Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der Umgang mit als Gefährder*innen eingestuften, psychisch auffälligen Personen ist eine grosse Herausforderung. Oft stehen strafrechtlich kaum fassbare, aber dennoch bedrohliche Verhaltensweisen im Raum, die begründeten Anlass für die Befürchtung einer bevorstehenden Gewalttat geben. Polizeiliche und strafprozessuale Massnahmen stossen an ihre Grenzen. Es fehlen ausreichende Instrumente mit dem notwendigen Therapieansatz. Um diese Versorgungslücken zu schliessen, ist das Bedrohungsmanagement in der Kette der Strafverfolgung sowie im Gesundheitswesen noch besser zu verankern. Die „Fachtagung Bedrohungsmanagement – Gefährdung durch psychisch auffällige Personen“ vom 4. November 2021 sollte zur Information und Wissensvermittlung sowie zur Vernetzung unter Fachpersonen dienen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 225
Veröffentlichungsjahr: 2022
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Gefährdung durch psychisch auffällige Personen von Christian Schwarzenegger und Reinhard Brunner wird unter Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International lizenziert, sofern nichts anderes angegeben ist.
© 2022 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)
Herausgeber: Christian Schwarzenegger, Reinhard Brunner – Europa Institut an der Universität ZürichVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb:buchundnetz.comISBN:978-3-03805-519-8 (Print – Softcover)978-3-03805-520-4 (PDF)978-3-03805-521-1 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-519Version: 1.00 – 20220929
Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar:https://eizpublishing.ch/publikationen/gefaehrdung-durch-psychisch-auffaellige-personen/.
1
Der Umgang mit psychisch auffälligen Personen, die als Gefährder*innen eingestuft werden, ist eine grosse Herausforderung. Oft stehen bedrohliche Verhaltensweisen im Raum, die strafrechtlich kaum fassbar sind, aber dennoch begründet Anlass zu ernsthaften Befürchtungen für eine bevorstehende Gewalttat geben. Polizeiliche und strafprozessuale Massnahmen stossen rasch an ihre Grenzen. Fürsorgerische Unterbringungen sind nur für eine beschränkte Zeit möglich. Es fehlen heute ausreichende Instrumente mit dem notwendigen Therapieansatz. Um diese Versorgungslücken zu schliessen, ist das Bedrohungsmanagement in der gesamten Kette der Strafverfolgung sowie im Gesundheitswesen noch besser zu verankern. Vor diesem Hintergrund hat der Regierungsrat des Kantons Zürich die „Gefährdung durch psychisch auffällige Personen“ als Schwerpunktthema für die Legislaturperiode 2019 – 2022 festgelegt (RRB 184/2019). Durch die „Fachtagung Bedrohungsmanagement – Gefährdung durch psychisch auffällige Personen“ vom 4. November 2021 sollte zur Information und Wissensvermittlung sowie zur Vernetzung unter Fachpersonen dienen. Die Beiträge der Referent*innen bilden den vorliegenden Sammelband.
Hptm Reinhard Brunner, Chef der Präventionsabteilung der Kantonspolizei Zürich, beleuchtet in seinem Beitrag die Organisation und die wesentlichen Vorhaben zur Umsetzung der Zielvorgaben betreffend das Schwerpunktthema Gefährdung durch psychisch auffällige Personen.
MA Lorenz Biberstein, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, fasst in seinem Beitrag die wichtigsten neuen Erkenntnisse aus der Evaluation des Kantonalen Bedrohungsmanagements Zürich zusammen.
Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer, Direktor, Klinik für Forensische Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik PUK und Ladina Cavelti, MSc, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Klinik für Forensische Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, untersuchen mögliche Zusammenhänge zwischen psychischen Störungen und Gewalttaten, wobei sie besonderes Augenmerk auf ausgewählte Störungsbilder legen. Zudem stellen sie einige Risikomerkmale vor und erläutern, wie sich psychisch auffällige Personen mit hohem Gewaltrisiko von der durchschnittlichen Patientenpopulation unterscheiden.
Major Werner Schmid, Chef Regionalpolizei, Kantonspolizei Zürich, legt die Polizeiarbeit im Spannungsfeld von Krankheit und Kriminalität dar. Er beschreibt das Vorgehen der Polizei bei Interventionen, den Ablauf des Einsatzes und mögliche Optimierungsansätze.
Dr. med. Dipl. jur. Catharina Schmidt, Konsildienst der Fachstelle Forensic Assesment & Risk Management (FFA), Psychiatrische Universitätsklinik PUK, erläutert das Vorgehen bei Risikoeinschätzungen zur Vorhersage gewalttätigen Handelns von Menschen mit psychischen Störungsbildern im psychiatrischen Setting.
Adj Andreas Werner, Dienstchef Gewaltschutz, Kantonspolizei Zürich, beleuchtet in seinem Praxisbericht die Rolle des polizeilichen Bedrohungsmanagements aus der Sicht der Kantonspolizei und beschreibt das Vorgehen der Polizei in solchen Situationen anhand fiktiver Fälle.
Lic. iur. Corinne Kauf, Staatsanwältin, Staatsanwaltschaft I für Gewaltdelikte des Kantons Zürich, erläutert die Schwierigkeiten der Staatsanwaltschaften im Umgang mit der Ausführungsgefahr und erläutert diese Schwierigkeiten anhand eines Fallbeispiels.
Lic. iur. Ruedi Winet, dipl. Pflegefachmann Psychiatrie (HF), Präsident KESB Bezirk Pfäffikon ZH, legt die zivilrechtlichen Instrumentarien im Umgang mit psychisch auffälligen Personen, insbesondere Massnahmen des Kindes- und des Erwachsenenschutzes, dar.
Lic. phil. Daniel Treuthardt, Hauptabteilungsleiter, Bewährungs- und Vollzugsdienste, Justizvollzug und Wiedereingliederung, Kanton Zürich, zeigt in seinem Beitrag die aktuellen Entwicklungen in den Bewährungs- und Vollzugsdiensten des Kantons Zürich (BVD ZH) im Zusammenhang mit dem Management der Gefährdung durch psychisch auffällige Personen auf.
Für das gute Gelingen der Tagung und die Veröffentlichung dieses Bandes möchten wir herzlich danken: Luca Lehmann, MLaw, für die Fertigstellung des Tagungsbandes, sowie dem Europa Institut an der Universität Zürich, insbesondere Valeria Piritore, für die professionelle Tagungsorganisation und Sue Osterwalder und Petra Bitterli für die Gestaltung dieses Bandes.
Zürich, im September 2022 Christian Schwarzenegger/Reinhard Brunner
2
Gefährdung durch psychisch auffällige Personen – Schwerpunktthema des Regierungsrates des Kantons Zürich
Hptm Reinhard Brunner, Kantonspolizei Zürich
Psychische Störungen und Gewalt
Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer, Direktor, Klinik für Forensische Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik PUK, Zürich MSc Ladina Cavelti – wissenschaftliche Mitarbeiterin, Klinik für Forensische Psychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik PUK, Zürich
Evaluation Kantonales Bedrohungsmanagement Zürich
MA Lorenz Biberstein, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW, Zürich
Polizeiarbeit im Spannungsfeld von Krankheit / Kriminalität
Major Werner Schmid, Chef Regionalpolizei, Kantonspolizei Zürich
Risikoeinschätzungen in psychiatrischen Kliniken
Dr. med. Dipl.-Jur. Catharina Schmidt, Konsildienst der Fachstelle Forensic Assesment & Risk Management (FFA), Psychiatrische Universitätsklinik PUK, Zürich
Gefährdung durch psychisch auffällige Personen – Die Rolle des polizeilichen Bedrohungsmanagements aus Sicht der Kantonspolizei – Praxisbericht
Adj Andreas Werner, Dienstchef Gewaltschutz, Kantonspolizei Zürich
Gefährlich, aber keine Straftat – Aufgabe der Strafverfolgung?
lic. iur. Corinne Kauf, Staatsanwältin, Staatsanwaltschaft I für Gewaltdelikte des Kantons Zürich
Zivilrechtliche Instrumentarien im Umgang mit psychisch auffälligen Personen
lic. iur. Ruedi Winet, dipl. Pflegefachmann Psychiatrie (HF), Präsident KESB Bezirk Pfäffikon ZH, Illnau
Leistungen der Bewährungs- und Vollzugsdienste; aktuelle Entwicklungen
lic. phil. Daniel Treuthardt, Hauptabteilungsleiter, Bewährungs- und Vollzugsdienste, Justizvollzug und Wiedereingliederung, Kanton Zürich
Reinhard Brunner
Mit der Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes[1] per 1. Januar 2005 wurde dem Regierungsrat des Kantons Zürich die Möglichkeit eingeräumt, Schwerpunkte in der Strafverfolgung für die Staatsanwaltschaften und die Polizei festzulegen. Dies mit dem Ziel, einerseits die Zusammenarbeit der mit der Strafverfolgung befassten Behörden und wichtigsten Partnerorganisationen zu verbessern und andererseits die zur Verfügung stehenden Mittel für die Bekämpfung von Straftaten dort einzusetzen, wo es auf Grund der Kriminalitätsentwicklung und dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung am dringlichsten erscheint. Der Regierungsrat nimmt damit seine Verantwortung zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit wahr. Er schafft zudem für die Staatsanwaltschaften und die Polizei klare Rahmenbedingungen für deren operative Leistungserbringung.
Mit Beschluss vom 4. Oktober 2006 legte der Regierungsrat erstmals Schwerpunkte in der Strafverfolgung für die Staatsanwaltschaften und die Polizei für die Legislaturperiode 2006 bis 2009 fest. Die Verfolgung der Einbruchskriminalität, die Bekämpfung von Hooliganismus sowie schwerer Jugend- und Wirtschaftskriminalität wurden nach eingehenden Lagebeurteilungen als Erscheinungsformen der Kriminalität benannt, die über den üblichen Rahmen hinaus verstärkt bekämpft werden sollten.[2]
Vor dem Hintergrund, wonach sich die Strafverfolgungsbehörden immer wieder mit Bedrohungslagen und Gefährdungssituationen in verschiedensten Konstellationen konfrontiert sehen, die strafrechtlich oft (noch) kaum fassbar sind, aber dennoch Vorboten (Warnsignale) von schweren Gewalttaten sein können, erfuhr die Schwerpunktbildung eine Neuausrichtung. Nebst der Strafverfolgung misst der Regierungsrat heute auch der Prävention höchste Priorität bei. Insbesondere der nachhaltig in Erinnerung bleibende Doppelmord vom 15. August 2011 in Pfäffikon ZH, wobei ein Familienvater seine Ehefrau und die Leiterin des Sozialamtes tötete, wurde zum Schlüsselereignis für massgebliche Entwicklungsschritte und die Einführung eines umfassenden Bedrohungsmanagements im Kanton Zürich auf Anfang 2015.[3]
Die praktischen Erfahrungen im Verlauf der letzten Jahre beim Bedrohungsmanagement sind in einer grossen Vielfalt von Kontexten und Fallkonstellationen anzusiedeln. Markante Schwergewichte manifestieren sich jedoch vor allem in den Bereichen Gewalt gegen Frauen und Häusliche Gewalt sowie Gefährdung durch psychisch auffällige Personen. Aufgrund dieser Erkenntnisse legte der Regierungsrat u.a. diese Themen als Scherpunkte für die Legislaturperiode 2019 bis 2022 fest.[4]
Die weiteren Ausführungen in diesem Beitrag beleuchten verschiedene Aspekte sowie die Organisation und wesentlichen Vorhaben zur Umsetzung der Zielvorgaben betreffend das Schwerpunktthema Gefährdung durch psychisch auffällige Personen.
Anmerkung: In nachstehenden Ausführungen unter Ziff. II.1. wird bewusst die männliche Form der Schreibweise gewählt, da der zugrunde liegende Zeitungsartikel in dieser Form abgefasst ist. Selbstredend ist das weibliche Geschlecht in die Überlegungen eingeschlossen.
„Lasst uns über Gefährder sprechen“, so der Titel eines Gastkommentars[5] in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) von Monika Simmler und Nora Markwalder, Assistenz-Professorinnen für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität St. Gallen. Im Artikel wird die zunehmend präventiv orientierte Polizeiarbeit hervorgehoben und dabei die Verwischung der Grenzen von Polizei- und Strafrecht kritisch beleuchtet. Angesprochen wird die Vorverlagerung polizeilicher Massnahmen, wobei es nicht um die Aufklärung von Delikten, sondern um Deeskalation und die Unterbrechung von Gewaltspiralen mittels präventiver Interventionen geht. Gefährder sollen „auf den richtigen Pfad“ gebracht werden. Hochproblematisch wird beurteilt, dass heute für Grundrechtseingriffe durch die Polizei bereits die Annahme genügt, jemand könnte allenfalls eine Straftat begehen. Die Forderung einer rechtsstaatlich adäquaten Regelung für das Bedrohungsmanagement, namentlich gesetzliche Grundlagen zur heute fehlenden Rechtsstellung und sowie zu den Verfahrensrechten von Gefährdern wird proklamiert. Bemängelt wird, dass der Diskurs in diesem Kontext zu langsam geführt wird. Als Missstand wird bezeichnet, dass die Praxis schneller ist als das Recht.
Im Gastkommentar werden aus praktischer Sicht relevante Aspekte angesprochen, die zweifellos intensiv in einem politischen und rechtswissenschaftlichen Diskurs weiter bearbeitet werden müssen. Insgesamt erscheinen die Ausführungen jedoch etwas einseitig auf die Rechte von Gefährdern fokussiert. Der Anspruch auf Schutz von (potenziellen) Opfern wird gänzlich ausser Acht gelassen. Das Bedrohungsmanagement wird ferner als „isolierte“ Aufgabe der Polizei dargestellt, was in keiner Weise der Fall ist. Bedrohungsmanagement ist eine ausgesprochene Verbundaufgabe in der interdisziplinären Zusammenarbeit von Behörden und Institutionen. Im Regierungsratsbeschluss betreffend den Schwerpunkt Gefährdung durch psychisch auffällige Personen wird die noch bessere Verankerung des Bedrohungsmanagements in der gesamten Kette der Strafverfolgung unter Einbezug des Gesundheitswesens denn auch als Zielsetzung formuliert. Das Bundesgericht wies im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens in seinem Entscheid auch mit aller Deutlichkeit auf die Pflicht des Staates hin, präventiv Schutzmassnahmen zu ergreifen, wenn das Leben einer Person durch Dritte bedroht wird. Wenn die Behörden wissen oder wissen müssten, dass von kriminellen Handlungen eines Dritten reell oder unmittelbar eine derartige Gefahr ausgeht, sind sie verpflichtet, die in ihrer Macht stehenden geeigneten Massnahmen zu ergreifen.[6] Der Staatsanwaltschaft kommt eine grosse Verantwortung zu, hat sie doch aufgrund ihrer Funktion einen wesentlichen Einfluss darauf, dass der Staat seinen positiven Schutzpflichten nachkommt.[7]
Aus praktischer Sicht findet im Rahmen des Bedrohungsmanagements keine tatsächliche Verwischung der Grenzen von Polizei- und Strafrecht statt. Im Gegenteil: Auf diesem Aspekt liegt bei der Fallbearbeitung ein besonderes Augenmerk. Ergibt sich in einer Gefährdungssituation ein Verdacht für strafbares Verhalten, gelten für das weitere Verfahren ab diesem Moment klar die Bestimmungen der Strafprozessordnung[8]. Das Bedrohungsmanagement zielt darauf ab, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern, was natur- und auch wunschgemäss ein Näherrücken aller Beteiligten Stellen zur Folge hat. Dies bewirkt ein möglichst nahtloses Ineinandergreifen zielführender Massnahmen zum Schutz aller Betroffenen auf den jeweiligen Gesetzesgrundlagen, sei dies innerhalb oder ausserhalb eines Strafverfahrens. Diese angestrebte Wirkung darf nicht mit einer Verwischung von Grenzen rechtlicher Bestimmungen gleichgesetzt werden. Es geht darum, dass alle Behörden und Institutionen ihre Verantwortung wahrnehmen und alle zur Verfügung stehenden Mittel interdisziplinär abgestimmt und koordiniert einzusetzen, um schwere Gewalttaten zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Rechtslage im Verlauf der letzten Jahre auch deutlich in Richtung Prävention und opferzentriertes Handeln verändert. So wurde bspw. 1993 das Opferhilfegesetz[9] in Kraft gesetzt. Seit 2004 wird Gewalt in der Ehe und in der Partnerschaft von Amtes wegen verfolgt (bestimmte Straftatbestände wurden Offizialdelikte).[10] Im Kanton Zürich wurde 2007 das Gewaltschutzgesetz[11] eingeführt, das die Polizei ermächtigt, bei Häuslicher Gewalt sofort Schutzmassnahmen anzuordnen. Mit der Revision der Strafprozessordnung fanden Anfang 2011 spezifische Informations- und Schutzrechte für Opfer[12] Verankerung. Schweizweit wurden und werden im Zusammenhang mit der Einführung von Bedrohungsmanagement-Strukturen die kantonalen Polizeigesetze hinsichtlich der präventiv-polizeilichen Gefahrenabwehr angepasst.
Die Gesellschaft erwartet vor diesem Hintergrund auch verstärkt ein rigoroses Vorgehen gegen Täter von schweren Gewalt- und Sexualverbrechen. Eine Null-Risiko-Strategie, welche die Verhinderung solcher Straftaten miteinschliesst, geht einher. Das Handeln der Behörden im Vorfeld einer Gewalttat gerät regelmässig in den Fokus der öffentlichen Beobachtung und Kritik. Offene Fragen wie bspw. War der Täter den Behörden vor der Tat bereits bekannt? Was haben die Behörden zum Schutz des Opfers unternommen? Weshalb war der aktenkundige Täter auf freiem Fuss? etc. werden medial diskutiert und Antworten gefordert.
Die Behörden, allen voran die Polizei und Staatsanwaltschaften, sehen sich einem hohen, aber auch legitimen Erwartungsdruck ausgesetzt. Eskalationspotenzial soll erkannt und entschärft, bedrohliches Verhalten eingegrenzt werden. Schutz für (potenzielle) Opfer sowie Hilfs- und Unterstützungsangebote sollen bereitstehen. Erkenntnisse aus Studien belegen deutlich, dass für Betroffene die Herbeiführung von Lösungen und nicht die Bestrafung des Täters im Vordergrund steht. Diesen Ansatz gilt es denn auch, durch die Behörden bei ihrem Handeln mit zu berücksichtigen.
Ein Sachverhalt aus dem Polizeialltag:
Eine verängstigte Frau erscheint bei der Polizei. Sie gibt an, dass ihr getrennt lebender Ehemann an paranoider Schizophrenie leide, sich aber nicht behandeln lasse. Aktuell laufe ein Eheschutzverfahren. Ihr Ehemann kämpfe verbissen und teilweise mit erheblichen Einschüchterungen durch Auflauern (Stalking) oder nicht angebrachten SMS und Emails für das Sorgerecht der gemeinsamen Kinder. Ihr Ehemann bedrohe sie nicht konkret; er mache ihr jedoch mit diffusen Andeutungen Angst. Es sei noch nichts passiert; sie befürchte aber, dass er ihr irgendwann etwas antun könnte.
Vor nicht allzu langer Zeit – einige Jahre – wäre die verängstigte Frau mit dem Hinweis, dass noch nichts passiert sei und deshalb die Polizei nicht handeln dürfe, an andere Stellen verwiesen worden, um Beratung oder Hilfe zu erhalten. Heute kaum mehr nachvollziehbar und schlicht undenkbar, dass die Polizei sich solcher Situationen nicht annimmt. Ausgehend von den gesellschaftspolitischen Veränderungen hat sich – wie bereits zuvor erwähnt – auch die Rechtslage hinsichtlich der präventiv-polizeilichen Aufgaben massgeblich verändert.
Exemplarisch zeigt sich dies anhand der Anpassung des Polizeigesetzes[13] im Kanton Zürich per 1. März 2013.
Vormaliger Gesetzestext:
4. Die Polizei stellt Straftaten fest und wirkt bei ihrer Aufklärung mit.
Die Formulierung dieses Paragraphen setzte für das polizeiliche Handeln voraus, dass eine strafbare Handlung begangen worden war. Ein präventiv-polizeiliches Agieren war nicht vorgesehen.
Aktueller Gesetzestext:
4. 1Ausgehend von Hinweisen oder eigenen Wahrnehmungen, tätigt die Polizei Vorermittlungen, um festzustellen, ob
1. strafbare Handlungen zu verhindern oder
2. strafbare Handlungen aufzuklären sind.
2Die Tätigkeit der Polizei im Rahmen der polizeilichen Vorermittlung richtet sich nach diesem Gesetz.
3Die Polizei wirkt bei der Aufklärung von Straftaten im Vorverfahren gemäss Art. 299ff. Strafprozessordnung mit und erfüllt dazu die Aufgaben gemäss StPO.
Dieser neue Gesetzestext beschreibt einen zusätzlichen und verbindlichen Kernprozess in der polizeilichen Aufgabenerfüllung, namentlich die Vorermittlung im Sinne der präventiv-polizeilichen Gefahrenabwehr (Prävention). Die Polizei hat (proaktiv) etwas zu unternehmen, um strafbare Handlungen zu verhindern. Der zuvor geschilderte Sachverhalt ist ein treffendes Beispiel dafür, dass die Polizei heute handeln muss, wenn Hinweise für eine bevorstehende Gewalttat im Raum stehen. Es gilt, die Tatausführung zu verhindern. Und dies unter Beachtung der klaren Abgrenzung zwischen Polizei- und Strafrecht. Sobald strafbares Verhalten erkennbar ist (auch bei Verdacht), richtet sich die weitere Aufgabenerfüllung nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung. Die Gefährderin oder der Gefährder wird zur beschuldigten Person (vgl. Ziff. 4.).
Die präventiv-polizeiliche Gefahrenabwehr zielt darauf ab, eine (Erst‑)Tatausführung zu verhindern. Gelingt dies nicht, was insbesondere im Kontext von Häuslicher Gewalt leider oft der Fall ist, soll mit geeigneten Massnahmen ein Rückfall abgewendet werden. Die entsprechenden Vorermittlungen lehnen sich an die strafprozessualen (präventiven) Haftgründe der Wiederholungs-[14] und Ausführungsgefahr[15]. Wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass eine Person durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Wiederholungsgefahr) oder wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen (Ausführungsgefahr), hat die Zuführung an die Staatsanwaltschaft zur Prüfung der Inhaftierung zu erfolgen.
Die kriminalistische Klärung des Sachverhalts in einer Gefährdungssituation ist für die Beurteilung des Risikos (Wiederholungs-/Ausführungsgefahr) und die anschliessende Massnahmenplanung von zentraler Bedeutung. Ein hilfreiches Instrument dazu sind die sogenannten 7-W-Fragen. Die Aspekte, die Anlass zu ernsthaften Befürchtungen geben (Risiko-/Schutzfaktoren)[16], sind zu beschreiben. Es ist zu benennen, wovon ausgegangen wird, was höchstwahrscheinlich passieren könnte und was der „Worst Case“ wäre (Zieldelikt; Eintrittswahrscheinlichkeit). Gestützt auf diese Analyse kann eine fundierte Einschätzung und Bewertung des Risikos erfolgen, um in der Folge unter Wahrung des verfassungsrechtlichen Verhältnismässigkeitsgrundsatzes[17] mit geeigneten Massnahmen die Entschärfung der Situation herbeizuführen.
Abbildung 1: Prozess Bedrohungsmanagement; Risikobeurteilung und Massnahmenplanung (R. Brunner, KAPO ZH)Wie schon ausgeführt, ist in vielen Fällen das Verhalten einer Gefährderin oder eines Gefährders strafrechtlich (noch) nicht fassbar, aber dennoch besorgniserregend. Die Polizei erhält oftmals als erste Behörde Kenntnis von Gefährdungssituationen (Hinweise Dritter, eigene Wahrnehmungen). Ihr kommt deshalb und auch gestützt auf ihren gesetzlichen Auftrag beim Bedrohungsmanagement die Funktion eines „Motors” zu. Die Vernetzung mit andern Stellen wie bspw. Beratungsstellen, Sozialdienste, Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB), Einrichtungen im Gesundheitswesen etc. sind dabei von zentraler Bedeutung. Dies vor allem dann, wenn die Gefährdung von einer psychisch auffälligen Person ausgeht und interdisziplinär koordinierte Massnahmen bzw. Hilfestellungen in mehreren Bereichen notwendig sind. Im Interesse der betroffenen Person ergibt sich die Pflicht zur Koordination zwischen den Behörden direkt aus dem bereits oben erwähnten verfassungsrechtlichen Verhältnismassigkeitsgrundsatz. Es muss vermieden werden, dass durch widersprüchliche Anordnungen allenfalls widersprüchliche Massnahmen verfügt werden, die im schlimmsten Fall zur gegenseitigen „Neutralisierung” führen. Zudem hat die Koordinationspflicht die Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte[18] zum Nachteil von (potenziellen) Opfern zum Ziel.[19]
Für die Fallbearbeitung ist wesentlich, sich stets darüber im Klaren zu sein, wer in welcher Funktion oder Rolle und mit welchem Status involviert ist. Wie im eingangs erwähnten Gastkommentar beschrieben, gehen damit Rechtsstellungen und Verfahrensrechte einher, was wegweisend für die Einleitung von zivil- und polizeirechtlichen sowie strafprozessualen Massnahmen im Rahmen des Bedrohungsmanagements ist.
Zum heutigen Zeitpunkt sind die nachfolgenden drei Kategorien von „Tatpersonen“ beim Bedrohungsmanagement von Bedeutung:
Gefährderin/Gefährderterroristische Gefährderin/terroristischer Gefährderbeschuldigte PersonMit der Inkraftsetzung des Bundesgesetzes über Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT)[20] per 1. Juni 2022 stehen der Polizei weitergehende Massnahmen zur Verfügung, mit welchen eine bislang noch bestehende Lücke geschlossen wird. Für die Anordnung sogenannter PMT-Massnahmen muss die betroffene Person per Definition als terroristische Gefährderin oder terroristischer Gefährder eingestuft worden sein. Auch in diesem Kontext gehen Gefährdungen oftmals von psychisch auffälligen Personen aus.
Eine schweizweit einheitliche Definition eines umfassenden Begriffs für die Gefährderin bzw. den Gefährder existiert nicht. In kantonalen Polizeigesetzen oder Dienstanweisungen finden sich unterschiedliche Formulierungen. Teilweise wird in den Erlassen bewusst auf den Begriff Gefährderin/Gefährder verzichtet. Bei allen Umschreibungen steht jedoch übereinstimmend das Verhalten, das Anlass zur Sorge gibt, im Zentrum. Die Fallbearbeitungen mit Gefährderinnen und Gefährdern finden ausserhalb bzw. allenfalls vorgelagert von Strafverfahren statt, was naturgemäss Unsicherheiten bezüglich des Informationsaustauschs unter den beteiligten Stellen auslösen kann (vgl. Ziff. 8).
Die Kantonspolizei Zürich hat als Hilfestellung für die Aufgabenerfüllung den Begriff Gefährderin/Gefährder wie folgt definiert:
Als Gefährder/in gilt eine Personen, die durch ihr Verhalten und/oder ihre Äusserungen (Warnsignale) begründet Anlass zu ernsthaften Befürchtungen gibt, dass sie in absehbarer Zeit eine Gewalttat gegen die physische, psychische und/oder sexuelle Integrität zum Nachteil von Dritten begehen könnte und diese dadurch in ihrer Handlungsfreiheit beeinträchtigt (Gefährdungssituation).
Mit dem neuen Bundesgesetz PMT wurden verschiedene Gesetze angepasst. Die Definition der terroristischen Gefährderin/des terroristischen Gefährders sowie die vorgesehenen Massnahmen finden sich im Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit[21].
Die Definition gemäss Art. 23e nBWIS lautet wie folgt:
1Als terroristische Gefährderin oder terroristischer Gefährder gilt eine Person, wenn aufgrund konkreter und aktueller Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muss, dass sie oder er eine terroristische Aktivität ausüben wird.
2Als terroristische Aktivität gelten Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen.
Die Rechte und Pflichten der beschuldigten Person sind in der Strafprozessordnung verankert. Diese klaren Regelungen sind landläufig bekannt. In der Praxis zeichnen sich wenige Schwierigkeiten bei der Aufgabenerfüllung im interdisziplinären Setting ab.
Die Definition wird in Art. 111 Abs. 1 StPO wie folgt umschrieben:
1Als beschuldigte Person gilt die Person, die in einer Strafanzeige, einem Strafantrag oder von einer Strafbehörde in einer Verfahrenshandlung einer Straftat verdächtigt, beschuldigt oder angeklagt wird.
Die Frontpolizei sieht sich vermehrt mit Meldungen über renitentes, bedrohliches Verhalten von Personen mit offensichtlich psychischen Auffälligkeiten konfrontiert, die ein Ausrücken vor Ort erfordern. Solche Interventionen stellen regelmässig eine grosse Herausforderung dar, da sich der Polizeieinsatz im Spannungsfeld von Krankheit und Kriminalität abspielt. Oft sind solche Situationen auch unberechenbar. Sie drohen weiter zu eskalieren und sind deshalb für die Einsatzkräfte gefährlich. In vielen Fällen sind der Beizug eines Notfallpsychiaters und die Anordnung einer Fürsorgerischen Unterbringung[22] notwendig, um eine weitere Gefährdung infolge einer psychischen Störung, geistigen Behinderung oder Verwahrlosung zu verhindern.
Im Verlauf der letzten Jahre haben die Ausrückfälle in diesem Kontext auf dem ganzen Gebiet des Kantons Zürich markant zugenommen. Die Ursachen sind vielschichtig und komplex. Sie dürften mitunter in unserer schnelllebigen Gesellschaftsform, der immensen Informationsflut und dem hohen gesellschaftlichen Erwartungsdruck gründen. Weitere Aspekte wie unterschiedliche Wertevorstellungen, Religion, kulturelle Hintergründe und Traditionen können das Zurechtfinden in der Komplexität der Einflüsse beeinträchtigen und Auslöser für psychische Störungen sein. Grosses Konflikt- und Gewaltpotenzial geht vielfach einher.
Im Verlauf des Jahres 2020 rückte die Frontpolizei täglich rund 14 Mal wegen Meldungen im Kontext von psychischen Auffälligkeiten aus. Für 2021 ist von einer gleichbleibenden Anzahl auszugehen.
Abbildung 2: Ausrückfälle im Kanton Zürich im Kontext von psychischen Auffälligkeiten (Einsatzstichworte FU, Psyche)Die Anzahl eröffneter Gewaltschutzfälle bei der Kantonspolizei Zürich vermag auf den ersten Blick im Vergleich zur Anzahl der Interventionen auf obiger Grafik als gering erscheinen. Dieser Umstand widerspiegelt jedoch, dass die Prüfung, ob eine Person als Gefährderin oder Gefährder gemäss vorgenannter Definition eingestuft wird, äusserst minuziös durchgeführt wird. Eine Falleröffnung im Rahmen des Bedrohungsmanagements erfolgt nur dann, wenn die Kriterien a) „begründeter Anlass“ und b) „ernsthafte Befürchtungen“ nach sorgfältiger Einschätzung erfüllt sind.
Bei Betrachtung der Anzahl eröffneter Gewaltschutzfälle ist der Anteil von Fallkonstellationen mit psychisch auffälligen Personen hingegen mit einem Drittel bis gegen die Hälfte hoch. Die Fallbearbeitungen erfordern die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit verschiedenen Stellen. Sie sind herausfordernd, aufwändig und meist von langer Dauer.
Abbildung 3: Entwicklung Fallzahlen Fachdienst Gewaltschutz der Kantonspolizei ZürichDer eingangs erwähnte Doppelmord in Pfäffikon ZH (2011) hatte eine grosse Veränderung in der Schwerpunktbildung auf politischer Ebene zur Folge. Themen der (Gewalt)Prävention haben seither hohe Priorität über die Legislaturperioden hinweg. Nachstehend werden die Schwerpunktthemen in diesem Kontext im Überblick kurz beleuchtet.
Aufgrund des schwerwiegenden Ereignisses in Pfäffikon ZH legte der Regierungsrat das Thema Gewaltschutz und Gewaltbekämpfung als einen Schwerpunkt für die Dauer von 2012 bis 2015 fest.[23] Die Zielvorgaben umfassten im Wesentlichen die Sensibilisierung der Bevölkerung sowie von Mitgliedern von Behörden und Institutionen für Anzeigen über mögliche Anzeichen bevorstehender Gewaltdelikte. Ferner ging es darum die behörden- und fachstellenübergreifende Zusammenarbeit für ein Gefahren-(Bedrohungs‑)management zu überprüfen, zu fördern und zu institutionalisieren. Die Schaffung eines Fachgremiums für Gefährlichkeitsbeurteilungen sowie die Einbindung der Staatsanwaltschaft für strafprozessuale Zwangsmassnahmen als Ergänzung zur polizeilichen Gefahrenabwehr wurden gefordert.
Die Verantwortung zur Umsetzung dieses Schwerpunktes wurde der Kantonspolizei Zürich übertragen. Als grosse Errungenschaft aus diesem Schwerpunkt darf die Einführung des umfassenden Kantonalen Bedrohungsmanagements (KBM) auf Anfang 2015 bezeichnet werden.
Mit der Einführung des Kantonalen Bedrohungsmanagements war die Arbeit nicht getan. Die Umsetzung des Bedrohungsmanagements im Verbund der Behörden und Institutionen erforderte weitere Schritte. Der Regierungsrat legte deshalb das Thema Gewaltprävention als einen Folgeschwerpunkt für die Dauer von 2015 bis 2018 fest.[24]
Die im Rahmen eines Pilotbetriebs aufgebaute Fachstelle Forensic Assessment und Risk Management (FFA)[25] sollte im Regelbetrieb weitergeführt werden. Die Institutionalisierung des interdisziplinären Dialogs sowie die Schaffung geeigneter Informations-Plattformen für den Wissenstransfer und die Ausbildung von Behördenmitgliedern standen im Zentrum der Zielvorgaben. Die Entwicklung neuer Instrumente z.B. bei strafprozessualen Ersatzmassnahmen oder Präventionskonzepte im Umgang mit psychisch auffälligen Personen waren ebenso gefordert.
Die Projektleitung in diesem Schwerpunkt wurde wiederum der Kantonspolizei Zürich übertragen. Mit der Aufschaltung der Website www.kbm.zh.ch im November 2016 konnte eine gewinnbringende Plattform für alle Ansprechpersonen bei Behörden und Institutionen (KBM-Netzwerk) bereitgestellt werden. Die Ansprechpersonen verfügen über User-Accounts, womit sie auf Hilfsmittel und Unterlagen zugreifen können. Der regelmässige Versand eines KBM-Newletter gewährleistet den Informationsaustausch innerhalb des Netzwerks. Die Website informiert zudem die Öffentlichkeit über die Organisation und Strukturen des Bedrohungsmanagements und bietet gleichzeitig einen einfachen und niederschwelligen Zugang zu den Fachstellen von Polizei- sowie Opferhilfe- und Beratungsstellen.
Mit verschiedenen Aus- und Weiterbildungen konnte das gemeinsame Verständnis zum Bedrohungsmanagement und die interdisziplinäre Zusammenarbeit massgeblich verbessert werden. Mit der Erstellung des „Zürcher Leitfadens Ersatzmassnahmen“[26] wurde ein wertvolles Hilfsmittel für die Staatsanwaltschaften und Zwangsmassnahmengerichte geschaffen. Die Anordnung von massgeschneiderten Ersatzmassnahmen[27] unter Einbezug des Dienstes Gewaltschutz hat sich mittlerweile als nicht mehr wegzudenkende, griffige Massnahme des Bedrohungsmanagements – auch im Umgang mit psychisch auffälligen Personen – etabliert.
Im Verlauf oben erwähnter Legislaturperioden haben sich die Gefährdung durch psychisch auffällige Personen und die Gewalt gegen Frauen als kritische Themenbereiche hinsichtlich schwerer Gewalteskalationen deutlich herauskristallisiert. In vielen Fällen von vollendeten Tötungsdelikten handelt es sich um Femizide[28]. Bei den Tätern von schweren Gewaltdelikten werden zudem häufig psychische Auffälligen bzw. Erkrankungen diagnostiziert. Der Regierungsrat hat deshalb die beiden Themen als Schwerpunkte für aktuelle Legislaturperiode (2019 bis 2022) festgelegt.[29]
Die Projektleitung zur gemeinsamen Umsetzung beider Schwerpunktthemen wurde der Oberstaatsanwaltschaft und der Kantonspolizei Zürich übertragen.
Massgebliche Zielvorgaben beim Schwerpunktthema Gewalt gegen Frauen sind die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und potenzieller Opfer sowie die Verbesserung der Übersicht und des Zugangs zu Unterstützungs- und Hilfsangeboten. Diesbezüglich wurde die Kampagne www.stopp-gewalt-gegen-frauen.ch lanciert und die gleichnamige Website als Kernstück im Sommer 2020 aufgeschaltet. Die Aus- und Weiterbildung der Fachpersonen ist fortzusetzen. Die Umsetzung der in der sogenannten Istanbul-Konvention[30] geforderten Massnahmen ist zudem ein zentraler Bestandteil der Zielvorgaben. Diesbezüglich legte der Regierungsrat in einem separaten Beschluss fest, in welchen Bereichen prioritär Optimierungsmassnahmen einzuleiten sind.[31] Alle Umsetzungsvorhaben sind derzeit in Teilprojekten in Bearbeitung.
Details zum Schwerpunkt Gefährdung durch psychisch auffällige Personen folgen in den anschliessenden Ausführungen.
Der Regierungsrat legte in seinem Beschluss zum vorliegenden Schwerpunkt im Wesentlichen fest, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit unter den Behörden und Institutionen im Verbund des Kantonalen Bedrohungsmanagements auf deren Erfahrungen im Umgang mit psychisch auffälligen Personen zu überprüfen und zu vertiefen ist. Ein besonderes Augenmerk gilt den erkannten Versorgungslücken im Umgang mit Gefährderinnen und Gefährdern im justiziellen Verfahren, namentlich den Anschlusslösungen und Instrumenten mit Therapieansatz nach Inhaftierungen. Das Bedrohungsmanagement soll in der gesamten Kette der Strafverfolgung und im Gesundheitswesen eine noch bessere Verankerung finden. Prüfenswert erscheint auch eine organisatorische Anpassung bei der Staatsanwaltschaft. Das Bedürfnis zur Erweiterung von Unterbringungsmöglichkeiten in gesicherten Einrichtungen ist sodann aufzunehmen und die rechtlichen Möglichkeiten im Umgang mit psychisch auffälligen Personen zu prüfen und nötigenfalls Anpassungen der Gesetzgebung anzustossen.
Zur Erreichung der breitgefächerten Zielvorgaben bedarf es einer Vielzahl von Optimierungsvorhaben, was wiederum eine praxistaugliche Projektorganisation unter Einbezug der relevanten Partnerorganisationen erfordert.
Die Erfahrungen im Verlauf der bisherigen Schwerpunkt-Umsetzungen im Kontext des Bedrohungsmanagement haben gezeigt, dass sich eine (übergeordnete) Projektorganisation[32] gemäss nachstehender Abbildung gut eignet.
Abbildung 4: Projektorganisation zur Umsetzung des Schwerpunktes Gefährdung durch psychisch auffällige Personen