Geheimnis einer Nachtigall - Victoria Holt - E-Book

Geheimnis einer Nachtigall E-Book

Victoria Holt

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Beschreibung

Jung und unerfahren ist Susanna Pleydell, als sie Aubrey St. Claire heiratet. Während der Flitterwochen verlebt sie glückliche Stunden mit ihm. Doch bald muss Susanna erkennen, dass hinter Aubreys zärtlichem Benehmen dunkle Abgründe lauern und dass er dem dämonischen Dr. Damien erlegen ist. Als ihr einziges Kind unter rätselhaften Umständen ums Leben kommt, schwört sie dem teuflischen Arzt glühende Rache ... Victoria Holt, die Meistererzählerin des Unheimlichen, verbindet in diesem aufregenden Roman ein Höchstmaß an Spannung mit einer romantischen Handlung, die den Leser bis zur letzten Seite fesselt.

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Seitenzahl: 593

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Victoria Holt

Geheimnis einer Nachtigall

Roman

Ins Deutsche übertragen von Margarete Längsfeld

Edel eBooks

Inhalt

Cover Page

Titelseite

Die Hochzeit

Flitterwochen in Venedig

Satans Tempel

Ein Zwischenfall auf der Straße

Kaiserwald

Seesturm

Auf den Straßen von Konstantinopel

Die letzten Tage in Skutari

Rückkehr nach Kaiserwald

Impressum

Die Hochzeit

In der Nacht vor meiner Hochzeit hatte ich einen merkwürdigen Traum, aus dem ich mit Schrecken erwachte. Ich war in der Kirche, Aubrey war neben mir. Blumenduft hing schwer in der Luft: Lilien, der lastende, überwältigende Geruch des Todes. Onkel James – Hochwürden James Sandown – stand vor uns. Es war dieselbe Kirche, die mir in meiner Internatszeit so vertraut geworden war, als ich in den Ferien bei Onkel James und Tante Grace im Pfarrhaus lebte, weil ich nicht bei meinem Vater bleiben konnte, der in Indien stationiert war. Ich hörte meine Stimme, körperlos, als hallte sie in einem leeren Raum: »Ich, Susanna, nehme dich, Aubrey, zu meinem Ehemann ...« Aubrey hielt den Ring. Er nahm meine Hand, sein Gesicht kam näher und näher ... und dann ergriff mich Entsetzen. Es war nicht Aubreys Gesicht und doch seins. Es war verzerrt – lauernd, fremd, grauenhaft. Ich hörte eine Stimme schreien: »Nein! Nein!« Es war meine eigene.

Dann saß ich zitternd im Bett, umklammerte mit feuchten Händen das Laken und starrte in die Dunkelheit. Der Traum war so lebhaft gewesen, daß es eine Weile dauerte, bis ich wieder ganz zu mir kam. Alles Unsinn, redete ich mir ein. Ich werde morgen heiraten. Ich wollte heiraten. Ich liebte Aubrey. Was konnte diesen Traum ausgelöst haben? »Am Abend vor der Hochzeit ist man nun mal nervös«, hätte Tante Grace, eine überaus praktische Frau, mit Recht gesagt. Ich versuchte, den Traum zu vergessen, aber es wollte mir nicht gelingen. Ich stieg aus dem Bett und trat ans Fenster. Da stand die Kirche mit ihrem romanischen Turm im Sternenlicht, wie sie es seit 800 Jahren getan hatte: uneinnehmbar, Wind, Regen und den Jahrhunderten trotzend und von vielen Besuchern bewundert, Onkel James’ ganzer Stolz. »Es ist ein Privileg, in so einer Kirche getraut zu werden«, sagte er.

Morgen würde mein Vater mich durch den Mittelgang führen, und dann würde ich vorn neben Aubrey stehen. Aber es würde nicht so sein wie in dem Traum.

Ich trat an meinen Schrank und betrachtete mein Hochzeitskleid. Es war aus weißem, mit Spitze besetztem Satin. Dazu gehörte ein Kranz aus Orangenblüten.

Hinter der Kirche, im Gasthof zum Schwarzen Eber, schlief Aubrey. »Ein Bräutigam darf diese Nacht nicht unter demselben Dach wie seine Braut verbringen«, sagte Tante Grace. Ob auch ihn Träume vom kommenden Tag plagten?

Ich ging wieder ins Bett. Ich wollte nicht schlafen, aus Angst, von dem Augenblick an weiterzuträumen, in dem ich »Nein! Nein!« gerufen hatte, während Aubrey mir mit Gewalt den Ring über den Finger streifte.

Ich lag im Bett und dachte noch einmal über alles nach.

Ich hatte Aubrey in Indien kennengelernt, wo mein Vater Dienst tat. Ich war seit kurzem wieder bei ihm, nachdem ich sechs Jahre in England zur Schule gegangen war und die Ferien bei Onkel James und Tante Grace im Pfarrhaus verbracht hatte. Die beiden waren großzügig in die Bresche gesprungen und hatten sich der Tochter des Schwagers angenommen, die wie alle jungen Damen aus guter Familie natürlich in England erzogen werden mußte.

Ich freute mich auf meinen 17. Geburtstag. Es war Juni, und ich befand mich im letzten Schuljahr. Im August sollte ich nach Indien zurückkehren, wo ich die ersten zehn Lebensjahre verbracht hatte.

Vielleicht war es undankbar von mir, mich so auf die Abreise zu freuen, aber sicher ist es verständlich, daß ich zu meinem Vater zurückwollte. Onkel James, Tante Grace und Cousine Ellen waren sehr lieb zu mir gewesen und hatten alles getan, damit ich mich bei ihnen heimisch fühlte, auch wenn ich ihnen anfangs wohl etwas lästig war. Ich drängte mich in ihr Leben, und sie hatten zur Genüge mit den Angelegenheiten der Pfarrei zu tun. Cousine Ellen war zwölf Jahre älter als ich und in den Vikar verliebt, den sie zu heiraten gedachte, sobald er eine eigene Pfarre fand. Onkel James hatte seine Herde anhänglicher Pfarrkinder, und Tante Grace mußte zahllose Veranstaltungen organisieren: Basare, Gartenfeste, die Auftritte der Weihnachtssänger und vieles mehr. Mein Herz weilte in Indien, und weil ich wohl fühlte, daß ich eine Last war, wurde ich arrogant und stellte kritische Vergleiche an zwischen dem alten, zugigen Pfarrhaus mit einer einzigen Köchin, nur einer Zofe sowie einem Hausmädchen und der Residenz eines Colonels mit zahlreichen einheimischen Dienstboten, die eilends umherhuschten, um unsere Wünsche zu erfüllen.

Ich war nicht gerade ein fügsames Kind, und meine Kinderfrau, die man in Indien Aja nannte, sowie meine Gouvernannte Mrs. Fearnley pflegten zu sagen, man wisse nie, wie ich mich verhalten würde. Mein Naturell hatte zwei Seiten. So war ich durchaus von sonnigem Gemüt, lieb und anhänglich. »Wie der Mond«, sagte Mrs. Fearnley, die für alles einen nützlichen Vergleich hatte. »Der hat auch eine helle und eine dunkle Seite.« Anders als der Mond offenbarte ich meine dunkle Seite jedoch zuweilen. »Nicht oft, gottlob«, sagte Mrs. Fearnley. »Susanna, so ein unberechenbares Kind wie du ist mir noch nie begegnet«

Meine Aja, an der ich sehr hing, sah das anders. »In diesem kleinen Leib sind zwei Seelen. Sie ringen miteinander, und wir werden sehen, welche gesiegt haben wird, wenn du einmal eine richtige erwachsene Dame bist.«

Während der Zeit in England wurden meine Erinnerungen an die Jahre in Indien immer verklärter, je weiter sie zurücklagen. Lebhafte Bilder kamen mir abends vor dem Einschlafen in den Sinn. Nach dem Tod meiner Mutter hatte meine Aja mein Leben beherrscht. Mein Vater ragte erhaben im Hintergrund, über ihm war nur noch Gott. Vater war liebevoll und zärtlich, konnte aber nicht so viel bei mir sein, wie er sich wünschte, und heute weiß ich, daß er sich meinetwegen Sorgen machte. Die Stunden, die wir miteinander verbrachten, waren sehr kostbar. Er erzählte mir von seinem Regiment und wie bedeutend es sei, und ich war sehr stolz auf ihn, weil man ihn ehrfürchtig grüßte, wohin er auch kam.

Meine Aja aber, die nach Moschus roch, meine vertraute ständige Gefährtin, war mir damals wichtiger als alle anderen. Ich liebte die Aufregungen, wenn ich mit ihr durch die Straßen ging. Sie hielt mich an der Hand und ermahnte mich, sie ja nicht loszulassen. Das verlieh unseren Ausflügen eine Art Gefährlichkeit und machte sie doppelt abenteuerlich. Überall ging es laut und lebhaft zu, wenn wir uns zwischen Angehörigen aller möglichen Stämme und Kasten hindurchschlängelten. So lernte ich viele Menschen kennen: Die buddhistischen Priester erkannte ich an ihren kahlgeschorenen Köpfen; ihre purpurroten Gewänder raschelten, wenn sie dahineilten, ohne auf die Menschenmassen zu achten. Ich kannte die Parsen mit ihren komischen Hüten, die immer Schirme bei sich trugen, und all die Frauen, die ihre Gesichter nicht zeigen durften und deren schwarzumrandete Augen durch Schlitze in ihren Schleiern blickten. Ich war gefesselt von dem Schlangenbeschwörer mit dem Turban, der seine unheimliche Weise spielte, während die geschmeidige, gefährliche Kobra sich aus dem Korb erhob und zur Verwunderung der Zuschauer emporringelte. Ich durfte jedesmal eine Rupie in den Krug neben ihm werfen, dafür erntete ich überschwenglichen Dank sowie die Verheißung eines glücklichen Lebens mit reichem Kindersegen; das Erstgeborene sollte ein Knabe sein.

Der Moschusgeruch hing in der Luft, doch gab es auch andere, weniger angenehme Gerüche. An ihnen hätte ich mit geschlossenen Augen erkennen können, daß ich in Indien war. Ich betrachtete begeistert die bunten Saris jener Frauen, die unverschleiert waren, weil sie, wie meine Aja sagte, einer niederen Kaste angehörten. Ich fand sie viel hübscher als die Angehörigen der höheren Kasten mit ihren formlosen Gewändern und verschleierten Gesichtern.

Von Mrs. Fearnley erfuhr ich, daß Bombay das Tor nach Indien genannt wurde und an uns gefallen war, als Karl II. Prinzessin Katharina heiratete.

»So ein schönes Hochzeitsgeschenk!« rief ich aus. »Wenn ich heirate, möchte ich auch so ein Geschenk.«

»Solche Geschenke erhalten nur Könige«, sagte Mrs. Fearnley, »und oft sind sie mehr eine Last als ein Segen.«

Manchmal fuhren wir mit der Pferdekutsche die Anhöhen der Malabarküste hinauf, und ich sah das imposante Gouverneurshaus, umgeben von Gärten und Clubs, in denen die Offiziere und britischen Siedler ein und aus gingen. Mrs. Fearnley begleitete uns fast immer bei diesen Ausflügen und nutzte jede Gelegenheit, meine Bildung zu vervollkommnen. Manchmal aber fuhr ich mit meiner Aja allein, die mir vor allem Sachen erzählte, die ich gern hören wollte. Ich interessierte mich weit mehr für die Friedhöfe, wo die nackten Leichen im Freien lagen, auf daß die Geier ihr Fleisch abnagten und die Sonne ihre Knochen bleichte – was, wie meine Aja sagte, würdiger sei, als sie den Würmern preiszugeben –, als für Vorträge darüber, daß die Mongolen einst das Land beherrscht hatten, bevor die Ostindische Kompanie gegründet wurde, und daß die Inder es jetzt gut hätten, weil unsere große Königin sich ihrer annahm.

Während der Jahre in England saß ich während der Schulferien oft sinnend im Pfarrhaus in meinem Zimmer, das auf den Friedhof hinausging. Die Inschriften der grauen Grabsteine waren mit der Zeit zum großen Teil unleserlich geworden, und ich dachte an die heiße Sonne, das blaue Meer, die melodischen Stimmen, die bunten Saris und die geheimnisvollen Augen, die man durch die Schlitze in den Schleiern sehen konnte. Ich dachte an die Dienstboten, die sich um unsere Wünsche gekümmert hatten, die Boys mit den langen weißen Hemden und Hosen und den verschlagenen Khansamah, der in der Küche das Zepter schwang und sich jeden Tag wie ein Maharadscha zum Markt begab. Sein Gefolge ging ein paar Schritte hinter ihm und eilte auf seinen Befehl herbei, um seine Erwerbungen zu schleppen, nachdem das bei jedem Kauf anscheinend unumgängliche Palaver beendet war. Ich dachte an die von geduldigen Ochsen gezogenen Karren, die schmalen Gassen, die lästigen Fliegen, die Ballen bunter Seidenstoffe in den Geschäften, an die Wasserträger, die hungrig dreinblickenden Hunde, die Ziegen mit Glöckchen um den Hals, die beim Gehen bimmelten, an die Bauersfrauen, die aus den umliegenden Dörfern kamen, um ihre Erzeugnisse zu verkaufen; Tagelöhner, Bauern, Tamilen, Paschtunen, Brahmanen bevölkerten in bunter Mischung die belebten Straßen. Hier und da sah man einen würdevollen Herrn mit elegant gewickeltem Turban und prächtigem Geschmeide. Und dann im Gegensatz dazu die Bettler. Nie werde ich sie vergessen, die Kranken und Verkrüppelten mit den flehenden Augen. Ich fürchtete, sie würden mich auf ewig verfolgen, und träumte von ihnen, wenn meine Aja mich zugedeckt unter meinem Moskitonetz allein ließ.

An meine Mutter konnte ich mich nur vage erinnern. Sie war liebevoll, sanft und schön. Ich war vier Jahre alt, als sie starb. Bis dahin war sie stets mit mir zusammen. Wenn sie mir von England erzählte, hatte sie eine Sehnsucht in der Stimme und in den Augen, die mir auffiel, obwohl ich noch so klein war. Ich spürte, daß sie Heimweh hatte. Sie sprach von grünen Feldern, von Butterblumen, dem milden englischen Regen und der Sonne, die warm und angenehm und nie – oder fast nie – grell war. Ich stellte mir England wie eine Art Paradies vor.

Sie sang mir heimatliche Lieder vor und erzählte mir von der Zeit, als sie so klein war wie ich. Sie hatte damals im Pfarrhaus von Humberston gewohnt, denn ihr Vater war der Pfarrer gewesen. Nach seinem Tod hatte ihr Bruder James die Pfründe übernommen. Als ich später dorthin kam, war mir das Haus nicht gänzlich fremd, denn ich hatte das Gefühl, einst mit meiner Mutter hier gewesen zu sein.

Dann kam der Tag, als man mich nicht zu ihr lassen wollte, weil sie an einer ansteckenden Fieberkrankheit litt. Und dann setzte mich mein Vater auf seine Knie und sagte, daß wir nun nur noch uns beide hätten.

Vielleicht war ich zu jung, um zu begreifen, welche Tragödie über unser Haus hereingebrochen war, aber ich fühlte den Verlust, und Traurigkeit beschlich mich, auch wenn ich das Unglück nicht in seiner ganzen Größe ermessen konnte. Wohlmeinende Damen, vornehmlich Offiziersgattinnen, bevölkerten das Kinderzimmer. Sie machten ein großes Aufhebens um mich und sagten, meine Mutter sei in den Himmel gekommen. Ich glaubte, es handle sich um einen Ausflug in ein Land, wo es grüne Felder und milden Regen gab, ähnlich einem Ausflug in die Hügel, nur exotischer, weil man vielleicht mit Gott und den Engeln Tee trank statt mit Offiziersfrauen. Ich nahm an, sie würde eines Tages zurückkehren und mir alles erzählen.

Um diese Zeit kam Mrs. Fearnley zu uns. Ihr Mann, ein Offizier, war in derselben Woche an derselben Krankheit gestorben wie meine Mutter. Mrs. Fearnley, die vor ihrer Heirat eine beliebte Gouvernante gewesen war, war sich über ihre Zukunft noch nicht schlüssig, und mein Vater schlug ihr vor, sich vorerst, bis sie sich entschieden habe, als Gouvernante seiner mutterlosen Tochter zu betätigen.

Sie dürfte etwa 35 Jahre alt gewesen sein, und sie war gutmütig, gewissenhaft und gerecht. Ich hatte sie gern, wahrte jedoch Distanz. Meine Aja war es, der ich die Aufregungen verdankte. Sie war exotisch, hatte gefühlvolle Augen und lange schwarze Haare, die ich liebend gern bürstete. Wenn ich die Bürste beiseite legte, strich ich ihr mit den Fingern durch die Haare, und sie sagte: »Das tut mir gut, kleine Su-Su. Du hast gütige Hände.« Dann erzählte sie mir von ihrer Kindheit im Punjab und wie sie nach Bombay gekommen sei, um bei einer reichen Familie zu dienen, und wie ihr guter Freund, der Khansamah, sie in den Haushalt des Colonels gebracht habe und daß es das große Glück ihres Lebens sei, bei mir zu sein.

Nach dem Tod meiner Mutter war mein Vater fast jeden Tag mit mir zusammen, wenn auch nur für eine gute Stunde, und ich lernte ihn nun besser kennen. Er machte immer einen traurigen Eindruck. Er gab Teegesellschaften, auf denen mich die Leute fragten, wie ich mit dem Lernen vorankäme. Im Regiment waren etliche Kinder, und ich ging auf Feste, die von ihren Eltern ausgerichtet wurden, und Mrs. Fearnley sorgte dann dafür, daß ich diese Gastfreundschaft erwiderte.

Die Offiziersfrauen hatten Mitleid mit mir, weil ich mutterlos war. Als ich älter wurde, begriff ich, daß die Reise meiner Mutter in den Himmel keine vorübergehende Abwesenheit und der Tod unwiderruflich war. Er war ringsum gegenwärtig. Ein Hausdiener erzählte mir, daß viele von den Bettlern, die ich auf der Straße sah, am nächsten Morgen tot seien. »Sie werden mit einem Karren eingesammelt«, sagte er. Wie bei der Pest in London, dachte ich: »Bringt die Toten heraus!« hieß es damals. Aber die Bettler in den Straßen von Bombay mußte man nicht herausbringen, denn sie hatten kein Heim.

Es war eine eigentümliche Welt voll Glanz und Elend, geschäftigem Leben und stillem Tod, die ich nie vergessen würde. Mein Leben lang würden Einzelheiten aufblitzen, der Khansamah auf dem Markt etwa, ein triumphierendes Lächeln im Gesicht, weil, wie ich später erfuhr, bei sämtlichen Einkäufen etwas für ihn heraussprang. Ich hatte die Damen darüber sprechen hören.

»So ist das Leben hier eben«, meinte die Frau eines Captains. »Damit muß man sich abfinden.«

Ich saß gern in der Küche und sah unserem Khansamah bei der Arbeit zu. Er war ein großer, schwergewichtiger Kerl; er spürte und genoß meine Bewunderung. Er bot mir kleine Kostproben an und sah mir mit auf seinem dicken Bauch gefalteten Händen aufmerksam zu, wenn ich sie verzehrte. Ich wollte ihm eine Freude machen und zwang mich zu einem Ausdruck ekstatischer Verzückung. »Keiner macht so gutes Tandoori-Huhn wie Sahib Colonels Khansamah. Bester Khansamah in ganz Indien. Hier, Miss Su-Su, schaun Sie mal! Ghostaba!« Er drängte mir ein Fleischbällchen aus feingehacktem Lammfleisch auf. »Schmeckt gut, ja? Jetzt trinken. Ah, fein? Nimbu pani ...«

Ich trank die gekühlte, mit Rosensirup gewürzte Zitronenlimonade und hörte dem Geplauder des Kochs über seine Gerätschaften und vor allem über sich selbst zu.

Zehn Jahre lang – die entscheidend prägenden Jahre – war das mein Leben, und es ist kaum verwunderlich, daß mir diese Erinnerungen lebhaft im Gedächtnis blieben. Eine jedoch war lebendiger als die übrigen. Ich weiß es noch ganz genau. Die Sonne brannte schon am Morgen heiß. Ich war mit meiner Aja durch die schmalen Marktgassen gewandert. Wir blieben am Schmuckstand stehen, um die Preziosen zu bewundern, während meine Aja ein paar Worte mit dem Besitzer wechselte: Wir kamen an den Saris vorüber, die reihenweise an einem Gestell hingen, und an den höhlenähnlichen Garküchen, wo Fladen zubereitet wurden. Wir wichen vorüberziehenden Ziegen aus, umrundeten gelegentlich eine Kuh, achteten auf die flinken braunen Knaben, die die Leute umschwirrten, und gaben vor allem auf ihre noch flinkeren braunen Finger acht. So gelangten wir über den Marktplatz auf die breitere Straße, und dort geschah es.

Es herrschte viel Verkehr an diesem Morgen. Hier und da bahnte sich ein vollbepacktes Kamel schwerfällig seinen Weg zum Basar, und die Ochsenkarren rumpelten in die Stadt. Gerade als meine Aja meinte, es sei Zeit, nach Hause zu gehen, lief ein Junge von vier oder fünf Jahren vor einen Ochsenkarren. Ich starrte ihn entsetzt an, als er just noch rechtzeitig, bevor der Karren ihn überrollen konnte, zur Seite gestoßen wurde.

Wir liefen hinzu, um ihm aufzuhelfen. Er sah bleich und sehr mitgenommen aus. Wir legten ihn an den Straßenrand. Eine Menschenmenge versammelte sich, und es wurde ausgiebig palavert, aber ich verstand den Dialekt nicht. Jemand ging Hilfe holen.

Ich kniete mich neben den Jungen auf die Erde und legte impulsiv meine Hand auf seine Stirn. Seltsam, ich spürte etwas; ich weiß nicht genau, was es war, ich glaube, es war so etwas wie ein Hochgefühl. Gleichzeitig veränderte sich das Gesicht des Jungen. Es war fast, als habe er – für einen Augenblick – keine Schmerzen mehr. Meine Aja beobachtete mich.

Ich sagte auf englisch zu ihm: »Es wird wieder gut. Gleich kommt Hilfe.« Doch es waren nicht meine Worte, die ihm Linderung verschafften. Es war die Berührung meiner Hände.

Es ging alles sehr schnell. Man kam, um ihn fortzubringen. Er wurde vorsichtig auf einen Karren gehoben, der kurz darauf davonfuhr. Als ich meine Hände von der Stirn des Jungen genommen hatte, war das letzte, was ich von ihm sah, wie seine dunklen Augen mich anblickten und sein Gesicht sich wieder schmerzhaft verzog.

Es war ein merkwürdiges Gefühl: Als ich ihn berührt hatte, war mir, als sei von mir eine Kraft ausgegangen.

Meine Aja und ich setzten unseren Weg schweigend fort. Wir erwähnten den Vorfall nicht, aber er beherrschte unsere Gedanken.

Als mich Aja am Abend zu Bett brachte, nahm sie meine Hände und küßte sie ehrfürchtig. »In diesen Händen steckt eine Kraft, kleine Su-Su. Vielleicht hast du heilkräftige Ströme in dir.«

Ich war ganz aufgeregt. »Denkst du an den Jungen von heute morgen?«

»Ich hab’s gesehen«, sagte sie.

»Was hatte das zu bedeuten?«

»Es bedeutet, daß du eine Gabe besitzt. Sie steckt hier, in deinen schönen kleinen Händen.«

»Eine Gabe? Du meinst, Menschen gesund zu machen?«

»Schmerzen zu lindern«, sagte sie. »Ich weiß nicht, das andere liegt in höheren Händen als unseren.«

Manchmal ging ich abends mit meinem Vater reiten. Mein Pony gehörte zu den Freuden des Daseins, und es war jedesmal ein sehr erhebendes Erlebnis, wenn ich in weißem Hemd und Reithose an Vaters Seite ausritt. Je älter ich wurde, desto näher kamen wir uns. Mit kleinen Kindern war er etwas befangen.

Ich liebte ihn sehr – um so mehr, als er ein wenig zurückhaltend war. Ich war in einem Alter, in dem zu enge Vertrautheit zu Verachtung führen konnte. Ich hatte einen Vater, zu dem ich aufschauen konnte. Hätte ich mir mehr wünschen können?

Er erzählte mir von seinem Regiment, von Indien und den Aufgaben der Engländer. Ich glühte vor Stolz auf das Regiment und das Empire, vor allem aber auf ihn. Er erzählte mir von meiner Mutter, die sich in Indien nie richtig wohl gefühlt hatte. Sie hatte ständig Heimweh gehabt, sich aber tapfer bemüht, es nicht zu zeigen. Er war besorgt um mich, das mutterlose Kind, dem der Vater nicht so viel Zuwendung geben konnte, wie er wünschte.

Ich versicherte ihm, daß ich wohlauf und glücklich war, daß Mrs. Fearnley eine gute Gefährtin abgab, die ich gern hatte, und daß ich meine Aja liebte.

Er sagte: »Du bist ein braves Mädchen, Susanna.«

Ich erzählte ihm von dem Vorfall mit dem Jungen auf der Straße.

»Es war so merkwürdig, Vater. Als ich ihn berührte, fühlte ich etwas aus mir herausströmen, und er fühlte es auch, denn als ich ihm meine Hand auf die Stirn legte, hatte er keine Schmerzen mehr.«

Mein Vater lächelte. »Deine gute Tat des Tages.«

»Du glaubst doch nicht, daß es etwas damit auf sich hat, oder?«

»Du warst der gute Samariter. Hoffentlich ist der Junge gut untergekommen. Die Hospitäler hier sind nicht die besten. Wenn er sich was gebrochen hat, dann gnade ihm Gott! Es ist reine Glückssache, ob ihm die Knochen wieder richtig eingerenkt werden.«

»Dann glaubst du also nicht, daß ich ... daß an meiner Berührung etwas Besonderes ist. Die Aja glaubt es.«

»Aja!« Sein Lächeln war ein wenig überheblich. »Was versteht eine Einheimische von solchen Dingen?«

»Sie sagte etwas von schmerzlindernden Strömen. Wirklich, Vater, es war höchst erstaunlich.«

»Der Junge fand es bestimmt vergnüglich, daß eine englische Lady an seiner Seite kniete.«

Ich schwieg, Es hatte keinen Sinn, mit ihm – ebensowenig wie mit Mrs. Fearnley – über mystische Dinge zu sprechen. Die zwei waren zu praktisch veranlagt. Aber ich konnte die Sache nicht so leicht abtun. Dies gehörte zu den bedeutsamsten Dingen, die ich je erlebt hatte.

Nach meinem zehnten Geburtstag meinte mein Vater, als wir wieder einmal zusammen ausritten: »Susanna, so kann es nicht weitergehen mit dir. Du brauchst eine Ausbildung.«

»Mrs. Fearnley sagt, ich komme sehr gut voran.«

»Aber, Liebes, bald wird Mrs. Fearnley dir nicht mehr genügen. Sie sagt, du bist ihr jetzt schon überlegen, und außerdem hat sie beschlossen, heimzukehren.«

»Ach! Mußt du nun eine andere finden?«

»Nicht direkt. Es gibt nur ein Land, in dem junge Engländerinnen ausgebildet werden sollten, und das ist England.«

Ich sann über die Ungeheuerlichkeit seines Vorschlags nach.

»Und was ist mit dir?« fragte ich dann.

»Ich muß natürlich hierbleiben.«

»Du meinst, ich soll allein nach England?«

»Meine liebe Susanna, so ergeht es allen jungen Menschen hier, das weißt du doch! Manche Leute meinen sogar, du solltest schon längst fort sein.«

Dann unterbreitete er mir seine Pläne. Mrs. Fearnley zeigte sich äußerst hilfreich. Sie war uns eine gute Freundin. Wenn sie nach England zurückkehrte, sollte ich mit ihr reisen. Sie würde mich ins Pfarrhaus von Humberston zu Onkel James, dem Bruder meiner Mutter, und seiner Frau Grace bringen, und dort sollte mein Zuhause sein, bis ich mit 17 oder 18 zu Vater nach Indien zurückkehrte.

»Aber das sind ja sieben Jahre! Ein ganzes Leben!«

»Das wohl kaum, liebes. Der Gedanke an die Trennung ist mir ebenso schmerzlich wie dir, vielleicht sogar noch mehr, aber es muß sein. Wir können dich nicht ohne Ausbildung aufwachsen lassen.«

»Aber ich bin doch gebildet! Ich lese sehr viel. Ich habe schon so viel gelernt!«

»Es geht nicht nur um das Lernen aus Büchern, mein liebes Kind. Es geht um die feine Lebensart, wie man sich in der Gesellschaft benimmt – in der richtigen Gesellschaft, nicht der, die wir hier haben. Nein, mein Liebes, es gibt nur einen Ausweg. Gäbe es eine andere Möglichkeit, ich hätte sie ergriffen, denn das letzte, was ich möchte, ist, dich zu verlieren. Du wirst mir schreiben. Durch unsere Briefe werden wir miteinander verbunden sein. Ich möchte alles wissen, was du erlebst. Es kann sein, daß ich auf einen langen Urlaub nach England komme. Dann werden wir beisammen sein. Unterdessen wirst du die Schule besuchen, und in den Ferien wird das Pfarrhaus dein Heim sein. Die Zeit wird rasch vergehen. Ich werde dich sehr vermissen. Du weißt ja, seit deine Mutter tot ist, bist du mein ein und alles.«

Er blickte starr geradeaus; er mochte mich nicht ansehen, aus Furcht, seine Bewegung zu zeigen. Ich war nicht so zurückhaltend. Ich würde in England unter anderem lernen müssen, meine Gefühle zu beherrschen.

Ich sah das Meer, die Hügel und das weiße Gebäude durch einen Tränenschleier. Das Leben veränderte sich. Alles würde anders werden, nicht langsam wie gewöhnlich, sondern drastisch.

Mehr als ein Monat war vergangen, und ich hatte mich allmählich mit dem Gedanken abgefunden. Nach dem anfänglichen Schrecken verspürte ich nun eine leichte Erregung. Ich hatte oft den weißen Schiffen im Hafen zugesehen, die ein- und wieder ausliefen. Ich hatte die Jungen und Mädchen sich von ihren Eltern verabschieden und abreisen sehen. Das war der Lauf der Welt, und nun war ich an der Reihe.

Mrs. Fearnley war mit Reisevorbereitungen beschäftigt, und der Unterricht fand nicht mehr so regelmäßig statt. »Viel kann ich dir nicht mehr beibringen«, sagte sie. »Es wird dir guttun, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein. Lies, soviel du kannst! Das ist das Beste, was du tun kannst.«

Sie war guter Dinge und freute sich auf die Rückkehr. Sie wollte bei einer Cousine wohnen, bis sie, wie sie sagte, »Fuß gefaßt« habe.

Für meine Aja und mich dagegen war es ein trauriger Abschied. Wir hatten uns so nahegestanden, viel näher als ich und Mrs. Fearnley. Aja war zu mir gekommen, als ich noch ein Baby war. Sie hatte meine Mutter gekannt, und seit deren Tod war unsere Bindung noch enger geworden.

Sie sah mich mit der den Menschen ihrer Rasse eigenen Duldsamkeit an und sagte: »So ist es immer mit der Aja. Sie muß ihre Kleinen aufgeben. Sie sind nur geliehen.«

Ich sagte, sie werde wieder eine Kleine finden. Mein Vater werde dafür sorgen.

»Und wieder von vorn anfangen?« fragte sie. »Und wo gibt es eine zweite Su-Su?«

Dann nahm sie meine Hände und betrachtete sie. »Sie sind wie kleine Lotusblüten.«

»Ziemlich schmuddelig«, stellte ich fest.

»Sie sind schön.« Sie küßte sie. »In deinen Händen steckt eine Kraft. Die muß genutzt werden. Eine Gabe ungenutzt zu lassen ist nicht gut. Dein Gott – meine Götter, sie lieben es nicht, wenn man ihre Gaben verachtet. Dein Auftrag wird es sein, Kleines, die Gaben zu nutzen, die dir geschenkt wurden.«

»Ach was, liebste Aja! Du bildest dir nur ein, ich hätte was Besonderes an mir, weil du mich liebhast. Vater sagt, dem kleinen Jungen hat es gefallen, daß ich bei ihm kniete, und deshalb hat er seine Schmerzen vergessen, das war alles.«

»Sahib Colonel ist ein sehr großer Mann, aber große Männer wissen nicht alles. Manchmal hat der Bettler der niedersten Kaste ein Wissen, das dem größten Radscha verwehrt ist.«

»Fein, liebste Aja. Dann bin ich einmalig und was Besonderes. Ich werde meine schönen Hände hüten.«

Darauf küßte sie meine Hände feierlich und sah mir gefühlvoll in die Augen. »Ich werde immer an dich denken, und eines Tages kommst du zurück.«

»Natürlich komme ich zurück. Sobald ich mit der Schule fertig bin. Dann mußt du alles aufgeben und wieder zu mir kommen.« Sie schüttelte den Kopf. »Dann wirst du mich nicht mehr mögen.«

»Ich mag dich immer. Ich vergess’ dich nie.«

Sie stand auf und ging.

Ich hatte mich von allen Freunden verabschiedet. Am letzten Abend speisten mein Vater und ich allein. Es geschah auf seinen Wunsch. Im Haus herrschte eine gedämpfte Atmosphäre. Die Dienstboten beobachteten mich stumm. Der Khansamah hatte sich selbst übertroffen und eines seiner Spezialgerichte zubereitet, das er Yakhni nannte – gewürztes Lammfleisch, das ich immer besonders gern gemocht hatte. Aber an diesem Abend schmeckte es mir nicht. Wir waren zu bewegt, um zu essen, wir konnten nur so tun, als würden wir essen und uns anschließend über die Mangos, Nektarinen und Trauben hermachen, die man uns auftischte.

Der ganze Haushalt war offenbar wegen meiner Abreise in Trauer. Die Unterhaltung war an diesem Abend gezwungen. Mein Vater gab sich alle Mühe, seine Gefühle zu verbergen, was ihm auf bewunderungswürdige Weise gelang. Niemand hätte gemerkt, wie tief bewegt er war, wäre nicht seine Stimme brüchig und sein Lachen unnatürlich gewesen.

Er erzählte mir viel von England, und wie anders es dort sei als in Indien. Ich müsse mit einer gewissen Disziplin in der Schule rechnen und natürlich immer daran denken, daß ich Onkel James’ und Tante Graces Gast sei, die mich so liebenswürdig in den Ferien bei sich aufnahmen.

Ich war froh, als ich mich in mein Zimmer zurückziehen konnte. Zum letzten Mal lag ich unter meinem Moskitonetz. Ich fand keinen Schlaf und fragte mich, wie das neue Leben in England sein würde.

Das Schiff lag bereits in der Bucht. Ich hatte es schon oft betrachtet und mir vorzustellen versucht, wie es mit mir davonfuhr.

Dann kam der Tag, an dem wir Lebewohl sagten, und Mrs. Fearnley und ich teilten uns an Bord die Kabine. Der Augenblick war gekommen. Wir gingen an Deck und winkten. Mein Vater stand sehr aufrecht. Ich warf ihm eine Kußhand zu, die er erwiderte. Ich sah meine Aja. Ihre Augen schienen nur mich zu sehen. Ich winkte ihr, und sie hob eine Hand.

Ich wollte, daß das Schiff endlich ablegte. Das Abschiednehmen war so schrecklich traurig.

Die Aufregungen der Reise halfen mir über die Trennung von meinen lieben hinweg. Mrs. Fearnley war eine muntere und angenehme Gesellschafterin. Sie hielt gewissenhaft ihr Versprechen, das sie meinem Vater gegeben hatte, und gab so gut auf mich acht, daß sie mich kaum aus den Augen ließ.

Ich wußte, daß ich großes Heimweh nach meinem Vater, meiner Aja und Indien bekommen würde. Mir stand ja nicht nur ein neues Zuhause bevor, sondern auch die ungewohnte Schule.

Vielleicht war es gut, daß es so reichlich Abwechslung und so viele neue Erfahrungen gab, denn ich hatte kaum Zeit zum Grübeln.

Bevor Mrs. Fearnley mit der Cousine weiterreiste, die uns am Hafen abgeholt hatte, lieferte sie mich mit der Miene einer Person, die sich einer mühsamen Aufgabe löblich entledigt hat, im Pfarrhaus ab, und ich sagte ihr ohne sonderliche Rührung Lebewohl. Erst als ich allein in dem Zimmer mit der niedrigen Decke, den dicken Eichenbalken und dem Sprossenfenster war, das auf den Kirchhof hinausging, wurde mir meine ungeheure Einsamkeit bewußt. Auf dem Schiff hatte ich so viel erlebt: die Fahrt übers Meer, das wildbewegt oder glatt wie ein Teich sein konnte, Bekanntschaft mit den anderen Passagieren schließen, neue Städte sehen – Kapstadt mit der großartigen Bucht und den Bergen, Madeira mit den bunten Blumen, Lissabon mit dem schönen Hafen. Solche Erlebnisse hatten die Angst vor der Zukunft verdrängt.

Bald aber sollte mir das kleine Zimmer vertraut werden. Alle gaben sich Mühe, damit ich mich bei ihnen heimisch fühlte. Onkel James, ein sehr ernster Mann, der ganz in seiner Arbeit aufging, strengte sich dermaßen an, daß seine Fröhlichkeit stets gequält wirkte und er genau das Gegenteil von dem erreichte, was er beabsichtigte. Jeden Morgen sagte er: »Na, Susanna, mit den Lerchen aufgestanden?« Und wenn ich ein wenig im Garten arbeitete: »Hahaha, der Arbeiter ist seinen Lohn wert.« Solche Bemerkungen waren immer von einem komischen kleinen Lachen begleitet, das nicht recht zu ihm paßte. Aber ich wußte, daß er mir nur helfen wollte, mich einzugewöhnen. Tante Grace war ziemlich schroff, nicht aus Absicht, sondern weil sie selten ihre Gefühle zeigte und der Umgang mit einem einsamen Kind sie verlegen machte. Ellen war freundlich, aber etwas geistesabwesend; sie war schließlich zwölf Jahre älter als ich und ganz in Mr. Bonner, den Vikar, vernarrt, der sie zu heiraten gedachte, sobald er eine Pfarre gefunden hatte.

In den ersten Wochen war mir das Internat verhaßt, aber dann gefiel es mir dort ganz gut. Ich war so etwas wie eine Exotin, weil ich in Indien gelebt hatte, und wenn im Schlafsaal das Licht ausging, ließ ich mich gern überreden, von dem fremden Land zu erzählen. Ich sonnte mich in der Beliebtheit, die ich dadurch errang, und ersann die haarsträubendsten Abenteuer. Das half mir über die ersten Wochen hinweg. Und ich wurde akzeptiert, weil ich dank Mrs. Fearnleys gewissenhafter Bemühungen den meiner Altersgruppe entsprechenden Leistungsgrad besaß und weil ich einigermaßen gut in Sport war. Nach dem ersten Jahr war mir die Schule liebgeworden. In den Ferien nahm ich eifrig am Dorfleben teil. Die Dienstboten schlossen mich ins Herz. »Das arme, mutterlose Würmchen«, hörte ich die Köchin zum Hausmädchen sagen, »wird quer durch die Weltgeschichte zu Onkel und Tante geschickt, zu Fremden gewissermaßen. Und ist unter Heiden aufgewachsen. Das ist doch kein Leben für ein Kind! Gut, daß sie hier ist«

Ich lächelte. Sie hatten ja keine Ahnung, wie ich meine Aja vermißte.

Mein Vater schrieb regelmäßig ausführliche Briefe, in denen er von seinem Regiment und den Schwierigkeiten in Indien berichtete.

»Manchmal bin ich froh, daß Du in der Heimat bist«, schrieb er.

Ich möchte alles wissen. Wie gefällt es Dir im Pfarrhaus? Deine Mutter hat oft voller Heimweh von ihm gesprochen. Der Khansamah hat vorige Woche geheiratet. Es war eine große Feier. Er fuhr mit seiner Braut in einem blumengeschmückten Wagen durch die Stadt. Du weißt ja, wie es hier auf Hochzeiten zugeht. Die Braut wird bei uns wohnen. Ich hoffe nur, die Ehe wird nicht ganz so fruchtbar, wie es ihnen alle wünschen. Aja ist glücklich. Sie ist bei einer sehr netten Familie. Die Zeit wird rasch vergehen, und über kurz oder lang wirst Du die Rückreise antreten. Du wirst dann einejunge Dame sein. Hier wird es sehr viel für Dich zu tun geben, und ich hoffe, daß es Dir gefällt. Du wirst die Lady des Colonels sein und weißt, was das bedeutet. Du wirst mich bei offiziellen Anlässen begleiten müssen. Ich bin überzeugt, daß Du Deinen Pflichten mit dem erforderlichen Charme nachkommen wirst. Immerhin wirst Du eine englische Lady sein, die auf einer exklusiven Schule den »gesellschaftlichen Schliff« erhielt. Mehr davon ein andermal. Für heute sende ich Dir meine allerzärtlichsten Grüße. Ich denke an Dich und sehne mich danach, Dich wiederzusehen. Die Trennung ist mir verhaßt, aber ich sage mir immer, daß die Zeit rasch vergehen wird.

Er schrieb wundervolle Briefe. Auf Papier gab er mehr von sich preis als im persönlichen Umgang. Ich war froh, daß ich so einen Vater hatte. Und es war ein Glück für mich, den gütigen Onkel James, Tante Grace und Ellen zu haben, die sich so bemühten, mir das Gefühl zu geben, zur Familie zu gehören.

Ein Jahr verging, dann das zweite. Wegen der Unruhen in Indien konnte mein Vater nicht zu dem versprochenen Urlaub kommen. Es war eine große Enttäuschung für mich. Dann aber wurde es furchtbar wichtig, ob ich in die Hockeymannschaft gewählt wurde oder welche Noten ich in Geschichte hatte, und ich dachte vorübergehend nicht mehr an Indien. Im großen und ganzen war ich glücklich. Cousine Ellens späte Heirat verursachte eine Menge Aufregung und Vorbereitungen, und anschließend brachen sie und Mr. Bonner zu seiner Pfarre in Somerset auf. Ich versuchte, Tante Grace ein wenig die Hilfe zu ersetzen, die sie an Ellen gehabt hatte, denn ich wollte ihnen zeigen, daß ich dankbar war für alles, was sie für mich getan hatten. So hörte ich Onkel James’ Predigten mit gespielter Aufmerksamkeit zu und lachte über seine kleinen Scherze.

Die Zeit verging. Ein Vorfall ist mir unvergeßlich. Es geschah kurz vor Ellens Hochzeit. Ich machte mit ihr einen Besuch. Ich erinnere mich, daß es Anfang Herbst war, denn das Obst wurde gerade geerntet.

Als wir zum Bauernhof der Jennings’ kamen, sahen wir eine Gruppe Menschen unter einem Apfelbaum, und Ellen sagte zu mir: »Ein Unfall.«

Wir eilten hin. Ein Sohn der Jennings’ lag auf der Erde und stöhnte vor Schmerzen. Mrs. Jennings war in großer Sorge. »Tom ist gestürzt, Miss Sandown«, sagte sie zu Ellen. »Jemand geht den Arzt holen, aber es dauert so lange.«

»Hat er sich was gebrochen?« fragte Ellen.

»Das wissen wir nicht. Deswegen warten wir ja auf den Arzt.«

Ein Mann kniete neben Tom Jennings und schiente sein Bein mit einem Brett. Impulsiv kniete ich mich auf die andere Seite. Ich sah zu, wie der Mann Tom Erste Hilfe leistete. Man sah Tom an, daß er starke Schmerzen hatte.

Ich wischte ihm mit meinem Taschentuch die Stirn ab, und dabei hatte ich dasselbe Gefühl wie damals in Indien, als der kleine Junge vor den Ochsenkarren gelaufen war.

Tom sah mich an, und seine Miene entspannte sich etwas. Er stöhnte nicht mehr. Ich strich über seine Stirn.

Ellen sah mich verwundert an, aber ich fuhr fort, Toms Stirn zu streicheln.

Das war etwa zehn Minuten, bevor der Arzt kam. Er lobte den Mann der das Bein mit dem Brett geschient hatte. Nun mußte man den Jungen sehr vorsichtig transportieren.

Ellen sagte: »Wenn wir irgend etwas tun können, Mrs. Jennings ...«

»Danke, Miss Sandown«, erwiderte diese. »Es wird schon wieder werden, der Arzt ist ja da.«

Ellen war recht nachdenklich, als wir ins Pfarrhaus zurückkehrten. »Mir scheint, du hast seine Schmerzen gelindert«, sagte sie.

»Ja. Es ist mir schon einmal so ergangen.« Ich erzählte ihr von dem Jungen in Indien. Sie hörte auf ihre verbindliche, etwas geistesabwesende Art zu, und ich nahm an, sie dachte an das Haus, in das sie mit Mr. Bonner ziehen würde. Er hatte es erst kurz zuvor erworben.

Ich aber beschäftigte mich weiter mit dem Vorfall und fragte mich, was meine Aja davon gehalten hätte.

Wir sprachen beim Abendessen über das Ereignis.

»Von der Leiter gefallen«, sagte Tante Grace. »Ich wundere mich, wieso nicht mehr Unfälle geschehen. Die Jungen sind oft sehr unachtsam.«

»Susanna war fabelhaft«, erzählte Ellen. »Sie strich ihm über die Stirn, während George Grieves Erste Hilfe leistete. Susanna schien ihm Linderung zu verschaffen.«

»Der hilfreiche Engel«, sagte Onkel James lächelnd zu mir.

Später dachte ich noch einmal über alles nach. Ich betrachtete meine Hände. Hatte man Schmerzen, war es tröstlich, wenn einem jemand über die Stirn strich; das war alles. In dieser stillen prosaischen Welt begann ich allmählich so zu denken wie die Menschen rings um mich. Meine gute Aja hatte zu viel Phantasie.

Und dann war endlich mein 17. Geburtstag. Alles wurde arrangiert. Eine gewisse Mrs. Emery begleitete ihre Tochter nach Indien, die dort einen Offizier heiratete. Sie nahm mich gerne mit, wäre es doch für ein junges Mädchen von 17 Jahren unschicklich gewesen, allein zu reisen.

Der große Tag kam. Ich sagte in Humberston Lebewohl, fuhr mit den Emerys nach Tilbury, und endlich stach ich nach Indien in See.

Wir hatten eine ruhige Überfahrt. Die Emerys waren angenehme Gesellschafterinnen. Constanze dachte nur an ihre bevorstehende Heirat und sprach von fast nichts anderem als von den Vorzügen ihres Verlobten. Es störte mich nicht. Ich war mit meinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt.

Der Hafen von Bombay bietet mit der bergigen, palmengesäumten Insel, die zu den Küstenstreifen der Westghats ansteigt, einen imposanten Eindruck.

Mein Vater erwartete mich. Wir umarmten uns, dann hielt er mich auf Armeslänge von sich und betrachtete mich.

»Ich hätte dich beinahe nicht erkannt.«

»Ist ja auch lange her. Aber du hast dich nicht verändert, Vater.«

»Alte Männer verändern sich nicht. Nur die kleinen Mädchen verwandeln sich in hübsche junge Damen.«

Ich machte meinen Vater und die Emerys miteinander bekannt, und er dankte ihnen herzlich. Der Verlobte hatte die beiden abgeholt und zog mit ihnen davon.

»Hattest du es gut in Humberston?« fragte mich mein Vater.

»O ja. Alle waren lieb zu mir. Aber es war kein richtiges Zuhause.«

Er nickte. »Und die Emerys, waren sie auch nett zu dir?«

»Sehr nett. Und wie geht es allen hier? Was macht Aja?«

»Sie ist jetzt bei den Freelings. Sie haben zwei kleine Kinder. Mrs. Freeling ist eine recht leichtfertige junge Frau, sehr attraktiv, sagt man.«

»Ich möchte unbedingt meine Aja wiedersehen.«

»Aber sicher.«

»Und der Khansamah?«

»Ist inzwischen Familienvater. Er hat zwei Jungen. Er ist sehr stolz auf sich. Aber komm jetzt, wir wollen nach Hause!«

Ich war wieder da, und es war fast, als wäre ich nie fort gewesen.

Aber es gab natürlich Veränderungen. Ich war kein Kind mehr. Ich hatte jetzt meine Pflichten, und nach wenigen Tagen merkte ich, daß sie mich sehr beanspruchten. Ich war als junge englische Lady zurückgekehrt, ausersehen, an der Tafel des Colonels zu sitzen und die damit verbundenen Pflichten zu erfüllen.

Es dauerte nicht lange, und die Angelegenheiten der Armee nahmen mich gefangen. Es war, als lebte man innerhalb eines fremden Landes in einer eigenen kleinen Welt Aber ich nahm dies nun anders wahr als früher. Ich sah unschöne Einzelheiten, die mir in meiner Kindheit weniger aufgefallen waren. Armut und Krankheit wurden mir jetzt bewußter und dämpften meine Begeisterung, und zuweilen dachte ich sehnsüchtig an die kalten Brisen, die um die uralte Kirche bliesen, und an den friedlichen Garten mit Lavendel und Buddleia, hohen Sonnenblumen und Stockrosen, und ich bekam Sehnsucht nach dem milden Regen, nach Osterferien und Erntedankfesten. Sicher, mein Vater war hier, aber hätte er mit mir kommen können, so wäre ich wohl lieber in den Ort zurückgekehrt, der mir eine zweite Heimat geworden war.

Bei der ersten Gelegenheit besuchte ich meine Aja. Mrs. Freeling war ganz entzückt, daß ich vorsprach. Ich merkte schnell, daß man meinen Vater aufgrund seiner Position umschmeichelte, und deshalb wurde auch seine Tochter hofiert. Einige Frauen waren nahezu unterwürfig. Sie dachten wohl, die Gunst des Colonels helfe ihren Ehemännern beim langen Aufstieg zu höheren Rängen.

Die Freelings bewohnten einen hübschen Bungalow, umgeben von schönen, blühenden Sträuchern, deren Namen ich nicht kannte. Phyllis Freeling war jung und sehr hübsch; ich fand sie ziemlich kokett und ansonsten nicht besonders interessant. Sie umschwirrte mich, als sei mein Besuch eine große Ehre für sie, und bewirtete mich mit Tee.

»Wir bemühen uns, die englischen Sitten beizubehalten«, erklärte sie. »Wir wollen schließlich nicht verwildern, oder?«

Ich hörte ihrem Geplauder zu und fragte mich die ganze Zeit, wann ich endlich meine Aja zu sehen bekäme; sie war schließlich der einzige Grund meines Kommens. Mrs. Freeling erzählte von dem Ball, der bald stattfinden würde. »Ich nehme an, Sie werden zum Komitee gehören. Es gibt ja so viel vorzubereiten. Wenn Sie einen wirklich guten Schneider suchen, ich kann Ihnen den allerbesten empfehlen.« Sie faltete die Hände und sprach mit indischem Akzent: ›»Der allerbeste durzi in Bombay ...‹, behauptet er, und ich habe allen Grund, ihm zu glauben.«

Ich nahm mir ein Gewürzplätzchen zum Tee.

»Dem Khansamah ist es eine große Ehre, Tee für die Tochter des Colonels zu machen«, wurde mir versichert.

Ich erkundigte mich nach den Kindern und der Aja.

»Sie ist ausgezeichnet. Die Kinder sind wahre Engel. Sie lieben die Aja, sie ist ja so gut zu ihnen. Manchmal frage ich mich, ob es klug ist, sie einer Einheimischen anzuvertrauen. Aber was will man machen? Man hat ja so viele Pflichten ... der Mann, das Regiment ...«

Schließlich hielt ich es für angebracht, zum eigentlichen Grund meines Besuches zu kommen. Ich erinnerte sie, daß ich die Aja sehen wollte.

»Aber selbstverständlich. Es wird ihr eine Ehre sein.«

Ich wurde ins Kinderzimmer geführt, wo die Kinder ihren Mittagsschlaf hielten. Da saß sie und wartete, denn sie wußte ja, daß ich kam.

Wir sahen uns an. Sie war ein wenig gealtert – kein Wunder nach sieben Jahren.

Ich lief zu ihr und schlang meine Arme um sie. Es war mir egal, was Mrs. Freeling dachte.

»Aja!«

»Miss Su-Su!«

Ich war tief gerührt, als ich den Kosenamen aus meiner Kinderzeit hörte. »Ich habe oft an dich gedacht«, sagte ich.

Sie nickte. Ein Diener kam und sagte leise etwas zu Mrs. Freeling.

»Ich muß Sie verlassen«, sagte sie. »Sicher möchten Sie ein Weilchen plaudern.«

Ich fand das sehr taktvoll von ihr. Wir setzten uns und sahen uns immer noch an. Wir unterhielten uns flüsternd, weil nebenan die Kinder schliefen. Sie erzählte mir, wie sehr sie mich vermißt habe.

Die Freelings hätten zwar nette Kinder, aber sie seien eben nicht Su-Su.

Ich erzählte ihr von England, aber ich sah, daß es ihr schwerfiel, sich das Leben dort vorzustellen. Sie sagte, in ganz Indien habe es Aufruhr und Bedrohung gegeben und es stünden noch mehr Aufregungen bevor. Sie schüttelte den Kopf. »Man munkelt von dunklen Geheimnissen ... nichts Gutes.«

Sie fand mich verändert. Ich sei nicht mehr das kleine Mädchen, sagte sie, das Bombay vor Jahren verlassen hatte. »Sieben Jahre sind eine lange Zeit«, hielt ich ihr entgegen.

»Lang, wenn viel geschieht, kurz, wenn sich nichts tut. Die Zeit ist im Kopf.«

Es war wunderbar, sie wiederzusehen. Ich sagte: »Ich wollte, ich könnte dich mit nach Hause nehmen.«

Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Das wäre schön. Aber du brauchst keine Aja mehr wie die kleinen Freelings.«

»Bist du hier glücklich, liebste Aja?«

Sie schwieg, ein Schatten huschte über ihr Gesicht, der mich erschreckte. Ich war verwirrt. Mrs. Freeling machte auf mich nicht den Eindruck, daß sie sich in die Erziehung der Kinder einmischte. Ich hatte gedacht, ihre Aja hätte freie Hand, mehr noch als einst bei mir; denn damals hatte sie mit Mrs. Fearnley wetteifern müssen.

Sie war zu loyal, um über ihre Herrin zu reden, aber mir war dennoch unbehaglich zumute. Sie spürte es und sagte: »Ich könnte nirgends so zufrieden sein wie bei euch.«

Ich war tief gerührt und erstaunt, daß sie so empfinden konnte, war ich doch zuweilen recht schwierig gewesen. Vielleicht spielte die Zeit ihre altbekannten Streiche und ließ Vergangenes rosiger erscheinen, als es tatsächlich war.

»Ich werde dich oft besuchen«, sagte ich. »Mrs. Freeling hat bestimmt nichts dagegen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du solltest lieber nicht zu oft herkommen, Su-Su.«

»Aber warum denn nicht?«

»Ist besser so. Wir treffen uns. Vielleicht komm’ ich zu dir.« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich bin nur eine alte Aja ... nicht mehr deine.«

»So ein Unsinn! Du bleibst immer meine Aja. Und warum soll ich dich nicht besuchen? Ich bestehe darauf. Ich bin jetzt die Lady des Colonels. Ich bestimme die Regeln.«

»Nicht hier«, sagte sie. »Nein, nein ... ist nicht gut.«

Ich verfolgte das Thema nicht weiter, weil ich dachte, sie habe die absurde Vorstellung, es schicke sich nicht für die Tochter des Colonels, ihre alte Kinderfrau in einem anderen Haus zu besuchen.

Ihre dunklen Augen waren gefühlvoll und wissend. »Du wirst wieder fortgehen«, sagte sie. »Ich sehe dich nicht lange hier.«

»Du irrst dich. Ich bleibe bei meinem Vater. Ich habe die weite Reise nicht gemacht, um gleich wieder umzukehren. Hast du eine Ahnung, wie weit es ist, liebste Aja, über das große Meer? Ich bleibe hier, und wir werden uns oft treffen. Es wird wie in alten Zeiten sein ... jedenfalls so ähnlich.«

Sie lächelte. »Ja. Seien wir nicht traurig! Sprechen wir nicht von Trennung. Du bist gerade erst gekommen. Heute ist ein glücklicher Tag.«

»Ja«, sagte ich, und von nun an hieß es ständig: »Weißt du noch ...?«

Die Kinder wachten auf, und ich wurde ihnen vorgestellt. Sie waren pausbäckige Geschöpfe von etwa vier und zwei Jahren.

Als ich die Aja verließ, ging ich hinunter, um mich von Mrs. Freeling zu verabschieden.

Sie saß auf einem Sofa, neben ihr ein junger Mann. Sie erhoben sich, als ich eintrat

»Ah, da sind Sie ja«, sagte Mrs. Freeling. »Miss Pleydell hat ihre alte Aja besucht, die jetzt bei uns ist. War das nicht überaus gütig von ihr?«

»Keineswegs«, gab ich zurück. »Ich habe sie nämlich sehr gern.«

»So ist das immer mit den alten Kinderfrauen. Aber ich vergesse, Sie kennen sich ja noch gar nicht! Darf ich vorstellen: Aubrey St. Clare – Susanna Pleydell, die Tochter des Colonels.«

Aubreys Charme und gutes Aussehen hatten es mir augenblicklich angetan. Er war ungefähr so groß wie ich – ich bin nämlich außergewöhnlich hoch gewachsen – und hatte goldblondes Haar, lebhafte Augen und scharfgeschnittene Züge.

Er drückte mir fest die Hand. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Nehmen Sie Platz, Miss Pleydell«, sagte Mrs. Freeling. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Es ist noch etwas früh für alkoholische Getränke, aber das macht nichts. Eigentlich ist es dafür nie zu früh.«

Ich setzte mich neben ihn. »Wie ich höre, sind Sie eben erst nach Indien zurückgekehrt«, sagte er.

Ich bejahte.

»Frisch von der Schule weg!« sagte Phyllis Freeling mit schrillem, trillerndem Lachen. »Ist das nicht aufregend?«

»Indien ist ein aufregendes Land, nicht wahr, Miss Pleydell?« sagte er. »Man muß einfach hierher zurückkommen.«

Ich stimmte ihm zu.

»Ist Ihnen aufgefallen, daß sich hier etwas verändert hat?«

»Ich war so jung, als ich fortging, zehn Jahre alt, um genau zu sein. Ich glaube, ich nahm ein etwas verklärtes Bild mit mir. Jetzt sehe ich alles mehr, wie es wirklich ist.«

»Ach«, meinte er, »das ist einer der Nachteile des Erwachsenwerdens.«

Er sah mich lange an, und ich war von seinem Interesse angenehm berührt. Ich kannte nicht viele junge Männer, nur die wenigen in Humberston, die mit Onkel James und Tante Grace verkehrten. Ich war sehr gut, wenn auch unaufdringlich, behütet gewesen. Jetzt hatte ich eine gewisse Freiheit. Ja, ich war erwachsen. Ein erhebendes Gefühl.

Aubrey St. Clare sprach sehr einfühlsam von Indien. Er schien das Land gut zu kennen. Er hatte nichts mit dem Regiment zu tun. Ich hätte gern gewußt, was er in Indien machte, empfand es jedoch als zu aufdringlich, ihn danach zu fragen. Mrs. Freeling übernahm die Gesprächsführung. Sie flirtete ziemlich heftig mit ihrem Gast Oder kam mir das nur so vor, weil ich noch unter dem Einfluß des Pfarrhauses stand, wo es überaus konventionell zugegangen war?

Schließlich sagte ich, ich müsse gehen. Aubrey St. Clare erhob sich sogleich und fragte, ob er mich nach Hause bringen dürfe. Es sei nur ein kurzer Weg, erklärte ich.

»Trotzdem ...« begann er, und Mrs. Freeling setzte hinzu: »O ja, Sie sollten sich begleiten lassen!«

Ich dankte ihr für ihre Gastfreundschaft und machte mich mit Aubrey St. Clare auf den Weg.

Draußen drehte ich mich noch einmal zum Haus um und sah eine Bewegung hinter den Gardinen. Aja stand am Fenster. Bildete ich es mir ein, oder sah sie wirklich beunruhigt aus?

Aubrey und ich sahen uns von nun an sehr oft. Es schmeichelte mir, daß er mir soviel Beachtung schenkte. Er war auch aufmerksam gegenüber Phyllis Freeling, aber das war etwas anderes, weil sie verheiratet war.

Mein Vater konnte ihn gut leiden. Ich glaube, er war froh, daß ich einen Begleiter hatte. Er hätte es allerdings vorgezogen, wenn wir in England gewesen wären, wo ich auf die herkömmliche Art in die Gesellschaft eingeführt worden wäre. Vater wünschte durchaus, daß ich das Leben genoß, und er bedauerte, daß er nicht mehr Zeit für mich hatte.

Aubrey war bezaubernd. Seine wunderbare Persönlichkeit konnte sich wandeln, je nachdem, mit wem er es zu tun hatte. Mit meinem Vater sprach er ernst über Indiens Probleme; mir erzählte er von seinen Reisen rund um die Welt. Er war in Arabien gewesen und war Menschen aller Rassen begegnet. Er fand die Erforschung fremder Kulturen faszinierend und verstand sie sehr lebendig zu schildern. Mit Mrs. Freeling dagegen war er sehr kokett, bei ihr wurde er genau zu der Sorte Mann, die sie attraktiv fand. Das war eine große Begabung.

Er wurde mein ständiger Begleiter. Mein Vater erlaubte mir, mit ihm durch die Basare zu gehen, was ich allein nicht gedurft hätte. Hier sei nicht mehr alles so wie in meiner Kindheit, erklärte er mir. Es gebe Unruhen, und die Regierung sei in Alarmbereitschaft.

Nein, nichts Ernstes, versicherte er. »Aber die Menschen hier sind unberechenbar. Sie argumentieren nicht wie wir.« Daher gestattete er mir zwar zu gehen, wohin ich wollte, aber nur in Begleitung eines starken Mannes.

Es war eine schöne Zeit. Ich besuchte meine Aja mehrmals, aber es war ihr immer unangenehm, wenn ich ins Haus der Freelings kam. Ich schlug ihr vor, zu uns zu kommen. Das tat sie ein paarmal, aber sie war nur schwer abkömmlich. Ich wußte, daß sie etwas bedrückte, hatte aber keine Ahnung, was es war, und ich war, ehrlich gesagt, auch so sehr mit allem anderen, zumal mit meinem neuen Freund, beschäftigt, daß ich ihr nicht soviel Beachtung schenkte, wie ich es sonst vielleicht getan hätte.

Als wir uns eines Tages im Garten unter den Aprikosenbäumen aufhielten, sagte Aubrey zu mir: »Ich werde wohl bald heimkehren müssen.«

Ich war bestürzt. Mit einemmal wurde mir klar, wieviel mir an seiner Gesellschaft lag.

»Ich habe schlechte Nachrichten von zu Hause«, fuhr er fort. »Das tut mir leid.«

»Mein Bruder ist krank. Ich glaube, er hat nicht mehr lange zu leben. Dadurch wird sich für mich vieles ändern.«

»Sie haben ihn wohl sehr gern?«

»Wir haben uns nie besonders gut verstanden. Wir sind nur zu zweit, und wir sind so verschieden. Er ist der Ältere und hat alles geerbt, einen recht großen Besitz. Da er keine Kinder hat, wird im Falle seines Todes alles an mich fallen. Ich bezweifle, daß er noch ein Jahr durchhält. Ich muß unbedingt hin. Ich werde wohl bald abreisen müssen.«

»Sie werden uns fehlen.«

Er beugte sich vor und drückte meine Hand. »Ich werde hier alle und alles vermissen und ganz besonders Sie.«

Ich war sehr bewegt. Er hatte mich immer spüren lassen, daß er mich bewunderte, und ich fühlte eine gewisse Anziehungskraft zwischen uns, aber als völliger Neuling auf diesem Gebiet war ich mir meiner selbst nicht sicher. Ich wußte nur, daß ich sehr traurig sein würde, wenn er fortging.

Er erzählte mir von seinem Zuhause. Das Landgut lag in Buckinghamshire. Es befand sich seit Jahrhunderten im Besitz der Familie. »Mein Bruder ist sehr stolz darauf. Ich hing nie so sehr an unserem Besitz. Ich wollte reisen und die Welt sehen, er aber übernahm gern die Gutsherrenpflichten. Wenn er stirbt, ruht diese Last auf meinen Schultern. Ich hoffe inständig, daß meine Schwägerin Amelia einen Sohn bekommt, bevor er stirbt.«

»Ist das denn möglich, wenn er so krank ist?«

»Man kann nie wissen.«

»Wann werden Sie abreisen?«

»Seien Sie versichert, daß ich so lange hierbleibe, wie es mir möglich ist«

Abends beim Essen erzählte ich meinem Vater, daß Aubrey uns bald verlassen werde.

»Das finde ich sehr bedauerlich. Du wirst ihn vermissen, nicht wahr?« Er sah mich eindringlich an, und ich antwortete nach leichtem Zögern: »O ja, sehr.«

»Ach, weißt du, er ist vielleicht nicht der einzige, der abreist. Du weißt, es hat hier in letzter Zeit eine Menge Unruhen gegeben. Und es gibt etwas, was du nicht weißt, Susanna. Vor zwei Jahren hatte ich eine Krankheit.«

»Was für eine Krankheit? Du hast mir nichts davon gesehrieben.«

»Ich wollte kein Aufhebens davon machen. Es ist überstanden. Aber im Hauptquartier blieb es nicht unbemerkt.«

»Vater, was willst du damit sagen?«

»Daß ich allmählich in die Jahre komme.«

»Aber du bist erstaunlich gut in Form.«

»Das ändert nichts daran, daß ich langsam alt werde. Susanna, man hat mir Andeutungen gemacht.«

»Andeutungen?«

»Ich nehme an, daß ich bald ins Kriegsministerium nach London versetzt werde.«

»Meinst du wirklich? Und was war das für eine Krankheit?«

»Irgend etwas mit dem Herzen. Es ist vorbei.«

»Ach Vater, und du hast mir nichts gesagt!«

»Es bestand kein Grund dazu, nachdem alles überstanden war.«

»Ich hätte es aber wissen sollen.«

»Gänzlich unnötig. Doch wie gesagt, hier wird sich einiges ändern.«

»Wann werden wir heimkehren?«

»Du kennst doch das Hauptquartier. Wenn die Entscheidung gefallen ist, gibt es keinen Aufschub. Dann heißt es schleunigst ab in die Heimat, und schon wird ein Nachfolger hiersein, um an meine Stelle zu treten.«

»Ach Vater, wie ist dir dabei zumute?«

»Ehrlich gesagt, es wird mir nicht leid tun.«

»Aber du bist all die Jahre in Indien gewesen. Und du hast auch mich noch herkommen lassen.«

»Ich hatte einen Grund dafür. Ich entnahm deinen Briefen, daß du dir eine falsche Vorstellung von diesem Land machtest. Ich dachte, wenn sie nicht herkommt, wird sie es ihr Leben lang bedauern. Ich wollte, daß du zurückkehrst und das Land mit den Augen einer Erwachsenen siehst. Außerdem wärst du bestimmt furchtbar enttäuscht gewesen, wenn ich dich nicht hätte kommen lassen.«

»Du bist so gut zu mir.«

»Mein liebes Kind, ich hatte so vieles an dir gutzumachen. Die einsame Kindheit ... Dann wurdest du zu Menschen geschickt, die für dich im Grunde Fremde waren.«

»Du hast dein Bestes getan. So ergeht es allen Kindern in unseren Kreisen.«

»Ja, aber das macht es nicht leichter. Doch wie dem auch sei, ich rechne jeden Moment mit der Versetzung, und dann heißt es rasch abreisen.«

Ich hatte durchaus nichts dagegen und fragte mich schon, ob ich Aubrey in England sehen würde.

Abends im Bett dachte ich an meine Aja. Ich hatte sie etwas vernachlässigt. Als ich hergekommen war, hatte ich mich so auf unser Wiedersehen gefreut. Aber, wie mein Vater sagte, die Dinge ändern sich. Ich würde nie vergessen, was meine Aja mir in meiner Kindheit bedeutet hatte, aber ich war kein Kind mehr. Ich unternahm aufregende Streifzüge in die Welt der Erwachsenen, und die Empfindungen, die Aubrey in mir weckte, nahmen mich dermaßen gefangen, daß ich alles andere darüber leicht vergaß. Ich gelobte mir, Aja gleich am nächsten Tag aufzusuchen.

Ich wählte eine Zeit, da ich Mrs. Freeling im Club wußte. Sie war oft dort. Ich hatte sie mit etlichen jungen Offizieren gesehen, und sie lud auch Aubrey dorthin ein. Er erzählte mir, er gehe häufig in den Club. Ich hatte ihn sogar mit ihr dort gesehen, aber ich war nicht eifersüchtig. Es kam mir nicht in den Sinn, daß zwischen den beiden eine ernsthafte Beziehung bestehen könne; sie war schließlich eine verheiratete Frau. Ich war damals sehr naiv.

Meine Aja freute sich, mich zu sehen, und ich war beschämt, weil seit unserem letzten Treffen so viel Zeit vergangen war. Sie sah mich mit ihren traurigen Augen an, und ich sagte: »Du hattest recht damit, daß ich nicht lange bleibe. Mein Vater rechnet jeden Tag mit seiner Versetzung ins Kriegsministerium.«

»Du gehst fort von hier. Ja, vielleicht ist es für dich das Beste.«

»Liebste Aja, ich habe das Gefühl, als wäre ich gerade erst angekommen.«

»Hier geschehen schlimme Dinge. Du bist kein kleines Mädchen mehr.«

»Schlimme Dinge geschehen überall.«

Sie schüttelte den Kopf. Ich nahm ihre Hand und sagte: »Dich bedrückt etwas. Warum erzählst du es mir nicht? Du bist hier nicht glücklich. Ich könnte Vater bitten, dich anderswo unterzubringen.«

»Ich hänge an den Kleinen.«

»Und Mrs. Freeling und der Captain, sind sie nicht gut zu dir? Mir kannst du es ruhig sagen.«

»Ich kümmere mich nur um die Kinder. Der Captain liebt sie.«

»Dann ist es Mrs. Freeling? Mischt sie sich ein? Hat sie etwas an dir auszusetzen?«

Sie schüttelte den Kopf. Sie zögerte einige Sekunden, dann platzte sie heraus: »Sie treffen sich ... Sie tun seltsame Dinge. Ich weiß, was es ist. Sie bauen es in den Dörfern an. Ich hab’s gesehen ... ganz oft ... als ich klein war. Es gedeiht gut in Indien, es sieht so hübsch aus, wenn die Mohnblumen mit den Köpfen nicken, so harmlos. Du würdest es nicht für möglich halten. Es gedeiht, wenn der Boden schön locker ist und mit Mist gedüngt und reichlich bewässert wird. Ich hab’ die Aussaat im November gesehen, und wenn im Januar die Samenkapseln so groß sind wie Hühnereier, ist es soweit.«

»Wovon sprichst du?«

»Man nennt es Opium. Das gibt es hier überall. Manche verkaufen es. Manche bauen es für sich selbst an. Sie rauchen es in ihren Pfeifen, und dann werden sie seltsam ... sehr seltsam.«

»Du meinst, sie sind berauscht? Erzähl mir mehr davon!«

»Das darf ich nicht. Es geht mich nichts an. Ich will nur nicht, daß meine Su-Su unter solche Leute kommt.«

»Du meinst Mrs. Freeling ...«

»Bitte, vergiß, was ich gesagt habe.«

»Du meinst, hier werden ... Orgien gefeiert. Ich muß es meinem Vater melden.«

»O nein, nein. Bitte nicht! Ich hätte nichts sagen sollen. Es war falsch von mir. Vergiß es, bitte!«

»Wie könnte ich? Du sagst, sie rauchen Opium. Das muß verboten werden.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Das gab es schon immer. Hier in den Dörfern ... Es ist so leicht anzubauen. Bitte, sprich nicht darüber. Nur, geh da nicht hin! Laß dich nicht verführen, es zu versuchen.«

»Mich verführen lassen? Niemals.«

»Ich hab’ sie hier gesehen. Sie benehmen sich seltsam. Ein Mann ist dabei. Er kommt oft her. Das ist der Teufelsdoktor. Er kauft Opium. Er nimmt es mit. Er beobachtet die Menschen und verführt sie. Ich glaub’, er ist ein Satan.«

Aha, dachte ich erleichtert, jetzt phantasiert sie. »Erzähl mir von dem Teufelsdoktor!« sagte ich.

»Er ist groß. Sein Haar ist schwarz wie die Nacht. Ich hab’ ihn einmal gesehen. Er trug einen schwarzen Mantel und einen schwarzen Hut.«

»Hört sich wirklich teuflisch an. Sag, hatte er einen Pferdefuß?«

»Ich glaub’ schon.«