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Als eines Tages ein Italiener vor Mia Bertold steht, der sich als Anwalt eines Davide di Sponali, Principe de San Otroni vorstellt und ihr erklärt, dass dieser ihr seinen Palazzo vermacht habe, hält sie die Geschichte zunächst für Betrug. Nachdem er ihr aber Dokumente überreicht, die sich bei einer Prüfung als echt erweisen, reist die junge Kunsthistorikerin zur Besichtigung des Palazzo in das malerische Dorf San Otroni an der Amalfiküste Italiens. Wie erwartet zeigt sich die Familie des Verstorbenen wenig begeistert davon, dass der Palazzo an eine Fremde gehen soll - zumal die Gründe dafür unbekannt sind. Lediglich Nico, der jüngste Sohn Davides, stellt sich dem letzten Willen seines Vaters nicht entgegen. Zusammen mit der hübschen Mia sucht er nach einer Verbindung zwischen ihren vor zwanzig Jahren in der Gegend tödlich verunglückten Eltern und seinem verstorbenen Vater. Zwischen Olivenhainen und Zitronenplantagen forschen sie nach den Geheimnissen der Vergangenheit - und ihren Gefühlen ...
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Seitenzahl: 120
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Palazzo Primavera
Vorschau
Impressum
Palazzo Primavera
Ein unvergesslicher Sommer an der Amalfiküste und ein Geheimnis, das alles verändert
Von Clarissa von Lausitz
Als eines Tages ein Italiener vor Mia Bertold steht, der sich als Anwalt eines Davide di Sponali vorstellt und ihr erklärt, dass dieser ihr seinen Palazzo vermacht habe, hält sie die Geschichte zunächst für plumpen Betrug. Nachdem er ihr aber Dokumente überreicht, die sich bei einer Prüfung als echt erweisen, reist die junge Kunsthistorikerin zur Besichtigung des Palazzo in das malerische Dorf San Otroni an der Amalfiküste.
Wie erwartet zeigt sich die Familie des Verstorbenen wenig begeistert davon, dass der Palazzo an eine Fremde gehen soll – zumal die Gründe dafür unbekannt sind. Lediglich Nico, der jüngste Sohn Davides, stellt sich dem letzten Willen seines Vaters nicht entgegen. Zusammen mit der hübschen Mia sucht er nach einer Verbindung zwischen ihren vor zwanzig Jahren in der Gegend tödlich verunglückten Eltern und seinem verstorbenen Vater. Zwischen Olivenhainen und Zitronenplantagen forschen sie nach den Geheimnissen der Vergangenheit – und ihren Gefühlen ...
»Auseinander! Sofort auseinander!« Empört stürmte die korpulente Lehrerin mittleren Alters durch das Foyer der Kunsthalle. »Das kann ja wohl nicht wahr sein!«
Auf dem grauen Betonboden des Museums wälzten sich zwei Sechstklässler umher. Einer von ihnen hatte seinen Kontrahenten in den Schwitzkasten genommen, worauf dieser mit heftigen Fußtritten ins Leere reagierte. Etwa dreißig gleichaltrige Schülerinnen und Schüler standen im Kreis um den Ringkampf herum und feuerten ihren jeweiligen Favoriten an. Mehrere Kinder hatten ihre Handys gezückt und filmten die Szene.
»Aufhören!« Die Lehrerin hatte das Zentrum des Geschehens erreicht und zerrte einen der Jungen in die Höhe. Der andere rappelte sich allein wieder auf. Schnaufend standen sie einander gegenüber und funkelten sich wütend an.
»Das hat ein Nachspiel, darauf könnt ihr euch verlassen«, kündigte die erzürnte Pädagogin an.
Mia Bertold wandte sich lächelnd ab und steuerte den Museumsshop neben der Kasse der Kunsthalle an. An den für Schulklassen reservierten Vormittagen ging es im Museum turbulent zu, das hatte die junge Frau in den zwei Jahren ihrer kuratorischen Assistenz schon oft beobachtet. Zu Rangeleien kam es jedoch selten. Die meisten Kinder und Jugendlichen zeigten sich von der Atmosphäre in dem hochmodernen Gebäude mit den hohen Decken und den großformatigen Werken an den roh verputzten Wänden gehörig beeindruckt. Aber eben nicht alle.
Mia trat zwischen die niedrigen Tische des Museumsshops, auf denen Bildbände, kleine Drucke, Schlüsselanhänger und weitere Merchandising-Produkte der Kunsthalle auslagen. Die lebhafte Besucherschar hatte hier kaum etwas durcheinandergebracht. Lediglich der Postkartenständer stand zu dicht an der großen Panoramascheibe, die den Blick in den Innenhof der Museumsanlage freigab.
Mia rückte das Gestell zurecht und warf dabei einen prüfenden Blick auf ihre Silhouette, die sich im Fenster spiegelte. Ihre dunkelgraue Hose und die weiße Bluse saßen vollkommen korrekt und betonten ihre schlanke Figur. Mia hatte nur dezentes Make-up aufgelegt und ihre dichten, braunen Haare zu einem Zopf gebunden.
Von den Kunsthallen-Mitarbeitern wurde ein eher unauffälliges Auftreten erwartet. Nichts sollte von den ausgestellten Werken ablenken oder optisch mit ihnen in Konkurrenz treten. Die Schönheit von Mia Bertolds ebenmäßigem Gesicht mit den leicht schräg stehenden, grünen Augen war dennoch unmöglich zu übersehen.
»Bitte entschuldigen Sie. Ich weiß nicht, was in die Jungs gefahren ist.« Die Lehrerin war neben Mia getreten und blickte sie kopfschüttelnd an.
»Ach, das macht doch nichts.« Mia schmunzelte. »Vermutlich ist ihr Temperament mit ihnen durchgegangen. Es ist ja nichts weiter passiert.«
»Trotzdem hätte ich ein reiferes Verhalten von ihnen erwartet. Aber das ist nicht Ihr Problem«, entgegnete die Lehrerin. »Ich möchte mich herzlich für die Führung bedanken. Es war sehr aufschlussreich und spannend für die Kinder.«
»Wie schön.« Mia strahlte. »Wir freuen uns immer über junge Besucher. Sie bringen so viel Leben in dieses Haus.«
»In der Tat. Manchmal mehr, als man sich wünschen würde«, entgegnete die Lehrerin trocken. »Dann bis zum nächsten Mal.«
»Bis zum nächsten Mal.« Mia blickte der Frau hinterher, die sich zu den Garderobenfächern begab, vor denen sich die Schüler drängten, um ihre Jacken und Rucksäcke zu ergattern. Fünf Minuten voller Geschrei und Gelächter später senkte sich Stille über das Foyer.
Mia atmete tief durch und streckte sich. Diese Anekdote würde sie heute Abend Oma Rosi und Tante Cleo in leuchtenden Farben schildern. »Prügelei vor Meisterwerken«: Etwas in dieser Richtung schwebte Mia vor, weil sie wusste, dass ihre Oma und ihre Tante sich darüber köstlich amüsierten.
Mia schätzte das wöchentliche gemeinsame Kochen und Essen mit Rosi und Cleo sehr. Schließlich waren die beiden Frauen ihre einzigen Verwandten, seit Mias Eltern vor zwei Jahrzehnten bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen waren. Mia war erst acht Jahre alt gewesen und vom einen auf den anderen Moment Vollwaise.
Glücklicherweise war Roswitha Bertold, Mias Großmutter väterlicherseits, fit und engagiert genug, das todtraurige kleine Mädchen bei sich aufzunehmen.
Den Umständen entsprechend hatte Mia bei Oma Rosi und mit Hilfe von Karin »Cleo« Bertold, ihrer exzentrischen Tante, eine schöne Kindheit erleben können. Mia hing sehr an den beiden, besonders an Oma Rosi. Deshalb war sie nach der Schule nicht ausgezogen, sondern hatte sich in Roswitha Bertolds großem, altem Haus eine Einliegerwohnung eingerichtet.
Mia bemerkte, wie sie sich in Gedanken an die Vergangenheit verlor. Doch dafür war die Kunsthalle der falsche Ort. Bis zu ihrer Mittagspause hatte sie noch genug Zeit, einige Fotos für den Katalog zur nächsten Sonderausstellung zusammenzustellen. Mia schaltete den Laptop ein, der auf einem Seitentisch neben der Kasse stand. Ihr Vorgesetzter wollte in drei Monaten eine üppige Schau japanischer Mangas präsentieren, und dafür galt es noch jede Menge vorzubereiten.
Mia war neugierig auf die aufwendig gezeichneten Comics aus Fernost. Privat interessierte sie sich zwar mehr für alte Kunst, für Renaissance-Porträts und Antiquitäten, doch sie wusste, dass aktuelle Kunst besonders viele Besucher anzog, vor allem jüngere, und die Manga-Ausstellung würde gewiss ein Publikumsmagnet werden.
»Verzeihen Sie, darf ich Sie stören?« Mia blickte auf. Vor ihr stand ein kleiner, schmaler Mann, etwa sechzig Jahre alt, mit eisgrauen, kurzen Haaren, dunklem Teint und scharf geschnittenem Profil. Er trug einen sehr teuer wirkenden, dunkelblauen Anzug und eine silbrig glänzende Krawatte.
»Selbstverständlich, was kann ich für Sie tun?« Mia setzte automatisch ihr freundliches Besucherlächeln auf.
»Sie sind Mia Bertold?«, fragte der Mann in tadellosem Deutsch, doch mit unüberhörbarem italienischen Akzent.
»Ähm ... ja, warum fragen Sie?« Mia war verwirrt.
»Sehr angenehm.« Der Mann stellte seine lederne Aktentasche – die ebenso teuer wirkte wie sein Anzug – neben sich auf den Boden und streckte die Hand aus.
»Alberto Linducci«, erklärte er. »Ich bin Avvocato ... wie sagen Sie ... Anwalt aus Italien. Aus Kampanien, nahe Salerno.«
»Angenehm.« Automatisch ergriff Mia die dargebotene Hand. »Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ein interessantes Museum ist das hier«, erwiderte Alberto Linducci. »Als ich durch dieses historische Portal gegangen bin, habe ich etwas völlig anderes erwartet.«
»Ja, so geht es vielen Besuchern.« Mia nickte. »Die Kunsthalle ist vor zehn Jahren auf dem Fundament einer Kirche aus dem fünfzehnten Jahrhundert erbaut worden. Diese Kirche gehörte zu einem Kloster, das im neunzehnten Jahrhundert durch ein Feuer fast vollständig vernichtet wurde. Die Außenmauern und das Portal sind jedoch erhalten geblieben.«
»Und Sie arbeiten hier als ...?« Der Anwalt blickte Mia fragend an.
»Ich bin kuratorische Assistentin«, erklärte Mia. »Ich habe zuvor Kunstgeschichte studiert. Aber weshalb wollen Sie das wissen?«
»Ich habe eine wichtige Nachricht für Sie, Signora Bertold«, erklärte Alberto Linducci zu Mias Überraschung. »Dafür bin ich extra von Italien in Ihre schöne Stadt gereist.«
»Eine wichtige Nachricht? Für mich?« Mia musterte den Anwalt skeptisch. Er wirkte durchaus seriös. Aber das konnte natürlich täuschen.
»Ja, ich muss die Angelegenheit unbedingt mit Ihnen persönlich besprechen«, antwortete Alberto Linducci. »Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie hier so überfalle. Aber ich habe befürchtet, dass Sie mir nicht glauben würden, wenn ich Sie anrufe. Sie wissen schon, all diese Betrüger heutzutage am Telefon ...«
»Nicht nur am Telefon«, meinte Mia misstrauisch.
Alberto Linducci lachte. »Sie sind vorsichtig, Signora, das gefällt mir. Erlauben Sie, dass ich Sie auf einen Kaffee einlade? In dieses hübsche Café vorne an der Straße? Dort können Sie mir unbesorgt zuhören, und wenn Sie mir nicht glauben – bitte, dann gehen Sie einfach.«
Mia überlegte. Regelmäßig versuchten männliche Besucher, die bildhübsche Museumsmitarbeiterin auf einen Kaffee, ein Essen oder Ähnliches einzuladen. Deren Absichten waren stets eindeutig. Doch Alberto Linducci schien nicht in diese Kategorie zu fallen – zumal er deutlich älter war als die Herren, die sonst ihr Glück bei Mia versuchten.
»Also gut«, erwiderte sie langsam. »Wir trinken einen Kaffee zusammen. In zehn Minuten.«
Alberto Linducci war ein höflicher Mann. Als Mia das »Café Sahne« betrat, erhob sich der Anwalt von einem der Fenstertische und rückte Mia einen Stuhl zurecht. Sie überlegte, ob das jemals zuvor jemand für sie getan hatte, doch ihr fiel keine derartige Situation ein.
»Darf ich etwas für Sie bestellen?«, erkundigte sich Alberto Linducci. Mia entschied sich für einen Milchkaffee, während ihr italienischer Besucher einen Espresso und ein Mineralwasser wählte. Während sie auf die Getränke warteten, blickte sich der Anwalt in dem altmodisch eingerichteten Lokal mit den rot gepolsterten Sitzmöbeln, den weißen Tischen und den goldfarben gerahmten Bildern an den Wänden um.
»Retro-Stil ... sagt man das so?«, fragte er. Mia nickte, antwortete aber nicht. Sie wollte keinen Smalltalk. Nachdem der Kellner die Getränke gebracht hatte, kam sie deshalb direkt zur Sache.
»Also, Herr Linducci: Was ist das für eine wichtige Nachricht, die Sie für mich haben?« Sie schaute den elegant gekleideten Herrn auffordernd an.
»Sie verschwenden keine Zeit, das weiß ich zu schätzen.« Er nippte an seinem Espresso und verzog kurz das Gesicht.
»Ich komme im Auftrag von Davide di Sponali«, fing Alberto Linducci an. »Sie kennen ihn nicht, er ist ein Mandant von mir. War, muss ich leider sagen. Davide ist vor wenigen Wochen verstorben. Er hat mit seiner Familie in San Otroni gelebt, das ist eine kleine Stadt in der Nähe von Salerno.«
»Aha. Bedauerlich für Herrn di ... na, wie auch immer er heißt.« Mia rührte in ihrem Milchkaffee herum. »Aber was habe ich damit zu tun?«
»Dazu komme ich gleich«, entgegnete der Anwalt freundlich. »Davide war der Principe de San Otroni, also der Fürst – auch wenn der italienische Adel etwas anders strukturiert ist als der deutsche. Jedenfalls ist die Familie sehr vermögend. Davide, seine Frau und seine Söhne führen bekannte Möbelhäuser in Italien, der Besitz umfasst zudem Immobilien und sehr viel Land.«
»Mit Verlaub: Das klingt wie in einer dieser betrügerischen E-Mails, nur live und in Farbe«, erwiderte Mia kühl. »Als Nächstes wollen Sie mir vermutlich weismachen, dass dieser italienische Fürst, von dem ich noch nie gehört habe, mir etwas vererbt hat, richtig?«
»Woher wissen Sie das? Sie sind eine kluge Frau«, gab Alberto Linducci verblüfft zurück. »Davide hat Sie in der Tat in seinem Testament bedacht. Er vererbt Ihnen den Palazzo Primavera. Das ist eine wunderschöne Villa etwas außerhalb von San Otroni, oberhalb eines Dorfes gelegen, mit einem zauberhaften Garten und ...«
»Halt, bitte.« Mia hob die Hand. »Noch einmal mit Verlaub: Veräppeln kann ich mich allein. Gibt es wirklich Leute, die auf diese Masche hereinfallen?«
»Ich verstehe Sie, Signora Bertold, ich verstehe Sie.« Der Anwalt schüttelte betrübt den Kopf. »Es gibt so viele unehrliche Menschen auf der Welt. Warum sollten Sie mir Glauben schenken?«
»Das weiß ich auch nicht. Vielen Dank für den Milchkaffee, Herr Linducci.« Mia stand auf. »Aber ich denke, dieses Gespräch ist beendet.«
»Bitte warten Sie, Signora, bitte.« Alberto Linducci öffnete seine lederne Aktentasche. »Ich habe befürchtet, dass Sie so reagieren. Deshalb habe ich einige Dokumente mitgebracht, die Sie davon überzeugen werden, dass ich die Wahrheit sage.«
Er legte einen schmalen, schwarzen Ordner auf den Tisch. Mia ließ sich widerwillig zurück auf ihren Stuhl sinken.
»Sehen Sie, das ist eine beglaubigte Kopie des Testaments. Sie können alles überprüfen lassen. Eine Übersetzung benötigen Sie allerdings auch, es ist natürlich alles auf Italienisch geschrieben.«
»Natürlich«, erwiderte Mia mit ironischem Unterton.
Das war eine absolut hanebüchene Geschichte, die ihr dieser Mann auftischte. Dabei hatte ihre normalerweise zuverlässige Intuition bei Alberto Linducci nicht den leisesten Alarm geschlagen. Er hatte vollkommen ehrlich auf Mia gewirkt. Im Grunde tat er das immer noch, trotz seiner abenteuerlichen Erzählung.
»Außerdem habe ich hier einen Beleg vom Tribunale de Successione, vom Nachlassgericht«, fuhr Alberto Linducci fort. »Es ist alles echt. Und schauen Sie nach der Familie di Sponali im Internet. Sie werden sehr viele Informationen finden. Bitte sehen Sie sich das alles wenigstens an.«
Mia zögerte. Die gesamte Szene erschien ihr absurd. Doch was konnte schon passieren, wenn sie diese Papiere mitnahm? Für Oma Rosi und Tante Cleo wäre es vermutlich ein Fest, über dieses angebliche Testament zu spekulieren.
»Also gut«, sagte Mia. »Ich lasse diese Dokumente prüfen. Mehr aber auch nicht. Aber verraten Sie mir: Weshalb sollte ein italienischer Adliger einer Frau aus Deutschland, die er nie getroffen hat, einen Palazzo am Meer vererben?«
Alberto Linducci legte eine Visitenkarte auf den Tisch und blickte Mia ernst in die Augen.
»Sie erreichen mich unter dieser Nummer, Signora. Und was Ihre letzte Frage betrifft: Die Antwort darauf darf ich Ihnen jetzt noch nicht geben.«
Barbara di Sponali trug seit dem Tod ihres Mannes Schwarz, und daran würde die Principessa di San Otroni in den kommenden Monaten auch nichts ändern. Zwar gab es mittlerweile in der Region keine ihr bekannte, exakte Richtlinie mehr für die Dauer, die eine Witwe sich in dieser Farbe kleiden sollte, doch es war der Fürstin ein großes Bedürfnis, ihre tiefe Trauer auf diese Weise auszudrücken.
Heute Morgen hatte sie einen schlichten, schwarzen Hosenanzug gewählt, der die kleine, kompakte Frau schlanker aussehen ließ, als sie war. Barbara hatte ihre halblangen, silberblonden Haare zu einem Dutt aufgesteckt, der ihre strengen Gesichtszüge betonte. Außer dezenten Goldohrringen und einer edlen Armbanduhr hatte sie lediglich ihren Ehering angelegt.
»Wo bleibt dein Bruder nur?«, fragte sie ihren Erstgeborenen und trat an das Fenster des weißen Salons in der Residenza del Principe.
Es ging auf den Innenhof des Stadtpalastes im Zentrum von San Otroni hinaus. Im dort angelegten Garten blühten farbenprächtige Blumen um die Wette, und in der Mitte der grünen Rasenfläche stritten Sperlinge und Tauben um den besten Platz im Vogelbad. Das bunte Frühlingsbild stand im deutlichen Kontrast zur Stimmung der Fürstin.
»Er wird schon kommen«, erwiderte Vicente di Sponali.