Gefährliche Überraschung - Carol Higgins Clark - E-Book
SONDERANGEBOT

Gefährliche Überraschung E-Book

Carol Higgins Clark

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Privatdetektivin Regan Reilly sieht sich einem Albtraum gegenüber – ihr Vater wurde entführt und wird nur durch eine Ablöse von einer Million Dollar freigelassen. Damit hat sich die romantisch besinnliche Vorweihnachtszeit für Reilly erledigt – eine fieberhafte Suche beginnt, bei der es für sie um viel mehr als ihren Job geht – nämlich um ihre Familie. 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Drei Tage vor Weihnachten sucht Regan Reilly in einer Zahnarztpraxis in New Jersey nach ihrem viel beschäftigten Vater, der einen Routinetermin hat. Aber Luke Reilly taucht nicht auf, was höchst ungewöhnlich für ihn ist. Dann erreicht Regan ein Anruf auf ihrem Handy: Ihr Vater und sein Fahrer sind entführt worden und sollen nur gegen ein Lösegeld von einer Million Dollar wieder freigelassen werden. Während Regan und die Hobbydetektivin Alvirah Meehan alles daran setzen, um die Bedingungen der Entführer zu erfüllen, wird die Lage für Luke und seinen Fahrer immer beängstigender, denn das marode Hausboot, auf dem sie festgehalten werden, droht in dem nahenden Sturm unterzugehen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt …

Die Autorinnen

Mary Higgins Clark gehört zu den meistgelesenen Autorinnen von Spannungsliteratur. Sie hat über zwei Dutzend Romane geschrieben, die allesamt weltweit ganz oben auf den Bestsellerlisten standen und für die sie zahlreiche Auszeichnungen erhielt, u. a. den begehrten EDGAR AWARD. Sie lebt mit ihrem Ehemann in Saddle River, New Jersey.

Ihre Tochter Carol Higgins Clark ist die Autorin der erfolgreichen Serie um die Detektivin Regan Reilly. Sie lebt in New York City.

Von Carol Higgins Clarksind in unserem Hause bereits erschienen:

Alptraum in WeißGefährliche FlitterwochenGetäuschtKlassenfoto mit MörderMord und SeideTödliche Diamanten

Von Mary und Carol Higgins Clarkist in unserem Hause bereits erschienen:

Er sieht dich, wenn du schläfst

Mary & Carol Higgins Clark

Gefährliche Überraschung

Roman

Aus dem Englischenvon Hedda Pänke

Ullstein

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Neuausgabe bei Refinery Refinery ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 1. Auflage Dezember 2016

© für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2004

© 2003 für die deutsche Ausgabe byUllstein Heyne List GmbH & Co. KG, München/Ullstein Verlag

© 2000 by Mary Higgins Clark und Carol Higgins Clark

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Deck The Halls

(Simon & Schuster, New York)

Umschlaggestaltung: ZERO Media GmbH, München

Titelabbildung: © FinePic®

E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96048-063-1

Im Geist dieses gemeinsamen Unterfangens widmen wir einander dieses Buch – gegenseitig und mit Liebe.

Mary und Carol

Donnerstag, 22. Dezember

Seufzend sah Regan Reilly ihre Mutter Nora in ihrem Bett im Krankenhaus für Spezielle Chirurgie von Manhattan an. »Und ich hab dir diesen dämlichen Teppich auch noch gekauft«, sagte sie kleinlaut.

»Du hast ihn gekauft, aber ich bin darüber gestolpert«, wandte die bekannte Krimiautorin ein. »Es ist nicht deine Schuld, dass ich ausgerechnet diese idiotischen Schuhe mit den Bleistiftabsätzen anziehen musste.«

Nora versuchte ihren Körper in eine bequemere Lage zu bringen, woran sie allerdings der Gips hinderte, der ihr von den Zehen bis zur Hüfte reichte.

»Ich überlasse euch beide der abschließenden Bewertung, wer für den Beinbruch verantwortlich ist.« Luke Reilly, Inhaber von drei Bestattungsunternehmen, Ehemann und Vater, hob seinen hoch gewachsenen, hageren Körper vom Besuchersessel. »Ich muss dringend zu einer Bestattung, danach zum Zahnarzt, und da sich unsere Weihnachtspläne geändert haben, sollte ich besser einen Baum besorgen.«

Er beugte sich über seine Frau, um sie zu küssen. »Versuch es positiv zu sehen. Du wirst nun zwar nicht auf den Pazifik blicken können, aber die Aussicht auf den East River ist auch nicht schlecht.« Er, Nora und ihre einzige Tochter, die einunddreißigjährige Regan, hatten die Weihnachtsfeiertage eigentlich auf Maui verbringen wollen.

»Dass ich nicht lache«, maulte Nora. »Wetten, dass du mit einer windschiefen Krücke von Baum nach Hause kommst?«

»Das ist aber nicht sehr nett«, beschwerte sich Luke.

»Nein, aber es stimmt«, beendete Nora das Thema. »Du siehst erschöpft aus, Luke. Wie wäre es, wenn du Goodloes Bestattung Austin überlässt? Er kann sich doch um alles kümmern.«

Austin Grady war Lukes rechte Hand bei der Führung des florierenden Bestattungsunternehmens. Im Laufe der Jahre hatte er Hunderte von Trauerfeiern durchgeführt, aber die heutige war ein bisschen heikel. Der dahingeschiedene Cuthbert Boniface Goodloe hatte den Löwenanteil seines Vermögens dem Blumen-und-Blüten-Verein von New Jersey hinterlassen. Sein Neffe und Fast-Namensvetter Cuthbert Boniface Dingle, bekannt als C. B., war über sein mageres Erbe offensichtlich verbittert. Nach der Verabschiedung von dem teuren Verblichenen gestern Nachmittag war C. B. klammheimlich zum Sarg zurückgekehrt, wo ihn Luke dabei ertappte, wie er vergammelte Blätter und Stiele von Zimmerpflanzen in die Ärmel des Nadelstreifenanzugs schob, den der anspruchsvolle Goodloe als seine letzte Hülle gewählt hatte.

»Du liebst also Pflanzen?«, hörte Luke C. B. flüstern. »Hier hast du dein Grünzeug, du vertrottelter, alter Heuchler. Atme den Duft gut ein! Genieße ihn bis zum Jüngsten Tag!«

Unbemerkt von C. B., der weiterhin vor der Leiche seines Onkels wütete, hatte sich Luke wieder entfernt. Es geschah nicht zum ersten Mal, dass Trauernde Verstorbenen ihre Meinung sagten, aber erstmals unter der Benutzung von faulenden Pflanzen. Später hatte Luke das Grünzeug diskret wieder entfernt. Heute wollte er C. B. ganz genau im Auge behalten. Abgesehen davon, hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, mit Austin über den Zwischenfall zu sprechen.

Luke fragte sich, ob er Nora vom grotesken Verhalten des Neffen erzählen sollte, entschied sich aber dagegen. »Goodloe hat seine Trauerfeier drei Jahre lang auf das Genaueste vorbereitet«, sagte er stattdessen. »Wenn ich mich nicht zeige, wird er mich in meinen Träumen heimsuchen.«

»Wenn das so ist, musst du natürlich dabei sein.« Noras Stimme klang schläfrig, sie schien kaum noch die Augen offen halten zu können. »Soll Dad dich nicht im Apartment absetzen, Regan? Die letzten Schmerztabletten, die sie mir gegeben haben, scheinen Schlafpillen gewesen zu sein.«

»Ich würde lieber bleiben, bis deine Privatschwester hier ist«, entgegnete Regan. »Ich möchte mich überzeugen, dass gut für dich gesorgt wird.«

»Na gut. Aber dann fährst du in die Wohnung und machst dich lang. Ich weiß doch, dass du im Flugzeug keine Sekunde schlafen kannst.«

Regan, die als Privatdetektivin in Los Angeles lebte, hatte gerade ihre Sachen für den Flug nach Hawaii gepackt, als sie der Anruf ihres Vaters erreichte.

»Deiner Mutter geht es gut«, begann er. »Aber sie hatte einen Unfall. Sie hat sich das Bein gebrochen.«

»Sie hat sich das Bein gebrochen?«, wiederholte Regan fassungslos.

»Ja. Wir wollten zu einem Schickimicki-Treffen im Plaza. Sie war schon ein bisschen spät dran, und ich ließ schon mal den Fahrstuhl kommen …«

Dad und seine unsensiblen Taktiken, Mom zur Eile anzutreiben, dachte Regan.

»Der Lift kam, aber nicht deine Mutter. Ich ging ins Apartment zurück und fand sie mit sonderbar verdrehtem Bein auf dem Boden liegend vor. Aber du kennst ja deine Mutter. Als Erstes wollte sie wissen, ob sie sich das Kleid zerrissen hat.«

Typisch Mom, dachte Regan lächelnd.

»Sie war die bestgekleidete Notfall-Patientin in der gesamten Geschichte des Krankenhauses«, kommentierte Luke.

Regan nahm die leichten Sachen aus dem Koffer und ersetzte sie durch Winterkleidung, die für die Ostküste besser geeignet war. Buchstäblich außer Atem, schaffte sie den letzten Flug von Los Angeles nach New York City und machte auf ihrem Weg zum Krankenhaus einen kurzen Stopp in der Wohnung ihrer Eltern am Central Park South, um ihr Gepäck abzustellen.

An der Tür des Krankenzimmers drehte sich Luke noch einmal um und lächelte die beiden Frauen an, die sich mit ihren blauen Augen und dem hellen Teint ungemein ähnlich sahen, aber andererseits sehr verschieden waren. Regan hatte das rabenschwarze Haar der irischen Reillys, ein Erbteil der Spanier, die sich nach dem Sieg der Briten über die Armada in Irland niedergelassen hatten. Nora war blond und mit einssiebenundfünfzig zehn Zentimeter kleiner als ihre Tochter. Mit einsfünfundachtzig überragte Luke beide. Sein ehemals schwarzes Haar war inzwischen silbergrau.

»Gegen sieben treffen wir uns hier wieder, Regan«, sagte er. »Nachdem wir deine Mutter ein bisschen aufgemuntert haben, gehen wir irgendwo gut essen.«

Er grinste über Noras Gesichtsausdruck. »Du schwelgst geradezu in Mordlust, Schatz. Das betonen deine Rezensenten immer wieder.« Er winkte ihnen zu. »Bis heute Abend, Mädels.«

Das war ein Versprechen, an dessen Einhaltung Luke gehindert werden sollte.

Im Apartment 16B am Central Park South Nummer 211 wurden die Räume für Weihnachten festlich geschmückt. »Deck the halls with boughs of holly«, sang Alvirah Meehan nicht ganz tongetreu, als sie einen kleinen Kranz um das Foto wand, das Willy und sie bei der Entgegennahme des Lotteriegewinns von vierzig Millionen Dollar zeigte, der ihr Leben für immer verändert hatte.

Das Foto erinnerte sie lebhaft an den sagenhaften Abend vor drei Jahren, an dem sie in ihrem winzigen Wohnzimmer in Flushing, Queens, saß, während Willy in seinem alten Clubsessel döste. Nach einem Tag harter Arbeit in Mrs. O’Keefes Haus hatte Alvirah ihre Füße gerade in einen Eimer mit warmem Wasser gesteckt, als Willy ähnlich fix und fertig nach Hause kam. Er hatte einen Rohrbruch in der Reinigung ein paar Häuser weiter repariert, nachdem sich rostbraunes Wasser über die frisch gereinigten Kleidungsstücke ergossen hatte. Und dann wurden im Fernsehen die Gewinnzahlen der Lotterie verlesen.

Ich sehe total verändert aus, dachte Alvirah und betrachtete das Foto kopfschüttelnd. Ihre Haare, die sie sich jahrelang im Waschbecken des Badezimmers kupferrot gefärbt hatte, zeigten – dank Madame Judith – nun ein warmes Tizianrot, dezent aufgehellt durch goldene Strähnchen. Die lilafarbenen Polyester-Hosenanzüge waren längst von ihrer eleganten Freundin Baroness Min von Schreiber verbannt worden. Geblieben war natürlich ihr leicht vorstehender Unterkiefer, so hatte Gott sie nun einmal geschaffen, aber es war ihr gelungen, sich von einer Sechsundvierzig auf eine Vierzig herunterzuhungern. Keine Frage: Sie sah zehn Jahre jünger und tausendmal besser aus als früher.

Damals war ich sechzig und wirkte wie knapp siebzig. Jetzt bin ich dreiundsechzig und sehe keinen Tag älter aus als neunundfünfzig, sagte sie sich höchst zufrieden. Willy hat allerdings auch damals schon proper und gut ausgesehen, fast elegant in seinem blauen Anzug aus dem Secondhandladen. Mit seinen blitzenden, blauen Augen und der schneeweißen Haarmähne erinnerte Willy jedermann an Tipp O’Neill, den legendären Sprecher des Repräsentantenhauses.

Alvirah seufzte. Der arme Willy. Zu dumm, dass es ihm so schlecht geht. Weihnachten sollte sich niemand mit Zahnschmerzen herumschlagen müssen. Aber Dr. Jay wird ihn schon hinbekommen. Es war ein Riesenfehler, uns einen neuen Zahnarzt zu suchen, als Dr. Jay nach New Jersey zog, dachte Alvirah. Er hat Willy zu Kieferimplantaten überredet, obwohl das schon beim letzten Mal schief gegangen war. Aber es gibt schließlich Schlimmeres. Da brauchte man nur an Nora Regan Reilly zu denken.

Im Radio hatte Alvirah gehört, dass sich ihre Lieblingsautorin in ihrem Apartment im Nebenhaus am Abend zuvor ein Bein gebrochen hatte, als sie mit dem Absatz in den Fransen eines Teppichs hängen blieb. Genau das ist Großmutter auch passiert, erinnerte sich Alvirah. Aber Großmutter trug keine hohen Absätze. Sie war auf der Straße in Kaugummi getreten, und als der bei der Heimkehr an den Teppichfransen festklebte, fiel sie der Länge lang hin.

»Hi, Schatz.« Willy trat aus dem Schlafzimmer in die Diele. Seine rechte Gesichtshälfte war geschwollen und seine Miene verriet, welche Qualen ihm das Implantat bereitete.

Alvirah wusste, wie sie ihn aufheitern konnte. »Weißt du, was mich froh stimmt, Willy?«

»Keine Ahnung, aber du wirst es mir bestimmt gleich sagen.«

»Dass Doktor Jay dich von dem verdammten Implantat erlösen wird und es dir heute Abend schon wieder gut geht. Findest du nicht, dass es dir damit sehr viel besser geht als der armen Nora Regan Reilly, die wochenlang auf Krücken herumhumpeln muss?«

Kopfschüttelnd bemühte sich Willy um ein klägliches Lächeln. »Ich frage mich wirklich, ob ich irgendwann irgendwelche Schmerzen haben kann, ohne dass du mir erklärst, wie glücklich ich mich schätzen muss. Selbst wenn ich Beulenpest bekäme, würdest du versuchen, mir Mitleid mit anderen Menschen einzureden.«

»Ja, mit mir«, lachte Alvirah.

»Hast du bei der Bestellung des Autos an den Feiertagsverkehr gedacht? Ist das zu fassen? Erstmals in meinem Leben hab ich Angst, zu spät zum Zahnarzt zu kommen.«

»Selbstverständlich«, versicherte Alvirah. »Wir werden rechtzeitig vor drei dort sein. Doktor Jay hat dich vor seinem letzten Patienten eingeschoben. Wegen der Feiertage macht er heute früher Schluss.«

Willy schaute auf seine Armbanduhr. »Es ist grade erst kurz nach zehn. Ich wünschte, ich wäre jetzt schon bei ihm. Wann kommt der Wagen?«

»Um halb zwei.«

»Ich werde anfangen, mich fertig zu machen.«

Mit mitleidigem Kopfschütteln sah Alvirah zu, wie ihr Mann wieder im Schlafzimmer verschwand. Heute Abend geht es ihm bestimmt schon wieder sehr viel besser, sagte sie sich. Ich werde eine kräftige Gemüsesuppe kochen, und wir sehen uns Ist das Leben nicht schön? auf Video an. Ich bin froh, dass wir unsere Kreuzfahrt auf den Februar verschoben haben. Es wird sehr erholsam sein, die Feiertage gemütlich zu Hause zu verbringen.

Alvirah sah sich um und schnupperte. Ich liebe Tannenduft, dachte sie. Und der Baum sieht großartig aus. Sie hatten ihn direkt vor dem auf den Central Park hinausgehenden Fenster aufgestellt. An den Ästen hing der Schmuck, den sie über die Jahre angesammelt hatten. Manche Dinge sehr hübsch, andere weniger, aber alle wurden in Ehren gehalten. Alvirah schob sich die Brille auf der Nase zurecht, trat an den Couchtisch und öffnete den noch ungeöffneten Karton mit Lametta.

»Man kann nie genug Lametta am Weihnachtsbaum haben«, verkündete sie laut.

In drei Tagen ist Weihnachten, dachte Rosita Gonzalez, als sie hinter dem Steuer einer schwarzen Limousine des Bestattungsinstituts darauf wartete, dass Luke Reilly das Krankenhaus verließ. Erneut dachte die Sechsundzwanzigjährige über die Geschenke nach, die sie für ihre fünf und sechs Jahre alten Söhne gekauft hatte. Ich habe nichts vergessen, beruhigte sie sich.

Rosita wünschte sich sehr, dass es für Bobby und Chris ein schönes Fest wurde. In den letzten anderthalb Jahren war vieles anders geworden. Der Vater der Jungen hatte die kleine Familie verlassen – kein großer Verlust – und ihre kränkliche Mutter war nach Puerto Rico zurückgezogen. Jetzt klebten beide an Rosita, als befürchteten sie, auch sie könnte plötzlich verschwinden.

Meine beiden kleinen Männer, dachte sie zärtlich. Gestern Abend hatten sie ihren Weihnachtsbaum gekauft, und heute Abend wollten sie ihn gemeinsam schmücken. Mr. Reilly hatte ihr ein großzügiges Weihnachtsgeld gegeben, und in den nächsten drei Tagen brauchte sie nicht zu arbeiten.

Rosita schaute in den Rückspiegel und schob sich die Mütze auf den dunklen, lockigen Haaren zurecht. Dieser Job ist ein wahrer Glücksfall. Sie hatte als Halbtagskraft im Büro begonnen, aber als Luke erfuhr, dass sie sich nebenbei ein bisschen Geld als Fahrerin verdiente, sagte er zu ihr: »Das können Sie bei mir auch, Rosita.« Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und lenkte nun häufig die Limousinen des Reilly-Bestattungsunternehmens zu Trauerfeiern und Beerdigungen.

Es klopfte ans Fahrerfenster. Rosita blickte hoch und rechnete damit, das freundliche Gesicht ihres Chefs zu sehen. Stattdessen blickte sie in Augen, die ihr vage bekannt vorkamen, die sie jedoch im Moment nicht zuordnen konnte. Sie kurbelte das Fenster ein paar Zentimeter herunter und wurde unverzüglich in dichten Zigarettenrauch gehüllt. Der Fensterklopfer beugte den Kopf und identifizierte sich mit den Worten: »Hi, Rosie. Ich bin’s. Petey, der Maler. Erinnern Sie sich?«

Wie könnte ich Sie vergessen, schoss es Rosita durch den Kopf. Das schrille Lindgrün der Wände im Abschiedsraum von Reillys Bestattungsinstituts in Summit, New Jersey, tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Und sie erinnerte sich an Lukes Reaktion. »Sie sehen mich ratlos, Rosita«, hatte ihr Boss gesagt. »Ich weiß nicht, ob ich lachen, heulen oder mich übergeben soll.«

»An Ihrer Stelle würde ich k…«, war Rositas Antwort.

Unnötig zu sagen, dass Peteys Dienste in Luke Reillys drei Bestattungsunternehmen nicht länger gefragt waren.

In seiner subjektiven Erkenntnis, dass der Raum dringend einer gewissen Aufheiterung bedurfte, hatte Petey Gelb unter das von Luke ausgewählte Moosgrün gemischt. »Die Angehörigen von Verstorbenen sollten nicht zusätzlich deprimiert werden«, klärte er sie auf. »Dieses fade Grün war doch ausgesprochen trostlos. Ich hatte zufällig noch ein bisschen gelbe Farbe im Auto. Die habe ich beigesteuert. Kostenlos.« Als er sich verabschiedete, wollte er sich mit Rosita verabreden, was diese dankend, aber entschieden ablehnte.

Rosita fragte sich, ob immer noch Farbe in seinem Haar klebte. Sie musterte ihn, wurde aber nicht schlauer. Eine Mütze mit Ohrenklappen bedeckte seinen Kopf und beschattete das schmale, knochige Gesicht. Sein dürrer Oberkörper steckte in einer Jacke aus dunkelblauem, derbem Stoff. Der hochgestellte Kragen rieb sich an grauen Bartstoppeln.

»Natürlich erinnere ich mich an Sie, Petey. Was machen Sie denn hier?«

Er trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. »Sie sehen wundervoll aus, Rosie. Zu schade, dass die meisten Ihrer Fahrgäste nicht mehr mitbekommen, was ihnen entgeht.«

Ein nicht unbedingt passender Hinweis darauf, dass Rosita mitunter auch Särge mit Inhalt chauffierte.

»Sehr komisch, Petey. Man sieht sich.« Sie wollte das Fenster wieder schließen, wurde jedoch von seiner Hand daran gehindert.

»Hey, es ist lausekalt. Kann ich mich nicht kurz zu Ihnen setzen? Ich muss Sie unbedingt was fragen.«

»Aber Mister Reilly muss jede Minute hier sein, Petey.«

»Es dauert auch nur eine Minute.«

Zögernd öffnete Rosita die Zentralverriegelung und nahm an, er würde sich neben sie auf den Beifahrersitz setzen. Aber stattdessen öffnete er blitzschnell eine der hinteren Türen und schlüpfte wie ein Aal ins Wageninnere.

Verärgert wandte Rosita ihren Kopf, um den Eindringling auf dem Rücksitz des Fahrzeugs zu mustern, dessen getönte Fensterscheiben jeden Einblick verwehrten. Was sie sah, ließ ihr den Atem stocken. Einen Moment lang glaubte sie an einen schlechten Scherz. Das, was Petey da in der Hand hielt, konnte doch unmöglich eine Pistole sein!

»Wenn Sie tun, was ich sage, wird niemandem etwas geschehen«, erklärte Petey leise, aber eindringlich. »Bleiben Sie einfach gelassen, bis der König der Leichen erscheint.«

Müde und abwesend verließ Luke Reilly den Fahrstuhl, lief auf den Ausgang zu und nahm die Weihnachtsdekorationen in der Halle kaum zur Kenntnis. Als er in den kalten, trüben Morgen hinaustrat, stellte er befriedigt fest, dass am Ende der Auffahrt sein Wagen auf ihn wartete.

Lukes lange Beine brachten ihn mit wenigen Schritten zum Auto. Er klopfte ans Fenster des Beifahrersitzes und zog nahezu gleichzeitig die hintere Tür auf. Er ließ sich bereits auf die Polster fallen, als er bemerkte, dass er nicht allein auf dem Rücksitz saß.

Lukes unfehlbares Personengedächtnis und der Anblick farbbespritzter Schuhe ließen ihn spontan erkennen, dass der Typ mit der Pistole neben ihm kein anderer war als der Schwachkopf, der seinen Abschiedsraum in einen psychedelischen Albtraum verwandelt hatte.

»Für den Fall, dass Sie sich nicht an mich erinnern: Ich bin Petey, der Maler, der im Sommer für Sie gearbeitet hat. Fahren Sie los, Rosie«, fügte er lauter hinzu. »Rechts um die Ecke, dann halten Sie an. Wir nehmen noch jemanden an Bord.«

»Ich erinnere mich sehr gut an Sie«, sagte Luke ganz ruhig. »Aber trotz allem sehe ich Sie lieber mit einem Pinsel als einer Pistole in der Hand. Was hat das alles zu bedeuten?«

»Das wird Ihnen mein Freund erklären, sobald er zusteigt. Sie haben einen wirklich bequemen Schlitten, muss ich schon sagen.« Wieder erhob Petey seine Stimme. »Keine Mätzchen, Rosie. Und Sie sollten nicht einmal daran denken, die Scheinwerfer einzuschalten. Wir wollen doch die Bullen nicht auf uns aufmerksam machen.«

Luke hatte in der vergangenen Nacht wenig geschlafen und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Er kam sich vor wie in einem schlechten Film oder in einer Art Halbschlaf. Er war jedoch wach genug für die Vermutung, dass der sonderbare Entführer noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hatte, aber das machte ihn umso gefährlicher. Luke war klug genug, sich jeden Versuch zu verkneifen, den Mann mit einem blitzartigen Ausfall zur Seite überwältigen zu wollen.

Rosie bog um die Ecke. Der Wagen hielt noch nicht ganz, als bereits die Beifahrertür aufgerissen wurde und ein weiterer Mann zustieg. Luke klappte der Unterkiefer herunter. Peteys Komplize war niemand anders als C. B. Dingle, der unzufriedene Neffe des dahingeschiedenen Cuthbert Boniface Goodloe.

Wie sein Kumpan trug C. B. eine Mütze mit Ohrenklappen, die locker seine Halbglatze bedeckte, und eine unförmige Jacke verhüllte seinen dickbäuchigen Torso. C. B.s rundes, blasses Gesicht tarnte ein dunkler, buschiger Schnurrbart, der ihm offenbar über Nacht gewachsen war. Mit schmerzverzerrter Miene zog er den Bart ab und drehte sich zu Luke um.

»Ich weiß Ihre Pünktlichkeit zu schätzen«, bemerkte er liebenswürdig und tätschelte seine Oberlippe. »Schließlich möchte ich zur Trauerfeier meines Onkels nicht zu spät kommen. Aber ich fürchte, Sie werden nicht daran teilnehmen können, Mister Reilly.«

Wohin wollen sie nur mit uns, fragte sich Rosita, als sie C. B.s Anweisungen folgend rechts in die 96. Straße einbog und in Richtung Franklin D. Roosevelt Drive weiterfuhr. Sie hatte C. B. erst gestern gesehen und war ihm zuvor schon einige Male begegnet, wenn er in Begleitung seines Onkels im Bestattungsinstitut erschien, der immer wieder neue Wünsche für seine Trauerfeier äußerte.

Fast musste sie lächeln, als sie daran dachte, wie Cuthbert Boniface Goodloe erst im letzten Monat Luke davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass das von ihm für den Leichenschmaus ausgewählte Restaurant von den Gesundheitsbehörden geschlossen worden war. Daraufhin hatte sie Mr. Reilly, Goodloe und C. B. zum Orchard Hill Inn gefahren, der von ihrem Boss vorgeschlagenen Alternative. Später erzählte ihr Mr. Reilly, dass Goodloe die Speisenfolge peinlich genau studiert und die teuersten Wahlmöglichkeiten kurzerhand gestrichen hatte.

An diesem Tag war C. B. seinem Onkel quasi in den Allerwertesten gekrochen, was ihm offenbar nicht viel geholfen hatte. Gestern erschienen im Abschiedsraum des Bestattungsinstituts höchst überraschte, aber zutiefst dankbare Mitglieder des Blumen-und-Blüten-Vereins, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, jeden Winkel von New Jersey in ein Blütenmeer zu verwandeln, und dem nunmehr mit einer dringend benötigten Unterstützung in Millionenhöhe unter die Arme gegriffen würde. Hinter vorgehaltener Hand wurden die letzten Worte Goodloes für seinen Neffen weitergegeben: »Such dir einen Job!«

Hat C. B. den Verstand verloren? Ist er gefährlich? Und was will er von Mister Reilly und mir, fragte sich Rosita, während es ihr eiskalt über den Rücken rieselte.

»Zur George-Washington-Brücke«, befahl C. B.

Immerhin wollten sie nach New Jersey zurück, dachte Rosita und überlegte, ob es Sinn hatte, C. B. anzuflehen, sie freizulassen.

»Sie wissen vielleicht, Mister Dingle«, begann sie so ruhig wie möglich, »dass ich zwei kleine Jungen habe, die mich brauchen. Sie sind fünf und sechs Jahre alt, und seit mehr als einem Jahr hat sie ihr Vater weder gesehen noch unterstützt.«

»Auch ich hatte einen Mistkerl zum Vater«, zischte C. B. »Und nennen Sie mich nicht Dingle. Ich hasse diesen Namen.«

»Er hört sich wirklich bekloppt an«, stimmte Petey zu. »Aber Ihre Vornamen sind noch schlimmer. Dem Himmel sei Dank für Initialen. Ist es zu fassen, Mister Reilly, dass C. B.s Mutter zu Ehren ihres Schwagers ihren Sohn mit Namen wie Cuthbert Boniface durchs Leben laufen lässt? Und dann, als der alte Kauz endlich den Löffel abgibt, vermacht er nahezu alles den dämlichen Blumenfreaks. Vielleicht werden sie eine neu entdeckte Giftpflanze nach ihm benennen.«

»Mein ganzes Leben lang hab ich so getan, als würden mir meine idiotischen Namen gefallen!«, fauchte C. B. »Und was kriege ich dafür? Den Rat, mir gefälligst einen Job zu suchen!«

»Das alles tut mir wirklich sehr Leid, C. B.«, erklärte Luke. »Aber wir sind für Ihre Probleme nicht verantwortlich. Was haben Sie vor? Warum sind Sie und Petey in meinen Wagen eingedrungen?«

»Da gestatte ich mir, anderer Meinung zu sein …«, begann C. B.

»Donnerwetter«, unterbrach ihn Petey. »Das muss ich mir merken. Das hört sich ja Klasse an.«

»Halten Sie die Klappe, Petey«, knurrte C. B. »Mein Problem hat sehr wohl etwas mit Ihnen zu tun, Mister Reilly. Aber Ihre Frau erhält eine Million Chancen, das wieder gutzumachen.«

Inzwischen hatten sie die George -Washington-Brücke halb überquert.

»Sagen Sie Rosie, wo sie abfahren soll, Petey. Sie kennen sich besser aus.«

»Nehmen Sie die Fort-Lee-Abfahrt. Wir fahren nach Süden.«

Eine Viertelstunde später bog der Wagen auf eine schmale Straße ein, die zum Hudson River führte. Rosita war den Tränen nahe. Sie kamen zu einem Parkplatz am Ufer und gegenüber der Skyline von Manhattan. Links von ihnen überspannte die mächtige, graue George-Washington-Brücke den Fluss. Der ständige Strom der Fahrzeuge in beide Richtungen verstärkte noch Rositas Gefühl von Isolation. Plötzlich hatte sie namenlose Angst, C. B. und Petey könnten sie erschießen und ihre Leichen ins Wasser werfen.

»Aussteigen!«, befahl C. B. »Vergessen Sie nicht, dass wir beide Waffen haben und genau wissen, wie man damit umgeht.«

Als die beiden widerstrebend das Auto verließen, richtete Petey seinen Revolver auf Lukes Kopf. Er drehte die Waffe blitzschnell zwischen den Fingern. »Das habe ich bei Wiederholungen von Der Schütze gelernt«, erklärte er stolz. »Langsam werde ich echt gut im Wirbeln.«

Luke überlief ein Schauder.

C. B. musterte ihn kalt. »Wir sollten uns ein bisschen beeilen. Ich muss zu einer Trauerfeier.«

Luke und Rosita mussten am Ufer entlanggehen, vorbei an einer verlassenen Marina und zu einem Anlegesteg, an dem ein klappriges Hausboot mit bretterverschalten Fenstern lag. Rastlos schlugen die Wellen gegen den Rumpf und brachten das Boot zum Schaukeln. Mit einem Blick sah Luke, dass der baufällige, alte Kasten gefährlich tief im Wasser lag.

»Sehen Sie nicht, dass sich da draußen Eis zu bilden beginnt?«, begehrte Luke auf. »Sie können uns doch unmöglich bei dieser Kälte auf diesen Kahn bringen wollen.«

»Im Sommer ist es richtig schön hier«, behauptete Petey. »Ich passe ein bisschen auf das Boot auf. Für den Besitzer. Er verbringt den Winter in Arizona. Seine Arthritis macht ihm mächtig zu schaffen.«

»Jetzt ist nicht Juli«, stellte Luke fest.

»Oh, auch im Juli ist manchmal mieses Wetter«, klärte ihn Petey auf. »Einmal kam ein so heftiger Sturm auf, dass …«

»Mund halten, Petey«, zischte C. B. »Ich habe Ihnen schon mal gesagt, dass Sie zu viel quatschen.«

»Das würde Ihnen genauso gehen, wenn Sie zwölf Stunden am Tag allein vor sich hin Wände streichen. Sobald ich mit Leuten zusammenkomme, rede ich.«

C. B. schüttelte den Kopf. »Der macht mich noch wahnsinnig«, murmelte er halblaut und wandte sich dann an Rosita. »Vorsicht, wenn Sie an Bord gehen. Ich möchte nicht, dass Sie ausrutschen.«

»Das können Sie doch nicht mit uns machen. Ich muss nach Hause zu meinen Jungen«, rief Rosita.

Die leichte Hysterie in ihrer Stimme entging Luke nicht. Das arme Ding ist außer sich vor Angst, dachte er. Gerade einmal ein paar Jahre jünger als Regan, hat aber bereits zwei Kinder zu versorgen. »Helfen Sie ihr!«, ordnete er an.

Petey fasste mit seiner freien Hand Rositas Arm, als sie unsicher das Deck des schwankenden Bootes betrat.

»Alle Achtung, Mister Reilly. Sie wissen, wie man mit Leuten umgehen muss«, meinte C. B. beifällig. »Hoffen wir, dass Ihre Überzeugungskraft Sie in den nächsten vierundzwanzig Stunden nicht verlässt.«

Petey öffnete die Tür zur Kabine, stieß sie auf, und ein penetranter Modergeruch drang in ihre Nasen.

»Himmel«, ächzte Petey. »Bei diesem Gestank kann einem echt schlecht werden.«

»Vergeuden Sie keine Zeit, Petey«, murrte C. B. »Ich habe doch gesagt, Sie sollen Raumspray besorgen.«

»Wie fürsorglich«, bemerkte Rosita ironisch, als sie Petey in die Kabine folgte.

Luke sah nach Manhattan hinüber und warf einen Blick auf die George-Washington-Brücke. Vielleicht sehe ich das alles nie wieder, dachte er, als ihm C. B. die Mündung seiner Waffe in den Nacken drückte.

»Beeilung, wenn ich bitten darf, Mister Reilly. Für Sightseeing ist nicht der richtige Zeitpunkt.«

Petey knipste die schummrige Deckenbeleuchtung an, während C. B. die Tür hinter sich zuzog.

In einer Ecke des Raums umstanden eine kunstlederbezogene Bank und ein ähnlich schäbiges Sofa einen Resopaltisch. Neben dem Tisch erblickte Luke einen kleinen Kühlschrank, ein Waschbecken und einen Herd. Die beiden Türen links von ihnen führten vermutlich in einen Schlafraum und ein wie auch immer ausgestattetes Bad.

»O nein«, ächzte Rosita.