Gefährliches Projekt - Thomas Panzer - E-Book

Gefährliches Projekt E-Book

Thomas Panzer

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Beschreibung

Einer kleinen Gruppe von älteren Systemanalytikern wird ein interessanter Auftrag erteilt: Koordinierung von Flugbewegungen auf kleinen Flugplätzen. Die besondere Schwierigkeit besteht darin, dass die Steuerung auf einem Laptop erfolgen soll – eine normalerweise nicht lösbare Aufgabe. Auftraggeber ist eine amerikanische Softwarefirma. Sie ist von der CIA gegründet worden. Ziel ist es, Erkenntnisse über das Verhalten östlicher Geheimdienste in Deutschland zu erlangen. Da die in einem Pflichtenheft geforderte Software auch für militärischen Einsatz – etwa Steuerung von Kampfdrohnen – nutzbar ist, streut die CIA das Gerücht, dass in Hamburg ein geheimes militärisches Softwareprojekt entwickelt wird. Das Interesse von Geheimdiensten ist geweckt. Als die pazifistisch eingestellten Systemanalytiker dahinter kommen, dass sie missbraucht werden, wehren sie sich. Die Lage wird verschärft, als es ihnen geling, die Steuerung von Drohnen auf dem Laptop zu realisieren: Die CIA muss unter allen Umständen verhindern, dass Dritte die Software erhalten. Ein dramatischer Kampf beginnt.

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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Der Autor

Kapitel 1

Sie saßen entspannt bei einer Tasse Kaffee und einem Brandy im Casino der »Firma«, wie sie die CIA nannten, und plauderten noch etwas.

Mister Smith beugte sich vor. »Bei der Air Force läuft ja immer noch im Hintergrund unser Programm des ›National Missile Defense‹ – die Boys vom NMD haben da noch einige Dollars im Budget für dieses Jahr, und es ist Oktober. Sie würden gern diskret forschen lassen. Thema: Abfangen niedrig fliegender Drohnen. Die könnten Hilfe gebrauchen. Was hältst du von einer Kooperation?«

Mister Wenner, leitend tätig im Bereich »Menschliche Quellen« (HUMINT) der CIA, hielt viel von diesem Vorschlag.

Jan Martens spürte ein unbestimmtes Gefühl von Gefahr. Da war seiner Firma ein Auftrag angetragen worden. Software sollte erstellt werden für ein Unternehmen in den USA.

Die Aufgabe erschien reizvoll: Flugsimulation und Flugplankoordinierung, angeblich für eine kleine amerikanische Fluggesellschaft. Ein Investor wollte die Software auch nutzen, um regionale Fluggesellschaften in Entwicklungsländern damit auszurüsten.

Die finanziellen Bedingungen klangen verlockend. Es gab ein Startbudget von hunderttausend Dollar, Abrechnung nach Aufwand. Vorgabe und Dokumentation in Englisch, weitgehend freie Gestaltung der Lösung und der Software. Künstliche Intelligenz, Nutzung von Expertensystemen, Simulation eine Mischung dieser Lösungstechniken könnte erfolgen. Eine Anzahlung von 20 000 Dollar wäre auch denkbar, im Übrigen selbstverständlich monatliche Abrechnung.

Ideale Bedingungen also, die dieser Mister Hammer angeboten hatte – gerade das Richtige für Jans kleines Unternehmen, das nicht gerade auf der Sonnenseite der Konjunktur operierte. Und doch stimmte etwas nicht an dieser Offerte. Bei näherem Überlegen stimmte sogar Verschiedenes nicht.

Eine entscheidende Schwierigkeit bestand zunächst darin, dass dieses System auf handelsüblichen Laptops laufen sollte, also mit eingeschränkter Speicherkapazität und Beschränkungen hinsichtlich der Geschwindigkeit der Verarbeitung. An dem Problem der Rechnerlei­stung war unter anderem das Star Wars Projekt gescheitert.

Die Chicago Software Inc. kannte kein Mensch, Google war unergiebig und die Website nichtssagend. Mister Hammer, der Repräsentant der Chicago Inc., hatte von einer »bedeutenden Software Company« gesprochen. Überhaupt, wenn sie denn so bedeutend waren, wieso vergaben sie dann Unteraufträge bei so fantastischen Konditionen.

Für das Geld hätten sie doch gute Leute selbst einkaufen können, ein erheblicher Vorteil für die Koordination eines solch komplexen Projektes. O.k., seine Firma galt als Spezialist besonders überzeugender Problemlösungen bei komplizierten Sachverhalten. Für Hersteller elektronischer Spiele hatten sie Programmsysteme geliefert, die auch eine komplexe Spielsituation in Echtzeit darstellen konnten.

Jan lehnte sich in seinem Bürosessel zurück, führte die linke Hand an das Kinn und blickte versonnen in den Hinterhof. Eine Katze hatte den winzigen sonnenbeschienen Fleck auf dem alten Schuppen entdeckt. Sie streckte sich, genoss die mittägliche Wärme der Novembersonne und schien sich wohl zu fühlen.

Die Incom war eine Hinterhoffirma, die dringend Aufträge brauchte. Jan seufzte Er war Geschäftsführer und Gesellschafter der »Incom Software und Communication GmbH« . Sie bestand aus einer Gruppe von Systemspezialisten, die sich auf den Entwurf komplizierter Computerprogramme spezialisiert hatte. Zwei waren, wie die Sekretärin und der Buchhalter, fest angestellt, drei arbeiteten auf Honorarbasis. Bei besonderen Problemstellungen griffen sie auf weitere freiberufliche Fachleute zurück. Diese Personalpolitik hatte sich seit Jahren bewährt. Dennoch war die Incom über eine lokale Bedeutung nie hinaus gekommen.

Jan Martens wusste, dass es an ihm lag: Er hatte zu viele verschiedene Ideen im Kopf, künstlerische Neigungen auch, und seine Ehe war an seiner Unstetigkeit gescheitert.

So gab es zwar bei der Incom immer wieder Höhenflüge, aber sie endeten manchmal in hässlichen Abstürzen. Immerhin, zehn Jahre bestand die Incom schon, und Jan war fest entschlossen, sie noch mindestens zehn weitere Jahre am Leben zu erhalten.

Die Partnerfirma Sinus in Frankfurt hingegen galt als Senkrechtstarter. Innerhalb von drei Jahren war aus einem kleinen Büromaschinenhandel eine respektable, erfolgreiche Computer-Gesellschaft geworden. Neben der Programmierung wurde mit Hardware gehandelt. Zunächst gelegentlich, dann als wichtiges weiteres Bein, hatte sich die Verwertung hochwertiger Maschinen etabliert. Es hatte sich herausgestellt, dass gute Verbindungen zu der US-Armee zu Verwertungsaufträgen für überschüssige Maschinen führten – für beide Seiten ein gutes Geschäft. Die Sinus wurde zu einem Teil des »Geheimen Magazins« der CIA, wie der »Spiegel« mal getitelt hatte.

Jan Martens beschloss, seinen Geschäftsfreund Alfred Kinsky noch einmal anzurufen. Über dessen Gesellschaft, die Frankfurter »Sinus Systemgesellschaft mbH«, war die Anfrage ja gekommen.

»Bist du sicher, dass es sich um eine seriöse Angelegenheit handelt?« wollte Jan wissen.

Alfred gab eine ausweichende Antwort: »Nein, so genau weiß ich auch nicht, was dahinter steckt, aber es gibt Geld. Ich weiß, du vermutest irgendeine linke Tour. Da müssen wir eben ein bisschen aufpassen. Hinter »Flugplansimulation« kann sich natürlich alles Mögliche verbergen. Wart‹ doch erst mal ab, bis das Pflichtenheft da ist.«

Das vorläufige Lastenheft kam. Es war sehr allgemein gehalten.

»Weltweite Koordination von Flugbewegungen unter sicherheitsrelevanten Unsicherheiten und Beeinträchtigungen« ergab sich als Arbeitstitel, wenn man die Anforderungen sichtete und logisch gruppierte.

Die künftigen Auftraggeber erwarteten eine Präsentation in Freiburg, bei einer kleinen, wenig bekannten Elektronikfirma.

»Die haben doch auch was mit Rüstung zu tun, oder?« erkundigte sich Jan bei Alfred.

»Wahrscheinlich, wer in diesem unserem Lande produziert schon Elektronik und hat nichts mit Rüstung zu tun. Aber du sollst da ja nicht Abrüstung kontrollieren, sondern den Leuten klar machen, dass unsere beiden Firmen, ihr mit Systemanalyse und wir mit Programmierung, Lösungen für Probleme der komplexen Art bringen können. Und dass die Auftraggeber eine Firma mit einschalten, die Navigationselektronik produziert, scheint mir nicht abwegig. Die haben sicher auch Leute, die Systemanalyse beurteilen können. Und in diesem besonderen Fall wollen es die Auftraggeber ziemlich genau wissen. Sieh also zu, dass du einen kompetenten Mann heranholst, der auch etwas von künstlicher Intelligenz versteht. Wobei ›etwas‹ eine ganze Menge bedeutet.«

Jan wusste um einen solchen Mann, 57 Jahre alt, wie er selbst, mit erheblicher Erfahrung in der Computeranwendung und als Fachmann für Künstliche Intelligenz weitgehend anerkannt: Seine Seminare und Vorträge war sehr gut besucht. Im Augenblick arbeitete er wohl daran, seine Erkenntnisse in einem fundierten Buch niederzulegen. Er hatte einen Anteil an der Incom und arbeitete mit, wenn es galt, komplexe Probleme zu lösen.

Gert Handke war groß, schlank, fast hager und von anrührender Hässlichkeit: Ihn zierte eine etwas zu große Nase über einem Pferdegebiss, das er ab und zu bleckte; sie lenkte ab von seiner immer nach vorn gebückten Haltung. Er galt als unsensibel. Aber der »Coole Gert« erschien nur denen kalt, die sich nicht die Mühe nahmen, hinter der zur Schau getragenen Lässigkeit die Sensibilität zu entdecken, die den Mathematiker befähigte, Menschen statt Formeln und Programmen zu erkennen.

Gert verband analytischen Scharfsinn mit einem feinen Gespür für die Schwächen seiner Mitmenschen. Auf diese Art gelang es ihm, auch tiefgreifende Veränderungen bei der Einführung von komplexen EDV-Anwendungen den Betroffenen plausibel zu machen und ihre Mitarbeit zu gewinnen. So galt er als unschätzbare Hilfe, wenn es darum ging, Arbeitsplätze zu rationalisieren, Menschen durch Computer zu ersetzen, Akzeptanz für höhere Anforderungen als normal beim Umgang mit Computern zu erreichen. Was Jan besonders beeindruckte, war das offensichtlich sehr harmonische Familienleben der Handkes. Gert liebte seine Frau und seine Kinder, seine Frau liebte ihn, und es gelang ihnen, aufkeimende Konflikte schnell zu erkennen und zu entschärfen.

»Er arbeitet mit dem Kopf, kann aber auch aus dem Bauch heraus entscheiden«, dachte Jan. »Ich bin gern mit ihm zusammen. Auch beim Segeln ist er ein verlässlicher Mann.«

Jan konnte Gert gewinnen, sich mit dem Projekt zu befassen, indem er ihm nicht nur eine direkte Erfolgsbeteiligung anbot, sondern auch um Hilfe bat.

»Das Ganze stinkt nicht nur nach Geld. Ich brauch‹ dich. Versuch‹ herauszufinden, wer oder was dahinter steckt. Wenn du mich fragst, könnte es ein amerikanischer Geheimdienst sein oder die NASA, Navy vielleicht auch oder die Air Force. Es ist wichtig, weil ich auch den Günter mit dabei haben möchte. Nur, das ist problematisch, weil er eine kommunistische Vergangenheit und islamische Freunde hat. Du weißt ja auch, dass er mal in einem Anfall geistiger Verwirrung aktives Mitglied der DKP war, DDR-Kontakte pflegte und auch heute, gut 25 Jahre nach dem Ende der DDR, nicht unbedingt auf dem Boden der demokratischen Grundordnung unserer Republik steht. Obwohl sein ziviler Ungehorsam sich im Augenblick vornehmlich auf Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit richtet.«

Gert hatte genickt: »Ich kümmere mich darum, werde mir zunächst den Kinsky mal vorknöpfen.«

So flog er nach Frankfurt. Dort ließ er sich von Alfred Kinsky die Verbindung zur Chicago Software Inc. erklären, bestand darauf, deren Europarepräsentanten, Herrn Hammer, selbst zu sprechen und flog dann nach Luxemburg, wo angeblich eine Filiale der amerikanischen Softwaregesellschaft residierte.

Mister Hammer empfing ihn im Restaurant des Flughafens. Die Unterhaltung verlief höflich, kurz und sehr unterkühlt.

Das Ganze sei ein sehr vertrauliches Projekt, und er wolle auch nicht ausschließen, dass es von höchster Stelle gefördert würde. Mehr wollte Herr Hammer nicht erklären.

»Die Herren der Sinus und Incom könnten denken, was sie wollen, jedoch ist es Teil des bereits abgeschlossenen Vorvertrages und der Verschwiegenheitserklärungen, dass sie ihre Gedanken bei sich behalten. Insofern ist auch nicht ganz einsichtig, warum Sie sich die Mühe gemacht haben, nach Luxemburg zu kommen.«

»Manchmal ist es schon sehr wichtig zu wissen, mit wem man es zu tun hat«, erwiderte Herr Handke, »und jetzt weiß ich es.«

Gert berichtete Jan. »Der Paul Hammer ist ein gefährlicher Mensch und bestimmt kein Computermann. Ich bin auch nicht sicher, ob die nur Software wollen. Dann müssten sie nicht so seltsame Umwege gehen. Hier ist äußerste Vorsicht angebracht. In Frankfurt, bei Kinsky, hatte ich nur ein dummes Gefühl, aber nach dem Treffen auf dem Luxemburger Flughafen bin ich mir fast sicher, da steckt mehr dahinter. Mag sein, dass ich mich von dem äußeren Eindruck täuschen ließ. Der Kerl sieht zwar nicht aus, wie man sich einen Gangster vorstellt, aber er hat einen unsteten, stechenden Blick. Er wirkt gefährlich; kurzer Haarschnitt, fliehende Stirn, und wie gesagt, stechende Augen, brrrrr. Wahrscheinlich ist er nicht dumm – skrupellos bestimmt. Arrogant übrigens auch.«

Jan nickte. »Ich bin ganz deiner Ansicht, dass wir vorsichtig sein sollten. Aber das Angebot ist sehr verlockend – um nicht zu sagen, der Auftrag unseres Lebens.«

»Wenn wir ihn denn kriegen und ordentlich erledigen«, ergänzte Gert und bleckte die Zähne.

»Aber ein gefährliches Projekt?«, fragte Jan.

»Ein gefährliches Projekt!«

Günter Maser, von gedrungener Statur mit einer wilden schwarzen Mähne, einem Schnurrbart und ausdrucksvollen braunen Augen, war der zweite Mann, an den Jan dachte. Der schrieb kein Buch über künstliche Intelligenz, sondern fuhr Taxi. Er hatte eines Tages, nach einem Besuch beim Internisten, beschlossen, sein Leben von Grund auf zu ändern. Zunächst wollte er dem Stress der ewigen Terminnot dringender Projekte und drängender Auftraggeber entkommen. Aufträge, wie er sie als freiberuflicher Systemberater der Incom ausführte, litten immer darunter, dass die Lösungen in kürzester Zeit erwartet wurden – selbstverständlich perfekt dokumentiert, und unter »vertretbaren Kosten« zu realisieren. Wobei die vertretbaren Kosten meist so niedrig angesetzt waren, dass eine Lösung zwar immer aufgezeigt wurde, aber mit den vorgegeben Mitteln häufig nicht umzusetzen war.

So hatte Günter Maser angefangen, Aufträge abzulehnen, jedoch, da er seinen Lebensunterhalt verdienen musste, sich nach einer neuen Beschäftigung umgesehen. Lokomotivführer oder Kapitän, Berufe, die er seit früher Kindheit gern ausüben wollte, schieden wegen der Länge der Ausbildung aus; immerhin war er schon 45 Jahre alt.

Das Führen eines eigenen Taxis hingegen kam seinen Neigungen weitgehend entgegen. Die Ausbildung war relativ kurz, die geforderte Prüfung Ergebnis einer Fleißarbeit, freies Unternehmertum lockte, gepaart mit der Möglichkeit, Auto zu fahren und dabei noch Geld zu verdienen. Zwar untersagten die behördlichen Vorschriften, etwa einen rassigen Zweisitzer zum Taxi zu erklären (vier vollwertige Sitze und vier Türen waren Vorschrift), aber immerhin konnte man durchaus ein schnelles Auto der gehobenen Mittelklasse verwenden. Die neuen Kollegen allerdings warnten vor einer übertriebenen Zurschaustellung automobilistischen Geltungsstrebens. Neid und Missgunst dem Newcomer gegenüber könnten sich durchaus geschäftsschädigend äußern.

Günter erwarb ein Fahrzeug einer süddeutschen Nobelmarke, ließ es zum Taxi umbauen und die Typenbezeichung durch die eines geringeren Typs ersetzen. Dann gab er den Auftrag, das Fahrzeug so zu tunen, dass es in Leistung und Geschwindigkeit mit Sportwagen aus Stuttgart durchaus mithalten konnte. Am Ende kostete ihn das Auto mehr als 100.000 Euro – nach nicht ganz einfachen Verhandlungen wesentlich finanziert von der Sparkasse, auf Basis einer Bürgschaft seiner Freundin Marion.

Das Leben als Taxifahrer behagte ihm. Er lernte Menschen kennen, flüchtig zumeist, aber auf längeren Touren durchaus hinreichend, um sich von seinen Fahrgästen ein Bild zu machen. In den unvermeidlichen Wartezeiten konnte er lesen. Und wenn er auf andere Gedanken kommen wollte, stellte er sein Auto in die Garage und feilte an seinen Gedichten. Insgeheim hoffte er allerdings immer noch, seine Idee einer computergestützten Bewässerung von Wüsten einmal realisieren zu können.

Kurz vor Weihnachten erreichte Jan seinen Freund. Was denn das Taxigewerbe mache. Er selbst hätte sehr viel zu tun, käme kaum noch zum Malen. Und ob Günter wohl Interesse an einem besonderen Projekt hätte, offensichtlich nicht allzu sehr unter Terminzwang, ausreichend dotiert und mit weitgehender Freiheit hinsichtlich der Lösungsansätze. Außerdem, was das Budget zur Durchführung angehe, da scheine es schier unbegrenzte Mittel zu geben. Schließlich, Gert Handke, ja, der coole Gert, der sei auch dabei. Und er selbst, Jan, natürlich, für die Projektleitung und Budgetkontrolle, damit müsste er, Günter, sich dann gar nicht abgeben, könnte sich ganz auf die Aufgabe konzentrieren. Etwa ein Jahr rechne er, aber mit Pausen, da das Ganze mit anderen Projekten koordiniert werden müsste. Er könnte also durchaus weiter schreiben – er bastele doch an einem Gedichtband – oder was er sonst gerade triebe.

Günter Maser erbat sich Bedenkzeit. Er müsse da erst einmal für sich einiges klären. Ja, Freundin Marion wäre auch mit im Spiel, aber nicht nur – also, Silvester wäre ja wohl der Anlass, über das Leben im Allgemeinen und das Projekt im Besonderen nachzudenken – eben unter Berücksichtigung der ganz besonderen Umstände.

Bis Jahresende könne er nicht warten, entgegnete Jan. Sie müssten umfangreiche Vorarbeiten auf eigenes Risiko leisten, die amerikanischen Auftraggeber wollten eine Art Sicherheitsüberprüfung durchführen –  aber immerhin sei es doch eine einmalige Gelegenheit, mal im großen Stil eigene Gedanken und Pläne umzusetzen.

»Ich stehe jedenfalls hinter der ganzen Sache; drei Tage kann ich dir zum Bedenken geben. Die kannst du auch nutzen, um dich mit Gert zu besprechen,« schloss Jan das Gespräch.

Gert gab sich in der Tat cool. »Du bist ganz schön naiv, Günter, wenn du denkst, dass jetzt der Wohlstand von der Wand tropft und du das Taxifahren erst mal an den Nagel hängen kannst. Einfach so, weil du dir das wünschst. Außerdem, ich bin ziemlich sicher, dass hinter der ganzen Angelegenheit direkt oder indirekt das Militär steckt. Du hast die Chance mitzumischen, wenn sie dich lassen. Take it or leave it.«

»Irgendeinen Rüstungsquatsch mache ich auf keinen Fall mit!«

Gert lächelte: »Man kann ja auch mal Sand sein im Getriebe der Welt, um dich zu zitieren …«

Günter Maser sagte trotz erheblicher Zweifel zu. Mit allen Konsequenzen, auch finanzieller Art. Ein freiberufliches Honorar von 50 Euro pro Stunde sollte er erhalten, deutlich mehr als das Taxifahren einbrachte.

Jan hatte so im Wesentlichen ein Team zusammen. Ein weiterer Mathematiker fehlte vielleicht noch, und dann brauchte er jemanden für die Dokumentationen. Die Systemanalytiker waren zwar hervorragende Denker, aber nicht gerade Meister des geschriebenen Wortes. Unter Druck gaben sie zu Papier, was sie erdacht und aufgezeichnet hatten, in unverständlicher Kürze zumeist und keinesfalls in verständlichem Deutsch, geschweige denn Englisch. Sinnvoll war es, jemanden anzusetzen, der die deutschen Texte schrieb und erst dann einen Übersetzer zu bemühen.

Gert wusste Rat. »Da gibt es einen Schreiberling namens Thomas Erdmann. Der war mal bei einer Finanzierungsgesellschaft für Werbung und Texte zuständig. Die haben, ehe sie sich in ein Filmabenteuer stürzten, auch Computer finanziert und Software. So ist ihm die Terminologie nicht so ganz fremd. Ich geb dir seine Nummer.«

Thomas Erdmann kam und stellte sich vor. Gegen ein mäßiges Salär war er bereit, alle Texte der Arbeitsgemeinschaft zu verfassen, unter Zurückstellung des eigenen künstlerischen Ehrgeizes. Ganz wohl war ihm nicht bei der Angelegenheit. Er hätte gern einmal in seinem Leben eine grundsolide Arbeit gehabt. Hier schien ihm das Unternehmen nicht ausgereift. Wie hatte sein neuer Arbeitgeber gesagt?

»Die Sache ist bisher wenig spezifisch – wir müssen da noch etwas klären.«

»Die größte Deutlichkeit ist mir immer die größte Schönheit. Lessing, Das Testament Johannis«, hatte Thomas Erdmann zitiert.

Thomas Erdmann beriet sich mit seiner Frau. Die zeigte nicht gerade Begeisterung für eine Arbeit, die sie für unter der Würde eines Schriftstellers hielt. Sie fand jedoch, dass im Hinblick auf den betrüblichen Saldo des Bankkontos Hochmut nicht angebracht wäre.

Ihr Mann versuchte, sie damit zu trösten, dass die Dokumentation von Computerprogrammen durchaus dichterische Elemente enthielte. »Dichten ist nichts anderes als ewiges Symbolisieren, sagt Schlegel.«

In Langley wurde das Projekt »Hot News« strukturiert. Clandestine Operations der CIA wurde für zuständig erklärt, die Direktion für verdeckte Operationen. Ein erfahrener Agent mit Kenntnis der europäischen Szene, Fred Harvard, erhielt den Job als Projektleiter. Die örtliche Einsatzgruppe sollte Agent Paul Hammer führen. Paul Hammer fungierte auch als Vertreter der amerikanischen Softwaregesellschaft. Er hatte schon Operations in Deutschland durchgeführt.

Die NSA wurde eingeschaltet mit ihr wurden die Selektoren, die Such- und Überwachungsbegriffe abgestimmt.

Die auftraggebende Softwarefirma wurde in Chicago gegründet und mit einer »History« versehen. Demnach handelte sich es sich um eine Softwarefirma, die anspruchsvolle Aufgaben für staatliche Stellen ausführte. Präsident und CEO, Chief Executive Officer, wurde Fred Harvard. Seine Ehefrau Alexandra konnte bei Bedarf als Gattin oder Sekretärin eingesetzt werden. In beiden Funktionen hatte sie sich in der Vergangenheit bewährt.

Die CIA hatte in Deutschland ein Unternehmen gefunden,, das einerseits den nötigen Sachverstand und entsprechende Ressourcen zur Verfügung stellen könnte, andererseits nicht so gefestigt dastand, dass es versucht sein könnte, besonderen Anforderungen der Auftraggeber auszuweichen.

In Frankfurt arbeitete die CIA gelegentlich mit einem Unternehmen zusammen, das insbesondere bei der Beschaffung von Material und Maschinen sehr effektiv gewesen war. Eine Anfrage hatte ergeben, dass man in Hamburg eine Partnerfirma empfehle, sehr flexibel, die auch ungewöhnliche Aufträge bearbeiten könne. Sie sei »inhabergesteuert«, recht konservativ und immer wieder in Geldnot. Man verfüge jedoch über einen Pool hervorragender Spezialisten auf vielen Gebieten der IT, auch was die Realisierung anspruchsvoller Programmsysteme auf kleinen Rechnern umfasse.

Auf einer Sitzung in der Zentrale kam die Profilerin zu Wort. »Boss und Eigentümer ist ein gewisser Jan Martens. Auf den ersten Blick wirkt er wie jemand, der seine Umgebung nur danach beurteilt, ob sie etwas zu essen oder zu begatten bietet. Entsprechend hat er etwas Übergewicht, darüber hinaus eine Reihe von Affären, die auch dazu geführt haben, dass seine Ehe zerbrochen ist. Auf dem massigen Körper steckt allerdings ein exzellenter Kopf; hochintelligent, überdurchschnittliche Auffassungsgabe, klares analytisches Denken. Das wird jedoch massiv getrübt, wenn Mister Martens mal wieder seinem Traum der romantischen Liebe nachhängt. Sein Unternehmen führt er im Prinzip auf partnerschaftlicher Basis. Allerdings geschieht es manchmal, dass er den Patriarchen hervorkehrt und etwa mit energischer Stimme zum Diktat bittet.«

Paul Hammer, inzwischen bei der Sinus und Incom als Vertreter der Chicago Software Inc. eingeführt, gab einen Bericht an seine vorgesetzte Dienststelle, die in Langley bei Washington residierte. Im Sinne der doppelten Aufgabe wäre eine sehr interessante Person zur Incom gestoßen: ein gewisser Günter Maser, Systemanalytiker mit mathematischem Vordiplom. Der hätte immer noch lebendige »Ostkontakte«, wahrscheinlich auch solche in Richtung Nahost. Wenn man ein Gerücht über militärische Softwareentwicklung bei der Incom lancierte, könnte der Plan aufgehen, durch das Softwareprojekt Erkenntnisse über östliche Geheimdienste zu erhalten.

Die Auftragserteilung für die Incom zog sich hin – so kurz vor Weihnachten gäbe es keine Entscheidung. Vielleicht Anfang Januar. Von Seiten der Auftraggeber dächte man auch an eine erweiterte Präsentation; gegen Kostenerstattung.

Das war ein merkwürdiges Silvester gewesen. Günter Maser hatte, eigentlich mehr aus einer Laune heraus, sein Taxi noch einmal durch die Waschstraße gefahren und war dann zum Hafen hinuntergebummelt, so gegen vier Uhr, als es gerade anfing, dunkel zu werden. Es herrschte eine eigenartige Stimmung. Im Zwielicht hasteten Figuren zur U-Bahn, an einer Straßenecke standen ein paar Jungen und zündeten Chinaböller. Der Hafen schien fast leer, im Dunst ließ sich nur eine Barkasse ausmachen.

Zwei Fuhren hatte er einfangen können, die eine zum Hauptbahnhof und eine zweite zum Flughafen. Dort mochte er sich nicht in die lange Reihe der wartenden Kollegen einreihen. Viel Flugverkehr herrschte nicht mehr, und es war nicht sicher, ob er überhaupt noch eine Chance hätte.

So war er zurückgefahren in die Stadt, hatte sich wieder am Hauptbahnhof aufgestellt, nach einer knappen Stunde einen Passagier zum Hotel in die City Nord gefahren und gleich einen Gast in die Stadt gebracht, zum Dammtor.

Inzwischen war es acht Uhr geworden, und Günter hatte mit Trinkgeldern gut neunzig Euro eingenommen – nicht gerade berauschend, aber das lag an der Leerfahrt zum Hauptbahnhof: Da hatte er nicht schnell genug auf die Funkdurchsage reagiert. Es war also seine Schuld.

Unschlüssig war er gewesen, was er tun wollte. Eigentlich war ihm nicht nach Menschen zumute, andererseits fand er, man solle es nicht übertreiben mit der Arbeit. Eine Partyeinladung hatte er von Jan. Martha, Jans Neuentdeckung, eine junge Grafikerin, würde vielleicht auch da sein, Gert sicher.

Später vielleicht, hatte er gedacht und war noch einmal zum CCH, dem Kongresszentrum, gefahren. Dort herrschte erheblicher Betrieb, aber im Wesentlichen von ankommenden Wagen – der Silvesterball des Rundfunks. Nach einer halben Stunde hatte er Glück: Zum Studio nach Lokstedt und zurück, mit zehn Minuten bezahltem Warten brachte das vierzig Euro auf die Uhr.

Er hatte dann beschlossen, Jans Einladung anzunehmen. Also nach Hause, duschen, umziehen, eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, Weihnachtspapier, los.

Bei Jan gingen die Wogen hoch. Einen starken Punsch gab es, es wurde getanzt; gleichzeitig lief der Fernseher, auf dem Balkon wurden schon mal Böller gezündet. Dazwischen reichte man »Berliner«, in der Küche versuchte sich eine Gruppe im Bleigießen, fast alle waren »festlich illuminiert«, wie Jan den Zustand fortgeschrittenen Beschwipstseins beschrieb.

Günter lehnte sich in eine Ecke, nippte an seinem Punsch und beobachtete das Treiben.

Er konnte sich zu seinem eigenen Erstaunen nicht in die fröhliche Gesellschaft einfügen. Er würde sich entweder betrinken oder schlecht benehmen würde, wenn er bliebe.

So war er still und grußlos gegangen, hinunter nach Övelgönne gefahren und noch ein Stück am Elbufer entlanggeschlendert, ehe er sich dann nach Hause begeben hatte. Um Mitternacht lag er im Bett, gewissermaßen kopfschüttelnd, was ihn selbst anbetraf. Er widerstand einem Impuls, Marion in Düsseldorf anzurufen (sie hatte ihm gesagt, dass sie Silvester grundsätzlich um neun ins Bett ginge, mit Schlaftabletten und Ohrenstopfen). Er löschte das Licht gegen ein Uhr.

Ja, ein merkwürdiges Silvester war das gewesen, ohne – fast ohne – Alkohol, ohne Frauen, ohne Rückblick, ohne Vorsätze, nur mit diesem merkwürdigen Projekt im Kreuz.

Jetzt saß Günter am Neujahrsmorgen kurz nach acht am Frühstückstisch in seiner winzigen, spartanisch eingerichteten Küche und überlegte, was zu tun sei.

»Marion anrufen«, fiel ihm ein. Er ließ es dann – er hatte vor drei Tagen mit ihr telefoniert, er wollte nur mit ihr sprechen, wenn er ihr etwas zu sagen hatte. Andererseits gab es eine ganze Reihe aktueller Themen – das Projekt etwa war eines von ihnen – aber das war sicher nicht am Telefon zu erörtern. Und ihr einfach »ein frohes neues Jahr« zu wünschen, schien ihm zu banal. Sie hatte mal von der »Säuglingssterblichkeit von Liebschaften« gesprochen, in diesem Zusammenhang. Bei ihm war es eine gewisse Scheu, zu viel zu offenbaren, verletzbar zu werden.

»Gemeinsame Erinnerungen schaffen«, war Marions These. Ihm schien das legitim aus ihrer Sicht, er selbst war mehr an Zukünftigem interessiert, obwohl beides zusammengehörte, wenn man es recht bedachte. »Zukünftiges« hieß für ihn, intensiv über diese Beziehung nachzudenken. Aber das hätte zu Vorsätzen geführt und damit zur Verletzung seines Vorsatzes, sich keine Vorsätze zu machen.

Nachdenken allerdings, befand er, oder besser »Vordenken«, mochte ganz angebracht sein. Immerhin stand er jetzt in diesem Softwareprojekt, das nicht ganz unbedenklich war, finanziell, technisch und moralisch. Aber da waren immer noch seine hohen Schulden und die bald fällige große Inspektion seines Autos.

Schließlich gab es seine literarischen Ambitionen, wenn man das so nennen durfte (er dürfte, meinte er) und eben die Dame Marion. Die passte nun wirklich in keinen Daseinsentwurf, genau so wenig, wie er wohl zu ihrem Lebensbild gehörte. Ihr Ausruf »verdammt, ich glaube, es ist die Liebe« könnte auch von ihm stammen – zumindest, was das »verdammt« anbetraf.

Es wurde Zeit, sie mal wieder zu besuchen

»Also doch ein Vorsatz«, lächelte Günter Maser. »Gern«, bestätigte er sich.

Jan Martens erhielt einen Anruf von Alfred Kinsky. »Der endgültige Auftrag verzögert sich. Da ist ausgerechnet noch eine italienische Gruppe im Spiel.«

»Sizilianer?«

»Nein, keine Sizilianer, eine Gesellschaft in Rom, Ableger der Uni, mit eigenem Rechenzentrum. Die haben die Möglichkeit, realitätsnahe Daten zu liefern, die benötigen wir ja für die Tests. Die Italiener werden testen und die Abnahme der Programme durchführen. Ist ja auch weiter nicht schlimm. Die Dokumentation soll weiterhin zentral in Deutschland erstellt werden.«

»Das kann der Thomas Erdmann erledigen«, antwortete Jan, »ein Mann der sich mit Dokumentationen auskennt«

»Ja, und dann, ich habe das ja schon mal angedeutet, es steckt wohl doch etwas Geheimes hinter der Sache. Die Amis sind dabei, meine Mannschaft zu checken. Die Hamburger sind demnächst auch dran. Gibt es da irgendetwas zu verbergen?«

»Ach du meine Güte«, antwortete Jan, »mein bester Mann ist der Günter Maser. Und der hat etwas, das mit ‹linken Kontakten‹ nur unzureichend zu umschreiben ist. Zumindest ist er, wenn vielleicht auch auf sehr romantische Weise, ziemlich links oder zumindest alternativ. Falls das heutzutage noch eine Rolle spielt.«

»Das tut es. Wir müssen versuchen, diesen Günter abzuschirmen oder besser noch, ihn für eine Weile aus dem Verkehr zu ziehen – weit weg schicken irgendwo hin, jedenfalls weit weg.«

»Begriffen«, bestätigte Jan. »Wir sollten uns etwas ausdenken.«

Gert wusste Rat. »Wir müssen sowieso in Klausur. Unsere Entwürfe für die Präsentation sind noch ziemlich wirr – die berichtigte Aufgabenstellung spricht jetzt von Flugobjekten mit hoher Geschwindigkeit, die sich an vorgegebenen Orten treffen sollen. Ist wohl klar, was gemeint ist, oder?«

»Flugzeuge«, schlug Jan vor.

»Komm’, spiel nicht den Naiven – oder willst du mir erzählen, dass man ein komplexes Programmsystem erstellt, um Flugzeuge zusammenstoßen zu lassen? Normalerweise soll doch sowas unter allen Umständen vermieden werden.«

»Kann ja vielleicht sein, dass man aus dem Umkehrschluss lernen will.«

»Erzähl’ das deiner Oma. Ist aber im Augenblick auch egal.«

»Eben nicht, ich will wissen, worum es hier geht«, widersprach Jan.

»Das werden wir wissen, wenn der endgültige Vertrag mit dem revidierten Pflichtenheft vorliegt. Ich mach‹ erst mal mit Günter die Fliege, damit wir zu Potte kommen mit unserem Entwurf.«

»Malaga!«

»Malaga?« Günter, der gerade in sein Taxi steigen wollte, drehte sich zu Gert um. »Was soll das heißen?«

»Ich hab‹ da doch ‹ne Finca – ohne Telefon, ohne Fernsehen, ohne Internet, und Ende Januar sind wir dort ungestört – für knappe vierhundert karrt ein Charterer uns hin. Dann können wir wirklich mal zehn Tage richtig arbeiten – den Entwurf zu Ende denken, vielleicht auch mal ’nen vernünftigen Datenflussplan zeichnen, ohne dass unser junges Gemüse gleich was von ›Grufties‹ murmelt.«

Günter stimmte zu. Es würde zwar eine Woche Einnahmeausfall bedeuten, aber der Wagen musste sowieso zur Inspektion. Schließlich, es schneite seit zwei Tagen, die reine Freude war der Beruf des Taxifahrers auch nicht. Und Spanien klang nach Sonne.

Als sie ankamen, an einem Freitag spätnachmittags, begann es gerade zu dämmern – viel war nicht zu sehen von der Landschaft, so sie denn da war: Wohnblocks und Hotels und wieder Wohnblocks – bis nach La Cala immerhin fast vierzig Kilometer lang.

Das Haus war kalt, aber freundlich mit Bauernmöbeln eingerichtet, man merkte, dass hier gewohnt wurde. Gerts Söhne hatten das Kaminholz über Silvester verbraucht, so gingen Gert und Günter früh zu Bett.

»Wie in Hamburg«, dachte Günter, ehe er einschlief: Regen rauschte und in den Bäumen vor dem Fenster fauchte der Wind. Da machte es keinen Unterschied, dass es Palmen waren.

Auch der nächste Tag brachte kalten Wind, Regenböen, von gelegentlichem Sonnenschein unterbrochen.

»Norddeutsches Rückseitenwetter«, dachte Günter.

Sie nutzten das miese Wetter, einigten sich, das Projekt noch einmal von Grund auf durchzuarbeiten.

»Ein reines Simulationsmodell, das haut nicht hin«, gab Günter zu bedenken. »Aber wozu haben wir uns intensiv mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Lass uns ein Expertensystem allgemeiner Art konstruieren – mit der Möglichkeit, Wissen strukturiert zu speichern und strukturiert abzurufen – das kannst du dann auch für Modellbetrachtungen nutzen. Also stell’ dir ein Trockengebiet vor …«

»Ich stell’ mir kein Trockengebiet vor, sondern zwei Körper, die sich an einer bestimmten Stelle begegnen, wobei Geschwindigkeiten, Kurse, Beschleunigungen und Verzögerungen des einen Körpers vorher nicht bekannt sind, während der andere Körper bei Veränderungen dieser Größen des ersten Körpers realtime reagieren muss. Und selbst dann ist nicht ganz sicher, ob unser zweiter Körper nicht im wahrsten Sinne des Wortes das Nachsehen hat.«

»Du denkst an optische Sensoren?«

»Klaro – im Luftraum kann man kaum Nebelbänke erzeugen – das heißt, ganz sicher bin ich da auch nicht – aber optische Strahlung kann man kaum elektronisch stören.«

»Wolken!«

»Aber vielleicht handelt es sich bei der Problemstellung wirklich nicht um Weltraumfragen, sondern um …«

»Ich weiß, Flugpläne«, winkte Gert ab, »aber im Augenblick scheinst du mir an einem Kulminationspunkt der Weltfremdheit angelangt zu sein. Und wir haben die ersten zehntausend Dollar einkassiert. Und die DARPA ist die amerikanische Defense Advanced Research Project Agency – nicht Desert Search Project Agency – und es handelt sich um ein Projekt der Air Force und nicht des Peace Corps. In den Staaten können sie es im Augenblick nicht machen. Die politische Stimmung ist nicht danach – von internationalen Verträgen ganz zu schweigen. Aber ich mach’, glaub’ ich, erst mal einen Kaffee.«

Günter dachte nach. Ein Weltraumprojekt wurde bestimmt nicht auf Computern mit geringer Leistung realisiert. Aber Flugzeuge und ihre Bewegungen konnten Objekte in einer PC-Umgebung sein. Drohnen fielen ihm ein.

Sie arbeiteten intensiv, auch als die Sonne wieder schien.

Gert war unerbittlich. Irgendwo draußen war wohl Spanien, aber ihr Andalusien reichte nur bis zum Mercado, wo sie Eier und Brot, Wein und Avocados einkauften.

Dann streikte Günter. »Dein Arbeitseifer ist bewundernswert, aber ich bin nicht ein paar tausend Kilometer gereist, um in einer feuchtkalten Zelle zehn Stunden am Tage zu schuften. Außerdem kriege ich abends klamme Finger, wir müssen Holz für den Kamin beschaffen.«

Widerwillig stimmte Gert zu. So fuhren sie ein ganzes Stück mit Gerts altem VW die Küste entlang, fanden in Estepona die Marina und bummelten die kleinen Piers entlang.

Gert zeigte auf eine große Yawl, weiß mit harmonischen Linien, weiten Überhängen und positivem Sprung. »Wäre etwas für unsere Segelcrew, was meinst du?«

»Nicht schlecht, schade, dass Jan nicht da ist – vielleicht bringt das Projekt ja genug, dass wir mal an ein größeres Boot denken können.«

Im alten, malerischen Teil des Hafens fanden sie ein kleines Restaurant, das frischen Fisch servierte und kräftigen Rotwein. Gemütlich war es unter der niedrigen Decke, ungern brachen sie auf. Inzwischen war es ganz dunkel geworden. An der Werft stieß Günter seinen Freund an. »Das könnte es sein.«

»Was?«

»Das Ruderboot dort.«

»Du meinst das Wrack?«, fragte Gert.

»Richtig, und die alte Ölfarbe gibt richtig Hitze« .

Sie sahen sich kurz um, gingen dann daran, zwei der morschen Planken abzutrennen. Gert holte das Auto, blitzschnell verstauten sie das Holz auf dem Rücksitz, da es nicht vorne unter die Haube passte.

»Eigentlich sind wir verrückt – klauen hier Holz und riskieren soliden Ärger mit der Guardia Civil. Also nächstes Mal kaufen wir lieber rechtzeitig ein«, kommentierte Günter ihre Tat.

»Immerhin haben wir ein paar Euro gespart«, fand Gert.

Dass er Unrecht hatte, merkte er, als sie bei Licht den Rücksitz des Käfers und ihre Anzüge betrachteten.

Am nächsten Abend führte Gert sie in das Restaurant, das Herr Nitschke aus Wanne-Eickel betrieb. Ein Grünkohlabend für die Winterrentner war angesagt, dem kühlen Wetter durchaus entsprechend. Aber Günter schüttelte es.

»Kann ich gut verstehen«, gab Gert zu, »ich besorg’ dir was anderes, was für hier typischer ist.«

Ein Wiener Schnitzel wurde Günter serviert, mit in Speck gebratenen Kartoffeln.

Als sie beim Warsteiner Bier saßen, das Herr Nitschke gezapft hatte, setzte sich der Wirt zu ihnen.

»Ich muss Ihnen da was sagen, woll,« er senkte die Stimme, »da war so ein Herr hier, also ein Mann, bestimmt ein Ami, redete jedenfalls so. Der fragte nach Ihnen, ob Sie wohl hier wohnen. Ich hab’ ihn wieder weggeschickt, hab’ gesagt, hier wohnt keiner, der so heißt, vielleicht in Marbella, da ist doch die neue deutsche Urbanisation. Der ist dann abgehauen. Also in Ordnung war der bestimmt nicht, woll?«

Gert bestätigte, dass sie absolut inkognito hier wären, und er vertraue darauf, dass Herr Nitschke verschwiegen bliebe.

»Von mir kriegt keiner was raus!«, beteuerte der Wirt. »Ich kenn’ das doch, wenn hier die Männer mit ihrer Freundin, und de Frau is’ zuhause – also Sie sind nicht gemeint, woll«, fügte er eilends hinzu, als er Gerts Miene sah.

»Wir müssen uns wohl verdammt vorsehen bei unserem sogenannten Flugplanprojekt«, meinte Gert auf dem Heimweg, »unsere amerikanischen Freunde dürfen auf keinen Fall erfahren, dass du eine entscheidende Rolle spielst, bei deiner Linkslastigkeit und deiner nicht gerade staatstragenden Vergangenheit. Jedenfalls komm’ nicht auf den Gedanken, das Taxifahren aufzugeben. Du brauchst es als Tarnung.«

Günter nickte nachdenklich. »Mir ist erst jetzt bewusst geworden, in welch ein Abenteuer wir da reinschlittern; geschäftlich und vor allem menschlich und moralisch. Bisher haben wir schön aus der warmen, gemütlichen Ecke heraus unseren unverbrüchlichen Pazifismus deklamiert. Jetzt aber sind wir gefordert. Und was machen wir? Bemühen uns eine ganze Woche lang um die Lösung eines militärischen Problems.«

»So ist das Leben«, bestätigte Gert.

In seinem Washingtoner Büro saß Fred Harvard und überlegte. Die Aufgabe, die ihm seine Vorgesetzten der Agency übertragen hatten, war reizvoll, zumindest kurzweilig. Unter Umständen allerdings auch gefährlich. Er müsste sich ab und zu nach Europa begeben, vielleicht auch auf die andere Seite des Eisernen Vorhanges (er dachte immer noch in den alten, vertrauten Kategorien). Der »Kalte Krieg« war zwar längst zu Ende, aber in der Auseinandersetzung der Geheimdienste ging es immer noch verdammt rau zu. Ein Hauptaktionsgebiet war Deutschland – die Bundesrepublik, um genau zu sein. Die Russen konzentrierten sich auf Wirtschaftsspionage, versuchten verstärkt, Rückstände in der Informationstechnologie aufzuholen. Ein Mitarbeiter seiner Abteilung, Paul Hammer, war dort in einem besonderen Einsatz. Paul sprach verhältnismäßig gut Deutsch, er selbst verstand nur ein paar Brocken. Doch da konnte ihm »Fräulein« helfen. Fräulein war seit einigen Jahren – er überlegte – seit acht Jahren seine Ehefrau. Sie war ihm »zugefallen«, wie er fand, während eines Urlaubs in der Karibik.

Damals war sie mit ihm, dem fremden Junggesellen, nach Dale City in Virginia gegangen, er hatte sie seinen Eltern vorgestellt, nach weiteren drei Wochen hatten sie geheiratet. Seine Dienststelle hatte sehr schnell die notwendigen Unterlagen beschafft: Nachteiliges war nicht zu berichten, sie hatte bereits in Deutschland in einer amerikanischen Firma gearbeitet, alles war o.k.

Also Alexandra. Bisher hatte er sie kaum in seine Operationen einbezogen. Jetzt aber würde sie nützlich sein können: mit ihren Kenntnissen der deutschen Sprache, der Möglichkeit, die Mentalität von Partnern und Gegnern einzuschätzen. Er würde sie als einen Trumpf im Ärmel haben – auch gegenüber Vorgesetzten, eine Argumentationshilfe, wenn er etwas Besonderes plante. Vorerst galt es, für die Operation die neue Identität herzustellen. Seinen Namen könnte er behalten, das vereinfachte vieles. Mit dem Beruf ging das nicht so ohne weiteres. Bisher hatte er in der Rolle eines »selbstständigen Unternehmers in der Ausrüstung von Läden« agiert, Schwerpunkt Klima und Sanitär. Jetzt sollte er als Chef einer Softwarefirma auftreten – ein erheblicher Sprung.

Fred Harvard beschloss einen Kompromiss: Als einigermaßen erfolgreicher Manager seiner eigenen Unternehmung könnte er sich in einem neuen Enterprise engagieren – als Kapitalgeber und als Präsident. Und da die Firma relativ jung war, stark expandierte und nun auch Aktivitäten in Europa entfaltete, wäre es ganz natürlich, wenn er auch dort nach dem Rechten sähe. Ja, so müsste es gehen. Alexandra könnte als typische Ehefrau eines »Small Business Man« seine Assistentin sein – eben mit so viel oder so wenig Informationen, wie man sie einer gehobenen Sekretärin, insbesondere der eigenen Ehefrau, zubilligen mochte.

So schrieb er eine Vorlage für seine vorgesetzte Dienststelle, skizzierte sein Vorhaben und gab eine vorsichtige Kostenschätzung ab. Die Antwort erhielt er prompt. Er sollte mit einer Dienststelle der Air Force Kontakt aufnehmen, die würden ein Briefing organisieren für die geforderte Software. Sein interner Auftrag, über die Aktivitäten feindlicher Nachrichtendienste in Bezug auf Software mehr herauszufinden, hätte Vorrang, wäre für die Dienststelle sehr wichtig. Eine der Zielpersonen, ein Mr. Martens, wäre übrigens anfällig für die Reize schöner Damen.

Alexandra war eine Schönheit. Groß, blond, wohl proportioniert, voll anmutiger Eleganz. Es war, als ob sich eine Tigerkatze in den Dschungel der Großstadt begeben hätte. Klug war Alexandra auch, sie hatte Humor und Charme – fast zu perfekt erschien sie denen, die sie nur flüchtig kannten. Der schöne Schein trog. Alexandra konnte durchaus hart sein, cool in jeder Hinsicht, grausam wenn es sein musste. Und ob die Notwendigkeit zu konsequenter Härte bestand, entschied ausschließlich sie selbst.

Ihr Ehemann wusste wenig von diesem Zug seiner Frau. Für ihn kam es darauf an, dass sie funktionierte – im Haushalt, im Bett und in Gesellschaft. Wobei »die Gesellschaft« vornehmlich aus seinen Kumpeln bestand, mit denen er auf die Jagd ging, Bier trank und ab und zu mit dem Motorboot Touren unternahm. Reine Männeraktivitäten, in Hinblick darauf, was seine Dienststelle von ihm erwartete, vielleicht doch etwas eng, diese Definition von »Gesellschaft« .

Fred Harvard wusste wenig von den Sehnsüchten seiner Frau. Sie träumte manchmal von einer Geborgenheit, die aus dem Gleichklang der Seelen käme und hielt das durchaus nicht für kitschig. Ihr Mann nahm zwar regelmäßig an den psychologischen Schulungen seiner Dienstelle teil, aber er kam nicht auf den Gedanken, das erworbene Wissen im häuslichen Bereich anzuwenden.

Alexandra hatte sich früh durchbeißen müssen. Ihr Vater hatte ihr, unter dem Vorwand, sie müsse lernen, selbstständig zu sein, ein Ladengeschäft eingerichtet. Das war im Grunde ja nicht verkehrt, aber sie war erst siebzehn Jahre alt gewesen, ohne Erfahrung und auch ohne Arg – nicht wissend, dass dieses Geschäft der Geldwäsche diente.

Als Alexandra zwanzig Jahre alt war, hatte sie sich von ihrem Vater lösen können. In einer US-Ladenkette, die mit modischen Textilien handelte, lernte Alexandra zu verhandeln, zu verkaufen und Bücher zu führen. Ihre Erfahrungen als Unternehmerin halfen ihr, neue Sachverhalte richtig zu beurteilen, zielgerichtet zu handeln und auch Mitarbeiter anzuleiten. Schrittweise arbeitete sie sich nach oben..

Ihr erster großer Urlaub war es, der sie in die Karibik führte. Dort traf sie auf Fred Harvard, der sich in einer Reisegesellschaft langweilte, die hauptsächlich aus mittelalterlichen Ehepaaren bestand. Fast besinnungslos stürzte sie sich in diese Beziehung, auf diesen Mann, der sie ruhig und sehr bestimmt umwarb, ihr genauso bestimmt klar machte, dass sie ihn heiraten müsste. Nach zwei Wochen willigte sie ein.

Alexandra wusste nicht, dass ihr Mann auf Weisung seiner Dienststelle in psychotherapeutischer Behandlung war und dass seine zur Schau getragene Ruhe nur seine innere Unsicherheit kaschieren sollte. Jedenfalls merkte sie bald, dass sein »small business« nur zur Tarnung einer anderen Tätigkeit diente. Bald fragte Alexandra sich auch, was sie bewogen hatte, sich für einen so gewöhnlichen Mann wie Fred zu interessieren. Es gab kaum etwas, was ihn auszeichnete, was ein Zusammenleben auf die Dauer rechtfertigen könnte. Aber immerhin, sie hatte jetzt die amerikanische Staatsbürgerschaft, war dem mörderischen Trott ihres Jobs entkommen. Sie fand, für jemand, der so dynamisch, tüchtig und selbstständig wie sie war, wäre die neue Heimat die richtige Herausforderung. Und ihren Kerl würde sie vielleicht auch noch hinkriegen. Immerhin, sein Körper …

Dennoch, das konnte doch nicht alles sein. Irgendwann musste sie raus aus dieser muffigen Ehe.

Fred Harvard rief die Akte »Thomas Erdmann« auf. Die Beurteilung durch die Profilerin der CIA interessierte ihn.

»Mr. Thomas Erdmann besitzt eine Persönlichkeit, die durch sein privat und beruflich sehr bewegtes Leben geprägt ist.

1989 mit Mutter und sechs Geschwistern über Ungarn aus der DDR geflohen, Volksschule in einem kleinen, norddeutschen Dorf, Internatsbesuch mithilfe eines Stipendiums, Ausbildung zum Lebensmitteltechniker, Studium der Volkswirtschaft, Anstellung in der Wirtschaftsbehörde der Stadt Hamburg.

Heiratet die Geschäftsführerin einer PR-Agentur.

Nimmt ein Angebot eines Bekannten an: Strategieberater einer neu gegründeten Transportversicherungsgesellschaft. Aufbau einer eigenen Abteilung. Entlassung, als die Gesellschaft von einer Konkurrenzfirma übernommen wird. Selbstständigkeit als Unternehmensberater mit gelegentlichen Aufträgen mittelständischer Unternehmer. PR- und Wirtschaftsberater einer Leasingfirma. Koproduzent und PR-Berater bei der Produktion eines historischen Kriegsfilms. Der Film wird nicht zu Ende gedreht, Thomas Erdmann wird entlassen. Arbeitet als Texter, verfasst Kurzgeschichten.«

Fred Harvard las weiter. Sabine Erdmann:

» … energische, durch beruflichen Ehrgeiz geprägte Frau, die es versteht, auch ihre körperlichen Vorzüge (sehr gute Figur, blond) beruflich einzusetzen. Ausgesprochen dominant in der Ehe. Hat ihren Ehemann dazu überredet, seinen Job als Berater aufzugeben und als freiberuflicher Texter mehr Geld zu verdienen. Anfangs auch Aufträge von der PR-Agentur, später eingestellt, als T.E. sich auf Beiträge für Zeitschriften und Kurzgeschichten (wenig erfolgreich) konzentrierte. Sie wirft ihrem Mann vor, dass er nicht zielstrebig an einer schriftstellerischen Karriere gearbeitet hatte.

»Beide relativ harmlos«, befand Fred Harvard.

Kapitel 2

Dorothea Martha Warnke war 25 Jahre alt, hoch gewachsen, sensibel und arbeitslos. In einer Diskothek wurde sie von einem Typen angesprochen, der von Alter und Aussehen her eher in eine Hotelbar gehörte. Das Gespräch mit ihm, soweit es im Lärm der Disco möglich war, schien Martha auch im Rückblick durchaus interessant. Die Themen wechselten von moderner Malerei über Gentechnologie und Computergrafik zu Urlaubsplänen und wieder zurück zu den Möglichkeiten moderner Software. Irgendwann verschwand dann dieser Jan Martens, nicht ohne sie zu seiner Silvesterparty eingeladen zu haben (»Du kommst doch bestimmt, nicht?« – »Mal seh‹n.« ). Und dass sie einen Job brauche, auch da ließe sich bestimmt etwas machen.

Als dann der Zweigstellenleiter der Sparkasse sie anrief und um baldigen Kontenausgleich bat, erinnerte sich Martha an das Angebot des Herrn Martens. Sie kramte und fand den Zettel mit seiner Handynummer.

Doch, sie solle mal vorbeikommen. Das Gespräch ergab, dass er sie nach wie vor sehr sympathisch fände, ihre Ausbildung als Grafik-Designerin durchaus nützlich wäre und sie, falls in Hamburg abkömmlich, zum Computertraining zur befreundeten Firma Sinus nach Frankfurt sollte. Für drei Monate etwa, und wenn sie sich gut machte, könnte sie mit einer festen Anstellung rechnen. Zunächst sollte sie freiberuflich für ihn arbeiten, insbesondere Folien für Präsentationen fertigen.

Martha hatte das Angebot angenommen, auch eine Einladung zum Abendessen. Sie hatte sich gut mit Jan unterhalten:

Sie hatten miteinander gelacht, vorsichtig Pläne geschmiedet (vornehmlich er) und waren sich näher gekommen. Sie schätzte sein unbekümmertes Wesen, seine Offenheit, die kühnen Perspektiven, die er entwarf. Sonst war er nicht unbedingt »ihr Typ« : er war fast einen Kopf kleiner als sie, übergewichtig, mit dünnem Haar, das schon schütter war.

Er fand die Art ihrer Argumentation hinreißend, mochte ihre tiefblauen Augen, lauschte auf den Wohlklang ihrer Stimme. Behutsam fuhr er ihr übers Haar, als sie nach Hause fuhren. Ihr »Tschüss, ich freu‹ mich aufs nächste Mal«, klang ihm verheißungsvoll. Fröhlich pfeifend brauste er davon.

Erst als Jan das Licht der Nachttischlampe löschte, wurde ihm bewusst was er Martha versprochen hatte. Eine Arbeit in einem Projekt, für das es bisher nur eine unverbindliche Anfrage gab, einen Ausbildungsplatz, der noch nicht existierte, eine Bezahlung, für die das Geld fehlte.

Wenn er vor ihr nicht als Angeber mit windigen Versprechungen dastehen wollte, musste er alles tun, um den Auftrag für das Projekt zu erhalten.

»Ein Vertrag mit dem Teufel. Ich verkaufe meine Seele.«

Im Einschlafen träumte er von einem Haufen Schmuck, den er Martha überreichte.

Drei Tage später fing Martha ihre Arbeit an. Sehr sorgfältig werkelte sie, nicht schnell genug, befand Jan, unterdrückte aber Kritik, mit der Zeit würde sie flinker werden. Dafür genoss er es, zwischendurch mal mit ihr zu plaudern.

Schnell gewöhnte er sich an sie, freute sich über kleine Zeichen ihres Interesses an seiner Person. Martha, in ihrer ruhigen, überlegenden Art, erschien ihm als ideale Ergänzung seines eigenen, nicht immer ausgeglichenen Temperaments.

Einen Wermutstropfen erhielt ihr Zusammensein durch seine vergeblichen Bemühungen, ihre Zuneigung als Frau zu gewinnen, ihm schien, dass ihre Zurückweisungen etwas zu schroff ausfielen. Sie fand, sie wolle mit ihm arbeiten mit freudigem Eifer zwar, aber ohne persönliche Gefühle einzubringen, zumindest nicht sofort und eigentlich galt ihre Sehnsucht nicht einem Endvierziger, der doch schon starke Gebrauchsspuren aufwies.

Und dann, dieses Projekt, an dem er arbeitete – das schien ihr reichlich dubios, eine unklare Aufgabenstellung, die geheimnisvollen Andeutungen, die Jan machte. Sie würde ihn mal zur Rede stellen, nahm sie sich vor.

Jan erhielt einen Anruf seiner früheren Frau: »Ich brauche einen Mann nein, nicht was du meinst, aber mich besucht eine chinesische Handelsdelegation. Zum Abendessen sind sie bei mir, und da es nur Männer sind also, es wäre mir schon lieb, wenn ich nicht solo auftreten müsste.«

Pünktlich traf Jan ein, er hatte einen bunten Strauß mitgebracht, wie ihn seine Frau liebte. Kurz schnupperte er den vertrauten Duft der Wohnung, bewunderte höflich die neuen Stilmöbel und freute sich an dem festlich mit edlem Porzellan, Kerzen und Silber gedeckten Tisch.

»Du hast dich ja mächtig herausgebracht«, befand er.

»Meinst du? Wie kommst du darauf?«

»Du trägst da eine Fülle von Wertgegenständen an dir herum. Woher ….«

»Ist auch eine sehr hochrangige Delegation«, lenkte sie ab. »Aber erzähl’ lieber, was du so treibst.«

Er berichtete von dem neuen Projekt – voller Herausforderungen, weil sie versuchen wollten, ein komplexes Problem auf einem Laptop zu lösen.

Das Essen war vorzüglich, stilvoll serviert vom Kellner des chinesischen Restaurants, das es geliefert hatte.

Frau Martens stellte ihren Mann vor- ein Systemanalytiker sei er – gerade mit einem spannenden IT-Projekt befasst. Kollisionsverhütung bei Flugkörpern, wenn sie es richtig verstanden hätte.

Einer der Gäste beugte sich vor. »Sehr interessant klingt das, mögen Sie erzählen?«

Jan wiegelte ab, es handele sich nur um ein Problem, das mit der beschränkten Rechenkapazität von Laptops zusammenhänge. Man tauschte die Visitenkarten.

Unmittelbar nach dem Essen erhoben sich die Gäste, chinesischer Höflichkeit entsprechend, bedankten sich artig und gingen.

Jan blieb noch auf ein Glas Wein.

»Erzähl’ von Deinem geheimnisvollen Projekt«, forderte Renate ihn auf, »was läuft da so? Kommst du weiter?«

Jan berichtete. Zunächst, es sei sehr vertraulich, er bäte sie, das zu akzeptieren. Es bereite ihm Unbehagen, gab er zu.

Dann kam er auf Martha. Erzählte von ihrem Zusammentreffen, seinem Angebot, das sie angenommen habe, und dass er sich nun wohl verliebt hätte. Ja, so richtig doof wie ein Primaner, ohne Skepsis und mit konkreten Absichten. Natürlich, nach Primanerart träume er schon mal vom ersten Kuss und Ähnlichem er hätte auch seine Gitarre entstaubt, sich an einem Sonett versucht. Sogar Gert hätte er von seinen Gefühlen berichtet. Der hätte allerdings die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, na ja.

»Was sagt denn deine Angebetete dazu«, wollte Renate wissen.

»Och, die ist ausgesprochen kratzbürstig also nicht grundsätzlich. Ich vermute sogar, dass sie sanftmütig, zärtlich vielleicht, sein kann. Und dass es sie auch nach Zärtlichkeit, Fürsorge, Liebe dürstet. Nur leider nicht von meiner Seite. Nun bin ich völlig durcheinander, da ich finde, ich bemühe mich doch sehr, biete mich manchmal förmlich an irgendetwas mache ich wohl grundlegend falsch …«

»Du bist und bleibst ein Schaf auch da, wo du ein Hammel sein möchtest so, wie du sie geschildert hast, ist sie vielleicht eine liebe, liebenswerte Frau. Nur, das musst du begreifen, nicht für dich. Etwa, weil es einen anderen gibt. Außerdem bist du zu alt und zu dick für solch junge Dinger. Sei nett zu ihr, setze sie richtig ein, lobe sie auch mal, dann hast du viel von ihr. Ist sie denn zuverlässig?«

»Mit Maßen. Bisher hat sie noch nichts Großes vollbracht, auch das Wort Termin existiert nicht in ihrem Sprachschatz. Wenn man sich mit ihr verabredet, um einen Tag lang mit ihr konzentriert zu arbeiten, erscheint sie auch nicht vor zwölf Uhr.«

Renate lächelte. »Sieh mal, da hast du noch viel zu tun. Versuche nicht, Liebesgefühle zu wecken, wo du Zeitgefühl trainieren müsstest!«

Er nickte seufzend.

»Übrigens, habt ihr etwas mit Militär oder Ähnlichem zu tun? Ich hatte da einen merkwürdigen Anruf. Da hat sich jemand nach dir erkundigt – wollte auch wissen, ob wir früher mal zusammen im Osten waren. Das ganze klang nicht nach Kreditauskunft.«

»Sprach der Mann mit Akzent?«

Renate überlegte einen Augenblick. »Eigentlich nicht – könnte vielleicht amerikanisch gewesen sein. Aber sicher bin ich keinesfalls.«

Jan traf sich mit Thomas Erdmann »beim Griechen« in der Nähe des Büros. Der hatte in seinem dunkel getäfelten Gastraum eine Ecke, die etwas abgeschirmt war.

Um die Zusammenarbeit ging es.

»Sie möchten wissen, mit wem sie es zu tun haben, nehme ich an«, eröffnete Herr Erdmann das Gespräch.

»Richtig, unser kleines Unternehmen ist im Begriff eine großen Auftrag zu erhalten. Die Auftraggeber erwarten gewissenhafte Arbeit.«

»Und dazu gehört gewissenhafte Personalauswahl?«

»Unser Projekt steht unter besonderer Beobachtung, und da muss ich schon genau wissen mit wem ich zusammenarbeite.«

»Nicht was der Knecht sei, fragt der Herr, nur wie er dient. Faust zwei, dritter Akt.«

»Aha, und das bitte auf Englisch – für meine Auftraggeber.«

»Gut, ich nehme an, Sie möchten nicht nur meine positiven Seiten ergründen, sondern auch von Schwächen oder Risiken erfahren. Mit Texten kenne ich mich aus, als Autor von Geschichten, Herausgeber einer Zeitschrift und Verleger kann ich Texte verfassen, redigieren und korrigieren.

Meine Schwächen beruhen auf meinem Ehrgeiz – vielleicht auch auf meiner Unfähigkeit sie rechtzeitig zu erkennen. So habe ich noch Schulden aus einem Filmprojekt – von der Bendestorfer Feldschlacht haben Sie sicher gehört.«

Während Thomas Erdmann erzählte, lehrten sie die erste Flasche roten Demestica. Dann fanden sie, dass sie sich duzen könnten.

»Und sonst?« Jan spielte mit seinem Glas. »Familienangelegenheiten alle in Ordnung?«

»Das hängt davon ab, wie ich mit dir bzw. der Incom klar komme.«

Sie einigten sich schnell: T.E., wie er nun auch bei der Incom heißen sollte, würde die Dokumentationen im Büro empfangen und grob prüfen, dann sollte er sie zuhause auf seinem PC bearbeiten. Das Ergebnis war in der Firma zu besprechen, soweit notwendig. Bezahlung nach Aufwand zum Stundensatz von vierzig Euro, wie bereits bei der Vorstellung besprochen.

»Ist doch eine Menge Geld«, meinte Jan, »ich hoffe, du wirst damit glücklich.«

»Geld macht mich nicht glücklich, aber es gestattet mir, auf angenehme Art unglücklich zu sein«, entgegnete T.E.

Jan nahm noch einen Schluck Demestica. »Noch Fragen?«

Thomas Erdmann nickte. »Du hast mir erzählt, dass in Hamburg das Konzept und die Vorgaben entstehen. In Frankfurt wird dann programmiert oder eigentlich nur kodiert, und in Italien gibt es ein Institut, das testet dann das Ganze. Ist das nicht recht ineffizient?«

»Eigentlich schon, aber für den Auftraggeber macht das Sinn«, erklärte Jan Martens. »Dadurch, dass auch geografisch getrennte Einheiten die einzelnen Teile bearbeiten, besteht kaum das Risiko, dass an einer Stelle zu viel Wissen angehäuft wird. Risikoverteilung, obwohl Koordination und Kontrolle erschwert sind. Außerdem gibt es wirksame Verschlüsselungstechniken, so können wir das Internet nutzen.«

Jan orderte eine weitere Flasche Wein.

»Du hast Probleme?«, fragte T.E.

»Kann man wohl sagen«, antwortete Jan Martens, »das heißt, eigentlich sind es keine richtigen Probleme mir geht da nur etwas im Kopf herum. Aber damit möchte ich dich nicht behelligen wir kennen uns ja kaum.«

T.E. lächelte Jan an. »Nur zu, manchmal mag man sich Fremden lieber anvertrauen, als Menschen, die einem nahe stehen.«

Jan holte tief Luft. »Hattest du mal ein Verhältnis ich meine, hast du mal eine jüngere Frau geliebt?«

Thomas Erdmann nickte lebhaft. »Und ob war ganz schön aufregend. Dauerte nur nicht lange, die Angebetete fühlte sich eingeengt, liebte mich auch ihrerseits nicht so sehr. Es war also eine recht einseitige Angelegenheit. Aber du liebst offenbar eine Jüngere.«

»Ja, und mir geht es wohl wie dir, das heißt, ich weiß zwar sicher, dass ich sie sehr gern habe und das Zusammensein mit ihr ist sehr schön, es gibt viel Gemeinsames. Nur, unsere Beziehung, obwohl sie wirklich ein Geben und Nehmen ist also ich würde sie gern in den Arm nehmen, mal küssen – na, du weißt schon.«

T.E. beugte sich vor: »Du willst die Qualen einer unerfüllten Liebe einwechseln gegen die größeren Qualen einer erfüllten Liebe.«

»Treffend gesagt«, bestätigte Jan.

»Ist nicht von mir, T. S. Eliot.«

»Trotzdem gut. Aber mal ehrlich, wie bist du denn aus der Affäre also, ich meine, wie hast du die Angelegenheit bewältigt?«

T.E. schüttelte den Kopf. »Hab’ ich gar nicht. So ganz tief unten sitzt es auch immer noch. Es war eigentlich keine heiße Liebesbeziehung eher eine freundschaftliche, die ich eben in meinem Sinne gedeutet und entsprechend ausgestaltet habe. Zumindest versucht habe ich es. Als dann klar wurde, dass es nicht Liebe war, dachte ich, die Welt bräche zusammen zumindest meine Traumwelt tat es.«

»Und dann?«

»Und dann«, fuhr T.E. fort, »ja dann wurde es ein freundschaftliches Nebeneinander. Für sie war es wohl eine große Erleichterung. Jedenfalls, wenn sie bekümmert war, ließ sie es sich nicht anmerken. Doch einmal, als ich so ganz down war, da sagte sie, dass sie Angst um mich hätte.

»Vielleicht liebte sie dich doch«, gab Jan zu bedenken.

»Vielleicht« .

Eine Pause entstand.

»Du möchtest nun von mir einen Rat«, beendete T.E. das Schweigen. »Geschieht mir auch recht, ich habe ja gefragt, ob du Probleme hättest.«

»So ist es.«

»Eine Antwort ist nicht so einfach. Das heißt, eine vernünftige Antwort schon. Die hieße: Lauf fort, weit weg, lass die junge Frau in Frieden ziehen. Oder wenn das nicht möglich ist, benutze deinen Kopf. Wir Männer haben in solchen Situationen eine direkte Verbindung vom Hirn zu den Hoden, aber als Computermann solltest du gewohnt sein, aufgrund einer Analyse sachdienliche Entscheidungen zu fällen.«

»Aber ich …«

»Ja, ich weiß«, fiel T.E. seinem Gegenüber ins Wort, »eigentlich möchtest du keine vernünftige Antwort, sondern eine befriedigende.«

»Richtig.«

»Also folge deinem Gefühl. Wenn du wirklich der Meinung bist, du liebst deine junge Freundin, dann wirst du auch Verständnis für ihre Situation aufbringen für ihre Sehnsüchte und Träume. Es könnte sein, dass es dir gelingt, einige der Träume wahr werden zu lassen. Wenn du sehr viel Glück hast, erhältst du einen festen Platz in der Welt der Dame. Es mag sein, dass du durch geduldiges Werben mehr erreichst. Doch denke daran, Glück ist in unserem Alter immer die Gewissheit des Unbeständigen, Liebe ein Teil dieses flüchtigen Gefühls.«

»Treffend bemerkt von Herrn Eliot«, bestätigte Jan.

»Nicht T. S. Eliot, ist von mir.«

»Trotzdem gut«, bemerkte Jan.

Herr Erdmann lächelte, wurde dann ernst.

»Du solltest noch einen anderen Aspekt der Angelegenheit bedenken, die Vertraulichkeit des Projektes. Deine junge Dame wird bald mit Fragen kommen, die ein Chef abwimmeln würde, ein Liebender aber zu gern beantwortet, um auch hier Kompetenz zu zeigen. Sei vorsichtig, bitte!«

»Danke, ich will versuchen, daran zu denken.«

Sie saß am großen Küchentisch der Wohngemeinschaft. Der Raum war hoch und ungemütlich, ein offensichtlich Farbenblinder der Vormietergemeinschaft hatte ihn in einem schwer definierbaren Violett gestrichen, ein Regal hing schief an einer Seite, und die Pflanzen am Fenster hatten sich noch nicht entschieden, ob sie nun eingehen sollten oder nicht. In der Spüle und darunter stand schmutziges Geschirr, das, so fand Martha, demnächst abgewaschen werden müsste, ehe der Gestank unerträglich würde. »Typisches Klischee einer WG«, dachte Martha.

Sie schnitt farbige Symbole aus einer Folie. Symbole nach DIN 6220 oder so ähnlich. Normalerweise hätten sie das als PowerPoint Präsentation in zwei Stunden erledigt. Aber das hätte bedeutet, es aufwendig zu verschlüsseln; Jan wollte auf alle Fälle vermeiden, dass die Pläne kopiert würden – auch mit Hackerangriffen mussten sie rechnen, so galt es, den Datenflussplan auf Aluminiumfolie darzustellen. Das gab beim Versuch zu kopieren oder zu scannen eine schwarze Fläche. Jan hatte sich die Mühe gemacht, es Martha zu erklären, aber sie hatte nicht so genau hingehört, weil es ihr nicht wichtig erschien. Wichtig war vielmehr, dass sie die Programmablaufpläne noch bis zum Morgen fertig bekam, sie hatte es Jan doch versprochen und wollte ihn auf keinen Fall enttäuschen. Die Arbeit erforderte Sorgfalt und bis zu einem gewissen Grade auch Geschicklichkeit. Normalerweise stellte das für Martha keine Schwierigkeit dar, nur in dieser Nacht schien alles wie verhext: Die Folien klebten an den falschen Stellen, der Stift rutschte aus, eine Überschrift fehlte. Das lag wohl daran, dass sie nicht konzentriert genug arbeitete – sie hatte viel zu überlegen, geriet auch ins Sinnen. Martha merkte, dass sie zuweilen nur dasaß und ins Leere oder auf die Hauswand gegenüber starrte, die als grauer Schemen vor dem Fenster stand. Dann erhob sie sich, um sich einen Tee einzuschenken, eine neue CD einzulegen und auch wieder die Musik abzuschalten, wenn sie ihren Gedankenflug störte.

Sie hatte mehr über ihre Arbeit wissen wollen. Er hatte recht kurz und wenig verständlich von dem Projekt berichtet und dann erklärt, was er sich vorstellte.

Computergrafik, nein, nicht im üblichen Sinne, auch nicht künstlerisch, das vielleicht später einmal, nein, um das Umsetzen von Zahlen und insbesondere von logischen Abläufen in visuell gut erfassbare Formen ginge es.

Nicht, dass man das nicht schon beherrsche rein technisch jedenfalls aber darüber hinaus handele es sich darum, die Grafiken so aufzubereiten, dass sie psychologisch angenehm wirkten, bei dem Betrachter eine positive Grundstimmung auslösten. Der Auftraggeber wünschte das so, es sollte selbsterklärend sein, manchmal hätte er den Eindruck, das Ganze wäre für Analphabeten vorgesehen.

Sie sollte sich das mal überlegen, hatte er geschlossen. Er wüsste, dass sie nur Grundkenntnisse der Computerei hätte, aber Webdesign könne man schnell und wirksam erlernen. Wichtig sei, dass sie denken könne und lernen wolle. Und den absoluten Willen habe, wirklich top zu sein.

Aber diesen Eindruck hätte er von ihr, außerdem ohne einen Vorschuss an Vertrauen liefe in dem Business sowieso nichts.

Schließlich: Ob sie einen Vorschuss brauchte. Zumindest etwas Geld für die Beschaffung des Materials sollte sie nehmen.

Er hatte dann noch einmal angerufen. Das mit der Ausbildung meine er ernst. Er wisse, dass er sich damit etwas auflade, aber das sei nicht weiter schlimm zumindest erträglich.

Warum? Ganz einfach, er habe sie gern. Er hoffe sehr, dass sie auch … Aber, das sei wirklich ein anderes Thema und besser nicht am Telefon zu erörtern. So hatte Martha eingewilligt, für die Incom zu arbeiten.

Aber dieser Jan hatte offensichtlich nicht nur geschäftliche Interessen.

Sie hatte mit ihrer Mitbewohnerin Sabine gesprochen, ihr dargelegt, was von ihr erwartet wurde. Sabine hatte flammend abgeraten: Das würde zu einer nicht zu vertretenden Abhängigkeit führen man dürfe doch nicht damit rechnen, dass irgendjemand, und erschiene er noch so vertrauenswürdig, »einfach nur so« etwas für eine Fremde tue.

»Er ist mir aber nicht fremd.«

»Drum«, hatte Sabine geantwortet, »du steigerst dich da in etwas rein, das du gar nicht übersehen kannst und nachher verknallst du dich noch in ihn oder was genau so schlimm ist, er sich in dich und dann? Schließlich, was du da so angedeutet hast von wegen Geheimprojekt ist ja auch nicht gerade geil – also, wenn Du mich fragst: Finger weg!«

Paul Hammer, der die Arbeit der Incom beobachtete, hatte einen Detektiv angeheuert. Dem hatte er klar gemacht, dass er mit eben jener Martha Warnke so gut wie verlobt wäre. Nun hätte er das Gefühl, dass diese Dame es mit der Treue nicht so genau nähme. Er bitte daher um eine Beobachtung. Das sollte nicht schwer sein, da besagte Martha in einer großen WG wohne – über die Mitbewohner sollte wohl etwas zu erfahren sein. Eine Woche dürfte genügen.

Paul Hammer erhielt auf diese Weise die Information, dass die Incom auch Arbeiten für das Projekt außerhalb des Büros erledigen ließ. Offensichtlich Zeichnungen für eine Präsentation und Vorarbeiten zu einer Dokumentation. Paul beschloss, zunächst nicht zu reagieren.

Jan saß in seinem Büro vor seinem Laptop und träumte vor sich hin. Eigentlich sollte er die Gliederung für die Präsentation überarbeiten, aber ihm war das Schokoladenherz mit der Stoffrose in die Hände gefallen. Martha hatte es ihm geschenkt.

Sie hatte anrufen wollen gestern Abend um elf, bis Mitternacht hatte er gewartet und dann noch ein Glas Wein auf die verlorene Wette getrunken. Gewettet hatte er mit seinem anderen Ich: Dass sie bestimmt anrufen würde, da sie es doch versprochen hatte.

Er hatte ihr auch klar gesagt, wie wichtig die Folien wären. So hatte sie ihm versprochen, die Folien fertigzustellen oder zumindest Bescheid zu sagen. »Was soll‹s« dachte er, »Martha wird irgendwann nach zehn anrufen oder gegen Mittag aufkreuzen, das Ganze »locker« sehen, Küsschen auf die Wange, »erst mal einen Tee, lass uns einen Augenblick miteinander sprechen.«

Wie gern hätte er sein Schlauchboot genommen, wäre mit ihr ins Teufelsmoor gefahren gepicknickt hätten sie, er hätte ein Aquarell gemalt. Jan rief sich zur Ordnung.

Es war noch viel zu früh im Jahr, Picknick im Februar!