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Gefühle E-Book

Eva-Maria Engelen

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Beschreibung

Gefühle spielen in der aktuellen philosophischen Debatte eine wichtige Rolle. Doch was sind Gefühle, Affekte oder Stimmungen überhaupt? Eva-Maria Engelen stellt Antwortversuche aus der Philosophie, der Biologie und der Psychologie vor. Text aus der Reihe "Grundwissen Philosophie" mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe.

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Seitenzahl: 159

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Grundwissen Philosophie

Gefühle

von Eva-Maria Engelen

Philipp Reclam jun. Stuttgart

Wissenschaftlicher Beirat der Reihe Grundwissen Philosophie:Prof. Dr. Hartmut BöhmeProf. Dr. Detlef HorsterProf. Dr. Geert KeilProf. Dr. Ekkehard MartensProf. Dr. Barbara NaumannProf. Dr. Herbert SchnädelbachProf. Dr. Ralf Schnell

Alle Rechte vorbehalten© 2007, 2012 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., StuttgartReihengestaltung Grundwissen Philosophie: Gabriele BurdeGesamtherstellung: Reclam, DitzingenMade in Germany 2012ISBN 978-3-15-960107-6ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020316-3

www.reclam.de

Inhalt

Was sind Emotionen, Stimmungen, Affekte, Gefühle, Empfindungen?

Antworten aus der Philosophie, der Biologie und der Psychologie

Emotionen, Gefühle und Verstand/Rationalität

Emotionen, Gefühle und Bewusstsein

Selbstbewusstsein und Emotionen oder Gefühle

Damasios Theorie des Bewusstseins und Emotionen

Phänomenales Bewusstsein und höhere Formen des Bewusstseins

Philosophie des Geistes: Repräsentationstheoretische Ansätze des phänomenalen Bewusstseins und Emotionen

Gefühle, Werte und Gesetze

Anmerkungen

Kommentierte Bibliografie

Schlüsselbegriffe

Zeittafel

[7]Was sind Emotionen, Stimmungen, Affekte, Gefühle, Empfindungen?

Antworten aus der Philosophie, der Biologie und der Psychologie

Was ist Verliebtheit, was Liebe? Was Angst, was Weltschmerz? Wie unterscheiden sich Kältegefühl und Freude? Wie Nostalgie und Entsetzen? Und wie Scham und Schuld, Zorn und Trauer? Handelt es sich in allen Fällen um Emotionen? Um Gefühle oder Empfindungen? Stimmungen oder Affekte? Eine Begriffsklärung muss zunächst helfen, diese Fragen zu beantworten.

Der Begriff des Gefühls kommt erst im 18. Jahrhundert als eine Übersetzung des französischen »sentiment« beziehungsweise des englischen »sentiment« in die deutsche Sprache. Er tritt damit neben die dort länger verwendeten Begriffe der Emotion und des Affekts. Im Deutschen wird »Gefühl« heutzutage als ein Oberbegriff verwendet.1

Historisch betrachtet sind Emotionen oder Affekte seit Aristoteles dem so genannten Begehrungsvermögen – also dem, was begehrt oder nicht begehrt wird –, der Lust oder Unlust zugeordnet. Bei Shaftesbury, Hume und Kant kommen dann Gefühle als Reaktionen auf Erlebnisse, aber auch auf Emotionen (als Gefühl der Lust oder Unlust) hinzu. Emotionen oder Affekte werden insofern bereits in dieser Tradition als die primäre, unmittelbarere oder ursprünglichere Reaktion auf ein Ereignis oder eine Situation konzipiert. Hier wird bereits deutlich, dass die etablierten begrifflichen Unterscheidungen auch systematischen Gesichtspunkten und nicht nur wortgeschichtlichen folgen.

Diese Begriffsgeschichte2 hat auch in den gegenwärtigen Emotionstheorien Spuren hinterlassen, es lassen sich jedoch diesbezüglich auch einige Verschiebungen feststellen. So gelten Emotionen wie Angst, Wut oder Freude heute immer noch [8] als unmittelbare Reaktionen auf Erlebnisse oder Situationen, während Gefühle wie Liebe oder Heimweh nicht mehr als unmittelbare Reaktionen auf bestimmte Erlebnisse oder Situationen verstanden werden, sondern als lang anhaltende Zustände, die nicht die ganze Zeit über von einem Erregungspotenzial begleitet sind, sondern nur gelegentlich durch ein solches ins Bewusstsein gelangen.

In der Psychologie und der Philosophie wird zudem eine ganze Reihe weiterer Kriterien für Emotionen (emotions) genannt:

– Emotionen weisen eine Bewertungskomponente für Situationen oder Stimuli auf.

– Sie umfassen eine Erregungskomponente, messbar etwa an Schweißabsonderung, Erhöhung der Herztonfrequenz oder an der Zunahme der Aktivierungsintensität bestimmter Bereiche des Gehirns, die für die Verarbeitung emotionaler Zustände oder Prozesse bekannt sind.

– Zudem gehen sie mit einem motorischen Ausdruck einher, zum Beispiel einem Lächeln oder einer bestimmten Körperhaltung.

– Sie sind von kurzer Dauer.

– Sie treten bei einem signifikanten Wechsel der Lebenssituation auf.

– Darüber hinaus enthalten Emotionen eine motivationale Komponente: Die Freude über den gelungenen Kuchen veranlasst mich zum Beispiel, noch einen für meine Kollegen zu backen, oder die Angst vor Nachbars Hund veranlasst mich, mich nach dem Maulkorbzwang zu erkundigen.

Diese vor allem in der psychologischen Theoriebildung relevanten Kriterien werden in der Philosophie durch die folgenden ergänzt:

– Emotionen haben ein spezifisches intentionales Objekt, das heißt, sie sind auf etwas oder jemanden gerichtet: Ich freue mich über den gelungenen Kuchen oder den Anruf eines Freundes; meine Angst richtet sich auf die zu erwartende Stromrechnung oder den bissigen Hund des Nachbarn.

[9] – Sie haben eine erkennbare Ursache: etwa die Nachricht, dass die Strompreise wieder erhöht wurden, oder, dass Nachbars Hund eine Passantin gebissen hat.

– Sie sind nicht das Resultat intellektueller Anstrengungen, können jedoch rational oder vernünftig beziehungsweise irrational oder unvernünftig sein. Letzteres lässt sich am besten anhand eines Beispiels erklären: Empfindet jemand Angst, weil ein Hund wütend kläffend auf ihn zurast, und will er fliehen, ist diese emotionale Reaktion insofern vernünftig zu nennen, als der Hund ihn verletzen könnte. Weiß er hingegen, dass der Hund zu alt für einen ernst zu nehmenden Angriff ist, wäre die Angst unvernünftig oder nicht angemessen.

Oft werden Emotionen sowohl in der Psychologie als auch in der Biologie als anthropologische, universal auftretende Phänomene betrachtet, die keiner historischen oder kulturellen Variabilität unterliegen. Sie sind nach dieser Sicht angeboren und laufen nach sogenannten Affektprogrammen automatisch ab. Angst, Zorn, Wut, Trauer und Freude wären nach dieser Begriffsbestimmung also Emotionen (emotions). Affektprogramme sind demnach angeborene Mechanismen, die durch einen für sie spezifischen Reiz ausgelöst werden. Wir sehen eine Schlange, empfinden Angst und laufen weg.

Für Gefühle (sentiments) wie Liebe, Vertrauen, Nostalgie, Weltschmerz oder Heimweh gilt hingegen:

– Sie werden als latente Dispositionen (sogenannte Hintergrundgefühle) konzipiert.

– Ihnen fehlt eine (direkt messbare) Erregungskomponente des Körpers.

– Zudem handelt es sich um lang anhaltende Phänomene.

– Sie stehen in keinem unmittelbaren Reaktionszusammenhang zu einem Erlebnis oder einer Situation.

– Gefühle wie Weltschmerz oder Vertrauen müssen nicht intentional auf ein Objekt oder eine Situation gerichtet sein, andere Gefühle sind aber durchaus intentional gerichtet.

[10] – Sie sind darüber hinaus nicht richtig oder falsch, vernünftig oder unvernünftig zu nennen. Man kann in diesem Sinne zumeist nicht über ihre Angemessenheit diskutieren.

Wichtig ist, dass im Unterschied zu Emotionen sowohl eine affektive Komponente als auch der Dispositions- oder Hintergrundcharakter wesentliche Kriterien für das Vorhandensein von Gefühlen sind und es sich zudem um eine lang anhaltende Gefühlshaltung handelt, die schließlich an der Charakterbildung einer Person teilhaben kann. Die Frage, inwiefern Gefühle sowohl einen Hintergrund- oder Dispositionscharakter haben können also auch ein somatisches Element aufweisen, das gerade nicht nur eine Anlage zu etwas darstellt, sondern die Aktualisierung einer angelegten Fähigkeit (etwa der Fähigkeit, Angst zu empfinden), wird in diesem Kapitel weiter unten diskutiert werden. Ein Vorschlag besteht darin, die somatischen Momente bei lang anhaltenden Gefühlen als Störungen des emotionalen Gleichgewichts (der Homöostase) zu verstehen. Demnach ist zunächst von einem emotionalen Gleichgewicht auszugehen; durch Störungen dieses Gleichgewichts treten dann Emotionen auf. Ein Beispiel wäre eine über Jahre anhaltende Trauer über ein verstorbenes Kind, die in manchen Situationen immer wieder von unmittelbarer, überwältigender Trauer begleitet wird.

Von Emotionen und Gefühlen sind Empfindungen (feelings) zu unterscheiden. Empfindungen wie Schmerzen, Jucken, Pochen, Wärme- und Kältegefühl lassen sich körperlich genauer verorten. Die Person, die sie wahrnimmt, kann häufig eine Körperstelle für sie angeben. Aufgrund dieser Bestimmung lässt sich auch zwischen Schmerzen unterscheiden, die mit Gefühlen einhergehen, und solchen, die Empfindungen sind. Die Verletzung am Bein löst Schmerz als Empfindung aus, der Weltschmerz ist ein reines Gefühl, und die Trauer über den Tod eines geliebten Menschen kann sowohl Momente der Empfindung als auch des Gefühls enthalten.

Daneben gibt es Empfindungen wie Müdigkeit. Für sie gibt es zum einen keinen angebbaren Ort am Körper, weil diese [11] Empfindung den gesamten Körper umfasst. Zum anderen fehlt diesen Empfindungen der Einschätzungs- oder Bewertungscharakter, der Gefühle und Emotionen ausmacht. Empfindungen dieser Art haben lediglich eine Signalfunktion.

Stimmungen (moods) fallen gleichfalls in den Bereich der affektiven Phänomene, die häufig mit Gefühlen und Emotionen assoziiert werden. Auch für sie lassen sich einige charakteristische Kriterien benennen. So können sie einen Anlass beziehungsweise eine Ursache haben. Zudem sind sie merklich weniger intensiv als Emotionen, dauern aber länger als diese und sind zugleich von kürzerer zeitlicher Dauer als Gefühle. Sie sind nicht auf etwas oder jemanden intentional gerichtet.

Über solche Begriffsklärung, die sich erst langsam zu vereinheitlichen beginnt, hinaus, gilt es noch viele Fragen zu beantworten. Eine wäre etwa, in welcher Beziehung angeborene Emotionen und komplexe, kulturell geformte Gefühle stehen. Eine andere wäre, inwiefern auch angeborene Emotionen kulturell geformt sind. Daneben werden weiterführende Fragen wie die gestellt, welche Rolle die Einschätzung oder Bewertung einer Situation oder eines Gegenstandes für affektive Phänomene spielt und welche Etappen im emotionalen Prozess bewusst sind und welche nicht.

Diese Problemzusammenhänge sollen zunächst in einem ersten Anlauf diskutiert werden, ehe einige emotionstheoretische Ansätze aus Philosophie, Biologie und Psychologie vorgestellt werden, die auf diese Fragen gleichfalls Antworten zu geben versuchen. Denn mit der begrifflichen Klärung sind noch keinerlei Angaben dazu gemacht, wie die Aspekte Wahrnehmung, Urteil oder Bewertung, phänomenale Empfindung und die semantische Bedeutung von Emotionsbegriffen zusammenwirken. Sämtliche Theorien dazu können im Folgenden nicht vorgestellt werden, aber es sollen wenigstens einige maßgebliche in ihren Umrissen erläutert werden.

Befassen wir uns zunächst kurz mit den angeborenen, automatisierten physiologischen Emotionsprozessen, die im [12] Zentrum des biologisch bestimmten Forschungsinteresses stehen.

Emotionen sind in diesen Theorien kurzzeitige stereotype Antworten auf eine Situation, die mit bestimmten Gesichtsausdrücken, Körperhaltungen und Handlungsmustern einhergehen. Sie kommen in allen Kulturen gleichermaßen vor sowie bei einigen dem Menschen verwandten Arten. Zu ihren Merkmalen gehört auch, dass sie bei Säuglingen schon sehr früh auftreten und selbst bei dementen Menschen noch häufig vorhanden sind – weil der Anteil an kognitiven Vermögen im Vergleich zu anderen affektiven Phänomenen bei Emotionen geringer ist. Ausgelöst werden diese angeborenen emotionalen Prozesse durch einen Reiz, der einen angeborenen Einschätzungs- oder Bewertungsprozess (appraisal) auslöst.

So reagiert ein Säugling etwa auf einen lauten Knall mit Schreien, mit erhöhter Herzschlagfrequenz und anderen Symptomen, die wir mit Angstreaktionen in Verbindung bringen. Genau so verhält es sich auch mit dementen Personen. Neben solchen Angstreaktionen gibt es aber auch affektive Phänomene wie etwa die Prüfungsangst, von der niemand behaupten würde, dass sie angeboren ist. Sie geht eindeutig mit kognitiven Prozessen einher.

Was unterscheidet diese beiden Angsttypen, die akute Angstreaktion und die Prüfungsangst, im Einzelnen? Nun, die bereits genannten Kriterien: Ein Säugling und ein Dementer verfügen noch nicht oder nicht mehr über die kognitiven Fähigkeiten, die für die Emotion der Prüfungsangst erforderlich sind. Denn weder ist ihnen das Konzept der Prüfung oder der Prüfungssituation vertraut, noch haben sie einen Begriff von Versagen oder von der sozialen Norm, nach welcher man bei Prüfungen erfolgreich sein muss. Der zur Prüfungsangst gehörige Einschätzungsprozess ist auch nicht angeboren, er bezieht sich auf ein kulturelles Konzept. Hinzu kommt, dass der Mensch einen Begriff von sich selbst haben muss, um Prüfungsangst zu empfinden. Denn er muss sich [13] bewusst machen können, was die sozialen Erwartungen sind, also hier, dass man in Prüfungen erfolgreich abschneiden sollte. Und er muss das potenzielle Versagen, diesem (normativen) Anspruch nicht gerecht zu werden, auf sich selbst beziehen.

Prüfungsangst lässt sich auch nicht durch Konditionierung hervorrufen. Es funktioniert nicht, der Person, die diese Begriffe und Regeln nicht verstanden hat, nichts zu essen zu geben, damit sie versteht, dass man in Prüfungen erfolgreich sein sollte, und dann eventuell eine Angst entwickelt, diesen Maßgaben nicht gerecht zu werden. Sie muss die Erwartungshaltung verstehen und auf sich selbst beziehen. Eine reine Konditionierung durch Bestrafung reicht nur aus, um eine Angstreaktion hervorzurufen, aber nicht, um Prüfungsangst auszulösen.

Das bedeutet aber gerade, dass das Phänomen Prüfungsangst höhere kognitive Fähigkeiten voraussetzt und es sich zudem um ein sogenanntes semantisiertes Phänomen handelt. Das heißt, dass das Moment der Empfindung nicht unabhängig von den Begriffen ist, die in einer Gesellschaft in affektiv konnotierten Situationen verwendet werden. So gibt es beispielsweise nicht in allen Gesellschaften das Konzept der Prüfung. Und dass es dieses gibt, bedeutet nicht, dass es lediglich eine Vokabel mehr in einer Sprache gibt. Vielmehr gibt es andere oder weitere Verhaltensweisen, Erwartungen, Wünsche, Sorgen und Überzeugungen als in Gesellschaften, die nicht über dieses Konzept verfügen.

An diesem Beispiel lässt sich auch leicht zeigen, dass etliche Gefühle oder komplexe emotionale Phänomene durchaus auf angeborenen, basalen Reaktionen beruhen. Im angeführten Beispiel der Prüfungsangst wäre es etwa die basale Reaktion der Angst, die in dem komplexeren Phänomen der Prüfungsangst enthalten ist.

Aber auch sogenannte basale Emotionen unterliegen beim Menschen einer kulturellen Formung; ein Konzept wie »Angst« ist nicht unabhängig von seinem Erwerb. So können [14] wir zwar annehmen, dass auch menschliche Säuglinge mit einem Affektprogramm »Angst« geboren werden, dass es also einen schematischen, stereotypen Auslösemechanismus und einen schematischen, stereotypen Einschätzungsmechanismus gibt. Das bedeutet aber nicht, dass sie mit dem Konzept oder Begriff der Angst geboren werden, wie wir ihn verwenden. Denn dieser kann, wie erwähnt, durchaus unterschiedlich verwendet werden.

Ein Beispiel soll helfen, diese Zusammenhänge zu verstehen. Beginnt ein Säugling bei einem lauten Knall zu schreien, werden die Eltern versuchen ihn zu trösten. Sie nehmen ihn in den Arm, drücken ihn an sich und sagen Sätze wie: »Du musst doch keine Angst haben, das war nur ein lauter Knall eines Auspuffs.« Mit solchen Handlungen und Aussagen wird der Begriff der Angst zusammen mit einer bestimmten Reaktion des Körpers auf eine Situationsveränderung langsam erlernt. Der Begriff wird so mit einer bestimmten Empfindung auf eine Weise verbunden, die dazu führt, dass Empfindung und Begriff schließlich untrennbar sind.

Denn dem heranwachsenden Kind wird gesagt, wovor es Angst haben soll oder muss und wovor nicht; wann es ihm zugestanden wird, Angst zu haben, und wann nicht. Das Kind wird den Blick der Bezugsperson suchen, um herauszufinden, ob das Tier, das sich vor seinen Augen bewegt, gefährlich ist oder nicht. Dabei wird es lernen, dass die Bezugsperson auf einige Tiere wie Eichhörnchen oder Spatzen erfreut reagiert und auf andere wie Hunde oder Stiere oder Skorpione ängstlich. All dies gehört zum Erlernen eines Konzepts der Angst dazu. Somit wird aber nicht lediglich ein Wort erlernt. Vielmehr wird die primäre Angstemotion des Säuglings, die nichts weiter ist als ein Begleitsignal zu einer Situation, in der der Organismus automatisch auf einen Auslösereiz reagiert, sprachlich und sozial geformt.

Sprache und zwischenmenschlicher Umgang prägen also diese basale oder primäre Emotion – sie sind für die Emotion somit gestaltbildend.3 An diesem Beispiel wird zudem bereits [15] deutlich, dass ein emotionales Konzept nicht isoliert von anderen emotionalen Begriffen erlernt wird. Denn einmal reagieren die Eltern auf Tiere mit Freude, ein anderes Mal mit Ängstlichkeit. Die Emotionen verweisen aufeinander oder schließen einander aus.

Obgleich angeborene Mechanismen des Körpers in dieser Weise mit einem Begriff untrennbar verbunden und geformt werden, ist es dennoch möglich, emotionale Reaktionen (beispielsweise Angstreaktionen) bei Menschen aus anderen Kulturen, bei denen sie begrifflich anders geformt (semantisiert) wurden, wiederzuerkennen. Sie verlieren durch die Formung weder ihre basale Wirkung und Aussagekraft noch ihre universale Funktion als Kommunikatoren über die kulturellen Grenzen hinweg. Wie funktioniert das?

Über den Begriffserwerb hinaus ist die Angstreaktion mit einem bestimmten Gesichtsausdruck, einer bestimmten Körperhaltung oder Stimmfärbung (Prosodie) verbunden. Das ermöglicht in erster Linie eine schnelle, nicht sprachliche Verständigung. Wenn wir jemanden mit angstvollem Gesicht sehen, wissen wir sofort, dass etwas geschehen ist, und sehen uns nach möglichen Ursachen für die Angstreaktion um. Der andere muss uns gar nicht mit Worten mitteilen können, dass etwas passiert ist. Auf dieser basalen Ebene funktioniert die Kommunikation demnach auch auf eine nicht sprachliche Weise. In früheren Etappen der Evolution war das sicherlich ein Überlebensvorteil. Denn ein Lebewesen konnte seine Einschätzung einer Situation auf diese Weise an andere weitergeben, ohne dass sich die anderen gleichfalls der Angst auslösenden Situation aussetzen mussten. Sie konnten also Gefahr mittels des Angst- oder Fluchtverhaltens eines anderen erkennen, ohne direkt mit der Gefahrensituation in Berührung zu kommen.

Diese Feststellungen sprechen jedoch nicht gegen diejenige, dass auch angeborene emotionale Reaktionen von frühen Tagen an geformt werden. Denn unser emotionales Erleben ist keinesfalls auf die universalen Reaktionen und [16] Mitteilungsfunktionen beschränkt, es wird, wie geschildert, begrifflich geformt. Daher bedeutet der Umstand, dass das emotionale Ausdrucksverhalten ähnlich oder vergleichbar ist, nicht, dass auch das phänomenale emotionale Erleben gleich ist.

Universale Funktionen, wie sie sich bei Emotionen ausmachen lassen, die angeborene Mechanismen sind, sind bei Gefühlen, die oben als Hintergrunddispositionen bezeichnet wurden, so nicht feststellbar. Da diese affektiven Phänomene nicht auf angeborenen Reaktionsmechanismen aufruhen, sind sie auch nicht in dieser Weise universal nachweisbar. Zwar gibt es auch in diesem Bereich Erscheinungsformen, die in vielen Kulturen vergleichbar sind. Zu nennen wären hier etwa Heimweh, Sorge oder eine schon lang empfundene Liebe. Die Ausdrucksformen, die solche Phänomene zeigen, sind jedoch so unterschiedlich, dass sie in erster Linie über einen sprachlichen Zugang zu verstehen sind.

Dessen ungeachtet werden diese Hintergrundemotionen häufig von basalen Emotionen begleitet. So kann ein anhaltendes Heimweh immer wieder in akuten Momenten der Trauer oder Angst gipfeln, die eine basale Emotion ist und auf einem angeborenen Mechanismus beruht. Auch die tiefe Bindung, die sich im Verlauf einer harmonischen Ehe bildet, wird in den verschiedenen Kulturen durchaus unterschiedlich beschrieben und bewertet.4

Ein somatisches Moment lang anhaltender Gefühle wird zumeist erst offenbar, wenn das emotionale Gleichgewicht (Level der Homöostase) durch die Änderung des Niveaus gestört wird. So im Falle der lange währenden Liebe, bei welcher der Verlust des Partners zu einer tiefen Trauer oder Depression führen kann. In solchen Fällen wird die Liebe angesichts der großen Trauer auch wieder körperlich intensiv gespürt, wenn auch auf eine ganz andere Art und Weise als bei den Schmetterlingen im Bauch im Falle der Verliebtheit.5 (Wie eine dauernde Veränderung des homöostatischen Niveaus bestimmt werden kann und ob sie in einem ursächlichen oder [17] begleitenden Verhältnis zu Emotionen steht, wäre eine empirisch zu klärende Frage.)

Sprache steht auch im Zentrum der philosophischen Überlegungen zu Gefühlen und Emotionen. In den philosophischen Ansätzen werden Emotionen oder Gefühle häufig als Urteile, Wertungen, Überzeugungen und Wünsche rekonstruiert. Emotionen sind dann etwa Urteile über Situationen, die für unser Wohlbefinden als relevant eingeschätzt werden.6 So bezeichnet etwa Robert C. Salomon ein Gefühl oder eine Emotion in paradigmatischer Weise als »ein evaluatives (oder normatives) Urteil, ein Urteil über meine Situation und über mich und/oder andere Leute«7. Für ihn sind Urteile damit abhängig von den Meinungen und Überzeugungen einer Person, kurz von ihren Gedanken. Beim Menschen wäre das Gefühl der Angst daher mit der Überzeugung verbunden, dass das Feuer gefährlich ist, außer Kontrolle geraten kann und daher lebensbedrohlich ist oder werden könnte. Urteile dieser Art werden von anderen Lebewesen oder Säuglingen, die über keine Begriffe verfügen, nicht gefällt. Denn Urteile, Überzeugungen und Meinungen sind an Sprache gebunden. Und da Emotionen für Salomon mit Urteilen einhergehen, sind auch Emotionen an Sprache gebunden.

Oder aber Emotionen und Gefühle werden als Wünsche rekonstruiert. Angst vor einem Hund wäre dann beispielsweise der Wunsch, nicht gebissen oder angegriffen zu werden.8

Damit Philosophen wie Robert Salomon oder auch Martha Nussbaum (nicht affektive) Urteile von Gefühlen oder Emotionen unterscheiden können, müssen sie ein zusätzliches Element einführen, das genau dies erlaubt. Salomon hat zunächst diejenigen Urteile Gefühle oder Emotionen genannt, die für uns als Personen besonders wichtig sind oder intensiv wahrgenommen werden. Wenn er damit jedoch eine Gefühlsintensität meint, bleibt die Frage, wie diese sich äußert, da sie dem bloßen Urteil nicht anzusehen ist, sondern nur im Urteilsrahmen einer Person ihren Platz hat. Diesen Urteilsrahmen hat Salomon schließlich ergänzend mit Wünschen [18] näher bestimmt, was ihn jedoch dazu verpflichtet zu sagen, was Wünsche sind und welche Rolle sie für unser emotionales Empfinden und für unser Gefühlsleben einnehmen. Letztlich vermag sich die Intensität eines Urteils oder Wunsches allerdings nur als phänomenale Qualität beschreiben, sodass man nicht darum herumkommt, eine affektive Komponente anzunehmen.