Als Leonie ihre Kinder vom Kindergarten abholt, wird sie Zeugin, wie ein Mann einen Kindergartenfreund ihrer Tochter gegen dessen Willen und ohne Erlaubnis der Erzieherin mitnimmt. Wenige Tage später erfährt sie, dass die Schwester und der Neffe ihrer Kollegin entführt wurden. Nachdem eine Frauenleiche gefunden wird, wendet sich Leonie mit einem schrecklichen Verdacht an die Polizei. Doch niemand unternimmt etwas und so geht Leonie auf eigene Faust auf die Suche nach dem Jungen. Wird sie ihn finden, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen?
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Seitenzahl: 257
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Fynnished
–
Ein Stuttgart-Krimi
Leonie Pionet Teil 3
von Elke Eike
Text:
© Copyright by Elke Eike
Covergestaltung:
© Copyright by Elke Eike
1. Auflage April 2023
Verlag:Elke EikeMillöckerstraße 570195 [email protected]
Vertrieb:epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
In dieser Reihe sind bisher erschienen:
Schwabenklüngel – Leonie Pionet Teil 1
Bi-Ba-Butzele – Leonie Pionet Teil 2
Fynnished – Leonie Pionet Teil 3
Es gibt nur einen Weg zum Glück
und der bedeutet,
aufzuhören mit der Sorge um Dinge,
die jenseits der Grenzen
unseres Einflussvermögens liegen.
(Epiktet)
Vorwort
Prolog
1
2
3
4
5
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7
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9
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11
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17
18
Epilog
Danksagung
Über die Autorin
Auch wenn man es Teil 1 und 2 nicht direkt angemerkt hat, so spielten beide doch in einem bestimmten zeitlichen Ablauf. In meinen Notizen gibt es jeweils eine genaue datumsmäßige Planung. So fand der Mord an Miguel im Juli 2017 statt, die Geburt von Jonas im April 2018 und der Mord an Wolfgang Anfang April 2019. Der Umzug in Wolfgangs Wohnung und damit das Ende von Teil 2 waren im Mai 2019.
Für mich stellte sich nun die Frage, ob ich Teil 3, den ich gerne noch schreiben wollte, um die Reihe abzuschließen, in einen nahen zeitlichen Zusammenhang zum zweiten Teil stellen sollte oder nicht. Durch die Corona-Pandemie hat sich Anfang 2020 unser aller Leben verändert. Eine Handlung in das Jahr 2020 oder später zu legen und Corona außen vor zu lassen, fühlte sich einfach falsch an.
Nach einer Weile der intensiven Überlegung bin ich zu der vorliegenden Lösung gekommen: Der Epilog spielt zu Beginn der Pandemie und führt damit das Thema kurz ein, die Handlung des Buches an sich findet im Sommer 2022 statt.
An viele Dinge im Zusammenhang mit dem Virus hat man sich inzwischen gewöhnt. Ich habe versucht, die Veränderungen, die die Gesellschaft dadurch erfahren hat, in das Buch einfließen zu lassen. Ich hoffe, es ist mir gelungen, ohne dass die Geschichte dadurch einen negativen Touch bekommt.
"Was ist das eigentlich für eine komische Krankheit?", fragte Leonie, nachdem sie die Eilmeldung gelesen hatte, die gerade auf ihrem Smartphone aufgeploppt war. Es war Sonntagmorgen, Marco und sie saßen nach dem Frühstück noch am Esstisch im Wohnzimmer und tranken gemütlich Kaffee. Ihr knapp zweijähriger Sohn Jonas saß schon seit einer Weile auf dem Fußboden neben der Couch, um dort zu spielen.
"Du meinst die in China?", antwortete Marco zerstreut, während er auf seinem Handy seine beruflichen E-Mails durchsah.
"Die ist schon lange nicht mehr nur in China", ereiferte sich Leonie. "Inzwischen gibt es auch Fälle hier in Deutschland."
"Ja, okay. Du hast ja recht", sagte Marco beschwichtigend. Vorsorglich legte er das Smartphone auf den Tisch und griff nach Leonies Hand. Im Laufe der Zeit hatte er gelernt, dass seine Lebensgefährtin sehr impulsiv werden konnte und durchaus leicht zu beunruhigen war. "Ich habe mich noch nicht näher damit beschäftigt, aber ich glaube, uns droht keine Gefahr. Das ist doch alles weit weg und unter Kontrolle."
"Bist du sicher?", gab Leonie ängstlich zurück. "Mir ist irgendwie schon seit Tagen nicht gut und ständig übel." Marco begann zu lachen, was Leonie mit einem verärgerten Seufzen quittierte.
"Hör mal", erklärte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. "Die Fälle, die es bisher in Deutschland gibt, sind alle gut isoliert in Krankenhäusern. Niemand davon ist in unserer Nähe und hätte dich anstecken können. Außerdem ist das eine Lungenkrankheit. Mit Übelkeit hat das nichts zu tun."
Nachdenklich runzelte er die Stirn, bevor er weitersprach: "Vielleicht hast du dir den Magen verdorben. Wenn es nicht von allein besser wird, mach doch nächste Woche mal einen Termin bei Dr. Vogt aus."
Zaghaft nickte Leonie. Ihr pragmatischer Hausarzt war schon immer eine gute Anlaufstelle für ihre gesundheitlichen Probleme gewesen. Während sie in ihre Kaffeetasse starrte, verstärkte sich plötzlich die bis dahin eher unterschwellige Übelkeit. Auf einmal ekelte sie der restliche Kaffee in ihrer Tasse geradezu an. Mit einem Ruck sprang sie auf, stürzte ins Bad und übergab sich.
Nachdem sie sich den Mund abgewischt und die WC-Spülung betätigt hatte, ließ sie sich auf den Boden neben der Toilette fallen. Ihr war immer noch übel und sie fühlte sich unendlich schlapp und müde.
Mit einem kurzen Klopfen an der offenstehenden Badtür kündigte Marco sein Eintreten an. "Alles in Ordnung, Süße?", fragte er besorgt, aber Leonie schüttelte den Kopf. Eine weitere Welle der Übelkeit ergriff sie, weshalb sie schnell die Augen schloss und konzentriert atmete. Ein und Aus. Ein und Aus. Als sie die Augen wieder öffnete, hockte Marco neben ihr auf dem Fußboden und betrachtete sie eingehend.
Eine Weile schwiegen beide, bis Marco schließlich vorsichtig das Wort ergriff: "Ich weiß nicht, ich war ja beim letzten Mal am Anfang nicht dabei, aber … kann es sein, dass du schwanger bist?"
"Schwanger?", krächzte Leonie. In einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen riss sie die Augen auf. Das Ganze fühlte sich unvermittelt wie ein Déjà-vu an. Bei ihrer Schwangerschaft mit Jonas hatte sie damals, als sie nach dem tätlichen Angriff von Dominik Kanthäuser im Krankenhaus behandelt worden war, davon erfahren und absolut nicht damit gerechnet. Und auch jetzt fühlte sie sich von dieser Möglichkeit völlig überrumpelt.
"Wann hattest du denn zuletzt deine Periode?", erkundigte sich Marco nun fachmännisch bei ihr.
"Keine Ahnung", gab Leonie kleinlaut zurück. Sie konnte sich gerade beim besten Willen nicht daran erinnern. "Ist schon ein bisschen her. Irgendwann im Januar, glaube ich. Aber das kann doch gar nicht sein. Wir verhüten doch!" Entrüstet sah sie zu ihm hinüber. Das musste er eigentlich auch selbst wissen.
"Das ist natürlich richtig", stimmte Marco nun zu. "Aber weißt du noch letztens? Als wir ein bisschen viel Wein getrunken hatten? Kannst du dich da noch erinnern, ob wir ein Kondom benutzt haben? Ich ehrlich gesagt nicht."
"Ach komm", sagte sie verärgert. "Das war doch nur einmal. Wenn überhaupt. Da wird man doch nicht gleich schwanger!"
Statt einer Antwort schlang Marco die Arme um sie und küsste sie auf den Kopf. Eine Weile saßen sie so da, bis Jonas ins Bad kam und die beiden entgeistert ansah.
"Macht ihr ta?", fragte er neugierig.
"Alles gut", erklärte Marco ihm. "Mama war nur ein bisschen schlecht."
Er zog Leonie vom Fußboden hoch und dirigierte sie ins Wohnzimmer. Jonas schob er dabei ebenfalls vor sich her. "Du ruhst dich aus und ich koche dir einen Kräutertee. Und morgen rufst du bei deiner Frauenärztin an. Alles wird gut!"
Hoffentlich stimmte das. Während Leonie auf dem Sofa lag und aus dem Fenster schaute, fragte sie sich, ob sie sich bereit für ein zweites Kind fühlte. Jonas war inzwischen fast zwei. Vielleicht war das kein schlechter Zeitpunkt.
"Jetzt warte doch, ich komme ja gleich", erklärte Leonie ihrer Tochter Ella gestresst. Zerstreut warf sie ihren Rucksack auf eine Bank und eilte Ella hinterher. Natürlich wollte diese nicht hören und versuchte bereits relativ erfolglos, auf die Schaukel zu krabbeln, als Leonie sie endlich erreicht hatte. Geschickt hob Leonie ihre Tochter in den Sitz der Schaukel. Ein Spielplatzbesuch mit zwei quirligen Kleinkindern war wirklich jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung. Allerdings musste Leonie zugeben, dass Jonas inzwischen eigentlich kein Kleinkind mehr war. Tatsächlich war er im April bereits vier geworden. Ihre Tochter Ella war im Oktober 2020 auf die Welt gekommen und somit inzwischen auch schon eindreiviertel. Die Zeit raste unglaublich. Vermutlich war dieses Gefühl in den letzten zwei Jahren auch durch die Pandemie verstärkt worden.
Während Leonie Ella beim Schaukeln half, beobachtete sie mit einem Auge ihren Sohn, der immer wieder die Stufen zur Rutsche erklomm, hinuntersauste und anschließend zur Treppe zurücklief, um erneut hinunterzurutschen. Nebenbei schweiften ihre Gedanken durch die letzten fast zweieinhalb Jahre. Von ihrer zweiten Schwangerschaft hatte sie im Februar 2020 erfahren. Damals hatte die Geschichte mit Corona gerade begonnen. Niemand hatte geahnt, dass daraus eine weltweite Pandemie werden könnte, die das normale Leben, wie man es bisher kannte, komplett auf den Kopf stellen würde.
In der besonders gefährlichen Zeit, als es noch wenig Wissen über das Virus und keine Impfungen gab, hatte Leonie, die seit Jonas' Geburt ohnehin schnell besorgt war, ihre Schwangerschaft durchstehen müssen. Zum Glück hatte ihr Chef Stefan ihr erlaubt, ausschließlich vom Home Office aus zu arbeiten und auch Marco hatte seine Arbeit soweit wie möglich nach Hause verlegen können. Da auch der Kindergarten damals geschlossen hatte, war Jonas ebenfalls keiner Gefahr ausgesetzt gewesen. Dadurch hatte Leonie die Schwangerschaft unbeschadet überstanden und die kleine Ella war putzmunter zur Welt gekommen. Leonie erinnerte sich noch gut an die Geburt, die sie allein hatte überstehen müssen, da Begleitpersonen zum damaligen Zeitpunkt im Krankenhaus nicht erlaubt waren. Inzwischen hatte sich ihre Tochter zu einem fröhlichen Wirbelwind entwickelt, der sie Tag für Tag ordentlich auf Trab hielt.
Im vergangenen Winter hatte Marco ihr einen Heiratsantrag gemacht. Der Antrag war zugegebenermaßen nicht besonders romantisch gewesen, da mittendrin plötzlich Ella im Kinderzimmer zu weinen begonnen hatte. Das hatte der ganzen Sache mit Kniefall und Freudentränen doch ein abruptes Ende gesetzt. Die Hochzeit sollte Ende August stattfinden. Sie hatten eine recht kleine Feier geplant und nur die engsten Verwandten und Freunde eingeladen. Das meiste war inzwischen organisiert, sodass Leonie dem Tag mit einer Mischung aus Vorfreude und nervöser Anspannung entgegenfieberte. Ein zweites Mal zu heiraten, fühlte sich in manchen Momenten immer noch komisch an. Doch ihr erster Mann Miguel war nun schon einige Jahre tot und ihr Leben war seither nicht stehen geblieben. Es fühlte sich als richtiger nächster Schritt in ihrer Beziehung an, Marco zu heiraten. Davon, dass sie ihn von Herzen liebte, einmal ganz abgesehen.
Ein spitzer Schrei riss Leonie aus ihren Gedanken und ließ sie zusammenfahren. Ein wenig erleichtert stellte sie aber sofort fest, dass der Schrei nicht von Jonas gekommen war. Ein anderer Junge war auf dem Weg neben der Rutsche gestolpert und hingefallen. Es sah allerdings so aus, als hätte er sich nicht ernsthaft verletzt. Inzwischen wusste Leonie, dass Kinder meist deutlich lauter und schriller klangen, als es die Situation tatsächlich erforderte. Die zugehörige Mutter hatte dem Jungen schon aufgeholfen und tröstete ihn jetzt.
In der Zwischenzeit war Jonas zu ihr herübergelaufen und blieb in sicherer Entfernung zur Schaukel neben ihr stehen. Oft bewunderte Leonie ihren Sohn dafür, wie umsichtig und gewissenhaft er war, insbesondere auch dann, wenn es um seine kleine Schwester ging.
"Mama, wann gehen wir nach Hause? Ich hab Hunger", erkundigte er sich. Leonie sah auf die Uhr und stellte überrascht fest, dass es tatsächlich schon recht spät geworden war. Wenn sie nach einem anstrengenden Arbeitstag am Nachmittag mit den Kindern auf den Spielplatz im Wald ging, vergaß sie schon manchmal die Zeit. So war es offensichtlich auch heute.
"Jetzt", sagte sie daher mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. "Kannst du bitte meinen Rucksack holen?" Sie deutete in die Richtung, in der sie diesen abgelegt hatte. Jonas rannte schon davon, während er noch nickte, nur um gleich darauf mit dem Rucksack wieder vor ihr zu stehen.
"Ella, Schatz, wir gehen jetzt nach Hause", erklärte Leonie nun an ihre Tochter gewandt. Daraufhin ließ diese sich widerwillig von der Schaukel heben. Gemeinsam spazierten sie durch den Kräherwald nach Hause, wo Marco sicherlich bereits wartete. Leonie wohnte schon lange in Botnang und mochte diesen Stadtteil von Stuttgart ganz besonders. Man war in zehn Minuten mit der U-Bahn in der Innenstadt, doch der Stadtteil fühlte sich fast dörflich an und war ringsum von Wald umgeben. Ein wahres Paradies für ein stadtliebendes Naturkind wie sie.
"Na, habt ihr die Zeit vergessen?", fragte Marco prompt, als sie zur Wohnungstür hereinkamen.
"Ja, ein bisschen", gab Leonie zähneknirschend zu. "Gut, dass Jonas aufgepasst hat." Verschwörerisch zwinkerte sie ihrem Sohn zu, der deshalb kicherte.
Später nach dem Abendessen, als die Kinder im Bett lagen und die Hausarbeit erledigt war, ließ sich Leonie neben Marco auf die Couch fallen.
"Was für ein Tag", ächzte sie. "Heute Vormittag wollten echt alle alles gleichzeitig. Keine Ahnung, was da im Büro los war. Ich habe es gerade so pünktlich zum Kindergarten geschafft. Seither haben die beiden Zwerge meine komplette Aufmerksamkeit gefordert. Aber jetzt ist Feierabend!"
Geschafft, aber glücklich schlang sie die Arme um Marco und kuschelte sich an ihn. Noch immer fühlte sich ihr Leben irgendwie ungewohnt an, denn es hatte sich innerhalb von so kurzer Zeit im Grunde alles verändert. Sie war in diesem Frühjahr dreißig geworden, war bald zum zweiten Mal verheiratet und hatte zwei Kinder. Die Wohnung, in der sie wohnten, hatte sie vor drei Jahren als Schenkung aus dem Nachlass ihres früheren Nachbarn Wolfgang von dessen Tochter Svenja erhalten. Vor fünf Jahren hatte Miguel noch gelebt. Ihr erster Mann war auch ihr erster richtiger Freund und Vertrauter gewesen. Im Sommer 2017 war er von seinem Vorgesetzten Dominik Kanthäuser ermordet worden. Der Schmerz saß auch nach all der Zeit noch tief, auch wenn Leonie inzwischen mit Marco und ihren beiden Kindern neues Glück gefunden hatte. Jonas war Miguels Sohn, den Marco im Zuge der Hochzeit adoptieren würde. Ella dagegen war ihre gemeinsame Tochter.
Während Leonie an einer Tasse Tee nippte, begann ihr Handy zu vibrieren. Irritiert, wer sie nach 20 Uhr an einem Montagabend noch störte, reckte sie sich, um es vom Tisch zu angeln. Als Anrufer wurde ihr Chef Stefan auf dem Display angezeigt. Sie richtete sich etwas auf und nahm das Gespräch an: "Hallo, Stefan. Was gibt’s zu so später Stunde?"
"Hallo Leonie", sagte ihr Chef, seine Stimme klang zerknirscht. "Es tut mir wirklich leid, dass ich dich anrufe und damit belästige, aber könntest du vielleicht morgen früh ins Büro kommen?"
"Äh…", Leonie stockte. Ins Büro zu fahren, brachte ihren ganzen Tagesplan durcheinander. Sie musste die Kinder morgens in den Kindergarten bringen und nachmittags wieder abholen. Dazwischen kümmerte sie sich um ihre Arbeit von zu Hause aus. Der Nachmittag gehörte dann ganz Jonas und Ella.
"Ist Claudia nicht da?", fragte sie deshalb ausweichend.
"Nein", erwiderte Stefan leise. "Sie hat sich gerade bei mir krankgemeldet." Er schwieg und gab Leonie damit Gelegenheit festzustellen: "Claudia hat sich krankgemeldet? Das ist ja noch nie vorgekommen!"
"Das stimmt und es ist wirklich ungünstig gerade. Morgen kommt eine große Delegation von Marienthaler, unserem hoffentlich neuen Kunden. Wir haben ein Meeting, das extrem wichtig ist. Die Präsentation steht, aber ich schaffe das unmöglich allein."
Leonie konnte hören, wie stark ihr Chef mit sich kämpfte. Dieser Anruf war ihm offensichtlich sehr schwergefallen. Resigniert seufzte Leonie. Sie arbeitete schon viele Jahre für Stefan, der inzwischen schon eher ein Freund als ein Vorgesetzter war. Es kam nicht infrage, ihn hängen zu lassen.
"Okay, wann ist der Termin?" erkundigte sie sich daher.
"Es soll um 9:30 Uhr losgehen. Ich vermute, dass die aber schon etwas früher eintrudeln, das war beim letzten Termin auch schon so. Die Präsentation ist für etwa zwei Stunden angesetzt. Wenn alles gut läuft und wir den Auftrag kriegen, gehe ich mit denen danach noch Mittagessen. Da musst du aber nicht unbedingt mitkommen."
"Puh", machte Leonie und ging gedanklich ihre eigenen Tagesplan für morgen durch. Fixe Termine hatte sie nicht, außer dass die Kinder in den Kindergarten gebracht und von dort auch wieder abgeholt werden mussten. "Inwiefern kann ich dir denn helfen? Ich kenne den Auftrag ja gar nicht."
"Ich weiß", gab Stefan zurück. "Ich könnte dich innerhalb von etwa zehn Minuten morgen früh dazu briefen. Bei der Besprechung brauche ich Hilfe bei der Technik beziehungsweise der Präsentation an sich und beim Austeilen der Unterlagen. Und falls jemand Kaffee will oder so. Ich kann ja dann nicht einfach weglaufen. Oh, Mann, ey. Es tut mir so leid, dass ich dich damit belästigen muss, aber alle anderen sind nicht da oder aus irgendwelchen Gründen unabkömmlich."
"Ist schon gut. Ich spreche kurz mit Marco und gebe dir dann Bescheid, ob oder besser wie wir das hinkriegen. Okay?" fragte sie, was Stefan bestätigte. Nachdem sie aufgelegt hatte, wandte sie sich an Marco und erklärte ihm, was los war. Schnell schmiedeten sie einen Plan, wie sie den Tag so organisiert bekamen, dass Leonie Stefan im Büro unterstützen konnte. Anschließend rief Leonie ihren Chef zurück und erklärte ihm den Schlachtplan. Dieser war froh, dass er das Meeting nicht allein bestreiten musste und war deshalb mit allem einverstanden. Am Schluss des Gesprächs konnte sich Leonie eine Frage nicht verkneifen: "Was hat Claudia denn? Corona?"
"Sieht so aus", erklärte Stefan widerwillig. Eigentlich durfte er über die Erkrankungen seiner Angestellten nichts wissen und erst recht nicht sprechen. Aber da Corona eine meldepflichtige Infektion war, über die man auch Kontaktpersonen informieren musste, wusste er natürlich Bescheid. "Sie kam heute Morgen mit starkem Schnupfen und einem wirklich widerlichen Husten ins Büro. Ich habe sie direkt wieder heimgeschickt und alle Fenster aufgerissen, als ich es mitbekommen habe. Den Rest des Tages hat sie zu Hause gearbeitet. Wegen der Präsentation morgen habe ich sie gebeten, heute Abend einen Bürgertest zu machen und der war positiv. Hoffentlich hat sie niemanden sonst im Büro angesteckt."
Es war deutlich zu hören, wie verärgert er war, dass Claudia mit offensichtlichen Symptomen ins Büro gekommen war und die Kolleginnen und Kollegen gefährdet hatte. Glücklicherweise hielt Stefan nach wie vor an der Maskenpflicht auf den Allgemeinflächen und in Meetings fest, sofern nicht alle weit auseinander saßen und die Fenster die ganze Zeit offenstanden. Außerdem hatten alle die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, sofern sie es wollten und keine Termine vor Ort wahrnehmen mussten. Claudia missfiel das ganz besonders, denn sie hielt Corona entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen weiterhin für einen harmlosen Schnupfen und setzte sich gerne über die angeordneten Maßnahmen hinweg. Im Büro lief sie meistens ohne Maske herum und setzte diese nur auf, wenn sie dazu ausdrücklich ermahnt wurde. In der gesamten Pandemie hatte sie auch bisher keinen einzigen Tag von zu Hause aus gearbeitet.
"Jedenfalls liegt sie wohl nun auch richtig flach mit Fieber und allem Drum und Dran. Das hat mir echt gerade noch gefehlt. Ich kann nur hoffen, dass sie schnell wieder fit ist. Ihre Corona-Einstellung finde ich zwar vollkommen unmöglich, aber auf ihre Arbeitsleistung kann ich leider nur schwer verzichten. Du weißt ja selbst, sie ist immer da und kann und weiß einfach alles."
Stefan klang geschafft und zum ersten Mal wurde Leonie bewusst, welcher zusätzliche Druck diese Pandemie für ihren Chef bedeuten musste. Es ging nicht mehr nur darum, die Agentur bestmöglich und gewinnbringend zu führen, sondern auch um die Gesundheit und das Wohlergehen seiner Mitarbeitenden. Da Stefan ein guter Chef war, dem seine Angestellten sehr am Herzen lagen, waren diese Themen vermutlich fast wichtiger für ihn als der finanzielle Aspekt, wobei man den natürlich auch nicht unterschätzen durfte. Schließlich mussten die Einnahmen stimmen, damit er die Löhne ausbezahlen konnte.
Nachdenklich verabschiedete Leonie sich von ihrem Chef und versprach, am nächsten Morgen spätestens um acht Uhr dreißig im Büro zu sein.
Wie sie es am Abend zuvor abgesprochen hatten, teilten Leonie und Marco sich am nächsten Morgen die üblichen Aufgaben von Frühstück vorbereiten, Kinder fertig machen und zum Kindergarten bringen so auf, dass Leonie bereits um kurz nach acht in der U-Bahn Richtung Innenstadt saß. Marco hatte seinen ersten Termin erst um zehn und konnte so Jonas und Ella in den Kindergarten bringen. Abholen musste Leonie die beiden erst zwischen vierzehn und fünfzehn Uhr. Bis dahin war also jede Menge Zeit.
Als Leonie die Werbeagentur betrat, fiel ihr auf, dass auch heute im Empfangsbereich alle Fenster offenstanden. Es war ungewöhnlich warm für Juni und nun die einzige Zeit des Tages, zu der ein bisschen frische Luft hereinkam. Später am Tag verwandelte die Sonne die Büroräume schnell in eine Sauna. Daran konnte sie sich aus den Sommern vor Corona noch gut erinnern.
Auf dem Weg zu ihrem Büro grüßte Leonie im Vorbeigehen ihre Kollegin Annemarie, die ihr leicht verwundert zunickte. Da Leonie normalerweise nicht im Büro arbeitete, sorgte ihre seltene Anwesenheit jedes Mal für erstaunte Gesichter. Wenn sie ihr Gefühl nicht trügte, war sie vermutlich höchstens einmal im Monat im Büro.
Nachdem Leonie ihre Sachen abgelegt hatte, eilte sie zu Stefans Büro hinüber. Sie klopfte kurz und trat dann ein. Noch während sie die Tür öffnete, zog ihr Chef die Maske auf, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
"Guten Morgen Leonie", begrüßte er sie. "Danke, dass du so kurzfristig einspringen konntest. Ich weiß, dass das für dich nicht so einfach ist, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen." Er wies mit der Hand auf seine Besprechungsecke und Leonie ließ sich auf einen Stuhl fallen.
"Schon gut", sagte sie lächelnd. "Ich bin gerne da und wir kriegen das hin. Erklär mir einfach, was ich wissen muss." Nachdem Stefan ihr gegenüber Platz genommen hatte, gab er ihr einen kurzen Überblick, worum es in dem Auftrag ging und welche Aufgaben sie bei der Präsentation übernehmen sollte.
Anschließend ging Leonie in ihr Zimmer zurück und fuhr ihren Laptop hoch. Sie warf ihre Maske auf den Schreibtisch, öffnete das Fenster und atmete tief durch. Es war schon lange her, seit sie an einem persönlichen Meeting teilgenommen hatte und so richtig wohl war ihr bei der Sache nicht. Allerdings war ihr klar, dass es nichts half. Der Auftrag war enorm wichtig für die Agentur. Stefan hatte ihr verdeutlicht, wie viel davon abhing, dass sie diesen Auftrag bekamen. Bisher war Leonie nicht bewusst gewesen, wie angespannt die Lage der Agentur war, aber eigentlich war das nicht weiter verwunderlich. Viele Firmen sparten an allen Ecken und Enden und da gehörte eben auch die Investition in Werbung dazu. In den letzten beiden Jahren waren mehr und mehr Kunden still und heimlich abgewandert und hatten keine neuen Aufträge mehr erteilt. Neue Kunden zu akquirieren wurde immer schwieriger.
Nachdem Leonie noch schnell einen Blick auf ihre E-Mails geworfen hatte, schloss sie das Fenster, setzte ihre Maske wieder auf und ging hinüber zum Empfang. Es war zehn nach neun und, wie von ihrem Chef vermutet, klingelte es schon kurze Zeit später an der Tür. Als die Besucher den Empfangsbereich betreten hatten, war auch Stefan dazu geeilt. Bei der Abordnung der Firma handelte es sich um drei Männer und zwei Frauen, die Stefan nach einem freundlichen Hinweis auf die nach wie vor im gesamten Büro bestehende Maskenpflicht in den Besprechungsraum führte.
Wie ein eingespieltes Team führten Stefan und Leonie die anwesenden Teilnehmer durch die Präsentation hindurch. Einmal mehr fiel Leonie auf, wie unschlagbar charismatisch ihr Chef reden und seine Ideen vorstellen konnte. Tatsächlich erteilte der Sprecher der Firma am Ende den Auftrag und lud alle Anwesenden zum Essen ein. Während die Besucher ihre Sachen zusammenpackten, nahm Stefan Leonie beiseite und stellte ihr erneut frei, zum Essen mitzugehen.
"Ich werde natürlich darauf drängen, dass wir draußen sitzen und auch noch einmal erklären, warum wir die Besprechung mit erhöhten Corona-Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt haben", sagte er leise. "Ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn sich im Rahmen dieser Besprechung jemand infiziert, weil Claudia den Mist ins Büro geschleppt hat."
Leonie verstand ihren Chef nur zu gut. "Ich komme gerne mit", erklärte sie schließlich. "Ich habe noch Zeit und vermute, du kannst noch ein bisschen Unterstützung beim Small Talk brauchen, oder?" Sie zwinkerte ihm zu und er nickte dankbar. "Ich packe schnell meine Sachen zusammen, damit ich nach dem Essen direkt nach Botnang fahren kann. Ich muss ja später die Zwerge im Kindergarten abholen", fügte sie noch hinzu und eilte davon.
Auch wenn sie es vorher nicht vermutet hatte, genoss Leonie das Mittagessen mit den Kunden sehr. Sie schaffte es, das Gespräch auf eine ungezwungene Ebene zu bringen und sich nett mit allen zu unterhalten. Leider hatte sie dabei ein wenig die Zeit vergessen und musste sich anschließend sputen, um noch rechtzeitig am Kindergarten anzukommen.
"Mama, da bist du ja endlich!", rief Jonas aufgeregt, als Leonie durch die Eingangstür in den Flur der Kita stürmte. Ungünstigerweise hatte die U-Bahn Verspätung gehabt, weshalb sie es nicht pünktlich bis zum Ende der normalen Abholzeit um fünfzehn Uhr geschafft hatte. Sie war zwar nur ein paar Minuten zu spät, hatte aber trotzdem ein schlechtes Gewissen, weil die Kita-Mitarbeitenden deshalb länger bleiben mussten. Außerdem saßen Jonas und Ella bereits an der Garderobe und warteten auf sie. Neben ihren beiden Kindern hockte ein kleiner blonder Junge auf dem Fußboden und lutschte an seinen Schnürsenkeln. Die Schuhe hatte er allerdings noch nicht angezogen, sondern hielt sie in der Hand. Leonie sah ihn etwas verwundert an.
"Das ist Fynn", erklärte Jonas auf Leonies unausgesprochene Frage. "Er ist in Ellas Gruppe und seine Mutter ist auch noch nicht da." Leonie konnte den leichten Vorwurf aus seiner Stimme deutlich heraushören.
"Es tut mir leid, dass ich nicht früher da war", sagte sie zur Entschuldigung. "Aber jetzt bin ich hier und wir gehen nach Hause. In Ordnung?" Während Jonas zustimmend nickte, bog eine Erzieherin um die Ecke. Leonie erkannte sie als Frau Kaya, die die Gruppe von Ella leitete. Sie wirkte zum Glück so fröhlich wie immer.
"Hallo, Frau Pionet, da sind Sie ja", begrüßte die andere Frau sie freundlich. Leonie entschuldigte sich auch bei ihr für ihre Verspätung und sagte dann mit einem Seitenblick auf den kleinen Fynn, dass dessen Mutter hoffentlich auch bald komme. Die dunkelhaarige Erzieherin, die etwa in Leonies Alter sein musste, zuckte jedoch nur resigniert mit den Schultern.
"Ich habe schon ein paar Mal bei ihr angerufen, aber ich erreiche sie nicht. Eigentlich wird Fynn sonst immer spätestens um eins abgeholt. Ich habe auch für heute keine anderslautenden Informationen bekommen. Inzwischen bin ich ein bisschen ratlos und sauer, denn ich habe einen Termin und muss in spätestens zehn Minuten los. Normalerweise ist Fynns Mutter immer pünktlich."
"Tut mir leid. Ich hoffe, sie kommt gleich", drückte Leonie ihr Mitgefühl aus. Zu Ella, die verträumt Löcher in die Luft starrte, sagte sie: "Komm, Süße. Auf geht's. Wir gehen jetzt nach Hause."
Im nächsten Moment wurde die Eingangstür aufgerissen und ein Mann stürzte herein. Er war vermutlich schon über fünfzig und wirkte ein wenig zerknittert. Seine weitestgehend grauen Haare standen wirr vom Kopf ab und er sah verschwitzt aus. Bei den derzeitigen Außentemperaturen war das im Grunde kein Wunder. Trotzdem machte er dadurch einen ungepflegten Eindruck. Er sah weder Leonie noch Frau Kaya an, sondern wandte sich mit gehetztem Ausdruck im Gesicht an den kleinen Fynn, der ängstlich zu ihm aufsah. "Los, komm!", wies er den Jungen in hartem Ton und ohne weitere Begrüßung an.
Irritiert sah Frau Kaya den Mann an. Für einen Moment wirkte sie wie vor den Kopf geschlagen, dann hatte sie sich scheinbar wieder im Griff und fragte: "Entschuldigung, wer sind Sie?"
"Na, wer wohl?", blaffte der Mann zurück und zerrte an Fynn herum, der wegzukrabbeln versuchte. Aufgrund der ruppigen Art, mit der der Mann an ihm zog, begann der kleine Junge zu weinen.
"Hör auf zu heulen!" herrschte der Mann den Jungen an, der daraufhin aufschluchzte. Weitere Tränen kullerten über seine Wangen.
"Moment mal!", sagte Frau Kaya und trat einen Schritt nach vorn. "Bevor Sie den Jungen mitnehmen, muss ich wissen, wer Sie sind und warum seine Mutter ihn nicht abholt. Und außerdem verbitte ich mir diesen Umgang mit dem Kind."
"Ist mir egal, was Sie sich verbitten. Ich nehme jetzt meinen Enkel mit und fertig", schnauzte er ungehalten und riss Fynn vom Boden hoch. Vor Schreck ließ dieser einen seiner Schuhe los, der einsam auf dem Fußboden liegen blieb. Den zweiten Schuh presste der Junge an sich, während er herzzerreißend heulte. Leonie sah aufgebracht zwischen der Erzieherin und dem Mann hin und her. So konnte man doch nicht mit einem kleinen Kind umspringen! Und mit der netten Frau Kaya auch nicht.
Die Erzieherin wirkte verzweifelt. Leonie konnte deutlich erkennen, wie sie zitterte. Dennoch machte sie einen weiteren Schritt auf den Mann zu und sagte bemüht ruhig: "Ich muss Sie bitten, den Jungen abzusetzen, damit wir klären können, ob Sie berechtigt sind, ihn abzuholen. Ich kann nicht zulassen, dass Sie ihn einfach mitnehmen. In seinen Unterlagen ist nur seine Mutter als abholberechtigte Person vermerkt."
Beherzt ging sie noch einen weiteren Schritt auf den Mann zu. Plötzlich holte dieser aus und versetzte ihr mit der flachen Hand einen kräftigen Stoß gegen die Schulter. Überrascht stolperte Frau Kaya zurück und fiel unglücklich über Fynns verlorenen Schuh. Hastig machte Leonie einen Schritt auf sie zu, um sie aufzufangen, verfehlte sie aber knapp und konnte nur hilflos zusehen, wie sie zu Boden ging. Dabei schlug die andere Frau mit dem Kopf gegen die Wand unterhalb der Garderobe, hatte aber Glück, dass dort noch einige vergessene Jacken hingen, die den Aufprall etwas dämpften. Nun begann auch Ella zu weinen. Ratlos, um wen sie sich zuerst kümmern sollte, fuhr Leonie herum. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass der Fremde mit dem weinenden Fynn auf dem Arm aus der Kita rannte. Auch das noch!
"Halt!", rief sie ihm nach, aber der Mann war im nächsten Moment schon um die Ecke verschwunden. Da Leonie weder ihre Kinder noch die verletzte Erzieherin allein lassen konnte oder wollte, musste sie ihn wohl oder übel ziehen lassen. Sie wies Jonas an, seine Schwester zu trösten und beugte sich zu Frau Kaya hinunter.
"Ist alles in Ordnung?", fragte sie diese in möglichst ruhigem Ton.
"Es geht schon", erklärte die junge Frau schwach und versuchte sich aufzusetzen. Doch sie schaffte es nicht und sackte wieder zusammen. Leonie registrierte, wie blass die Erzieherin war. Im Hintergrund war noch immer das Weinen ihrer Tochter zu hören.
Einen Moment schloss Leonie die Augen, um sich darauf zu konzentrieren, was passiert war und wie sie nun handeln sollte. Frau Kaya brauchte offensichtlich einen Arzt und womöglich musste die Polizei informiert werden, weil ein fremder Mann unberechtigterweise eines der Kinder abgeholt hatte. Außerdem war der Schubs ein tätlicher Angriff auf die Erzieherin gewesen und somit auch eine Körperverletzung, wenn auch vermutlich nur eine leichte.
Entschlossen, die Situation in den Griff zu kriegen, öffnete Leonie die Augen wieder und wandte sich erneut an Frau Kaya: "Ich würde einen Arzt und die Polizei rufen. Ist das in Ordnung?" Die Erzieherin nickte schwach.
Leonie hockte sich neben ihr auf den Boden und holte ihr Handy heraus. Zuerst rief sie den Rettungsdienst an und anschließend die Polizei. Danach zog sie ihre beiden Kinder zu sich heran und sprach beruhigend auf die beiden und die Erzieherin ein. Sie erklärte, dass alles gut werden würde und dass gleich jemand käme, der sich um alles kümmerte.
Tatsächlich traf wenige Minuten später ein Krankenwagen ein. Die beiden Sanitäter sahen sich Frau Kaya an, die vor allem einen Schock und vermutlich auch eine leichte Gehirnerschütterung erlitten hatte. Aus dem Gespräch zwischen der Erzieherin und den Sanitätern hörte Leonie heraus, dass die Erzieherin schwanger war und eigentlich schon fast auf dem Weg zur planmäßigen Kontrolle beim Frauenarzt, wäre der Vorfall von vor wenigen Minuten nicht dazwischengekommen.
Noch während des Gesprächs traf ein Streifenwagen mit zwei Polizeibeamtinnen ein. Leonie hatte immer ein komisches Gefühl, wenn sie es mit der Polizei zu tun bekam. In der Vergangenheit hatte sie mit dieser schon einige schlechte Erfahrungen gemacht. Es ging hier jedoch nicht um sie. Daher schluckte sie ihr Unbehagen herunter, stand auf und begrüßte die beiden eintretenden Frauen freundlich.