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Huang-po (jap. Ôbaku, gest. 850) war einer der größten chinesischen Chan-Meister und Lehrer von Linji (jap. Rinzai). Schon in jungen Jahren trat er in ein Kloster ein, seine wichtigsten Lehrer wurden Pai-chang und Nan-ch'üan. Huang-pos Lehre vom Einen Geist soll den Schüler zur unmittelbaren Erkenntnis der Wahrheit führen, ohne dass gedankliche Konzepte oder Gefühle im Weg stehen. Der Staatsdiener P’ei-Hsiu zeichnete seine Lehren (in Chung-ling und Wan-ling) auf. Sie bestehen aus Dialogen mit Schülern, Anekdoten und Unterweisungen des Zen-Meisters. Wir legen hiermit eine neue Übersetzung dieses Klassikers vor.
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Seitenzahl: 77
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Einleitung
Vorwort von P’ei Hsiu
Aufzeichnungen aus Chung-ling
Aufzeichnungen aus Wang-ling
Gâtha von P’ei Hsiu
Nachschrift
Huang-po Hsi-yün (Huangbo Xiyun, jap. Ôbaku Kiun, gest. 850) war einer der größten chinesischen Chan-Meister und Lehrer von Lin-chi I-hsüan (jap. Rinzai Gigen). Schon in jungen Jahren trat er in ein Kloster ein, sein wichtigster Lehrer wurde Paichang Huai-hai.
Dieser Hsi-yün („der Rastlose“) vom Berg Huang-po (einem Hügel mit Bäumen, deren Rinde gelb ist), war ein Vertreter der Hungchou Schule, im Gegensatz zur damals einflussreichsten Chan-Schule der Ho-tse. Er stammte aus Fu-chou in der heutigen Provinz Fukien.
Huang-pos Lehre vom Einen GEIST soll den Schüler zur unmittelbaren und individuellen Erkenntnis der Wahrheit führen, ohne dass gedankliche Konzepte oder Gefühle im Weg stehen. Der Staatsdiener P’ei Hsiu zeichnete seine Lehren (in Chung-ling und Wan-ling) auf. Sie bestehen aus Dialogen mit Schülern, Anekdoten und Unterweisungen des Zen-Meisters.
P’ei Hsiu kam 842 mit richterlichen Befugnissen nach Chung-ling, um Revolten im Keim zu ersticken. Er hörte von Huang-po und brachte ihn in Chung-ling in einem großen Kloster unter, wo er zu dessen Schüler wurde. Bei der späteren Begegnung war er bereits Kriegsminister. Er soll auch Grabinschriften, u. a. für Tsung-mi, verfasst haben.
Wahrer Dharma und Buddha sind für Huang-po identisch mit ursprünglichem, reinen GEIST. [Wir folgen hier der Schreibweise des Dharma-Lehrers Lok To, der diesen GEIST in seiner Übersetzung groß schrieb, den gewöhnlichen Gedankenapparat „Geist“ jedoch klein.1] Wer den Dharma in Worten zu erfassen suche, würde ihn nicht erlangen.
Huang-po bezieht sich aufs Lotus- und Vimalakîrti-Sutra. Die Gegenwart des GEISTES (hsin-ti) in allen Wesen lehnt sich ans Lankâvatâra-Sutra an. Von dort stammt auch seine Unterscheidung der icchantika, Menschen, denen keine Einsicht möglich sei: Die erste Art (tuan-shan-ken chan-t’i) glaubt nicht an die Buddha-Früchte und hat die Wurzeln ihrer Güte abgeschnitten; die zweite Art (shan-ken chan-t’i) beschreibt Bodhisattvas, die an den Dharma glauben, aber dafür blind sind, dass sich die Fahrzeuge unterscheiden und dass Buddhas und fühlende Wesen dieselbe Natur haben – dies sind die icchantika der guten Wurzeln.
Huang-po setzt den Dharmakâya als Essenz aller „Buddha-Körper“ mit der Selbst-Natur der Wesen gleich; er sei der „wahre Buddha“. Das „höchste Fahrzeug“ sei das des Einen GEISTES. Der Buddha habe aufgrund der mangelnden Auffassungsgabe seiner Zuhörer mit seinen Reden „geschickte Mittel“ gewählt, um sie der letzten Wahrheit näherzubringen. Diese Überlieferung gäbe jedoch nicht die eigentliche Tiefe von Buddhas Erkenntnis wieder.
Es gibt vier Versionen unserer Texte: zwei von P’ei Hsiu, die die Einteilung in Chün chou- und Wan-ling lu-Abschnitte enthalten, wobei der zweite Abschnitt in der ersten Version (T. 48, Nr. 2012A und 2012B) deutlich kürzer ausfällt. Die älteste Fassung in T. 51, Nr. 2076 stammt aus dem Ching-te ch’uan-teng lu, dem sie im Jahr 1004, also knapp 150 Jahre nach Huangpos Tod, hinzugefügt wurde. Der zweite Abschnitt der anderen beiden Versionen fehlt dort ganz, der erste ist kürzer als dort. Dagegen fehlt in einer weiteren Version, die sich im Ku-tsun su-yü lu findet, das Vorwort von P’ei Hsiu und der erste Abschnitt, während der zweite Abschnitt noch kürzer als der im Ching-te ch’uan-teng lu ausfällt. Diese Fassung dürfte ca. 1271 entstanden sein. Die englischen Fassungen von John Blofeld, die bisher ins Deutsche übersetzt wurden, orientieren sich an der zweiten (ausführlichen) Version von P’ei Hsiu, während die von Charles Luk (und deren deutsche Übersetzung von Raoul von Muralt) die letztgenannte Version benutzte, Walter Liebenthal die drittgenannte.
Wir legen nun eine neue Übersetzung der langen Version vor.
G. K.
1 Lok To: The Dharma of Mind Transmission. Zen-Teachings of Huang-po (New York 1985). Eine interessante Dissertation zu diesem Text schrieb Albert Franklin Welter: Huang-po’s Notion of Mind (Hamilton/Ontario 1978).
Der große Chan-Meister, dessen Dharma-Name Hsi Yun war, wohnte unterhalb des Geiergipfels auf dem Berg Huang-po, der sich im Bezirk Kao-An in Hung-Chou befindet. Er war der Hauptschüler von Ts’ao-Ch’i, dem sechsten Patriarchen, und der Dharma-Erbe von Pai-Chang. Er bewunderte das Höchste Mahâyâna-Fahrzeug und besiegelte es ohne Worte, indem er nur die Übertragung des GEISTES lehrte, aber keinen wie auch immer gearteten Dharma. Er hielt GEIST und Essenz für leer und die gegenseitigen Beziehungen der Phänomene für bewegungslos. Demnach ist alles in Wirklichkeit leer und still wie das strahlende Licht der großen Sonne am Himmel, die leuchtend und rein für die ganze Welt scheint. Wenn jemand ein solches Verständnis erlangt hat, dann hält er an keinem gedanklichen Konzept von Gegensätzen mehr fest, etwa neu gegen alt oder flach gegen tief. Wenn jemand ein solches Verständnis erlangt hat, dann versucht er es nicht zu erklären, noch hält er an parteiischen Ansichten fest, was bestimmte Schulen angeht. Selbst einen einzigen Gedanken auftauchen zu lassen ist also falsch. Huang-po machte klar, dass der tiefe Sinn hinter Worten das subtile Tao ist, dessen Wirken verborgen und gleichmäßig geschieht.
Aus allen vier Richtungen kamen zahlreiche Schüler zu ihm. Die meisten von ihnen erwachten bereits beim ersten Anblick des Meisters. Gewöhnlich hatte er stets mehr als tausend Schüler um sich geschart.
Im zweiten Jahr des Hui-Ch’ang (842) hielt ich mich in Chung-Ling auf und bat den Meister, vom Berg hinab in die Stadt zu kommen. Während wir beide im Lung-Hsing-Tempel weilten, bat ich den Meister jeden Tag darum, mir seine Lehre zu vermitteln. Im zweiten Jahr des Ta-Chung (848) hielt ich mich in Wan-Ling auf und bat den Meister erneut in die Stadt. Dort weilten wir gemeinsam im K’ai-Yuan-Tempel, und ich empfing täglich die Lehre des Meisters. Ein paar Jahre später zeichnete ich diese auf, konnte mich jedoch nur an einen kleinen Teil erinnern. Dennoch halte ich das, was ich im Folgenden notiert habe, für das echte Dharma des GEIST-Siegels. Anfangs hatte ich Bedenken, diese Lehre bekannt zu machen; dann aber fürchtete ich, dass künftige Wahrheitssucher nichts von dieser wundervollen und tiefgründigen Lehre erführen, und entschied mich, sie zu veröffentlichen.
Mit diesem Gedanken sandte ich das Manuskript an Tai-Chou Fa-Chien, einen Schüler des Meisters, mit der Bitte, in den Kuang-T’ang-Tempel auf dem alten Berg zurückzukehren und meine Aufzeichnungen mit gewissen älteren Mönchen und anderen Sangha-Mitgliedern zu besprechen; sie sollten feststellen, inwieweit meine Notizen mit dem übereinstimmten, was sie selbst vom Meister gehört und gelernt hatten.
Am achten Tag des zehnten Mondes im elften Jahr des Ta-Chung, Tang-Dynastie (857)
Die Buddhas und fühlenden Wesen sind allesamt nicht verschieden vom Einen GEIST. In diesem Einen GEIST gibt es kein Entstehen oder Vergehen, keinen Namen und keine Form, kein lang oder kurz, kein groß oder klein und weder Existenz noch Nicht-Existenz. Er überschreitet alle Einschränkungen von Namen, Worten und Bedingtheit, und er ist grenzenlos wie die große Leere. Gedanken entstehen zu lassen ist abwegig, und jede Spekulation mithilfe unserer gewöhnlichen Fähigkeiten ist ungeeignet, unbedeutend und unzutreffend. Nur GEIST ist Buddha, Buddhas und fühlende Wesen sind nicht verschieden. Nutzt man Buddha, um Buddha zu suchen, so verwendet man den Geist, um GEIST zu suchen: Selbst wenn man so bis ans Ende der Zeiten übte, könnte man die Frucht nicht erlangen. Wenn jedoch Denken und Unterscheiden plötzlich zum Stillstand kommen, dann erscheinen die Buddhas.
Der GEIST ist Buddha, und Buddha ist von fühlenden Wesen nicht verschieden. Der GEIST fühlender Wesen nimmt nicht ab, der GEIST Buddhas nimmt nicht zu. Die sechs Tugenden und alle Verhaltensregeln, die so zahllos wie die Sandkörner des Ganges sind, gehören zum eigenen Geist. Darum gibt es keinen Grund, außerhalb von sich selbst zu suchen, um sie zu erschaffen. Wenn Ursachen und Bedingungen zusammenkommen, werden sie erscheinen; wenn Ursachen und Bedingungen sich trennen, verschwinden sie. Wenn einer also nicht versteht, dass sein eigener GEIST selbst Buddha ist, dann wird er bloß die äußere Form der Übung erfassen und noch mehr Verwirrung erzeugen. Ein solcher Ansatz stellt genau das Gegenteil des wahren buddhistischen Übungsweges dar. Nur dieser GEIST allein ist Buddha, nichts anderes!
Der GEIST ist durchsichtig und ohne Form. Gedanken und Unterscheiden entstehen zu lassen bedeutet Ergreifen und widerspricht dem natürlichen Dharma. Seit anfangsloser Zeit gab es keinen ergreifenden Buddha. Die Übung der sechs Tugenden und anderer Vorschriften gilt als allmähliche Methode, ein Buddha zu werden. Diese stufenweise Übung ist ein Nebengedanke, der nicht den vollständigen Pfad zum Erwachen darstellt. Wenn einer nicht versteht, dass sein eigener GEIST Buddha ist, dann wird er überhaupt keinen Dharma erlangen.
Die Buddhas und fühlenden Wesen besitzen den gleichen wesentlichen GEIST, der die Natur wahrer Leere weder vermischt noch aufteilt. Wenn die Sonne in die vier Richtungen scheint, wird die Welt hell, doch wahre Leere ist niemals hell. Wenn die Sonne untergeht, wird die Welt dunkel, doch wahre Leere ist niemals dunkel. Die Bereiche von hell und dunkel zerstören einander, doch die Natur der Leere ist klar und ungetrübt. Der Wahre GEIST von Buddhas und fühlenden Wesen ist von derselben Natur.
Wenn jemand meint, der Buddha sei rein, strahlend und befreit, die fühlenden Wesen aber schmutzig, dunkel und im Zyklus des Seins (samsâra) verstrickt, und wenn jemand auf Grundlage dieser Ansicht praktiziert, dann wird er niemals Erwachen (bodhi) erlangen, selbst wenn er so unzählige Zeitalter wie Sandkörner des Ganges überdauert. Was sowohl für Buddhas als auch für fühlende Wesen existiert, ist der unbedingte GEIST (asamskrta citta),