Geht's noch? Betrachtungen eines Überforderten - Simon Schwarz - E-Book

Geht's noch? Betrachtungen eines Überforderten E-Book

Simon Schwarz

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Beschreibung

Simon Schwarz nimmt uns mit in sein Leben und seine Gedankenwelt. Als Teil einer Generation, die irgendwo zwischen dem Einfluss von »Atomkraft? Nein danke!« und den Influencern von Social Media taumelt, ist er vor allem eines: überfordert. Er sucht Antworten auf die Frage, wie wir eine bessere Nach-Welt hinterlassen können und taucht dafür in die unterschiedlichsten Winkel seiner Biographie ein. Entstanden ist eine Sammlung persönlicher Erinnerungen, Überlegungen und Beobachtungen, die uns als Gesellschaft betreffen – ergänzt mit Fotografien aus dem Fundus der Familie Schwarz sowie Szenen, die sich so (oder so ähnlich) tatsächlich abgespielt haben könnten. • TV-Erfolge u. a. mit der »Eberhofer-Krimi-Reihe« »Tatort«,»Wolf Haas Verfilmungen« • Vielseitiger Künstler in Kino, Theater, Kabarett und TV • Reichweitenstarker Podcaster »Schwarz & Rubey – Podcast Live!«

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Seitenzahl: 202

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch

Das Publikum kennt Simon Schwarz als Schauspieler und Kabarettist. Jetzt zeigt er sich von einer neuen Seite: als engagierter Aktivist für Umweltschutz.

Mit Offenheit und Humor blickt Simon Schwarz auf seine Kindheit und Jugend zurück. Einen besonderen Platz nimmt seine Mutter ein, deren unermüdliches Engagement für Umwelt und Gerechtigkeit ihn nachhaltig beeinflusst hat. Er erzählt von seiner heimlichen ›Droge‹ Kantwurst, von ›Frischluft-Demos‹ und von seinem Leben mit ADHS.

Heute engagiert er sich konsequent für eine lebenswerte Zukunft. Dabei verschweigt er nicht, dass er selbst oft an seine Grenzen stößt und im Alltag nicht immer so handelt, wie er es gerne möchte. Gerade diese Ehrlichkeit macht seine Haltung so glaubwürdig: Schwarz zeigt nicht nur auf, sondern setzt auf gemeinsames Handeln, das Veränderung möglich macht.

Ein Buch, das Mut macht, selbst aktiv zu werden.

Simon Schwarz

Geht’s noch?

Betrachtungen eines Überforderten

Aufgezeichnet von Ursel Nendzig

Gewidmetmeiner Mutter

Inhalt

Szene 1: Prolog

Szene 2: Generationen

Szene 3: Boden

Szene 4: Aktivismus

Szene 5: Auto

Szene 6: Hainburg

Szene 7: Feminismus

Szene 8: Politik

Szene 9: Denken

Szene 10: Ernährung

Szene 11: Verantwortung

Szene 12: Frust

Szene 13: Zukunft

Szene 14: Epilog

Anhang

It always seems impossibleuntil it‘s done.

Es erscheint immer unmöglich,bis es vollbracht ist.

Nelson Mandela

SZENE 1

Prolog

Wien – Café Sperl – ein sonniger Vormittag

Simon und Ursel sitzen sich an einem der kleinen Tische am Fenster gegenüber, vor ihnen ein Aufnahmegerät. Ursel bestellt einen Verlängerten. Da Simon nichts von sich gibt, fragt ihn der Kellner, ob er auch Kaffee möchte. Simon zieht ein angewidertes Gesicht.

SIMON

Ich trink keinen Kaffee.

URSEL

Warum trinkst du keinen Kaffee?

SIMON

Ich trinke nie Kaffee. Ich mag keinen Kaffee. Ich rieche ihn gern, aber ich mag ihn nicht. Ich finde das zwar schade, weil er so gut riecht, die Kaffeekultur mag ich total. Aber er schmeckt mit nicht. Mir schmeckt kein Kaffee.

Ich mag keinen Kaffee.

URSEL

Aha! Könnte es sein, dass du keinen Kaffee magst?

Beide lachen. Der Kellner steht leicht genervt neben dem Tisch.

KELLNER

(klackert mit seinem Kugelschreiber)

Wollen Sie jetzt was trinken oder nicht?

SIMON

Ja, bitte, sehr gern. Ein Soda Zitron.

KELLNER

Groß oder klein?

SIMON

Groß.

Der Kellner geht. Ursel drückt den Record-Knopf auf ihrem altmodischen Aufnahmegerät.

URSEL

Wie kam es eigentlich dazu, dass wir jetzt dieses Buch schreiben?

SIMON

Weil mein Freund Manuel schon einige Bücher geschrieben hat, kam von einer Hörerin unseres Podcasts die Frage, ob der Herr Schwarz nicht auch ein Buch schreiben möchte. Dann hab ich gesagt: Nein. Ich werd’ ganz sicher kein Buch schreiben. Ich hab ja nix zu erzählen. Und dass, wenn schon, dann das Einzige, was mich interessieren würde, ein Buch über Aktivismus und Klimaschutz über mehrere Generationen hinweg wäre.

URSEL

Weil deine Mutter Aktivistin war?

Der Kellner bringt die Getränke.

URSEL

Danke.

SIMON

Ah, danke. Genau. Und weil meine Tochter Geografische Wissenschaften studiert hat und jetzt ihren Master in Umweltwissenschaften macht, sich also definitiv beruflich mit Nachhaltigkeit beschäftigen wird. Zu meinem großen Stolz!

Und dann hab ich auch erzählt, dass ich schon einmal damit angefangen habe, eine Dokumentation über Boden zu schreiben und dass mich dieses Thema noch am ehesten interessieren würde.

Daraufhin haben sich mehrere Verlagsmenschen gemeldet, ob ich das ernst meine oder nicht. Und dann hab ich mich mit einer Verlagsdame getroffen. Und jetzt sitzen wir hier. Ich weiß auch nicht, ob das ein Fehler war oder nicht.

URSEL

Das werden wir schon sehen.

SIMON

Eine Prämisse war, dass ich das nicht allein machen muss. Weil ich mir unmöglich vorstellen kann, mich ein halbes Jahr lang hinzusetzen, mir die Zeit zu nehmen nachzudenken und ein Buch zu schreiben, neben meinem Job, und auch meine Familie zu vernachlässigen. Und deshalb war es mein Wunsch, dass jemand an meiner Seite ist, der die Struktur und die Erfahrung hat, so ein Projekt durchzuziehen.

URSEL

Und das soll wohl ich sein …

SIMON

Ja, du hast ja schon in der Vergangenheit komplizierte Inhalte von WissenschaftlerInnen verarbeitet, da wirst du es wohl auch mit einem Überforderten wie mir schaffen.

URSEL

Wieso eigentlich überfordert?

SIMON

Na, weil das Thema so unheimlich komplex ist, widersprüchlich, nicht schwarz-weiß. Und ich es spannend finde, es aus meiner privaten Perspektive zu erzählen. Ich bin jetzt 54 Jahre alt und seit ich auf der Welt bin, ist das Thema in meiner Familie präsent. Seit ich denken kann, geht es bei jeder Diskussion auch immer irgendwie um Aktivismus, Klima oder Umweltschutz.

Und weil ich das Gefühl hab, alle rund um mich, die in ihrem Umfeld nicht in dieser Form damit bombardiert worden sind, tun so, als wäre Klimaschutz etwas völlig Neues, das wir gerade entdecken! Und dann komme ich mir vor, als wäre ich auf einem anderen Planeten groß geworden.

URSEL

Verstehe.

Beide nippen an ihren Getränken, Ursel am Verlängerten, Simon am Soda Zitron.

URSEL

Also, wo fangen wir jetzt an?

SZENE 2

Generationen

Wien – belebte Einkaufsstraße – später Vormittag

Ein sonniger Tag. Geschäftiges Treiben. Simon geht die Straße entlang.

Ein Geschäft neben dem andern, die typische Auswahl an Läden, die man in allen Städten der Erde finden kann.

Gefühlt hängen in allen Schaufenstern die gleichen Kleidungsstücke.

Simon bleibt stehen.

SIMON

Geht´s noch?

Ich erinnere mich genau. Ich war auf der Mariahilfer Straße unterwegs, bin von der Neubaugasse kommend um die Ecke gebogen, hinunter Richtung Innenstadt. Und dort habe ich dieses Geschäft gesehen, leicht nach hinten versetzt, mit einem riesigen Schaufenster. Es ist eine Filiale der bekanntesten großen Modekette, die allein auf der populären Wiener Einkaufsstraße drei Filialen hat. Im riesigen Schaufenster hing ein ebenso riesiges Plakat. Und darauf das Foto einer jungen Frau, unter dem stand: Klimapionierin.

In bin stehen geblieben und habe über dieses Wort nachgedacht. Klimapionierin. Diese junge Frau – Vermutung: Influencerin – ist vielleicht Anfang zwanzig. Ich kenne sie nicht, ich bin nicht auf Social Media, ich habe sie auch nicht gegoogelt. Ich wusste nichts über sie, außer so viel: Dass sie ganz sicher keine Klimapionierin ist.

Wie soll jemand Pionierin, also Bahnbrecherin, Wegbereiterin, sein von etwas, das es schon seit so vielen Jahrzehnten gibt? Mindestens drei-, viermal so lange, wie sie lebt, setzen sich Menschen, Aktivisten und Aktivistinnen, auf der ganzen Welt fürs Klima und gegen die menschengemachte Klimakatastrophe ein. Pionierin, das war man auf dem Gebiet vielleicht vor fünfzig Jahren, und in der Wissenschaft noch nicht mal das, da ist der Klimawandel noch viel, viel länger ein Thema.

Bei mir hat dieser Gedanke einen Punkt getriggert. Schon die Behauptung, dass sie eine Klimapionierin sei, aber auch das Bild, das damit erzeugt wird. Als würden wir erst jetzt draufkommen, dass es Klimaschutz gibt und wie wichtig er ist.

Das Ganze dann noch dazu als Werbung für einen Konzern, der Fast Fashion quasi erfunden hat, der weit davon entfernt ist, irgendetwas Positives fürs Klima zu tun. Ganz egal, wie viele Influencerinnen sich als Klimapionierinnen bezeichnen und ihr Foto auf Plakaten in Schaufenster hängen lassen. Das reizte mich umso mehr. Wenn ich dran denke, wie ich als Kind und Jugendlicher die Sachen von meinem Bruder getragen habe, ganz selbstverständlich, wie es eben alle gemacht haben. Ganz selten bekam ich neue Sachen. Wie meine Mutter mir manchmal eine schicke Hose gekauft hat, wenn wir im Sommerurlaub in Italien waren. Es war für mich – und ich glaube, für die meisten meiner Generation – normal, nicht so viel Kleidung zu haben, und wenn, dann war diese von einer gewissen Qualität und konnte repariert werden. Mein Bruder und ich haben uns einen Schrank geteilt. Darin hatte auf zwei Kleiderstangen und in den beiden Fächern darunter das bissl Gewand, das wir besaßen, locker Platz.

Klimapioniere waren wir deshalb aber noch lange nicht.

Gerade wird „Underconsumption“ als Trend gehandelt: Weniger kaufen, die Dinge tragen, bis sie auseinanderfallen, sie dann reparieren und erst ersetzen, wenn sie wirklich nicht mehr zu retten sind. Ein Vorgehen, das eigentlich völlig normal sein sollte, wird jetzt als neuester Hype gefeiert. Und dass man dieses eigentlich völlig normale Konsumverhalten als „Underconsumption“, also „Unterkonsum“, darstellt, ist doch absolut seltsam.

Es gibt viele junge Leute – meine ältere Tochter gehört auch dazu –, die ganz bewusst einkaufen, wo immer es geht, secondhand einkaufen. Die vieles richtig machen. Aber das scheint nur eine kleinere Gruppe zu sein – denn der Modemarkt wächst und wächst und wächst. Wir haben genug Kleidung, um die nächsten sechs oder sieben Generationen einzukleiden, nur mit dem Zeug, das jetzt bereits existiert. Und trotzdem wird der globale Fast-Fashion-Markt in den nächsten Jahren jährlich nochmal um mehr als sieben Prozent wachsen. Sieben Prozent! Wenn ich als Privatperson am Konto oder am Wertpapier-Depot so ein Wachstum hätte!

Was auch vergessen wird: Selbst wenn man nur noch gebrauchte Kleidung kauft, ist es doch trotzdem so, dass man ständig etwas Neues anhat, ständig die Kleidung wechselt. Ich bin vor Kurzem von der Social-Media-Managerin des Podcasts, den ich gemeinsam mit meinem Freund Manuel mache, gefragt worden, ob ich denn noch einen anderen Pullover hätte.

In den Kommentaren der Höhrer*innen stand, das wäre langweilig, wenn ich immer dieselben zwei Pullis trage. Klar hab ich mehr Pullover, ich wechsle ja auch gern die Kleidung. Aber dass es anscheinend auffallend ist, dass jemand immer wieder einen geliebten Pulli trägt, macht mich doch nachdenklich.

Eine Winterjacke, eine Übergangsjacke – das war einmal. Heute hat jeder wohl zehn Jacken im Kasten hängen.

In meinem Kleiderschrank gibt es uralte Stücke, etwa eine Sportjacke, die ich mir mit 14 Jahren in London gekauft habe. Ich trage sie immer noch. Sie hat mir in manchen Phasen besser, in anderen nicht mehr so gut gepasst. Oder ein Sakko, das ich von meinem Vater bekommen habe. Ich habe es beim Schneider ändern lassen. Das sind Kleidungsstücke, die einfach niemals kaputt gehen. Die könnte ich nicht mal tragen, bis sie auseinanderfallen, selbst wenn ich wollte.

Schön und gut, dass es solche Stücke wohl in so gut wie jedem Kleiderschrank gibt. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Textilindustrie, die Billigmode, ja, die Wegwerfmode völlig außer Kontrolle geraten ist. Kleidung für sechs Generationen! Das ist mehr als ein Jahrhundert.

Der Secondhand-Markt allein wird dieses Problem nicht lösen, denn auch er lebt und wird gespeist vom Überkonsum. Auch dieser Markt wächst und wächst und wächst, er wächst mit dem First-hand-Markt mit. Und im Grunde profitiert er davon, dass wir es nicht schaffen, Lieferketten aufzudröseln und uns genau anzuschauen, wie groß das Leid am anderen Ende, wie schädlich das Ganze ist.

Ich weiß aus meiner Branche, dass es für Schauspielerinnen eigentlich unmöglich ist, bei zwei Filmpremieren hintereinander das gleiche Kleid zu tragen. Wer das tut, wer zwei Preise im gleichen Kleid entgegennimmt, hat garantiert eine Schlagzeile im Klatschmagazin – ob negativ oder positiv, Tatsache ist, es ist ein Thema.

Ich trage seit vielen Jahren immer den gleichen Smoking, ist noch nie jemandem aufgefallen. Aber ich bin halt auch ein Mann.

All diese Gedanken sind mir in dem Moment durch den Kopf gegangen, als ich dieses Plakat angeschaut habe. Und im Nachhinein kann ich auch sagen, warum es mich so beschäftigt hat: Weil es sich wie ein Angriff auf meine Generation anfühlt (Ich bin mir im Übrigen gar nicht sicher, zu welcher Generation ich gehöre. Ich bin grad und grad kein Boomer mehr, sondern gehöre anscheinend zur Generation X, wie auch immer.) – niemand in meinem Alter ist jedes Wochenende zum Mode-Supermarkt „shoppen“ gegangen. Wir haben keine billigen T-Shirts gekauft, für eine einzige Party. Das haben wir nicht gemacht. Und wenn man sich überlegt, was das an Ressourcen verbraucht, ist es auch völlig absurd.

Die Fast-Fashion-Konzerne sind meilenweit davon entfernt, etwas Positives fürs Klima zu tun, egal, was sie in ihren Kampagnen behaupten. Das Konzept dieser Unternehmen ist einfach: Geld machen mit billiger Mode. Wachsen, wachsen, wachsen, am liebsten nicht nur sieben, sondern acht, zehn, zwanzig Prozent im Jahr. Koste es, was es wolle.

Diese Kleidungsstücke, die wir konsumieren, die kann man ein bisschen fairer herstellen, keine Frage. Aber das Grundkonzept, dass viel zu viel um vieles zu billig hergestellt wird, das bleibt – und es wird niemals nachhaltig sein. Ich weiß, dass diese Konzerne überhaupt nicht grün sind. Mir ist das längst klar. Aber dann machen sie Werbung mit dem Wort Klimapionierin – und damit haben sie etwas in mir ausgelöst, das mich, ja, auch ein bisserl wütend gemacht hat.

Ich denke mir: Klimapionierin. Und dann denke ich an meine Mutter.

Sie war viele Jahrzehnte lang Aktivistin und glühende Umweltschützerin. Sie hat in ihren achtzig Lebensjahren wahrscheinlich weniger CO2 verbraucht als die „Klimapionierin“ auf dem Plakat mit ihren zwanzig. (Mag sein, dass ich ihr persönlich damit unrecht tue, aber ich bin davon überzeugt, dass es viele Zwanzigjährige gibt, die in ihrem kurzen Leben mehr CO2 verbraucht haben als meine Mutter, die schon viermal so lange mit ihrem analogen Lebensstil lebt. Vielleicht macht das meine Mutter immer noch zur Aktivistin.)

Meine Mutter ist Jahrgang 1939 und damit ein Kriegskind. Sie ist in einem zerstörten Land aufgewachsen, in einer Zeit, in der es an buchstäblich allem gefehlt hat. Die Väter haben gefehlt, die Mütter waren traumatisiert. Sie gehört einer Generation an, die extrem diszipliniert sein musste, um das alles auszugleichen, aufzuholen, zu schauen, dass alles weitergeht und besser wird. Sie gehört damit aber auch einer Generation an, für die im Lauf ihres Lebens eigentlich alles besser geworden ist. Sie ist noch vor den Boomern geboren. Mit der Boomer-Generation, die kurz danach kam, war es aber genau das Gleiche: Je älter sie wurden, desto besser wurde alles.

Die Boomer waren einerseits eigentlich die Erfinder von Fast Fashion, von schnellen, dicken Autos und billigen Flugreisen. Sie sind zwar nicht mit Wegwerfmode aufgewachsen, haben sie aber erfunden. Sie sind zwar nicht in großen Einfamilienhäusern aufgewachsen, haben aber die massive Bodenversiegelung mit verschuldet. Und sie sind andererseits eine Generation, die viel weniger Ressourcen verbraucht hat als die aktuell junge. Die Kleidung bis zum Zerfallen aufgetragen hat, die zur Sommerfrische mit dem Rad zum Neusiedlersee gefahren ist. Eine Generation jedenfalls, die jetzt unter Generalverdacht steht, den Planeten zerstört und es nicht einmal mitbekommen zu haben.

Diesen Gedanken, dass daran etwas nicht stimmt, habe ich nie vergessen, im Gegenteil. Es hat immer weiter in mir gearbeitet. Diese Behauptung, dass eine Generation, schlimmer: ein Konzern, jetzt endlich erkannt haben will, das etwas falsch läuft. Sagt: Wir sind die Pioniere und wir ziehen den Karren aus dem Dreck, den die Generationen davor dort versenkt haben. Sie sagen: Ihr habt alles kaputt gemacht! Mir kommt vor, völlig unreflektiert. Das finde ich – schwierig.

Und ja, ich sehe auch, dass dieser jungen Generation gar nichts anderes übrig bleibt. Sie sind so auf die Welt gekommen. Bei ihrer Geburt hatten sie schon einen höheren CO2-Abdruck als ein Kind in den Siebzigern. Es ist nicht zu vermeiden und ich werfe ihnen das auch nicht direkt vor. Was ich ihnen aber vorwerfe, ist, dass sie es für sich in Anspruch nehmen, die Generation zu sein, die den Klimaschutz entdeckt hat.

Ich bin als Sohn einer Aktivistin aufgewachsen, während die Boomer die Welt gebaut haben, wie sie ihnen gefällt. Und das hat meine Sicht auf die Dinge entscheidend geprägt. Meine Mutter hat die „Mütter gegen Atomkraft“ gegründet, als Reaktion auf ein konkretes Problem, nämlich das Kraftwerk in Zwentendorf1. Sie wollten verhindern, dass das in Betrieb geht. Das war ihr Ziel. Klimaschutz und Bodenschutz sind Themen, die damit wie selbstverständlich zusammenhängen und mit der Anti-Atomkraft-Haltung, die im Mittelpunkt stand, mitgegangen sind.

Die „Mütter gegen Atomkraft“ waren sehr breit aufgestellt, ein homogen durchmischter Haufen. Das war nicht nur eine Bewegung der Intellektuellen, kein reiner Studentenprotest, keine ausschließliche Arbeiterinnenbewegung, sondern ein Querschnitt durch alle Gesellschaftsschichten. Es waren im Übrigen auch Nicht-Mütter dabei. Ihr Aktivismus war keine reine Frage des Status, sondern der Zeit und der Generation. Sie alle hatten ein drängendes Problem und wollten eine Veränderung – für ihre eigene Generation und die Generationen nach ihnen.

Meine ältere Tochter gehört der gleichen Generation an wie die Influencerin auf dem Werbeplakat. Sie ist wahrscheinlich sogar etwas jünger. Sie studierte Geografische Wissenschaften, weil sie etwas ändern wollte. Sie möchte im Umweltschutz etwas bewegen, mit der Natur arbeiten, aber nicht auf einer ausbeuterischen, sondern einer nachhaltigen Ebene. Warum macht sie das eigentlich?, frage ich mich. Hat es damit zu tun, wie sie erzogen wurde? Hat es damit zu tun, dass diese Generation jetzt auf den Nachhaltigkeits-Zug aufspringt, in letzter Minute quasi? Was ist ihr Beweggrund?

Hat das auch etwas mit ihrer Aktivistinnen-Großmutter zu tun?

Da sind wir nun drei Generationen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Meine Mutter als Aktivistin. Ich, der das von Anfang an sprichwörtlich mit der Muttermilch aufgesogen hat. Und meine ältere Tochter, die sich dem Ganzen wissenschaftlich nähert. Drei Generationen. Ein halbes Jahrhundert, in dem das Thema immer da war. Ein halbes Jahrhundert, in dem sich eigentlich nichts verändert hat.

Ich, familiär quasi eingezwickt zwischen zwei Generationen von Aktivistinnen, stehe da, bin überfordert – und frage mich: Warum hat sich nichts verändert, wenn schon so lange dafür gekämpft, darüber gesprochen und so viel Evidenz darüber angesammelt wurde?

Die Grünen wurden gegründet, Naturschutzorganisationen, Protestbewegungen. Sind wir erst jetzt draufgekommen, was passiert? Haben wir die letzten Jahrzehnte nicht zugehört?

Drei Generationen. Und wir nehmen diese Berechnungen über Hitzetage, Bodenversiegelung oder Extremwetterereignisse immer noch als normal ablaufende Phänomene wahr: Es wird immer wärmer. So ist es halt. So war es ja schon ein paar Mal in der Geschichte. Aber das stimmt ja nicht, das sind Narrative, die in diesen fünfzig Jahren aufgebaut wurden.

Wir sind dem Streben nach Wachstum erlegen, weil wir alles haben wollen, getrieben von dem Wunsch, dass es uns besser gehen soll als unseren Eltern – und es unseren Kindern besser gehen soll als uns. „Besser“, das bedeutet für uns „mehr“. Dabei schließe ich mich nicht aus, wie könnte ich. Auch ich habe mir Outdoor-Mode gekauft, als es hieß: Wir müssen wieder raus in die Natur und sie schützen. Und die Wirtschaft sofort auf den Trend aufgesprungen ist und uns mit allem Equipment versorgt hat, das wir brauchen, um es im Wald gut und schön zu haben. Jetzt habe ich meine fünf Hosen zu Hause, weil sie immer neue Materialien entwickelt haben, bis endlich kein Moskitostich mehr durch die Hose ging. Die Marktforschung ist nicht blöd – und das Wirtschaftswachstum steht über allem.

Ich weiß nicht, ob durch die gebrauchten Militärhosen, die ich damals so gerne getragen habe, Moskitostiche gegangen sind. Wahrscheinlich nicht.

Es ist kompliziert.

Greenpeace Protest gegen Textilmüll aus der Fast Fashion

SZENE 3

Boden

Wien – Wohnzimmer der Familie Schwarz – Nachmittag

Simon (15 Jahre alt) sitzt gebannt vor dem kleinen Fernseher im Wohnzimmer seiner elterlichen Wohnung, die Augen weit aufgerissen. Auf dem Bildschirm läuft FS1, eine Sondersendung.

In Schwarz-Weiß ist das zu sehen, was vom ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl2 nach der Explosion noch übrig ist.

SIMON

Und was heißt das jetzt?

MUTTER

Dass wir heuer keine Erdäpfel aus dem Mühlviertel kaufen.

Nach Tschernobyl war der Boden kaputt. In manchen Regionen mehr, in anderen weniger, je nachdem, wohin die Wolken mit dem radioaktiven Niederschlag gezogen sind. Manche Menschen hatten Pech, dass es zu der Zeit, als die Wolke über ihnen vorbeigezogen ist, ausgerechnet geregnet hat. Ich weiß noch, wie sehr mich das beschäftigt hat und wie mir plötzlich klar wurde, wie schnell der Boden kaputt gehen kann, so etwas Solides. Das war prägend für mich.

Boden, das ist etwas, das wir als gegeben hinnehmen. Es ist auch etwas, worüber wir viel zu selten reden, wahrscheinlich weil er uns so selbstverständlich, allgegenwärtig und immerwährend vorkommt. Wir haben ihn direkt unter den Füßen und nehmen ihn doch kaum wahr. Wir achten nicht darauf – denn täten wir das, würden wir nicht so leichtfertig mit dem Boden umgehen. Wir trampeln im wahrsten Sinn des Wortes auf ihm herum.

Und dann, wenn so etwas wie radioaktiver Niederschlag kommt, merken wir erst, was das bedeutet, wenn der Boden von heute auf morgen eben nicht mehr gut ist. Es muss noch nicht einmal so etwas – zum Glück – Außergewöhnliches wie radioaktiver Regen sein. Wir Menschen waren kreativ genug, uns zig Möglichkeiten zu überlegen, auf schnellste Art den Boden zu zerstören.

In meiner Kindheit gab es in Wien noch keine Bioländen. Der erste Bioladen, an den ich mich erinnern kann, das war eigentlich nicht viel mehr als das Lager eines Kellerlokals. Im Boden des Kellerlokals gab es eine Luke, die man öffnen konnte. Dann ist man hinuntergestiegen in den eigentlichen Lagerraum. Da lag das Gemüse in Steigen, in riesigen Netzen wurden Kartoffeln, Rüben und so weiter gelagert. Diese Säcke standen da im Lager herum, andere Dinge wurden mit Sand bedeckt gelagert. Dann gab es noch Regale mit ein paar Konserven. Und: Tartex Tofu aus der Metalltube. Ein Aufstrich, den ich mir aufs Brot geschmiert habe und der, glaube ich, der Grund dafür ist, dass ich diesen klassischen Tofu-Geschmack liebe, den die meisten Leute hassen. Dieser Laden jedenfalls, das war kein Laden im eigentlichen Sinne, sondern eher ein Verein, der sich selbst organisiert hat; heute würde man sagen: Food Coop.

Dort haben wir unser Gemüse eingekauft. Und einmal im Jahr, vor dem Winter, sind wir nach Oberösterreich gefahren. Meine Eltern kommen beide aus Oberösterreich. Und wir sind ins Mühlviertel zu einem Bauernhof gefahren und haben uns eingedeckt mit all dem Gemüse, das wir so brauchten. Das haben wir dann im Keller in unserem Wohnhaus im 2. Bezirk in Wien eingelagert. Der Hof war tatsächlich „bio“ – so viele von dieser Sorte gab es damals noch nicht. Aber ein paar haben zu dieser Zeit schon gesagt: Wir müssen unsere Böden umstellen, weil der Ertrag so langfristig höher wird, wenn wir Biolandwirtschaft betreiben. Sie hatten kaum Unterstützung, viel Gegenwind und galten als „Spinner“.

Simon im Glück: In Kontakt mit der Natur

Meine Mutter war fest davon überzeugt, dass das „gespritzte“, sogenannte „konventionelle“ Gemüse ungesund ist. Es war damals ja schon klar, dass die Pestizide, die auf die Felder gesprüht wurden, nicht gesund für uns sind. Sie selbst ist zwar keine Biologin (sie hat Germanistik und Kunstgeschichte studiert), aber in der Anti-Atomkraftbewegung, in der sie unterwegs war, gab es viele Naturwissenschaftler*innen, Biolog*innen, mit denen sie verkehrt hat. Und von denen wusste sie, dass die ganzen Pestizide, die damals ja auch noch hardcore waren, die Böden einfach kaputt machen.

Es gab damals einige Bauern und Bäuerinnen – ich würde sagen, das waren die Ersten, die sich als Biobauern oder -bäuerinnen bezeichnet haben –, die nicht das billige Saatgut nehmen wollten, das ihnen vom Bauernbund oder vom Lagerhaus verkauft wurde, damit sie dann Geld für den Traktor bekamen und so weiter. Die haben da nicht mitgemacht, die wollten ihr eigenes Saatgut herstellen, wie es seit Tausenden von Jahren gemacht wurde. Bevor die Abhängigkeiten von riesigen Saatgutproduzenten entstanden sind.

Der Spruch „Auf eine Generation erfolgreicher Bauern folgt eine Generation armer Bauern“ hängt unmittelbar damit zusammen, dass eine Generation den Boden komplett auslaugt mit Pestiziden, ihn offen lässt und der Erosion durch Wind und Wasser preisgibt oder verdichtet. Und dann muss der Boden erst wieder locker gemacht, Stickstoff eingebracht werden, damit dieser verarmte Boden, der kein Wasser mehr aufnehmen kann und dem bei jedem Regen der Humus weggewaschen wird, wieder irgendetwas hergibt.

Was mich dabei besonders fasziniert (und gleichzeitig bekümmert), ist, wie viel es braucht, damit ein Boden gut wird – vor allem Zeit. Bis ein Zentimeter Humus entsteht, also das Endprodukt der organischen Zersetzung, wenn man so will, die Summe aller organischer Substanz des Bodens, dauert es mehrere Jahrzehnte bis zu einem Jahrhundert. Dabei kommt es auch auf den Standort an – Wald- und Wiesenboden braucht am längsten. Unter komplett natürlichen Bedingungen dauert es 100 bis 140 Jahre, damit ein Zentimeter guter Wald- oder Wiesenboden entsteht. In der konventionellen Landwirtschaft, bei intensiver Bewirtschaftung, braucht es 20 bis 100 Jahre. Und in der generativen Landwirtschaft, wo es speziell darum geht, die Bodengesundheit zu fördern, dauert es immer noch bis zu 20 Jahre. Eine ganze Generation. Für einen Zentimeter guten Boden.