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Jede Frau wird unweigerlich irgendwann von ihrem Mann betrogen, davon ist Inés, perfekte Ehefrau und Mutter, überzeugt. Deshalb ist sie auch nicht überrascht, als sie in der Aktentasche ihres Mannes Ernesto ein Zettelchen findet mit einem Herz aus Lippenstift, unterschrieben mit »Ganz die Deine«. Als sie Ernesto an einem regnerischen Winterabend heimlich folgt, wird sie Zeugin eines heftigen Streits zwischen ihm und einer Frau. Die Frau stürzt, Ernesto versenkt sie im nahegelegenen See: Endlich ist die Geliebte aus dem Weg geräumt. Inés verhilft ihrem Mann zu einem Alibi, denn schließlich verbindet Hass genauso sehr wie Liebe. Doch der undankbare Ernesto denkt gar nicht daran, seine außerehelichen Aktivitäten aufzugeben. Nun beginnt Inés einen Rachefeldzug, von dem es kein Zurück mehr gibt.
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Seitenzahl: 205
Jede Frau wird unweigerlich irgendwann von ihrem Mann betrogen, davon ist Inés überzeugt. Ab jetzt untersteht Ernesto ihrer strengen Kontrolle. Doch dieser denkt gar nicht daran, seine außerehelichen Aktivitäten aufzugeben. Inés beginnt einen Rachefeldzug, von dem es kein Zurück mehr gibt.
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Claudia Piñeiro (*1960) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium arbeitete sie als Journalistin, Dramatikerin und Regisseurin. Sie erhielt den Premio Clarín, den LiBeraturpreis und den Premio Hammett und war für den International Booker Prize nominiert.
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Peter Kultzen (*1962) studierte Romanistik und Germanistik in München, Salamanca, Madrid und Berlin. Er lebt als freier Lektor und Übersetzer spanisch- und portugiesischsprachiger Literatur in Berlin.
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Claudia Piñeiro
Ganz die Deine
Roman
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel Tuya bei Ediciones Colihue, Buenos Aires.
Originaltitel: Tuya (2003)
© by Claudia Piñeiro 2003
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlag: Nadezhda Kulagina
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30273-0
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
GANZ DIE DEINE
1 – Ernesto hatte damals schon über einen Monat nicht …2 – Hallo … Paula?«3 – Auf dem Rückweg fing es an zu regnen …4 – Ja, bitte …«5 – Ich ging in mein Zimmer. Ich hätte alles …6 – Fotokopierte Seiten aus Handbuch der Kriminologie, gefunden auf …7 – Mit dem Glas Milch in der Hand ging …8 – Am liebsten wäre ich hinter Ernesto hergefahren …9 – Wer hat dich hierhergeschickt?«10 – Ich betrat die Wohnung der Deinen, als wäre …11 – Und, was machst du?«12 – Ich fuhr nach Hause zurück. Zuallererst versteckte ich …13 – Fotokopien, die im Haus der Familie Pereyra gefunden …14 – Die nächsten Tage waren die Hölle. Nichts geschah15 – Hör auf zu heulen, ich verstehe kein Wort.«16 – Ernesto begleitete Charo zum Lift. Er sah sich …17 – Fotokopierte Zusammenfassung eines Beitrags aus einer mexikanischen Fachzeitschrift …18 – Ich werde dich vermissen, Liebling.«19 – Fünf Monate später20 – Schläfst du?«21 – Es hupte vor unserem Haus. Das Taxi für …22 – Inés kam zurück nach Hause, schlug die Tür …23 – Ernesto und Charo küssten sich, während sie mit …24 – Kannst du deinen Rucksack ein Stück zur Seite …25 – Am Freitag letzte Woche um 17.00 Uhr traf …26 – Ernesto kehrte zurück. Womit sich Frage drei der …27 – Pau…«28 – Inzwischen hatte ich mich einigermaßen beruhigt. Ich fing …29 – Acht zwei fünf, acht drei acht drei.«30 – Alicias Leichnam wurde aus dem Kühlfach genommen und …31 – Ernesto wartete im Zimmer. Ich ging den Werkzeugkasten …32 – Es tut weh!«33 – Inés stieg in ein Taxi und ließ sich …34 – Buenos Aires, fünfundzwanzigster September 2001. Vor dem unterzeichneten …35 – Ich bestieg einen Bus Richtung Zentrum. Ich fahre …36 – Fotokopie aus einer in Spanien erschienenen Sammlung von …37 – Ich fand einen geeigneten Parkplatz, ungefähr zwanzig Meter …38 – Name und Vorname?«39 – Ich laufe die Calle Monroe entlang und höre …Mehr über dieses Buch
Über Claudia Piñeiro
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Über Peter Kultzen
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Ernesto hatte damals schon über einen Monat nicht mehr mit mir geschlafen. Vielleicht sogar zwei. Keine Ahnung. Allzu viel lag mir auch nicht daran. Ich bin abends immer hundemüde. Kaum zu glauben, aber einen wirklich perfekten Haushalt zu führen, kann ganz schön anstrengend sein. Was mich betrifft, ich strecke nach einem solchen Tag am liebsten alle viere von mir und schlafe sofort ein. Aber wenn der eigene Mann so lange nichts von einem will, also ich weiß nicht, irgendwas muss da nicht in Ordnung sein. Ich sollte vielleicht einmal mit Ernesto darüber reden, sagte ich mir, ihn fragen, ob etwas ist. Und das hätte ich auch beinahe getan. Aber gleich darauf erinnerte ich mich, wie es Mama seinerzeit ergangen war. Bei ihr war der Schuss damals nach hinten losgegangen. Sie fand Papas Benehmen auch irgendwie komisch und fragte ihn deshalb eines Tages: »Ist irgendetwas, Roberto?« Und er antwortete: »Ob etwas ist? Allerdings, ich kann deinen Anblick nicht mehr ertragen!« Sprachs, knallte die Tür hinter sich zu und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Meine arme Mama. Davon abgesehen war mir ohnehin ziemlich klar, was mit Ernesto los war: Tagaus, tagein schuftete er wie verrückt, und jede freie Minute nutzte er für irgendwelche Kurse oder Fortbildungen. Kein Wunder, dass er abends fix und fertig war. Ich beschloss also, ihn in Ruhe zu lassen – hatte ich etwa keine Augen im Kopf und keinen funktionstüchtigen Verstand? Und was sagten mir die? Dass wir eine fantastische Familie waren und eine Tochter hatten, die demnächst die Schule beenden würde, und ein Haus, um das uns so mancher beneidete. Außerdem liebte Ernesto mich, daran konnte kein Zweifel sein. Er sorgte dafür, dass mir nie etwas fehlte. Dieser Gedanke beruhigte mich, und ich sagte mir: »Irgendwann wird er schon wieder Lust auf Sex bekommen. Ich habe doch praktisch alles, da brauche ich mich nicht genau darauf zu fixieren, was ich gerade nicht habe.« Und die Sechzigerjahre sind schließlich auch vorbei: Heute wissen wir, dass Sex nicht alles ist. Mindestens so wichtig, wenn nicht wichtiger, sind die Familie, gemeinsame Interessen, dass man sich gegenseitig schätzt und achtet. So viele Paare verstehen sich im Bett wie die Götter, aber im Alltag halten sie es keine fünf Minuten miteinander aus! Ist doch so. Also bloß nicht wie meine Mama ständig ein Haar in der Suppe suchen.
Kurz darauf fand ich dann allerdings heraus, dass Ernesto mich betrog. Eigentlich war ich bloß auf der Suche nach einem Stift. Da ich nirgendwo einen auftreiben konnte, öffnete ich Ernestos Aktentasche – und was sah ich? Ein Stück Papier, auf das jemand mit Lippenstift ein Herz gemalt hatte; schräg darüber stand »Ich liebe dich«, und unterschrieben war das Ganze mit »Die Deine«. Lächerlicher geht es kaum, aber damals tat es erst einmal ganz schön weh. Am liebsten hätte ich Ernesto den Zettel umgehend unter die Nase gehalten und den Dreckskerl gefragt, was das für eine Schweinerei sein solle. Zum Glück habe ich bis zehn gezählt, tief durchgeatmet und die Sache vorerst auf sich beruhen lassen. Beim Abendessen schaffte ich es nur mit Mühe, mir nichts anmerken zu lassen. Lali hatte einen dieser Tage, an denen, ausgenommen Ernesto, kein Mensch sie ertragen kann. Mir machte es schon lange nichts mehr aus, so war unsere Tochter eben, ich war daran gewöhnt. Ernesto tat sich damit schwerer. Er redete auf sie ein, bekam aber bestenfalls einen Einsilber als Antwort. Meinerseits war ich außerstande, mich auch nur mit einem Wort an der Unterhaltung zu beteiligen: Mit dem, was ich kurz zuvor entdeckt hatte, war ich mehr als bedient. Niemand sollte jedoch etwas davon merken. Normalerweise sorge ich dafür, dass keine größeren Pausen eintreten, wenn das Gespräch bei Tisch ins Stocken gerät. Dafür habe ich ein richtiges Händchen. Um keinerlei Verdacht aufkommen zu lassen, sagte ich also, es gehe mir nicht gut, ich hätte Kopfschmerzen. Ich glaube, die anderen haben mir geglaubt. Und während Ernesto weiter auf Lali einredete, überlegte ich, was ich später zu ihm sagen könnte. Die erste Möglichkeit – ihn zu fragen, was das sein solle – hatte ich ja schon verworfen. Was hätte er auch antworten sollen? Ein Stück Papier mit einem Herzen darauf, dem Satz »Ich liebe dich« und einem Namenszug. Nein, diese Frage war dumm und führte zu nichts. Worauf es ankam, war, ob dieser Zettel ihm etwas bedeutete oder nicht. Denn jede Frau wird unweigerlich irgendwann von ihrem Mann betrogen, so schmerzlich die Erfahrung für sie sein mag. Keine entgeht ihr, das ist genau wie mit den Wechseljahren, früher oder später muss jede Frau da durch. Manche merken allerdings einfach nichts davon. Besser für sie, denn so ändert sich auch an ihrem Leben nichts. Frauen, die sehr wohl etwas merken, fangen dagegen an, sich lauter Fragen zu stellen: Wer ist sie? Was habe ich falsch gemacht? Was soll ich tun, soll ich ihm verzeihen oder nicht? Wie kann ich mich an ihm rächen? Und wenn der Betreffende sich längst wieder von der anderen getrennt hat, hat sich das Ganze im Kopf zu einer derartigen Geschichte ausgewachsen, dass es kein Zurück mehr gibt. Es besteht also das Risiko, die Sache völlig unnötig und unangemessen aufzubauschen. Das wollte ich vermeiden, um bloß nicht den gleichen Fehler zu begehen wie so viele Frauen. Denn eine Frau, die mit Lippenstift ein Herz malt und »Die Deine« darunterschreibt, konnte unmöglich eine größere Rolle im Leben Ernestos spielen. Dafür kannte ich ihn zu gut, so etwas fand er furchtbar. »Er lässt nur mal ein bisschen Dampf ab«, sagte ich mir. Außerdem sind die heutigen Frauen reichlich draufgängerisch. Kaum gefällt ihnen einer, stürzen sie sich auf ihn und lassen nicht locker – wenn er da nicht zugreift, muss er sich ja blöd vorkommen. »Was solls«, dachte ich, »wozu Ernesto in die Enge treiben und attackieren, in einer Woche hat er die Dame ohnehin vergessen.« Oder etwa nicht?
Trotzdem hieß es wachsam bleiben und dafür sorgen, dass die Beziehung sich nicht vertiefte. Ich durchsuchte also ab sofort regelmäßig Ernestos Hosen- und Jackentaschen, las seine Post, sah seinen Terminkalender durch und belauschte über den Nebenapparat seine Telefongespräche – all das, was jede Frau in einem solchen Fall tun würde. Wie erwartet, kam nichts Besonderes dabei heraus. Die eine oder andere kleine Mitteilung, das war alles. Dafür kam Ernesto jetzt immer später nach Hause, arbeitete auch am Wochenende und war schließlich so gut wie nie mehr da. Nur an den Elternabenden zur Vorbereitung von Lalis Schulabschlussfahrt nahm er teil; davon abgesehen, machte er sich nicht einmal mehr die Mühe, Bescheid zu geben, wenn er länger wegblieb. Da wurde ich schließlich doch nervös, denn sollte er tatsächlich immer mit derselben Frau unterwegs sein, könnte die Sache ein böses Ende nehmen. Eines Tages bin ich ihm hinterher. Genau genommen war es ein Dienstag. Das weiß ich noch, weil wir an dem Tag bei einem weiteren Treffen in Sachen Lalis Reise gewesen waren. Danach fühlte sich Ernesto nicht gut, was mich nicht wunderte, denn das mit der Reise nahm er fast schon übertrieben ernst. Natürlich geht es bei solchen Gelegenheiten ziemlich drunter und drüber, aber ein bisschen sollte man doch der Erziehung vertrauen, die man seiner Tochter hat zuteil werden lassen. Was bleibt einem auch anderes übrig? Aber Ernesto wollte absolut alles unter Kontrolle haben, ihm schien das Ganze höchst unzureichend vorbereitet. Kaum waren wir zu Hause, schloss Lali sich in ihrem Zimmer ein, was sie ständig tut. Ernesto und ich setzten uns in die Küche und aßen zu Abend. Da klingelte das Telefon. Ernesto ging dran. Um diese Uhrzeit rief man eigentlich nicht bei jemandem zu Hause an. Ernesto wurde noch nervöser, als er ohnehin war, fing an, mit seinem Gesprächspartner zu streiten, und ging schließlich ins Wohnzimmer, um dort in Ruhe reden zu können. Ich hob den Hörer in der Küche ab und bekam folgende Worte einer weiblichen Stimme zu hören: »… wenn du nicht sofort kommst, kann ich für nichts garantieren.« Am anderen Ende der Leitung wurde aufgelegt. Ernesto kam in die Küche zurück, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, aber seine Augen glänzten, und seine Mundpartie war verkrampft. »Es gibt ein Problem in der Firma, das Computersystem ist abgestürzt.« – »Reg dich nicht auf. Fahr hin und sieh dir die Sache in Ruhe an, das schaffst du schon, Erni«, sagte ich. Kurz nach ihm verließ ich das Haus, stieg in meinen Wagen und fuhr hinter ihm her. Ich sitze ungern am Steuer, erst recht nicht bei Nacht, aber hier war Gefahr im Verzug. Und ich konnte auch nicht wie im Fernsehen einfach ein Taxi bestellen und dem Fahrer sagen: »Folgen Sie diesem Auto!« Schließlich hatte ich keine Ahnung, was ich zu sehen bekommen würde. Ernesto fuhr zu dem großen Park im Stadtteil Palermo und hielt dort am See. Ich parkte in ungefähr hundert Metern Entfernung und stieg aus. Vorsichtig näherte ich mich dem See und versteckte mich hinter einem Baum. Da kam sie auch schon an, ganz die Seine. Genauer gesagt, Alicia, seine Sekretärin. Nie hätte ich geglaubt, sie könne imstande sein, einem verheirateten Mann einen Zettel mit einem Lippenstift-Herzen und den Worten »Ich liebe dich« zuzustecken. Eigentlich fand ich sie sogar nett. Ein hübsches Mädchen, unaufdringlich; ihr Stil war meinem ganz ähnlich. Sie lief auf Ernesto zu, warf sich ihm an den Hals, wollte ihn küssen, aber er schob sie zur Seite. Er wirkte verärgert. Sie begannen zu streiten. Sie weinte und umarmte ihn, er wurde immer wütender. Und ich immer ruhiger, diese Beziehung lief offensichtlich nicht besonders gut. In den siebzehn Jahren unserer Ehe hatte Ernesto mich niemals so schlecht behandelt. Er wollte aufbrechen, und sie versuchte ihn zurückzuhalten. Er machte sich von ihr los. Sie klammerte sich wieder an ihn, und da stieß er sie schließlich heftig von sich. Unglücklicherweise schlug sie im Fallen mit dem Kopf gegen einen umgestürzten Baumstamm und blieb reglos liegen. Ernesto war völlig außer sich, schüttelte sie, fühlte ihren Puls, versuchte es sogar mit Mund-zu-Mund-Beatmung. Alles umsonst, eine Katastrophe. Ich war ratlos, schließlich konnte ich nicht einfach hinter meinem Baum hervortreten und sagen: »Brauchst du Hilfe, Ernesto?«
Am klügsten war es, erst einmal nach Hause zu fahren.
Hallo … Paula?«
»Ja. Wer ist da?«
»Lali …«
»Ach, du bist es. Ich hab deine Stimme nicht erkannt. Ich bin noch ganz verschlafen.«
»…«
»Du weinst ja.«
»Nein, jetzt nicht mehr. Aber vorhin schon.«
»Hast du mit deinem Vater gesprochen?«
»Nein. Und ich weiß auch nicht, ob ich das tun soll. Hast du gesehen, was für eine Laune der heute hatte?«
»Ja, stimmt schon …«
»Über alles hat er sich aufgeregt.«
»Ist der immer so?«
»Nein, nicht immer. Aber wegen der Reise dreht er völlig durch.«
»Der Ärmste, er macht sich Sorgen.«
»Genau: Wenn wir fliegen, dann weil wir fliegen, und wenn wir mit dem Bus fahren, dann wegen dem Bus.«
»Mädchen: Dein Vater hat Angst, dass du mit einem ins Bett steigst! Der Ärmste.«
»Bist du doof!«
»Ist doch bloß ein Witz. Aber es ist auch witzig, gibs zu …«
»Ich finde es überhaupt nicht witzig.«
»Lach doch mal! Den ganzen Tag heulst du bloß rum.«
»Als ob ich keinen Grund dazu hätte …«
»Okay, schon gut.«
»…«
»Und wenn du mit deiner Mutter sprichst?«
»Null Chance. Meine Mutter existiert für mich nicht.«
»Aber mit irgendwem musst du doch darüber sprechen.«
»…«
»…«
»Ich glaube, ich rufe Iván an.«
»Komm, hör auf, please. Das hast du ja schon versucht, und es war der totale Reinfall.«
»…«
»Jetzt wein doch nicht …«
»…«
»Besser, du sprichst mit niemand. Lieber erst nach der Reise, okay?«
»Mein Vater kriegt einen Herzinfarkt!«
»Genau deshalb: Besser, er stirbt erst nach der Reise.«
»Du schaffst es noch und bringst mich zum Lachen …«
»Versprich mir, dass du Iván nicht anrufst.«
»…«
»Los, versprich es mir.«
»Okay. Ciao.«
»Ciao.«
Auf dem Rückweg fing es an zu regnen. Besser gesagt, es schüttete nur so. Die Scheibenwischer kamen gar nicht nach mit dem Wischen. Der linke war kurz davor, den Geist aufzugeben. Ich konnte kaum etwas sehen und fluchte lauthals über den Regen. Aber dann begriff ich, dass das Ganze auch sein Gutes hatte. Ich versuche immer, an allem das Positive zu sehen. Im Regen würden die Spuren des Unfalls sich verwischen, was für Ernesto von großem Vorteil wäre – für uns alle.
Ich sah in den Rückspiegel. Die Straße war leer. Was Ernesto wohl in diesem Augenblick machte? Keinesfalls war er zur Polizei gegangen, um zu erzählen, was geschehen war, ausgeschlossen. Wer würde auch freiwillig vor aller Augen seine schmutzige Wäsche waschen? Unfall blieb Unfall. Wäre Ernesto zur Polizei gegangen, hätten die ihm bloß lauter unangenehme Fragen gestellt. Weshalb die Verabredung im Park? Worüber haben Sie gestritten? In welcher Beziehung standen Sie zu der Verstorbenen? Unangenehme Fragen, aber vor allem: Wozu? Schließlich war die Deine mausetot. Und bei Unfällen gibt es keine Schuldigen, sondern bloß Opfer. In diesem Fall zwei Opfer. Einerseits die Tote – sich jetzt noch Sorgen um sie zu machen, war zwecklos –, andererseits Ernesto: Er war durch den Unfall in eine äußerst unbehagliche Lage geraten. Nein, zur Polizei war er bestimmt nicht gegangen. Was geschehen war, war geschehen, und die einzigen zwei – überlebenden – Zeugen des Unglücks waren Ernesto und ich. Beide wussten wir, dass niemanden irgendeine Schuld an dem infrage stehenden Vorfall traf. »Schuld ist Quatsch«, wie mein Papa immer sagte. »Quatschkopf«, erwiderte Mama dann.
Was Ernesto und mich anging: Unsere Pflicht war es, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen und nach vorne zu blicken. Das würde ich zu ihm sagen, sobald er mir alles gestanden hätte. Ich war bereits bestens vorbereitet, hatte meinen Auftritt eingeübt. Und er musste schier umkommen vor Verlangen, mir das Ganze zu erzählen. Ich kannte ihn genau! Wir sind zusammen, seit wir neunzehn waren. Wir haben uns immer alles erzählt. Bis auf wenige Ausnahmen, Kleinigkeiten. Sachen, die man lieber nicht sagt, weil man den anderen damit nur verletzen würde. Seinem Partner gegenüber muss man sich umsichtig verhalten, da darf man nie nachlässig werden, sonst geht die Beziehung in die Brüche. Er hatte die Deine bis dahin mit keinem Wort erwähnt, nur zu verständlich, ich bin ihm geradezu dankbar dafür. Wie schon gesagt: Mir gegenüber verhielt er sich immer umsichtig und rücksichtsvoll. Außerdem, er gab damit zu erkennen, dass ich der Sache keine größere Bedeutung beizumessen brauchte. Wäre es wirklich wichtig gewesen, hätte Ernesto es mir ins Gesicht gesagt, er hätte reinen Tisch gemacht und sich von mir getrennt. Er gehört nicht zu den Leuten, die über längere Zeit etwas geheim halten können. Ich auch nicht.
Zu Hause angekommen, fuhr ich in die Garage und trocknete das Auto ab. Wie hätte ich auch erklären sollen, warum es nass war. Mit irgendwelchen Lügengeschichten wollte ich mich nicht aufhalten, von wegen ich hätte plötzlich zur Apotheke gemusst, weil ich so furchtbare Zahnschmerzen gehabt hätte. Und genau an diesem Abend einen plötzlichen Todesfall erfinden wollte ich erst recht nicht. Ich mag es sowieso nicht, mir irgendwelche Märchen auszudenken – man sieht es mir außerdem sofort am Gesicht an.
Ich ging nach oben. Lali schlief. Ein Glück, je weniger sie von dem Hin und Her in dieser Nacht mitbekam, desto besser.
Ja, bitte …«
»…«
»Hallo!«
»Ist Iván da?«
»Wer ist da, bitte?«
»Eine Freundin von ihm.«
»Die Freundinnen meines Sohnes haben normalerweise einen Namen.«
»Laura …«
»Laura … oder Lali …«
»Ja …«
»Iván ist da, aber er kann jetzt nicht drangehen. Er schläft gerade.«
»Ach so …«
»Warte, leg nicht auf! Iván hat mir alles erzählt, weißt du?«
»Nein.«
»Doch. Es tut mir wirklich sehr leid für dich, das, was du gerade durchmachst.«
»…«
»Ich als Frau kann dich verstehen …«
»…«
»Das ist natürlich nicht einfach …«
»…«
»Aber gerade als Frau muss ich dir etwas sagen, du darfst Iván nicht mehr anrufen. Das ist alles einzig und allein dein Problem …«
»…«
»Und, weißt du, das sage ich zu Ivi auch immer, klar, du hast es bloß gut gemeint, und natürlich war das ein Unfall, verstehst du?«
»…«
»Andere würden das vielleicht nicht so sehen.«
»…«
»Also, auf jeden Fall, für die Folgen dieses Irrtums musst du selbst aufkommen.«
»…«
»Denn das war ein Irrtum von dir, da verstehen wir uns doch, oder?«
»…«
»Mein Sohn hatte keine Ahnung, dass so etwas dabei passieren könnte. Wenn du es ihm nicht sagst, woher soll er es da wissen?«
»Ich …«
»Eine Frau muss immer vorher alles klarstellen.«
»…«
»Du und ich, wir wissen doch, dass du dich nicht korrekt verhalten hast, stimmts?«
»Aber ich …«
»Ich weiß nicht, was deine Eltern dazu sagen werden, ich kenne sie nicht. Und ich will sie auch gar nicht kennenlernen, dass wir uns da nicht falsch verstehen. Aber als Iváns Mutter ist mir völlig klar, wie die Sache abgelaufen ist, und ich möchte, dass du meinen Sohn in Ruhe lässt, verstehst du mich, Schätzchen?«
»…«
»Wenn deine Eltern etwas dazu zu sagen haben, sollen sie mich persönlich anrufen, oder meinen Mann. Denn wenn du oder einer von deiner Familie meinen Sohn weiter belästigt, muss ich euch anzeigen.«
»…«
»Bist du noch dran?«
»Ja, aber ich muss auflegen.«
»Gut, dass du angerufen hast, jetzt ist alles klar zwischen uns, stimmts?«
»Ich muss auflegen.«
»Viel Glück, und versuch nicht noch mal anzurufen!«
»…«
»Ciao, meine Liebe.«
»…«
I