Gegen's Heimweh - Wolfgang Rochmes - E-Book

Gegen's Heimweh E-Book

Wolfgang Rochmes

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  • Herausgeber: Heyne
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2009
Beschreibung

»Rebbe,warum hat der Mensch nie, was er will?« »Wollte er, was er hat, dann hätte er, was er will. Da er aber nie will, was er hat, hat er nie, was er will!«

Bibel, Talmud und chassidische Geschichten bilden den Urgrund des jüdischen Humors.Wolfgang Rochmes hat alles zum Thema zusammengetragen: vom jüdisch geprägten Wiener Kabarett um das Jahr 1900 bis zum heutigen amerikanisch-jüdischen Humor eines Woody Allen im Film.

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Seitenzahl: 336

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Inhaltsverzeichnis
 
DER AUTOR
Vorwort
Zur Person
Einleitung
 
ERSTER TEIL - Der jüdische Witz
1. KAPITEL - Der jüdische Witz im Überblick
Wir verlassen jetzt das Kaffeehaus:
Wir begeben uns nun zurück ins Kaffeehaus.
Drei Beispiele, wie der Witz aus dieser Quelle schöpft:
Man kann Talmud aber auch so definieren:
 
Copyright
HEYNE<
DER AUTOR
Wolfgang Rochmes lebt und arbeitet in Niederbayern. Aufgewachsen in Wien, wurde er schon von Kind auf mit jüdischem Humor und jüdischer Literatur bekannt. Von Karl Farkas, Fritz Muliar, Roda Roda, Friedrich Torberg bis zu Qualtinger reicht sein Vortragsrepertoire. Nebenbei unterrichtet und betreut
er Bridge am Bridgezentrum im Lindener Parkhotel & Therme, Bad Griesbach.
Vorwort
Dieses Buch ist das Werk einer lebenslangen Beschäftigung.
Schon als kleines Kind lauschte ich rotohrig den temperamentvoll erzählten Geschichten meiner Großmutter Maria Munke und Mary Steiners, von uns liebevoll »Tante Itzi« genannt. Meist vorgetragen im wienerisch-jiddelnden Jargon, handelten sie von zahlreichen Juden, mit denen die beiden Frauen Umgang hatten.
So wurde mir dieser Jargon vertraut, noch ehe ich Ende der Fünfzigerjahre Fritz Muliar jüdische Witze und Anekdoten erzählen hörte.
Es wurde viel von Juden erzählt, aber niemals davon gesprochen, dass wir selber von Juden herstammten.
Erst als ich, vierzehnjährig, neugierig in Familienpapieren stöberte, entdeckte ich meine jüdische Herkunft und sprach die Eltern, die Großmutter, darauf an. In Folge wurde mir bereitwillig und ausführlich darüber erzählt, auch die Nazizeit wurde nicht mehr verschwiegen.
Ich begann Witze zu sammeln und zu erzählen; zuerst in geselliger Runde, viel später dann professionell als Vortragskünstler.
Nach und nach entwickelte ich viele Programme zu diesem Thema, die ich auf zahlreichen Gastspielreisen, in Schulen und Volkshochschulen, in kirchlichen und jüdischen Institutionen und schließlich in meinem eigenen Theater in München vortrug.
Auf der Suche nach immer neuem Material durchstöberte ich Antiquariate und erwarb viele Bücher, die sich mit diesem Themenkomplex beschäftigten. Immer wieder wurden mir von Gästen, die meine Veranstaltungen besuchten, wertvolle Hinweise gegeben, Bücher geschenkt und, natürlich, Witze erzählt.
 
So danke ich all jenen, die mir bei meiner Arbeit geholfen haben, vor allem meiner Frau, ohne deren tatkräftige Unterstützung dieses Buch niemals geschrieben worden wäre.
 
Gewidmet ist diese Schrift den beiden, längst verstorbenen, aufregenden Frauen Maria Munke und Mary Steiner, genannt Tante Itzi, ohne die alles anders gekommen wäre …
 
WOLFGANG ROCHMES
Gangkofen, im Dezember 2006
Zur Person
»Sind Sie Jude?«, werde ich oft gefragt. Darauf antworte ich meistens: »Mein Rabbi würde sagen: ›Nein‹, mein Psychiater: ›Ja‹.«
Jude ist, so das rabbinische Gesetz, dessen Mutter Jüdin ist. Zwar gibt es, sehr entfernt, auch in der mütterlichen Linie jüdische Vorfahren; doch hauptsächlich in der väterlichen. So sitze ich als nicht richtiger Jude und auch nicht richtiger Nichtjude sozusagen zwischen den Stühlen.
Mir ergeht es wie jenem getauften Juden, der in beiden strikt getrennten Bayreuther Kreisen der jüdischen und nicht jüdischen Wagnerianer verkehrte und klagte: »Unter den Nichtjuden bin ich der einzige Jude, unter den Juden der einzige Goj (Nichtjude)!«
 
Über meine Herkunft möchte ich mein Tagebuch sprechen lassen:
 
Berlin, den 19. Oktober 1971: Für den 1. Dezember ist ein »Wiener Abend« mit dem Verbindungsbruder Rebbe angekündigt. So steht es im Semesterprogramm der ATV der Märker und Kurmark.
Was werde ich vortragen? Sicherlich Dialektgedichte von H. C. Artmann, eventuell auch eine seiner Geschichten, jüdische und Wiener Witze, vielleicht Ausschnitte aus »Der Herr Karl« von Qualtinger; Hammerschlag, Altenberg, Roda Roda, Schnitzler (?), Nestroy (?) …
 
Verbindende und erklärende Worte zwischen den literarischen Texten. Ich will von meinen Erinnerungen an diese Stadt erzählen, zum Beispiel so: Wien, du Stadt meiner Träume, Abend für Abend im düsteren Schlafsaal des Internats; erste Knabenliebe im frühpubertären Sturm, daher vielleicht meine Neigung zur männerbündischen Turnverbindung? Die seelische Katastrophe der Relegation; danach noch eineinhalb Jahre auf dem Gymnasium in der Hietzinger Fichtnergasse.
Es war eine Zeit des Suchens, der Einsamkeit, des hektischen Lesens gewesen. Zahllose Opernbesuche auf dem Stehplatz.
Eine neuerliche Katastrophe: Ich bleibe sitzen wegen Mathematik und Englisch!
 
Wien, die Stadt, in die mein Urgroßvater, aus Jüdisch-Galizien kommend, als fahrender Sänger einzog. Sein Sohn Arthur, der Vater meines Vaters, studierte zuerst Zahnmedizin in Berlin und eröffnete, gemeinsam mit einem Freund, eine Praxis auf der sogenannten Mazzesinsel, dem zweiten Wiener Gemeindebezirk. Sie wurde von der Polizei geschlossen, als er Damen an nicht vorgesehenen Stellen zu plombieren suchte. Danach führte er als unbedarfter Tänzer eine verkrachte Künstlerexistenz, wurde der geschwätzige Verführer meiner Großmutter und auch, für wenige Jahre nur, ihr Ehemann.
Meine Großmutter, eine geborene Hofmann und entfernt verwandt mit dem Schriftsteller Richard Beer-Hofmann, war katholisch, Arthur Rochmes mosaisch. Als mein Vater 1919 zur Welt kam, wählte man den Mittelweg und ließ ihn evangelisch taufen. Als mein Großvater das Bordell seiner Frau vorzuziehen begann, ließ sie sich scheiden. Meine Omi zog grollend nach Berlin und ließ sich auf dem Standesamt den Namen Munke geben. Erst 1949 sollte sie auf abenteuerlichen Wegen nach Wien zurückkehren. Mein Vater blieb indessen in Wien bei seiner Großmutter, die sich als Wäscherin abrackerte, wurde Goldschmiedelehrling, wobei er auch meine Mutter kennenlernte und, nach dem Arbeitsdienst, Soldat der Deutschen Wehrmacht. Mein Großvater scheiterte in vielen Berufen und manchen Ehen. Sein Schicksal lässt sich mit dem kürzesten aller jüdischen Witze so beschreiben: Auschwitz!
Mein Vater diente dem deutschen Endsieg, wurde Heeresfeuerwerker in Berlin, Gardeschützenweg, und lehnte wegen des strengen Ariernachweises die mögliche Offizierslaufbahn kategorisch ab. Während es mit der deutschen Sache zu Grabe ging, keimte ich zum Leben empor. In ein erneuertes, vergessliches Österreich wurde ich hineingeboren. Mein Vater versuchte sich an der »Alma mater rudolfiensis« in Chemie, verbrannte sich dabei, im wörtlichen und übertragenen Sinne, die Hände und warf sich auf Gesang und Theater. Ich war vier und noch nahezu blind für diese Welt, als meine Mutter, von mir begleitet, in Amerika verstarb. Fast wäre ich adoptiert worden, aber ein gütiges Schicksal ersparte mir eine amerikanische Zukunft und wahrscheinlich Vietnam, denn mein Vater brachte mich nach Wien zurück in seine und meiner Großmutter Obhut. Sie wurde in den folgenden acht Jahren zu meiner strengen Erzieherin.
 
Ich liebe und hasse diese Stadt. Wenn ich länger nicht in Wien gewesen bin, werde ich heimwehkrank. Dann fahre ich zur Kur dorthin, und in wenigen Stunden bin ich von meinem Leiden geheilt.
In Wien herrschen Stumpfsinn und bornierter Hass. Die Verwandten quälen mich mit Kartenspielen und ihren Krankheitsgeschichten.
Am Burgtheater wird Brecht zu einer matten Komödie verschnitzlert, an der Oper wird, von niemandem bemerkt, täglich die gleiche Operette abgenudelt.
Die selbstgefällige Raunzerei und der schmalzige Charme der Wiener, die alle Besucher dieses biedermeierlichen Puppentheaters entzücken, sind mir ein Gräuel …
Einleitung
Wie schon im Vorwort erwähnt, ist dieses Buch ein Kompendium sehr unterschiedlicher Programme zum Thema. Stand zuerst der Witz im Vordergrund, so zog die Beschäftigung mit ihm allmählich weitere Kreise. Ich beschäftigte mich mit dem Judentum und entdeckte in Bibel, Talmud und den chassidischen Geschichten Vorformen des jüdischen Humors. Ich wurde bei den Wiener Kaffehausliteraten fündig und erkundete das spezifisch Jüdische des Grafen Bobby.
Ich erforschte das jüdisch geprägte Wiener Kabarett von 1900 bis zur Gegenwart. Als äußerst lebendig und vielfältig zeigte sich mir der amerikanisch-jüdische Humor, gleichermaßen in der Literatur wie in Film und Fernsehen. Ich betrachtete den jüdischen Humor unter historischen, politischen, psychologischen, religiösen und formalen Gesichtspunkten. So ergaben sich zwangsläufig Überschneidungen und Doppelungen.
Wenn Ihnen dieser oder jener Witz und gelegentlich auch ein Kommentar mehrfach begegnen werden, so ist dies kein Versehen, sondern beabsichtigt.
 
Der Aufbau dieser Anthologie folgt den Wegen, die ich auf meiner Entdeckungsreise durch die Welt des jüdischen Humors beschritt.
Im ersten Kapitel blicken wir sozusagen aus der Vogelperspektive auf das weite Feld des jüdischen Witzes. Die einzelnen Themenabschnitte sind mit knappen Kommentaren versehen.
Dann betrachten wir die Vorgeschichte des Witzes, dessen Wurzeln im Talmud und in den chassidischen Geschichten zu finden sind, und untersuchen die Techniken des Witzes.
Wir besuchen das alte Osteuropa, die Welt des Schtetls, beschrieben in Erzählungen großer jiddischer Autoren, sowie in Anekdoten und Witzen. Diesem Kapitel ist eine geraffte Darstellung der Grundsätze des Judentums vorangestellt.
Den Themen Antisemitismus und Hitlerzeit werden wir aus naheliegenden Gründen viel Lesezeit widmen.
Allen, auch noch so disparaten Erscheinungsformen des jüdischen Humors ist eines gemeinsam: die Erfahrung des Exils (dieser Begriff so weit gefasst als möglich!), also des Unbehaustseins und der Fremdheit.
So finden Sie dieses Kapitel an zentraler Stelle dieses Buches.
Dem wienerisch-jüdischen Humor in seinen vielfältigen Erscheinungsformen werden wir nachspüren und folgen anschließend den Auswanderern über den Atlantik in die Vereinigten Staaten. Und wir statten Israel einen Kurzbesuch ab.
In den beiden abschließenden Kapiteln finden Sie Erläuterungen zu einigen ausgewählten Witzen sowie eine knappe Liste mit deutschen Lehnwörtern aus dem Jiddischen.
 
Um Ihnen, lieber Leser, auf unserer Tour gelegentlich ein wenig Erholung zu gönnen, sind immer wieder Kapitel mit vermischten jüdischen Witzen eingefügt.
 
Die lebenslange Beschäftigung mit dem jüdischen Humor war und ist viel mehr als ein Hobby.
Hätte mein Vater »Kohn« oder »Levy« geheißen, ich wäre nicht auf dieser Welt. Nur einem des Jiddischen Kundigen wäre die jüdische Herkunft des Namens »Rochmes« aufgefallen (»Rochmes«, gesprochen: Rochmess reimt sich auf »chomess«, was im Jiddischen so viel wie »Witz, Verstand, Geist« bedeutet!) …
Deshalb spreche ich Sie, lieber Leser, immer wieder direkt an. Und auch, weil ich mir gelegentlich gestatte, eine eigene Meinung zu äußern, eine Meinung, die andere vielleicht nicht teilen werden.
 
Abschließend noch eine Anmerkung zur Sprache.
Etliche Witze sind im jiddisch gefärbten Jargon gehalten. Ihnen nicht vertraute Worte werden mittels Fußnoten erklärt. Die meisten Witze aber werden hochdeutsch erzählt. Doch habe ich mich immer bemüht, den jiddischen Sprachduktus beizubehalten.
 
WOLFGANG ROCHMES
ERSTER TEIL
Der jüdische Witz
1. KAPITEL
Der jüdische Witz im Überblick
Motto:
 
»Oich der wiz mus chessed der haschgoche hobn.«
(Auch der Witz muss den Segen Gottes haben.)
Wir sind in Wien, 1945. Der Krieg ist gerade vorbei, die ersten Kaffeehäuser haben wieder geöffnet. Sitzt da einer:
»Herr Ober!«
»Der Herr wünschen?«
»Ich hätt gern einen kleinen Braunen1, nein: geben’S mir lieber einen Mokka und den Völkischen Beobachter2.«
»Den Kaffee herzlich gerne, aber den Völkischen Beobachter gibt’s nimmer.«
Zehn Minuten später.
»Herr Ober!«
»Der Herr wünschen?«
»Ich hätt jetzt gerne einen Cognac. Und den Völkischen Beobachter.«
»Den Cognac ja, selbstverständlich, aber den Völkischen Beobachter gibt’s nimmer!«
Weitere zehn Minuten später.
»Herr Ober!«
»Der Herr wünschen?«
»Ich hätt gerne noch einen Cognac - und den Völkischen Beobachter.«
»Kaffee, Cognac - alles, was wir auf der Karte haben, aber den Völkischen Beobachter gibt’s nimmer. Warum fragen Sie denn dauernd?«
»Ich hör’s halt so gern!«
In einem Kaffeehaus sitzen ein Sehender und ein Blinder. Fragt der Sehende den Blinden:
»Mechtest du wos trinken, vielleicht a Milch?«
»Wos is das, a Milch?«
»A weiße Flissigkeit.«
»Aha … Wos is weiß?«
»A Schwan is weiß.«
»Wos is a Schwan?«
»A groißer Vogel mit an lang’n krumm’n Hals.«
»Wos is krumm?«
»Wie soll ich dos erklär’n? … Halt, ich hob’s! Ich werd mein Arm abwinkeln, du wirst mit der Hand durch die Armbeige tasten, dann wirste wiss’n, wos is krumm.«
Der Blinde tastet, geführt von der Hand des Sehenden, über dessen Armbeuge und sagt strahlend:
»Jetzt weiß ich endlich, wos dos is a Milch!«
»Du, ich hab dich gestern an der Börse gesehen. Was machst du da?«
»Ich spekuliere in Minen.«
»Du spekulierst? Du hast doch überhaupt kein Geld!?«
»Nicht so, wie du denkst. Ich stehe am Eingang von der Börse und warte, bis einer herauskommt mit einer fröhlichen Miene. Dann schnorr ich ihn an!«
Zwei Juden sitzen im Kaffeehaus. Sagt der eine:
»Sag einmal, wieso trägst du den Ring mit dem Stein nach innen?«
Der andere, den Handrücken vorzeigend:
»Na, red ich a so, oder« - die Handfläche vorzeigend - »red ich a so?«
Woroschiner spielt in der Lotterie.
Er betet: »Lieber Gott, lass mich in der Lotterie gewinnen, ich werde die Hälfte des Gewinns einer guten jüdischen Sache spenden.«
Er spielt, und er gewinnt nicht.
Denkt er sich: »Nu, versuch ich’s mal bei der Konkurrenz.«
Er begibt sich in eine Kirche, spendet eine geweihte Kerze und faltet umständlich die Hände: »Lieber christlicher Gott, lass mich bitte gewinnen in der Lotterie, ich werde die Hälfte des Gewinns einer guten christlichen Sache spenden.«
Er spielt, und er gewinnt!
Er geht ins Kaffeehaus, erzählt die Geschichte seinen Freunden und sagt: »Ich gebe zu, der christliche Gott hat mich besser behandelt als der insrige3. Aber der insrige ist klüger; er wusste, dass ich nichts geben werde.«

Wir verlassen jetzt das Kaffeehaus:

Der Rabbi im Kreise seiner Bachurim4:
»Lasst euch erzählen die Geschichte von einem großen Wunder. Ein armer jiddischer Holzfäller is sich ergangen in den Wald, um Holz zu schlagen. Was geschieht? Was findet er da? Ein neugeborenes Kind! Aber der Mann war bitterarm, er konnte sich selbst nicht ernähren, geschweige denn ein Kind. Er hat sich hingestellt, der fromme Mann, und hat gebetet zu Gott, dass er möge tun ein Wunder. Und was sag ich euch! Das Wunder is geschehn: Dem Mann sind Brüste gewachsen, er hat das Kind gesäugt, das Kind hat überlebt!«
Sagen die Bachurim:
»Ein schönes Wunder, ein großes Wunder. Aber far wos5 so kompliziert? Der liebe Gott hätt ihn finden lassen einen Beutel mit Geld, wär doch einfacher gewesen, nicht?«
Da lächelt der Rabbi und sagt:
»Far wos soll Gott ausgeben bares Geld, wenn er kann auskommen mit einem Wunder!«
Der achtzigjährige Saloschin fühlt sich nicht wohl, er geht zum Doktor und lässt sich untersuchen. Der Arzt beklopft ihn hier, beklopft ihn da, schaut ihm hier herein, schaut ihm dort herein und fragt ihn:
»Sagen Sie mal, Herr Saloschin, leiden Sie an Blähungen?«
»Wos haaßt leid’n? Ma anziges Vergnig’n!«
Meyer Amschel Rothschild hat noch gehabt ein kleines Kontor in Frankfurt. Er ist gestanden an seinem Pult bis tief in die Nacht, hat geschrieben und gerechnet. Da geht die Tür auf, herein kommt ein preußischer Offizier in voller Adjustierung:
»Baron von Brettwitz, Adjutant seiner königlichen Majestät des Königs von Preußen.«
Sagt Rothschild:
»Nehmen Se sech a Stuhl!«
Der Offizier, forscher:
»Baron von Brettwitz, Adjutant seiner königlichen Majestät des Königs von Preußen, Ritter des Malteserordens!!«
»Nehmen Se sech a Stuhl.«
Der Offizier, lauter und mit großem Nachdruck:
»Baron von Brettwitz, Adjutant seiner königlichen Majestät des Königs von Preußen, Ritter des Malteserordens und päpstlicher Hofkämmerer!!!«
»Na gut, dann nehmen Se sech zwa Stühle!«
In einem Zugabteil sitzen sich ein Jude und ein Offizier gegenüber. Der Offizier schläft. Dem Juden wird schlecht, er übergibt sich - auf die Uniform des Offiziers! Peinlich berührt zieht der Jude ein Tuch heraus und beginnt vorsichtig an der Uniform des Offiziers zu wischen. Der Offizier erwacht. Fragt ihn der Jude: »Is Ihnen schon besser?«
Stellungsbau im Ersten Weltkrieg. Baruch Meyer gräbt und gräbt, der Schützengraben ist schon drei Meter tief. Schreit der Unteroffizier:
»Meyer, was machen Sie da? Sie werden den Feind nicht sehen können!«
»Bin ich neigierig?«
Veitel Mandelbelag hat aufgemacht einen Gemischtwarenladen. Den ganzen Tag ist kein Mensch gekommen. Er will bereits zusperren, da kommt einer herein und verlangt einen Briefumschlag.
»Macht zwei Kreuzer.«
Der Mann wirft fünf Kreuzer hin und geht.
Zu Hause fragt ihn seine Frau:
»Nu, Veitel, sug, wie wor’s Geschäft?«
»Der Umsatz war nicht besonders - aber der Verdienst!«
Schmul besucht den Nachman. Nachman sitzt splitternackt am Tisch, seine Jarmulke6 auf dem Kopf und studiert den Talmud.
»Nachman, was sitzt du da so nackt?«
»Ach, weißt du, Schmul, es ist so heiß heute und kommen wird doch niemand …«
»Gut und schön, aber warum hast du dann deine Jarmulke auf?«
»Vielleicht könnt ja doch wer kommen!«
Nathan Eisenschitz ist Rabbi in Chicago und leidenschaftlicher Golfspieler. Die ganze Woche ist gewesen ein mieses Wetter, und er konnte seiner Golfleidenschaft nicht frönen. Aber ausgerechnet am Schabbes - am Sabbat darf doch ein Jude nicht Sport treiben! - ist herrlichster Sonnenschein. Er ist aufgestanden in aller Herrgottsfrühe und in ihm tobt ein fürchterlicher Kampf: Seine Golfleidenschaft wider seine Frömmigkeit … Die Golfleidenschaft siegt, er geht auf den Golfplatz, er ist ganz allein und fängt an zu spielen.
Sein seliger Vater, der gewesen ist ein orthodoxer Rabbi, sieht herab vom Himmel auf die Erde und seinen Sohn sündigen. Ihn packt ein heiliger Zorn, und er ruft aus:
»Lieber Gott, komm, schau - bestrafe diesen Sünder.«
Der liebe Gott schaut herab und sagt:
»Ich werde ihn bestrafen!«
Was geschieht? Nathan Eisenschitz, noch immer allein, legt sich den Golfball am Abschlagspunkt zurecht, holt aus - ein mächtiger Schlag, der Golfball fliegt zweihundert Meter weit, genau ins Loch. Ein Ass (Hole in One)! - Sein seliger Vater ist verdattert und sagt zu Gott:
»Das soll sein eine Strafe?«
Da lächelt der liebe Gott und sagt:
»Nu, wem soll er’s erzählen?!«

Wir begeben uns nun zurück ins Kaffeehaus.

Sitzt da wieder einer:
»Herr Ober, geben Sie mir etwas von diesem wundervollen Fisch!«
»Mein Herr, das ist kein Fisch, das ist Schinken.«
»Hab ich gefragt, wie er sich ruft, der Fisch?«
Bloch und Roth spielen Karten, um Geld. Bloch verliert und sagt:
»Du, Roth, es tut mir leid, ich hab kein Geld bei mir. Ich geb’s dir ein andermal wieder!« »Bloch, hör mich an. Ich finde es höchst unmoralisch, um Geld zu spielen und kein Geld dabeizuhaben. Außerdem, wovon soll ich jetzt meinen Kaffee bezahlen?«
Der Schadchen7 zum Kandidaten:
»Die Rifka Goldstein miss’n Se heirat’n. Die is scheen, die is reich!«
»Hören Sie mal! Die Rifka Goldstein? Die hat doch schon ganz Rezschow gehabt!«
»Nu, wie groß is Rezschow?«
Grün, Blau und Levy sitzen im Kaffeehaus.
Kommt eine Frau herein, schick angezogen, mit reichlich Schmuck behangen, wunderschön.
Sagt Grün: »Schaut euch an die Perlenkette, die sie trägt. Die hat sie von mir!«
Sagt Blau: »Schaut euch an die Brillantbrosche. Lauter Einkaräter. Die hat sie von mir!!«
Sagt Levy: »Ihr beide, ihr seid mir doch schöne Nebochan ten8. Schaut euch an die Ringerln - unter ihren Augen. Die hat sie von mir!«
Der Jüdische Witz ist der Witz der Juden über sich selber, kein Judenwitz, wie der Schotten-, Polen-, Österreicher-Witz, mit welchem man sich über andere Völkerschaften lustig macht.
Jüdische Witze sind Soziogramme, pointierte Beschreibungen einer untergegangenen Kultur, genauer gesagt: zweier Kulturen, der mitteleuropäisch-westlichen und der »Ghetto«-Kultur des Ostens. Aus diesem Zusammenprall der beiden Kulturen schlägt der Witz seine Pointen. Der geschichtliche Abstand bedingt auch Unkenntnis. So habe ich Ihnen Witze aus verschiedenen Gebieten erzählt:
• Schinken wird als Fisch bezeichnet. Der Genuss von Schweinefleisch ist Juden verboten, Schweinefleisch ist »trefe«. Rindfleisch beispielsweise ist aber erst »koscher«, d. h. zum Verzehr geeignet, wenn es vorschriftsmäßig »geschächtet«, d. h. im Wesentlichen entblutet ist.
• »Jarmulke« oder »Kepah«: Beim Gebet hält der Jude seinen Kopf bedeckt. Der Witz: Schmul besucht den Nachman … ist Ihnen vielleicht bekannt vorgekommen (Tünnes und Schäl). Hier ein Beispiel, wie er durch den Bezug auf das religiöse Gebot eine besondere Note bekommt.
• Es ist von Rabbis, vom Talmud die Rede, vom Arbeits- und Sportverbot am Schabat (jiddisch: Schabbes), dem wöchentlichen Ruhetag, der von Freitagabend bis Samstagabend dauert. Kurz: Vielerlei Begriffe kommen in den Witzen vor, die eine Erläuterung bedürfen.
Von SIGMUND FREUD stammt die folgende Definition: »Der Witz ist die Waffe der Wehrlosen.«
Diese widersprüchliche Definition trifft die Situation der Juden während der Emanzipationszeit, also von Ende des 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts, recht genau. Die Juden haben sukzessive gewisse Rechte bekommen, bleiben zugleich aber doch noch recht- und machtlos. So ergibt sich auch, dass der jüdische Witz recht jung ist und seine Entstehung etwa zwischen 1870 und 1945 anzusiedeln ist.
 
Die Emanzipation brachte Assimilation (beispielsweise auch Taufe) mit sich und damit Untreue. Der sich seiner Herkunft bewusste Jude reagiert darauf mit Ironie. Viele Witze sind ironischer Ausdruck dieses schlechten Gewissens, wie beispielsweise dieser:
 
Als Karlsbad noch Karlsbad hieß, da gehen zwei Juden … apropos Karlsbad. Das war jene Stadt, in der ein Fremdenführer eine Gruppe von Touristen herumführt und erklärt:
»Das hier ist die Kirche für die Katholiken … Das hier ist das Gotteshaus für die Protestanten … Und das hier ist die Synagoge für die Kurgäste!«
 
Also in diesem Karlsbad gehen zwei Juden auf der Kurpromenade spazieren. Sagt der eine:
»Ich hob geheert, du bist geworden a ›Nejer‹9, stimmt das?«
»Ja.«
»Sug amol, glaubst du an Gott?«
»Lass uns von was anderem reden, ja?«
Anderntags, die beiden gehen wieder auf der Kurpromenade spazieren. Sagt der eine:
»Du, das hat mir die ganze Nacht ka Ruh gelass’n. Ich mecht das jetzt gern wissen: Glaubst du an Gott?«
»Nein!«
»Und das hast du mir nicht sagen können gestern??«
»Bist de meschugge, am Schabbes?!«
Ironie ist ein dem Judentum eingeborener Zug. Sie entsteht aus der Erkenntnis der Diskrepanz zwischen dem angestrebten Ziel, der Errichtung des Gottesstaates auf Erden, verbunden mit dem Gutsein aller Menschen und damit der Herstellung paradiesischer Zustände auf Erden, und der Realität, d. h. dem Wissen um Ungerechtigkeit und menschliche Schwächen.
 
Geistesschärfe des Witzes hat seine Ursache in der intellektuellen Schulung von frühestem Kindesalter an. Der fromme orthodoxe Jude lernt sein Leben lang. Biblische Texte werden scharfsinnig gedeutet und gewendet. Da aber die Grundlage ein Mythenbuch ist, die Thora10, d. h. im Wesentlichen das Alte Testament, so sind die Ausdeutungsmöglichkeiten unendlich.
Andere Gründe, die jedoch mit den eben erwähnten korrespondieren: Im Hebräischen gibt es weder Vokale noch Satzzeichen, d. h.: Die Bedeutung der Worte, der Sätze, wird erst durch das Aussprechen, durch Betonung deutlich, daher auch das Psalmodieren der Gebete. Erst dadurch werden die Sätze strukturiert und bekommen so ihren Sinn.

Drei Beispiele, wie der Witz aus dieser Quelle schöpft:

Beim Militär.
»Einjähriger Katz: Warum soll der Soldat gerne für sein Vaterland sterben?« - »Recht haben Sie, Herr Feldwebel, warum soll er?«
Frage: Was ist Konsequenz?
Antwort: Heute so und morgen so.
Was ist Inkonsequenz?
Antwort: Heute so und morgen so.
Sarah dreht sich im neuen Ballkleid kokett vor dem Spiegel und ruft: »Moischeleben, hibsch bin ich noch immer, nicht?«
Der Ehemann:
»Recht hast de. Hibsch bist de noch immer nicht.«
Der Talmud ist neben der Bibel das wichtigste Buch des Judentums. »Talmud« heißt »Lernen«, während Thora »Lehre« bedeutet.
Talmud ist allgemein Bibelauslegung. Weil aber Judentum mehr ist als Religion und auch den Alltag umfasst, ist es auch bürgerliches Gesetzbuch sowie ein Anekdoten- und Weisheitsbuch.
Der Talmud besteht aus zwei Teilen, der Mischna (Gesetze) und der Gemara (Kommentare). Es herrscht Meinungspluralismus. Jede rabbinische Autorität schreibt ihre Ansicht zu einem Gesetz dazu, jede Abweichung wird notiert. Es fehlt Dogmatik, die immer mit Macht, mit weltlicher Macht zu tun hat. Da die Juden aber machtlos waren, konnte sich auch keine Dogmatik entwickeln.
Von dieser Meinungsvielfalt kommt wohl auch jener sogenannte »zersetzende jüdische Relativismus«, das »Kann sein so oder kann sein so«. Oder in Abwandlung eines Brecht-Zitats: »Der Jude sieht eine Sache nicht nur von der einen Seite, sondern auch von den zweiundfünfzig anderen.«
 
Schlomo Silberstein, ein Jude aus einem kleinen polnischen Schtetl, fährt zum ersten Mal nach Warschau. Zurückgekehrt berichtet er seinen Freunden: »Ich habe einen atheistischen Juden erlebt; einen, der orthodox ist, orthodoxer geht es nicht mehr. Einer ist Zionist, einer Sozialist; einer ist talmudgläubig, einer ein Skeptiker, einer erwartet jeden Moment den Messias.«
»Nu, kein Wunder bei so vielen Juden.«
»Es war aber immer ein und derselbe.«

Man kann Talmud aber auch so definieren:

»Joine, du bist ein gescheiter Mensch. Was ist das eigentlich, Talmud?«
»Ich will versuchen, es dir zu erklären anhand einer talmudischen Kasche11. Stell dir vor: Zwei Männer steigen auf das Dach eines Hauses und fallen durch den Schornstein. Einer ist sauber, einer ist schmutzig. Wer wird sich waschen?«
»Der Schmutzige natürlich.«
»Falsch. Der Schmutzige sieht den Sauberen, denkt, er wär sauber. Der Saubere aber sieht den Schmutzigen, denkt, er wär schmutzig, folglich wird sich der Saubere waschen. - Ich will dir stellen eine zweite talmudische Kasche. Die beiden Männer steigen wieder aufs Dach, fallen wieder durch den Schlot. Wer wird sich waschen?«
»Ich weiß: Der Saubere!«
»Falsch. Der Saubere hat beim Waschen gemerkt, dass er sauber ist. Der Schmutzige hingegen hat begriffen, weshalb sich der Saubere gewaschen hat, folglich wird sich jetzt der Schmutzige waschen! - Ich will dir stellen eine dritte talmudische Kasche. Die beiden Männer steigen nochmals aufs Dach, fallen nochmals durch den Schornstein. Einer ist sauber, einer ist schmutzig. Wer wird sich waschen?«
»Von jetzt an immer der Richtige, der Schmutzige!«
»Hast du jemals erlebt, dass zwei Männer dreimal auf ein Dach steigen, dreimal durch den Schornstein fallen, und einer ist sauber und der andere schmutzig? Siehst du, das ist Talmud!«
»Rebbe, warum hat der Mensch nie, was er will?«
»Wollte er, was er hat, dann hätte er, was er will. Da er aber nie will, was er hat, hat er nie, was er will!«
Der achtzigjährige Nachmann hat geheiratet, eine ganz junge Frau. Eines Tages stellt sich Nachwuchs ein. Er geht zum Rabbi.
»Rebbe, wie geht das zu?«
»Ganz einfach, das ist ein Wunder.«
»Aber wieso ist das ein Wunder?«
»Schau, ist das Kind von dir, dann ist es ein Wunder! Nu, und ist das Kind nicht von dir, ist’s ein Wunder?«
Das Judentum ist Gesetzesreligion (es gibt über 600 Gebote und Verbote) und Geschichtsreligion. Viele Feste erinnern an historische Ereignisse: Da gibt es Pessach (Passah, das jüdische Osterfest) an welchem an Exil und Auszug aus Ägypten erinnert wird. Da isst man Mazzes (ungesäuertes Brot) zur Erinnerung an die Zeit des Elends und an die Hast, in welcher der Aufbruch vonstattenging.
Rosch Haschana, das jüdische Neujahrsfest. Das ist der Tag des Gerichts, an welchem in der Vorstellung orthodoxer Juden die Guten von Gott ins Lebensbuch eingeschrieben werden.
Zehn Tage später findet Jom Kippur (jiddisch: Jom Kipper), der Versöhnungstag, statt; das ist der strengste Fasttag im Judentum, an welchem sich der Fromme mit Gott und seinem Nächsten aussöhnt.
Den Sabbat (jiddisch: Schabbes) mit seinem absoluten Ruhegebot habe ich schon erwähnt.
 
An Rosch Haschana will die ganze Kille in die Synagoge. Eine gute Gelegenheit für den Rebben und den Schammes 12 ein bisschen Geld zu verdienen. Der Schammes sitzt vor der Türe und verkauft Eintrittskarten. Fast die ganze Kille ist schon in der Synagoge, da kommt Bär heran und sagt zum Schammes:
»Mein Freund Hirsch ist drinnen. Ich muss ihm eine dringende Nachricht übermitteln. Nur ein kleiner Moment, ich bin gleich wieder heraußen.«
»Du Ganew13, du willst beten!«
Ein Jude steht am Schabbes vor seinem Laden und preist seine Ware an: »Hosen zum halben Preis! Hosen fast geschenkt!!«
Ein anderer Jude kommt vorbei:
»Wie empörend! Ein Jude, der am Schabbes Geschäfte macht!«
»Ich verkaufe Hosen zum halben Preis, und das nennt Ihr ein Geschäft??«
Vorbemerkung: Es ist orthodoxen Juden verboten, ein Gebet durch ein profanes Gespräch zu unterbrechen. Im Notfall verständigt man sich mittels stummer Zeichen und Gesten.
 
In einem polnischen Städtchen kommt gegen Abend ein Reisender zum einzigen Hotel; er möchte ein Zimmer haben. Sagt der Portier:
»Tut mir leid, kein einziges Zimmer mehr frei.«
»Gewalt geschrien, was soll ich tun?«
»Regen Sie sich nicht auf, mein Herr. Im Zimmer Nr. 14, erster Stock, logiert ein Glaubensgenosse von Ihnen. Da steht ein zweites Bett. Fragen Sie ihn, ob er es Ihnen überlässt.«
Der Reisende bedankt sich, geht zum Zimmer Nr. 14 und klopft. Nichts. Er öffnet vorsichtig die Türe, steht da am Fenster ein orthodoxer Jude mit Gebetsmantel, Gebetsschal, Jarmulke und betet.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber das ist ein Notfall. Würden Sie so freundlich sein und mir das zweite Bett überlassen?«
Der orthodoxe Jude am Fenster nickt und betet weiter.
»Ich habe da noch ein zweites Anliegen. Ich möchte heute noch was unternehmen. Würde es Ihnen was ausmachen, wenn ich erst spät nach Hause komme?«
Der orthodoxe Jude am Fenster schüttelt den Kopf und betet weiter.
»Ich hab da noch ein Anliegen - es ist ein bisschen delikat: Würde es Ihnen was ausmachen, wenn ich mir ein Mädel mitbringe aufs Zimmer?«
Da dreht sich der orthodoxe Jude zu ihm um und deutet mit den Fingern: Zwei!!
Seit der Zerstörung des Tempels (587 v. Chr.) ist nicht mehr der Priester, sondern der Schriftgelehrte die dominierende Gestalt. Der Rabbi ist der Weise, der die Gesetze auslegt, damit auch Richter. Er ist geistliche und weltliche Autorität.
 
Der Rabbi hat einen Rabbikollegen zu Gast. Da kommt ein armer jüdischer Schächter14, der ist sich nicht sicher, ob das geschlachtete Tier auch koscher ist. Er schildert den Fall dem Rebben und der entscheidet sofort »koscher«.
Der überglückliche Schächter bedankt sich und geht.
Der Rabbikollege, der das mit angehört hat, sagt:
»Mein lieber Freund, du weißt doch ganz genau, dass Rabbi Moses Isserles15 in so einem Fall anders entschieden hätte.«
»Ich weiß. Aber wenn ich dereinst vor das himmlische Gericht treten werde, so möchte ich lieber Rabbi Moses Isserles zum Gegner haben, als jenen armen Schächter.«
Zwei streitende Männer kommen zum Rabbi, er soll ihren Streit schlichten. Er holt erst den einen zu sich, hört ihn an und entscheidet:
»Du hast recht.«
Er holt den anderen zu sich, hört den Fall von dessen Seite und entscheidet:
»Du hast recht.«
Seine Frau hat das mit angehört und sagt:
»Bist du meschugge? Es können doch nicht beide recht haben.«
Darauf der Rebbe:
»Du hast auch recht.«
»Rebbe, kann man mit Toten sprechen?«
»Man kann, bloß: Sie antworten nicht.«
Neumann, ein reicher Goj16 und ein großer Judenfreund, ist gestorben. Er hat testamentarisch verfügt, er wolle auf dem jüdischen Friedhof begraben werden. Der Sohn geht zum Rabbi und fragt:
»Geht das?«
Der Rabbi studiert die Bücher und entscheidet:
»Es geht, aber es kostet fünfzehntausend Gulden.«
»Aber, Rabbi, ist das nicht enorm viel Geld für so eine kleine Grabstätte?«
»Aber wieso? Schaut: Am Tage des Jüngsten Gerichts, die Posaunen von Jericho ertönen und alle Juden versammeln sich um Gott. Na, und dann hat Ihr Herr Vater den ganzen Friedhof für sich allein!«
Ein Mann kommt zum Rabbi. »Darf man an Jom Kippur Verkehr haben mit einer Frau?« Der Rabbi studiert die Bücher und entscheidet dann: »Aber nur mit der eigenen; ein Vergnügen soll’s nicht sein.«
Die Vorstellung, Judentum sei ein einheitliches Gebilde, trügt. Es gibt vielerlei Richtungen (wie im Protestantismus), von ultraorthodox bis hin zu den Reformjuden, die sogar Frauen zum Rabbinat zulassen.
Im 18. Jahrhundert kam in Russland der Chassidismus auf, eine Bewegung von der Basis her als Reaktion auf das Bildungsprivileg der Rabbiner. Es gab mystische, ekstatische Formen des Gottesdienstes. Zaddiks, sogenannte Wunderrabbis, gab es in Fülle, demzufolge auch viele Scharlatane und selbst ernannte Messiasse.
Doch zeigte sich im Chassidismus etwas dem Judentum Urtümliches: die Durchdringung von Religion und Alltag. Nach Martin Buber wird vom Chassid Folgendes gefordert: »Alles, was du tust, tue mit ganzer Kraft und Inbrunst, dann erscheint dir in jedem Ding Gott!«
 
Des Wunderrabbis Pendant am anderen Ende des Spektrums ist der Reformrabbiner. Das Reformjudentum, wie es früher in Deutschland, heute vor allem in England und Amerika existiert, war eine Reaktion auf die Emanzipationsbewegung, das heißt: Es war und ist der Versuch, moderne Zeit und Religiosität in Einklang zu bringen.
 
Ein Chassid zu einem Besucher aus Westeuropa:
»Hast du schon gehört vom neuesten Wunder unseres Zaddiks?«
»Für euch ist es ein Wunder, wenn Gott die Forderungen eures Rebben erfüllt. Für uns wäre es ein noch größeres Wunder, wenn der Rebbe die Forderungen Gottes erfüllen würde!«
Kopstein hat sich gekauft einen Sportwagen Marke »Maserati«.
Sagt seine Frau:
»Ehe wir mit dem Auto fahren, geh zum Rebben, er soll sprechen die Broche17 über das Fahrzeug.«
Kopstein geht zum Rebben, es ist ein alter orthodoxer Rabbiner, und sagt:
»Rebbe, ich habe mir gekauft einen Maserati!«
»Maserati, was ist das?«
»Das ist ein Auto mit zwölf Zylinder!«
»Ein Auto mit zwölf Hütele, mit so einem Teufelszeug will ich nichts zu tun haben.«
Kopstein geht nach Hause und erzählt die Geschichte seiner Frau. Sagt sie:
»Das ist ein alter, seniler Mann. Hat nichts übrig für die moderne Zeit, die moderne Technik. - Geh zum Reformrabbi, der wird haben ein Verständnis für deinen Wunsch!«
Kopstein geht zum Reformrabbi, sagt:
»Rebbe, ich hab mir gekauft einen Maserati.«
»Vielleicht das neue Coupé, 12 Zylinder, 240 PS, 215 km/h Spitze? Kann ich machen eine Probefahrt damit?«
»Gerne, Rebbe, aber erst möchte ich, dass Sie sprechen die Broche über das Fahrzeug.«
»Broche, was ist das?«
Drei Jeschiwe-Bocher18 sitzen beisammen und rühmen ihren Rabbi als großen Wunderrebben. Sagt der eine: »Lasst euch erzählen die Geschichte von einem großen Wunder, was geschehen ist bei uns. Der Pruth ist gegangen über die Ufer, es hat gedroht eine Überschwemmung. Der Rebbe, an der Spitze von der Kille, ist gezogen ans Ufer des Flusses, um zu beten, dass Gott möge abhüten eine Überschwemmung. Was geschieht? Mitten auf dem Strom, wie weiland Moses, treibt in einem Körbchen ein neugeborenes Kind, rettungslos verloren, keiner konnte schwimmen! Mein Rebbe, der fromme Mann, er hat sich hingestellt und hat gebetet zu Gott, dass er möge tun ein Wunder. Und was sag ich euch, das Wunder ist geschehen: Links war Wasser, rechts war Wasser; in der Mitte ist der Rebbe gegangen, und das Kind war gerettet!«
Sagt der Zweite:
»So ein ähnliches Wunder ist geschehen bei uns im Schtetl. Ein zweistöckiges Haus ist gestanden in Flammen. Die haben aus der Eingangstür geschlagen, keiner konnte rein oder raus. Oben, im zweiten Stock, hat eine Mutter mit zwei Kindern um Hilfe gerufen, rettungslos verloren. Und mein Rebbe, der fromme Mann, hat sich hingestellt und gebetet, dass Gott möge tun ein Wunder. Und was sag ich euch, das Wunder ist geschehen: Links war Feuer, rechts war Feuer; in der Mitte ist der Rebbe gegangen, und die Frau und die Kinder waren gerettet!«
Sagt der Dritte:
»Das ist gar nichts. Mein Rebbe hat bekommen am Freitag
1
kleiner Brauner: kleine Schale Espresso mit Sahne
2
Völkischer Beobachter: offizielle NSDAP-Zeitung
3
unsrige
4
Jünger
5
wörtlich: für was; wozu
6
Käppchen
7
Heiratsvermittler
8
unübersetzbar; etwa: Versager; arme Würstchen; Nichtsnutze
9
Abtrünniger
10
Die fünf Bücher Mosis
11
Problem
12
Synagogendiener
13
Gauner
14
ritueller Schlächter
15
Rabbinische Autorität des 16. Jahrhunderts
16
Nichtjude; Ungläubiger
17
Studenten der Talmudhochschule
18
Segen
 
 
 
Vollständige deutsche Erstausgabe 10/2008
Copyright © dieser Ausgabe 2008
by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagillustration: © Cornelia von Seidlein
eISBN : 978-3-641-03301-9
 
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