Gebrauchsanweisung für Frankfurt am Main - Constanze Kleis - E-Book

Gebrauchsanweisung für Frankfurt am Main E-Book

Constanze Kleis

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Beschreibung

Wie beeindruckt man eine Frankfurterin? Was haben Goethe und der Eiffelturm gemeinsam? Und wie konnte ausgerechnet »Handkäs mit Musik« zum kulinarischen Aushängeschild der internationalen Finanzmetropole werden? Vom Rummelviertel Sachsenhausen über »das lustige Dorf Bernem« bis ins elegante Westend: Constanze Kleis führt durch ihre Wahlheimat. Sie befasst sich mit der Weltkarriere eines Würstchens, Deutschlands einziger Skyline und des Pudels Kern. Sie berichtet, wie sich die Frankfurter an der neuesten Altstadt Deutschlands erfreuen und sich auf die Folgen des Brexit vorbereiten. Von der Frankfurter Schule, der Gentrifizierung und dem friedlichen Zusammenleben von 180 Nationen – ja, sogar in den Schrebergartenvereinen.

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Inhalt

Cover & Impressum

Der Anfang von allem

Vom kleinteiligen Größenwahn

Einnehmend, graziös, allerliebst: die Frankfurterin

Des Pudels Kern

Der musikalische Handkäs

Die glorreichen Sieben

Des Volkes wahrer Himmel

Der unsterbliche Dichter

Der Stoff, aus dem die Träume sind

Das Frankfurter Karma-Rad

Kulissenschiebung

Feine Adressen, nicht nur bei Messen

Der Kosmopolit und die Mülltrennung

Kaufrausch in der City

Freiheit über den Wolken

The Taste of Frankfurt

Wohnsinn

Freiluftfreuden

Das Leben – eine Trostbude

Vom Wal verschluckt – Frankfurt und seine Kultur

Vom Suchen und Finden der Liebe

Wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei

Vom kleinteiligen Größenwahn

Nicht mal Helene Fischer ist so häufig im Fernsehen wie die Frankfurter Skyline. Ständig hält sie als Kulisse für Bankennachrichten oder Börsenmeldungen her, und so verhält es sich mit der Stadtsilhouette wie mit anderen Promis, die man dauernd in der Öffentlichkeit sieht: Ein Gefühl der Vertrautheit entsteht. Wer nach Frankfurt kommt, hat meist nicht nur Kulturbeutel und Unterwäsche zum Wechseln im Gepäck, sondern auch ziemlich genaue Vorstellungen von der Mainmetropole. So viel vorneweg: Er wird sich im Nahkontakt mit der Stadt von einigen verabschieden müssen (bitte Taschentücher mitbringen!).

Die erste und größte Überraschung: wie klein die Stadt ist. Besonders wenn man vom Flughafen aus anreist, also mit der Erwartung, dass die City hält, was der Airport verspricht. Und zwar mit immerhin 23 Quadratkilometern aus Beton und Glas, mit 410 Check-in-Schaltern für 99 Airlines, die 311 Destinationen in 97 Ländern bedienen. Mit 225 Geschäften und Restaurants, die an allen sieben Tagen der Woche geöffnet haben, mit einer Klinik, einer Kirche, einem ICE-Bahnhof und der weltweit modernsten Tierstation. Die »Animal Lounge« wickelt auf circa 4000 Quadratmetern Fläche den Export, Import und den Transit von jährlich 80 Millionen Zierfischen, 15 000 Haustieren, 8000 Schweinen und 2000 Pferden ab. Hier werden mit 512 115 Flugbewegungen knapp 70 Millionen Passagiere jährlich (Stand 2018) in die Luft gebracht. Rund 81 000 Menschen arbeiten auf dem Flughafen bei insgesamt über 500 Firmen und Institutionen. Damit ist laut IHK Frankfurt der Flughafen die größte lokale Arbeitsstätte in Deutschland.

Böse Stimmen behaupten gar, Frankfurt sei eigentlich nur ein Vorort des Airports. Aber das ist maßlos übertrieben. Ebenso wie das Gerücht, es seien in den endlosen und verwirrenden Labyrinthen dort schon Menschen verloren gegangen. Richtig ist, dass man sich auf Wege gefasst machen sollte, die eigentlich in einen Wanderführer gehören. Man kann nur vermuten, wie viele Reisende auf der Suche nach ihrem Gate erschöpft das ehrgeizige Projekt einer Fernreise zugunsten von Ferien auf dem Bauernhof im Odenwald aufgegeben haben.

Und es kommt noch schlimmer, nämlich größer. 2023 wird ein drittes Terminal jährlich bis zu 23 Millionen weitere Passagiere abfertigen, und um den »Stadtteil Flughafen« zu komplettieren, entsteht im Frankfurter Stadtwald mit »Gateway Gardens« ein »Global Business Village«. Zwischen der A3 und der B43 ist das Gelände eines ehemaligen Wohnquartiers der US-Army umgewidmet worden zu einer Reißbrett-Stadt mit Bürogebäuden, mehreren Hotels, Gastronomie und Einzelhandel, S-Bahn-Anschluss inklusive.

Irgendwann wird man gar nicht mehr wissen, wo der Airport aufhört und Frankfurt anfängt. Würde allein die Größe zählen, wäre die Stadt bald nur noch eine Randerscheinung. Gerade in Frankfurt aber weiß man, dass es mehr braucht, um sich als Weltstadt zu qualifizieren: den menschlichen Faktor, die Seele, das Gefühl, die emotionale Verankerung. Fraport pflegt zwar ein breites Sponsoring, um diesen Mangel auszugleichen. Mit Spenden und Aktionen werden etwa Musikveranstaltungen unterstützt, auch viele Sportvereine wie die Eintracht Frankfurt. Zur Eingemeindung ins Frankfurter Herz hat es bislang aber nicht gereicht. Selbstbewusst verteidigt der Bürger seine unerschütterliche Überzeugung, dass die Stadt die Sonne ist, um die der Flughafen gefälligst zu kreisen hat, und es keinesfalls umgekehrt sein sollte. Sorgen macht er sich trotzdem. Schaut man nach oben, sieht man dort jetzt schon bis zu acht Flugzeuge gleichzeitig den Himmel durchkreuzen. Ich gehöre zu den 15 Prozent der Deutschen, die unter Flugangst leiden, und halte mich ebenso ungern unter einem Flugzeug oder gar mehreren auf wie darin. Selbst wenn sich der Abstand auf mehrere Kilometer beläuft. Im Flugangst-Seminar hat man mir zwar beigebracht, dass es strenge Vorfahrtsregeln auch für die Luftfahrt gibt, aber wie alle Flugängstler besitze ich eine – wie ich finde – gesunde Skepsis, die mir souffliert, dass Menschen, die von der Lufthansa dafür bezahlt werden, einem das Fliegen schmackhaft zu machen, einfach die Objektivität fehlt.

Das gilt auch für die Beurteilung der Lärmbelastungen durch das ständige Starten und Landen in unmittelbarer Nachbarschaft. Dass sich der Frankfurter Flughafen als »Silent Airport« bezeichnet, meint lediglich, dass die Lautsprecherdurchsagen von rund 1000 pro Tag auf 600 reduziert wurden. Seit im Oktober 2011 die neue Landebahn Nordwest in Betrieb genommen wurde, sind die Belastungen so angestiegen, dass mancher sogar schon ein zweites Stuttgart 21 heraufdämmern sah. Immerhin hat sich der Krach in Dimensionen ausgebreitet, die deutlich gesundheitsgefährdend sind. Ganz zu schweigen von dem Schadstoffausstoß, den derzeit 96 Flugbewegungen pro Stunde mit sich bringen, die perspektivisch auf 126 erhöht werden sollen.

Immer wieder montags wird nun demonstriert, im Unterschied zu den Protesten gegen die Startbahn West Anfang der Achtzigerjahre allerdings trocken und warm – nämlich in der Abflughalle des Airports. Eine Zeit lang waren es mehrere Tausend Menschen aus der Region, die sich dort regelmäßig einfanden. Mittlerweile ist die Zahl der Demonstranten doch recht übersichtlich geworden.

Ganz im Unterschied zu den Belastungen durch den Fluglärm. Zwar gibt es ein Nachtflugverbot, das zwischen 23 und 5 Uhr gilt. Aber das scheinen die Fluggesellschaften nur für einen unverbindlichen Vorschlag zu halten. Allein im Mai 2018 setzten zwischen 23 und 24 Uhr 185 Maschinen in Frankfurt auf. So erleben auch Villenbesitzer im nun dicht überflogenen Stadtteil Lerchesberg seit Jahren, wie schnell man doch seine Meinung über ein ungebremstes Wirtschaftswachstum ändern kann, wenn das Haus plötzlich unverkäuflich wird. Und das ist nicht nur Jammern auf sehr hohem Niveau, wie ich mich bei einem Besuch bei einer betroffenen Familie überzeugen konnte. Man hätte dem Piloten die Nasenhaare schneiden können, so bodennah donnerten die Flugzeuge im Minutentakt über das schöne Grundstück mit Waldrandlage, und eine Verständigung auf der herrlichen Terrasse wäre nur noch mit Gebärdensprache möglich gewesen.

Nicht die Stadt ist zu klein, der Flughafen wird zu groß – so die Überzeugung nicht nur der betroffenen Bewohner. Ein feiner Unterschied, der zur nächsten Überraschung führt: dass wir, die wir hier wohnen, keinesfalls unter Minderwertigkeitskomplexen leiden, bloß weil die Stadt wie ein Feigenblatt des Airports wirkt. Wir finden unser Leben in übersichtlicher Kleinheit sogar ziemlich praktisch.

Einen Tag, höchstens, benötigt man, seinen Gastgeberpflichten nachzukommen, Besuchern die wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorzuführen. Die Skyline zeigt sich quasi von allein. Den Römer, die Paulskirche, »Wiege der Demokratie«, die Messe, die Börse, die Alte Oper, jenen klassizistischen Prachtbau des Schinkel-Schülers Richard Lucae, zu dessen Einweihung 1880 – es wurde Don Juan gegeben – der Kaiser höchstselbst anwesend war, bewältigt man in kaum mehr als einer Stunde.

Der imperiale Kommentar – »so was können doch nur die Frankfurter sich leisten«, soll Wilhelm I. damals gesagt haben – lässt sich gleich noch mal zitieren, wenn man erzählt, dass die Stadt für den Wiederaufbau des im Krieg völlig zerstörten Gebäudes volle 200 Millionen Mark aufbrachte. Deutlich höher lagen die Kosten der 2018 eröffneten neuen Altstadt. Die »von der Stadt zu finanzierenden Kosten« beliefen sich auf 200 Millionen Euro. Dafür kann man aber gleich mal mindestens 30 Minuten Sightseeing zusätzlich einplanen.

Auch Alt-Sachsenhausen, der Main, das Museumsufer, die Zeil, der Palmengarten, Frankfurts herrlichste Park- und Gartenanlage, lassen sich locker ablaufen, ohne dass man dabei auch nur einmal aus der Puste gerät. Großartiges und Kleingeistiges, Aufregendes und Gemütliches, Provinz und Metropole, Weltoffenheit und Enge, alles liegt nah beieinander.

Das hat einen ganz eigenen Charme. Wie in einer russischen Matroschka kommen in der Tiefe, nicht in der Weite, immer neue Aspekte zum Vorschein. Der Architekturkritiker Dieter Bartetzko hat den Mehrwert der Enge einmal so formuliert: »Reiz und Eigenart aber bestehen vor allem in der Vielfalt und in der Widersprüchlichkeit seiner Stadtlandschaft. Der mitunter blitzschnelle Wechsel vom Boulevard zur Gasse, das Aufeinanderprallen repräsentativer und unscheinbarer Bauten, das Netzwerk der beengten Innenstadt und die großzügige Flächenverteilung in den Außenbezirken, die Verkaufsbude neben dem Handelszentrum, das Fachwerkhaus im Schatten des Mietcontainers, Krähwinkel und Metropolis ineinander verkrallt – all das macht die Identität dieser Stadt aus. Hierin gründet ihr exemplarischer Charakter: sich nie entschieden zu haben, weder für die Großstadt noch für das Dorf, weder für das Steinmeer, noch ganz für die Idylle. Frankfurt ist gleichsam aus Partikeln aller Städte zusammengesetzt – nicht provisorisch, aber immer improvisierend.« (Dieter Bartetzko: Architektur kontrovers: Schauplatz Frankfurt, Frankfurt / M. 1986)

Meine Schwiegermutter war deshalb ziemlich enttäuscht, als sie das erste Mal nach Berlin kam: »Wie unpraktisch. Überall muss man hinfahren!« In Frankfurt kann man überall zu Fuß hingehen. Sogar mit einer künstlichen Hüfte. Natürlich konnte der erste internationale spaziergangswissenschaftliche Kongress nur hier stattfinden. »Wir werden zwei bis drei Stunden zu Fuß unterwegs sein und dabei nicht einmal eine Straße überqueren müssen. Das ist schon etwas Besonderes«, lobte der Flanierwissenschaftler Bertram Weisshaar gegenüber der Nachrichtenagentur AP die besonderen Qualitäten der Stadt.

Für die sind wir Frankfurter dankbar. Spätestens wenn mal wieder die U-Bahn ausfällt, der Bus einfach nicht kommt oder ein ganzer Stadtteil verkehrstechnisch lahmgelegt wird. Das passiert schon mal, weil dauernd irgendetwas ist: Ein Marathon oder eine der Demonstrationen, für die Frankfurt ja berühmt ist. Sie gehören quasi zur städtischen Folklore. Dienstags lässt man ohnehin alle Hoffnung auf eine pünktliche Heimkehr fahren. Das »Tuesday-Night-Skating« ist nicht bloß das schnellste und längste nächtliche Rollschuhlaufen Europas, sondern auch das größte Verkehrshindernis im Sommer. Egal. Wir kommen immer auch per pedes oder Fahrrad heim. Kein Wunder, wenn Frankfurts Taxifahrer laut einer Studie des ADAC zu den schlechtestgelaunten des Landes zählen.

Womit wir beim nächsten Frankfurt-Trugschluss wären: der Behauptung, Frankfurt sei Dienstleistungshauptstadt, also so etwas wie die letzte blühende Oase in der Service-Wüste Deutschland.

Eines darf man hier auf keinen Fall tun: annehmen, man wäre wenigstens in Frankfurt König, bloß weil man Kunde ist. Man muss den Titel richtig, nämlich als Frankfurter Beitrag zur Relativitätstheorie verstehen. Vom Butler über den Barmixer, den Koch für daheim, die Haushaltshilfe für den gehobenen Bedarf bis hin zum Personal Trainer und einem Catering für 200 Personen lässt sich im oberen Preissegment Lebenshilfe binnen Stundenfrist organisieren. Bügeln, Babysitten, Waschen, Einkaufen, Sporteln, Kochen, ein paar Stunden in Latex bei einer Domina am Kreuz hängen oder den Hund zum Tierarzt bringen lassen – allerorten stehen dienstbare Geister bereit, dem gestressten Leistungsträger unter die Arme zu greifen. Hotels packen Picknickkörbe für den Ausflug ins Freie und bieten nach der Devise »Frieden schaffen ohne Waffen!« am Heiligen Abend Weihnachtsgans mit Knödeln und Rotkraut to go für zu Hause an.

Alles scheint möglich, bis man eine Briefmarke braucht, einen Elektriker, eine Aufenthaltserlaubnis oder einen Termin beim Orthopäden. Bei den notwendigen Dingen herrschen in Frankfurt ähnliche Zustände wie in Leningrad, bevor es St. Petersburg hieß. Fünf Jahre seines Lebens soll jeder Deutsche durchschnittlich mit Warten verbringen. Gemessen an den endlosen Stunden im real existierenden Leerlauf, mit denen der Frankfurter die Statistik hebt, leben überall im Lande Menschen, die sehr glücklich darüber sein müssen, wie man hier für sie Schlange steht. Allein auf einen Friseurtermin bei Frankfurts Antwort auf Udo Walz und Marlies Möller, »Wachs & Wachs & Zians«, muss man fast länger warten als ein Bürger der ehemaligen DDR auf einen Trabi. Man tut es, weil man in der Geldstadt wie sonst nirgendwo weiß: Alles hat seinen Preis. Auch und gerade die perfekte Frisur.

Einfach so an das Objekt seiner Begierde zu kommen würde einen Frankfurter ohnehin nur aus seiner Lebensbahn werfen. Für den außerordentlich seltenen Fall, dass wider Erwarten etwa in der Hauptpost auf dem Goetheplatz nicht wie sonst bloß die Hälfte der Schalter, sondern alle besetzt sind, gibt es spezielle Orte, an denen wir uns bestätigen lassen, dass wir uns noch in Frankfurt befinden. Ein Restaurant in der City beispielsweise ist geradezu berühmt für seinen saumseligen Service. Man erhält dort eher seinen Rentenbescheid als das, was man, ohnehin nur unter großen Mühen (setzen Sie sich am besten nackt an einen Tisch, es könnte helfen), bestellt hat. Das Lokal ist immer voll.

Sowieso sind überall immer schon andere da, die dasselbe wollen: eine Kinokarte, einen Fahrschein, den ersten Platz am Abfertigungsschalter auf dem Flughafen oder an der Kaufhauskasse. Schlangen, wohin man auch schaut. Es ist, als würde sich Frankfurt täglich aufs Neue selbst damit überraschen, nicht Provinz zu sein und mehr als einer Million Menschen ganz banale Bedürfnisse erfüllen zu sollen. Das ist kein Fluch, das ist Zen. Frankfurter sind die direkten Nachfahren des weißen Kaninchens aus Alice im Wunderland. Jeder hetzt hier – »keine Zeit, keine Zeit« – durchs Leben. Außer man zwingt ihn zum Verweilen.

Zu den Spitzenreitern im zwangspausenproduzierenden Gewerbe zählt die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main. Bei der Frankfurter S-Bahn Rhein-Main ist jeder zehnte Zug verspätet, keine S-Bahn in Deutschland ist unpünktlicher. Damit man die Wartezeiten auch genießen kann, sind allerorten »Countdown-Anzeigen« aufgestellt worden, die dem Bürger Klarheit verschaffen sollen, in wie vielen Minuten kommt, wofür er bezahlt: eine Beförderung. Klug war das nicht. Seitdem ist es offiziell, dass sich zwei Minuten nicht nur wie zehn anfühlen können, sondern faktisch auch zehn Minuten sind. Obwohl auf der Tafel genauso lange »in zwei Minuten« steht. Möchte man Zweifel, ob man zwischenzeitlich vielleicht verlernt hat, die Uhr abzulesen, aus dem Weg räumen, ruft man die »Mobilitätsberatung« an (069–24 24 80 24). Es gibt keinen besseren Zeitvertreib.

»Wo sind Sie gerade?«, fragt der Mobilitätsberater. »Ich stehe an der Haltestelle Leonardo-da-Vinci-Allee, die Straßenbahn kommt nicht.« – »Sie müsste aber schon da sein.« – »Ist sie aber nicht.« – »Nehmen Sie doch den Bus.« – »Der bringt mich aber nicht dorthin, wohin ich wollte.« – »Aber der kommt gleich!«

Meine einzige Erklärung für die umwerfenden Ergebnisse der jährlichen Zufriedenheitsumfragen der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main ist die Vermutung, dass die Stadt Stimmungsaufheller ins Trinkwasser leitet. Schon sind wir beim nächsten Frankfurt-Irrtum, dem Gerücht, die Stadt habe ein ernsthaftes Drogenproblem. Mit den üblichen betrüblichen Folgen, also Diebstahl, Überfall und Haue. Ist Frankfurt nicht »Hauptstadt des Verbrechens«? Man liest ja so viel …

Tatsächlich ist die Kriminalitätsrate so gering wie lange nicht mehr. Trotzdem lässt sie keinen Zweifel zu: Frankfurt ist immer noch deutsche Verbrechenshauptstadt. Zuletzt entfielen auf 100 000 Einwohner in Frankfurt 14 864 Straftaten. So viele wie in keiner anderen deutschen Metropole.

Allerdings kann Frankfurt mildernde Umstände geltend machen. Es liegt an seinem Status als »Hafenstadt«. Meint: Frankfurt hat eine Messe mit ca. 2,2 Millionen Besuchern pro Jahr, ein hohes Aufkommen von Berufseinpendlern (352 000 täglich) und liegt auch bei der Anzahl der ca. 3,4 Millionen Touristen, die jährlich nach Frankfurt kommen, an der Spitze deutscher Großstädte. All die Kurzzeitbesucher stellen auch alles Mögliche an und lassen Frankfurt statistisch dafür büßen. »Importierte Kriminalität« nennt sich das Phänomen. So werden zum Beispiel sämtliche Drogenfunde am Flughafen der Stadt angelastet. Egal, ob der Stoff für Frankfurt bestimmt war oder nicht. In keiner anderen Stadt gibt es zudem einen so hohen Anteil von Tätern mit Wohnsitz im Ausland. Nicht mal die Hälfte der Tatverdächtigen wohnt in Frankfurt und wird auch dort straffällig. Die zahlreichen Wirtschaftsdelikte in der Bankenmetropole blähen die Statistik noch einmal auf. Ebenso wie die Verstöße gegen das Ausländergesetz. Bei einem AusländerInnenanteil von fast einem Drittel der Bevölkerung ziemlich naheliegende, aber nicht gefährliche Vergehen.