie sagte auf der Stelle zu. «Sir, das kann ich für Sie tun. Sie können dieses Wettrennen gewinnen. Ich glaube nicht, dass ich Ihnen ebenbürtig bin. Ich werde Sie nie mit dem Vornamen ansprechen.»

Kapitel 3

Bannon war an diesem Sonntagabend auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz – der Wahlkampfzentrale im Trump Tower in New York City. Es war sein erster Besuch. Noch 85 Tage bis zur Präsidentschaftswahl.

Er fuhr in den vierzehnten Stock. An diesem Augustabend war die Sonne noch nicht untergegangen. Beim Eintreten erwartete er die Fragen von tausend Leuten: Was hatte Bannon hier zu suchen? Er würde eine Ausrede brauchen.

Entschlossen betrat er den War Room, die Einsatzzentrale, mit einem ganzen Wald von Fernsehern.

Nur ein Mensch war da. Ein Kind, wie es Bannon schien.

«Wer sind Sie?», fragte Bannon.

«Andy Surabian.»

«Wo zum Teufel sind die anderen?»

«Keine Ahnung», erwiderte Surabian. «So ist es hier jeden Sonntag.»

«Das ist die Wahlkampfzentrale?»

«Ja.»

«Der Ort, von wo aus alles organisiert wird?»

Ja. Surabian wies auf das Büro von Jason Miller – dem Kommunikationsdirektor – und das von Hope Hicks – dem jungen Ex-Model, die zur leitenden Pressesprecherin und wohl einflussreichsten Mitarbeiterin Trumps aufgestiegen war. Surabian war Leiter der Einsatzzentrale.

«Arbeitet ihr am Wochenende?»

Abermals bejahte Surabian. Einige arbeiteten in Washington, andere meldeten sich telefonisch.

Bannon versuchte es erneut. «Ist am Wochenende jemand hier?»

«Im Durchschnitt so wie heute.»

«Wo zum Teufel ist Jared? Ich muss mit Jared und Ivanka reden.» Bannon hatte gehört, dass Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn, hier der Kopf und Strippenzieher war.

Jared and Ivanka befanden sich auf einer der größten Yachten der Welt, dem stolzen 300-Millionen-Dollar-Exemplar des Entertainmentmoguls und demokratischen Geldgebers David Geffen, und machten vor der Küste Kroatiens Urlaub mit Wendi Deng, einer Geschäftsfrau und früherer Ehefrau von Rupert Murdoch.

 

Manafort rief Bannon an. Er wollte ihn treffen.

«Warum kommen Sie nicht rauf?», sagte Manafort.

Wohin?

«Auf den Tower.»

Bannon musste wieder hinunter in die Lobby und in den Fahrstuhl zu den Wohnungen. Auf der Fahrt nach oben fragte er sich, was für einen Deal Trump mit seinem Wahlkampfmanager eingefädelt hatte. «Wenn dabei ein Penthouse im Trump Tower rausspringt, warum nicht?» Besser als seine bescheidene Wohnung im Bryant Park.

Wie sich herausstellte, war Manafort Eigentümer der Wohnung.

Bannon hatte Mitleid mit Manafort. Beeindruckt von dem Erfolg und Einfluss des Trump’schen Twitter-Accounts, hatte sich der Wahlkampfmanager auch angemeldet. Doch im April berichtete die New Yorker Daily News unter der Schlagzeile «Make America kinky again» («Macht Amerika wieder sexy»), dass Manafort sich – wohl in Unkenntnis der Tatsache, dass Twitter ein öffentliches Forum ist – als Follower eines Sado-Maso-Schuppens in Manhattan namens Decadence geoutet hatte. «Manafort folgte dem noblen protzigen Peitsch-Platz, der sich selbst als der ‹intimste Swingerklub der Stadt› anpreist.»

 

Manafort hatte eine schöne Wohnung. Seine Frau Kathleen Manafort war Anwältin – eigentlich eine Sechzigerin, die aber Bannon wie eine Vierzigerin vorkam – und lag weiß gewandet und hingegossen im Sessel wie Joan Collins im Denver-Clan.

«Ich möchte Ihnen aufrichtig danken, dass Sie einspringen wollen», sagte Manafort. «Typisch Donald. So was macht er ständig.»

«Ich glaube, einiges davon war unter die Gürtellinie», sagte Bannon. Manafort winkte ab. «Hören Sie, alle sagen, dass Sie sich super mit den Medien auskennen.»

«Ich leite eine rechte Website. Interessenvertretung, damit kenne ich mich aus.»

«Ich möchte, dass Sie sich das hier ansehen», sagte Manafort und reichte ihm die Kopie eines Artikelentwurfs der New York Times mit dem Titel «Geheime Geschäftsunterlagen aus der Ukraine belegen Barzahlungen an Donald Trumps Wahlkampfmanager».

Bannon las weiter: «Handschriftliche Vermerke offenbaren 12,7 Millionen Dollar versteckte Barzahlungen an Mr. Manafort» von der prorussischen politischen Partei.

«Zwölf Millionen verschissene Dollar bar aus der Ukraine!» Bannon brüllte fast.

«Was?» Mrs. Manafort setzte sich kerzengerade auf.

«Nichts, Liebes», sagte Manafort. «Gar nichts.»

«Wann soll das erscheinen?», fragte Bannon.

«Möglicherweise heute Nacht.»

«Weiß Trump davon?»

Manafort verneinte.

«Seit wann ist es Ihnen bekannt?»

Seit zwei Monaten, sagte Manafort, seit die Times mit ihren Nachforschungen begonnen hatte.

Bannon las die ersten zehn Absätze. Absolut tödlich. Manafort war erledigt.

«Mein Anwalt hat mir geraten, nicht zu kooperieren», sagte Manafort. «Es sei bösartige Hetze.»

«Sie sollten Ihren Anwalt feuern.»

«Ich denke darüber nach.»

«Sie müssen Trump anrufen … sprechen Sie mit ihm. Wenn der Artikel erscheint, und er weiß nichts davon, können Sie einpacken. Wie haben Sie die 12,7 Millionen überhaupt transportiert?»

«Alles Lüge», sagte Manafort. «Ich hatte Ausgaben.»

«Was soll das heißen?»

«Ich bin allgemeiner Berater», erklärte er. «Ich habe meine Leute.» Viele Helfer hatten in der Ukraine für ihn gearbeitet. «Das ging alles für Honorare drauf. Ich habe keine 500000 Dollar dabei verdient.»

«Das nützt Ihnen nichts. Davon steht nichts in dem Artikel. Es heißt nur ‹Sie haben 12,7 Millionen Dollar in bar gekriegt›, klar?»

Bannon rief Jared an.

«Sie müssen zurückkommen», sagte er.

Noch in dieser Nacht ging der Times-Artikel über Manafort online, und am nächsten Morgen erschien er in der Zeitung. Wie Bannon vorhergesagt hatte, spuckte Trump Gift und Galle. Es hatte ihn ohne Vorwarnung erwischt.

 

Trump rief Reince Priebus an und teilte ihm mit, Steve Bannon werde den Chefposten übernehmen. Priebus staunte nicht schlecht, dass sich Trump schon wieder jemand ohne nennenswerte Erfahrung holte, hielt aber den Mund. Schließlich hatte er sich mit Bannons Breitbart-Website arrangiert. Nachdem er als Mitglied der republikanischen Elite zwei Jahre lang von Breitbart ans Kreuz genagelt worden war, hatte er eine neue Strategie entwickelt: Es war erheblich angenehmer, mit Breitbart zusammenzuarbeiten und seltener gekreuzigt zu werden.

 

Wie die Umfragen zeigten, waren nur 70 Prozent der Republikaner für Trump. Sie brauchten 90 Prozent. Das heißt, sie mussten den Parteiapparat auf Trumps Seite bringen.

«Schauen Sie, Sie kennen mich nicht», sagte Bannon. Vor Jahren war er Priebus einmal kurz begegnet. «Sie müssen heute Nachmittag unbedingt kommen, ich brauche Sie hier. Und Katie Walsh, dieses Mädel, das ein Superstar sein soll.» Priebus und Walsh, die Stabschefin des Republican National Committee, hatten Zugriff über die Datenbank der Republikaner auf jeden prospektiven Wähler des Landes.

Bannon wollte sichergehen, dass das RNC Trump nicht fallenließ. Es hieß, Geldgeber würden abspringen und man suche allseits nach Auswegen aus dem Trump-Schlamassel.

Stimmt nicht, versicherte Priebus ihm. Wir bleiben bei der Stange.

«Wir müssen als Team arbeiten», sagte Bannon.

«Und Sie denken, Sie kriegen das hin?»

«Hören Sie, Trump kümmert sich nicht um Einzelheiten», sagte Bannon. Das sei ihre Aufgabe.

In seiner zotigen Art berichtete Bannon später: «Am 15. August habe ich Reince Priebus den Schwanz gelutscht und dem Establishment erklärt: Wir können ohne euch nicht gewinnen.»

 

Selbst wenn es Trump und seinem Wahlkampfteam nicht klar war, Priebus wusste sehr genau, dass Trump auf die Unterstützung des RNC angewiesen war. Der Kandidat hatte fast keine Bodentruppen, die sich direkt um die Wähler kümmerten, und keine Ahnung von den einfachsten Dingen – dem Einmaleins der Politik.

Während der letzten Jahre hatte Priebus enorme Anstrengungen unternommen, um das RNC in eine datengesteuerte Organisation umzuwandeln. Nach dem Vorbild der siegreichen Wahlkampfstrategie von Obama hatte das RNC damit begonnen, riesige Summen – am Ende mehr als 175 Millionen Dollar – in Wähleranalysen und große Datensammlungen zu stecken, wobei sie einzelne Vorwähler genau unter die Lupe nahmen. Mit Hilfe dieser Informationen unterteilten sie Wahlkreise in kleine «Reviere», in denen sie dann Heerscharen von freiwilligen Wahlhelfern einsetzten.

Alle waren stets davon ausgegangen, dass das RNC, sobald der Kandidat gekürt war, seine starke, glänzende Maschine an einen ziemlich robusten, umfangreichen Wahlkampfapparat hängen würde. Trotz aller Beleidigungen, die das RNC während der Vorwahlen hatte einstecken müssen – einmal bezeichnete Trump das RNC als «Schande» und «Schwindel» und sagte, Priebus «sollte sich schämen» –, war das RNC praktisch Trumps Wahlkampfteam.

Die erste Aufgabe der freiwilligen Wahlhelfer bestand darin, jene Wähler zur Briefwahl oder Frühwahl zu bewegen, die als pro-Trump geführt wurden, weil sie auf einer Skala von 0 bis 100 in einer landesweiten Datenbank einen Punktwert von 90 oder mehr erreichten. In Ohio wiesen von etwa sechs Millionen Wählern ungefähr eine Million 90 oder mehr Punkte auf. Nachdem diese Wähler für eine Frühwahl ausersehen waren, setzten ihnen die Wahlhelfer und Freiwilligen so lange zu, bis die Stimme abgegeben war.

Daraufhin wandten sich die Wahlhelfer den Wählern zu, die einen Punktwert von 60 oder 70 erreichten, und versuchten sie zu überreden, Trump zu wählen. Das System sollte die Zufälligkeit der Wählerkontakte beseitigen und alle Anstrengungen auf die Menschen konzentrieren, die am ehesten dazu neigten, Trump zu wählen.

Am 17. August gab die Wahlkampfzentrale den Führungswechsel bekannt. Die New York Times berichtete: «Trumps Entscheidung, Stephen K. Bannon, den Vorsitzenden der Breitbart-Nachrichten-Website, als Leiter seines Wahlkampfteams einzusetzen, war trotziger Widerstand gegen die Bemühungen langjähriger republikanischer Wahlhelfer, ihm die schwülstigen, rassistisch gefärbten Reden abzugewöhnen, die ihm die Nominierung gebracht hatten, jetzt aber seine Kandidatur gefährdeten … Für Mr. Trump hingegen war die Einbeziehung von Mr. Bannon die politische Entsprechung eines Trostessens.»

Bannon versuchte, sich mit Trump zusammenzusetzen und mit ihm den Feinschliff der Strategie und die Fokussierung auf bestimmte Staaten durchzugehen. Doch der Kandidat hatte kein Interesse, darüber zu sprechen.

Bannon versicherte Trump, er habe die «metaphysische Gewissheit, dass Sie gewinnen, wenn Sie sich an diese Taktik halten und auf den Vergleich mit dem Gegensatz zu» Hillary Clinton konzentrieren. «Jede ermittelte Zahl spricht für uns.»

«Mir wurde klar», sagte Bannon später, «ich bin der Regisseur und er der Schauspieler.»

 

Im Juli hatte Kellyanne Conway den viertägigen Parteikonvent der Demokraten besucht. Sie hatte sich die Reden angehört, mit Delegierten gesprochen, war im Fernsehen aufgetreten. Anhand ihrer Beobachtungen hatte sie ihre gegenwärtige Strategie entwickelt. «Deren Botschaft ist, Donald Trump ist schlecht, und wir sind nicht Donald Trump. Der Rest der Botschaft war Hautfarbe, Gender, LGBT (lesbian, gay, bisexual and transgender).»

Conway prägte den Ausdruck «der heimliche Trump-Wähler». Das waren die Leute, die keine Ahnung hatten, wie sie sich in der bevorstehenden Wahl entscheiden sollten. Die sagten: «Himmel, mein Dad, mein Granddad und ich, wir waren alle in der Gewerkschaft. Und ich wähle jetzt Donald Trump?» Mit einem Fragezeichen am Ende. «Ich wähle jetzt einen republikanischen Milliardär?» Noch ein Fragezeichen.

«Und dann waren da diese Frauen, die sagten, klar bin ich dafür, dass Abtreibung erlaubt bleibt, aber ich glaube nicht, dass sich etwas an Roe v. Wade ändern wird. Allerdings verstehe ich nicht, warum ich mir kein normales Leben mehr leisten kann, also kriegt meine Stimme der, der das ändert.»

Viele Medien kauften ihr den «verborgenen Trump-Wähler» nicht ab. Aber die Datenbank von Priebus und Walsh lieferte dem RNC und den Wahlkampfhelfern Aufschlüsse über fast alles, was es über den einzelnen prospektiven Wähler zu wissen gab – die Biersorte, die er trank, Marke und Farbe seines Autos, Alter und Schulart seiner Kinder, seine Hypothekenbelastung, die Zigaretten, die er rauchte. Holte er sich jedes Jahr eine Jagdlizenz? Hatte er Waffenzeitschriften abonniert oder liberale Zeitschriften wie The New Republic?

Und Conway sagte: «Es gibt nicht einen einzigen verborgenen Hillary-Wähler im ganzen Land. Die posaunen das überall rum.»

Über Clinton meinte sie: «Sie scheint keine Botschaft zu haben. Wenn ich sie wäre, würde ich mir eine Botschaft suchen. Ich würde sie mir ganz zu eigen machen. Und sie wäre positiv und ermutigend und optimistisch. Bislang kann ich keinen Hauch von Optimismus bei ihr erkennen.»

Clinton hatte nicht in einem einzigen der Schlüsselstaaten die Fünfzigprozentmarke geknackt, in denen Obama zwei Mal mit über 50 Prozent gewonnen hatte. Wie Bannon war Conway der Meinung, dass sie diese verborgenen Trump-Wähler kriegen könnten, wenn es ihnen gelänge, im Trump-Wahlkampf Hillary anstelle von Trump zu thematisieren. Wenn es weiterhin um Trump ginge, «werden wir vermutlich verlieren».

 

Der Eindruck, den Bannon sechs Jahre zuvor gewonnen hatte, als er Trump 2010 zum ersten Mal begegnet war, verfestigte sich. Bannon: «Ich bin an einen Archie Bunker geraten … Er ist ein Tiberius Gracchus» – der römische Volkstribun aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr., der das Land der reichen Patrizier und Großgrundbesitzer an die Armen verteilen wollte.

Bannon sah sich den Terminplan an – als Nächstes kam die Woche des Bildungssystems, dann die Woche der Frauenrechte, die dritte Woche gehörte den Kleinunternehmen. Wie bei George Bushs erster Kandidatur in den 1980er Jahren. Klassischer Country-Club-Republikanismus. «Weg mit diesem Scheiß», sagte er.

Bannon schlug Jared Kushner einen neuen Plan vor. In jedem der heiß umkämpften Staaten hinkte Trump zweistellig hinterher. Bannons Plan hatte drei Stufen:

Erstens die nächsten sechs Wochen von Mitte August bis zum 26. September, dem Tag, auf den das erste Fernsehduell mit Hillary festgesetzt war. «Wenn wir auf fünf bis sieben Prozentpunkte herankommen, könnte das eine Brücke sein, die uns zum Sieg führt.»

Zweitens die drei Wochen der Debatten. Das war die Phase größter Gefahr. «Er ist völlig unvorbereitet für große Duelle», sagte Bannon. «Sie wird ihn in der Luft zerreißen, weil sie die Beste ist», wenn es um Debatten und Politik gehe. Sie mussten auf Spontanität setzen. Trump hatte kein Problem, unvorhersehbar zu handeln. «Er soll sich in diesen Debatten auf sein Gefühl fürs Publikum verlassen. Das ist unsere einzige Chance … Wenn er umhergehen und sich auf die Leute einlassen kann.» Trotzdem blieb er pessimistisch. «Sie wird uns zermalmen … Wir gehen hoffnungslos baden.»

Drittens die letzten drei Wochen vor dem Wahltag, nach der abschließenden Debatte am 8. November. Das Fundraising durch Steve Mnuchin, den Ex-Manager von Goldman Sachs und nationalem Finanzvorstand des Wahlkampfs, hielt er für einen schlechten Witz. Sie mussten sich an Trump selbst halten.

Bannon erklärte, er habe Daten gesehen, die einen Sieg in Ohio und Iowa möglich erscheinen ließen. Außerdem müssten sie Florida und North Carolina gewinnen. Dann könnten Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und Minnesota wieder an die Republikaner fallen. Das alles erschien wie eine größenwahnsinnige Pantasie.

«Die Götterdämmerung», die Entscheidungsschlacht, sagte er.

Manaforts Ausscheiden wurde am 19. August bekanntgegeben.

Am 22. August brachte das Magazin Time