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Fleur Sakura Wöss

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Beschreibung

Vom Schweigen zum Reden

Gelassenheit, Authentizität und Klarheit sind die Schlüssel für einen souveränen Auftritt. Einer der Wege dazu ist Meditation. Aus der dadurch gewonnenen inneren Ruhe und lebendigen Präsenz resultieren Selbstbewusstsein und überzeugendes Auftreten. Mit vielen Beispielen aus ihrem Leben zeigt Fleur Sakura Wöss den Weg vom Schweigen zum Reden.

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Seitenzahl: 257

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Das Buch

Klare Botschaften und sich seiner selbst gewiss sein – das sind die wichtigsten Voraussetzungen für gelassenes, souveränes Auftreten in jeder Situation. Mehr als technische Finessen zählen dabei ruhige Konzentration im Moment des Redens und der Wille, sich selbst zu zeigen.

Fleur Sakura Wöss wurde vom schüchternen Mädchen zur mitreißenden Rednerin und zum Coach für andere. Auf diese ganz persönliche Entwicklungsreise nimmt sie wie in ihrem Bestseller Innehalten – Zen üben, Atem holen, Kraft schöpfen ihre Leserinnen und Leser mit und ermutigt sie, den Weg zum guten Reden als Weg zu einer starken Persönlichkeit zu begreifen.

Die Autorin

Dr. Fleur Sakura Wöss, geboren in Tokio, ist Profi-Rednerin, Vortragscoach und Zen-Lehrerin. Sie ist gleichermaßen in der Meditation und auf der Rednerbühne zu Hause. 2006 gründete sie das Zen-Zentrum Mishoan in Wien und 2008 das Österreich-Chapter der German Speakers Association (GSA).

www.fleurwoess.comwww.mishoan.at

Fleur Sakura Wöss

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MeditierenRedenÜberzeugen

Kösel

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Copyright © 2019 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: Weiss Werkstatt München

Umschlagmotiv: © plainpicture / Benjamin Harte | BildNR. p1228m1094397

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-23642-7V001

www.koesel.de

INHALT

Ausgangspunkt

Wie ich Rednerin wurde

Wer das Wort hat, hat die Macht

Den Weg beginnen

Wozu überhaupt sprechen?

Anerkennung

Karriere

Die Zuhörer

Speaker: Die Welt der großen Bühne

Die Zauberformel »Drei«

Die Drei schafft Ordnung

Wenn die Teetasse voll ist: Klarer Kopf – klarer Vortrag

Nachbereitung ist Vorbereitung

Worte, Sein und Tun

Worte sind Nahrung

Worte brauchen Tiefe

Damit alle den leuchtenden Mond aufgehen sehen

Heimat finden im Körper

Mein langer Weg zur Stimme

Hara – dort, wo die Mitte ist

Die Grammatik der Füße

Über das Gehen neu Sprechen lernen

Tempo oder Träumelinchen

Ihr eigenes Tempo

Freude der Kinder, »Müssen« der Erwachsenen

Vom Vergnügen zur Pflicht: Üben, Üben, Üben

Die Auftritts-Karate-Kata

Ihr Auftritt: Lange geübt – jetzt macht es Spaß

Was Räume erzählen

Der Ort transportiert die Botschaft mit

Mein Raum!

Sich in den Raum hinein ausdehnen

Der Auftritt

Auf dem Weg zum Vertrauen in den Moment

Von Tausendfüßlern und einem grausamen Samurai

Getrenntheit überwinden und Verbundenheit erleben

Den Grand Canyon überschreiten

Das Publikum lieben

Nachwort

Anmerkungen

AUSGANGSPUNKT

Wie ich Rednerin wurde

Ich war klein, schüchtern und sensibel. Schon ein Windhauch von Kritik und eine leicht gehobene Augenbraue ließen meine Magennerven flattern. Aber ich hatte in meiner Familie etwas gelernt. Ich erinnere mich unzähliger Abende, an denen wir zu fünft um den Esstisch saßen. Mein Vater an der Stirnseite des Tisches hatte immer das erste Wort. Sobald die Suppe gegessen war, holte er zum Witz aus: »Kennt ihr den?« Dann folgte eine – angeblich – wahre Begebenheit aus Musikerkreisen. Mich hätte er nicht fragen müssen, denn ich hatte sie alle schon oft gehört. Auch meine Brüder wussten Bescheid. Meine Mutter, seit Jahrzehnten an seiner Seite, tat jedes Mal so, als ob sie den Witz zum ersten Mal hörte. Sie sah ihn bewundernd an, ihr Kopf kippte nach der Pointe seitlich nach hinten, und dabei lachte sie aus vollem Herzen. Mein Vater stimmte in ihr Gelächter ein und amüsierte sich königlich.

War das Lachen abgeebbt, war meine Mutter an der Reihe. Sie stellte oft eine gewichtige Frage zur Diskussion, denn sie machte sich über vieles ernsthafte Gedanken. Ein Problem, das sie häufig aufbrachte, war: Ist es gerecht, dass Millionen Sklaven bei der Arbeit an den ägyptischen Pyramiden sterben mussten, nur damit wir heute diese Kunstwerke bewundern können? Darf man Menschenleben für eine höhere Sache opfern? Das erhitzte die Köpfe, denn es stand dabei immer zwei gegen zwei. Zwei, die jahrtausendealte Kunstwerke über die Plackerei der Sklaven stellten, und zwei, für die jedes Menschenleben über kulturellen Errungenschaften stand. Ähnliche Diskussionen wurden in den Pausen nach der Suppe bis zum Kaffee und Dessert geführt. Öffnete sich mal eine klitzekleine Redepause, zwängte sich schnell mein Bruder Werner in die Lücke, damals Regisseur am Theater, und erzählte die aktuellsten Anekdoten aus der Schauspielwelt. Und dann war da noch mein Bruder Wolfgang, der unvermittelt und oft ohne Zusammenhang eine Frage aus der Astronomie in die Runde warf: »Wisst ihr, wie viele Kilometer es von der Erde zum Mond sind?«, und der sich freute, wenn er der Einzige war, der die Antwort wusste.

Heute erkenne ich, wie Redesituationen die Dynamik innerhalb einer Familie widerspiegeln. Der Vater am Vorsitz hatte das erste Wort und damit die Macht. Jeder in der Runde war gezwungen zuzuhören. Bruder Werner war der Herausforderer. Er versuchte, den Vater zu übertrumpfen, indem er frische Witze direkt aus dem Mund der größten Publikumslieblinge aus dem Wiener Josefstadt-Theater servierte. Die Mutter versuchte, auszugleichen und die gespannte Atmosphäre durch sachliche Themen in ein ruhigeres Fahrwasser zu bringen. Der zweite Bruder Wolfgang schnappte – als Naturwissenschaftler im Abseits – immer wieder zwischendurch nach dem letzten Zipfel an Aufmerksamkeit. Und ich als Jüngste kam nie zu Wort – doch zuzuhören lernte ich.

Über die Jahre entwickelte ich ein feines Gespür für Untertöne und bedrohliche Situationen. Schweigend fühlte ich mich wohl, schweigend saß ich wie eine Zimmerpflanze im Schatten der Vielredner, still und oft unterschätzt. Die wenigen Male, da ich um meine Meinung gefragt wurde, schlug mein Herz bis zum Hals, und mein Hirn setzte aus. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, wenn ich bemerkte, dass sich die Rollen umdrehen sollten: die anderen als Zuhörer und ich als Sprecherin.

Wer das Wort hat, hat die Macht

Als ich 16 Jahre alt war, fuhr ich als Stipendiatin an die Westküste der USA. Die Familie, bei der ich wohnte, verbesserte geduldig mein holpriges Englisch und führte mich in den »American Way of Life« ein. Sie fuhren mich mit ihrem schaukelnden Cadillac metallisé zur Einschreibung in die Schule und zum ersten Footballspiel. Schnell lernte ich die toleranten und freundlichen Kalifornier lieben.

Wenige Wochen nach meiner Ankunft saß ich am Morgen bei meiner Schüssel Cornflakes, als sich meine amerikanische Mutter, meine »Mum«, zu mir setzte. Sie erzählte, dass ihre Kirche die Hälfte meines Stipendiums finanziert hätte. Schüler hätten Autos gewaschen und Erwachsene Flohmärkte organisiert, um den Aufenthalt der neuen Austausch-Schülerin zu finanzieren. Ich war überrascht. Ich hatte nicht geahnt, dass die Gemeinde in Amerika ebenso zu meinem Stipendium beigetragen hatte wie meine Eltern. Die Mum fuhr fort: »Als kleine Gegenleistung bittet dich meine Pfarrgemeinde, am Sonntag nach der Messe über dein Heimatland zu erzählen.«

Ich war wie vom Donner gerührt. Öffentlich sprechen? Auf Englisch? Am liebsten wäre ich davongerannt und hätte mich bei den Bären im Yosemite Park versteckt. Aber natürlich ging das nicht.

In meiner österreichischen Schule hatte ich noch nie von Rhetorik gehört. Ich kannte nicht einmal das Wort. Daher wusste ich nicht, dass es möglich und vor allem sinnvoll ist, sich vorzubereiten. In der Nacht vor meinem Auftritt wälzte ich mich schlaflos von einer Seite zur anderen. »Wie sollte ich in meinem gebrochenen Schulenglisch reden und zusammenhängende Sätze formulieren? Was könnte ich erzählen? Was wusste ich überhaupt über Österreich? Berge, Edelweiß und Walzer?« Mehr fiel mir nicht ein. Am nächsten Morgen wählte ich für meinen Auftritt mein Brokat-Dirndl mit goldener Schürze in der Hoffnung, damit ein Quäntchen Wohlwollen beim amerikanischen Publikum zu wecken. Das Frühstück ließ ich stehen und stieg mit meiner Mum und meinen amerikanischen Geschwistern ins Auto. In der Kirche steigerte sich meine Nervosität. Ich wusste noch immer nicht, was ich sagen würde, und ich hoffte, dass mir beim Reden etwas einfiele.

Alpen, Mozartkugeln und Dirndl

Nach der Messe führte mich eine nette Dame mit rosa bis lila schattiertem, gelocktem Haar und mit Strass besetzter Brille von der Kirche zum angrenzenden Gebäude. Die Eingangstür des Vortragsraumes öffnete sich, und mein Mut sank. Ein riesiger Saal mit geschätzten 450 leeren Stühlen und einer acht Meter breiten Bühne tat sich vor mir auf. Die Bühne mit schwarzem Hintergrund wirkte kalt und unheimlich. Dort oben sollte ich sprechen, allein, ohne Hilfe und ohne Manuskript, denn ich hatte mich ja nicht vorbereitet. Nach und nach kamen die Kirchenbesucher in Gruppen herein, schwatzten freundlich miteinander und suchten sich ihren Platz. Mir wurde mit zwei weiteren Austauschschülerinnen, eine aus Finnland, eine aus Griechenland, ein Stuhl in der ersten Reihe zugewiesen.

Bald war der Saal zu zwei Drittel besetzt, und die Türen wurden geschlossen. Die Dame mit der rosa-lila Löckchenfrisur griff zum Mikrofon. Sie rief zu Spenden auf, kündigte das nachfolgende Buffet an und sprach von Weltoffenheit und Amerikas führender Rolle im Schüleraustausch. Mein Magen war flau und mein Kopf leer wie die Wüste Gobi. Nun kam der Moment für meinen Auftritt. Ich wurde auf die große Bühne gebeten. Wie ein ruckelndes Auto stotterte ich mich in meine Themen hinein. Ich sprach, meinen nächtlichen vagen Ideen folgend, von den Alpen, von Mozartkugeln und über das Dirndl, das ich anhatte. Wenn ich stockte, betete ich innerlich, dass mir etwas einfiele. Ich redete, plumpste in lange Pausen und starb dabei tausend Tode. Viel zu früh, nach etwa zehn Minuten hörte ich auf. Die überraschte Moderatorin reagierte spontan, stellte sich zu mir auf die Bühne und leitete vorzeitig die Fragerunde ein. Nun konnte ich etwas entspannen. Mehrere interessierte Zuhörer hoben die Hand. Ich erinnere ich mich nicht mehr, was sie sagten, nur eine Wortmeldung prägte sich mir ein. Ein dicker, rotgesichtiger Mann fragte mich, ob wir in Österreich barfuß gingen oder Schuhe trügen. Dann war mein Auftritt vorbei.

Anschließend nahmen mich die rosa-lila Kirchenfrau und andere lächelnde Pfarrdamen in ihre Mitte. Sie lobten mein Dirndl, mein Englisch und versicherten mir, dass es »very interesting« gewesen sei. Ich verstand nicht jedes Wort, aber ich war erleichtert, keine Kritik zu hören. Nach und nach kühlte mein rotes Gesicht auf Normalfarbe ab, und mein Herz schlug wieder ruhiger. Die Zuhörer strömten dem Buffet im Vorraum zu, der Saal leerte sich. Da kam aus der letzten Reihe ein glatzköpfiger Mann im grünen Anzug, hellgrünen Hemd und olivfarbener Krawatte nach vorne und sprach mich an. Er sagte aufmunternde Worte, wurde aber dann ernst und fragte mich, ob ich sprechen lernen wolle. Ich wusste nicht, was er meinte. Er erzählte mir, er wäre Rhetorik-Lehrer an meiner High School. Ein eigenes Unterrichtsfach für »Öffentliches Sprechen« – das hatte ich noch nie gehört! Ich war neugierig und belegte den ersten Kurs.

Ab da besuchte ich jede Woche das Unterrichtsfach »Public Speaking«. Dort lernte ich nicht nur die Garderobe meines Lehrers kennen, der Anzug, Hemd und Krawatte gewöhnlich Ton in Ton, in braun, blau, grün und lila trug, sondern auch die Eckpfeiler der Kommunikation. Ich lernte, mich vorzubereiten, beim Reden stillzustehen, und merkte, dass mir niemand den Kopf abriss, wenn ich einen Fehler machte.

Tiefe statt Status

Das Erlebnis, zum ersten Mal vor Publikum auf der Bühne zu stehen, war für mich tiefgreifend, nahezu erschütternd gewesen. Ich wusste, dass es keine tolle Leistung gewesen war, die ich abgeliefert hatte. Wäre ich im Publikum gesessen, hätte ich innerlich harsch über mein Auftreten geurteilt: unsicher, unvorbereitet, unreif.

Doch als ich auf der Bühne mit schweißfeuchten Händen mein Mikrofon umfing, erkannte ich trotz meiner Angst und Auftrittsschwäche mit großer Klarheit: Auf der Bühne habe ich das Wort und somit die Macht. Diese Einsicht bewegte mich zutiefst.

Auch heute noch empfinde ich diese Freiheit. Wenn ich auf der Bühne stehe, schneidet mir niemand das Wort ab. Niemand diktiert, was ich denken soll, und niemand zwingt mich, unlustigen Witzen zuzuhören. Ich bin die Gestalterin meiner Bühnenwelt.

Gespräche sind häufig ein Kampf um Aufmerksamkeit. Jeder will gehört werden, das hatte mich schon meine Familie gelehrt. In einer Runde unbekannter Menschen bin ich als stille kleine Frau noch mehr im Nachteil. Männer überragen mich um Längen und übertönen mich mit ihren lauten Stimmen. Wie oft hat ein Selbstdarsteller über meinen Kopf hinweg geredet und mich nicht wahrgenommen. Sie meinen, dass »still« gleichbedeutend ist mit »nichtssagend«. Stille Menschen wissen es besser. Nur weil sie nichts sagen, heißt es nicht, dass sie nichts zu sagen haben. Und doch werden sie häufig unterschätzt. Denn das Wort zu ergreifen hat mit Status zu tun. Wenigsprecher werden als unbedeutend eingestuft.

»Redezeit ist ein Statussymbol«, weiß auch die Professorin für Organisationsverhalten an der Universität Lausanne, Marianne Schmid Mast. Männer sprechen in größeren Runden mehr und länger als Frauen. Und eine Studie der Universität Yale bestätigt ebenfalls: »Je mächtiger Männer sind, desto länger und mehr reden sie.«1

So erlebte ich als kleines Mädchen in einer vorwiegend männlichen Runde eine ähnliche Diskrepanz. Hätte ich damals eine Stoppuhr mitlaufen lassen, wäre 90 Prozent männliche, 10 Prozent weibliche Redezeit herausgekommen. Meine Mutter setzte sich zwar immer wieder durch, aber ihre Rolle war, Harmonie zwischen den Positionen herzustellen und die Männer zu ermuntern, doch »diese Geschichte noch einmal zu erzählen, damit es alle hören«, oder »Du sagtest mir doch gestern, was du zu diesem Thema denkst«. Ihre Rolle war die der Unterstützerin. Tief innen drinnen störte mich diese Rollenverteilung. Ich hatte wohl damals schon beschlossen, einen anderen Weg zu gehen.

Die Linie zwischen durchsetzungsstarken und stillen Menschen verläuft jedoch nicht zwingendermaßen zwischen den Geschlechtern. Eine wissenschaftliche Untersuchung hat gezeigt: Status ist wichtiger als Geschlecht. Im beruflichen Umfeld erkämpfen sich oft durchsetzungsstarke Frauen ihren Platz an der Spitze, und dann gibt es nachdenkliche, sensible Männer, denen Statusgehabe fremd ist. Jede Gesprächssituation gestaltet sich je nach Kontext und unterschiedlichen Persönlichkeiten anders.2

Ich wollte in Gesprächen nicht kämpfen. Wozu sollte ich mit den Selbstdarstellern in den gleichen Ring steigen? Da müsste ich mir eine starke Rüstung anlegen und laut werden. Nein, das lag mir nicht.

Um mir Gehör zu verschaffen, musste ich einen anderen Weg wählen. Ich spürte, dass wesentliche und tiefe Worte ihren Weg finden werden, vorausgesetzt ich würde lernen, gut aufzutreten. Das Podium steht Experten offen, vor allem jenen, die das Einmaleins öffentlichen Redens gelernt haben. Also galt es, zuerst eine Expertin zu werden und dann meine Gedanken so überzeugend zu präsentieren, dass ich eingeladen würde zu sprechen. Statuskämpfe wie in Gesprächsrunden sind nicht mehr nötig.

Wenn ich auf der Bühne stehe, habe ich das Wort und damit die Macht. Diese Erkenntnis war entscheidend, das Reden in der Öffentlichkeit zu meiner lebenslangen Aufgabe zu machen und zu einem Weg, der nie endet. Ein Meilenstein auf diesem Weg war mein Buch: Souverän vortragen! Das Handbuch für Redner.3 In diesem vereinige ich all mein Wissen aus vielen Workshops und Seminaren. Ich gebe es auch heute noch meinen Coachees in die Hand, die alles rund ums Reden in der Öffentlichkeit wissen möchten. Es wurde zu einem Begleiter für viele weitere Auftritte auf dem Weg zur Selbsterkenntnis. Jedes Mal, wenn ich vor Menschen rede, auch heute noch, verlasse ich meine Wohlfühlzone und erweitere meine Grenzen um einige Zentimeter. Die Bühne hatte mich gelehrt, auch andere Gesprächssituationen besser zu meistern. Ob Verhandlungen oder spontane Tischreden oder einfach bei Treffen mit Freunden, in alle Gesprächssituationen fließen die Erfahrungen früherer Auftritte ein.

Den Weg beginnen

Am Anfang meines »Weges« stand der Schmerz. Übersehen zu werden, tut weh. Ich kann den Schmerz beiseiteschieben und ihn leugnen. Das wäre aber nur eine kurzfristige Lösung. Ich könnte mir einreden: Es ist ja nicht so wichtig, etwas zu sagen. Oder: Diese Selbstdarsteller, das sind alles oberflächliche Menschen – ich bin anders. Oder: Dann rede ich eben mit meiner Freundin, die hört mir zu. So vermeide ich, selbst etwas zu tun. Doch die Situationen wiederholen sich. Ich sehe zum Beispiel eine Fernsehshow, in der jemand über »mein« Thema spricht. Er weiß weniger als ich, und doch gesteht ihm der Sender Redezeit zu. Das schmerzt. Aber wir haben die Wahl. Wollen wir immer wieder leiden, oder wollen wir etwas ändern?

Begreifen wir den Schmerz als Antrieb, so beginnt ein Weg. Er ist nicht einfach, und manchmal führt er durch Feuer. Doch so wie die Hitze Glas zu funkelnden Gläsern formt und aus einem Klumpen Stahl Schwerter schmiedet, so verändern auch wir uns durch jeden Auftritt. Wir werden stärker, Schritt für Schritt.

Die besten Redner werden oft jene, denen das Talent nicht in die Wiege gelegt wurde. Die Schwierigkeiten bewegen sie, intensiver hinzusehen. Jemand, der schon gut auftritt und dem alle Menschen zuhören, weiß nichts darüber, wie es ist, nicht gehört zu werden. Er macht einfach das, was immer funktioniert. Doch diejenigen, die scheinbar nicht so viel Talent haben, erforschen und probieren. Sie lesen Bücher, analysieren ihre Vorbilder und arbeiten kontinuierlich an ihrer Wirkung. Gute Redner sind meist nicht geborene Redner, sondern haben viele Jahre ihres Lebens darauf verwendet, gute Redner zu werden. Selbst wenn sie perfekt scheinen, steckt dahinter das lebenslange Bemühen um den richtigen Ausdruck, das richtige Auftreten. Auf dem Weg dieses Bemühens wandeln sie sich zur charismatischen Persönlichkeit.

WOZUÜBERHAUPTSPRECHEN?

Wozu wollen Sie sprechen? Was treibt Sie an, Zeit aufzuwenden für die Vorbereitung? Was motiviert Sie, sich allen Blicken ausgesetzt hervorzutun? Ist es so wie in meinem Fall die Sehnsucht, gehört zu werden? Oder ist es das Bedürfnis, Macht zu haben, anderen zu zeigen, wo es langgeht? Liegt Ihnen das Thema besonders am Herzen? Oder sind Sie schlicht beruflich gezwungen aufzutreten, und der Auftritt ist ein weiterer Baustein für Ihre Karriere. Es gibt viele Gründe.

Anerkennung

Eines Abends trafen mein Partner Paul und ich in Japan bei einem guten Glas Wein einen befreundeten Universitätsprofessor. Er war Vorstand des Germanistik-Instituts der renommierten Waseda-Universität und Österreich-Fan. Paul erzählte, dass er gerade das Buch Die österreichische Seele vom damals bekannten Arzt und Psychiater Erwin Ringel gelesen hatte. Der Professor hörte begeistert zu und fragte Paul, ob er nicht für seine Studenten darüber einen Vortrag halten könne. Der Hörsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Ob die Studenten alles verstanden hatten, war unklar, denn diskutiert wird in Japan an der Universität wenig. Sie hörten jedoch aufmerksam zu. Viele Jahre später, ich hatte es schon längst vergessen, sagte Paul zu mir: »Dieser Vortrag war für mich ein einschneidendes Erlebnis, denn es war das erste Mal, dass mir so viele Menschen zuhörten. Da fühlte ich mich anerkannt.«

Die Aufmerksamkeit der Zuhörer ist der schönste Lohn. Wenn das Publikum an den Lippen des Redners hängt, zeigt es, dass die Worte interessant sind und der Redner als Person wertgeschätzt wird. Daraus schöpfen viele ihre Energie, weiterzumachen und noch besser zu werden.

Karriere

Gut auftreten zu können, hilft dem beruflichen Fortkommen. Nur wer sich sichtbar macht, wird wahrgenommen. Wer wahrgenommen wird, der kommt voran. Das lernte ich schon in frühen Jahren meiner Universitätslaufbahn. Immer wenn ein Gastprofessor eingeladen war, besuchte ich seinen Vortrag. Meistens fiel mir während des Vortrags eine Frage ein. Dann wurde mir heiß, und mein Herz fing an zu klopfen. Ich war aufgeregt und kämpfte gegen meinen Impuls an, etwas zu sagen. Denn aufzustehen hieß, von allen angestarrt und beurteilt zu werden: »Die will sich wieder hervortun«, »Das war doch sowieso sonnenklar«. Doch fast immer überwand ich meine Angst und stand auf. Es hat meiner Sichtbarkeit geholfen und damit meiner damaligen Karriere.

In vielen Berufen ist Redegewandtheit ein Vorteil. Je besser man reden und überzeugen kann, desto größer ist die Chance, im Beruf erfolgreich zu sein. Lehrer reden, Politiker reden, Verkäufer reden, Wissenschaftler reden. Dafür besucht man Ausbildungen, Lehrgänge und Seminare. Und erst die Profi-Redner! Ihre Honorare steigen in himmlische Höhen, wenn sie witzig, locker und motivierend sind. Da kann ein Auftritt von einer Stunde 10 000 bis 20 000 Euro bringen, mit einem Promi-Namen sogar noch mehr. Dafür steht eine ganze Maschinerie an PR-Managern und Mitarbeitern parat, um den Namen weiterhin im Gespräch zu halten.

Den Kreis ausschreiten

Mein Motiv, öffentlich zu sprechen, veränderte sich über die Jahre. Zum Beginn stand mein Wunsch, meiner innewohnenden Angst zum Trotz, gesehen und gehört zu werden. Als ich in den USA als 16-Jährige auf die Bühne gezwungen wurde, erkannte ich, dass mir genau die gefürchtete Bühne Macht über das Wort gewährt. Dieses Schlüsselerlebnis ließ mich alle Schwierigkeiten überwinden: das Lampenfieber, die Mühen des Lernens, die langen Abende des Vorbereitens und die Freizeit, die ich für Ausbildungen und Seminare opferte.

Heute ist Reden ein kaum wegzudenkender Teil meines Lebens. Die damit verbundenen Ängste und Hindernisse ermöglichten mir, meinen Kreis auszuschreiten, wie Goethe es im Faust schreibt. Den Kreis auszuschreiten, bedeutet, alle Fähigkeiten und Talente, die ein Mensch mitbekommen hat, zu entwickeln und zur Reife zu bringen. In meiner Vorstellung sehe ich einen großen Kreis, in dem ich stehe, umgeben von allen meinen Talenten. Manche Talente sind nicht so groß, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich wäre gern Sängerin geworden, doch hatte meine Stimme nicht ausgereicht. Meine Opernbühne ist heute die Duschkabine am Morgen. Andere Fähigkeiten wie Fremdsprachen habe ich zu einer gewissen Reife gebracht. So drängen Talente von innen heraus, entwickelt zu werden und ihren Platz einzunehmen.

Reden in der Öffentlichkeit besetzt ein großes, leuchtendes Segment in meinem Kreis. Es ist eines jener Themen, die mit so großer Kraft nach außen drängen, dass ich gezwungen bin, ihnen viel Raum einzuräumen – wie ein körperliches Gefühl des Hungers, der gestillt werden muss.

Wie sieht Ihr Kreis aus und ist Reden ein Teil davon? Welche Talente stützen einander gegenseitig? Für das Reden kann ein gutes Gespür für die Sprache hilfreich sein, ein großer Wortschatz, die Liebe zur Literatur oder zum Lesen. Eine wohltönende Stimme kann durch Singen oder Theaterspielen geschult werden. Ballettstunden fördern eine harmonische, elegante Körpersprache. Unterrichten Sie Kinder im Kindergarten oder in der Grundschule, dann können Sie komplizierte Sachen einfach erklären. Oder Sie sind ein guter Witzeerzähler. Jede Rednerin und jeder Redner besitzt eine einmalige Mischung von Talenten. Diese zu entfalten und das ganze Spektrum ihrer Rednerpersönlichkeit zum Leuchten zu bringen, ist eine lebenslange Aufgabe.

Viele meiner Wurzeln sind in Japan. Ich bin dort geboren, ich habe dort jahrelang als Forscherin gelebt und übe seit Jahrzehnten Zen-Meditation. Als ich, um dieses Buch zu schreiben, über mein Leben als Rednerin nachgedacht habe, kam mir als Erstes der Titel Reden als Weg in den Sinn. Was meine ich damit? In Japan ist ein »Weg« ein Weg zur Achtsamkeit, zur Reifung und zur Erkenntnis. Die »Wege« wie der Teeweg, der Weg der Kalligraphie und der Weg des Blumensteckens haben sich aus und mit der Tradition der Zen-Meditation entwickelt. Sich auf den Weg zu begeben, bedeutet, Jahrzehnte lang zu üben, ihn immer mehr zu durchdringen und daran zu reifen. Die Wege haben kein Ziel, außer den eigenen Kreis auszuschreiten.

Chinesische Schriftzeichen waren, als ich studierte, nur eine Schrift, die ich im Sprachstudium lernen musste. Heute sind sie für mich eine Quelle verborgener Weisheit. Das Zeichen für »Weg«, auf Chinesisch Tao ausgesprochen und auf Japanisch Do, besteht aus zwei Teilen.

Der untere, umrahmende Teil steht für Fuß, der obere mit den zwei Häkchen für Kopf. »Weg« bedeutet also »mit Kopf und Fuß«. Um seinen Kreis auszuschreiten, braucht es einen Schritt nach dem anderen. Ohne dass wir den Weg vorangehen, gibt es keinen Weg. Der Kopf steht für den achtsamen Geist, der jeden Schritt begleitet. So entfaltet sich der Weg aus dem Zusammenspiel von Fuß und Kopf und führt zur Ganzheit, in dem Tun, Denken und Fühlen eins werden.

Er ist nicht immer einfach. Oft stehen wir an Kreuzungen und wissen nicht weiter. Wie eine Raupe ein Blatt hinaufkriecht und sich an der Spitze mit dem halben Leib in die Luft reckt und in alle Richtungen tastet, bis sie einen neuen Halt findet, so verlieren auch wir immer wieder die Orientierung. Manchmal stecken wir ratlos fest, und dann macht es Hops, und wir sehen neues Licht am Horizont.

In einer Zen-Schrift heißt es: »Es gibt viele Tore zur Wahrheit. Ich gelobe, sie alle zu durchschreiten.« Im Leben öffnen sich unterschiedliche Möglichkeiten. Nicht immer ist klar, wohin sie führen. Wenn ich auf einen Berg steige, sehe ich nur ein paar Meter vor mir die nächsten Schritte. Der Berg erscheint viel zu hoch, oft droht mich der Mut zu verlassen. Doch wenn ich dann oben angelangt bin und hinunterschaue, dann sehe ich den Pfad, den ich gegangen bin. So verbinden sich im Nachhinein die vielen Versuche, die vielen Umwege, die vielen Tore, durch die wir hindurchgegangen sind, zu einem geradlinigen Weg.

Auch ich habe Umwege genommen und viele »Tore« durchschritten: Singen, seltsame Vorlesungen mit Fantasiereisen und Schauspiel; ich habe mit Schamanen und Zen-Meistern gearbeitet, habe Speaker und Pantomimen beobachtet und bei Stimm- und Rhetoriktrainern gelernt. Nur um immer feiner zu erkennen, welche Art des Redens für mich und zu mir passt.

Japan und die Zen-Meditation beeinflussten meine Entwicklung zur Rednerin. Eine Tänzerin wäre durch andere Tore gegangen. Sie hätte wohl ihre Körpersprache eingebracht und wäre auf diese Weise einzigartig geworden. So wird jeder seinen Stil finden, vorausgesetzt, er/sie übt und probiert und übt und lernt und schaut ab.

Dieses Buch erzählt meine Gedanken und Erkenntnisse, meine Erfolge und Niederlagen entlang meines Weges zur Reifung. Möge es Sie ermutigen, Ihren persönlichen Redestil zu entwickeln und authentisch und gelassen aufzutreten, egal, wo Sie im Moment stehen.

Wohlan, Weggefährtinnen und Weggefährten, beginnen wir die Reise.

Die Zuhörer

Jeder fängt einmal an. Eben hatte ich noch stolz mein Abschlusszeugnis entgegengenommen, da stand ich schon auf der anderen Seite des Rednerpults. Ich war 27 Jahre alt, sah aus wie 22, und hielt mein erstes Proseminar an der Universität Wien ab. Als ich den Hörsaal betrat, hörte ich Studenten tuscheln: »Die ist ja selbst noch so jung.« Ich hatte keine Erfahrung im Unterrichten, niemand hatte mich vorbereitet, wie es sein würde und was genau von mir erwartet wurde. Völlig auf mich allein gestellt, startete ich los.

Die Themen meiner Seminare und Vorlesungen waren aus dem Gebiet der Japanologie, meines Studien- und Lehrfachs. Ich sprach über japanische Religion, japanische Gesellschaft und über das wissenschaftliche Arbeiten in diesem Fach.

In den ersten Jahren des Unterrichtens wurde mir bewusst, wie wenig ich mir aus der Studienzeit gemerkt hatte. Ich befasste mich ausführlicher mit der Materie und vertiefte vieles, was davor nur an der Oberfläche geblieben war. In den ersten Jahren des Unterrichtens erarbeitete ich in erster Linie den Stoff und dachte wenig über das Wie nach. Ich unterrichtete frontal, so wie es die Professoren, die ich selbst hatte, getan haben. Diese hatten es wiederum von ihren Professoren abgeschaut, und so reichte die Unterrichtsmethode wohl schon in das 19. Jahrhundert zurück. Der Unterrichtsmonolog wurde von einer Prüfung am Schluss gekrönt. Die Themen der Vorlesungen waren vom Studienplan vorgegeben, und die Studenten mussten lernen, was ich ihnen servierte, und damit basta.

Für wen spreche ich?

Die Inhalte hatte ich intus. Es tauchten Zweifel auf. Ich mochte es einfach nicht, wenn die Studenten gelangweilt schauten und gähnten. Wie könnte ich den Stoff interessanter machen? Wie sie ansprechen?

Ich horchte an der Universität herum, ob mir jemand helfen könne. Doch es gab nichts. Keine Kurse, wie man Vorlesungen gestalten solle, worauf es ankommt, so wie es heute auf allen Universitäten selbstverständlich ist. Ich suchte und fand schließlich in einem privaten Weiterbildungsinstitut eine Ausbildung zum Wirtschaftstrainer. Versprochen wurden Einheiten in Didaktik, in Suggestopädie und Lernpsychologie. Nach den vielen Jahren im abgeschlossenen Zirkel der Universität traf ich an den Wochenendseminaren dieses Kurses auf eine für mich schockierend andere Welt. Neben mir saßen recht bodenständige Menschen: der korpulente Autoverkäufer mit Vokuhila-Frisur (vorne kurz, hinten lang, wie es damals in bestimmten Kreisen Mode war), die warmherzige vollbusige Energetikerin, eine fahrige Radiosprecherin. Sie alle wollten lernen, wie sie andere Menschen unterrichten – dort hieß es trainieren – können. Die Zielgruppe des Trainings war unterschiedlich: Der Autoverkäufer wollte seine Mitarbeiter trainieren, die Radiosprecherin einen Sprechlehrgang leiten und die Energetikerin ein Seminar für ihre Kundinnen entwickeln. Ich kam mir in dieser Runde als einzige Akademikerin ziemlich exotisch vor. Andere Universitätslehrer hatten diesen Kurs sicher noch nicht gemacht. Hier ging es nicht um komplizierte Zusammenhänge, sondern darum, wie man (einfache) Inhalte möglichst so vermittelt, dass die Zuhörer in der Praxis etwas damit anfangen können. Das war neu für mich – eine andere Welt.

Am ersten Kurswochenende sollte jeder Teilnehmer eine kurze Rede über ein selbstgewähltes Thema halten. Ich entschied mich für die sieben japanischen Glücksgötter, ein aus meiner Sicht wirklichkeitsnahes Thema aus meinem damaligen Fachgebiet »Japanische Religion«. Der Gott für Weisheit und langes Leben mit seinem überlangen Eierkopf würde ihnen gefallen, meinte ich und reichte einige Bilder herum. In der Feedbackrunde wurden alle gefragt, wie gut sie dem Vortrag folgen konnten und wie er ihnen gefallen habe. Die Reaktionen auf meinen Vortrag waren verhalten. Nach kurzem Zögern meinte die nette Energetikerin: »Ja, interessant. Einmal etwas aus einem anderen Kulturkreis zu hören, erweitert den Horizont.« Und der Autoverkäufer brummte: »Für was soll das gut sein?« Ich war entsetzt und schockiert. Bis dahin hatte ich Wissen als Kulturgut per se nie in Zweifel gezogen. Dass jemand das anders sehen könnte, erschütterte mich zutiefst. Unausgesprochen stand der Satz im Raum: »Wozu beschäftigt man sich mit so unsinnigen Fragen fern jeder Lebenswirklichkeit?«

An diesem Tag wurde ich kommunikationstechnisch erwachsen. Denn heißt nicht, erwachsen zu werden, die eigene Welt, die bis dahin die einzige war, die man kannte, plötzlich mit anderen Augen zu sehen? Die eigenen Glaubenssätze, die man von Eltern, Lehrern und der Umgebung vermittelt bekommen hatte, zu hinterfragen? Ich lernte, dass es viele verschiedene Menschen mit völlig anderen Interessen und Bezügen gibt, als ich es bisher kennengelernt hatte.

Meinen Studenten hatte das Thema gefallen. Es war viel konkreter als alle Zahlen, Daten und Fakten, die sie sonst lernen mussten, denn es hatte mit der Alltagswelt der Japaner zu tun. In Japan sahen sie die Statuen von der Harfe spielenden Benten-Göttin und dem dickbäuchigen Hotei-Buddha, der auch bei uns in vielen China-Restaurants am Eingang sitzt. Diese Figuren waren Teil ihrer Welt und ihres Interesses. So erfuhren sie in meiner Vorlesung, dass einige Gottheiten aus Indien kamen und die anderen im Taoismus ihre Wurzeln hatten. Für einen Autoverkäufer war das vollkommen belanglos.

Ich lernte, dass es nicht darauf ankommt, was mich interessiert, sondern darauf, was mein Publikum interessiert. Das Publikum interessiert am meisten, was ihr eigenes Leben betrifft und was ihre Lebenswelt bereichert.

Speaker: Die Welt der großen Bühne