GB84 - David Peace - E-Book

GB84 E-Book

David Peace

4,6
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Großbritannien, 1984. George Orwells düstere Vision ist Wirklichkeit geworden. Die Bergarbeiter sind in Streik getreten und kämpfen um ihre Arbeitsplätze, um ihre Zukunft. Doch die Premierministerin und ihre Handlanger sind gnadenlose Gegner. Sie hetzen die Presse auf, lassen Gewerkschaften bespitzeln, säen Gewalt. Inmitten dieser Eskalation, die das Land an den Rand eines Bürgerkrieges treibt, beginnt ein Spiel um Leben und Tod. Terry Winters, der als Gewerkschaftsführer schon bald mit dem Rücken zur Wand steht, hat in Stephen Sweet, dem zwielichtigen Strippenzieher der Regierung, einen gefährlichen Kontrahenten. Der Geheimdienst schickt David Johnson los, der die Jobs erledigt, die anderen zu schmutzig sind. Aber dann läuft ein Auftrag schief, und es gibt die ersten Toten. Spuren und Zeugen müssen beseitigt werden, wobei Johnson schließlich selbst ins Visier rückt. Als seine Frau entführt wird, gerät er außer Kontrolle … Unnachgiebig zerrt David Peace die Leichen aus dem Keller der englischen Zeitgeschichte. "GB84" ist ein finsteres, atemloses Epos über den Verrat moralischer Werte und die Verzweiflung von Menschen, die alles verlieren können - und deshalb zu allem bereit sind.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 777

Bewertungen
4,6 (16 Bewertungen)
12
2
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



GB84

DAVID PEACE

Roman

Aus dem Englischenvon Peter Torberg

Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel

GB84 bei Faber and Faber, London.

© David Peace 2004

© Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2014

Alle Rechte vorbehalten

Alle Fotografien mit freundlicher Genehmigung von Keith Pattison.

Umschlaggestaltung: Marc Müller-Bremer, München

Umschlagmotiv: Peter Marlow / Magnum Photos / Agentur Focus

Herstellung: Sieveking, München

Typografie und Satz: Frese Werkstatt, München

Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN 978-3-95438-024-4

Für meinen Vater

Inhalt

Der Streit

Teil I

Erste Woche

Zweite Woche

Dritte Woche

Vierte Woche

Fünfte Woche

Sechste Woche

Siebte Woche

Achte Woche

Neunte Woche

Zehnte Woche

Elfte Woche

Zwölfte Woche

Dreizehnte Woche

Teil II

Vierzehnte Woche

Fünfzehnte Woche

Sechzehnte Woche

Siebzehnte Woche

Achtzehnte Woche

Neunzehnte Woche

Zwanzigste Woche

Einundzwanzigste Woche

Zweiundzwanzigste Woche

Dreiundzwanzigste Woche

Vierundzwanzigste Woche

Fünfundzwanzigste Woche

Sechsundzwanzigste Woche

Teil III

Siebenundzwanzigste Woche

Achtundzwanzigste Woche

Neunundzwanzigste Woche

Dreissigste Woche

Einunddreissigste Woche

Zweiunddreissigste Woche

Dreiunddreissigste Woche

Vierunddreissigste Woche

Fünfunddreissigste Woche

Sechsunddreissigste Woche

Siebenunddreissigste Woche

Achtunddreissigste Woche

Neununddreissigste Woche

Teil IV

Vierzigste Woche

Einundvierzigste Woche

Zweiundvierzigste Woche

Dreiundvierzigste Woche

Vierundvierzigste Woche

Fünfundvierzigste Woche

Sechsundvierzigste Woche

Siebenundvierzigste Woche

Achtundvierzigste Woche

Neunundvierzigste Woche

Fünfzigste Woche

Einundfünfzigste Woche

Zweiundfünfzigste Woche

Teil V

Die Letzte Woche

Glossar

Weitere Bücher

Mit Ausnahme jener Personen, die aufgrund ihresBekanntheitsgrades mit ihren tatsächlichen Namen vorkommen,wenn auch manchmal unter obskuren Umständen, sind allehier handelnden Figuren Fiktionen in einem auf Tatsachenberuhenden Roman.

Oh, Täuschungen sind stark, fast so wie das Leben.Ich träumte letzte Nacht, ich sei im Labyrinth,und erwachte anderswo. Den Ort erkannt’ ich nicht.

Edwin MuirDas Labyrinth

DER STREIT

Elektrizität –

Grelles Tankstellenlicht. Freitag, 13. Januar 1984 –

Sie schiebt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündet sie an.

Vor dem Tor liegt hungernd ein Hund –

Er wartet.

Sie atmet ein, schließt die Augen. Sie atmet aus, schlägt die Augen auf.

Er kratzt an der fest gewordenen roten Sauce auf der Ketchup-Flasche herum.

»Anfang März«, sagt sie. »South Yorkshire.«

Er rollt die Sauce zu einem weichen blutigen Kügelchen.

Sie drückt die Kippe aus und legt einen Umschlag auf den Tisch.

Er zerdrückt die Kugel zwischen Finger und Daumen –

Tut den Ruin des Staates kund.

Sie steht auf.

Er schließt die Augen, bis sie fast verschwunden ist. Es stinkt noch immer –

Elektrizität.

TEIL I

99 LUFTBALLONS

März – Mai 1984

MARTIN

Die Toten brüten unter Britannien. Wir flüstern. Wir hallen. Emanation des Großen Albion – Wach auf, wiederholt Cath. Wach auf, Martin. Ich drehe mich um und schaue sie an. Die machen Cortonwood zu, sagt sie. Jetzt bist du draußen. Ich setze mich auf und greife nach meinen Zigaretten. Sie schiebt die Schachtel außer Reichweite. Gib mir die Kippen, sage ich. Sie wirft sie aufs Bett. Teure Angewohnheit, sagt sie. Verdammte Manvers-Zeche. Ich fahre nicht, Geoff Brine holt mich ab. Ich wäre nicht hier, wenn er nicht angerufen hätte – Klick-klick – Hat gefragt, ob ich eine Mitfahrgelegenheit nach Thurcroft bräuchte. Nicht, wenn’s nach Cath ginge. Aber sie ist nach Sheffield gefahren, eine Freundin besuchen. Unterwegs halten wir auf ein Pint beim Rising Deer. Ins Hotel wollen wir noch nicht. Später gibt’s noch genug zu quatschen. Als wir parken und den Miners’ Welfare Club betreten, hat die Diskussion schon angefangen – Wir haben sechzig Jahre dafür gekämpft, dass es uns gut geht, und jetzt wollen sie alles ändern, damit es der Kohle besser geht – Der Laden ist gesteckt voll. Abstimmung, Handzeichen. 75 Prozent dagegen. Sollen sie das mal selbst aushandeln, meint Geoff. Ist aber alles Blödsinn. Wissen wir doch. Nur eine Frage der Zeit. Auf dem Heimweg verlieren wir kein Wort über die Manvers-Zeche. Reden nur über den bescheuerten Sheffield Wednesday FC. Als wir oben zu meiner Straße kommen, hält Geoff an. Ich steige aus. Es nieselt. Ich drehe mich um und sage Tschüs. Er starrt mich an. Ich schüttle den Kopf. Er nickt – Achtzehn Wochen ohne Überstunden. Kämpfe jeden Tag. Überall geben sie auf – Nur eine Frage der Zeit. Beschissenes Cortonwood. Montagmorgen. Ich bin auf Tagschicht. Es ist still, wenn wir reingehen, aber wenn wir Wachwechsel haben, warten da immer schon vierzig Kerle von der Silverwood-Zeche auf uns. Jetzt geht’s um mehr als um Manvers und die ach-so-tollen Zeiten. Man hat sich in Barnsley zum Bezirkstreffen versammelt. Sie halten Autos an. Ich hab das Fenster runtergekurbelt. Du brauchst morgen nicht kommen, sagen sie. Mach ich nicht. Keine Sorge – Schalt die Glotze an, wenn du zu Hause bist, rufen sie. Keine Sorge, mach ich. Pete Cox von unserem Ortsverband kommt zum Wagen, als er mich erkennt. Ein paar von uns gehen morgen nach Manton rüber, sagt er. Wenn du Lust hast? Ich bin da, sag ich zu ihm. Alles klar, sagt er und hämmert zwei Mal aufs Autodach. Ich kurble das Fenster hoch, mache das Radio an und fahre nach Hause. Cath wartet schon, die Haustür steht offen – Glotze und Radio laufen: Jack Taylor berichtet vor dem Bezirksbüro in der Huddersfield Road, wie Yorkshire 1981 gewählt hat – Um die da oben daran zu hindern, unsere Industrie und unsere Arbeitsstellen zu vernichten. Unsere Gruben und unsere Gemeinden – Generalstreik ab Freitag wegen der Schließung von Cortonwood und Bullcliffe Wood. Cortonwood hat die beste Kohle in South Yorkshire. Für mindestens noch fünf Jahre, sagt Jack. Aber nichts geht mehr. War’s das, fragt Cath. Ich nicke. Tag 1. Jetzt landesweit. Scheiß MacGregor. Zwanzig Zechen und zwanzigtausend Jobs in den kommenden zwölf Monaten. Arthur hatte die ganze Zeit über recht. Aber mit Cath ist nicht darüber zu reden. Ich fahre nach Thurcroft. Der Minivan ist schon nach Manton rüber, also fahre ich mit ein paar Kumpeln, die auch nur rumhängen wie ich. Als wir ankommen, ist es schon gepackt voll. Es gibt Gerüchte, wir sollen runter nach Creswell, weil da nichts geht. Pete und ein paar Ältere meinen, wir sollten bis zum Abend warten. Mal sehen, was dann los ist. Sie wollen so ’ne Art Streik-Hauptquartier in Silverwood aufmachen. Dort sagt man uns dann, wo wir gebraucht werden und wo nicht. Eine ganze Reihe Kumpel ist schon seit dem frühen Morgen hier, also trinken wir ein Pint und fahren nach Thurcroft zurück. Ich laufe Geoff über den Weg. Wir teilen uns in seinem Wagen ’ne Tüte Fritten und warten, dass das Hotel aufmacht. Wir trinken eins und gehen dann zum Welfare Club rüber. Heute Abend sind so viele da, die müssen sogar draußen auf dem Parkplatz stehen – Antrag, den Streik zu unterstützen. Antrag wird angenommen. Einstimmig. Die Jungs gehen ins Hotel oder in den Club. Jede Menge Gerede über die Streiks ’72 und ’74. Ich geh im Club pissen, da meint ein Kerl zu mir, es geht also alles klar? Was meinst du mit ›alles klar‹, frage ich. Gewinnen wir, fragt er. Ja, sage ich zu ihm. Was machst du dir Sorgen? Ist bald Sommer, antwortet er. Ich schau mir den Burschen an und sage, kenn ich dich? Nein, erwidert er. Tust du nicht. Tag 3. Tausend Pfund pro Arbeitsjahr. Wir hätten fünfzehntausend Pfund, sagt Cath. Und was können wir uns davon kaufen, frage ich. Frieden und Ruhe, sagt sie. Und für wie lange, frage ich. Fünfzehntausend Pfund, Martin – Damit kann ich mich nicht befassen. Ich lasse sie mit der Zahl allein. Ich fahre nach Thurcroft. Ich spiele Darts und trinke. Schnaps. Abendessen. Sonst gibt es nichts zu tun. Man sagt uns, wir sollen ruhig bleiben. Soll Nottingham

ERSTE WOCHE

Montag, 5. März – Sonntag, 11. März 1984

Terry Winters saß in seiner Dreizimmerwohnung in einem Vorort von Sheffield, South Yorkshire, am Küchentisch. Seine drei Kinder zankten sich ums Rührei. Seine Frau machte sich Sorgen um die Wäsche und das Wetter. Terry kümmerte sich nicht um sie. Er zog eine Karteikarte aus der rechten Jackentasche, las sie, schloss die Augen. Er wiederholte laut, was er gerade gelesen hatte. Er schlug die Augen auf und las die Karte noch einmal. Kontrollierte das Gesagte. Alles richtig. Dann steckte er die Karte in die linke Jackentasche. Er nahm eine zweite Karte aus der rechten Tasche, las sie, schloss die Augen. Dann wiederholte er laut, was er gerade gelesen hatte. Er schlug die Augen auf. Die Kinder stritten sich um einen Toast. Seine Frau machte sich noch immer Sorgen um die Wäsche und das Wetter. Sie kümmerten sich nicht um ihn. Er las die Karte erneut. Wieder alles richtig. Er steckte die Karte in die linke Tasche, zog eine weitere aus der rechten. Er las sie. Dann schloss er die Augen. Terry Winters lernte seinen Text auswendig.

Neil Fontaine steht vor der Tür zur Suite des Juden im vierten Stock des Claridge’s. Er hört das Telefon klingeln und die Stimmen drinnen lauter werden. Er denkt an den Zufall der Zustände, das Miteinander der Motive, den Sinn der Sache. Neil Fontaine steht vor der Suite des Juden im vierten Stock, hört die Korken knallen und die Gläser klingen. Er denkt an den Beginn von Kriegen und das Ende von Epochen, an den Zeitpunkt eines Meetings, das Öffnen eines Umschlags –

Die Schließung einer Zeche und die Ausrufung eines Streiks –

Das Licht in einem Flur. Den Schatten an der Wand –

Furcht und Elend in diesem Neuen Reich.

Neil Fontaine steht vor der Suite des Juden. Drinnen prosten sie sich zu.

Sie frühstückten auf der anderen Straßenseite im County Hotel, Upper Woburn Place, Bloomsbury. Vier Tische. English Breakfast. Terry Winters trank nur Tee mit Zucker. Dick wollte noch mehr Toast. Keiner sagte ein Wort. Alle waren verkatert –

Alle außer dem Präsidenten. Der saß noch im Frühzug aus Sheffield.

Sie wischten die Teller mit dem letzten Stück Toast sauber. Tranken ihren Tee aus. Terry Winters zahlte. Sie bestellten vier Taxis zum Hobart House. Terry bezahlte. Sie bahnten sich einen Weg durch die Presse und den Graupel und gingen hinein.

Der Präsident wartete schon, zusammen mit Joan, Len und Neuigkeiten aus South Yorkshire –

Stabile Mehrheit –

Noch eine letzte Zigarette, noch ein Blick auf die Uhr. Dann gingen sie nach oben –

Ins Mausoleum –

Zimmer 16, Hobart House, Victoria:

Helle Lichter, Qualm und Spiegel –

Orangene Anti-Terror-Vorhänge, stets zugezogen, farblich abgestimmte Teppichböden, wandhohe Spiegel, Tische rings um den Raum. In der Mitte –

Niemandsland.

Am oberen Ende das National Coal Board; rechte und linke Vertreter der Bergbaugewerkschaften BACM und NACODS –

Am unteren Ende die National Union of Mineworkers.

Fünfzig Personen hatten sich zur Sitzung des Nationalen Beratungskomitees des Kohlebergbaus eingefunden –

Doch diesmal gab es keine Beratung. Nur Provokation, echte Provokation –

Fünfzig Personen schauten zu, wie der Aufsichtsratsvorsitzende des NCB seinen Stellvertreter aufspringen ließ.

Der Mechaniker legt auf. Er schließt die Autowerkstatt und holt die Hunde aus dem Haus seiner Mutter in Wetherby. Er setzt die Hunde hinten in den Wagen und nimmt die A1 nach Leeds. Er fährt auf den Parkplatz, lässt die Hunde im Wagen, geht ins Truckercafé –

Paul Dixon wartet schon. Er sitzt an einem Tisch mit Blick zu Tür und Parkplatz.

Der Mechaniker setzt sich Dixon gegenüber.

»Gut gebräunt«, meint Dixon. »Die Werkstatt läuft wohl.«

»Sie könnten auch mal vierzehn Tage Sonne gebrauchen«, erwidert der Mechaniker.

»Haben nicht alle so viel Glück wie Sie, Dave«, sagt Dixon.

Der Mechaniker schüttelt den Kopf. »Hab ich alles Ihnen zu verdanken, Sergeant.«

»Schön, dass Sie die Vorteile unserer besonderen Geschäftsbeziehung zu schätzen wissen«, sagt Dixon.

Der Mechaniker lächelt. »Deshalb heißt es ja auch Sonderabteilung, richtig?« sagt er.

Paul Dixon lacht. Er bietet dem Mechaniker eine Zigarette an.

Der schüttelt wieder den Kopf. »Man muss wissen, wann man aufhören sollte.«

»Und wie wär’s dann mit einer schönen Tasse Yorkshire Tea, Dave?«

Wieder lächelt der Mechaniker. »Kaffee, schwarz.«

Paul Dixon geht an die Theke. Er bestellt, bezahlt, bringt das Tablett herüber.

Der Mechaniker hat den Platz gewechselt. Er schaut jetzt in Richtung Ausgang, zum Parkplatz.

»Warten Sie auf jemanden?« fragt Dixon.

Der Mechaniker schüttelt den Kopf. »Ich sehe nur nach den Hunden, Sergeant.«

Paul Dixon setzt sich mit dem Rücken zur Tür. Er reicht dem Mechaniker seinen Kaffee.

Der Mechaniker schaufelt vier Löffel Zucker in den Kaffee, rührt um. Hält inne, blickt auf –

Dixon beobachtet ihn. Die Hunde im Wagen bellen –

Sie wollen nach Hause. Wollen raus.

Terry Winters schlief nicht. Keiner von ihnen schlief –

Es war nie dunkel, immer hell –

Die hellen Lichter im Zug zurück in den Norden. Die Fernsehteams vor dem St. James’s House. Die Neonröhren im Foyer. Im Fahrstuhl. In den Fluren. Im Büro –

Immer hell, niemals dunkel.

Terry rief Theresa an und sagte ihr, er wüsste nicht, wann er wieder zu Hause sei. Dann holte er die Akten hervor, zückte sein Adressbuch und seinen Taschenrechner –

Er rechnete die ganze Nacht über, wieder und wieder und wieder.

Mittwoch früh saß Terry Winters als Erstes mit den Finanzbeauftragten der zwanzig unabhängigen Regionalbezirke und Unterabteilungen im gegenüberliegenden Royal Victoria Hotel. Vor Beginn des Meetings ließ Terry sie alle aufstehen. Sie sollten im Raum nach versteckten Mikrofonen und Wanzen suchen und sich gegenseitig abtasten.

Dann zog Terry Winters die Vorhänge zu und schloss ab. Terry ließ sie ihre Fragen mit Bleistift aufschreiben und in Umschlägen versiegeln. Dann ließ er die Umschläge nach vorne reichen.

Er setzte sich ans obere Ende des Tisches und öffnete einen Umschlag nach dem anderen. Er las die Fragen und beantwortete sie mit Bleistift auf der Rückseite der Blätter. Dann steckte er die Antworten zurück in die Umschläge und verschloss sie mit Klebeband. Er reichte sie dem jeweiligen Fragesteller –

Die Finanzbeauftragten lasen schweigend die Antworten und gaben sie dann zurück, damit die Zettel verbrannt werden konnten.

Terry Winters stand auf. Dann sagte er ihnen, womit sie zu rechnen hätten –

Die Regierung würde sich auf ihr Geld stürzen und die Gewerkschaft vor Gericht zerren.

Er sagte ihnen, was getan werden musste, um ihre Spuren zu beseitigen –

Nichts auf Papier; keine Anrufe; nur persönliche Besuche, Tag und Nacht –

Er verteilte Blätter mit Codes und Daten, die sollten sie auswendig lernen und die Zettel vernichten.

Die Finanzleute dankten ihm und kehrten in ihre Bezirke zurück.

Terry Winters fuhr auf direktem Weg ins St. James’s House und machte sich sofort wieder an die Arbeit. Er arbeitete den ganzen Tag, wie alle anderen auch –

Jeder in seinem Büro.

Die Leute kamen und gingen. Gespräche hier, Gespräche dort. Verabredungen, Übereinkünfte.

Pause für die Nine o’Clock News, News at Ten, Newsnight. Notizbücher, Videos, Kassettenaufnahmen:

»Ich möchte deutlich klarstellen, wir haben es hier nicht mit Nettigkeiten zu tun. Wir werden uns nicht aus unseren Jobs herausregieren lassen. Jeder einzelne Bezirk wird entscheiden, und meiner Meinung nach wird es zu einem Dominoeffekt kommen.«

Jubel. Applaus –

Dominoeffekt. Entscheidungsschlachten. Unbarmherziges Gemetzel.

Dann wieder zurück an die Arbeit. Alle. Die ganze Nacht über. Akten, Telefone, Taschenrechner. Tee, Kaffee, Aspirin –

Im Flur stritten sich Kommunisten und Sozialisten –

Tweedjacketts und Jeansträger gingen sich an die Kehlen, zerkratzten sich die Augen, brüllten sich die Ohren voll –

Oben im Büro des Präsidenten dröhnte Schostakowitschs 7. Symphonie. Die ganze Nacht über, bis zum Morgengrauen.

Terry drückte die Stirn an die Fensterscheibe; unter ihm lag die strahlende Stadt.

Niemals dunkel –

Kein Schlaf. Nur Arbeit –

Immer hell.

Kopf an der Scheibe, Sonnenaufgang –

Auf den Straßen unten versammelten sich die Truppen. Die Rote Garde skandierte laut:

Scab, Scab, Scab –

Der Morgenchor der Sozialistischen Republik South Yorkshire.

Noch eine Tasse Kaffee. Noch ein Aspirin –

Terry Winters nahm Akten und Taschenrechner. Dann schloss er das Büro ab und ging den Flur entlang zum Fahrstuhl. Er fuhr in den neunten Stock zum Konferenzraum –

Das Nationale Exekutivkomitee der National Union of Mineworkers.

Terry setzte sich zur Rechten des Präsidenten und hörte zu –

Lancashire: »Das wird ungeheuerlich. Jetzt oder nie.«

Nottinghamshire: »Wenn wir schon Scabs sind, Streikbrecher, bevor wir überhaupt angefangen haben, dann werden wir auch welche.«

Yorkshire: »Wir sind auf dem Weg.«

Sechs Stunden lang hörten Terry und der Präsident zu. Dann stand der Präsident mit zwei Briefen in der Hand auf –

Nun waren sie an der Reihe, zuzuhören.

Den Antrag aus Yorkshire in der einen Hand, den aus Schottland in der anderen –

Der Präsident sprach über die heimlichen Treffen im Dezember zwischen dem Aufsichtsratsvorsitzenden des NCB und der Premierministerin. Er sprach über deren Geheimpläne, die Kohle zu privatisieren. Über ihre heimlichen nuklearen, elektrischen Träume. Ihre geheimen schwarzen Listen –

Ihre offenen, brutalen Ränke, um einen ganzen Industriezweig zu zerschlagen. Die Geschichte des Bergmanns. Die Tradition des Bergmanns. Das Erbe ihrer Väter und deren Väter –

Das Geburtsrecht ihrer Kinder und deren Kinder –

Die entscheidenden Schlachten, die zu schlagen waren. Den Krieg, der gewonnen werden musste.

Der Antrag aus South Wales lag vor ihnen –

»Es geht um alles«, sagte der Präsident. »Wir sind uns einig, dass wir kämpfen müssen. Wir haben bereits Überstunden verboten. Es geht hier nur um die Taktik.«

Sie hörten zu und stimmten dann ab –

Sie stimmten mit 23 zu 3 dafür, den Streik in den vorgesehenen Regionen nach Regel 41 gutzuheißen.

Das war die einzige Abstimmung, die zählte –

Das Votum für den Krieg.

Der Präsident legte eine Hand auf Terrys Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Terry nickte. Er nahm seine Akten und seinen Taschenrechner, ging in sein Büro zurück und machte die Tür hinter sich zu. Dann trat er ans Fenster. Er legte die Stirn an die Fensterscheibe –

Terry hörte den Jubel von unten. Er schloss die Augen.

Neil Fontaine erhält einen Anruf. Er holt den Mercedes aus der Tiefgarage und fährt vor das Claridge’s. Der Türsteher öffnet die hintere Wagentür –

Der Jude steigt ein. Neil Fontaine schaut in den Rückspiegel. Der Jude streicht sich über den Schnurrbart und lächelt. »Chequers, bitte, Neil.«

»Gewiss, Sir.«

»Ohne Vorankündigung«, lacht der Jude. »Also, lassen Sie die Pferde laufen.«

Neil Fontaine nickt. Er gibt Gas.

Der Jude greift nach dem Autotelefon. Der Jude wählt und spricht. Er will die Welt wissen lassen, wohin er fährt.

Neil beobachtet ihn im Rückspiegel. Der Jude spielt mit dem Schnurrbart. Er rutscht nach vorn, schaut zum Fenster hinaus. Er quatscht ins Telefon, macht den Mund erst zu, als der Mercedes fast am Ziel ist –

Bei ihr.

Neil Fontaine bleibt vor den Toren stehen –

Vor den Gewehren.

Neil Fontaine lässt sein Fenster herunter –

Der Wagen wird umstellt.

»Mr. Stephen Sweet möchte zur Premierministerin«, sagt Neil.

Der Beamte spricht in sein Funkgerät.

Neil schaut in den Rückspiegel. Der Jude streicht sich nicht über den Bart, er lächelt nicht, telefoniert nicht. Der Jude in Nadelstreifen schwitzt.

Der Beamte tritt vom Wagen zurück und weist in Richtung Tor –

Das Tor öffnet sich.

Neil startet den Wagen.

»Na, hab ich doch gesagt, Neil«, meint der Jude lachend auf dem Rücksitz. »Ich werde erwartet.«

Neil fährt langsam den Kiesweg entlang. Er hält vor dem Haupteingang.

Ein Hilfslakai wartet dort und öffnet dem Juden die Tür des Mercedes. Der Lakai schlägt hinter ihm die Tür wieder zu.

Die Premierministerin erscheint ganz in Blau. Der Jude strahlt. Die Premierministerin gerät in Verzückung. Arm in Arm verschwinden die beiden.

»Wollen Sie vielleicht eine schriftliche Aufforderung?« fragt der Lakai. »Hinters Haus.«

Neil startet den Wagen und stellt ihn in einer leeren Garage ab. Er bleibt im Wagen sitzen. Er riecht Abgase und hört Pfauen schreien.

Terry Winters öffnete die Haustür seiner Dreizimmerwohnung in einem Vorort von Sheffield, South Yorkshire. Seine Familie schlief oben. Unten war alles dunkel. Terry schloss leise die Tür. Er stellte seine Aktentasche in den Flur und sah sich im Spiegel an: Terry Winters, Geschäftsführer der NUM, der höchste nichtgewählte Posten in der Gewerkschaft. Terry applaudierte sich im Schatten von South Yorkshire, in einem Vorort von Sheffield –

Es war dunkel, aber alle waren daheim.

MARTIN

sich erst mal entscheiden. Chadburn und Richards hatten es gestern schwer deswegen. Chadburn meint, Nottingham wird eine geheime Abstimmung durchführen. Er wird sich für einen Streik aussprechen. Aber wir wissen ja, was das zu bedeuten hat. Tag 4. Cath wischt sich über das Gesicht, trocknet sich die Augen, schaut fern. Cath sagt, dass sie mich hasst. Tag 5. Verdammt noch mal. Sie geht mir auf die Nerven. Sie will den Staubsauger nicht benutzen, also kriecht sie mit Handfeger und Kehrblech auf Händen und Knien vor dem Fernseher herum. Sie singt Kirchenlieder, verdammt, und ich krieg von Weekend World nichts mit. Ein Sonntagsessen gibt es auch nicht, nur Tiefkühlpastete und Dosenbohnen. Das Gleiche wie gestern Abend. Bei der Werbung soll ich für zwei Minuten ausschalten. Ich geh nach hinten und raus in den Garten. Es pisst. Ich rauche eine. Wir hatten mal davon gesprochen, diesen Sommer eine Veranda anzubauen. Einen Wintergarten. Ich geh wieder rein. Die Pasteten stehen auf dem Tisch. Cath ist wieder oben und heult. Das Telefon klingelt. Ich mache die Augen zu – Wir ersticken, wir ertrinken. Tag 8. Der Ausschuss in Silverwood hat uns mit Bentinck zusammengetan, gleich südlich von Mansfield. Scheißegal, was irgend so ein High Court davon hält. Ein Pfund pro Streikschicht, es fahren ein Bus und ein paar Wagen. Ich schreib mich für die Nachtschicht ein. Den ganzen Nachmittag über spiele ich Darts mit Geoff. Pete kommt gegen vier Uhr vorbei und sagt, der Bus stehe um sechs draußen. Geoff geht nach Hause, er will zu Abend essen und seinen Mantel holen. Ich hab keine Lust, den ganzen Weg nach Hardwick zu laufen, nur um mich wieder mit Cath zu streiten, also esse ich ’ne Tüte Fritten und gehe die Zechenzufahrt entlang. Es ist still und ziemlich dunkel. Kalt wird es auch. Ich setze mich gegenüber der Ziegelwand hin, esse meine Fritten und schaue hügelaufwärts zur Zeche. Die Leute müssen mich für verrückt halten. Die Fritten sind in ein Foto von schottischen Streikposten und Polizei in Bilston Glen gewickelt. Ich streiche das Blatt glatt und lese es. Ich überlege, Cath anzurufen, aber wozu? Ich stecke die Zeitung ein und gehe den Hügel hinunter. Im Hotel trinke ich schnell ein Pint und gehe aufs Klo, dann laufe ich rüber zum Welfare Club und steige in den Bus. Tag 9. Tiefste Nacht. Es pisst. Es ist scheißkalt. Die Polizei erlaubt uns nicht, Benzinfässer anzuzünden. Keine Ortspolizei. Nicht heute Nacht. In den letzten Nächten waren es welche aus Lincoln und Skegness. Wir haben sogar die Suppe mit ihnen geteilt. Aber so was kommt natürlich nicht in der Glotze oder in der Zeitung. Selbst der Betriebsleiter war anfangs ganz anständig. Kantine, Tee, Toiletten. Aber ich wusste schon, das hält nicht lange – ohne uns würden schließlich alle arbeiten. Er weiß das. Wir wissen das. Ich muss lachen – Man weiß schon, wie sie abstimmen werden; dass man sich auf sie verlassen kann. Aber die Hälfte von denen schleicht sich dann hinter die Zeche und kriecht auf dem Bauch unterm Zaun durch. So sind die hier. Schon immer gewesen. Sogar ihre Gewerkschaft. Kaum sind wir weg, stehen sie alle in ihren nagelneuen Autos Schlange. Die machen sich nicht mal die Mühe, dich anzulügen. Fahren einfach rein. Reden nicht mit dir. Und dann sind da noch die Großmäuler. Die bleiben stehen und brüllen dich an. Zum Ausgleich kriegen ihre Autos was mit dem Hammer drauf. Da weiß man immerhin, woran man ist mit denen – Wichser. Aber wenigstens ehrlich – Wenn ich nur wieder in den Bus könnte. Wir stehen nur rum, wechseln uns ab, wärmen uns im Wagen auf, warten auf die Tagschicht. Frieren uns den Arsch ab. Dann tauchen die Kumpel aus Dinnington und Kiveton auf. Die haben einen von uns umgebracht, sagen sie. Er ist tot, verdammt. Was?, frage ich. Ja, sagen sie. Wo? Ollerton. Nichts wie hin. Mal langsam, meint Geoff. Wir kommen nach – Wir nehmen die A6075 durch den beschissenen Sherwood Forest. Gegen halb zwei sind wir da. Es geht wüst zu – fünfhundert Polizisten, fünfhundert von uns, Tendenz steigend – Per Funk werden immer mehr Wagen von überall hergeholt, und die Nachricht von dem Toten macht die Runde. Jeder hat eine andere Story – Er wurde überfahren; er wurde niedergeknüppelt; er wurde von einem Ziegelstein getroffen – Frauen und Kinder sind auf die Straße gekommen und brüllen uns an. Der Betriebsleiter bittet um Besonnenheit – die Jungs von der Gewerkschaft ebenfalls – aber keiner hört drauf. Dann kommt die Nachricht, dass die Zeche für die Nacht zumacht und dass Arthur auf dem Weg ist. Jubel. Gegen drei Uhr klettert Arthur auf ein Autodach. Er bittet um zwei Minuten Stille – als Zeichen des Respekts. Die Polizisten nehmen als Erste die Helme ab – das muss man ihnen lassen. Aber kein Jubel. Du hast uns von den Bergen geholt. Nur Schweigen. Tag 14. Gegen fünf sinke ich ins Bett. Du hast uns aus dem Meer geholt. Um eins wache ich zu den Nachrichten auf. Leon Brittan verspricht, jeden einzelnen Polizisten auf der Welt zu aktivieren,

ZWEITE WOCHE

Montag, 12. März – Sonntag, 18. März 1984

Der Jude hat seine Befehle. Neil Fontaine hat seine eigenen. Er holt den Juden pünktlich um zehn Uhr vor dem Gebäude der Times ab. Der Jude trägt Fliegerjacke, hat eine Kamera und einen Kassettenrekorder bei sich –

»Ich bin ihr Augen und Ohren«, erklärt er Neil.

Sie fahren mit hundertfünfzig Sachen die M1 entlang, der Jude spricht ins Autotelefon. Er ist guter Laune. South Wales hat den Aufruf der Gewerkschaft zum Streik mit überwältigender Mehrheit abgelehnt; Nottinghamshire hat für eine zechenweise Abstimmung plädiert; die Streikposten jagen von einer Zeche zur anderen –

Der Jude will an den Ort des Geschehens –

Im Royal Victoria Hotel, Sheffield, sind zwei Zimmer reserviert –

Im Epizentrum –

Oben eine Suite für den Juden, unten ein Einzelzimmer für Neil; gebratene Nierchen und Champagner aufs Zimmer für den Juden, ein Burger und eine Cola an der Bar für Neil –

Vertraute Gesichter, Gewerkschafter, die die ganze Nacht über kommen und gehen –

Andere Gesichter.

Neil Fontaine liegt im Einzelbett. Im Einzelzimmer. Die Lampe brennt. Er kann nicht schlafen. Nie. Er hat seine eigenen Befehle –

Andere Augen, andere Ohren –

Um drei Uhr klingelt das Telefon drei Mal.

Neil fährt den Wagen zum Eingang. Der Jude wartet in seiner Fliegerjacke. Der Mercedes verlässt die Innenstadt in Richtung Rotherham; dann die A631 entlang. Sie überqueren die A1 und kommen nach Nottinghamshire.

Schnee liegt auf den Straßen. Hecken. Feldern –

An der Bushaltestelle steht ein Polizeifahrzeug.

Der Jude kann nicht still sitzen. Er schaut zum linken Fenster hinaus, er schaut zum rechten hinaus –

»Ich bin ihr Augen und Ohren«, wiederholt er.

An der Grenze zwischen Yorkshire und Nottinghamshire kommen sie zur Zeche Harworth; hier ist in einer letzten blutigen Schlacht die Spencer Union endgültig geschlagen worden –

Es ist wieder 1937.

Die Kumpel von Harworth haben dafür gestimmt, die Streiklinie von Yorkshire in militärischer Formation zu überschreiten; hundertfünfzig Polizisten sollen ihnen dabei helfen; fünfhundert von Doncasters härtesten Kumpeln sollen sie daran hindern –

Die Kumpel von Harworth kehren zu ihren Familien zurück –

Erstes Blutvergießen unter Arthurs Streikposten.

Der Jude ist schlechter Laune. Sie halten an einem Rastplatz und schalten das Radio ein:

»Das National Coal Board hat das Oberste Gericht angerufen, um eine einstweilige Verfügung zu erwirken, die die Bergarbeiter aus Yorkshire daran hindern soll, in anderen Gegenden Streikposten zu stellen.«

Der Jude ist noch schlechterer Laune. Er hängt am Autotelefon. Tobt –

»Es gibt einen verdammten Generalstreik, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende das tut. Bestellen Sie ihm von mir, das ist absoluter Irrsinn. So servieren wir diesem roten Arschloch die ganze Arbeiterbewegung auf dem Silbertablett. Er hat’s doch im Fernsehen gesehen, oder nicht? Hat er’s gesehen? Also, ich bin hier im beschissenen Harworth, und Sie können Ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden bestellen, die Antwort ist sicher nicht das Beschäftigungsgesetz von 1980. Die Antwort ist: noch mehr Polizisten. Mehr Polizisten, verdammt, mit mehr Vorgesetzten, die noch Mumm in den Knochen haben. Das ist die richtige Antwort. Und Hunde, verdammt noch mal. Noch mehr Hunde. Und sagen Sie ihm, Stephen Sweet wird das auch der Premierministerin mitteilen – ich bin ihr nämlich Augen und Ohren. Ihre verdammten Augen und Ohren hier draußen!«

Er legt auf, lehnt sich zurück und seufzt. Dann schüttelt er den Kopf.

Neil Fontaine sieht einen Kleinbus voller Bergarbeiter vorbeifahren –

Sie drücken ihre nackten Ärsche gegen die Rückscheibe.

»Ohne Rücksicht auf Verluste, Neil!« brüllt der Jude. »Ohne jede Rücksicht auf Verluste!«

Jen sieht in diesem Licht einfach fantastisch aus. Haare. Sonnenbräune. Bluse. Rock. Frankie zum tausendsten Mal. Einfach fantastisch. Der Mechaniker könnte den Rest seines Lebens dort sitzen bleiben. Jemand legt Your Love Is King auf. Sie winkt ihn zu sich. Er trinkt aus. Auf der Tanzfläche eines leeren Clubs in einer Dienstagnacht im März. Er legt den Arm um sie, hält sie. Für den Rest seines Lebens.

Es war ein langer Mittwoch –

Harworth, Bilsthorpe, Bevercotes, Thoresby.

Die Polizei ist in Kolonnen unterwegs, Kontrollen an jeder Kreuzung –

Der Jude hat sich das ausgedacht.

Die Yorkshire-Streikposten lassen die Busse stehen und marschieren über die Felder –

Der Jude hängt wieder am Telefon.

Es war ein langer Mittwoch, und er ist noch nicht zu Ende –

Ollerton.

Die Polizei musste die Nachmittagsschicht in die Zechen geleiten.

Zehn Uhr nachts, und der Jude ist mitten im Geschehen; der Jude sitzt im Plough –

Gerammelt voll. Streikposten, die auf die Nachtschicht warten. Besoffen.

Der Jude redet. Schreibt mit. Schickt Neil an die Bar, um was zu trinken zu holen.

»Ihr Fliegerass muss ja ein ganz schön hohes Tier sein«, meint die Barkeeperin.

»Vier Pint Mansfield’s und einen Gin Tonic«, sagt Neil Fontaine.

»Und für Sie nichts?«

»Hab’s aufgegeben.«

»Na«, meint sie lachend, »hoffentlich ist die Frau das wert.«

»Das Wechselgeld ist für Sie«, sagt Neil.

Auf halber Strecke zurück dringt von draußen Grölen herein –

Die Nachtschicht ist da.

Alle strömen hinaus –

»Neil«, ruft der Jude. »Kommen Sie schon, Neil. Es geht los!«

Neil Fontaine sieht den Juden zur Tür hinaus verschwinden. Er folgt ihm –

Alle rennen. Gläser zerbrechen. Autotüren knallen.

Er kann ihn nirgendwo sehen –

Verdammt.

Er geht die Gasse entlang in Richtung Pütt, Posten und Polizei –

Gestein und Glas, Stöcke und Steine fliegen durch die Luft –

Eine Hand auf Neils Arm. Eine Stimme in seinem Ohr: »Hallo, hallo, hallo.«

Neil dreht sich um –

Paul Dixon steht neben einem alten Allegro. Er trägt seinen besten Pullover, die Jeans haben eine frische Bügelfalte und seine Schuhe, Größe 44 1/2, sind frisch poliert.

»Paul?«

»Was zum Henker machen Sie denn hier, Neil?«

»Fragen Sie lieber nicht.«

»Ich wusste, dass Sie das sagen würden«, sagt Paul Dixon lachend. »Ich wusste es.«

Neil schaut die Straße entlang. Alle sind vor dem Tor. Der Jude auch.

Paul Dixon öffnet die Autotür. »Haben Sie mal eine Minute Zeit?«

Neil schaut noch mal die Straße hoch. Er zuckt mit den Schultern und steigt ein –

Der Wagen stinkt und fühlt sich schmutzig an.

Sie sitzen da und schauen zu, wie vier Bullen einen Streikposten an den Haaren die Straße entlangschleifen.

»Also, was machen Sie hier?« fragt Paul Dixon erneut.

»Wie schon gesagt …«

»Fragen Sie lieber nicht«, meint Paul Dixon augenzwinkernd. »Nun, jetzt frage ich.«

»In welcher Funktion?«

Paul Dixon schlägt seine Brieftasche auf und klopft auf seinen Dienstausweis. »In dieser Funktion.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich, Sergeant.«

Paul Dixon klappt die Brieftasche zu. Er schaut wie peinlich berührt zum Fenster hinaus –

Sechs Bullen ketten zwei Streikende mit Handschellen an eine Laterne.

»Also gut«, seufzt Neil. »Ich chauffiere diesen Wirtschaftskapitän im Land umher, damit er kleine Artikel für seinen Kumpel bei der Times schreiben kann. Zufrieden?«

»Ich hab gehört, Sie sind …«

Neil Fontaine starrt Paul Dixon an. »Ich bin was?«

»Nichts. Ich muss mich wohl verhört haben.«

»Ja«, sagt Neil. »Sie müssen sich wohl verhört haben.«

Wieder sieht Paul Dixon wie peinlich berührt zum Fenster hinaus –

Jungs aus der Gegend machen sich an den Autos der Streikposten an der Straße zu schaffen.

»Und was bringt Sie in dieses hübsche Fleckchen?« fragt Neil.

»Nationale Einsatzstelle. Verbindungsoffizier.«

»Nette Arbeit«, sagt Neil.

»Wenn man die Stelle kriegt.«

»Und Sie haben sie gekriegt«, sagt Neil lächelnd.

»Dank dem Stalin von Yorkshire, ja.«

»Old King Coal für seine Freunde«, sagt Neil und lacht.

Paul schaut wieder hinaus. »Na, viele Freunde sind heute nicht unterwegs«, meint er.

»Was ist mit Ihrem alten Kumpel?« fragt Neil. »Ist der Mechaniker noch im Geschäft?«

Paul Dixon schüttelt den Kopf. »Der Kerl ist verliebt. Verheiratet. Zwei Hunde. Ruhestand.«

»Eine Schande«, sagt Neil Fontaine. »Unser Dave hatte seine Stärken.«

Paul Dixon deutet hinaus. »Was ist mit Ihrem neuen Freund?«

Verdammt –

Sechs Mann tragen einen siebten die Straßen entlang zum Pub. Der Jude hält den Arm des Mannes umfasst.

Neil steigt aus.

Paul Dixon beugt sich über den Beifahrersitz. »Bleiben Sie sauber«, sagt er.

Neil schlägt die Tür zu.

Terry Winters war zwanzig Minuten zu Hause, als das Telefon klingelte. Theresa ging dran. Sie sagte kein Wort, rollte nur mit den Augen. Dann reichte sie Terry den Hörer –

Klick-klick.

Terry fuhr zurück zum St. James’s House, schloss sein Büro auf, holte den Taschenrechner und ging nach oben.

Die Musik war laut. Terry klopfte an. Die Musik brach ab. Terry wartete –

»Herein.«

Terry öffnete die Tür und ging hinein.

Die Tweedjacketts saßen um den Tisch herum. Der Präsident stand mit dem Rücken zum Raum am Fenster.

Terry hüstelte. »Sie wollten mich sprechen«, sagte er.

Der Präsident drehte sich nicht um. »Die Männer sind nicht schnell genug, Genosse.«

»Ich habe es ihnen gesagt«, verteidigte sich Terry. »Ich …«

»Die stehen im Pub rum und quatschen, statt am Telefon zu hängen und die Geschichte ins Rollen zu bringen.«

Terry Winters nickte.

Der Präsident drehte sich um. »In vierundzwanzig Stunden werden sie diese Gewerkschaft verboten haben und jede andere Gewerkschaft auch, die glaubt, dass sie das Recht hat, Arbeitsplätze zu verteidigen, das Recht, Streikposten aufzustellen, um Jobs zu retten. Jeder arbeitende Mann, jede Frau in diesem Land wird aufstehen müssen, um die Regierung in die Knie zu zwingen. Die Gewerkschaft wird die Speerspitze in dieser Schlacht sein, genau wie bei jeder Schlacht und bei jedem Sieg bisher.«

Terry nickte.

Der Präsident starrte ihn an und drehte sich dann wieder zum Fenster um.

Eins der Tweedjacketts klopfte seine Pfeife mit drei harten Schlägen im Glasaschenbecher aus. Er sah Terry an und sagte: »Der Präsident zählt auf Sie, Genosse. Wir alle.«

Terry Winters nickte erneut.

»Also bringen Sie schon das verdammte Geld unter die Leute.«

Terry nickte.

Jemand schaltete den Schostakowitsch wieder an.

Terry ging nach unten und klopfte bei Mike Sullivan. Terry berichtete ihm, dass der Präsident sie beide nach Barnsley ins Hauptquartier des Bezirks Yorkshire in der Huddersfield Road schicken wolle. Der Präsident wünsche, dass sie alles noch mal kontrollierten. Der Präsident traue Yorkshire nicht mehr. Habe er noch nie. Nicht, seit er von dort weggegangen sei. Der Präsident vertraue keinem mehr. Der Präsident leide an Verfolgungswahn –

Sie alle.

Die Tweedjacketts sorgten dafür, dass Terry und Mike zwei Mal den Wagen wechselten. Die Jeansträger zwangen sie, die lange Strecke zu nehmen. Für die zehn Meilen brauchten sie eine Stunde und drei verschiedene Autos. Im Kofferraum lagen zwei leere Koffer –

Theresa hatte sie vom Speicher geholt.

Terry und Mike trafen unangemeldet in Barnsley ein. Sie gingen nach oben und belegten ein Büro. Sie suchten den Raum nach Mikrofonen ab. Dann zog Terry die Vorhänge zu und schickte Mike auf eine wilde Schnitzeljagd. Terry rief Clive Cook zu sich, den Finanzbeauftragten für Yorkshire. Er verschloss die Tür und klopfte Clive ab. Er ließ ihn das Radio einschalten, das dann während ihrer ganzen Unterhaltung lief. Terry gab ihm den neuesten Code und sagte, er solle ihn bei allen zukünftigen Kontakten benutzen. Dann stellte Terry die beiden leeren Koffer auf den Tisch und bat Clive um acht Millionen Pfund.

Der Jude ist schockiert. Er hat den ganzen Donnerstag über auf seinem Doppelbett im Royal Victoria am Telefon gehangen. Er hat Neil losgeschickt, um eine elektrische Schreibmaschine und jede Tageszeitung zu kaufen, derer er habhaft werden kann.

Der Jude ist dem toten Mann begegnet. Sie haben zusammen einen verletzten Kumpel in den Pub zurückgetragen. Der Tote war ein Streikposten, der Verletzte ein Streikbrecher. Der Tote hat sich um die Schnittwunde über dem Auge des Streikbrechers gekümmert und vom Pub aus einen Krankenwagen gerufen. Dann ist der Tote wieder an die Front zurückgekehrt –

Der Jude hat Blutflecken auf dem Lammwollkragen seiner Fliegerjacke.

»Augen und Ohren, Neil«, sagt der Jude. »Ich bin ihr Augen und Ohren.«

Neil fährt den Juden am Freitagmorgen nach Ollerton. Der Jude will sich die Gegend bei Tag anschauen. Der Jude will sich Notizen machen und ein paar Bilder schießen –

Umgestürzte Autos, aufgerissenes Straßenpflaster. Ausgerissene Hecken, vernagelte Fenster.

Jede Menge Einsatzwagen der Polizei, Fernsehteams, keine Streikposten –

Bis zur Abstimmung der Bergleute in Nottinghamshire gilt ein zweitägiger Waffenstillstand.

Der Jude legt einer Frau in ihrem zerstörten Garten eine Hand auf die Schulter. Er erzählt ihr, wie seine Familie bei den Pogromen aus Russland vertrieben worden sei. Er erzählt ihr, dass seine Familie alles verloren und wieder bei null angefangen habe. Er erzählt ihr, dass sein Vater achtzehn Stunden am Tag geschuftet habe, sieben Tage die Woche. Er erzählt ihr, dass er nach Eton geschickt worden sei. Er erzählt ihr, wie man ihn dort schikaniert habe –

Er sagt ihr, dass die Provokateure nie gewinnen –

Das verspricht er ihr.

Neil Fontaine fährt den Juden zurück zum Hotel.

Der Jude hat neue Befehle für Neil –

Er soll einen Transporter mieten, also mietet er einen.

Der Jude gibt ihm eine Einkaufsliste, also geht Neil einkaufen.

Der Jude gibt Neil eine Adresse:

Proteus Territorial Army Barracks, Ollerton.

Neil liefert:

500 Flaschen Whisky, 500 Flaschen Wodka, 1.000 Mixgetränke, 4.000 Dosen Bier.

Der Jude hätte noch ein paar Ladys drauflegen sollen –

Tausend Großstadtburschen, die an einem Samstagabend im Norden Englands nichts zu tun haben und nirgendwo hinkönnen; zweitausend weitere im Beckingham Camp in Newark; noch mal tausend in den Prince William Barracks, Grantham –

In drei Stunden werden sie gruppenwichsen –

»Diese Männer sind das Rückgrat der Nation«, sagt der Jude zu Neil. »Das Rückgrat.«

Der Mechaniker brüllt an einer Tankstelle auf der M6 in ein Telefon –

»Schaub? Der verdammte Julius Schaub?« schreit er. »Sie glauben doch nicht, dass ich diesen Job auch nur mit der Kneifzange angepackt hätte, wenn ich gewusst hätte, dass dieses kleine Arschloch mit von der Partie ist?«

»Beruhigen Sie sich«, sagt die Stimme am anderen Ende. »Beruhigen Sie sich …«

»Ich soll mich beruhigen?« brüllt der Mechaniker. »Sie sagen mir, ich soll mich beruhigen, verdammt? Ich hab meine Frau im Auto, Sie Flachwichser. Glauben Sie vielleicht, ich hätte sie mitgenommen, wenn ich gewusst hätte, dass der beschissene Schaub dabei ist?«

»Jemand ist abgesprungen«, sagt die Stimme. »Wir brauchten …«

»Na, ist ja toll.«

»Lassen Sie mich ausreden«, sagt die Stimme. »Jemand ist abgesprungen. Wir brauchten kurzfristig Ersatz. Wir haben Vince angerufen. Vince hat Julius angerufen. Julius hatte Zeit.«

»Schaub hat immer Zeit, Scheiße noch mal«, tobt der Mechaniker. »Weil niemand mit dem Wichser zusammenarbeiten will.«

»Bitte«, seufzt die Stimme. »Wir brauchen Sie bei dem Job.«

»Na, das hätten Sie sich überlegen müssen, bevor Sie losgegangen sind, um diesen beschissenen kleinen Perversen zu holen.«

»Wir werden uns erkenntlich zeigen«, sagt die Stimme.

»Ich höre.«

»Vier glatt für Ihre Mühe.«

»Das seh ich aber auch so, verdammt«, sagt der Mechaniker. »Das seh ich aber auch so.«

»Haben Sie so etwas schon mal gesehen, Neil?« ruft der Jude vom Rücksitz.

Neil Fontaine schüttelt den Kopf. Nein, so etwas hat er noch nie gesehen.

Ein ganzer Landstrich, komplett abgeschnitten –

Alle Straßen von und nach Mansfield und Nottinghamshire mit Straßensperren blockiert; der Motorway in beiden Richtungen nur einspurig befahrbar; Spürhunde auf jedem Acker; Helikopter und Aufklärungsflugzeuge in der Luft; dreitausend Polizisten im Einsatz –

Jedes Taxi- und Busunternehmen in Yorkshire und Derbyshire ist unter Androhung sofortiger Verhaftung davor gewarnt worden, Bergarbeiter zu befördern; jedes Taxi, jeder Bus wird angehalten, um das zu kontrollieren; jeder Privatwagen, jeder Transporter –

Der Dartford Tunnel ist gesperrt. Ebenso die Grenzen nach Schottland und Wales.

Neil Fontaine parkt den Mercedes in Sichtweite der NUM Nottinghamshire, Hauptquartier Mansfield; der Jude wartet auf dem Rücksitz neben dem Telefon, wartet auf die Reaktion –

Helikopter rattern am Himmel, der Generalstaatsanwalt spricht im Radio:

»Wenn hier erheblich mehr Polizeiarbeit verlangt wird, dann soll das wohl so sein. Die Regierung hat mit dieser Auseinandersetzung nichts zu tun.«

Das Autotelefon läutet. Der Jude geht ran und hört zu –

»Zweihundertsiebzig für hin und zurück?« fragt er. »Das sind fünfundsiebzig Prozent. Fantastisch.«

Der Jude legt auf und ruft im Süden an –

»Was hab ich gesagt?« meint der Jude. »Er hat schon verloren.«

MARTIN

damit jeder, der arbeiten will, dies auch tun kann. Er droht allen, die das verhindern wollen, mit Gefängnis. Ich hänge den ganzen Nachmittag im Haus rum. Glotze und löse Kreuzworträtsel. Ich bin diese Woche wieder nachts eingeteilt. Cath macht Überstunden. Wir kriegen uns gar nicht mehr zu sehen. Um halb fünf erreiche ich Thurcroft. Ein Pint im Hotel. Eins im Welfare Club. Die Kumpel treffen sich gegen halb acht. Jetzt, da sie ihre Abstimmung hatten und einer von uns tot ist, ist alles anders. Aggressiver. Und einen Bus brauchen wir auch nicht mehr. Ich sehe schon vor mir, wie es weitergeht – volle Härte. Es vermietet uns ohnehin keiner einen Bus – käme ja auch keiner durch. Privatwagen und Lieferwagen, mehr nicht. Fünfzehn bis zwanzig pro Schicht. Peter reicht uns Zettel mit dem Namen der Zeche und dem besten Hinweg. Diesmal geht es wieder ins beschissene Bentinck. Er gibt uns den Lohn für die Streikschicht und Benzingeld. Drei Kumpel und ich sind heute Nacht mit Geoff eingeteilt. Die Tagschicht hat gemeldet, dass auf der ganzen Zeche Bullen rumlaufen. Krk-krk. Und fackeln tun die auch nicht lange. Kennzeichen, Namen, ab mit euch dahin, wo ihr hergekommen seid. Ein paar Kumpeln haben sie gesagt, sie sollen morgen früh als Erstes mit ihren Führerscheinen aufs Revier kommen. Wir haben Straßenkarten dabei. Wir probieren es gar nicht erst auf dem normalen Weg, wie Pete ihn aufgeschrieben hat. Äcker und Farmwege. Über uns Helikopter mit riesigen Suchscheinwerfern. Alle senken die Köpfe, nur Geoff nicht – Eine Stunde später geben wir’s auf mit Bentinck. Der reinste Polizeistaat. Geoff ruft in Silverwood an. Klick-klick. Wir sollen Harworth probieren, doch dann taucht ne Wagenladung Kumpels aus Markham auf. Die haben Funk. Wollen nach Bilsthorpe – wissen einen guten Weg dahin. Wir folgen ihnen – besser, als zwischen Chipstüten auf dem Boden von Geoffs Wagen zu liegen. Bis wir da sind, ist es halb neun. Hab noch nie so viele beschissene Bullen auf einem Haufen gesehen. Wir parken auf der Hauptstraße am Straßenrand und schließen uns dem Streikposten am Eingang zur Zechenstraße an. Ein paar Scabs sind ebenfalls aufgetaucht. Die trödeln auch nicht rum. Schnurstracks in die Zeche. Bei den vielen Bullen sieht man sie die meiste Zeit nicht mal – Schubsen. Schreien. Scab. Schubsen. Schreien. Scab. Ab und zu grölen wir ein Lied. Hohn und Spott von den Bullen. Das geht ein paar Stunden so – Schubsen. Schreien. Scab. Schubsen. Schreien. Scab – Irgendwann stehe ich direkt diesem Bullen gegenüber. Sagt uns nicht, wo er herkommt. Nicht von hier, dem Akzent nach zu urteilen. Und wie er so redet. Die haben doch abgestimmt, sagt er. Die wollen arbeiten. Warum verpisst ihr euch nicht wieder nach Yorkshire. Gegen Mitternacht hauen wir ab. Tag 17. Cath hat mir einen Anzug aufs Bett gelegt und ein Hemd gebügelt. Ich schaue Frühstücksfernsehen. Nur ein paar Stunden Schlaf. Ihr habt uns von den Brachfeldern geholt. Aufstehen. Anzug an. Sitze da, bis es Zeit ist. Grüble vor mich hin. Wir treffen uns um eins im Welfare Club. Etwa zwanzig Wagen und Banner. Um zwei am South Kirkby Cricket Club. Ein Pint, dann in die Wagen. Ich fahre wieder mit Geoff. Unglaubliche Szene am Cricketplatz: Hunderte von Bussen und Autos, Tausende und Abertausende von Kumpeln im Sonntagsanzug; Banner aus jedem Bezirk im Land; auch andere Gewerkschaften. Der Sarg wird aus dem Haus des Kumpels getragen. Fünf Wagen dahinter mit Familie und Freunden. Vorneweg ein Trommler, dann Arthur, Jack Taylor und all die anderen hohen Tiere. Das erste Banner ist von der Gewerkschaftsgruppe des Kumpels, Ackton Hall. Die Prozession zieht sich eine Meile hin bis zur All Saints Parish Church, die Straßen sind mit Frauen und Kindern gesäumt. Dreihundert Personen in der Kirche, Familie und Freunde. Alle anderen draußen, schweigend. Kumpel mit Tränen im Gesicht. Große Kerle: Pete; Geoff; ich. Es ist hart – Zwei Kinder. Kein Vater mehr – Wir folgen ihnen zum Friedhof in Moorthorpe. Der Kumpel fährt zum letzten Mal ein. Wir treffen uns auf dem Heimweg im Robin Hood. Lange Gesichter, kurze Gläser. Viel von beidem. Große Streitigkeiten entwickeln ihre eigene Logik, sagt Pete. Wird schon stimmen. Zurück in Thurcroft, König Arthur ist im Fernsehen. Der Vater des toten Kumpels hat ihm gesagt, wir dürfen jetzt unter keinen Umständen aufgeben. Wir müssen kämpfen, um Zechen und Arbeit zu retten, dafür hat sein Sohn sein Leben gelassen. Wir sind alle hackevoll. Nichts gegessen. Ich gehe den ganzen Weg zu Fuß nach Hause. Falle tot um. Ihr habt uns von den Walfängern geholt. Ich wache im Anzug auf und kann mit dem Heulen nicht aufhören. Tag 20. Cath ist wieder auf dem Kriegspfad. Jedes Mal, wenn er im Fernsehen kommt, schaltet sie aus. Ich sage zu ihr, du gibst dem Falschen die Schuld. Blind,

DRITTE WOCHE

Montag, 19. März – Sonntag, 25. März 1984

Sie wachen in einem Himmelbett in einem alten Hotel im Stadtzentrum von Stratford-upon-Avon auf. Sie sind verkatert. Sie brauchen einen Augenblick, bis sie wieder wissen, warum sie hier sind. Der Mechaniker macht das Radio an. 99 Luftballons. Sie duschen, frühstücken auf dem Zimmer. Sie checken aus. Fühlen sich besser. Sie nehmen die A46 und die A422 nach Worcester. Jen fährt. Sie halten vor dem Pear Tree und gehen hinein. Der Mechaniker ruft eine Nummer an und lässt sich die Adresse geben.

Sie trinken und essen was.

Eine Stunde später halten sie bei Diamond Detectives, um sich Schlüssel und Geld aushändigen zu lassen. Vince Taylor ist nicht da, nur seine alte Sekretärin Joyce. Jen hat sie noch nicht kennengelernt. Joyce gibt ihnen eine Tasse Tee und versucht, Vince zu erreichen. Vince sei im Augenblick recht niedergeschlagen, sagt sie. Sieht ganz so aus, als hätte auch sie genug. Der Mechaniker fragt, ob Jen und er etwas tun können. Sie schüttelt den Kopf und schließt sich zehn Minuten lang auf der Toilette ein.

Vince taucht nicht auf.

Sie trinken ihren Tee. Entschuldigen sich. Joyce gibt ihnen den Schlüssel und das Geld. Sie fahren die A44 nach Leominster, dann über die A49 direkt nach Shrewsbury. Jen zählt das Geld. Sie finden das Haus. Ein Reihenhaus, zwei Zimmer oben, zwei unten, in der Nähe der Sutton Road. Sie schließen auf. Der Mechaniker telefoniert noch mal.

Sie setzen sich. Machen den Fernseher an. Warten –

Schlechtes Wetter. Albträume die ganze Nacht.

Der Vorstand des Bezirks Yorkshire hatte die einstweilige Verfügung des Obersten Gerichtshofs missachtet; die fliegenden Streikposten tauchten weiterhin überall auf. Der Bezirk Yorkshire war der Missachtung des Gerichts schuldig gesprochen worden, die Gerichtsvollzieher waren unterwegs –

Die Gelder aus der Streikkasse von Yorkshire waren bereits aufgebraucht. Der Präsident schickte Terry Winters und Mike Sullivan erneut in die Huddersfield Road. Doch diesmal waren sie nicht allein –

Zweitausend Kumpel aus Yorkshire waren dem Ruf des Präsidenten gefolgt; zweitausend Bergleute, die die (ehemalige) Burg von King Arthur, ihrem Präsidenten, verteidigen und die schwarzen dreckigen Ziegel des Hauptquartiers Yorkshire umstellen sollten –

Viertausend Augen hielten Ausschau nach den Gerichtsvollziehern.

In einem der oberen Räume schredderten Terry und Mike Unterlagen.

Draußen gab es Geschubse. Die Kumpel griffen Fotografen und Kameraleute an. Die Polizei ging dazwischen. Fäuste flogen. Es gab Verhaftungen.

Clive Cook brachte noch mehr Kisten. Terry und Mike schredderten weiter.

Plötzlich laute Jubelschreie, draußen –

Terry und Mike gingen ans Fenster.

Clive kam mit der letzten Kiste herein. »Das NCB hat die Klage ausgesetzt.«

Tinkerbell klopft nicht an. Das tun die Männer nie. Er hat seinen eigenen Schlüssel. Stellt sich nicht vor. Tun die Männer nie. Kluge Leute. Er sieht Jen von oben bis unten an, dann trägt er sein Zeug nach oben ins Schlafzimmer. Der Mechaniker schickt Jen hinaus, um Milch zu holen. Er liest noch mal die gestrige Zeitung. Jen kommt zurück. Draußen regnet es. Sie setzt eine Kanne Tee auf. Der Mechaniker trägt eine Tasse zu Tinkerbell. Der sitzt mit Kopfhörern und Notizblock auf dem Bett. Der Mechaniker klopft ihm auf die Schulter. Tinkerbell schreckt hoch. Der Mechaniker reicht ihm die Tasse. Tinkerbell nickt. Der Mechaniker geht wieder nach unten.

Um halb zwölf zieht Jen los, um Fish and Chips zu holen. Der Mechaniker setzt sich hin und schaut sich die One o’Clock News an. Jen kommt mit den Fritten zurück. Der Mechaniker schüttet ein paar davon auf einen Teller und bringt sie Tinkerbell. Der sitzt noch immer mit Kopfhörern auf dem Bett. Er nickt. Der Mechaniker geht wieder nach unten zu Jen. Die beiden essen. Jen setzt eine frische Kanne Tee auf. Der Mechaniker macht den Abwasch.

Um drei Uhr kommt Tinkerbell nach unten. Er reicht dem Mechaniker ein Stück Papier –

Der Mechaniker liest es und greift nach dem Telefon.

Eine Stunde später tauchen Schaub und Leslie in einem roten Ford Escort auf. Schaub hat sich seit dem letzten Mal, als ihn der Mechaniker gesehen hat, die Haare wachsen lassen. Leslie sieht aus wie immer. Der Mechaniker stellt ihnen Jen nicht vor. Schaub hält den Mund. Er ist gewarnt worden und beweist Manieren. Der Mechaniker gibt ihnen Instruktionen. Dann nimmt er Jen mit in das kleine Schlafzimmer. Tinkerbell sitzt mit Kopfhörern und gezücktem Notizbuch auf dem Bett. Er dreht sich zu ihnen um und schüttelt den Kopf. Sie setzen sich neben ihn aufs Bett und warten –

Schlechtes Wetter. Albträume die ganze Nacht.

Kurz nach halb sieben stupst Tinkerbell den Mechaniker an und klopft sich auf den Kopfhörer. Er reckt einen Daumen hoch. Der Mechaniker und Jen gehen nach unten und wecken Zwiddeldum und Zwiddeldei. Gemeinsam verlassen sie das Haus. Schaub und Leslie nehmen den Escort, der Mechaniker und Jen den Rover.

Beide Wagen fahren zur Sutton Road. Der Escort hält an einem Ende der Straße, der Rover am anderen. Schaub steigt aus, Leslie bleibt hinterm Lenkrad sitzen. Der Mechaniker steigt aus, Jen verharrt, wo sie ist.

Der Mechaniker nimmt die Tasche aus dem Kofferraum. Er schlendert die Straße entlang bis zum Haus und geht die Einfahrt hoch. Schaub hat bereits die Hintertür geöffnet. Sie betreten das Haus. Der Mechaniker öffnet die Tasche und reicht Schaub eine Kamera.

Schaub geht nach oben, der Mechaniker bleibt unten.

Er geht durch die Küche ins Wohnzimmer und dann ins Arbeitszimmer. Zwanzig Minuten lang durchsucht er Schubladen und Regale.

Schaub kommt die Treppe herunter. Er schüttelt den Kopf. Sie verlassen das Haus, schließen die Hintertür und gehen die Einfahrt hinunter.

Der Mechaniker geht mit Schaub zum Escort. Schaub steigt vorne ein, der Mechaniker hinten. Leslie dreht sich um. Der Mechaniker schüttelt den Kopf.

»Muss es wohl bei sich haben«, meint Schaub.

»Wo denn?« fragt Leslie.

Schaub zieht einen großen weißen Schlüpfer aus der Jackeninnentasche. Er hält ihn hoch und lacht. »Da drin lässt sich alles Mögliche verstecken.«

Der Mechaniker beugt sich vor. Er packt Schaub bei den Haaren und zieht den Kopf nach hinten über den Sitz –

»Ich dachte, du stehst auf Kinder«, flüstert er. »Wie deine eigenen.«

»Verpiss dich!« brüllt Schaub.

Der Mechaniker stößt ihn wieder nach vorn. Er beugt sich zu ihm über den Sitz und donnert Schaubs Stirn auf das Armaturenbrett.

»Scheiße!« schreit Schaub. »Scheiße! Scheiße!«

»Bring ihn zum Haus zurück«, befiehlt der Mechaniker Leslie. »Warte dort auf mich.«

Leslie nickt und startet den Wagen.

Der Mechaniker steigt aus. Er geht die Straße entlang zum Rover und steigt ein.

»Was ist denn los?« fragt Jen.

»Nichts«, erwidert der Mechaniker. »Wir müssen raus zum Landhaus.«

Jen startet den Wagen. Sie fahren nach Four Crosses und biegen Richtung Llanymynech ab. An einer Telefonzelle halten sie. Der Mechaniker wählt die Nummer –

Er lässt es klingeln und klingeln. Niemand hebt ab.

Sie finden das Landhaus und bleiben stehen.

Der Mechaniker nimmt die Tasche vom Rücksitz und steigt aus –

Jen wartet im Wagen.

Der Mechaniker geht zum Haus, öffnet die Tür, geht hinein und durchsucht alles. Dann kommt er wieder heraus, verschließt die Tür, geht zum Wagen –

Jen startet ihn.

Der Mechaniker legt die Tasche in den Kofferraum. Er steigt ein und schüttelt den Kopf.

Sie fahren zurück nach Shrewsbury. Sie halten vor dem Reihenhaus –

Der Escort ist nicht da.

Sie gehen hinein. Kein Schaub, kein Leslie. Der Mechaniker geht nach oben –

Tinkerbell sitzt noch immer auf dem Bett, die Kopfhörer in der Hand. Er blickt auf. »Was zum Teufel ist denn passiert?« fragt er.

»Was meinst du damit?«

»Das Telefon ist tot.«

»Was?«

»Ich höre nichts …«

Der Mechaniker geht sofort die Treppe hinunter.

Jen hat gerade Teewasser aufgesetzt. »Was ist denn?« fragt sie.

»Komm schon«, fordert der Mechaniker sie auf. »Schnell!«

Sie gehen hinaus zum Wagen und fahren zurück zur Sutton Road –

Auch dort kein Escort.

Sie halten am Ende der Straße –

»Warte hier«, sagt der Mechaniker zu Jen.

»Du willst doch nicht wieder da rein, oder?« fragt sie. »Sie könnten jederzeit auftauchen.«

Der Mechaniker steigt aus, schließt die Tür und geht die Straße entlang. Er kommt zum Haus –

Die Vorhänge sind zugezogen. Es brennt Licht –

Verdammt.

Er geht die Einfahrt entlang zur Rückseite des Hauses. Die Tür steht sperrangelweit offen –

Verdammt.

Er beugt sich hinein und ruft: »Hallo? Jemand zu Hause?«

Keine Antwort.

Er betritt das Haus. Auf dem Küchenboden liegt Schmutzwäsche herum, auf dem Tisch sind zwei Handtaschen ausgeleert worden, das Telefon ist von der Wand gerissen.

Er geht ins Wohnzimmer, dann ins Arbeitszimmer –

Niemand.

Er geht nach oben. Einer der Handläufe am Treppengeländer fehlt.

Er geht ins vordere Schlafzimmer –

Niemand.

Ins Bad –

Niemand.

Ins hintere Schlafzimmer –

Verdammt.

Nasse Handtücher auf dem Boden. Das Bett ist abgezogen –

Blut- und Samenspuren auf der Matratze.

Der Jude hat seit Tagen nicht geschlafen, dazu ist er zu aufgeregt, zu beschäftigt –

Gerade ist er in den zwölften Stock von New Scotland Yard gefahren, die Nationale Einsatzstelle der Polizei.

Neil Fontaine öffnet dem Juden die hintere Wagentür. Der Jude steigt ein.

»Downing Street, wenn Sie so freundlich wären, Neil.«

»Gewiss, Sir.«

Der Jude erzählt Neil von den 24-Stunden-Einsätzen der Polizei, von den Telefon-Reihen, den Wänden voller Landkarten, den bunten Stecknadeln –

»Die heben sie in Keksdosen auf«, sagt er lachend. »Können Sie sich das vorstellen? In Keksdosen.«

Neil Fontaine hält an einer roten Ampel. Er schaut auf die Uhr, dann in den Rückspiegel –

Der Jude trägt einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein blassblaues Hemd und eine weiße Seidenkrawatte. Er hat einen weiteren Bericht zu geben, eine weitere Rede zu halten –

»Es wird keine Abstimmung geben. So viel steht fest«, sagt der Jude laut auf dem Rücksitz. »Die Strategie des Komitees muss auf dieser Tatsache fußen. Das Arbeitsrecht ist nebensächlich. Abstimmungen sind kein Ausweg, Gerichte auch nicht. Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass es zu einer landesweiten Abstimmung kommt, und für den noch unwahrscheinlicheren Fall eines offiziellen Streiks sollte das Arbeitsrecht genutzt werden, um jene Gegenden zu schützen, die die Abstimmung boykottieren und weiter arbeiten wollen …«

Der Jude übt wieder mal seine Rede. Er wird die Daumenschrauben anziehen –

Er redet hinten im Mercedes mit sich selbst. Er spricht von sozialer Sicherheit, von der Aussetzung der Lohnfortzahlungen, von zu späten Auszahlungen. Er spricht von den Aufsichtsräten der Strom- und Gasversorger, davon, dass sie wöchentliche Abschlagszahlungen verlangen und andernfalls die Streikenden von der Versorgung abklemmen. Er spricht von den Banken und Wohnungsbaugenossenschaften, von Hypotheken –

Von Zwangsenteignung –

Der Jude will die Daumenschrauben anziehen. Fester und fester –

Woche für Woche, Stück für Stück, Tag für Tag –

»Um die vorderste Front des Sozialismus ein für alle Mal zurückzudrängen, Neil!«

Neil Fontaine hält am Kontrollpunkt am Ende der Downing Street an. Der Jude setzt eine Fliegerbrille und seinen breitkrempigen Panamahut auf und holt tief Luft. »Wünschen Sie mir Glück, Neil«, sagt er.

»Viel Glück, Sir«, sagt Neil und beobachtet, wie der Jude im Haus Nummer 10 verschwindet.

Neil hat an seine ganz eigenen Daumenschrauben.

Mitternacht, Mittwoch auf Donnerstag. Die erdabgewandte Seite des Mondes. Sie halten vor Vince’ Haus. Alles dunkel –

»Warte hier«, sagt der Mechaniker zu Jen.

Er steigt aus, geht die Einfahrt entlang, klingelt, klopft.

»Wer ist da?« ruft Vince. »Was wollen Sie?«

»Ich bin’s«, sagt der Mechaniker. »Ich muss mal mit dir reden.«

Schlüssel drehen sich, Ketten fallen. Vince Taylor öffnet –

Der Mechaniker leuchtet ihm mit der Taschenlampe voll ins Gesicht. Vince’ Hand geht nach oben –

Vince weiß Bescheid.

»Dave«, sagt er, »tu das weg.«

»Vince«, ruft seine Frau über den Flur. »Was zum Teufel ist da los?«

»Nichts, Liebes«, antwortet er. »Schlaf weiter.«

Der Mechaniker lässt die Taschenlampe sinken.

Vince zieht den Gürtel seines Hausmantels enger. Er schaut die Einfahrt entlang und fragt: »Wen hast du denn da bei dir?«

»Jen.«

»Verdammt«, sagt Vince.

Der Mechaniker nickt und fragt: »Schaub? Leslie?«

»Nur Leslie«, antwortet Vince.

»Schaub?«

»Keine Ahnung.«

»Und wo ist Leslie?«

»Er hat Angst, Dave.«

»Das haben wir alle, Vince«, entgegnet der Mechaniker. »Also, wo ist er?«

»Dave …«

Der Mechaniker schüttelt den Kopf. »Wo ist er?« fragt er noch einmal.

»Little America«, sagt Vince schließlich. »Aber, Dave …«

»Wo ist das, Vince?«

»Atcham, auf dem Weg nach Telford. Ein aufgelassenes Flugfeld.«

»Und was macht er da?«

»Sich verstecken. Was glaubst du denn?«

Der Mechaniker schaut auf die Uhr. »Zieh was an, Vince«, sagt er dann.

Vince schüttelt den Kopf. »Dave …«

Der Mechaniker packt Vince am Hausmantel. »Zieh dir was an, verdammt«, wiederholt er.

Vince geht hinein, zieht sich an und kommt wieder heraus. Er setzt sich nach vorn –

Dann fahren sie los.

Eine halbe Stunde später weist Vince nach links –

Der Mechaniker schaltet das Abblendlicht aus. Er verlässt die Hauptstraße, fährt durch ein Industriegebiet.

Vince deutet nach vorn auf einen Zaun mit einem Tor und einem alten USAF-Schild. Daneben steht ein roter Escort.

Der Mechaniker hält neben dem Escort und schaltet den Motor aus. Dann dreht er sich zu Vince um. »Also, wo ist Leslie?«

»Ach, Scheiße, keine Ahnung«, sagt Vince.

Der Mechaniker packt Vince’ fettes Gesicht mit der rechten Hand und drückt die teigigen Wangen fest zusammen. Dann dreht er ihm den Kopf zur Rückbank.

»Weißt du, wer das ist?« fragt der Mechaniker.

Vince nickt.

»Das ist die Frau, die ich liebe«, sagt der Mechaniker. »Also, sprich nicht so vor ihr.«

Wieder nickt Vince.

Der Mechaniker stößt Vince’ Kopf gegen die Seitenscheibe und lässt ihn los.

Vince hält sich das Gesicht. »Tut mir leid, Dave«, sagt er.

»Also gut«, sagt der Mechaniker. »Dann wollen wir mal Leslie suchen.«

Sie steigen im Dunkeln aus. Es ist kalt, es regnet.

»Sollen wir uns aufteilen?« fragt Vince.

Der Mechaniker macht die Taschenlampe an und leuchtet Vince ins Gesicht –

Vince hebt wieder die Hand.

»Vince«, sagt der Mechaniker, »Aufteilen ist immer ein Fehler.«

Vince zuckt mit den Schultern und öffnet das Tor.

Sie gehen auf das Flugfeld und einen alten Kontrollturm zu.

Vince legt sich die Hände um den Mund: »Leslie!« ruft er, »ich bin’s, Vince!«

Nichts.

»Leslie! Ich bin’s, Vince«, ruft er noch mal. »Dave und Jen sind bei mir.«

»Da«, sagt Jen. Sie zeigt auf eine Taschenlampe, die vor ihnen blinkt.

Sie winken mit ihren Taschenlampen in die Richtung und gehen auf das Blinken zu.

Leslie steht vor einem kleinen Schuppen. Er zittert und geht auf die Knie. Er schaut zu ihnen auf –

»Es war der beschissene Julius«, schluchzt er. »Er ist nur rein, um den bescheuerten Schlüpfer zurückzubringen. Ich hab ihm gesagt, er soll das lassen. Aber er hat gedacht, du würdest ihm wieder was tun. Dann war er im Haus, und sie ist aufgetaucht. Ich bin rein, um ihm zu helfen. Aber …«