Gartenverrückt - Elin Unnes - E-Book

Gartenverrückt E-Book

Elin Unnes

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Beschreibung

Gärtner sind die verrücktesten, eigensinnigsten, inspirierendsten Menschen überhaupt: ob extravagante Adelige, Rebellen oder Mönche – sie verbindet ein visionärer Blick auf das Grün, das uns ernährt und erfreut. Elin Unnes stellt uns die besten Gärtner der Weltgeschichte vor und zeigt, was wir von ihnen lernen können: Wild zu leben wie der "Rockstar unter den Gärtnerinnen" Vita Sackville-West. Den eigenen Garten in ein Meisterwerk zu verwandeln wie Claude Monet. Die Zen-Lehre zwischen Bäumen und Moos zu finden wie der japanische Mönch Musō Soseki. Mit Guerilla-Methoden in der Stadt zu gärtnern oder aus politischem Protest in der Erde zu buddeln. Wie Michelle Obama Bohnen nach Art der amerikanischen Ureinwohner zu pflanzen und dabei Magie im Garten zu spüren. Auch ganz Handfestes ist hier zu finden: Rezepte für das beste Mispelgelee und Hagebuttenschnaps, Tipps, um das Geisblatt in seine Schranken zu weisen und die Liebe zum Riesenrhabarber zu entdecken. Ein Buch für alle leidenschaftlichen Gärtner und alle, die es noch werden wollen.

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Seitenzahl: 204

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Elin Unnes

Gartenverrückt

Lebensweisheiten und botanische Tricks von unsterblichen Garten-Genies

Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer

Atlantik

Vorwort

Der britische Künstler Ian Hamilton Finlay widmete viele Jahre seines Lebens der Anlage eines Gartens. Als seine Freunde ihn deshalb aufzogen und sagten, er habe sich ein Retreat, einen weltabgewandten Rückzugsort gebaut, antwortete er: »Certain gardens are described as retreat when they really are attacks« – manche Gärten werden als Rückzug beschrieben, dabei sind sie in Wirklichkeit Attacken. In anderen Sprachen geht das Wortspiel (fast) verloren – retreat bedeutet auch militärischer Rückzug.

Ich selbst war viele Jahre eine heimliche Gärtnerin. Tagsüber schrieb ich für die Zeitung, machte mir Sorgen wegen wütender Rockbands und eines Chefs, der Crack rauchte. Am Wochenende zog ich mich in meinen Garten zurück, selbst gute Freunde wussten nicht, was ich tat. Eine der Ersten, die das mitbekam, war eine Fremde, nämlich Anna G. Tufvesson von der Zeitschrift Allt om Trädgård (Alles über den Garten). Als ich hörte, dass sie in einer der besten schwedischen Punkbands, Garbochock, gespielt hatte, wusste ich, dass wir zusammenarbeiten würden. Wir beschlossen, eine Serie von Porträts über historische Gärtnerinnen und Gärtner zu machen – lebende und tote, schwedische und ausländische, reale und fiktive. Anna machte die Vorschläge, ich schrieb die Texte. Oft hatte ich noch nie etwas von den Menschen gehört, wenn ich zu schreiben anfing. Es war wie ein Grundkurs in Gartengeschichte.

Die Personen in diesem Buch sind eine Auswahl dieser Porträts, ein kleiner Teil der Hortikultur-Elite. Ich könnte behaupten, dass sie die besten Gärtner*innen der Welt sind, aber das stimmt natürlich nicht – wenigstens ein Kontinent fehlt ganz. In meiner subjektiven inneren Welt sind sie jedoch die besten der Welt: Sie sind ein Prequel der Gärtnerin und Schreiberin, die ich selbst geworden bin.

Die Auswahl zu treffen war schwierig, um nicht zu sagen qualvoll. Wir suchten, wünschten, fanden Kompromisse. Und dann tauchten auch noch ein paar neue Idole auf. Alte Lieblinge kämpften mit neuen Schwärmen um einen Platz. Im Lauf der Arbeit wurde jedoch klar, dass all diese Gartenhelden eines gemein hatten (also neben der Liebe zu Pflanzen): Sie gärtnerten oder gärtnern aus Protest – gegen Umweltzerstörung, Ungerechtigkeit, Dummheit, Hunger, Gier, Hässlichkeit, gegen Autoritäten und Mobber. Sie sind alle, mehr oder weniger, eine Art ökologische Anarchisten, ein Teil der friedensbewahrenden Armee, die in Gaias Namen ausgesandt wurde. Ihre Gärten sind immer Zufluchtsorte, oft Angriffe, niemals jedoch Rückzug.

In ihren Reihen gibt es einige der verrücktesten, lustigsten und wildesten Knallköpfe, die man sich denken kann. Ich stelle sie mir gerne als Kinder auf einem Schulhof vor, zersplittert in kleine Gruppen, die hin und wieder zusammenkommen, um sich dann erneut aufzuteilen. Manchmal entstehen Kabbeleien, aber eigentlich haben alle das gleiche Ziel: ganz konkret, mit einem Spaten (oder indem sie den Spaten ablehnen) die Welt zu verändern.

Gartenverrückt ist eine Art Anthologie, eine Odyssee durch Gärten und Welten, die von den stärksten, unkonventionellsten Charakteren in einigen der coolsten Gangs der Welt geschaffen wurden. Vierzig der besten Gärtner und Gärtnerinnen der Welt.

XOXO

Elin

Die Pflanzschule Sissinghurst

Die coolsten Kids versammelten sich um die britische Aristokratin Vita Sackville-West (1892–1962). Sie ist der Gartenstar to end all Gartenstars. Schon zu Lebzeiten war sie eine der größten Gärtnerinnen der Welt, und ihre Gartenkolumne in einer britischen Zeitung war so populär, dass das örtliche Postamt die Zustellung aufstocken musste. Ganze Wagenladungen mit Briefen mussten zu Vita transportiert werden. Sie liebte kaputte und abgenutzte historische Gegenstände und die Un-Farbe Weiß (sie hat den Stil erfunden, den man heute Shabby Chic nennt).

Eine von Vitas Freundinnen war die Floristin Constance Spry (1886–1960). Constance war keine geborene Aristokratin, aber dank ihrer Kontakte zu Leuten wie Vita wurde sie Teil der Gruppe. Constance ist verantwortlich dafür, wie wir heute Edles und Wildes in einer Vase kombinieren, sie prägte den Schnittblumenteil der Shabby-Chic-Ästhetik: zerzauste Pfingstrosen in angelaufenen Silberschalen, Hortensien in einer alten Holzkiste, Federspargel in Konservendosen.

Die Künstlerin Vanessa Bell (1879–1961) war auch eine Freundin einer Freundin. Wie für viele Künstlerinnen ihrer Zeit war Vanessas Arbeitsplatz ihr Zuhause – sie musste die Dinge abmalen und bemalen, die um sie herum waren. Ob sie einen Garten anlegte, um mehr Modelle zum Abmalen zu haben, oder ob ihr Garten so toll war, dass sie es einfach nicht lassen konnte, ist schwer zu sagen.

Vita, Constance und Vanessa waren auch auf eine Art freisinnig, die die Komödie The Aristocrats als trockene Dokumentation erscheinen lässt. (Kleine historische Einordnung: Das war zu einer Zeit, als heterosexueller Sex als fast ebenso anomal angesehen wurde wie homosexueller Sex. Der berühmte Tipp für Frauen, die mit ihren Männern schlafen wollten, lautete: »Schließe die Augen und denke an England.«)

Ausgerechnet Constance Spry ist heute eigenartigerweise vergessen. Einer, der sie nicht vergessen hat, und der sich, wenn auch unbewusst, auf sie bezieht, ist der Florist Thierry Boutemy (geb. 1969). In einer Zeit, in der Constances und Vitas Shabby-Chic-Ästhetik bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden ist, verwandelt Thierry Unkraut in die schönsten Gestecke auf den Festen der High Society.

Vita Sackville-West

(1892–1962) Blumen und Bienen bei den Viktorianern

An einem Samstagmorgen im November – es war der Mor gen, als ich feststellte, dass ein Haufen Zwanzigjähriger auf meinen Sofas schlief – bin ich Vita verfallen.

Ich schnappte mir ein geliehenes Buch, das im Flur lag, Vita Sackville-Wests The Illustrated Garden Book, und verließ das Chaos in der Wohnung. In einem Café im Obergeschoss einer Kunstschule, umgeben von nackten Statuen, bestellte ich einen Kaffee. Dann öffnete ich das Buch einer Unbekannten und traf, ohne jede Vorwarnung, mein neues Gartenidol. Wussten Sie zum Beispiel, dass tote Heilige nach Veilchen riechen? Das erwähnt Vita schon im ersten Kapitel. Der Geruch der Gebeine von Heiligen soll laut Vita auf die gleiche Art und Weise entstehen wie bei duftenden Blumen.

Vita wurde im 19. Jahrhundert geboren. Als Einzelkind im Zeichen der Fische, was eigentlich hätte bedeuten müssen, dass sie als eigenartiger Teenager und realitätsfremde junge Frau erzogen wurde. Sie war eine britische Ultra-Aristokratin mit einem dekadenten Dreh: Ihre Eltern waren Cousin und Cousine, ihr Großvater ein Lord und ihre Großmutter eine spanische Tänzerin (sie bekamen zusammen sieben Kinder, obwohl die Tänzerin mit einem anderen verheiratet war). Das komplizierte Liebesleben scheint sich vererbt zu haben: Nicht lange nach der letzten Jahrhundertwende brannte Vita, als Mann verkleidet, mit ihrer Geliebten Violet nach Frankreich durch. Als sie einundzwanzig war, heiratete sie den Baron Harold. Sie waren beide Schriftsteller, liebten das Gärtnern, und ihre Ehe war so offen, dass Angie und David Bowie dagegen wie prüde Viktorianer wirken.

Im Jahr 1928 starb Vitas Vater und sie verlor ihr Elternhaus, Knole House, aufgrund der männlichen Erbfolge. »Haus« ist nicht der richtige Ausdruck. Mit seinen 365 Zimmern ist Knole eher ein kleines Dorf. Vita und Harold begaben sich also auf Haussuche und fanden ihr neues Heim in Sissinghurst Castle. Der damals fünfzehnjährige Sohn Nigel erinnert sich an das Schloss aus dem 16. Jahrhundert als »den heruntergekommenen Rest eines elisabethanischen Hauses ohne ein einziges bewohnbares Zimmer« und an den Garten als einen »Abfallhaufen«. Was für ein Glück, dass Vita tiefe Taschen und kein Schamgefühl besaß.

Im Laufe von vielen Jahren und mit Hilfe von Gärtnern und Butlern verwandelten Vita und Harold Sissinghurst in ein prunkvolles Wunderland. Sie experimentierten schon früh mit Gartenräumen: gerade Wege, wie Korridore in einem verwinkelten Haus, führen zu intimen Kammern, planlos aber extravagant bepflanzt. Manche Leute meinen, dass Vita damit das verlorene Schloss ihrer Kindheit wieder erschaffen wollte, als trotzige Revanche gegen die hässliche Schnauze des Erbrechts.

Am Wallgraben des Schlosses stellte Vita sich einen monochromen Gartenraum vor, mit grauwolligen Hasenohren und silbern schimmerndem Meerkohl, sahnigen Margeriten und wohlriechender Eberraute. In ihrem Traum schwebte die gespenstische Turmeule des Schlosses lautlos über den weißen Garten, während die ersten Schneeflocken fielen.

Vita war auch Vorbild für die Hauptperson in Virginia Woolfs Orlando, einer Liebeserklärung in Romanform. Woolf saß alleine zu Hause und verzehrte sich vor Sehnsucht, während Vita eine Affäre mit einer verheirateten Garmanschwester1 hatte und zudem noch ein kompliziertes Dreiecks-Verhältnis mit einer waghalsigen Kriegsreporterin und deren Freund.

Darum geht es hier. Ich bewundere Vita nicht so sehr für ihre Perfektion und den Schlossgarten, sondern dafür, dass sie der Rockstar unter den Gärtner*innen ist. Für alle Fehler und Mängel, die richtige Bohemiens mit Stolz und Stil tragen. Weil sie Pflanzen liebte und Pflanzen hasste und nie vor dem Morbiden in der Natur oder im Leben zurückwich.

Mit dem Wissen über Vitas wildes Leben und einem Kitzeln im Nacken trank ich meinen Kaffee aus, richtete mich auf und ging nach Hause, um die Zwanzigjährigen zu wecken, die immer noch auf den Sofas schliefen, mit ihren Lederjacken als Kissen.

Vitas Stil mopsen: architektonische Räume

Sissinghurst ist in vielerlei Hinsicht phantastisch. Besonders beeindruckend ist der architektonische Aufbau, die Struktur. Der Garten besteht aus vielen verschiedenen Räumen – wie ein Labyrinth, nur ohne die Verwirrung. Gerade Wege führen zu Torbögen und geheimen Verstecken, die man betreten muss, um zu sehen, was darin ist: eine verwitterte Skulptur, ein Sitzplatz oder eine spannende Pflanze. Harold, Vitas Mann, war für den Rahmen verantwortlich. Er bekam Hilfe von befreundeten Architekten und zog die schnurgeraden Wege, indem er seine Söhne mit Schnüren in den Händen aufstellte. Aber der Park war schräg und schief, weshalb er sich auch auf sein Augenmaß verlassen musste, damit alles gut aussah.

Sissinghurst ist ein monumentales Werk in epischen Proportionen, Harolds Beschreibungen sind oft sehr kompliziert. Ist man Design-Novize und will den Stil kopieren, kann das sehr abschreckend wirken. Vita hingegen drückt sich klarer aus: größtmögliche Formalität im Aufbau, größtmögliche Dekadenz in der Bepflanzung.

Fangen Sie so an: Genau wie ein Gemälde einen Rahmen braucht, muss ein Garten eingerahmt und auf allen vier Seiten begrenzt werden – mit einer Mauer, einem Haus, einer hohen Hecke, einem Brett oder einer Kombination aus diesen Dingen. Innerhalb des viereckigen Rahmens verläuft ein horizontaler Weg, den ein vertikaler Weg kreuzt und so vier Beete entstehen lässt. Denken Sie an die schwedische Flagge: Die Wege sind das Gelbe, das Blaue sind die Beete. Jedes Beet muss ebenfalls eingerahmt werden. Zum Beispiel von einer niedrigen dichten Hecke. Jetzt werden alle Buchsbaum sagen, aber ich hasse Buchsbaum, ich sage also, alles, nur nicht Buchs. Sogar Berberitzen sind besser. Aber noch lieber Grasnelken, gestutzter Lavendel oder winterhartes Bohnenkraut. Ich habe sogar schon gesehen, wie man Petersilie effektiv dafür verwenden kann. Die Wege zwischen den Beeten werden mit Kies, sorgfältig geschnittenem Gras oder Rindenmulch bedeckt. Am besten nimmt man etwas, das man leicht bekommt und, wenn nötig, großzügig nachfüllen kann. (Die Kräuterfrau Annemarta Borgen auf Seite 139 lebte auf einer Insel und sammelte am Strand zerkleinerte Muscheln.)

Jetzt ist das strikte, architektonische Rahmenwerk fertig. Vier kleinere Vierecke in einem großen. Je größer der Garten, desto mehr gerade Wege und viereckige Beete kann man anlegen. Als Kontrast dazu wollte Vita die Beete so zerzaust wie möglich bepflanzen. Der jetzige Chefgärtner in Sissinghurst, Troy Smith, bedauert, dass er die Pflanzen nicht mehr aus den Beeten herauswachsen lassen kann – damit die Besucher sich ungehindert auf den Wegen bewegen können, müssen die Pflanzen im Rahmen bleiben. In einem privaten Garten muss man sich darum nicht scheren. Nur zu.

Hier kommt Vitas Pflanzvorschlag: Zunächst eine Unterpflanzung, eine Art Fußboden im Beet, bestehend aus aromatischer Eberraute, Silber-Greiskraut, grauem Heiligenkraut und Schafgarbe. Dazwischen weiße Lilien, Rittersporn und Fingerhut. Dann weiter mit Schleierkraut, Sonnenröschen und Glockenblumen – alles in Weiß. Die Insekten müssen in diesem Beet wahnsinnig werden. Bei Vita kamen später im Jahr weiße Herbstanemonen und weiße Dahlien dazu. Entlang des mittleren Weges streckten weiße Kletterrosen ihre Zweige über die alten Mandelbäume.

Der letzte Geniestreich in Sissinghurst ist das Überraschungsmoment. Man kann nie den ganzen Garten auf einen Blick erfassen, weil er durch hohe Hecken unterteilt ist. Auch in einem kleineren Garten kann man Überraschungseffekte erzeugen, indem man einen Weg zu einer Öffnung in einer Hecke oder Mauer führt. Wenn eine permanente Hecke zu teuer oder zu schwierig ist, kann man mit einer improvisierten grünen Wand arbeiten. Es gibt diese langen, dünnen entrindeten Stöcke, die man früher für Heuharfen verwendet hat. Die Bauern brauchen die Stangen heute nicht mehr, und deshalb kann man sie oft in alten Scheunen finden. Sie sehen im Garten phantastisch aus. Wenn man sie in einer Reihe in die Erde steckt, bilden sie eine hohe Pflanzenstütze. Früher ließ man Hopfen daran ranken, aber auch Feuerbohnen bedecken sie in Nullkommanix.

Bindet man horizontale Juteschnüre zwischen die Stangen, bildet sich ein blühendes, undurchdringliches Wirrwarr. Das klappt auch mit langsam wachsenden, mehrjährigen Kletterpflanzen, wie zum Beispiel Brombeeren. Man kann die Stangen mit etwas mehr Zwischenraum setzen und die Brombeeren in einem Karomuster dazwischen flechten. Sieht auch im Winter gut aus. Wenn alles fertig ist: Vergessen Sie nicht, eine Überraschung im Raum hinter der Pflanzenwand zu verstecken, damit man für seine Neugier belohnt wird. Zum Beispiel die Statue einer vestalischen Jungfrau. Jeder Garten mit Selbstachtung braucht wenigstens eine vestalische Jungfrau.

Constance Spry

(1886–1960) Der Name der Rose

Mein Verhältnis zu Rosen ist kompliziert. Ich trage einen geerbten inneren Kampf aus, bei dem die Liebe meiner Mutter zur Schönheit der Rosen gegen die Verachtung meines Vaters wegen deren nicht vorhandenen Nutzen kämpft.

Jede Rose – von Damaszener über Teerosen bis hin zur Hundsrose – ist lockend und verboten zugleich. Am verlockendsten ist die Constance Spry, die – neben der verwirrenden Doppelheit, die ich allen Rosen zuschreibe – zudem noch Geschichten flüstert über außereheliche Leidenschaft im England der Jahrhundertwende, einen schwindelerregenden Klassenaufstieg und phantastische Triumphe.

»Genau, die Ausfirst, wie sie in der Gärtnersprache heißt«, antwortet meine Gartenfreundin Anna G, als ich sie nach Constance frage. »Übrigens eine ganz phantastische Rose.«

Aber bevor Constance Spry die allererste Rose des Züchters David Austin wurde, war es der Name einer Frau.

Constance Spry wurde im 19. Jahrhundert in eine arme irische Familie geboren. Eine gewalttätige erste Ehe zwang sie schließlich, das Haus und die Insel zu verlassen. Constance, Connie unter Freunden, musste von Null anfangen, mitten im Ersten Weltkrieg. Sie schuf sich ein neues Leben, verliebte sich in einen neuen Mann. Und kurz nach ihrem zweiundvierzigsten Geburtstag änderte sich ihr Leben komplett. Eine Freundin, die ein vornehmes Parfumgeschäft betrieb, brauchte Hilfe bei der Schaufenstergestaltung. Mit diesem Fenster bekam Constance die Chance, ihre autodidaktisch erlernte und zudem völlig überirdische Fähigkeit, Blumen zu arrangieren, zu zeigen. Von diesem Tag an bestand ihr Leben darin, extravagante, wilde Blumenarrangements für eine hippe, reiche englische Künstlerklasse zu schaffen. Connies Arrangements erinnerten an die Gemälde der holländischen Meister, und sie wurde bald Vita Sackville-Wests Idol. Ihrer Zeit weit voraus, stellte Connie Sträuße aus Gras, Grünkohl und entlaubten Zitruszweigen zusammen. In den dreißiger Jahren war sie erfolgreich und skandalumwittert, weil sie wertvolle Orchideen mit Unkraut kombinierte. Sie revoltierte gegen prüde viktorianische Traditionen, und sie war völlig vorurteilsfrei in ihrer Beurteilung von Schönheit. Und genau wie Vita nahm sie, zumindest in einem Fall, eine Auszeit von dem Mann, den sie liebte, um mit einer umstrittenen Künstlerin zusammen zu sein.

Connie machte auch die Sträuße für die Hochzeit zwischen dem It-Girl von damals, Wallis Simpson, und dem abgedankten König Edward VIII. Wallis war eine geschiedene Amerikanerin, und Edward verzichtete auf die Königskrone, um mit ihr zu leben. Nach diesem Auftrag lief es für Connie im übrigen britischen Königshaus nicht mehr so gut. Aber ihre Anziehungskraft erwies sich als stärker als ein königlicher Skandal. Trotz des Wallis-Edward-Debakels arrangierte Connie die Blumen und organisierte den Lunch zur Krönung Königin Elizabeths.

Vielleicht war es kein Zufall, dass Connie so vorurteilslos war. Sie selbst hatte auch ein Geheimnis. In der Biographie The surprising Life of Constance Spry steht, dass es keinen Beweis dafür gab, dass Connie Henry Ernst »Shav« Spry je geheiratet hatte. Als Constance 1960 starb, lebte sie jedoch immer noch mit dem Mann zusammen, dessen Namen sie trug. Im Jahr darauf ehrte David Austin sie, indem er seine erstgeborene Rose – gefüllt, knallrosa, prachtvoll und mit einem berauschenden Duft nach Myrrhe – auf Constance Spry taufte.

Die Geschichte hinter Ausfirst

Die Welt der Rosen ist groß und verwirrend und erinnert stark an einen klassischen russischen Roman, wo niemand von einer Seite zur nächsten gleich heißt.

So geht die Schöpfungsgeschichte der Rosen: Am Anfang waren die Rosen. Sie waren dornig und schön, sie dufteten wunderbar und blühten einmal pro Sommer, ganz schnell, mit todesverachtendem Überfluss.2 Nach einigen tausend Jahren Rosenanbau gab es jemanden, der meinte, dass man dieses Konzept verbessern könnte, und er führte die erste moderne Rose, die Teehybride, ein. Aber wie so oft in der Natur hat jede botanische Verbesserung ihren Preis: Die modernen Teehybriden blühen fast ohne Unterlass den ganzen Sommer, manchmal bis zum Frost3, oft auf Kosten des Duftes.

Der Erlöser der modernen Rose ist David Austin, ein roseninteressierter Hobbygärtner, der es sich zur Lebensaufgabe machte, eine altmodische moderne Rose zu züchten – eine Rose, die sowohl duftet als auch lange blüht. Und David Austins Geschichte beginnt mit Constance Spry: romantisch zart wie eine altmodische Rose, aber gesund wie die langweiligen, modernen Varianten. Die Rose trägt den Codenamen Ausfirst, also Austins Erste. Sie wurde erstmals 1961 verkauft und war die Erste aus der Familie, die inoffiziell englische Rosen oder Austinrosen genannt werden. (Verstehen Sie jetzt, wie ich das mit den russischen Romanen gemeint habe?). Ausgerechnet die Constance Spry remontiert nicht, diesen Code entschlüsselte David erst ein paar Versuche später, aber zusammen wurden David und Constance weltberühmt.

Für Leute wie mich, die Angst vor Blumen haben, sind Rosen ein guter Einstieg in schwierigere Ziergewächse. Einerseits, weil Hundsrosen verwendet werden können wie »normale« Beerensträucher (sowohl Blüten als auch Hagebutten können im Essen und als Medizin verwendet werden). Andererseits sind Rosen Pflanzen, von denen man leicht ein wenig besessen wird. So geschehen, als mein Mann und ich eine alte Kate übernahmen und unsere ersten Rosen erbten. Er fing fast unmittelbar damit an, sich der Tätigkeit zu widmen, die man auf Englisch deadheading nennt (ich selbst verlor das Interesse, als ich verstand, dass es nichts mit der Band Grateful Dead zu tun hatte). Unsere Rosen, Climbing Iceberg und New Dawn, sind an einer Wand als Spalier gezogen, und eines Tages fand ich den Mann, wie er schweigend die Wand anstarrte, meine Superschere in der einen Hand. Als ich fragte, ob alles in Ordnung sei, antwortete er: »Ich wusste einfach nicht, dass Rosen … so schön sein können.«

Deadheading

Deadheading ist ganz einfach: Welke Blüten werden mit einer scharfen, sauberen Gartenschere abgeschnitten und auf den Kompost geworfen. Man macht das aus mehreren Gründen. Altmodische Rosen und Hundsrosen blühen oft schnell und effektvoll, ich persönlich würde nie empfehlen, eine Hundsrose zu »köpfen« – die Hagebutten sind die halbe Freude. Moderne, showige Rosen haben jedoch eine Tendenz, gewissermaßen über sich selbst zu kollabieren. Und einige bekommen gar keine Früchte. Manche Leute finden das hässlich und schneiden deshalb welke Blüten ab. Bei Rosen, die immer wieder oder kontinuierlich blühen, hilft das Schneiden, neue Triebe und Blüten anzuregen – die Rose weiß, dass es ihr Job ist, befruchtet zu werden, und so lange der Job nicht erledigt ist, schickt sie wieder neue Blüten. Zum Herbst hört man dann mit dem Deadheading auf, um der Rose zu signalisieren, dass es Zeit zum Ausruhen ist.

Thierry Boutemy

(geb. 1969) Sofias Entscheidung

Bei der Arbeit als Rockjournalistin kommen Rezensionen über ein Musikfestival der Arbeit einer Kriegskorrespondentin ziemlich nahe. Immer wenn ich ins Feld geschickt werde, versuche ich, mir das Leben etwas erträglicher zu machen, indem ich eine Vase mit schönen Schnittblumen in mein Hotelzimmer stelle (Zelt geht gar nicht). Es endet meistens damit, dass ich, anstatt inneren Frieden zu finden, mich mit der örtlichen Floristin anlege, weil es mir nicht gelungen ist, ihr zu erklären, dass große Mengen knallgelber und rosafarbener Gerbera, umgeben von Schleierkraut, nicht meine Definition von »etwas Einfachem, Geschmackvollem« ist. Und jedes Mal denke ich: Das wäre mir mit Thierry Boutemy nie passiert.

Thierry ist in Frankreich geboren, lebt jedoch in Brüssel, wo er als Florist arbeitet, und er kreiert herzzerreißend schöne Arrangements, die auf unglaubliche Weise überschwänglich und minimalistisch zugleich sind. In einem ästhetischen Universum ist er das Kind der Liebe, das Vita Sackville-West und Constance Spry nie bekommen haben.

Thierry liebt Pflanzen in allen Lebensstadien: entlaubt, knospend, voll erblüht, welk und vertrocknend. Aber wenn man ihn mit tausend Nadeln stechen würde, dann würde er zugeben, dass es eine Blume gibt, die er hasst: die Schmetterlingsorchidee. Nicht wegen der Pflanze an sich (er liebt, wie gesagt, alle Blumen), sondern für das, was sie geworden ist, wofür sie steht: Eine Blume, die verwendet wird, um einen hohen Status zu signalisieren, weiter weg von der Natur kann man nicht sein.

Es ist genau diese Einstellung, die Thierry so besonders macht. Er arbeitet in der allerobersten, luxuriösesten Schicht der Modewelt – gleichzeitig ist sein Ziel immer die größtmögliche Natürlichkeit. Und genau wie die Natur selbst, sind seine Sträuße dekadent und unschuldig zugleich. Vielleicht verstehen sich deshalb er und die Filmregisseurin Sofia Coppola so gut. Sie engagierte Thierry als Floristen für ihren Film Marie Antoinette und für ihre Hochzeit.

Auch wenn Thierry behauptet, als Florist keinen Regeln zu folgen, sondern dass das Wichtigste immer ist, die Pflanze zu beobachten, gibt es ein paar konkrete Tricks, die man von ihm übernehmen kann. Zum Beispiel, dass man streng mit den Blättern sein muss. Thierry entfernt nicht nur die Blätter, die in der Vase unter Wasser waren (sie faulen und machen das Wasser modrig, was die Blumen schneller welken lässt), er entfernt die Blätter vom ganzen Stiel. So werden die Blumen nicht im Grün erstickt, sondern in all ihrer nackten Schönheit gesehen.

Thierry sagt, er sei kein Fan des Zen-Buddhismus, seine Philosophie sei noch einfacher: Suche die Schönheit vor Ort. Sieh das Attraktive direkt vor deiner Tür. Zeige Achtung und Respekt für das, was du im Überfluss besitzt – Hasenohren und Frauenmantel, Schafgarbe und Rainfarn oder Moos, Farn und Zweige –, statt nach dem Künstlichen und Exotischen zu streben.

Da Thierry in Benelux wohnt, weiß er auch, dass Blumenanbau ein schmutziges Geschäft ist, in dem große Mengen von Giften versprüht werden. Statt viele Blumen zu verwenden, versucht er, Arrangements mit so wenigen Blumen wie möglich zu kreieren. Ein paar Kräuter und einige perfekt schiefe Blumenstängel, mehr braucht es nicht, um einfache Poesie zu schaffen. Manchmal werden ihm Sträuße von den Kunden zurückgeschickt, mit einem Zettel, dass etwas schief gelaufen sei und der Strauß offenbar geliefert wurde, ehe er fertig war. Und als der Floristenbuddha, der er ist, lacht er dann immer ganz ruhig, er freut sich, dass er wieder einmal jemanden in der Kunst unterweisen kann, die Schönheit im Allereinfachsten zu sehen.

Einen Strauß wie Thierry binden

Menschen wie Constance Spry und Thierry geben mir das Gefühl, dass Floristin doch ein ziemlich cooler Beruf sein könnte. Deshalb fragte ich Thierry, was man machen muss, um etwas seriöser in der Florikultur zu werden. Dies sind seine Tipps:

»Wenn du einen Strauß binden willst, beginne mit einem Waldspaziergang. Besonders im Herbst, wenn die Blätter sich verfärben und die Natur quasi aus sich selbst heraus leuchtet. Lass dich inspirieren, indem du die Bewegungen, die Schatten beobachtest, die Poesie, die darin liegt, wie verschiedene Arten zusammen wachsen oder weit voneinander entfernt.

Wenn ich einen Strauß zusammenstelle, dann möchte ich, dass er sich wie eine Handvoll Natur anfühlt, aus einer spezifischen Landschaft, einer bestimmten Szenerie: Je ehrlicher und schlichter er ist, desto schöner wird er. Und, ganz wichtig, man darf das alles nicht zu ernst nehmen – lass dich von deinen Instinkten durch den kreativen Prozess führen.«

Praktische Ratschläge

Thierry ist Poet, aber es gibt auch eine praktische Realität beim Blumenpflücken. Beim Blumenpflücken gelten die gleichen Regeln des Benehmens und des Anstands wie beim Beeren- oder Pilzesammeln. Wenn man auf eine Pflanze stößt, die man nicht kennt, muss man sich vergewissern, dass sie nicht geschützt ist. Bäume und Zweige sind nicht Teil des »Jedermannsrechts« – man muss den Besitzer fragen, wenn man Äste, Zweige oder Blaubeergrün schneiden will. Außerdem gibt es noch ein paar andere praktische Dinge für den Ausflug in die Natur:

eine scharfe Gartenschere (Gartenscheren müssen ab und zu geschärft werden, oft kann man sie beim Schuhmacher abgeben.)

ein kleines, scharfes Messer

eine normale Schere

für den wirklich ernsthaften Blumensammler gibt es Rindenrucksäcke und spezielle Blechdosen mit Schulterriemen. Für uns andere genügt ein ganz normaler Korb. Mit dem Korb kann man so tun, als sei man Jane Birkin, und im Unterschied zu Papiertüten fliegt er nicht weg, wenn man ihn abstellt.