Gefangen am runden Tisch - George Kohlrieser - E-Book

Gefangen am runden Tisch E-Book

George Kohlrieser

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Beschreibung

Der Klassiker neu aufgelegt! Wer Konflikte und schwierige Situationen anpackt und mit der Macht des Dialogs löst, schafft es, das eigene Potenzial und das der Mitarbeiter auszuschöpfen. So kann vermieden werden, dass das Unternehmen, das Team oder die eigene Person an den schwelenden Konflikten zerbricht oder durch die - meist nur in den Köpfen existierende - Ausweglosigkeit dauerhaft gelähmt wird. George Kohlrieser, der sein enormes Wissen nicht nur aus seiner Arbeit als klinischer und als Organisationspsychologe, sondern auch aus seinen Erfolgen als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen schöpft, vermittelt dem Leser Schritt für Schritt, wie man selbst immer Herr der Lage bleibt. Anhand von realen Geiselsituationen beschreibt der Autor die Schlüsselfaktoren, die den Leser befähigen, mentale Blockaden zu beseitigen, die uns alle immer wieder zu Gefangenen werden lassen. Führungskräfte erfahren, was sie tun müssen, um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und eine positive, engagierte Einstellung im Team zu erreichen: - Sprechen Sie die Situation klar an. - Bauen Sie echte Beziehungen auf - auch zum "Feind". - Denken Sie niemals wie eine Geisel. - Nutzen Sie die Macht von Dialog und Verhandlung. - Seien Sie selbst eine verlässliche Basis und bilden Sie so Vertrauen. - Verstehen Sie, dass eine Person niemals das Problem ist. - Richten Sie Ihr geistiges Auge auf Erfolg.

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Die englische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel Hostage at the Table. How Leaders Can Overcome Conflict, Inf luence Others, And Raise Performance bei Jossey-Bass, einem Wiley Imprint, 989 Market Street, San Francisco, CA 94103-1741.

Copyright © 2006 by George Kohlrieser. All rights reserved.

This Translation published under license.

Alle Bücher von WILEY-VCH werden sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren, Herausgeber und Verlag in keinem Fall, einschließlich des vorliegenden Werkes, für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler irgendeine Haftung

© 2023 Wiley-VCH GmbH, Boschstraße 12, 69469 Weinheim, GermanyAlle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form – durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige gesetzlich geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche markiert sind.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Print ISBN: 978-3-527-51148-8ePub ISBN: 978-3-527-84268-1

Umschlaggestaltung: Torge StoffersCoverbild: zhikun sun - adobe.stock.com

 

Für meine Frau, Cinzia, und unsere vier Kinder – Doug (verstorben), Paul, Giulia und Andrew – für ihre Energie, ihre Inspiration und die großen Lernchancen, die sie mir in all den Jahren geboten haben.

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelblatt

Impressum

Widmung

Neues Vorwort zur deutschen Ausgabe

Vorwort

Einleitung

1 Sind Sie gefangen, ohne es zu wissen?

Es ist wichtig, dass man sein Denken und Fühlen steuert

Ohnmacht ist Gift

Stockholm-Syndrom und Geiselmentalität

Das Gegengift ist die Herstellung einer emotionalen Verbindung

Zusammenfassung

Anmerkungen

2 Wie Sie mit Ihrem geistigen Auge Freiheit erlangen

Das geistige Auge fokussieren

Das geistige Auge eines anderen Menschen erkennen

Die Macht der mentalen Verfassung

Wie man die innere und äußere Verfassung beeinflussen kann

Die selbsterfüllende Prophezeiung und das geistige Auge

Wie man mit dem geistigen Auge sieht

Zusammenfassung

Anmerkungen

3 Das Potenzial des Bonding-Kreislaufs

Der Bonding-Kreislauf

Annäherung und Bindung

Trennung und Trauer

Die acht Phasen der Trauer

Die sieben Manifestationen zerstörter Bindung

Bonding und Veränderung

Zusammenfassung

Anmerkungen

4 Die Stärke einer sicheren Basis

Wie sichere Basen das geistige Auge beeinflussen

Menschen als sichere Basis

Die Mutterfigur als sichere Basis

Die Vaterfigur als sichere Basis

Ziele als sichere Basen

Angst vor Misserfolg und Angst vor Erfolg

Ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl und sichere Basen

Sichere Basen und Widerstandsfähigkeit

Wenn eine sichere Basis fehlt

Annäherungs- und Bindungsstile

Zusammenfassung

Anmerkungen

5 Die Kunst des Konfliktmanagements

Natur und Wurzeln von Konflikten

Gewalt als Extremreaktion auf Verlust

›Der Fisch muss auf den Tisch‹

Konfliktquellen

Die Dynamiken einer gesunden Beziehung

Interessenkonflikt versus Bedürfniskonflikt

Konfliktlösung

Die Anwendung von Konfliktlösungstechniken im Unternehmenskontext

Zusammenfassung

Anmerkungen

6 Effektiver Dialog

Mittels Dialog nach der größeren Wahrheit suchen

Interner und externer Dialog

Dialogblockaden

Instrumente zur Beseitigung von Dialogblockaden

Dialogprinzipien

Die Kunst des Zuhörens

Die Auswirkung des Dialogs auf die Gesundheit

Zusammenfassung

Anmerkungen

7 Die Macht der Verhandlung

Zehn Schritte im Verhandlungsprozess

Einen positiven Verhandlungsansatz verfolgen

Win-win-Mentalität

Wenden Sie das Gesetz der Gegenseitigkeit und der beiderseitigen Konzessionen an

Die Wirkung der Einflussnahme und die Macht der Überredung

Wie man informelle Autorität ausübt

Verkaufen Sie die Nutzen der Anstrengung

Zusammenfassung

Anmerkungen

8 Wie man lernt, seine Gefühle zu beherrschen

Wie Gefühle funktionieren

Die fünf Emotionsphasen

Fünf Emotionsmuster

Motivation

Der Wert der emotionalen Intelligenz im Geschäftsleben

Die Auswirkungen von Emotionen auf die Gemütslage

Umgang mit Emotionen

Drei einfache Instrumente zur Deeskalation von Emotionen

Wenn die Amygdala das Steuer übernimmt

Zusammenfassung

Anmerkungen

9 Ein Leben frei von mentaler und emotionaler Gefangenschaft

Ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl

Ein niedriges Selbstwertgefühl

Das Selbstwertgefühl stärken

Demut als frei gewählte innere Haltung

Wie man sich selbst und anderen durch kontinuierliches, lebenslanges Lernen hilft

Wie man durch Wahlmöglichkeiten Frieden findet

Leben im Flow-Zustand

Zusammenfassung

Anmerkungen

Danksagung

Der Autor

Stichwortverzeichnis

End User License Agreement

Illustrationsverzeichnis

Kapitel 2

Abb. 2.1: Das geistige Auge bestimmt die Ergebnisse

Kapitel 3

Abb. 3.1: Der Bonding-Kreislauf

Abb. 3.2: Quelle: Gallup-Studie »Umfrage zeigt, dass die Deutschen lediglich...

Kapitel 4

Abb. 4.1: Sichere Basen und Selbstwertgefühl

Kapitel 5

Abb. 5.1: Verlusttypen und ihre Wurzeln

Kapitel 6

Abb. 6.1: Dialog

Abb. 6.2: Die Psychophysiologie des Sprechens

Kapitel 8

Abb. 8.1: Die fünf Emotionsphasen

Abb. 8.2:

Quelle:

Joshua Freedman,

EQ Today

, »Hijacking of the Amygdala: Thi...

Orientierungspunkte

Cover

Titelblatt

Impressum

Widmung

Inhaltsverzeichnis

Neues Vorwort zur deutschen Ausgabe

Vorwort

Einleitung

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Danksagung

Der Autor

Stichwortverzeichnis

End User License Agreement

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Neues Vorwort zur deutschen Ausgabe

Gefangen am runden Tisch (im Englischen: Hostage at the Table) wurde 2006 auf Englisch und 2008 auf Deutsch erstmals veröffentlicht. Mittlerweile wurde es sogar insgesamt in 13 Sprachen übersetzt. Seitdem werden die Prinzipien dieses Buches immer wieder verwendet und erweitert, um Bindung, Trauer, Denkweise, Emotionen, Entscheidungsfindung, Dialog und Verhandlung besser zu verstehen. Es hat sich gezeigt, dass die grundlegenden Ideen und Geschichten inspirierende Wahrheiten darüber enthalten, wie man eine »geiselfreie« Führungskraft und Person sein kann. Das Gefängnis der Denkweise, der destruktiven Emotionen, die Macht der Angst – all das kann uns immer noch als psychologische Geisel festhalten. Die Tatsache, dass die Welt in vielerlei Hinsicht immer mehr herausgefordert wird – Klimawandel, Pandemien und ihre Folgen, der Krieg in der Ukraine und die heftigen Wortgefechte entlang der politischen Gräben, die Vorstellung, dass es »alternative Fakten« gibt –, macht die Herausforderung des Dialogs noch schwieriger. Die Idee einer freundlichen Meinungsverschiedenheit scheint für viele Menschen zu schwinden.

Andererseits gibt es auch viel Positives zu vermerken. Die Pandemie hat die Rolle der Führung dramatisch verändert, von einem Führungsstil, der auf »Befehl und Kontrolle« (»command and control«) beruht, hin zu »Zusammenarbeit und Kooperation«. Remote working (Fernarbeit und Homeoffice) bedeutet, dass die Führungskräfte den Mitarbeitern vertrauen und deren Macht und Kraft anerkennen müssen. Die Art und Weise, wie wir arbeiten, hat sich stark verändert. Die Klimakrise hat ehemalige Gegner um ein gemeinsames Ziel versammelt. Die ganze Welt durchlief und durchläuft eine Art Trauerprozess, ein Loslassen alter Ideen und alter Identitäten, um eine neue Freiheit oder einen neuen »geiselfreien Zustand« mit einem veränderten Sinn und Zweck zu entdecken. Doch einige sind immer noch »Geiseln« ihrer Trauer und weigern sich, loszulassen. Sie kämpfen mit der sich verändernden Welt und sind gefangen in der Vergangenheit, weil sie nicht loslassen können.

Einer der Hauptpunkte von Gefangen am runden Tisch bleibt ein zentraler Grundsatz: Das Leben ist ein kostbares Geschenk, das mit voller Freude gelebt werden sollte. Viele Menschen sind dazu nicht in der Lage, weil sie »psychologische Geiseln« sind. Sie bleiben ein Opfer der schmerzhaften Seiten des Lebens und sind in der Tat eine »psychologische Geisel« für jemanden, etwas oder sogar für sich selbst. Dieses Buch zeigt, wie man von einer »Geisel« zu einem »geiselfreien« Geisteszustand gelangt, der es jedem Einzelnen ermöglicht, sein Leben mit voller Freude zu leben – ganz gleich, was ihm widerfahren ist oder was ihm in Zukunft widerfahren könnte. Das Buch ist voll von Geschichten, die zeigen, wie einige Menschen – wie zum Beispiel Nelson Mandela – genau das erreicht haben und wie andere dazu nicht in der Lage waren. Wie kommt es, dass manche Menschen die größten Hindernisse überwinden können und andere nicht?

Seit 40 Jahren bin ich Verhandler bei Geiselnamen und habe dabei gelernt, dass man keine Waffe am Kopf braucht, um eine »Geisel« zu sein. Man kann eine Geisel für eine andere Person, eine Situation oder sogar für sich selbst sein, ohne dass man von einer physischen Waffe bedroht wird. Sie fragen sich vielleicht, wie Sie eine »Geisel« für sich selbst sein können. Wenn Sie mit einer negativen Geisteshaltung, ständigen Schuldgefühlen, Bedauern oder zerstörerischen Emotionen leben, die die Freude beeinträchtigen, dann sind Sie eine Geisel Ihrer selbst. Die Überwindung solcher negativen Zustände ist für eine leistungsstarke Führung absolut notwendig. Die gleichen Techniken, mit denen Verhandler bei Geiselnamen eine 95-prozentige Erfolgsquote bei physischen Geiselnahmen erzielen, können auch eingesetzt werden, um zu vermeiden, dass man eine »psychologische Geisel« ist. Es ist erstaunlich, wie oft wir unsere persönliche Macht aufgeben, um ein Opfer unserer Denkweise und unserer Gefühle zu werden. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie eine physische Geisel sind, gelten die gleichen Prinzipien, um die persönliche Macht zu erhalten – ich weiß das, weil ich in meiner Karriere viermal als physische Geisel genommen wurde und heute noch lebe. In diesem Buch teile ich mit Ihnen erstaunliche Geschichten von Menschen, die ungeachtet der Umstände in der Lage waren, alle Hindernisse zu überwinden, die ihnen im Weg standen, um mit voller Freude zu leben.

Es ist nach wie vor absolut richtig, dass Verhandler dem Geiselnehmer ihre Sorge, ihr Interesse und ihre Fürsorge aufrichtig vermitteln müssen. Tun sie das nicht, können sie nicht die Bindung herstellen, die es dem Geiselnehmer ermöglicht, seine Wut, seinen Groll, seine Verbitterung und den Verlust, der die Geiselnahme verursacht hat, abzuschalten. Führungspersönlichkeiten sind nicht annähernd so effektiv, weil sie nicht das Vertrauen und die psychologische Sicherheit schaffen, um das Beste aus ihren Mitarbeitern herauszuholen. Viele Menschen empfinden zu viel Angst, zu viel Abwehrhaltung, um ihr Bestes zu geben. Warum? Meistens wegen des Chefs.

Meine Nachforschungen haben ergeben, dass die Grundsätze aus Gefangen am runden Tisch zutreffender sind denn je. Führungskräfte müssen eine sichere Basis für ihre Mitarbeiter sein, um zu zeigen, dass sie sich kümmern und gleichzeitig etwas wagen – nur heutzutage mit Bindung. Das schaltet die Tendenz des Gehirns aus, nach Gefahr zu suchen. Wenn Führungskräfte selbst im unsichersten und bedrohlichsten Umfeld ein Gefühl der Sicherheit schaffen, sind die Mitarbeiter vor den negativen Folgen der Unsicherheit geschützt und können sich auf die Chancen konzentrieren. Die Ergebnisse dieser Forschung wurden 2011 in meinem Buch Fördern und Fordern (im Englischen: Care to Dare) veröffentlicht. Seitdem werden die Ideen der sicherheitsorientierten Führung auf der ganzen Welt angewendet. Dies alles ist Teil der Transformation der Arbeit. Die Führung wird immer stärker transformativ, indem sie durch Einfluss, Inspiration und Teamarbeit geschieht, anstatt transaktional mit dem Schwerpunkt auf Überwachung, Kontrolle und Leistungsbeurteilung. Führungskräfte müssen mit allen Beteiligten, einschließlich Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden, Vertrauen aufbauen. Investoren drängen Unternehmen dazu, sich zu besseren Corporate Citizens zu entwickeln, da die Pandemie gesellschaftliche Missstände wie Klimawandel, mangelnde Vielfalt und psychische Probleme ins Rampenlicht rückt. Als Reaktion darauf konzentrieren sich Führungskräfte zunehmend auf Emotionen und deren Auswirkungen auf die Motivation. Dies bedeutet, dass sich Führungskräfte ihrer eigenen Emotionen und der anderer bewusst sein müssen. Emotionale Intelligenz und emotionale Verfügbarkeit sind von entscheidender Bedeutung für eine leistungsstarke Führung. Was? Ja, Führungskräfte müssen vollwertige Menschen sein, die sowohl mutig als auch fürsorglich sein können.

Die besten Führungspersönlichkeiten haben auch ein tiefes Bewusstsein für den Purpose (den Sinn / das Ziel), das aus intrinsischer Motivation erwächst – eine Leidenschaft, etwas Wertvolles jenseits des Eigeninteresses zu erreichen, das mit ihrem Sinnempfinden verbunden ist. Auf der höchsten Ebene verbindet die intrinsische Motivation die Führungskraft damit, zu dienen und nicht, bedient zu werden. Es ist das Paradoxon der Macht: das Gleichgewicht zwischen dem Dienst an sich selbst und dem Dienst an anderen. Eine Führungskraft zu sein, kann viel mehr sein als eine berufliche Rolle. Es kann darum gehen, wer man ist, basierend auf dem Interesse, anderen zu dienen, und einer Art des »Seins«, die über das Eigeninteresse hinausgeht. Das inspiriert die Art und Weise, wie Führungskräfte sich selbst führen, andere führen und Organisationen leiten. Wenn eine Führungskraft den Sinn für das Dienen in ihrer Führung verloren oder nie gespürt hat, wird das früher oder später negative Folgen haben. Seine Berufung zu leben bedeutet, seine Träume in sinnvolle Handlungen umzusetzen. Aber alle Träume haben früher oder später ein Ende. Und dann müssen wir einen neuen Traum finden, um die volle Leidenschaft in der Arbeit und im Leben aufrechtzuerhalten. Dieser Prozess kann uns unser ganzes Leben lang inspirieren. Dazu gehört, Abschied zu nehmen, loszulassen, zu trauern und durch einen Übergang / eine Transition zu gehen, um einen neuen Traum und eine neue Aufgabe zu finden. Dieser Prozess sollte bis zu unserem Todestag andauern.

Wie Gefangen am runden Tisch in der deutschen Übersetzung bisher angenommen wurde – das Feedback –, war wunderbar. Ich freue mich, dass Sie den Weg zu diesem Buch gefunden haben, und hoffe, Sie finden es hilfreich und gleichzeitig ein Vergnügen zu lesen.

George Kohlrieser

November 2022

Vorwort

Dieses Buch ist anders als alle Bücher über Führungsthemen, die Sie sonst lesen. George Kohlrieser hat eine äußerst eindringliche Metapher geschaffen, die aus seiner langjährigen persönlichen Erfahrung und aus seinen Erkenntnissen als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen entstanden ist. Er verwendet dabei einen sehr originellen Ansatz, indem er auf emotionale und gelegentlich erschreckende Situationen zurückgreift, um seine These zu verdeutlichen. Das Ergebnis ist tief beeindruckend, und die angesprochenen Themen, die den Leser auf eine Reise zu einem Leben in mentaler Freiheit mitnehmen, sind sowohl für das Berufs- als auch das Privatleben relevant.

Ich traf George vor vielen Jahren zum ersten Mal. Er hat maßgeblich am Accenture Leadership Development Program mitgewirkt, das zur Entwicklung von mehr als dreitausend angehenden Führungskräften von Accenture beigetragen hat. Durch unser Programm habe ich das Privileg genossen, George in Aktion zu erleben. Im Verlauf der Jahre konnte ich beobachten, wie überaus wirkungsvoll sein Modell für Verhandlungen in Geiselsituationen – in dessen Mittelpunkt Themen wie Konfliktlösung, Bonding und Dialog stehen – Menschen dabei hilft, zahlreiche Hindernisse zu überwinden, die einer effektiven Führung entgegenstehen.

An zwei Dinge erinnern sich unsere Leute immer aus ihrer Zeit mit George. Das erste ist das, was er als »das geistige Auge« bezeichnet – damit ist gemeint, dass unsere mentale Haltung uns beflügeln oder lähmen kann; das ist eine ganz persönliche Entscheidung. Wie George betont, bereiten wir den Boden für unseren Erfolg, wenn wir in unserem Privat- wie im Berufsleben unser geistiges Auge auf das angestrebte Ziel richten.

In den mehr als dreißig Jahren, die ich nunmehr im Geschäftsleben stehe und in denen ich mit Hunderten unterschiedlicher Unternehmen unmittelbar zusammengearbeitet habe, bin ich zum überzeugten Anhänger der These geworden, dass die Besten der Besten (egal ob Organisationen oder Individuen) immer die Möglichkeiten sehen und nicht die Beschränkungen. Natürlich erlebt jeder große Höhenflüge und manche echten Tiefpunkte. Meines Erachtens sind es die Tiefpunkte, die die besten Führungspersönlichkeiten von allen anderen unterscheiden. Sieger sind diejenigen, die sich aus einer schweren Krise wieder aufrappeln und auf Ausreden für mangelndes eigenes Handeln verzichten. Sie weigern sich einfach, sich als Opfer zu betrachten.

Tatsächlich hatte diese Denkweise auch eine tiefe Wirkung auf meine eigene Erfahrung. Führungspersönlichkeiten haben die Macht, andere Menschen zur Erreichung außergewöhnlicher Ziele zu beeinflussen, zu motivieren und zu inspirieren. Wenn es eine Eigenschaft gibt, die eine herausragende Führungspersönlichkeit ausmacht, dann ist es Optimismus und eine »Geht nicht, gibt's nicht«Mentalität. Für mich ist das ein Schlüsselelement eines Lebens frei von »mentaler Gefangenschaft«.

Die zweite Sache, an die sich unsere Leute so lebhaft erinnern, ist Georges Konfliktlösungsmethode. Wie er in unseren Kursen demonstriert, müssen Führer die Dinge auf den Tisch bringen. Anstatt bei einem heiklen Problem um den heißen Brei zu reden, sollten sie eingestehen, dass es existiert, aufrichtig miteinander kommunizieren und sich gegenseitig Respekt zollen.

Es ist vielleicht nicht überraschend, dass viele Führungspersönlichkeiten Mühe haben, sich diese Haltung zu eigen zu machen. George bietet hier seine Hilfe an, indem er sie dazu ermutigt, den Dialog als Weg zu mehr Wahrheit zu betrachten. Die meisten von uns stimmen darin überein, dass Führer gute Zuhörer und Gesprächspartner sein müssen. George zeigt jedoch, dass Führer den Dialog aktiv blockieren können, ohne sich darüber bewusst zu sein, oder sich in eine innere Geiselhaft begeben, wenn andere den Dialog blockieren. Das ist ein kritischer Punkt, weil Dialog und Konfliktlösung – wenn sie richtig gesteuert werden – Teams stärken und Menschen dabei helfen können, größere Bindungen zu entwickeln. Insgesamt spiegeln die Themen dieses Buches ein Dauerthema von Accenture wider, nämlich welche Voraussetzungen für eine nachhaltige herausragende Leistung nötig sind. Wir glauben, dass die erfolgreichsten Organisationen von außergewöhnlichen Führungspersönlichkeiten geleitet werden, die wissen, wie sie aus ihren Teams das Beste herausholen. Sie verfügen zudem über ein »Geheimrezept«, das die Quintessenz der Organisation und ihrer Mitarbeiter ausmacht und von keinem Wettbewerber kopiert werden kann.

Ich glaube, George würde dem zustimmen. Er weiß, dass sich alle Unternehmen, egal welcher Größe, immer wieder die wichtige Frage stellen müssen, wie sie ihren Mitarbeitern das Gefühl von Eigenverantwortung und Handlungsfähigkeit geben und sie dazu bewegen können, Hindernisse zu überwinden und sich wie Sieger zu verhalten, anstatt zu Geiseln zu werden. George gibt die Antwort: Unternehmensführer können ihren Mitarbeitern zu einer positiven und einussreichen inneren Haltung verhelfen. Sie können ihnen dabei helfen, sich aufzuraffen und einen starken inneren Willen zur Erreichung ihrer Ziele zu entwickeln.

Georges Geschichten erinnern uns daran, dass wir nicht die Opfer der Umstände sind – wir haben immer die Macht zu reagieren. Unsere Handlungen bestimmen immer das Ergebnis. Und das macht den Unterschied.

Dieses Buch wird mit Sicherheit etwas Positives für das Geschäftsleben und die Unternehmensführung bewirken, und ich möchte George dafür danken, dass er uns alle an seinen Erfahrungen teilhaben lässt. Seine Erkenntnisse sind für alle Menschen und Organisationen wichtig, die nach Höchstleistung streben. Dieses Buch wird Sie dazu inspirieren, sich selbst in Zukunft die Messlatte höher zu legen.

Joe W. Forehand

Chairman, Accenture

Einleitung

Die Idee zu diesem Buch entstand nach einem entscheidenden Augenblick in meinem Leben in der Notfallaufnahme eines Krankenhauses in Dayton, Ohio. Als junger Psychologe im Dienste des Dayton Police Departments begleitete ich Polizisten in das Krankenhaus, um mit einem aufgeregten, gewalttätigen Mann zu verhandeln, der mit Stichwunden, die ihm seine Lebensgefährtin zugefügt hatte, in das Krankenhaus eingeliefert worden war, Während ich in einem Behandlungszimmer mit dem Mann sprach, ergriff er plötzlich eine große Schere, brachte mich und eine Krankenschwester in seine Gewalt und drohte damit, uns beide umzubringen. Zwei Stunden lang führten wir einen Dialog, der sich ausschließlich um ihn, seine lebensbedrohlichen Verletzungen und die Behandlung drehte, die zu seiner Rettung notwendig war. Der Wendepunkt in dieser Krisensituation kam, als ich ihn fragte: »Wollen Sie leben oder wollen Sie sterben?« »Ist mir egal«, war seine Antwort. Dann fragte ich: »Und was ist mit Ihren Kindern? Wollen Sie, dass sie ihren Vater verlieren?« Daraufhin veränderte sich sichtlich seine mentale Haltung, und er begann, über seine Kinder zu sprechen, anstatt über seine Wut auf seine Lebensgefährtin und die Polizei. Am Ende willigte er ein, die Schere hinzulegen und ließ sich von einer Krankenschwester und einem chirurgischen Team behandeln. In einem noch überraschenderen Moment, nachdem er die Schere weggelegt hatte, kam dieser überaus »gewalttätige« Mann mit tränenerfüllten Augen auf mich zu, umarmte mich und sagte: »Danke, George. Ich hatte vergessen, wie sehr ich meine Kinder liebe.« Seine Dankesworte haben in mir den unverrückbaren Glauben an die Herstellung einer emotionalen Verbindung, an Dialog und Verhandlung selbst mit den gefährlichsten Menschen entstehen lassen. Überdies war ich selbst über die Kraft überrascht, mit der ich meine eigenen Gefühle unter Kontrolle bringen und mich aus der Angst befreien konnte, um ruhig und konzentriert auf eine Lösung hinzuarbeiten.

Die Lektionen, die ich aus diesem Ereignis im Jahr 1968 lernte, sind für mich als Professor für Führungs- und Organisationsverhalten heute genauso wertvoll wie in meinen ersten Berufsjahren als klinischer Psychologe, Polizeipsychologe, Verhandlungsführer bei Geiselnahmen, Organisationspsychologe und Moderator einer Radio-Talkshow. Ich entdeckte, dass sich meine Lernerfahrungen als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen auch erfolgreich auf alle Situationen der subjektiven Ohnmacht und Gefangenschaft anwenden lassen, in denen ein Mensch im übertragenen Sinne zur Geisel wird. Tatsächlich ereignen sich derartige »Geiselsituationen« tagtäglich im Berufs- und Privatleben.

Mein Ziel in diesem Buch ist es, Sie an meinen Lernerfahrungen aus meiner Zeit als Verhandlungsexperte bei Geiselnahmen teilhaben zu lassen, damit Sie sie auf Situationen in Ihrem Leben anwenden können, in denen Sie sich im übertragenen Sinne als »Geisel« fühlen. Immer wenn Sie das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit haben und meinen, Sie säßen in einer ausweglosen Falle, sind Sie in der Tat eine »Geisel«. Wenngleich sich dieses Buch vor allem an Führungskräfte in Unternehmen richtet, kann es für jeden Menschen in jeder Lebenssituation sehr nützlich sein.

Ich habe in meinem Leben, in dem ich mit Einzelpersonen, mit Führungskräften, Teams und Unternehmen zusammengearbeitet habe, viele Menschen kennen gelernt, die Gefangene anderer Menschen, bestimmter Situationen oder sogar ihrer eigenen Gefühle waren. Ihre Reaktionen ähnelten denen echter physischer Geiseln, auch wenn ihnen niemand »eine Pistole an den Kopf« hielt. Sie verhielten sich wie in Geiselhaft, auch wenn es ihnen nicht bewusst war, und das obwohl sie die Macht hatten, sich daraus zu befreien. Daneben habe ich auch Menschen erlebt, die durch einen anderen Menschen oder eine Situation leicht in mentale Geiselhaft hätten geraten können, und dies dennoch nicht taten. Die Geiselmetapher ist ein ausgesprochen gutes Modell, um Verhaltensweisen zu verstehen, und das Modell der Verhandlungsführung bei Geiselnahmen kann jedem helfen, der sich im übertragenen Sinne als Geisel nehmen lässt.

Meine Lebensgeschichte ist eng mit der Entstehung dieser Denkweise verknüpft. Ich wurde in eine Familie mit fünf Brüdern und Schwestern geboren, die auf einer Farm in Ohio lebte. Meinen Eltern gehörte das Land, und neben der Landwirtschaft betrieben sie auch noch eine Geflügelfarm. Als ältester Sohn war es für mich eine große Ehre, mit dreizehn in das katholische Priesterseminar einzutreten, um Priester zu werden. Diese Erfahrung hat mir zahlreiche Nutzen gebracht: Ich lernte in einer Gemeinschaft zu leben; Zeiten intensiver Studien, Ausbildung und Zerstreuung wechselten sich ab, mein Charakter und meine Werte formten sich, und ich lernte viel über Meditation und Spiritualität. Ein negativer Aspekt dieser Zeit war der Verlust einer »normalen« Jugend. Nach ungefähr acht Jahren verwandelte sich das, was anfangs eine positive Erfahrung gewesen war, allmählich in eine schwere Prüfung, da ich nicht den Mut hatte, mir einzugestehen, dass ich das Seminar verlassen wollte. Heute weiß ich, dass ich damals zum Gefangenen meiner eigenen widerstreitenden Gefühle über mein zukünftiges Leben als Priester wurde. Ich hatte das große Glück, mit Pater Edward Maziarz einen sehr außergewöhnlichen, weisen Mann kennen zu lernen, dem ich mich anvertraute. Im Verlauf eines sehr aufwühlenden Dialogs blickte er mir direkt in die Augen und sagte mit der Weisheit des Alters: »George, du bist frei. Du hast das Recht zu wählen, was immer du tun willst.« Dieser Satz traf mich wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel, der mein Schicksal für immer veränderte. Seine Worte und seine Authentizität berührten die tiefsten Tiefen meiner Seele. Die folgende Stille war sehr angenehm, während mein Geist sich neu ausrichtete, um diese fundamentale Wahrheit zu verstehen. Als ich vor Erleichterung in Tränen ausbrach, bat ich ihn, diesen wunderbaren Satz zu wiederholen. Seine Worte öffneten eine Gefängnistür, die ich selbst errichtet hatte. In diesem Moment verstand ich eine der grundlegenden Wahrheiten des Lebens – das, was Warren Bennis als »Feuerprobe für Führungspersönlichkeiten« bezeichnete. Die entscheidenden Momente im Leben sind die, die die Geduld und die eigenen Überzeugungen auf eine schwere Probe stellen; eine Prüfung, die das eigene Leben für immer beeinflusst, verändert und prägt. Damals war ich 21 Jahre alt. Es dauerte noch ein weiteres Jahr bis ich soweit war, dass ich das Priesterseminar verlassen konnte.

Als ich an diese Zeit zurückdachte, erkannte ich, dass ich noch lange, nachdem der Zeitpunkt für einen Abschied gekommen war, in jener Situation verharrt hatte, weil ich mich zu einem Gefangenen meiner Gefühle gemacht hatte. Ich war eine Geisel meines Schmerzes über den Abschied von einer vertrauten Umgebung und allen Vorteilen und der Sicherheit, die sie mir bot. Außerdem war ich traurig darüber, dass ich die Erwartung der anderen und auch meine eigenen Erwartungen an mich selber nicht erfüllen konnte. Ich bin Pater Ed ewig dankbar für die Worte, die mich mental neu vernetzt haben, mein geistiges Auge beeinflussten (ein Konzept, über das Sie noch mehr erfahren werden) und meinen Fokus neu ausrichteten. Pater Ed repräsentiert auch noch ein weiteres Konzept, von dem Sie in diesem Buch erfahren werden – das der sicheren Basen. Damit sind die Anker und Stützen – Menschen oder Ziele – in Ihrem Leben gemeint, die wichtige Quellen der freien Entscheidungsfähigkeit sind. Sie werden die Gelegenheit haben zu sehen, wie wichtig sichere Basen für uns alle sind.

Während ich mein Diplom in Psychologie machte, arbeitete ich an einem von der US-Regierung finanzierten Programm mit, das erstmalig die Begleitung der Polizei bei Einsätzen durch Psychologen vorsah. Der Zweck dieses Programms war, durch das Angebot unmittelbarer Hilfe Tötungsdelikte in häuslichen Gewaltsituationen zu verhindern. Dabei handelte es sich um eine Krisenintervention, die darauf abzielte, Menschen mit einem außerordentlich hohen Gewaltpotenzial und den für Gewalttaten anfälligsten Opfern zu helfen und sie anschließend den lokalen psychologischen Einrichtungen zuzuleiten. Dank des Vertrauens eines wundervollen Psychologen, Dr. John Davis, der mich fragte, ob ich an diesem Projekt interessiert sei, hatte ich Gelegenheit, daran teilzunehmen. Nachdem ich dies bejaht hatte, fragte ich ihn, warum er ausgerechnet mich gefragt hatte. Er antwortete: »Sie sind einer der wenigen Menschen, von denen ich weiß, dass sie eine derart hohe Herausforderung gerne annehmen. Außerdem haben Sie das Einfühlungsvermögen und die Fähigkeiten, um mit gewalttätigen Menschen umzugehen und die Belastbarkeit, um mit jeder Situation, die sich auf der Straße ereignet, fertig zu werden.« Ich fühlte mich von seinem Vertrauen sehr geehrt. Ich für meinen Teil habe nie eine Waffe getragen, trotz aller dringenden Empfehlungen. Ich wusste, dass Worte meine beste Waffe waren – das Reden, das Zuhören, der Dialog und die Verhandlungen.

Während der Zeit, die ich an dem besagten Projekt mitarbeitete, wurde ich vier Mal als Geisel genommen – ein Mal in der Notfallaufnahme des Krankenhauses und drei Mal im Rahmen häuslicher Gewaltszenen. Es waren diese Erfahrungen, die mich so tief von der Macht der Geiselmetapher überzeugt haben. Sie haben die Macht, niemals eine Geisel im übertragenen Sinne zu werden, sowie die Macht, andere zu beeinflussen und dazu zu bewegen, selbst in emotional extrem gespannten Situationen konstruktive Entscheidungen zu treffen.

Im Jahr 1972 wurde ich vom Polizeipräsidenten von Dayton, Ohio gefragt, ob ich an der lokalen Polizeiakademie in Programmen für die Entwicklung von Polizeiführungskräften unterrichten und dabei helfen würde, zwei Teams für Geiselverhandlungen auszubilden – eines für das Police Department von Dayton, Ohio und eines für das Sheriff's Department von Montgomery County, Ohio. Seit diesem Zeitpunkt bin ich auf vielfältige Weise mit dem Thema Geiselverhandlungen befasst, darunter als direkter Verhandlungsführer sowie mit Ausbildung und mit Nachbesprechungen von Geiselbefreiungen auf der ganzen Welt. Gleichzeitig arbeitete ich in einer psychiatrischen Klinik, in der ich Psychiatriefachkräften den Umgang mit chronisch schizophrenen Patienten lehrte. Ich wurde Zeuge entsetzlich unmenschlicher Behandlung von Patienten und Teil einer Initiative zur Veränderung des Umgangs mit psychisch Kranken durch das Pflegepersonal der Psychiatrie. Diese Veränderung zielte darauf ab, statt mit Zwang, Gewalt und Wegschließen zu arbeiten, das Konzept des so genannten Bonding zu verfolgen – also die Herstellung einer emotionalen Verbindung (in diesem Fall) zu Menschen, die Geiseln schwerster psychiatrischer Störungen waren. Aus meiner Zusammenarbeit mit der Polizei wusste ich bereits, was sich mit Bonding alles erreichen ließ. Nun entdeckte ich, dass sich dasselbe bei Menschen erreichen ließ, die unter extremen Geistesstörungen litten. Ich bin Dr. Carl Rogers ewig dankbar, der mir persönlich dabei half, die Kraft der »bedingungslosen positiven Beachtung« zu verstehen – einem fundamentalen Aspekt der authentischen Herstellung einer emotionalen Verbindung zu anderen Menschen. Dr. Rogers war von der Bedeutung dieses Konzepts für jeden Menschen, egal unter welchen Umständen, überzeugt. Diese Idee bleibt ein grundlegender Bestandteil der emotionalen Beziehung, die Verhandlungsführer bei Geiselnahmen herstellen, um die Geiselnehmer dazu zu bewegen, ihre Geiseln frei zu lassen.

Im Verlauf der Zeit dehnte ich mein Tätigkeitsspektrum von der Welt der klinischen Psychologie auf die Welt der Ausbildung von Führungskräften aus, indem ich mit Unternehmensführern arbeitete. In der klinischen Welt standen Dialog und Konfliktlösung im Mittelpunkt meiner Arbeit. Gleichzeitig beinhaltete meine Arbeit in Unternehmen einen ähnlichen Fokus, aber in einem anderen Kontext. Dialog und Konfliktlösung bilden ein starkes Team, und herausragende Führungspersönlichkeiten müssen in der Lage sein, mit Menschen effektiv zu kommunizieren. In meiner Arbeit war die Geiselmetapher sowohl für Individuen, Teams und Unternehmen, die blockiert waren, in internen oder externen Konflikten feststeckten oder denen es an freier Entscheidungsfähigkeit mangelte, ein wiederkehrendes Thema. Die Lösung trat immer dann zutage, wenn persönliche Macht, die Macht eines Teams und Unternehmensmacht einen Fluchtweg aus der Geiselmentalität eröffneten und Platz für eine mentale Haltung der Freiheit und Wahlmöglichkeit schufen.

Viele Jahre lang unterrichtete ich Workshops, hielt Präsentationen und Vorträge vor Unternehmensführern zahlreicher verschiedener Unternehmen, Branchen und Geschäftszweige in ungefähr 85 Ländern. Dabei habe ich immer wieder festgestellt, dass selbst die »High Potentials« unter den Führungspersönlichkeiten und CEOs enorme Fortschritte machen können, wenn sie das grundlegende menschliche Bedürfnis verstehen, Bindungen herzustellen und über Verluste zu trauern. Das ist das Verständnis, das jeder Verhandlungsführer bei Geiselnahmen anwendet, um erfolgreich zu sein.

In dem Bemühen, die in diesem Buch vorgestellten Ideen zu demonstrieren, habe ich eindrucksvolle Geiselszenen und andere gewalttätige Begegnungen ausgewählt. Ich habe festgestellt, dass die emotionale Direktheit solcher Geschichten wichtige Erkenntnisse darüber liefert, warum Menschen in ihrem Berufs- oder Privatleben positive oder negative Resultate erzeugen. Ich denke, Sie werden feststellen, dass sich diese Ideen leicht auf Ihre eigene Arbeit und Ihr eigenes Leben übertragen lassen.

Alle Geschichten in diesem Buch handeln von echten Menschen in realen Situationen; sie stammen aus meinen eigenen Erfahrungen – als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen oder aus meiner Zusammenarbeit mit hochrangigen Führungskräften sowie aus meiner Beratungstätigkeit für Unternehmen, oder von Kollegen oder aus den Medien. Mit Ausnahme der Nachrichtenstorys wurden alle Namen geändert, um die Identität der Beteiligten zu schützen.

Können wir verstehen, was es heißt, als Geisel genommen zu werden? Und wie fühlt es sich an, sich im übertragenen Sinne in Geiselhaft zu befinden – ein Gefangener der eigenen Vorstellungen zu sein? Wenn wir verstehen, wie das Gehirn funktioniert und die unglaubliche Macht begreifen, die wir alle besitzen, um zu entscheiden, wie wir über unser eigenes Leben denken und fühlen, können wir lernen, uns von den mentalen Ketten zu befreien, die uns davon abhalten, unser gesamtes Potenzial auszuschöpfen. Durch diesen Akt können wir alle bessere Unternehmenslenker, Manager, Mitarbeiter und bessere Menschen werden.

Die Kapitel dieses Buches wollen Sie auf eine Reise mitnehmen, die zu einem Platz führt, an dem Sie in mentaler Freiheit leben und arbeiten können. Zunächst ist es wichtig zu verstehen, was ich meine, wenn ich die Terminologie von Geiselsituationen verwende. Das Wort Geisel geht auf das mittelhochdeutsche Wort gisel zurück. So wurden Leibbürgen bezeichnet, die zur Gewähr der Einhaltung eines Vertrags ausgeliefert und mit Respekt und Ehre behandelt wurden. Die Verwendung des Begriffs Geisel in Verbindung mit terroristischen und anderen Gewaltakten begann erst in den 1970er-Jahren. Und schließlich nehmen wir uns im täglichen Leben oft selbst oder lassen uns durch andere im übertragenen Sinne in Geiselhaft nehmen.

Um diese Geiselmentalität abzuschütteln, muss man das Konzept des »geistigen Auges« verstehen und verstehen, wie es unsere Denkhaltung, unseren Fokus und die Art und Weise, wie wir auf Ziele hinarbeiten, bestimmt. Außerdem müssen wir die enorme Kraft des Bonding-Kreislaufs betrachten – Annäherung, Bindung, Trennung, Trauer und erneute Annäherung – und entdecken, wie das geistige Auge geprägt wird. Wir müssen anerkennen, wie wichtig die Trauerarbeit ist. Trauer entsteht durch das Zerbrechen und den Verlust von Bindungen. Unbewältigte Trauer kann Menschen in ihrem weiteren Leben blockieren.

Besondere Formen der Zuneigung und der emotionalen Verbindung sind die sicheren Basen in unserem Leben. Sie sind die einflussreichsten Quellen für das, was unser geistiges Auge prägt, indem sie uns lehren, wie man die schmerzhaften Seiten des Lebens konstruktiv bewältigt.

Im Verlauf dieses Buches werden wir Fertigkeiten und Techniken untersuchen, die für eine Konfliktlösung hilfreich sind, wenngleich die meisten Menschen natürlicherweise davor zurückschrecken, sich mit Konflikten auseinander zu setzen. Wenn man das geistige Auge und die sicheren Basen versteht, kann man sich die Fertigkeiten für ein Konfliktmanagement aneignen und lernen, sie entsprechend anzuwenden und durch einen wirkungsvollen Dialog zu mehr Wahrheit zu gelangen. Die wertvollen Erfahrungen, die zwei Menschen oder eine Gruppe machen, wenn sie Geist und Herz öffnen und einen echten Dialog beginnen, sollten in ihrer Fähigkeit, emotionale Verbindungen herzustellen und Konflikte aufzulösen, nicht unterschätzt werden. Die Verlängerung des Dialogs ist die Verhandlung. Wir werden die Macht der Verhandlung untersuchen, die Einflussnahme und Überredungskunst beinhaltet, und ihre Fähigkeit, die Richtung destruktiver Prozesse zu verändern. Erst kürzlich wurde der Dalai Lama mit den Worten zitiert, Krieg sei eine überholte Idee. Stellen Sie sich die Macht der Worte, des Dialogs und der Verhandlung als Hauptmethode zur Lösung von Streitigkeiten vor.

Die Funktionsweise unserer Emotionen zu verstehen, ist ein zentraler Aspekt der Selbstwahrnehmung, die uns dazu befähigt, uns niemals in eine mentale Gefangenschaft zu begeben. Die Art und Weise, wie wir unsere Emotionen beherrschen, hat Auswirkungen auf den Schmerz und die Freude, die wir empfinden. Viele Menschen erleiden schwere Verluste und schaffen es dennoch, ihre Lebensfreude zurückzugewinnen. Indem wir stets Herr unserer selbst bleiben, erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit, dass wir niemals zum Gefangenen unserer eigenen oder anderer Menschen Vorstellungen werden. Wenn es uns gelingt, die Überzeugungen und Werte zu verstehen, die unser Denken formen, und die intrinsische Würde des Individuums anzuerkennen und zu respektieren, können wir so agieren, dass wir entscheidungs- und handlungsfähig bleiben, selbst wenn wir uns in physischer Geiselhaft befinden.

Die Quintessenz dieser Ideen basiert auf meinem persönlichen Wissen über wesentliche Aspekte des Menschseins, inklusive der Rollen als Ehepartner, Vater, Freund, Führungskraft oder Lehrer. Die hier beschriebenen Kernkonzepte sind wie Teile eines Puzzles. Wenn ein oder mehrere Teile fehlen, kann es leicht dazu führen, dass sich ein Mensch wie eine Geisel verhält und sich ohnmächtig und gefangen fühlt. Das Ergebnis ist ein Zustand, in dem der Mensch nicht sein gesamtes Potenzial ausschöpft. Wenn alle Puzzleteile zusammenpassen, ergibt sich ein wunderschönes Bild von einem Ort, an dem der Mensch das Gefühl echter Freiheit und Befriedigung erlebt und lernen kann, ein Leben in freier Entscheidung zu führen. Das ist etwas, das jede Führungskraft tun und vorleben muss.

Das 21. Jahrhundert hat mit einer Reihe verstörender Trends begonnen, darunter der Ausbruch des Terrorismus, der Umschwung zu politischem und religiösem Fundamentalismus, eine Ausbreitung der Naturkatastrophen, die sich durch den globalen Klimawandel möglicherweise noch verschlimmern, und dem Phänomen der Globalisierung. Um mit diesen Trends und den Belastungen, die sie verursachen, richtig umzugehen, müssen wir in der Lage sein, unsere Emotionen so zu steuern, dass wir in unserem Leben immer wieder neue Lebensfreude finden. Meine persönliche Vision und Mission ist es, dass jeder Mensch, ob Mann, Frau oder Kind, in jedem Land der Welt eines Tages ein Leben frei von mentaler und emotionaler Gefangenschaft leben und das größte Geschenk überhaupt wertschätzen kann – Freude darüber zu empfinden, dass man lebt. Ich habe die Hoffnung, dass die Lektüre dieses Buches weit mehr für Sie sein wird als eine intellektuelle Übung. Ich hoffe, dass Sie durch den Dialog mit sich selbst und mit mir eine emotionale Erfahrung machen, die Ihr Herz, Ihren Verstand und Ihren Geist dazu anregen, sich zu neuen Orten in Ihrem beruflichen und privaten Leben aufzumachen.

Um eine Welt in einem Sandkorn zu entdecken,

Und einen Himmel in einer wilden Blume,

Halte die Unendlichkeit in deiner Hand,

Und die Ewigkeit in einer Stunde.

Auszug aus »Lieder der Unschuld und Erfahrung« William Blake

1Sind Sie gefangen, ohne es zu wissen?

Ein neun Jahre altes Mädchen verbrachte eine Zeit bei ihren Großeltern in Kansas. Der Großvater war unterwegs, und so schlief das Mädchen bei der Großmutter. Mitten in der Nacht wachte es plötzlich auf und sah, wie seine Großmutter aufrecht im Bett saß und ein Mann, von dessen Kleidung Regenwasser tropfte, mit einem Holzschläger über ihr stand und gerade zuschlagen wollte. Das kleine Mädchen fühlte einen Schrei in seiner Kehle aufsteigen, aber in dem Moment berührte die Großmutter seine Hand und das Mädchen fühlte, wie es von einer Welle der Ruhe ergriffen wurde. Die Großmutter sagte zu dem Mann: »Ich freue mich, dass Sie unser Haus gefunden haben. Hier sind Sie richtig; Sie sind willkommen. Es ist eine fürchterliche Nacht, um sich draußen aufzuhalten. Ihnen ist kalt, Sie sind durchnässt und hungrig. Nehmen Sie das Feuerholz, das Sie in der Hand halten und feuern Sie den Küchenofen an. Lassen Sie mich etwas anziehen, und dann gebe ich Ihnen trockene Sachen, mache Ihnen eine gute, warme Mahlzeit und richte Ihnen einen trockenen, warmen Platz hinter dem Ofen her, an dem Sie schlafen können.« Sie sagte nichts weiter und wartete in Ruhe. Nach einer langen Pause ließ der Mann den Holzschläger fallen und sagte: »Ich werde Ihnen nichts tun.« Dann ging die Großmutter mit dem Mann in die Küche und kochte ihm ein Essen, gab ihm trockene Kleidung und bereitete ihm hinter dem Ofen einen Schlafplatz. Anschließend ging sie zurück ins Bett und sie und ihre Enkelin schliefen wieder ein. Als sie am nächsten Morgen aufwachten, war der Mann weg.

Gegen zehn Uhr morgens traf die Polizei mit einer Hundestaffel ein, die der Fährte des Mannes bis zum Haus gefolgt war. Die Polizisten trauten ihren Augen nicht, dass die Großmutter und ihre Enkelin noch am Leben waren. Der Mann war ein psychopathischer Mörder, der in der Nacht zuvor aus einem Gefängnis ausgebrochen war und die Familie, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Großeltern des Mädchens lebte, brutal umgebracht hatte.

Diese erstaunliche Großmutter hatte eine so große emotionale Verbindung zu dem Eindringling hergestellt, dass er sie einfach nicht töten konnte. Sie hatte ihn mit einer Freundlichkeit und einem Respekt behandelt, die ihn im echten und übertragenen Sinne entwaffneten. Tatsache ist, dass Menschen keine Menschen töten; sie töten Dinge beziehungsweise Objekte.

Diese beeindruckende Geschichte ist eine Zusammenfassung aus Joseph Chilton Pearce‘ Buch Die magische Welt des Kindes.1) Überlegen Sie einen Moment. Was würden Sie tun, wenn man Sie als Geisel nähme? Stellen Sie sich vor, Sie fänden sich ganz plötzlich in einer Geiselsituation wieder und würden gegen Ihren Willen mit einer Waffe in Schach gehalten. Wie würden Sie reagieren? Wie würden Sie sich fühlen? Was würden Sie tun? Was würden Sie dem oder den Geiselnehmer(n) sagen?

Glücklicherweise ist die Wahrscheinlichkeit, einem Geiselnehmer zum Opfer zu fallen, gering. Dennoch können wir alle zu Geiseln im übertragenen Sinne werden, nämlich wenn wir uns im täglichen Leben als Opfer von Vorgesetzten, Kollegen, Kunden, Familienmitgliedern oder irgendeinem anderen Menschen fühlen, mit dem wir zu tun haben, und uns von ihnen bedroht und manipuliert fühlen. Wir können auch Gefangene von Lebensumständen und Ereignissen sein. Wir können sogar zu Gefangenen unserer selbst, unserer mentalen Haltung, unserer Gefühle und Gewohnheiten werden.

Denken Sie über die folgenden Alltagssituationen nach, in denen Menschen sich zur Geisel anderer machen.

Während Sie im Auto auf dem Weg zur Arbeit sind, werden Sie von einem anderen Fahrer geschnitten. Sofort werden Sie wütend und feindselig gegenüber dem »Idioten« in dem anderen Fahrzeug. Dieses Gefühl kann andauern und Sie für einen guten Teil des Tages in schlechte Laune versetzen.

Ihre Chefin kritisiert Sie, und als Antwort verteidigen Sie sich oder greifen sie an, was zu einer Eskalation führt. Der Konflikt bleibt Ihnen im Gedächtnis haften und führt zwischen Ihnen beiden zu Misstrauen.

Sie gehen auf Geschäftsreise, und weil Sie weg müssen, fängt Ihr Kind an zu weinen. Sie eilen aus dem Haus, fühlen sich schuldig und reden sich ein, Sie seien eine schlechte Mutter. Während der gesamten Geschäftsreise sind Sie niedergeschlagen, ja sogar depressiv.

Sie grüßen im Vorbeigehen einen Kollegen, aber er antwortet nicht. Sie beginnen, sich bei anderen über ihn, Ihre Arbeit und das Unternehmen zu beschweren. Und bald fangen Sie an zu denken, »Niemand kümmert sich hier um andere.«

Menschen, die sich über andere, einen Verkehrsstau, verschwundenes Gepäck, einen verlorenen Arbeitsplatz oder einen verspäteten Flug oder sogar das Wetter aufregen – also über irgendwelche äußeren Umstände, auf die sie keinen Einfluss haben, – lassen sich als Geiseln nehmen. Wie viele von uns lassen es unbewusst zu, dass ein äußeres Ereignis die Kontrolle über unser Leben gewinnt? Haben Sie sich jemals darüber aufgeregt, dass schlechtes Wetter Ihren Urlaub ruiniert hat? Haben Sie sich jemals von der negativen Haltung eines anderen Menschen in schlechte Laune versetzen lassen? Haben Sie schon mal zu jemandem gesagt: »Du regst mich auf.«? Wenn ja, haben Sie sich bereits als Geisel nehmen lassen.

Viele Geschäftsleute, mit denen ich arbeite, haben eine sehr hohe intellektuelle Intelligenz, aber eine unterentwickelte emotionale Intelligenz. Sie machen sich auf Kosten der Emotionen, Gefühle und Motivationen ihrer Kollegen Sorgen über Fakten, Zahlen und Details. Selbst die Begriffe harte Fakten und weiche Faktoren, die in Unternehmen verwendet werden, legen nahe, dass Daten irgendwie real und stark und Emotionen schwach und weniger wichtig sind. Ich habe Beispiele extrem dominanter Führungskräfte erlebt, die ihren Mitarbeitern mit ihrer Kontrollsucht über Menschen und Situationen unendlich viel Pein und Elend zugefügt haben. Allerdings können Mitarbeiter auch ihre Vorgesetzten zu Geiseln machen, indem sie den Erfolg bremsen und die Arbeit zur Qual machen.

Die wettbewerbsorientierte Haltung vieler Führungkräfte kann zu Situationen führen, in denen sie gegen ihre eigenen Mitarbeiter und andere Teams arbeiten, anstatt mit ihnen zu kooperieren. Dann werden Probleme unter den Tisch gekehrt, und Konflikte bleiben ungelöst, was eine Atmosphäre des Unwohlseins, der Feindseligkeit oder sogar der Angst entstehen lässt. Ich habe viele Manager kennen gelernt, die die Rolle der Macht in einer Führungsposition missverstanden. Aufgrund ihrer Unfähigkeit, sich ihren eigenen persönlichen Ängsten oder Sorgen zu stellen, setzen sie Macht, und formale Autorität ein, um ihre Mitarbeiter zu steuern. Es ist leicht, andere am Arbeitsplatz als Geisel zu nehmen oder sich selbst gefangen nehmen zu lassen, um schwierigen Gesprächen aus dem Weg zu gehen. Im Gegensatz dazu ist ein offener und ehrlicher Dialog notwendig, um eine Umgebung zu schaffen, in der Teams nachhaltig herausragende Leistungen erbringen. Durch die Bestimmung einer gemeinsamen Agenda, durch einen dauerhaften Dialog und die Schaffung eines Klimas des Vertrauens, können Manager ihren Mitarbeitern die Handlungsfreiheit einräumen, die sie brauchen, um ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Durch die Kanalisierung der individuellen Wettbewerbsinstinkte auf ein gemeinsames Ziel kann man aus jedem Team das Beste herausholen.

Authentische Unternehmenschefs lernen, ihren Wettbewerbsgeist zu steuern und stellen ironischerweise fest, dass sie größere Erfolge erzielen, wenn sie anderen dabei helfen zu wachsen und sich zu entwickeln, als wenn sie sich nur auf sich selbst konzentrieren.

Meyers Lexikon online definiert eine Geisel als »eine gewaltsam und widerrechtlich ergriffene und festgehaltene Person, durch deren Festhaltung und Bedrohung der Geiselnehmer Forderungen gegen Dritte durchsetzen will.« Am Arbeitsplatz haben Manager und/oder Mitarbeiter gelegentlich das Gefühl, sie seien in dem Kreuzfeuer zwischen ihrem Vorgesetzten, den Kunden und Kollegen gefangen. Unternehmer, die beispielsweise 25 Mitarbeiter entlassen müssen, können zu Gefangenen ihrer eigenen Emotionen und des Schmerzes werden, den dieses Vorgehen verursacht, von dem sie aber wissen, dass es nötig ist. In der heutigen Geschäftswelt kann die globale Erreichbarkeit, die die modernen Technologien ermöglichen, Familie und Privatleben derart zusetzen, dass sich Menschen als Gefangene ihrer Arbeit fühlen und sich und anderen großes Leid zufügen. Vorgesetzte, die mit unmotivierten Mitarbeitern oder zynischen Kollegen konfrontiert sind, haben unter Umständen das Gefühl, ihre Arbeit habe keinen Wert. Das Ergebnis ist, dass sie zu Geiseln der geringen Motivation ihrer Mitarbeiter oder des Zynismus ihrer Kollegen werden.

Zwar ist die Wahrscheinlichkeit einer Geiselnahme im buchstäblichen Sinne Gott sei Dank gering, das wahre Problem ist aber die endlose Zahl an Situationen, in denen wir uns kontrolliert, attackiert und zu einer Reaktion gezwungen sehen. Diese Situationen können zu einer Eskalation und dem Gefühl der Hilflosigkeit und des Gefangenseins führen.

Das Gefühl, eine Geisel zu sein, wird insbesondere in zwischenmenschlichen Beziehungen offensichtlich, in denen Macht, Autorität oder Positionen missbraucht oder in unangemessener Weise gefürchtet werden. Auf der einen Seite kann die Person, die über Autorität verfügt, ihre Macht missbrauchen, auf der anderen Seite kann die Person, die sich dieser Autorität unterwirft, unangemessen große Ängste haben. Die Frage ist, warum so viele Menschen in unglücklichen Situationen verharren? Warum bleiben sie in missbräuchlichen Beziehungen entweder zu einem Partner, einem Arbeitgeber oder einem Freund oder einer Freundin stecken? Die Gründe dafür sind komplex, aber im Wesentlichen liegt es daran, dass sie ihre Fähigkeit verloren haben, ihre geistige Vorstellung auf andere Optionen zu fokussieren und ihre persönliche Kraft einzusetzen, um diese Optionen wahrzunehmen.

Es ist wichtig, dass man sein Denken und Fühlen steuert

Dem Neurologen Paul MacLean zufolge besteht das menschliche Gehirn aus drei separaten, aber miteinander verbundenen Schichten beziehungsweise Strukturen.2) Das ist das Reptilienhirn (auch »Stammhirn«), das limbische System (gelegentlich auch als »Paleomammalian Brain« oder »Zwischenhirn« bezeichnet) und das Großhirn. Ein Grundinstinkt des menschlichen Gehirns ist die Reaktion auf eine Gefahr, nämlich Angriff oder Verteidigung. Dieser Flucht-Kampf-Mechanismus wird von unserem Reptilienhirn und nicht von der rationalen Hirnstruktur gesteuert. Das Reptilienhirn kennt nur ein Ziel: Überleben. Es denkt weder in abstrakten Begriffen noch kann es komplexe Emotionen empfinden. Es ist für Grundinstinkte wie Kampf, Flucht, Hunger oder Angst verantwortlich. Es funktioniert auf nonverbaler Ebene auf Basis einer rein instinktgetriebenen Reaktion. Im Reptilienhirn sind die Reaktionen fest einprogrammiert, so dass es immer wieder dieselben Verhaltensweisen auslöst und somit niemals aus vergangenen Fehlern lernt. Es bleibt selbst im Tiefschlaf immer aktiv und ist der Teil des Gehirns, der stets wachsam auf Gefahren achtet. Es wird deswegen als Reptilienhirn bezeichnet, weil sich seine grundlegende Anatomie auch bei Reptilien finden lässt.

Das limbische System ist der Teil des Gehirns, den wir mit anderen Säugetieren gemeinsam haben und der für die Emotionen verantwortlich ist. Dieses System bewertet alles nach den beiden Kategorien angenehm oder unangenehm, wobei das Überleben davon abhängt, dass unangenehme Dinge vermieden und angenehme Dinge wiederholt werden. Es hat den Anschein, als sei das limbische System der Hauptsitz der Emotionen, der Aufmerksamkeit und der emotional aufgeladenen Erinnerungen. Es fungiert im Verhältnis zum intelligenten Großhirn als Richter und entscheidet darüber, ob etwas gut oder schlecht ist. Das limbische System drückt sich ausschließlich in Form von Emotionen aus.

Das Großhirn ist der Teil des Gehirns, den wir mit den höher entwickelten Affen teilen (zum Beispiel Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans), auch wenn unser Großhirn wesentlich komplizierter und weiter entwickelt ist. Das Großhirn befähigt uns zur Verarbeitung abstrakter Gedanken und Worte, Symbole, Logik und Zeit. MacLean bezeichnet diese Hirnstruktur als »die Mutter der Erfindung und der Vater abstrakter Gedanken.«3) Zwar haben alle Tiere ein Großhirn, allerdings ist es bei Tieren ziemlich klein. Zum Beispiel ist eine Ratte ohne Großhirn in der Lage, relativ normal zu reagieren; ein Mensch ohne Großhirn würde sich dagegen in einem vegetativen Zustand befinden. Das Großhirn unterteilt sich in eine linke und rechte Gehirnhälfte. Die linke Gehirnhälfte steuert die rechte Körperseite und umgekehrt. Die linke Gehirnhälfte ist eher rational und verbal, wohingegen die rechte Gehirnhälfte eher räumlich und künstlerisch ist.

Wenn wir uns zu Geiseln machen oder machen lassen, geschieht das durch den Flucht-Kampf-Mechanismus des Reptilienhirns oder die Emotionen des limbischen Systems. Dann erliegen wir dem, was Daniel Goleman als »Amygdala Hijack«4) bezeichnet – das heißt, die Amygdala (eine kleine doppelkernförmige Hirnstruktur, die Teil des limbischen Systems ist; siehe auch Kapitel 8) bestimmt unsere Handlungen. Dieses Phänomen tritt auf, wenn jemand impulsiv und instinktiv überreagiert – mit negativen Folgen. Das Großhirn ist in der Lage, die Emotionen der anderen beiden Hirnschichten außer Kraft zu setzen und ermöglicht es uns so, frei zu wählen, ob wir uns zu Gefangenen unserer automatischen emotionalen Reaktionen machen wollen.

Der Begriff »Amok laufen«*) bezieht sich auf eine Situation, in der das die Kontrolle übernimmt, was zu schwer wiegenden Konsequenzen führen kann. Heute wird dieser Ausdruck im Allgemeinen verwendet, wenn jemand so wütend wird, dass er die Beherrschung verliert. Solche unkontrollierten Wutausbrüche passieren auf der ganzen Welt, wenn sie sich auch üblicherweise auf Worte und Gefühle beschränken und nicht gleich in körperliche Gewalt ausarten. Wenn Menschen aus dem primitiven Gehirn heraus reagieren, können sie in Situationen geraten, in denen sie immer wieder dieselben Verhaltenmuster zeigen und immer wieder dieselben Probleme erleben. Durch die Aktivierung des Großhirns können sie aber die Emotionen überwinden, die sie zu Gefangenen ihrer Instinktreaktionen machen, und frei entscheiden, ob sie einer bestimmten Situation eine andere Bedeutung verleihen wollen, anstatt immer wieder in dasselbe festgelegte Muster zu verfallen, das zu einer Wiederholung der negativen Situation führt. Wir können lernen, unsere Emotionen bewusst zu steuern und ihre Entladung zu regulieren. Wenn Sie zum Beispiel Ihr Gepäck am Flughafen vermissen, ist es besser, Sie halten Ihren Ärger unter Kontrolle und arbeiten gemeinsam mit den Mitarbeitern des Fundbüros daran, dass Ihr Gepäck aufgefunden wird, anstatt die Mitarbeiter anzuschreien.

Ohnmacht ist Gift

Das Gefühl der Ohnmacht ist das erste Anzeichen dafür, dass man gefangen ist. Ohnmacht vergiftet den Menschen, weil sie ihm das Gefühl gibt, hilflos zu sein und in einer ausweglosen Lage festzustecken. Dieses Gift erzeugt einen Kreislauf, der eine ständige negative Interpretation der Realität in Gang setzt.

Welche Sätze begleiten üblicherweise das Gefühl, gefangen zu sein?

»Ich habe keine Wahl.«

»Meine Lage ist aussichtslos.«

»Ich fühle mich schrecklich.«

»Ich hasse es.«

»Noch so einer von diesen Tagen!«

Solche Sätze sind negative Selbstgespräche, die aus unseren inneren Welten hervordringen. Der Dialog, den wir im Kopf mit uns selbst führen, kann uns entweder gefangen halten oder uns dabei helfen, ihn zu kontrollieren. Das Gefühl der Gefangenschaft beginnt mit der mentalen Einstellung, dass man gezwungen ist, etwas zu tun, das man nicht tun möchte, und setzt sich mit einem negativen Verhalten fort. Wir können das Gift in unserer Geisteshaltung an den Worten erkennen, die wir verwenden. Die Geiselmentalität fokussiert auf das Negative, indem sie uns ständig sagt, was wir nicht tun können, wie ohnmächtig wir sind und dass wir nie bekommen werden, was wir gerne möchten. Interessanterweise zeigen die Untersuchungen von Robert Schrauf, einem Experten in angewandter Linguistik, dass wir weitaus mehr Worte haben, mit denen sich negative Emotionen ausdrücken lassen, als Worte für positive Emotionen, und das unabhängig von Kultur oder Alter. Bei der Untersuchung von 37 Sprachen fanden Forscher sieben Worte, die sich auf Emotionen beziehen und in allen untersuchten Sprachen eine ähnliche Bedeutung haben: Freude, Angst, Ärger, Traurigkeit, Abscheu, Scham und Schuld. Von diesen Worten ist nur ein einziges positiv – Freude.5) Diese Untersuchung ist bedeutsam, weil sie uns hilft zu erkennen, wie wichtig es ist, positive Wege zur Beschreibung emotionaler Erfahrungen zu finden. Es ist eine Kombination aus Selbstgespräch und der Steuerung unserer Gefühle, die darüber bestimmt, ob wir eine Geisel sind oder nicht.

Mary macht ihrem Vorgesetzten James Vorhaltungen wegen eines heftigen Schlagabtauschs, der sich in einem Meeting zwischen ihnen beiden ereignet hatte und in dessen Verlauf Mary sich vor allen Kollegen bloßgestellt fühlte. Mary sagt: »Ich finde, du bist mit deinem Angriff auf mich viel zu weit gegangen.« James antwortet: »Pass mal auf, ich habe nur die Wahrheit gesagt, und wenn dir das nicht passt, kannst du jederzeit das Team verlassen.«

James zeigt mit seiner defensiv-aggressiven Reaktion, dass er sich zur Geisel gemacht hat. Was ist die Alternative? Stellen Sie eine Frage. Beginnen Sie einen Dialog, um die Absichten zu klären. Machen Sie ein Zugeständnis oder entschuldigen Sie sich sogar. James könnte zum Beispiel sagen: »Mary, hilf mir zu verstehen, was dir an dem, was ich gesagt habe, nicht passt« oder »Möchtest du wissen, warum ich das gesagt habe?« oder »Ich entschuldige mich dafür, dass ich gesagt habe, du kannst jederzeit gehen. Da bin ich zu weit gegangen.«

In einer Situation dieser Art bemüht sich eine echte Führungspersönlichkeit darum, die Beziehung intakt zu halten und jeden Wunsch nach einer Retourkutsche zu kontrollieren, indem sie sich auf die Bedürfnisse des Mitarbeiters, des Teams und ihre eigenen Bedürfnisse konzentriert. Erfolgreiche Führer verwenden diesen Ansatz instinktiv und automatisch. Anderen fehlen das Wissen oder die Fertigkeiten, um mit derartigen Situationen wirkungsvoll umzugehen. Sie können von den Techniken der Geiselverhandlungen sehr viel lernen.

Wie wir in dem Beispiel von James und Mary gesehen haben, werden wir leicht zur Geisel im übertragenen Sinne, wenn jemand eine Reaktion in uns provoziert, die wir nicht unter Kontrolle haben. Das ist ein Problem, weil es die Verbindung in der sozialen Beziehung blockiert und uns zu einer negativen emotionalen Reaktion drängt, die zu Zynismus und Bindungslosigkeit führen kann. Letztlich sind negative Gemütszustände ein Problem, weil sie die sozialen Bindungen zerstören und die körperliche Gesundheit eines Menschen auf vielfältige Weise beeinträchtigen können.

Das Ziel ist es, durch unsere mentale Haltung und unseren Sprachgebrauch Kontrolle auszuüben. Damit haben Verhandlungsführer bei Geiselnahmen Erfolg. Die Herausforderung besteht darin, authentisch zu bleiben und zugleich spontan zu sein. Das folgende Beispiel zeigt, dass unsere mentale Haltung entscheidend für die Steuerung des Fokus und der Aufmerksamkeit ist.

Wenn Sie die Straße entlang gehen und jemand kommt von hinten an Sie heran, hält Ihnen eine Pistole an den Kopf und sagt: »Ich werde Sie töten«, müssen Sie sich nicht als Geisel fühlen. Zwar ist es in der Tat so, dass Sie physisch eine Geisel sind, aber Sie müssen sich nicht als solche fühlen, da Sie immer noch die Macht haben, zu denken, zu fühlen, zu atmen und zu sprechen. Sie können dem Geiselnehmer eine Frage stellen. »Würden Sie bitte die Pistole herunternehmen, damit ich Ihnen helfen kann, dass Sie bekommen, was Sie möchten?« Wenn die Antwort lautet, »Nein, ich werde Sie jetzt töten«, ändern Sie das Ziel und stellen Sie eine andere Frage. »Könnten Sie mir bitte nur fünf Minuten geben und mir sagen, was Sie wollen? Ich bin George und habe vier Kinder.« Der Geiselnehmer sagt: »Nein, ich werde Sie jetzt töten.« Fragen Sie noch einmal. »Würden Sie mir dann bitte nur vier Minuten geben? Ich möchte Ihnen wirklich helfen, das zu bekommen, was Sie möchten.« Der Geiselnehmer sagt: »Nein, ich werde Sie jetzt töten.«

Wenn ich diese Geschichte erzähle und frage, ob das eine gute Verhandlungstaktik ist, sagen die meisten Leute: »Nein.« Tatsächlich ist es aber eine gute Verhandlungstaktik. Sie leben noch! Die eigene Befindlichkeit unter Kontrolle zu halten, die eigenen Gefühle zu steuern und mit Worten zu arbeiten – Fragen zu stellen und eine Lösung zu suchen – ist die Quintessenz der Verhandlungen bei Geiselnahmen. »Würden Sie mir drei Minuten geben?« »Nein. »Würden Sie mir wenigstens zwei Minuten geben?« »Okay, Freund, du hast 30 Sekunden.« In diesen 30 Sekunden täten Sie gut daran, die Beziehung und den Dialog Ihres Lebens herzustellen! Die »Neins« des Geiselnehmers sind ein subtiles Zugeständnis und müssen positiv betrachtet werden. Wie wir später sehen werden (Kapitel 7), sind Zugeständnisse Teil des grundlegenden Prozesses der Herstellung und des Erhalts von Bindungen. Wenn wir den Blutdruck und den Erregungszustand des Geiselnehmers messen könnten, würden wir feststellen, dass beides mit jedem Zugeständnis sinkt. Natürlich sollten Sie die Flucht ergreifen, wenn sich die Möglichkeit eines sicheren Entkommens bietet. Wenn nicht, liegt Ihre größte Chance im Reden. Geiselexperten verwenden in ihrer Kommunikation mit einem Geiselnehmer Fragen, um herauszufinden, was ihr Gegenüber motiviert, und um den Fokus des Dialogs zu lenken.

Vor mehr als 250 Jahren schrieb der chinesische Philosoph Lao Tzu, das größte Problem in der Welt sei, dass Menschen sich selbst als ohnmächtig erlebten.6) Eine Geiselmentalität gibt Menschen ein negatives Gefühl; sie empfinden sich als eingeschlossen, ohnmächtig, abgekoppelt und unfähig, andere zu beeinflussen und zu überreden. Diese negative Geisteshaltung kann sich leicht dauerhaft einnisten und ihre Wahrnehmung, ihre Emotionen, Körper und Seelen vergiften. Die Geiselmentalität kann zu Verbitterung und Groll über größere Verluste wie Tod, Scheidung oder den Verlust eines Arbeitsplatzes führen und sogar zu Groll über relativ »kleine« Dinge wie den Verlust eines Büros, einen Streit mit dem Nachbarn über Lärmbelästigung oder eine Auseinandersetzung zwischen Ehepartnern über die Hausarbeit.

Traurigerweise dreht sich bei vielen Menschen ein Großteil des Alltags um negative Zustände. Wenn das geschieht, schlägt die Negativität Wurzeln, treibt aus und vergiftet die Wahrnehmung. Das führt zu übersteigerten Reaktionen, die in keinem Verhältnis zum eigentlichen Anlass stehen.