GegenStandpunkt 4-23 -  - E-Book

GegenStandpunkt 4-23 E-Book

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Beschreibung

Ukraine und Gaza – Populäre Meinungsbildung über die Kriege des Hahres 2023 Im Krieg wird die Moralität der bürgerlichen Gesellschaft auf den Kopf gestellt. Was im zivilen Alltag mit seinen rechtlichen Vorschriften und sittlichen Geboten dem Menschen streng verboten ist, das wird ihm als Soldaten im Krieg befohlen – und allen anderen als unbedingt gebotene Notwendigkeit vorstellig gemacht: Im Krieg gilt es, andere Menschen umzubringen, die Auslöschung der Existenz von Leuten, mit denen man persönlich überhaupt nichts zu tun hat, als seine Feinde ist geboten. Und das Recht auf Leben, das sonst das höchste Schutzgut darstellt, weicht der Pflicht, es für den Staat hinzugeben. Kriege sind deswegen Hochzeiten der Moral – und für alle Mitdenkenden eine ultimative moralische Herausforderung, die das Bedürfnis nach Rechtfertigung provoziert. „Al-Aqsa-Flut“ und Gaza-Krieg: Hamas gegen Israel Auf einen militärischen Sieg gegen Israel ist der Überfall der Hamas auf das israelische Umland des Gaza-Streifens nicht berechnet – mit ein paar Hundertschaften Bewaffneter und ein paar Tausend Raketen ist ein Krieg gegen Israel, die stärkste Militärmacht der Region, nicht zu gewinnen; ein regulärer Krieg ist von einer Truppe wie der Hamas noch nicht einmal zu führen. Das und erst recht die Tatsache, mit welcher zielgerichteten Grausamkeit die Hamas-Leute über die Zivilisten herfielen, derer sie habhaft wurden, bestätigt allen, die es sowieso schon wissen, dass es sich bei dieser Truppe um Terroristen handelt. Um Terror handelt es sich bei der Gewalt der Hamas auch ohne jede Frage. Interessiert falsch ist es aber, das Terror-Urteil damit zu verknüpfen – im Prinzip besteht es üblicherweise aus gar nichts anderem als –, die Gewalt ihres politischen Gehalts zu entkleiden. Die gewollte Fassungs- und Begriffslosigkeit, die mit schlichtem menschlichem Entsetzen nicht zu verwechseln ist, lässt keinen Platz dafür, den Zusammenhang zwischen dieser Gewaltaktion und dem Inhalt und Stand des politischen Programms zu ermitteln. Die Konkurrenz der Kapitalisten, Kapitel V: „Die letzte Wachstumsgarantie – imperialistische Erfolge der Nation“ klärt über die Notwendigkeit auf, mit der die Staaten der Welt in ihrem zivilen Verkehr der Konkurrenz der Nationen notwendig die Gründe für den nächsten Krieg produzieren. „Künstliche Intelligenz“: Die neue Wunderwaffe in der Konkurrenz um Weltmarkt und Weltmacht „Künstliche Intelligenz“ (KI) ist ein Dauerthema, in den Medien ebenso wie in politischen Empfehlungen zur Stärkung der nationalen Konkurrenzfähigkeit... Was sind das für Maschinen und Techniken, von denen das Schicksal der Nationen abhängt, weil sie die intelligenten Leistungen des menschlichen Kopfes ersetzen und übertreffen sollen? Der Staatshaushalt durch die Brille der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Jahr um Jahr stellt die amtierende Regierung in einem Haushaltsplan vor, wie viel Geld für welches staatliche Vorhaben veranschlagt werden soll. In bürgerlichen Gemeinwesen wie dem deutschen ist das ein wichtiges Ereignis, schließlich wird mit der Finanzierung einzelner Posten über die politische Ausrichtung und Ausübung der Staatsgewalt für das anstehende Haushaltsjahr entschieden. Diesem Gewicht trägt die FAZ auch in diesem Jahr wieder Rechnung, indem sie der Haushaltsplanung etliche Artikel und Kommentare widmet, die auf ihre Weise sowohl von einer Sachkenntnis als auch davon zeugen, wie die FAZ die Sache verstanden wissen will.

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Inhalt
„Al-Aqsa-Flut“ und Gaza-Krieg: Hamas gegen Israel1. „Al-Aqsa-Flut“
a)
b)
c)
d)
2. Israel im Krieg
a)
b)
Abweichende Meinungen zum Israel-Gaza-Krieg
Kriegsbedarf in Osteuropa und im Nahen Osten, „Chaos“ in WashingtonEine neue Episode im Kampf zwischen „global leadership“ und „America first!“
I. Der kriegerische Handlungsbedarf der Biden-Regierung: Notwendigkeit und Nutzen amerikanischer Führung bei der Verteidigung der Weltordnung
1.
2.
II. Die „America first!“-Fraktion beharrt auf amerikanischer Suprematie und sonst nichts
1.
2.
III. Ein Haushaltsstreit, der zur Entscheidung drängt
1.
2.
Ukraine, Gaza – die Kriege des Jahres 2023Blutige Lektionen über den Segen staatlicher Souveränität – und über die bodenlose populäre Meinungsbildung darüber
I. Nie ist der Gegensatz von Staat und Mensch so offensichtlich und brutal wie im Krieg – zugleich wird nie so unerbittlich darauf bestanden, dass beide untrennbar eins sind
II. Auf diesen Irrsinn des Staatslebens bezieht sich das kritische und unkritische Meinen in Deutschland höchst einfühlsam und konstruktiv. Mit geeigneten Fragen erarbeitet man sich ein Verständnis für die Gemetzel und den rechten Standpunkt zu ihnen
„Wer hat angefangen?“
„Was hätten sie denn sonst tun sollen als sich verteidigen?“
„Schaut euch die bestialische Mordaktion der Hamas, Butscha, den Fleischwolf von Bachmut an!“ – Die Opfer des Krieges sind der beste Grund für ihn
„Vertritt der Kriegsherr wirklich das Volk – oder missbraucht er es für eigene Machtambitionen?“
Wann kommt die Viertagewoche?Eine trostlose Debatte um eine trostlose Forderung
I. Die Viertagewoche in der öffentlichen Debatte
II. Die Viertagewoche in der Tarifrunde der Stahlindustrie
Die gewerkschaftliche Forderung: Sozialverträgliche Gestaltung der Transformation
Die Antwort der Arbeitgeber: Die Transformation geht nur auf Kosten der Beschäftigten!
Der Staatshaushalt durch die Brille der FAZ:Schuldenfinanzierte Herrschaft – ein Sachzwang, am ‚richtigen‘ Ende zu sparen
Das formelle Prinzip seriöser Urteilsbildung
Der Widerspruch schuldenfinanzierter Herrschaft – einseitig aufgelöst
Der Idealismus sachgerechter Herrschaftsausübung
Priorisierung von Ressorts – (k)eine politische Entscheidung
Kritik der wirklichen Regierung im Lichte vorgestellter Verantwortung
Die Konkurrenz der KapitalistenKapitel VDie letzte Wachstumsgarantie: Imperialistische Erfolge der Nation
§ 25 Das Recht auf Wachstum und seine Mittel: einerseits verbrieft, andererseits unzureichend eingelöst
Kapitalistisches Wachstum, national: materieller Inhalt und Zweck des Kampfes der Staaten um ihre Souveränität
§ 26 Der ideale Markt: Besitzstand mit Erfolgsgarantie
§ 27 Die Bedingung für alles: Souveräne Gewalt ...
... im Innern: Der Staat mit seinen Gesetzen und seinem Haushalt: Nutznießer und Opfer seiner Dienstleistung
Gewaltmonopol, Volk, Leitkultur
Berechtigte soziale Unzufriedenheit und ihre Bewältigung per Demokratie
Politische Bewegungen für Korrekturen nach links und rechts
... nach außen
Der Staat: Nutznießer und Opfer seines Status in der Staatenwelt
Sicherstellungs- & Korrekturbedarf, konkret entfaltet
Krieg
„Künstliche Intelligenz“ – die neue Wunderwaffe in der Konkurrenz um Weltmarkt und Weltmacht
I. Was ist und wie entsteht ein KI-Programm?
1. Maschinelles Lernen: Vom Datenhaufen zum Modell
Aus einer Sammlung von Fallbeispielen für Aufgabe plus Lösung …
… und deren postuliertem Zusammenhang …
… wird ein Programm erzeugt, das ihn zumindest für die Trainingsdaten annähernd berechnet …
… und hoffentlich darüber hinaus
2. Zwei ewige Ungewissheiten über die Daten und das daraus erzeugte Modell
Die immanente Unberechenbarkeit des Berechneten
Das digitale Bauchgefühl
II. „Mit KI kann man alles tun, was Menschen tun können, nur schneller, effizienter, in größerem Maßstab, potenziell besser.“ – Wozu also taugt die Künstliche Intelligenz?
1. Die personalisierte Werbung
2. Rationalisierung der industriellen Produktion
3. Rationalisierung im Büro
4. Rationalisierung der kreativen und intellektuellen Tätigkeiten
5. Die Automatisierung von Funktionen der politischen Herrschaft
6. Die künstlich intelligente Kriegsmaschinerie: Umfassender aufklären, schneller schießen, präziser töten
III. Wer rettet die Menschheit vor Künstlicher Intelligenz?
1. Gefahren für Bildung, Moral und Demokratie: Es droht umfassender Kontrollverlust – von wem eigentlich?
Verderber der guten Sitten und Transportmittel falscher Werte
2. „Weaponization“ der KI – furchtbare Kriegswaffen in den falschen Händen
3. Die KI wird zum Subjekt und bedroht die Menschheit

„Al-Aqsa-Flut“ und Gaza-Krieg: Hamas gegen Israel

1. „Al-Aqsa-Flut“

Am 7.10.2023 unternehmen mehrere Hundert bis über eintausend Bewaffnete der Hamas von dem militärisch durch Israel land- und seeseitig bewachten Gazastreifen aus einen Ausfall und greifen im israelischen Umland des Streifens fast über die gesamte Länge der Grenze Siedlungen sowie Militär- und Polizeistellungen an – zu Land, über das Meer und mit Gleitschirmen auch aus der Luft. Sie töten Soldaten und Zivilisten – insgesamt fast anderthalb Tausend; vereinzelt dauern die Gefechte auf israelischem Gebiet über 72 Stunden an. Im Zuge des Angriffs bringen sie ca. 250 Israelis, ebenfalls Soldaten und Zivilisten, lebend in ihre Gewalt und dann in den Gazastreifen zurück. Unmittelbar danach beginnt die Hamas aus dem Innern des Gazastreifens und auch vom Süden Libanons aus, Israel mit Raketen zu beschießen. Von denen wird zwar die größte Zahl abgefangen, sie richten jedoch trotzdem Schäden an und veranlassen die israelische Regierung zur Evakuierung der von palästinensischem Raketenbeschuss am meisten bedrohten Gebiete.

Auf einen militärischen Sieg gegen Israel ist der Überfall nicht berechnet – mit ein paar Hundertschaften Bewaffneter und ein paar Tausend Raketen ist ein Krieg gegen Israel, die stärkste Militärmacht der Region, nicht zu gewinnen; ein regulärer Krieg ist von einer Truppe wie der Hamas noch nicht einmal zu führen. Das und erst recht die Tatsache, mit welcher zielgerichteten Grausamkeit die Hamas-Leute über die Zivilisten herfielen, derer sie habhaft wurden, bestätigt allen, die es sowieso schon wissen, dass es sich bei dieser Truppe um Terroristen handelt. Um Terror handelt es sich bei der Gewalt der Hamas auch ohne jede Frage. Interessiert falsch ist es aber, das Terror-Urteil damit zu verknüpfen – im Prinzip besteht es üblicherweise aus gar nichts anderem als –, die Gewalt ihres politischen Gehalts zu entkleiden, ganz so, als ob jede mikroskopische Spur eines solchen gleichbedeutend damit wäre, der schlimmen Aktion dann doch einen gewissen Respekt nicht versagen zu können. Die gewollte Fassungs- und Begriffslosigkeit, die mit schlichtem menschlichem Entsetzen nicht zu verwechseln ist, lässt keinen Platz dafür, den Zusammenhang zwischen dieser Gewaltaktion und dem Inhalt und Stand des politischen Programms zu ermitteln.

a)

Letzteres ist überhaupt kein Geheimnis – die Hamas macht jedenfalls keines daraus. Sie will einen palästinensischen Staat, mindestens auf dem Gebiet der heutigen Palästinensergebiete und Jerusalems, programmatisch überhaupt in dem Land „zwischen Fluss und Meer“. Sie erkennt den Staat Israel nicht an; dafür, dass keine Koexistenz mit ihm möglich sei, führt sie alle möglichen hohen und höchsten Gründe an, und am einschlägigsten sind die Verweise darauf, dass Israel einen islamisch-arabischen Staat der Palästinenser niemals dulden werde – siehe den Umgang Israels mit den Palästinensern und ihren Versuchen, einen solchen zu gründen bzw. überhaupt die Voraussetzungen dafür aufrechtzuerhalten.

Im Rahmen der palästinensischen Autonomie gewinnt sie zu Beginn des Jahres 2006 die Wahlen für alle Autonomiegebiete, was international und von ihren innerpalästinensischen Widersachern nicht anerkannt wird. Mit denen überwirft sie sich 2007 endgültig so weit, dass der geografischen seither eine politische Spaltung der Palästinensergebiete entspricht: Der Gazastreifen ist Hamas-Land, im Westjordanland regiert die von Israel irgendwie offiziell noch anerkannte Autonomiebehörde unter der Führung der kompromissbereiten Fatah-Fraktion.

Seither ist der Gazastreifen Basis für den weiteren Kampf der Hamas – denn den hat sie keinesfalls aufgegeben, nur weil sie sich in ihrem Heiligen Krieg für ein wirklich souveränes Palästina noch nicht einmal gegenüber allen ihren Landsleuten durchsetzen kann. Dabei hat sie damit zu tun, dass das Gebiet von Israel engmaschig abgeriegelt wird; regulärer Grenzverkehr ist nur über sehr wenige Übergänge, zwischendurch gar nicht möglich. Die Landverbindung nach Ägypten taugt für die Erhaltung, Erneuerung, womöglich die Erweiterung der materiellen Basis, die der Gazastreifen samt seinen Bewohnern für die Hamas darstellt, gemäß den politischen Konjunkturen in Ägypten und den von Kairo angestellten, allemal widersprüchlichen Kalkulationen mal mehr, mal weniger. 1) Aber insgesamt kommt mit den zunehmend spärlicheren Überweisungen von Gaza-Palästinensern, die in Israel oder woanders arbeiten, den Mitteln der supra- und internationalen Armutsbetreuung und der massiven materiellen Unterstützung Irans so viel zusammen, dass es überhaupt ein Zivilleben im Gazastreifen gibt, über das die Hamas mit ihren militärischen Mitteln und zivilen Institutionen herrschen und das sie zur Basis ihres Programms machen kann, eine wirklich souveräne palästinensische Staatsgewalt gegen Israel zu erringen.

Die Praxis dieses Programms besteht zum einen in der zunehmend schwierigeren Behauptung der Hoheit über den Gazastreifen, dessen Bewohner ihr ganzes, in aller Regel total ärmliches arabisches Dortsein mit der Loyalität zum Hamas-Kommando über ihr Leben gleichzusetzen haben. Dafür liefert ihnen und sich die Hamas neben der alltäglichen Administration des Gazastreifens regelmäßig per Gewaltaktionen eine höhere Begründung eigener Art: Pur durch das Stattfinden von antiisraelischen Gewaltaktionen praktiziert, demonstriert und beglaubigt die Hamas ihren Anspruch, mehr zu sein als die Inhaberin des zivilen Kommandos über Gaza und die Organisatorin der für dessen Bewohner unabdingbaren Lebensnotwendigkeiten. Sich selbst und ihrer aktiven Basis schuldet sie den Beweis, dass ihr autonomer Staatsanspruch gilt und dass sie an ihm festhält. Und gerade weil seine Verwirklichung so komplett außer Reichweite ist, bleibt der Beweis eine dauernde Notwendigkeit. Von allen anderen Palästinensern unter ihrem Kommando verlangt sie wie jede gute, volksfreundliche Anführerschaft nicht nur Aus- und Durchhalten, sondern patriotische Zustimmung dafür. Denen führt sie auf diese Weise vor, dass sie nicht bloß elende Gaza-Bewohner sind, eingesperrt in dem, was manche in polemischer Absicht ein Freiluftgefängnis nennen, sondern an etwas Größerem teilhaben: an einem Projekt namens „Widerstand“ in ihrem Namen. Wenn dann zu den Opfern, die ‚das Leben‘ dort sowieso verlangt, regelmäßig noch solche kommen, die die israelischen Schläge auf das Gaza-Territorium produzieren, dann sprechen diese Opfer gemäß derselben Logik für die Höhe und Güte der Sache, für die sie von den Gaza-Bewohnern erbracht und von der Hamas verlangt werden; die Toten bezeugen das gerade durch ihren Tod – denn der bedeutet, dass ihre: „die palästinensische Sache“ lebt. 2)

b)

Die politische Bedeutung der terroristischen Gewalt der Hamas gegen den israelischen Feind enthält zugleich ein paar entscheidende, an ihn adressierte Botschaften, auf die es bei Terror – anders als bei einem regulären Krieg – ja stets vor allem ankommt. Die erste Botschaft, vor der der israelische Gegner dem Wortsinn von Terror entsprechend erschrecken soll, ist dieselbe wie die, die damit von der Hamas an die eigenen Reihen und die restliche Gaza-Bevölkerung ergeht: Die überlegene praktische Abwehr jedes palästinensischen Staatsanspruchs durch Israel, erst recht die israelische Verweigerung jeder Form von politischer Anerkennung der Hamas als einen auch nur potenziellen Vertreter oder Repräsentanten dieses Anspruchs, beantwortet die Hamas mit der gewaltsamen Klarstellung, dass Israel den Anspruch auf eine autonome palästinensische Staatlichkeit zwar unterdrücken, aber nicht beseitigen kann und sich stattdessen eine bewaffnete Feindschaft einhandelt, die ihm nicht gleichgültig sein kann. Zu diesem Beweiszweck gehört daher – das war bei allen vorherigen Aktionen der Hamas so, und das wird nun im Zusammenhang mit dem Überfall vom 7. Oktober bis zum Abwinken wiederholt –, dass die Hamas-Propaganda sehr viel Wert darauf legt, dass Kämpfer, Waffen und vor allem die politisch-strategische und militärisch-taktische Entscheidungshoheit echt palästinensisch sind: „Die im Gazastreifen belagerten Leute haben es vermocht, mit ihren eigenen Händen Waffen zu produzieren, um sich der Besatzung entgegenzustellen.“ (Khaled Mashaal, einer der Auslandsführer der Hamas) Das ist die echt autonome Gewalt, die sie beansprucht, in Aktion.

Auch die Tatsache, dass sich ihre Gewalt am 7. Oktober ff. in neuer Größenordnung gegen israelische Zivilisten richtet, ist weder mit Verzweiflung noch mit Ohnmacht zu erklären, wie verständnisvolle Kommentatoren es manchmal tun. Die Hamas bestreitet an denMenschen der israelischen Staatsgewalt deren Hoheitüber sie, indem sie anderthalbtausendmal das staatliche Schutzversprechen für die Leute praktisch blamiert. Denn dessen wirklicher Gehalt ist der herrschaftliche Besitzanspruch auf diese Leute: Wenn sich der Staat Israel damit beauftragt und sich zugutehält, sein Volk gegen jeden feindseligen An- und Übergriff zu schützen, dann geht es um die Verteidigung dieses herrschaftlichen Besitz- und Zugriffsanspruchs. Das gehört sich für jede richtige Staatsgewalt – die Staatstheoretikerin Baerbock fasst es so: „Israel hat nicht nur das Recht, sondern wie jeder Staat die Pflicht, seine Bürger zuschützen.“ Zum Rechtsbewusstsein, mit dem die israelische Staatsgewalt ihre Herrschaft über die Leute mit deren Leben gleichsetzt, gehört ganz prominent der Verweis auf die Geschichte der Ausgrenzung und Verfolgung der Juden in Europa, die in dem Vernichtungswillen der deutschen Faschisten gipfelte, den die in aller bürokratischen Akribie zu einem staatlichen Endlösungsprogramm ausgearbeitet haben. Gründungszweck Israels war der Wille, den Juden eine staatliche Heimstatt zu verschaffen, die sie zu einem regulären, wehrhaften, nötigenfalls kriegsfähigen Staatsvolk macht. Den zeitgenössischen Bezugspunkt der gewaltsam durchgesetzten Gleichsetzung von jüdischem Leben mit einer Staatsgewalt, die Juden zur Basis und zum Mittel ihrer Machtentfaltung macht, bilden die Anfeindungen, denen Israel im Rahmen der Etablierung, Verteidigung und Ausweitung seiner staatlichen Existenz auf dem Boden des von den Zionisten einst auserkorenen Landes ausgesetzt ist. Der wird zum Teil von anderen Staaten beansprucht, teils von Aktivisten eines noch gar nicht existenten palästinensisch-arabischen Staates reklamiert und auf jeden Fall von Leuten bewohnt, die Israel seinerseits gar nicht als eigene Bürger haben will. Der grundsätzliche Gegensatz, in dem der israelische Staat damit zu seiner staatlichen Nachbarschaft und zu dem von ihm ausgegrenzten palästinensischen Menschenschlag steht, setzt seine Bürger permanent der Gefahr aus, vor der er sie permanent schützen muss und will. Die seitens Israels inzwischen praktisch hergestellte und gewaltsam behauptete Gleichung zwischen israelischer Staatsexistenz, Schutz der Juden und Unverträglichkeit mit einem palästinensischen Staatswesen westlich des Jordans greift die Hamas auf und wendet sie gegen Israel: Sie beweist ihren Staatsanspruch im terroristischen Widerstand gegen Israel; dem bestreitet sie die Souveränität dadurch, dass sie demonstriert, nämlich praktisch dafür sorgt, dass er seine schutzbefohlenen Bürger nicht auf Dauer und im Prinzip gar nicht gegen den zutiefst berechtigten und noch dazu göttlich beglaubigten Widerstand zu schützen vermag.

Den umfassenden Überraschungsangriff, alle Opfer und Schäden, die der in kurzer Zeit an israelischem Leben und Material angerichtet hat, feiert die Hamas daher mit den üblichen Übertreibungen als Beweis der Verwundbarkeit des weitaus überlegenen Gegners – „Der Verkauf der Illusion einer unbesiegbaren Armee und der überlegenen Geheimdienste ist vorbei.“ (Abu Ubaida) –, und in ihrer negativen Version der israelischen Gleichung von totaler Überlegenheit und Bestand Israels heißt das für sie: „Die Besatzung hat nun wirklich begonnen zu verschwinden.“ (Ismail Haniyeh)

Dass sie auch diesmal wieder auf ihre Gewalt eine israelische Gegengewalt erntet, die alles überschreitet, was die Hamas aufzubringen vermag, überrascht sie offensichtlich nicht nur nicht. Sie sieht darin vor allem keine praktische Widerlegung ihrer größenwahnsinnigen Umdrehungen der souveränen Gleichungen, die Israel für sich aufgestellt und die sie mit ihrer Gewalt punktuell beschädigt hat.

c)

Zum einen nimmt und propagiert die Hamas den Krieg, den sie sich als Antwort einfängt, als Beweis für ihren Standpunkt, dass der israelische Staat nicht nur dann und wann Verbrechen begeht, sondern qua Existenz ein Verbrechen am Recht des palästinensischen Volkes ist. Zum tausendsten Mal sieht sie „entlarvt“, dass ihr Feind ihre Feindschaft verdient, weil er skrupellos all die Opfer anrichtet, mit denen sie selbst ausweislich ihrer umfangreichen und auch nach Aussagen israelischer Fachleute raffinierten Tarnungs-, Schutz- und sonstigen Vorsichtsmaßnahmen für ihre Kämpfer und ihre militärische Infrastruktur kalkuliert hat. Moralisch gesehen sind auch alle nun während der israelischen Gegenoffensive produzierten Opfer nicht nur dies, sondern ihrerseits „Zeugen“, Märtyrer für die absolute Güte und das unbedingte Recht dessen, wofür die Hamas kämpft.

Zum anderen ‚bedeutet‘ für sie – deutet sie nämlich selbst öffentlich in dieser Weise – jede Bombe und Rakete, die Israel abwirft bzw. -schießt, dass ihr der große, fraglos überlegene Gegner, der ihr jeden politischen Anspruch verweigert, den kriegerischen Respekt offensichtlich nicht verweigern kann. Nicht nur sie selbst mit ihrer betont autonom entfalteten, unterlegenen Gewalt, auch und gerade ihr Gegner mit seiner überlegenen Gegengewalt beglaubigt demnach, dass sie ein nicht zu leugnender, nicht zu ignorierender Vertreter ihrer damit ebenfalls nicht zu ignorierenden ‚Sache‘ ist. Einen Staat in dem Sinn stellt die Hamas zwar noch nicht dar, aber die feine Logik dieser Art von Gewaltsubjekten beherrscht sie – ersatzweise – bereits perfekt, dass nämlich wechselseitiger Respekt zwischen ihnen eine Gewaltfrage und sonst nichts ist. Diese Logik beherzigt sie und dreht sie dahingehend um, dass das Maß an bewaffneter Feindseligkeit beweise, wie weit sie es in dieser Frage bereits gebracht habe; und – das ist die andere Seite derselben Medaille – wie sehr der Gegner es offensichtlich nötig habe, sie zu bekämpfen. Täglich erneuert ergehen in Hamas-freundlichen arabischen Medien daher die Meldungen über den in Dollar bemessenen Wert der von Israel verfeuerten Anti-Raketen-Raketen und über die aufsummierte, bald schon die Hiroshima-Atombombe übersteigende TNT-Sprengkraft der über Gaza niedergegangenen Sprengmittel. Und auch in diesem Zusammenhang kommen die zivilen Opfer auf palästinensischer Seite zu eigener Ehre und Bedeutung: Sie taugen der Hamas auch zu der Botschaft, dass sich die angeblich haushoch überlegene, technisch raffiniert ausgestattete israelische Armee wohl nicht anders zu helfen weiß als mit diesem Luftkrieg gegen ganz Gaza, weil sie der Hamas anders nicht habhaft wird und sich eine Bodenoffensive offensichtlich nicht traut.

Die gibt es aber dann doch – und für die Hamas stellt sie folgerichtig die nächste Stufe ihres Existenz-, Stärke- und Rechtsbeweises dar: Die Zeit zwischen der Ankündigung der Bodenoffensive und ihrem Beginn begleitet sie mit höhnischen Gebärden Richtung Israel – „Wir erwarten euch!“ – und sieht die Karenz als erneuten Beweis dafür, wie feige der Feind ist, der als Ersatz für den Kampf, den er sich nicht traut, pausenlos kleine Kinder aus der Luft tötet... Der Beginn des Bodenkrieges stellt dann für die Hamas die nächste praktische Bewährungsprobe dafür dar, wie sehr sie ihren israelischen Gegner zu so etwas wie einem wirklichen militärischen Kräftemessen zwingen kann. Jeder Tag, an dem sie die israelische Kriegführung nicht einfach irgendwie aushält und aussitzt, sondern ihrerseits einen Bodenkampf führt; jeder der von ihren Kämpfern getöteten Soldaten und abgeschossenen Panzer – alle wiederum fein säuberlich dokumentiert und registriert – beweist ihr selbst den eigenen Status als quasi regulärer Kriegsgegner und konterkariert die üble Nachrede als „Terrormiliz“.

d)

Freilich ist – und macht die Hamas – von Anfang an klar, dass die genannten praktischen und begleitenden propagandistischen Klarstellungs- und Beweisanliegen nicht nur selbstbezüglich, an die eigene Kämpferschar und zivile Basis im Gazastreifen, sowie an Israel adressiert sind, sondern einen weitergehenden Kreis von Empfängern haben.

Erstens sollen die gelungene Überrumpelung der israelischen Abschnürungs- und Überwachungssysteme um den Gazastreifen herum und der nachfolgende Luft- und Bodenkrieg die aktiven und auch die nicht so aktiven Palästinenser außerhalb des Gazastreifens aufrühren, sie zum Festhalten an ihrem bisherigen Widerstand bzw. zu neuem Widerstandswillen ermuntern und ihnen zugleich klarmachen, wer der berufene und einzige Vertreter ihrer, also der gesamt-palästinensischen Sache ist. Dafür spielt neben allem anderen insbesondere die Forderung der Hamas nach Entlassung einer großen Anzahl von palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen eine zentrale, für die palästinensische Community in allen besetzten Gebieten und in Israel überragende Rolle: 3) Dass sie zwischenzeitlich ein „Alle-gegen-alle“-Geschäft vorschlägt – Freilassung aller von ihr gefangen Gehaltenen gegen Freilassung aller palästinensischen Häftlinge –, beweist, dass sie nicht nur der ‚selbst ernannte‘ und in Wirklichkeit bloß terroristische, sondern der berechtigte, weil wirkmächtige Vertreter aller Palästinenser gegenüber der sie unterdrückenden, einsperrenden, ausgrenzenden Macht Israel ist. Ausdrücklich getrennt davon, ob die Einsitzenden Anhänger der Hamas oder anderer, auch verfeindeter palästinensischer Polit-Fraktionen sind, schreibt sie sich eine quasi-staatliche Schutzaufgabe zu, deren Wahrnehmung sie zur Inanspruchnahme der Loyalität aller Palästinenser berechtigt. Auch in diesem Fall ist es die Hamas ihrem Standpunkt schuldig und gelingt es ihr, die Tatsache, dass ihr Kampf praktisch mit der Bewältigung der Konsequenzen ihrer Bekämpfung durch Israel zu tun hat, wie defensiv er also der Sache nach ist, als Beleg und Bestandteil ihres optimistischen Rechtsbewusstseins zu deuten.

Zweiter Adressat, auf dessen Reaktion die gesamte, das Geschehen interessiert beobachtende Welt gespannt geschaut hat und weiter schaut, ist der libanesische Hisbollah. Der kämpft unter etwas anderen politischen Vorzeichen und mit etwas anderen politischen Perspektiven auch gegen Israel, steht im Libanon und vom Libanon aus ebenfalls dafür, dass etwas anderes als bewaffnete arabisch-islamische Feindschaft gegen Israel keine Option ist, definiert sich daher zusammen mit der Hamas, weiteren palästinensischen Organisationen, Iran, Syrien und ein paar anderen als Bestandteil der „Achse des Widerstands“. Praktisch setzt die Hamas auf Hisbollahs Eingreifen, dem in den Kategorien regulärer Kriegführung kalkuliert die Rolle eines Entlastungsangriffs zukommen würde. Den braucht sie, um die Zeitdauer zu verlängern, in der sie es überhaupt vermag, dem übermächtigen israelischen Gegner etwas entgegenzusetzen. Wirklich in der Hand hat die Hamas aber nicht, ob überhaupt und wie sich der Hisbollah zur Eröffnung einer solidarischen Nordfront bereitfindet. Zwar kann sie sich auf der Ebene der brüderlichen Propaganda aller warmen Glück- und Segenswünsche ihrer Kampf- und Glaubensgenossen sicher sein, und auch auf der militärischen Ebene testet der Hisbollah Israels Bereitschaft zum einstweiligen Frieden an der Nordfront zwecks zügiger Bereinigung des Gaza-Hamas-Problems mit vermehrten Scharmützeln aus; 4) aber zum großen ultimativen Krieg gegen Israel sieht der Hisbollah ganz offensichtlich doch Alternativen. Er steht ja mit seinem von ihm mitregierten Libanon als Basis und Hinterland für seine militärischen Potenzen und Optionen tatsächlich etwas anders da als die Hamas mit ihrer fundamentalistischen Gleichung von terroristischem Überlebenskampf und Staatsgründungswillen. Dass sich dann auch die 2000 km südlich um ihren jemenitischen ‚failed state‘ kämpfenden Huthis per Drohnen und ballistischen Raketen einmischen, erfüllt im Wesentlichen ebenfalls die Funktion der moralischen Beglaubigung des Kampfes, den die Hamas in eine ultimative Phase überführt hat, deren Ausgang sie nicht selbst bestimmt.

Drittens richtet sich die gewaltsam praktizierte Botschaft der Hamas an die arabischen und islamischen Völker, deren Solidarität unterstellt und beansprucht wird. Per Dankesadressen an die prompt einsetzenden propalästinensischen Kundgebungen von Marokko über Jemen und Iran bis nach Malaysia werden islamisch bzw. arabisch-nationalistisch inspirierte Volksmassen dazu ermuntert, auf die Straße zu gehen und ihren Volkswillen pro Palästina contra Israel deutlich zu machen. Wem? Vor allem ihren Regierungen, Königen, Emiren, vor allem dort, wo diese in Verfolgung ihrer politischen Kalkulationen sich zunehmend auf einen Kurs der Verständigung, der Aussöhnung mit Israel begeben haben und keinen Nutzen mehr darin sehen, sich zu Paten einer „gerechten Lösung“ für die Palästinenser zu machen. Die sollen nun, wenn schon nicht aus Einsicht, dann wenigstens aus der opportunistischen Kalkulation mit dem heimischen Volkszorn zu einem Kurswechsel bewegt werden.

Für diesen Kurswechsel gibt ihnen die Hamas – viertens – noch eine ausdrückliche Botschaft mit auf den Weg. Zum Beispiel in dieser Form:

„Wir sagen allen Staaten, darunter auch den arabischen Brüdern, dass dieses Gebilde, das nicht in der Lage ist, sich vor diesen Widerstandskämpfern zu schützen, euch keinen Schutz gewähren kann... All die Normalisierungsverträge, die ihr unterzeichnet habt, werden es nicht schaffen, unseren Kampf zu beenden.“ (Ismail Haniyeh, Rede vom 7.10.23)

Auch dafür lohnen sich in den Augen der Hamas-Führer offensichtlich die Opfer, die sie ihre lieben Landsleute in dem israelischen Krieg gegen sie erbringen lassen: Ihrer deutlichen Unterlegenheit gegenüber Israel eingedenk setzen die Strategen der Hamas darauf, dass ihre Gewalt immerhin dazu ausreicht, Israels totalen staatlichen Überlegenheitsanspruch so weit zu blamieren, dass die Führer der anderen staatlichen Gewalten in der Region neu kalkulieren, zu wie viel von der israelischen Militärmacht erzwungenem Arrangement sie weiterhin bereit sein wollen, wie viel Anerkennung sie Israels Souveränität und regionalem Hegemonialanspruch zollen wollen, weil sie meinen, damit ihre eigenen Machtambitionen besser voranbringen zu können als durch eine unzivile Feindschaft. Moralisch können Hamas und Anhänger den kalkulierenden Umgang der arabischen Staaten mit Israel als Verrat beschimpfen, was sie ja auch pausenlos tun. Zugleich sind die palästinensischen Staatsgründer so realistisch, dass sie sich in ebendiese Kalkulationen neu einbringen wollen. Und zwar vor allem mit Blick darauf, dass die als „Bruderstaaten“ adressierten Mächte neben ihrem Verhältnis zu Israel noch lauter andere Rivalitäten und Feindschaften pflegen, für die ihnen die Rückversicherung bei, womöglich eine Allianz mit dem regional größten staatlichen Zerstörungsapparat nützlich erscheint. Dass sich das vor allem auf die Staaten bezieht, die ihre strategische Rivalität mit der iranischen Republik dadurch vorantreiben wollen, dass sie sich durch zivile Beziehungen mit Israel stärken, ist dabei ebenso wenig ein Geheimnis wie die Tatsache, dass die Hamas einen wesentlichen Teil ihrer nun offen ausgespielten militärischen Potenz ihrem Bündnis mit der schiitischen Macht verdankt. In diesem Sinne, für diesen Zweck bringt sie ihren Status als Verbündeter Irans in Anschlag, um dessen arabische Rivalen zu einer Neugewichtung ihrer widersprüchlichen Kalkulationen mit den beiden regionalen Hauptfeindmächten Israel und Iran zu bewegen und sie so zu beeinflussen, dass die eigenen Staatsgründungsambitionen beim gewaltträchtigen bzw. gewaltsamen Gerangel um regionale Wichtigkeit und Hegemonie wieder eine Rolle spielen.

Dass die damit nicht unter sich sind, weiß die Hamas fünftens freilich auch, und auch das hat sie auf der Rechnung. Ihr Verbündeter Nasrallah vom libanesischen Hisbollah verkündet es so:

„Nicht in der UNO, nicht im UN-Sicherheitsrat, nicht in der Organisation der Islamischen Zusammenarbeit, nicht in der Arabischen Liga, nicht in der Europäischen Union, nicht in all den bekannten internationalen Machtblöcken war die palästinensische Sache ein Thema, diese Sache und alles, was mit ihr zusammenhängt, war auf den letzten Posten der Tagesordnung degradiert, wenn es überhaupt noch vorhanden war – und im Gegenzug wurde die Politik des Feindes immer unverschämter, arroganter, unterdrückerischer, verkommener, ungerechter, demütigender. Es brauchte also ein großes Ereignis, das dieses räuberische Gebilde erschüttert, das die arroganten Unterstützer erschüttert, insbesondere in Washington und London, und das all die ad acta gelegten, menschlich berechtigten Anliegen neu zum Thema macht und die Sache des besetzten Palästina und seines unterdrückten Volkes und seiner bedrohten heiligen Stätten zur wichtigsten Angelegenheit der Weltpolitik macht.“ (Nasrallah-Rede vom 3.11.23)

Das ist ein paar Tausend tote Israelis und ein paar Zehntausend tote Palästinenser unbedingt wert: die von der Hamas national-religiös definierte „Sache der Palästinenser“ zurück auf die Tagesordnung der Mächte zu bringen, die für all die anderen Punkte auf ihrer umfangreichen „Tagesordnung“, von den Unterpunkten ihrer zivilen Konkurrenz und bis hin zu ihren bewaffneten Gegensätzen, es für nicht mehr förderlich gehalten haben, einander mit der leidigen Palästinenser-Frage zu kommen. Mit der nachhaltigen Erschütterung des in einen hypertrophen staatlichen Unverwundbarkeitsanspruch überführten Schutzversprechens des Staates Israel für seine jüdischen Bürger und mit der Aufrechterhaltung einer inzwischen wochenlangen Kampf- und Kriegslage will die Hamas genau das ekelhafte Interesse an Gewalt und fremden Gewaltfragen wecken und auf sich ziehen. Und das ist bei allen politischen Gewaltsubjekten dieser Welt erstens überhaupt vorhanden, zweitens umso dringlicher, je größer die Gewaltaffäre ist, auf die es sich richtet, und je größer die Macht ist, die sie selber haben, also der Status, den sie sich in Form der Zuständigkeit für jedes veritable Gemetzel zuschreiben. Diese feinen Subjekte und ihre ehrenwerten außenpolitischen Vielflieger, die in allem amtsgemäßen Zynismus mit dem Elend eines Staatsvolkes ohne Staat, zu dem die Palästinenser durch die ansässigen Staatsgewalten und deren auswärtige Unterstützer verdammt sind, in letzter Zeit sehr gut leben konnten, sollen nun auf die einzige Weise, durch die einzige Sprache, die sie verstehen, beeindruckt und dahin gebracht werden, von ihrem Standpunkt aus, von dem aus der ganze Globus Sphäre, Gegenstand und Mittel ihrer Interessenverfolgung und Machtprojektion ist, jetzt auch wieder an Palästina nicht vorbeisehen zu können.

Dazu trägt die Hamas das Ihre bei – soweit eben ihre Waffen, ihre darauf beruhende Kriegführung und ihre mutige Entschlossenheit zum Hinmetzeln und Hinmetzeln-Lassen reichen. Den anderen, viel größeren Part dafür, dass diese Berechnung aufgeht, soll auch in den Kalkulationen der Hamas Israel selber übernehmen: Dessen wuchtige Antwort, die schiere Dimension eines wirklichen von der regionalen Supermacht geführten Krieges braucht es schon, damit nicht nur irgendwie „die Weltöffentlichkeit“, sondern die Gemeinde der Weltmächte es spannend bis unumgänglich findet, sich der Sache anzunehmen.

2. Israel im Krieg

„Bürger Israels,

Wir befinden uns im Krieg, nicht in einer Operation oder in einer neuen Runde von Kämpfen, sondern im Krieg. Heute Morgen hat die Hamas einen mörderischen Überraschungsangriff gegen den Staat Israel und seine Bürger gestartet. Wir befinden uns seit den frühen Morgenstunden in diesem Krieg.