Geld - Das große Abenteuer - André Kostolany - E-Book

Geld - Das große Abenteuer E-Book

André Kostolany

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Beschreibung

Wer kennt sie nicht? Die Börsenweisheiten von André Kostolany. Ob es darum geht, Aktien zu kaufen und Schlaftabletten zu nehmen oder dass man einer Aktie – wie einer Straßenbahn – nie nachlaufen sollte: Die zeitlosen Ratschläge der Börsenlegende haben auch heute noch Gültigkeit und nichts von ihrem Reiz verloren. 1906 geboren, hat André Kostolany das turbulente 20. Jahrhundert hautnah miterlebt: die Goldenen 20er-Jahre, die er in Paris verbrachte, den Börsenkrach 1929, den Zweiten Weltkrieg, die Nachkriegszeit … Kostolany war mittendrin und immer an der Börse aktiv. In diesem neu aufgelegten Klassiker teilt Kostolany nun seine immense Erfahrung mit Ihnen. Mal lachend, mal weinend berichtet er von gelungenen und missratenen Börsenabenteuern – seinen eigenen als auch die von anderen –, von Finanzspekulationen und historischen Ereignissen, von Psychologie und gesundem Menschenverstand. Lernen Sie vom Meister, begeben Sie sich mit "Kosto" auf eine unterhaltsame Reise durch die Welt der Börse und tauchen Sie ein in das große Abenteuer Geld, denn: "An der Börse ist alles möglich – auch das Gegenteil!"

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André Kostolany

Geld, das große Abenteuer

Aufzeichnungen eines Börsianers

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Geld, das große Abenteuer

Verleger der Originalausgabe aus dem Jahr 1972:

Kurt Desch GmbH, München

Copyright der Neuauflage 2022:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Gestaltung Cover: Sabrina Slopek

Gestaltung und Satz: Sabrina Slopek

Herstellung: Daniela Freitag

Coverfoto: Imago-Image

Lektorat: Elke Sabat

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-844-2

eISBN 978-3-86470-845-9

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: +49 9221 9051-0 • Fax: +49 9221 9051-4444

E-Mail: [email protected]

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Inhalt

Einleitung

1Glanz und Elend der Börse

Was muss ein Börsenprofi wissen? – Die Kunst der Spekulation und die Spekulation der Künstler – Frauen und die Börse – Warenterminhandel – Meine ersten Börsenerinnerungen – Die „sicherste“ Spekulation – Das Wetter als Börsenbarometer – Bär (Baisse) und Stier (Hausse)

2Was ist die Börse?

Monte Carlo ohne Musik – Entstehung der Börsen – Wo spekuliert man womit? – Der Unterschied zwischen Auktionen und organisierten Warenbörsen – Die „weibliche“ Börse

3Aktien, Anleihen, Wandelanleihen

Aktiengesellschaft und Abenteuer – Timing is money – An der Börse ist alles möglich – Amerikanische Eisenbahnanleihen – Die großen Chancen nach dem Krieg – Das Spiel mit Aktien, die fast pleite sind

4Information und Spekulation

Der Analyst denkt und die Börse lenkt – Kursgewinne in der Zeit – und im Raum – Kleiner Grenzverkehr – Kein Boom ohne nachfolgenden Krach

5Die Geschichte der Börse in einer Nussschale

Die erste Finanzkrise unter Kaiser Karl V. – Die Tulpenmanie – die Fondsmanie des 17. Jahrhunderts – Amsterdam, die erste moderne Börse – Die Entstehung der Londoner Börse – John Law, der Börsenkönig von Paris – Abenteuerliche Pariser Börse im 19. Jahrhundert – Von den Rothschilds zur ersten industriellen Revolution – Die „Eisenbahnmanie“ und die Ära Balzac – Der schwarze Freitag 1869 – Die Gründerzeit – Die Magie des Goldes in Frankreich – Jeder Markt erlebt seine Katastrophen – Die unruhigen 20er-Jahre in Paris – Mein erster Tag im „Tempel“ – Die größte Finanzkatastrophe der Geschichte oder: Der Baissier im Glück – Ein Reicher unter Armen und die Kreuger-Tragödie – Darf man lachen, wenn die anderen weinen?

6Galerie der Spekulanten

… Musikus und Börsianer dazu – Die Börse und die Leidenschaft – Ein Regierungschef und auch ein König wollen spekulieren – Pariser Börsenabenteuer 1939/40

7Investmentfond und Mischkonzerne

Spekulationen zum Schutz des Vermögens – Diese böse Börse – Offene und geschlossene Investmentfonds – Offshore-Fonds made for Germany – Performance Funds als vulgäres Spielsyndikat – Fondsmanager müssen anständig, verantwortungsbewusst und erfahren sein

8Börsenmathematik: Geldmenge, Psychologie und Börsentendenz

9Politik und Börse

Zinsfuß und Obligationen – Die Inflation von gestern und heute – Der Kampf gegen die Inflation – Geldpolitik gegen Fiskalpolitik – Das Geld speist die Börse – Sonderregeln während der Euphorie – Der Spekulant muss elastisch und hart sein – Immer wieder bei null anfangen – Die Suezkanal-Aktien – Die Sperrmark und das Wirtschaftswunder

10Profis, Parasiten und Laien beim Spiel

Spekulanten verschiedener Art – Der Mischkonzern – Hasardspieler und Spekulanten mit Kopf – Bei Kanonendonner kaufen, bei Harfenklängen verkaufen – Japanische Obligationen aus der Büchse der Pandora

11Informationen, Tipps und Rezepte

Experten und Wunderrabbiner – Informationsquellen – ATT-Aktien – Informiert – ruiniert – Halb gehört ist ganz gewonnen: Die Tannenbaum-Aktie – Charts als Spekulationsbarometer – Die Chartregel vom Doppelaufstieg und Doppelabstieg – Problematische Computeranalysen

12Größe und Elend der Spekulanten

Nachruf auf einen „theoretischen Praktiker“ – Außereuropäische Börsen – Tödliche Termingeschäfte – Wie das Publikum betrogen wird – Variantenreiche Hedgegeschäfte – Börsenbesucher und Tagesspekulanten – Die Pythia von Ungarn – Die Börse als Passion – Zaungäste der Börse – Meine „Unvollendete“ – Die Börse – das Reich, in dem die Sonne nicht untergeht – Mein Fiasko in der Wall-Street-Industrie

Einleitung

Ist Liebe der stärkste Motor des Lebens oder Geld, Macht und Eitelkeit? Das zu entscheiden überlasse ich den Psychologen und Soziologen.

In der Umgebung, in der ich die wertvollsten Jahre meines Lebens verbracht habe, war unglücklicherweise das Geld der Motor.

Ich bin im feudalen Ungarn geboren, aufgewachsen im altmodischkapitalistischen Frankreich, war jahrelang tätig an der Wall Street, der Hochburg des modernen Kapitalismus, und nun schreibe ich dieses Büchlein für den deutschen Leser. Ich selbst weiß nicht mehr, wohin ich gehöre.

Ich könnte sagen, ich gehöre zur Börse, dem Dschungel des Kapitalismus. Ob sie sich in Johannesburg, Singapur, Oslo oder Bogotá befindet, in einer Stunde werde ich mich an der Börse von dort zu Hause fühlen, die Kollegen als Familie betrachten und mit all ihren guten und schlechten Eigenschaften vertraut sein.

Diese böse Börse, an der sich die größten Abenteuer des Geldes abspielen, wird von den einen gepriesen, verflucht von den anderen. Doch sie fasziniert all diejenigen, die in ihr die Karikatur der Geschichte und der Menschen wie in einem Zerrspiegel erblicken.

Es ist spannend und lehrreich zugleich, hinter ihre Kulissen zu sehen. Verblüffend sind oft die Ursachen, die erschütternde Ereignisse in der Welt der Finanzen auslösen. Es ist immer eine schöne Welt. Das Geld hat eine Radioaktivität, es korrumpiert und bringt oft die hässlichsten Eigenschaften des Menschen ans Tageslicht.

Schon früh musste ich während meiner langen Laufbahn in dieser blutigen Arena lernen, dass „pecunia non olet“ (Geld nicht stinkt). Da ich einen empfindlichen Geruchssinn habe, hat mich lange Zeit eine Allergie verfolgt, obwohl ich an den verschiedenen Börsen der Welt das leichte Geldmachen schon jung gelernt habe.

Ich denke heute noch mit Unbehagen an jene Jahre zurück. Ich hatte Gewissensbisse, wenn ich das Jahreseinkommen eines Gelehrten, eines Professors oder Arztes, die Frucht seiner jahrelangen Anstrengungen und Studien, mit den Summen verglich, die ein Börsianer manchmal mit einem Einfall oder einem Tipp im Handumdrehen einstreichen kann.

Noch deutlich erinnere ich mich, wie ich mich beschämt fühlte, als mir ein weltberühmter Professor in der Schweiz nach einer Konsultation von Stunden seine Honorarrechnung überreichte: 50 Franken.

Das Streben nach Geld und Gewinn und nach immer mehr und mehr Gewinn ist nichts Neues. Cato, der strenge Zensor des alten Roms, ist zwar als tugendhafter Asket in die Geschichte eingegangen, doch hat er mit seinen berühmt gewordenen Worten die Menschen zum Gewinn angespornt. „Eine Witwe braucht zwar ihr Hab und Gut nicht zu vergrößern“, sagte er, „aber die Tugend eines Mannes besteht darin, mehr Vermögen zu hinterlassen, als er geerbt hat.“ Ohne Scham forderte er: „Bereichert euch!“, ein Ratschlag, dem wir in der Geschichte später noch öfter begegnen werden. Heute würde man wirtschaftswissenschaftlich von „Vermögensbildung“ sprechen.

Auf den ersten Blick ist die Börse der Ort, an dem einen das Geld in den Schoß fällt. Und manchmal ist es auch so. Aber auch das schmerzliche Gegenteil kann der Fall sein.

Man muss viel mitgemacht und viel Lehrgeld bezahlt haben, um die Börse auch nur ein ganz klein wenig meistern zu können.

Während 45 Jahren spekulierte ich in allen Werten, Währungen und Produkten, Kassa und Termin, an der Wall Street, in Paris, Zürich, Tokio, London, Johannesburg oder Schanghai. Ich spekulierte in Aktien, Staatsanleihen (inklusive der kommunistischen Länder), in Wandelanleihen, Währungen (ob sie nun stabil oder flexibel waren), in dem Leder, aus dem meine Schuhsohlen waren, in Sojabohnen und allen Getreidesorten, in Wolle und Baumwolle, dem Gummi meiner Autoräder, in Eiern und Frühstücksspeck, in Kaffee und Kakao, den ich so liebe, in Whiskey, in der Seide meiner Krawatte, in allen Metallen, ob sie nun edel oder unedel waren.

Ich möchte nur hinzufügen, dass ich kein Preistreiber war, da ich nicht nur darauf spekuliert habe, dass die Preise steigen würden, sondern ebenso oft darauf, dass sie fallen würden. Kurz gesagt, ich spekulierte in allem, je nachdem, wie sich gerade der Wind drehte oder die Konjunktur es verlangte, ob es nach Pulver roch oder ob der süße Balsam des Friedens in der Luft lag, bei Krieg, Bürgerkrieg, Revolution, Hochkonjunktur und Depression, Inflation und Deflation, Auf- und Abwertungen – und ich habe sie alle überlebt.

Man musste das Gras wachsen hören und jede Situation haarscharf beurteilen können. In 100 Fällen habe ich 51 Mal recht behalten und mich 49 Mal geirrt. Von diesem einen Prozent über fifty-fifty habe ich aber gut gelebt. Pleite war ich auch einige Male, denn ein Spekulant, der nicht wenigstens zweimal während seiner Karriere Pleite macht, hat nicht das Recht, diesen Namen im echten Sinne des Wortes zu führen. Was ich alles erlebt und wie viel Erfahrungen ich dabei gesammelt habe, das lässt sich nicht in ein Buch fassen. Ich würde sie nicht gegen mein Lebendgewicht in Gold hergeben. Sicherlich hätte ich einen Lehrstuhl für Börsenkunde verdient.

Einen Bruchteil meiner Erlebnisse möchte ich, schmackhaft serviert, all den jüngeren Lesern überreichen, die sich für die Börsen interessieren, sei es als Karriere, sei es aus Leidenschaft oder wegen der Vermögensbildung. In einem meiner Seminare über Börsenkunde an einer Wirtschaftshochschule stellte mir ein Student die Frage, ob ich meinem Sohn raten würde, Spekulant zu werden.

„Gewiss nicht“, war meine Antwort. „Wenn ich einen Sohn hätte, sollte er Musiker werden, ein zweiter Maler oder Bildhauer, ein dritter Journalist oder Essayist.“

„Aber der vierte“, setzte ich hinzu, „müsste unbedingt Börsianer sein, schon damit er die drei anderen erhält.“

Die folgenden Briefe sind an diesen nicht existierenden Sohn adressiert und da er auch keine Brüder und Schwestern hat, die er erhalten müsste, ist dieses Büchlein, ein Bruchteil meiner Erlebnisse, allen jungen Leuten gewidmet, die sich der Börse verschreiben wollen.

1

Glanz und Elend der Börse

Was muss ein Börsenprofi wissen?

Lieber Hans,

ich bin sehr froh, dass du dich entschlossen hast, die Stelle bei einem BÖRSENMAKLER anzunehmen. So wird zumindest einer meiner Söhne einen Beruf ergreifen, bei dem er mit seiner Intelligenz auch zu viel Geld kommen kann. (Ich betone kann und nicht wird, denn eine Garantie dafür, bei Börsenspekulationen reich zu werden, gibt es nicht.) Du brauchst auch deinen Brüdern gegenüber keine Komplexe zu haben, dass sie etwa mit ihren geistigen Berufen auf einer höheren Stufe stünden. Ich nehme nämlich an, dass du vorläufig bei dem Makler nur die technischen Seiten eines Börsengeschäftes lernen wirst, um erst später auf eigene Rechnung und mit eigenem Geld zu spekulieren. Und Spekulieren ist geistige Gymnastik.

Alles, was du jemals im Gymnasium, auf der Hochschule oder überhaupt im Leben gelernt hast, selbst Gebiete, die mit Finanz und Wirtschaft nichts zu tun haben, wie etwa Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte und Musik, werden dir in deinem künftigen Beruf sehr nützlich sein. Ich habe zum Beispiel aus meiner übergroßen Liebe zur Musik sehr viel Gewinn gezogen, den man in Mark und Pfennig umrechnen kann. Du weißt wohl, dass ich mich oft stundenlang einsperre, nur um Musik zu hören. Glaube nicht, dass dies ein „Dolce far niente“ sei. Während ich Musik höre, denke ich über Finanzprobleme und Börsenkombinationen nach. Und oft habe ich die besten Inspirationen dabei gehabt.

Der Beruf eines Börsenspekulanten ähnelt in vielem dem eines prominenten Journalisten. Beide leben von der Zeitung, indem sie die Ereignisse verfolgen, analysieren und ihre Schlüsse daraus ziehen. Der Journalist beschreibt sie und der Börsianer liest sie – er liest auch zwischen den Zeilen. Nur: Der Journalist darf sich immer wieder irren und wird doch ein Journalist bleiben. Wenn der Börsianer sich aber oft irrt, bleibt er nicht länger Börsianer … Ich habe die größte Hochachtung vor Journalisten, ich finde ihren Beruf so faszinierend, dass ich ihn in meinen alten Jahren selbst ergriffen habe. Es besteht kein Zweifel, dass das Risiko eines Journalisten dem Risiko eines Börsianers nicht gleichkommt, da das Schicksal des Letzteren eher mit dem eines Seiltänzers zu vergleichen ist. Eines aber haben beide Berufe gemeinsam: Sie verlangen Scharfblick, eine gute Allgemeinbildung und die unumgängliche Leidenschaft für den Beruf. Welch ein merkwürdiger Mensch ist doch dieser „Homo speculator“! Zum Spekulanten oder Journalisten wird man geboren, ebenso wie man als Philosoph (und sei es auch als Philosoph des Alltags) geboren wird. In jedem Augenblick geschieht etwas Neues auf der Welt. Kriegsnachrichten aus Vietnam, Feindschaften oder Freundschaften zwischen arabischen Staaten, Rauschgift- oder Rassenprobleme in Amerika, Weiterentwicklung der Massenmedien, Wahlen in Japan, Streiks in Polen, Revolution in der Frauenmode, die Entwicklung der Fischerei in Island, Forschungen über Lungenkrebs und so weiter. Die Summe all dieser Ereignisse ist das Weltgeschehen – die Weltgeschichte.

Mein kleines Leben hat sich in unmittelbarer Nähe dieser Weltgeschichte abgespielt, eben weil ich von der Börse gelebt habe. Alle großen und kleinen Ereignisse haben sich auf die Börse ausgewirkt und die Börse auf meine Brieftasche.

Was ist eigentlich Börsenkunde? Der französische Staatsmann und Schriftsteller Édouard Herriot sagte von der Kultur, sie sei das, was übrig bleibe, wenn man schon alles vergessen habe. Ähnlich geht es mit der Börse. Deswegen ist der Börsianer aber doch keine Enzyklopädie, die Jahresbilanzen, Dividenden, Kurse, Geschäftsberichte, Statistiken speichert. Das alles wird viel sicherer in einer Bibliothek oder auf einem Computer aufbewahrt. Das echte Börsenwissen ist das, was übrig bleibt, wenn man alle Details vergessen hat. Man soll nicht alles wissen, sondern alles verstehen und im passenden Augenblick die Zusammenhänge richtig deuten und entsprechend handeln. Man muss alle Ereignisse wie ein Radargerät auffangen, in den richtigen Proportionen sehen und die Zusammenhänge interpretieren. Kurz gesagt, man muss selbstständig denken.

Damit kennst du meine erste Reaktion auf deine Entscheidung. Ich schließe für heute und wünsche dir in deinem Beruf Erfolg und Befriedigung.

Die Kunst der Spekulation und die Spekulation der Künstler

Lieber Hans,

nach meinem gestrigen Brief möchte ich dir noch einige ergänzende Gedanken über deinen neuen Beruf mitteilen. Ich nehme natürlich an, dass du deine Stellung bei dem Börsenmakler als Schulung betrachtest und auf den Beruf eines BÖRSENSPEKULANTEN zustrebst. Wenn ich den Ausdruck „Spekulant“ verwende, so meine ich ihn im noblen Sinne des Wortes. Der berühmte amerikanische Finanzier, Staatsmann und persönliche Finanzberater von vier amerikanischen Präsidenten, Bernard Baruch, bezeichnete einmal vor einem Untersuchungsausschuss des amerikanischen Kongresses seinen Beruf als den eines Spekulanten.

Zur Familie der Spekulanten gehörten viele berühmte und würdige Persönlichkeiten der Geschichte. Den ersten Spekulanten findest du schon in der Bibel. Es war Joseph in Ägypten, der sich halsbrecherischen Spekulationen hingab. Der ebenso betagte wie weitsichtige Finanzberater des Pharao zog aus dessen Traum von den sieben fetten und sieben mageren Jahren die richtigen Konsequenzen.

Während der fetten Jahre speicherte er große Getreidevorräte ab, um sie dann während der folgenden mageren Jahre wieder auf den Markt zu bringen. Allerdings weiß man bis heute nicht, ob er schon vor 4.000 Jahren der geniale Vater der Planwirtschaft wurde, der Überschüsse einlagerte, um an das spätere Erntedefizit zu denken, oder ob er nur schlicht und einfach – honni soit qui mal y pense – der erste Spekulant der Geschichte war, der die Ware aufkaufte, um sie später teurer zu verkaufen.

Im alten Athen spekulierte man mit Münzen. Die Geldleute wurden Trapezoi genannt, das heißt Trapezkünstler, weil sie hinter einem kleinen trapezförmigen Tischchen saßen und darauf ihre Geldstücke zur Schau stellten. Man könnte in dem Namen auch ein Symbol sehen. Sind nicht die Akrobaten des Geldwesens wahrhafte Trapezkünstler? Die gewagten Geschäfte eines dieser antiken Finanzakrobaten hatten eine Reihe von finanziellen Katastrophen und Preisstürzen ausgelöst. Sein Name Phormion ist zwar nicht unsterblich geworden, aber er gab dem größten Redner des Altertums, dem Rechtsanwalt Demosthenes, den Anlass, die erste leidenschaftliche Verteidigungsrede für die Spekulation zu halten – sicherlich ohne die berühmten Kieselsteine im Mund.

Auch im alten Rom, dem Finanzzentrum des Mittelmeerraumes, blühte die Spekulation. Man spekulierte groß in Getreide und Waren. Die leidenschaftliche Politik Catos, der die Zerstörung Karthagos betrieb, hat den Spekulanten seiner Zeit viel Kummer bereitet. Karthago war die Kornkammer der damaligen Welt und als die Soldaten des Generals Scipio in die zerstörte Stadt einzogen, plünderten sie die Lagerhäuser und Silos. Rom fielen Tausende von Tonnen Getreide zu, zusätzlich zu seiner eigenen Ernte. Die Preise kamen zunächst ins Gleiten und stürzten schließlich senkrecht in die Tiefe.

Viele Spekulanten verloren dabei ihre Federn. Man sprach schon von Zahlungsschwierigkeiten einiger Stammgäste des Forum Romanum. Hier versammelten sich die reichen Bürger in der Nähe des Janustempels, um ihre Geschäftstransaktionen zu besprechen. Und hier holte sich Dr. Cicero, der prominenteste Anwalt seiner Zeit, die Tipps für seine verschiedenen Spekulationen in Grundstücken, Immobilien oder Waren.

Nach einigen Finanzabenteuern ist es ihm gelungen, ein ansehnliches Vermögen zusammenzubringen. Durch seinen Ruhm und seine Persönlichkeit hat er der Spekulation in Rom Auftrieb verliehen. Er sagte, das Geld sei der Nerv der Republik, und war überzeugt davon, dass die Spekulation der Motor der Vermögensbildung sei. Diese Wahrheit bestätigt sich noch heute. Nach meiner Überzeugung ist die moderne Börse der Motor der freien Marktwirtschaft und das Geld ihr Treibstoff.

Auch Sir Isaac Newton, der unsterbliche Entdecker der Gravitationsgesetze, hat sich in der Börsenspekulation versucht. Allerdings mit Misserfolg, sodass er schließlich sogar verboten hat, das Wort Börse vor ihm auszusprechen. Voltaire parlierte mit Freunden stundenlang über Wertpapiere und Geld. Beaumarchais, Casanova, Balzac waren leidenschaftliche Börsenspieler. Der Philosoph Spinoza und der Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo waren neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit begeisterte Spekulanten.

Und wie könnte ich Lord Keynes, den größten Nationalökonomen unseres Jahrhunderts, in dieser Reihe übergehen, unter dessen Porträt die britische Regierung folgenden Text setzen ließ: „John Maynard Lord Keynes, dem es gelungen ist, sich ohne Arbeit ein Vermögen zu schaffen.“

Vielleicht verdanken wir die schönsten Bilder Gauguins seiner Pleite an der Börse. Nach seiner unglücklichen Karriere als Makler musste er, mit Schulden beladen, nach Tahiti fliehen.

Ich habe mit börsensüchtigen Berühmtheiten auch persönliche Erfahrungen gemacht. Obwohl ich Börsianer war, schlug ich, wie du weißt, Ende der 20er-Jahre mein Quartier in dem Pariser Künstlerviertel Montparnasse auf. Im dichten Tabakqualm des Café Dome traf ich oft den großen japanischen Maler Foujita. Trotz der zwei Blondinen, die ihn begleiteten, versäumte er es nie, als Erstes zu fragen: „Nun, mein lieber Kosto, wie steht die Börse?“ Und in einer anderen Ecke unterbrach Hemingway seine literarischen Debatten, um die letzten Nachrichten aus der Wall Street zu hören.

Und erst Fritz Kreisler, der große Geiger! Ich habe ihn, sein Werk und sein Spiel, so tief bewundert. Oft habe ich mich persönlich mit ihm unterhalten und gern hätte ich seine Ansichten über Musik und Musiker gehört. Er aber bedrängte mich um meine Weisheit, denn sein größtes Problem war immer wieder, ob man auf dem Markt bleiben oder alles abstoßen sollte. Er dachte sicherlich, dass ich ein besseres Ohr für die Dissonanzen an der Börse hätte als er. Allerdings hatte er mir gegenüber einen enormen Vorteil. Er konnte seine Börsenverluste vom Vormittag abends mit der Geige wieder „erspielen“.

Bis heute ist mir ein langes Ferngespräch mit meinem guten Freund Emmerich Kálmán in Erinnerung. Er war nicht nur einer der Größten der Wiener Operette, sondern hat sich auch leidenschaftlich für Börsentransaktionen interessiert.

Bei diesem Ferngespräch zwischen Paris und Wien stellte er mir die Frage, ob es vom Anlagestandpunkt aus richtig wäre, Aktien für 100.000 Dollar zu verkaufen (nach der Kaufkraft von heute wäre es eine viertel Million Dollar), um bei Cartier im Gelegenheitskauf einen Diamanten für seine Frau Vera zu erstehen.

Nolens volens musste ich ja sagen, denn eine Stunde zuvor hatte mich Vera ebenfalls aus Paris angerufen und mich gebeten (mit der Begründung, dass alle ihre Freundinnen schon einen besonders schönen Diamanten besäßen, nur sie nicht), ihrem Mann zu dieser „Anlage“ zu raten. Einige Tage später schmückte der Ring die zarten Finger der Vera Kálmán.

Vernunftgemäß wäre es besser gewesen, IBM oder XEROX zu behalten. Aber man kann sich natürlich die Frage stellen, ob das Vergnügen, einen so seltenen Ring zu besitzen, ihn zu tragen und den Freundinnen zu zeigen, nicht mehr bedeutet als Börsengewinn.

Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, dass es für einen Mann viel ungefährlicher ist, wenn sich seine Frau oder Freundin in Juwelen, Pelze et cetera verliebt als in ein Bankkonto. Denn Letzteres hat keine Grenzen …

Nach dem Krieg hatte ich das große Glück, in der Schweiz meinem Idol im Reich der Musik, Richard Strauss, zu begegnen und sein Freund zu werden. Oft saßen wir beim Essen beisammen und ich lauschte begierig, ein Wort des Meisters über Musik zu vernehmen. Aber vergebens. Man sprach nur über Geld und seine Frau Pauline wollte alles über die Börse wissen. Das Phänomen Börse reizt nun einmal die Menschen. Folgende Geschichte erscheint mir typisch. Mein guter Freund Janos H. aus Budapest ist noch immer oft unser Gast an der französischen Riviera. Er ist ein Mann von großer Kultur und besonders in der französischen Literatur bewandert. Ich wollte ihm eine besondere Freude machen und lud meinen Freund und Nachbarn, den französischen Schriftsteller und Goncourt-Preisträger M. C., ein. Letzterer war zudem Kunstkritiker und Professor der französischen Literatur in Amerika. Ich wollte eigentlich vor dem Franzosen mit meinem ungarischen Freund angeben, wollte ihm zeigen, dass man selbst im kommunistischen Ungarn über die jüngste französische Literaturentwicklung wohlinformiert ist. Mein Freund Janos bereitete sich tagelang auf den literarischen Gedankenaustausch vor. Leider kam es nicht zu dem geplanten belletristischen Gespräch, da mein Ehrengast mich mit Fragen über Elektronik und Ölwerte, Goldpreise und Geldmarkt bombardierte. Mein armer Freund Janos H. konnte kein Wort anbringen. Traurig saß er bei Tisch. Das geplante literarische Mittagessen war ein Fiasko geworden.

Ich habe mich mit meinem Nimbus abgefunden. Deshalb warne ich auch alle gastfreundlichen Damen davor, mich einzuladen, wenn sie Künstler, Schriftsteller oder andere Schöngeister empfangen. Schon meine Anwesenheit verpestet die Atmosphäre … Also Achtung! Eines schönen Tags wird dir dasselbe Schicksal blühen.

Frauen und die Börse

WAS FRAUEN VON DER BÖRSE WISSEN MÜSSEN, wurde ich oft von Damen gefragt. Eigentlich nicht viel. Die Börse ist ein Kampffeld für Männer. Umso mehr aber sollten die Frauen über die Männer wissen, die an der Börse spielen. Die Männer profitieren von der Börse und die Frauen profitieren von diesem Profit.

Die Börsianer geben das Geld leicht und leichtsinnig aus, denn das Geldverdienen an der Börse ist manchmal leicht, so leicht, dass man dem Glück gewogen ist. Dann denkt man nicht einmal daran, dass die so mühelos eingestrichenen Geldsummen oft nur geliehenes Geld sind. Denn beim nächsten Umschwung muss man oft das Ganze wieder zurückzahlen.

Dieses leicht erworbene (aber nicht verdiente) Geld werden wir Börsianer zum Großteil – da wir ja auch Kavaliere sind – für Frauen ausgeben.

Wenn alles gut geht, wenn die Kurse steigen und wir von der allgemeinen Hausse profitieren, dann geht es den Freundinnen überaus gut. Wenn sich aber das Glücksrad dreht, wenn die Baisse einsetzt und die Kurse fallen, dann leiden zuerst die Ehefrauen darunter.

Was sind eigentlich Hausse und Baisse? Die beste Antwort darauf gab ein alter Freund von mir, als sein kleiner Sohn ihm diese Frage stellte. „Die Hausse, mein Söhnchen, das ist Champagner, Kaviar, Autos, schöne Frauen … und die Baisse, mein Liebling, das ist ein Glas Bier, ein Paar Würstchen, die Straßenbahn, deine Mama.“ Ich glaube, kein Professor der Volkswirtschaftslehre hat je eine markantere Definition über Hausse und Baisse, über Konjunktur und Wirtschaftskrise gegeben.

Es gibt aber auch einige wenige Börsianer, die auf fallende Kurse, das heißt auf Baisse, spekulieren. Eine kluge Frau sollte also immer einen Baisse-Spekulanten als Liebhaber in Reserve haben. Dann ist ihr Wohlergehen für alle Zeiten gesichert.

Das Börsenglück dreht sich so rasch wie eine Windfahne und auch der klügste Spekulant weiß nicht immer, wann es sich wendet. Die Frauen tun gut daran, sich dessen bewusst zu sein. Denn die Seelenstimmung entwickelt sich in uns Männern parallel zu den Kursen. In mageren Zeiten müssen die Damen also geduldig zuwarten, die fetten Jahre kommen bestimmt wieder.

Wie die Frauen sich benehmen, ist äußerst wichtig für einen Börsenspieler. Wie viele Spekulanten haben ihre Nerven und damit ihr Geld verloren, nur weil ihre Frauen in einer schwierigen Zeit nicht verständnisvoll waren.

Nein, leicht ist es nicht, die Frau oder die Geliebte eines Spekulanten zu sein. Denn die Börse entscheidet selbst über die Stimmung im Alltag. Die Ferien, das neue Auto und der Pelzmantel sind oft in Rauch und Dunst aufgegangen, nur weil die Kurse nicht so ausfielen, wie man es erhoffte.

Das Leben mit einem Börsianer ist aber auch aus anderen Gründen schwierig. Der echte Spekulant lebt, träumt und spricht nur von der Börse. Wenn Damen mit Interesse zuhören oder zumindest den Eindruck erwecken, als ob sie Interesse zeigten, wenn ihr Partner von Kursen, Dividenden und dem Geschäftstratsch redet, dann dürfen sie sicher sein, einen Mann fürs Leben gewonnen zu haben.

Es gibt zwar Männer, die nach einem anstrengenden Geschäftstag sich gern mit halbem Ohr das leichte Geplauder ihrer Frauen anhören – nicht so die Börsianer. Die wollen argumentieren, diskutieren und überzeugen, als hätten sie nicht ihre Frau vor sich, sondern einen Kunden.

Eine richtige Frau sollte deshalb etwas darüber wissen, mit welchen Aktien ihr Mann spekuliert. Er wird sich immer freuen, wenn er die Käsesorte oder das Getränk auf dem Tisch findet, an denen er als Aktionär beteiligt ist. Leicht aber wird er den Appetit verlieren, wenn ihm seine Frau eine Marke vorsetzt, mit der er falsch spekuliert hat. Er kauft einen BMW oder einen Mercedes, je nachdem, ob er Aktionär der einen oder der anderen Firma ist. Ein Volkswagen wäre unter der Würde eines Börsianers, es sei denn, er spekuliert groß in dieser Aktie.

Die Frau oder Freundin eines Börsenspielers ist aber auch eine Werbemarke. Ob er an der Börse Erfolg hat, liest man am Schmuck und an den Toiletten seiner Frau ab. Eine bezaubernde, elegante Frau mit reichem Schmuck erhöht den Kredit, den ihr Mann oder Freund bei seinen Bankiers, Kunden oder Kollegen besitzt. Sie ist sozusagen die Inkarnation seines Erfolges.

Die Damen haben jedoch keineswegs nur eine passive Statistenrolle zu erfüllen. Manchmal benötigt der Mann die weibliche Intuition. Was nutzen die ganze Finanzwirtschaft und alle technischen Kenntnisse, wenn der göttliche Funke, das heißt die Inspiration, fehlt? Und die kommt bei wichtigen Entschlüssen doch von der geliebten Frau!

Warenterminhandel

Lieber Hans,

du schreibst mir, dass deine Firma auch im WARENTERMINHANDEL sehr aktiv ist. Das interessiert mich sehr, da meine ersten Kindheitserinnerungen sehr eng mit Warenmärkten verbunden sind. Im damaligen Ungarn hatte die Getreidespekulation eine große Tradition und so auch in unserer Familie.

Die Budapester Warenbörse glänzte mit ihren Umsätzen in Getreidesorten aller Art, denn das Land war ein Großerzeuger von Weizen, Mais und Hafer. Der Budapester Terminhandel war der dynamischste auf dem Kontinent. Kauf- und Verkaufsaufträge wurden von Übersee gekabelt und diese ungewöhnliche Börsentätigkeit gab dem Alltag ein eigenes Kolorit. Neben den Riesengeschäften bot sich auch die Gelegenheit zu kleineren Spekulationen, an denen sich jedermann beteiligen konnte. Dies kam der fröhlichen Spielermentalität der Ungarn entgegen, die damalige Budapester Getreidebörse war das Fußballtoto ihrer Zeit.

Die Getreidekurse gehörten zum täglichen Gesprächsthema, wie auch alles, was ihre Entwicklung beeinflussen konnte. Regisseur bei diesem Spiel war das Wetter. Die Farbe des Himmels, Sonne oder Regen beeinflussten die Börsenkurse, denn ein zu heißer Sommer verbrannte die Ernte und ein großer Regenguss konnte sie wieder retten. Die Kurse stiegen oder fielen wie der Wetterfrosch auf seiner Leiter.

Ich erinnere mich, dass mir als Kind der Ausdruck „Der Ring der Nibelungen“ irgendwie im Ohr hängen geblieben war. Er fiel öfter in den Gesprächen der Erwachsenen, im Freundeskreis meiner Eltern.

Erst viele Jahre später wurde mir klar, dass es sich weder um die germanische Mythologie gehandelt hat noch um Wagners Nibelungen-Trilogie, sondern um den „Ring, der nie gelungen“. Es war ein Kalauer der Börsenwitzbolde für den Haferring, der nie gelungen war. „Ring“ nennt man das Börsenmanöver, wenn ein Syndikat mit großen Mitteln die ganze Produktion einer bestimmten Ware auf Termin aufkauft, weil es weiß, dass man diese Ware unbedingt benötigt und den vom Syndikat diktierten hohen Preis zahlen wird. Englisch nennt man diese Spekulation „corner“. Das Haferring-Syndikat hatte diese Manöver wiederholt versucht, denn dem Hafer kam in der Habsburger Monarchie für die Armee die gleiche Bedeutung zu wie heute dem Benzin. (Die Vorläufer der Panzerbesatzungen waren die Husaren und die Dragoner.)

Der Börsencoup ist aber nie gelungen, entweder machte das Wetter einen Strich durch die Rechnung – die Ernte war so reich, dass das Syndikat nicht über genügend Mittel verfügte, um sie vollständig aufkaufen zu können – oder die Regierung griff ein, indem sie auf die Banken Druck ausübte, um die Kredite für das Syndikat zu sperren. Das war also der berühmte „Haferring, der nie gelungen“.

Die Warenspekulation dehnte sich auf alle Gebiete aus, denn das Warentermingeschäft hat ja a priori seine Berechtigung. Der Landwirt verkaufte seine Produkte auf Termin an die Mühle, der Zuckerfabrikant Rohzucker an die Schokoladen- und Getränkefabriken, der Textilfabrikant kaufte Wolle auf Termin von den Schafzüchtern und so weiter.

Zum Schluss spekulierte jeder mit der Ware seiner Branche, kaufte und verkaufte mehr, als er brauchte oder liefern konnte, wenn er der Meinung war, dass diese oder jene Ware steigen oder fallen würde. Jeder hielt sich für einen Experten in den Produkten seiner Branche. Die Pester-Victoria-Dampfmühle machte mit mehreren Millionen Pfund Pleite, weil sie sich in Getreide verspekuliert hatte. Die Zuckerbarone „Hatvany“ gewannen durch Spekulationen in Zuckerquantitäten ein Vermögen, unabhängig von dem Geschäftsgang ihrer Fabrik.

Und heute geht es genauso. Erst vor Kurzem erzählte mir ein deutscher Großindustrieller, dass er auf dem Metallmarkt sehr aktiv sei, allerdings nur, um den Bedarf seines Unternehmens in Kupfer, Blei oder Zinn et cetera zu decken. Von mir bedrängt, gab er aber schamhaft zu, dass er auch manchmal mehr kauft, als er für seine Produktion braucht, oder sogar bestimmte Metalle leerverkauft, weil er die Kursentwicklung dieser oder jener Ware vorauszusehen glaubt. Ich war zu diskret zu fragen, ob seine Spekulationen von Erfolg gekrönt waren oder nicht …

Meine ersten Börsenerinnerungen

Weit dramatischer hingegen sind die Erinnerungen an die ersten BÖRSENTRANSAKTIONEN, die sich in meiner Familie abgespielt haben.

Marienbad, Sommer 1914. Damals weilte unsere Familie zur Kur in diesem idyllischen Badeort inmitten des Böhmerwaldes. Wir wussten es noch nicht, aber es war das Abendrot der k. u. k. Monarchie und jeder lebte in der sorglosen Beschwingtheit, die großen Katastrophen voranzugehen pflegt.

In diese Friedensatmosphäre fielen wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Revolverschüsse von Sarajevo. Plötzlich begann es nach Pulver zu riechen.

Von Panik ergriffen stoben die Kurgäste in alle Länder der Monarchie unter dem Doppeladler auseinander. Meine Eltern beschlossen zu bleiben, um die Kur zu beenden. Auf der Kurpromenade diskutierte man unter den Klängen der Militärkapelle mit Freunden über die neuesten Nachrichten aus Paris, Berlin und Sankt Petersburg.

Trotz der ernsten Lage hatte die Börse nichts von ihrer Anziehungskraft eingebüßt. Man stürzte sich auf die Gazetten aus Wien und Budapest, um die neuesten Börsenkurse zu verfolgen. Ein wahres Spekulationsfieber setzte ein. Auf dieser Welle sind einige reich geworden (diejenigen, die in Waren spekulierten), andere zugrunde gegangen, da sie sich groß in Wertpapieren engagiert hatten.

An den Warenbörsen stürzte man sich auf Waren, die im Kriegsfalle nicht mehr eingeführt werden konnten. Man spekulierte in Kakao, Vanille, Pfeffer, aber auch in Raffia, einer Hanffaser, die dazu dient, die Weinreben festzubinden.

Mein Bruder Emmerich, damals ein junger Angestellter in einer Großbank, wurde ebenfalls von diesem Fieber erfasst und spekulierte mit einigen Freunden in Raffia.

Zunächst erschien auch alles gut zu gehen. Doch als Feldmarschall Hindenburg die Russen bei Tannenberg in Ostpreußen schlug, kam es in allen Warenkursen zu einem starken Rückschlag, da man glaubte, der Krieg würde in kürzester Zeit zu Ende sein.

Emmerich verlor sein ganzes Geld und war außerdem schon bei der Bank verschuldet. Als er in dieser dramatischen Situation von Selbstmord zu sprechen begann, musste mein Vater seine Schuld begleichen, um die drohende Tragödie abzuwenden. Seither wurde das Wort Raffia in unserer Familie nicht mehr erwähnt.

Kaum war diese unglückliche Spekulation liquidiert, da nahmen die Ereignisse an der Front und an der Börse abermals eine Wende. Die Franzosen hatten die Marneschlacht gewonnen und man rechnete nunmehr mit einem langen Krieg. Die Raffia-Faser begann wieder zu klettern, aber leider für uns zu spät. So habe ich schon früh gelernt, dass an der Börse die Dinge zuerst immer anders kommen, als man denkt, und erst später so eintreffen, wie man es gehofft hat.

Die Welt von Marienbad mit ihrer Promenadenmusik und den internationalen Kurgästen ist längst versunken, wie auch die Börse von Budapest. Mein Bruder und meine Eltern sind längst tot. Gemessen an den ungeheuren Spekulationen von heutzutage, erscheint die Raffia-Spekulation mikroskopisch. Die Summe, die mein Bruder verlor und die beinahe eine Tragödie ausgelöst hätte, liegt nicht höher als die Zeche eines lustigen Abends eines Wall-Street-Bonzen. Aber die Geschichte blieb mir als wehmütig in Erinnerung.

Die „sicherste“ Spekulation

Lieber Hans,

ich will heute auf WARENSPEKULATIONEN zurückkommen, da ich in letzter Zeit feststellen musste, dass sich ein Teil des Börsenpublikums mehr und mehr für diese Art von Spekulation interessiert, und dies vor allem, weil die großen Maklerfirmen eine aggressive Propaganda dafür machen.

Nichts kann überzeugender wirken als Marktberichte; Ernte- und Konsumziffern, Lagerbestände und so weiter reihen sich mit unwiderlegbarer Logik aneinander. Es mutet fast wie ein Kinderspiel an, die Kursentwicklung von Sojabohnen, gefrorenen Krebsen oder Schweinebäuchen vorauszuberechnen. Nur vergisst man dabei leicht die Imponderabilien, die bei Spekulationen viel ausschlaggebender sind als die genauesten Statistiken.

Dazu will ich dir nur eine meiner zahlreichen Erinnerungen erzählen. Bacon (Speck) ist in der angelsächsischen Welt ein unentbehrlicher Bestandteil des Frühstücks. Im Frühjahr 1933 war er Mittelpunkt eines leidenschaftlichen Börsenspiels. Eine Armee von Börsenmaklern aus Chicago überschwemmte die Vereinigten Staaten und Europa und sie erzählten allen von ihrem wunderbaren Tipp. Sie hatten die „Spekulation des Jahrhunderts“ entdeckt und wollten die Masse ihrer Kunden daran profitieren lassen.

Seit die Welt besteht, gibt es eine konstante Preisrelation zwischen Mais und Schweinespeck, denn aus dem Mais wird in der wunderbaren „Fabrik Schwein“ der Speck erzeugt. Wenn wir also annehmen, dass der Kurs für Mais auf 100 steht, dann muss der Speck natürlich auf 120 stehen. So war es seit eh und je.

Doch so unwahrscheinlich es auch scheinen mochte, der Mais stand damals auf 90 und der Speck auf 130. Jeder Spekulant, der diesen Namen verdient, war es sich schuldig, nach diesem Geschenk des Himmels zu greifen. Man musste einfach an der Warenbörse von Chicago Mais kaufen und damit à la hausse spekulieren, dann Speck auf Termin leerverkaufen und à la baisse spielen. Es lag auf der Hand, dass die Kursspanne viel zu groß war und sich schnell wieder verringern musste. Wie viele meiner Freunde konnte auch ich der Versuchung nicht widerstehen. Doch gegen alle Erwartungen hielt das Schicksal nur schmerzliche Überraschungen für uns bereit. Der Maiskurs rutschte tiefer und tiefer und der Speckpreis kletterte höher und höher. Die Niederlage war ebenso hart wie unverständlich.

Was war geschehen? Ein neuer Mann war in Washington ins Weiße Haus eingezogen, Franklin D. Roosevelt. Mit ihm begann eine neue Ära, auch für die Wirtschaft. Unter den zahllosen Verordnungen, die den New Deal einleiteten, war auch ein Erlass, der die Abschlachtung von Millionen Ferkeln verlangte. Das Resultat war, dass nicht mehr genügend Schweine da waren, um den Mais zu fressen. So kam der Kurssturz in Mais. Es waren aber auch nicht mehr genug gemästete Schweine da, das Schweineschmalz fehlte ebenfalls und sein Preis sauste in die Höhe.

Eine wahre Panik bemächtigte sich der fettverarbeitenden Industrie. Die fast vollkommene Spekulation war zusammengebrochen, weil wir vielleicht einen Augenblick lang vergessen hatten, dass man auch bei der scheinbar sichersten Kombination mit allem rechnen muss. Vor allem mit dem Unerwarteten.

Aber das erfährt der Spekulant immer nachher. Es sind ja gerade die Überraschungen, die aus gewissen Handelstransaktionen Spekulationen machen. Andernfalls würden sie unschuldige, bürgerliche Geschäfte bleiben.

Ein weiteres dramatisches Kapitel aus meinen Spekulationen hat sich ebenfalls unter der New-Deal-Ära Roosevelts zugetragen. Es illustriert das oben Gesagte und hat mich eine schöne Stange Geld gekostet. Diesmal handelt es sich um Silber.

Henry Morgenthau, Roosevelts Finanzminister, wollte 1933 der Federal Reserve Bank zu einem Silberbestand verhelfen, der dem Goldbestand angemessen sein sollte. Das Gesetz setzte einen hohen Preis fest, zu dem die Regierung das Silber amerikanischer Bergwerke aufkaufen sollte, um so frisches Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Die Einfuhr ausländischen Silbers wurde dagegen verboten.

Logisch stürzten wir Spekulanten uns auf das Silber der Londoner Börse. Der Preis des Londoner Silbers lag bei einem Viertel des Morgenthau-Einkaufspreises, dies war eine unglaubliche, fantastische Möglichkeit. Angesichts des Umfangs der Spekulation stieg der Kurs, doch war die Sache immer noch interessant.

Und dann kam, wie so oft, die große Überraschung. Trotz des Einfuhrverbotes erreichten enorme Mengen ausländischen Silbers die amerikanischen Küsten. Die Chinesen sind seit jeher die geschicktesten Schmuggler der Welt gewesen und so war es ein Kinderspiel für sie, den Silberstrom aus dem chinesischen Versteck via Hongkong nach Amerika zu leiten. Das aus China importierte Silber hatte die gleiche Farbe wie das Silber aus Nevada und das Montanas ähnelte auf merkwürdige Weise den Schiffsladungen, die aus Bombay eingeschmuggelt wurden. Die USA bezahlten alles.

Die Chinesen kauften mit diesem Geld in weiser Voraussicht Waffen in Deutschland, da der Bürgerkrieg bereits in der Luft lag.

Sie erhielten für ihr Silber einen so hohen Preis, dass er für das Kriegsmaterial ausreichte, das die deutschen Fabriken heimlich herstellten. Hitlers Wirtschaftscredo lautete: Deutschlands Zukunft liegt in seinem Export.

Deshalb saugte das Regime auf Veranlassung von Dr. Schacht, dem Reichsbankpräsidenten und Wirtschaftszauberer des Dritten Reiches, die Arbeiter mehr und mehr aus und forcierte so den Export, den die Chinesen ohne den Silberschmuggel niemals hätten bezahlen können.

Und so kam es, dass die unüberlegte Geldpolitik eines Finanzmannes durch den geheimnisvollen Kreislauf des Kapitals zu einer Stärkung der nazistischen Wirtschaftspolitik führte …

Doch dann fiel die Entscheidung. Die USA konnten nicht länger solche Summen ausgeben. Die Gesetzgebung musste geändert werden. Sofort stürzten in Hongkong, Bombay und London die Kurse.

Auf dem Papier war ich durch diese Spekulation, die mir einen astronomischen Gewinn gebracht hatte, Millionär. Doch in 24 Stunden war die Fata Morgana meiner Millionen wieder verschwunden, ohne dass ich deswegen verzweifelt gewesen wäre. Mit dem Silber hatte ich kein Geld verdient. Es war nur ein Papiergewinn, der aber war mir so schnell in den Schoß gefallen, dass ich mich noch nicht daran gewöhnt hatte. Dadurch ist mir auch der Verlust leichtgefallen.

Eine sehr kleine Revanche gab mir das weiße Metall fast 30 Jahre später. Ich hatte wieder Silber gekauft, zu einem Plafondpreis, der von der US-Regierung künstlich gehalten wurde, um den Preis nicht weiter in die Höhe gehen zu lassen.

Gewisse Symptome und Umstände veranlassten mich damals, in Silber einzusteigen. Und wirklich entschloss sich die amerikanische Regierung einige Wochen später, den Plafondpreis um 20 Prozent hinaufzusetzen. Der Coup war gelungen – diesmal aber in relativ bescheidenen Proportionen.

Die Silberspekulation in der Roosevelt-Ära hat mich etwas äußerst Wichtiges gelehrt. Ein besonderes Element jeder Börsenspekulation sind die Imponderabilien, das Unwägbare. Sie werden erst dann sichtbar, wenn es schon zu spät ist. Man muss es deshalb verstehen, sie irgendwie in die Spekulation einzubauen.

In den Jahren des New Deal waren die Imponderabilien besonders zahlreich. Noch heute nähren die Spekulanten einen Groll gegen die damaligen finanziellen und wirtschaftlichen Neuerungen, die sich ihren Projekten in den Weg stellten.

An der Wall Street verzeiht man nicht.

Du darfst nicht vergessen, dass Roosevelts ungewöhnliche Methoden seine Antwort auf eine ungewöhnliche Situation waren. Amerika musste vom Albdruck der Depression befreit werden. Dazu waren Maßnahmen erforderlich, die zwar den Einzelinteressen zuwiderliefen, dafür aber dem Allgemeinwohl dienten. Und Roosevelt hatte den Mut, die Verantwortung für diese Maßnahmen auf sich zu nehmen.

Zahlreiche unserer Spekulationen endeten damals mit einem Fiasko, doch gab es auch solche, die trotz Planwirtschaft, trotz „Befehlen von oben“, erfolgreich waren.

Dazu fällt mir eine Geschichte ein: Europa war damals schon im Krieg, Amerika aber noch neutral. Da ich Geld flüssig hatte, das ich nicht in Effekten anlegen wollte, wandte ich mich den Rohstoffen zu. Sie würden mich vor einer Dollar-Entwertung umso sicherer bewahren, als sie auch im Lagerhaus ihren Wert behielten.

Auch heute ist dies der Kampfschrei der Broker, die für den Warenterminhandel damit werben, dass Rohstoffe der beste Schutz gegen Inflation seien. Wie falsch diese Argumentation ist und wie launisch sich die Warenbörse in ihren Kursentwicklungen zeigt, soll dir meine persönliche Erfahrung illustrieren.

Ich wollte mich also gegen die Inflation schützen und dazu noch schlau handeln. Ich kaufte also keinen Weizen, keinen Mais, keine Baumwolle, keine Produkte, die auf amerikanischem Boden wuchsen, denn es war kaum anzunehmen, dass sie knapp werden würden. Dagegen stürzte ich mich auf eingeführte Rohstoffe, Tropenerzeugnisse, die im Kriegsfall bestimmt rationiert würden, wie dies schon der Fall bei Kriegsausbruch 1914 war.

Abgesehen von den Gefahren des U-Boot-Krieges waren die Güter aus dem Fernen Osten und dem pazifischen Raum einer Hausse der Frachtsätze und Versicherungsprämien unterworfen. Von diesen Überlegungen ging ich aus und stellte eine Liste der Spekulationsgüter auf. An die Spitze setzte ich Kautschuk, das strategische Produkt Nummer 1, dann Seide, in Anbetracht der unfreundlichen Beziehungen zu Japan. Natürlich Pfeffer, Zinn, dessen Transport von Java aus sehr fraglich schien, schließlich Wolle aus Australien für die vielen Uniformen.

Die Theorie war vollkommen, die Praxis weniger. Die Regierung griff ein und alle Spekulationen scheiterten. Der Kautschuk wurde zu einem niedrigen Preis requiriert, und zwar schon vor dem Kriegseintritt der USA, eine Maßnahme, die nie zuvor in Friedenszeiten ergriffen wurde. Die Seide blieb relativ stabil, weil Dupont de Nemours das neue Produkt Nylon auf den Markt brachte und die Nachfrage nach Seide dadurch weniger fühlbar wurde. Als der Krieg mit Japan später eine Hausse der Seide hätte bringen müssen, wurde die Kursnotierung eingestellt und die Zwangsliquidation zu dem Kurs durchgeführt, der vor Kriegsausbruch notiert worden war. Das Schicksal der Wolle verlief völlig unerwartet. Die Schiffe, die Munition nach Australien brachten, luden auf dem Rückweg ganze Schiffsladungen voll Wolle, um nicht leer zurückzukehren. Durch diese Einfuhren schwollen die Vorräte an und der Kurs blieb stabil.

Dagegen erwiesen sich alle Waren aus dem Land selbst als ausgezeichnete Spekulationsobjekte. Präsident Roosevelt musste trotz seiner Autorität ein gewisses Maß von Demagogie walten lassen. Von den Plantagenbesitzern im Süden und den Landwirten im Mittelwesten unter Druck gesetzt, musste er Preisgarantien für Baumwolle und Getreide gewähren, um sich die nötige politische Unterstützung zu sichern.

Du siehst, auch hier haben mir die Imponderabilien das Konzept verdorben. Krieg, Waffenstillstand, Revolution, sozialer Friede – es gibt unzählige Elemente, welche die solideste Spekulation stören, ihre Resultate annullieren oder multiplizieren können.

Merke dir eines: Die Spekulation ist eine gefährliche Seefahrt, man braucht ein seetüchtiges Boot und einen geschickten Steuermann.

Das Wetter als Börsenbarometer

Lieber Hans,

wie du lesen konntest, habe ich schon sehr früh gelernt, dass auch dem WETTER BEI BÖRSENSPEKULATIONEN eine große Rolle beikommt.

Regenwolken haben mich jahrzehntelang bei meiner Börsenlaufbahn verfolgt. Zitternd beobachtete ich den Himmel über New Orleans, während ich die Baumwollkurse verfolgte. Vor der Getreideernte im Mittelwesten habe ich den Wind erforscht, bevor ich in Chicago kaufte oder verkaufte. Mit wissendem Lächeln beobachtete ich die würdigen Herren der Pariser Warenbörse, Bevollmächtigte großer Zuckerfabriken, wenn sie zwischen den Kursnotierungen immer wieder auf die Straße liefen, um den Himmel zu beobachten. Klärte er sich auf, dann stieg der Zucker, ein paar Regentropfen und die Kurse fielen. Denn für das Gedeihen der Zuckerrüben sind große Regenmengen nötig.

Paris war nämlich, schon vor 1914 und bis zum letzten Krieg, das große Schlachtfeld der Zuckerspekulation. Unter dem Taktstock großer Inspirationen vollzog sich hier ein leidenschaftliches Spiel um den Zucker. Das ging so weit, dass die französische Regierung sogar eingreifen musste, als Monsieur Crosnier, einer der Könige des Marktes, Bankrott machte. Am folgenden Tag stürzte der Zucker von 33 auf 16 Franken, was für die nationale Zuckerindustrie eine neue und gefährliche Situation schuf.

Es war immer das gleiche Lied. Regen oder Sonnenschein bedeuteten eine Hausse oder eine Baisse von 10 bis 20 Prozent bei allen Rohstoffen, die den Launen der Meteorologie unterworfen sind. Ich habe zum Beispiel vor einigen Jahren eine schöne Menge Geld in einer Spekulation mit Kühlhauseiern in Chicago verloren. Aus statistischen Zahlen konnte man mit Sicherheit schließen, dass die Preise für Kühlhauseier in Chicago während der kommenden Monate zurückgehen mussten. Dies war jedenfalls die dringlichste Empfehlung einiger großer Brokerhäuser, die in Amerika als Koryphäen der Warentermingeschäfte gelten. Aber General Winter hatte anders entschieden. Die Kältewelle dauerte viel länger als vorgesehen, die Hühner setzten mit dem Legen viel länger aus als üblich und die Hausfrauen mussten alle auf die Kühlhauseier zurückgreifen. Die Preise stiegen um 50 Prozent und die Baisse-Spekulation zerbrach wie Eierschalen.

Manchmal greift die Natur aber noch brutaler ein und macht aus einem simplen Vorgang ein Drama. Dabei denke ich an keine ungewöhnlichen Ereignisse wie Erdbeben oder Überschwemmungen, sondern ganz gewöhnliche atmosphärische Einflüsse, die sich in gewissen Regionen regelmäßig bemerkbar machen. Manchmal sind sie die Ursachen wahrer Finanzkatastrophen.

Jahrelang spürten einige Schweizer Banken die Nachwehen eines Finanzkrachs, der sich vor einigen Jahren zugetragen hat. Damals musste eine Finanzierungsgesellschaft ihre Zahlungen einstellen, nur weil das Barometer gefallen war. Folgendes war passiert. Eine große Import-Export-Firma hatte mit Kopra, einem vielfach verwendbaren landwirtschaftlichen Erzeugnis, auf Baisse spekuliert. Kopra, das getrocknete Kernfleisch der Kokosnuss, gibt jenen flockigen Schaum, der die gute Qualität bestimmter Seifenmarken garantiert. Außerdem ist Kopra ein Hauptbestandteil der Margarine.

Diese Gesellschaft hatte an den holländischen Trust Unilever, ihren größten Kunden, eine große Menge Kopra schon vor der Ernte verkauft. Mit dem Ende des Koreakrieges erwartete sie eine Baisse auf dem internationalen Rohstoffmarkt, besonders für Produkte aus dem pazifischen Raum. Ihre Absicht war, die Kopra-Ernte der Erzeugerländer vor dem für die Lieferung festgesetzten Datum billig aufzukaufen, das heißt zu einem Einkaufspreis, der ihr eine bedeutende Gewinnspanne sicherte. Dies ist das klassische Schema der Baisse-Spekulation.

Dann geschah das Unerwartete. Der Taifun „Isabella“ hatte die Philippinen, das Haupterzeugerland von Kopra, heimgesucht. Alle schönen Kalkulationen wurden innerhalb weniger Stunden von den Fluten fortgespült, der Taifun hatte die Kopra-Ernte fast völlig vernichtet. Die Schweizer Gesellschaft musste sich unter den größten Schwierigkeiten die versprochene Ware beschaffen, die sie dort nicht mehr kaufen konnte, weil es praktisch keine mehr gab.

Der Mangel an Kopra ließ den Preis natürlich hinaufschnellen. Wer Lagervorräte besaß, diktierte nach Gutdünken den Preis und die Gesellschaft musste sich fügen. Die Transaktion schloss mit Verlusten ab, die zehn Millionen D-Mark weit überschritten. Für einen Augenblick gerieten die Banken, welche die Bürgschaft gegenüber dem Käufer übernommen hatten, beinahe in Schwierigkeiten.

Kleine Ursachen – große Wirkungen. Dies alles, im Grunde genommen, weil man das Fell des Bären verkaufen wollte, ehe man ihn erlegt hatte. Was das im Börsenjargon bedeutet, werde ich dir in meinem nächsten Brief erklären.

Bär (Baisse) und Stier (Hausse)

Lieber Hans,

apropos Bärenfell, das der Jäger verkauft, bevor er den Bären geschossen hat. Dieses Sprichwort erinnert mich an eine Redensart, die aus dem Bereich der angelsächsischen Börsen stammt. Man nennt denjenigen „bearish“ oder einfach „bear“, BÄR, DER DIE BAISSE ERWARTET UND AUF FALLENDE KURSE SPEKULIERT.

Zu einem heute festgelegten Preis verkauft er eine Ware oder ein Wertpapier, die er noch gar nicht besitzt. Er braucht sie erst zu einem späteren Termin, in einigen Monaten, manchmal erst in einem Jahr, gegen Zahlung zu liefern.

Er hofft, dass die Preise vor der Lieferung dieser Waren oder Effekten fallen werden, er sie also billiger kaufen kann. Zwischen dem höheren Verkaufspreis und dem billigeren Einkaufspreis liegt sein Gewinn.

Wenn er aber Pech hat, findet er keinen Bären, den er schießen kann, oder, wie im oben genannten Beispiel, konnte die Finanzgesellschaft die Kopra nicht kaufen, weil die Ernte vernichtet war.

Da sich aber der Jäger, das heißt die Kopra-Gesellschaft, verpflichtet hat, zum vereinbarten Termin und zum vereinbarten Preis die Ware zu liefern, muss sie diese Ware zu einem hohen Preis eindecken und anstatt mit dem erwarteten Gewinn schließt sie mit einem Verlust ab.

Dem BÄREN GEGENÜBER STEHT DER STIER, englisch „bull“ genannt. Er ist das Sinnbild des Spekulanten, der wie ein Stier voranstürmt und mit seinen Hörnern alles in die Höhe schleudert, was ihm in den Weg kommt. Gemeint sind natürlich die Kurse.

Die Ausdrücke „bull“ und „bear“ sind in den Börsenjargon eingegangen. Sie werden in Amerika täglich Millionen Mal verwendet. Wenn ein Börsianer vor Eröffnung des Marktes erklärt: „Heute bin ich bullish, mein Lieber!“, so gibt er damit seinem Kollegen zu verstehen, dass er für den Tag steigende Kurse erwartet. Diese Ausdrücke sind nicht nur in London und New York gang und gäbe, sie werden an allen Börsen der Welt verstanden, aber nur in englischer Sprache. Kein Mensch würde verstehen, wenn man von einer „Stierlage“ spräche, aber jeder weiß, was eine „bull situation“ ist.

An allen Börsen der Welt stehen sich „bull“ und „bear“ feindselig gegenüber, häufig mit recht wilden Methoden. Sie sind in ihrem Charakter, in ihrer Weltanschauung so grundverschieden, dass es keinen Lebensbereich gibt, auf dem sie der gleichen Meinung wären. Sie hassen einander. Der Stier versucht den Bären zu Boden zu schleudern, während Letzterer nur auf den Augenblick lauert, ihn mit seinen Tatzen zu erwürgen.

Der Ausgang des Kampfes hängt nicht von der Ausdauer der beiden Gegner ab, auch nicht von ihrer Stärke. Viele und ganz andere Faktoren schalten sich ein, die ich dir später noch erklären werde. Es handelt sich um außen- und innenpolitische, wirtschaftliche, psychologische und andere Einflüsse verschiedenster Art. Darum muss ein Spekulant alle Ereignisse der Weltbühne minutiös verfolgen. Das musst du dir immer vor Augen halten.

2

Was ist die Börse?

Monte Carlo ohne Musik

Lieber Hans,

ich habe dir noch nicht erklärt, was DIE BÖRSE wirklich ist. Jeder hält eine eigene Definition bereit. Für die einen ist sie Monte Carlo ohne Musik, ein Casino, in dem man sich während eines Abends eine runde Summe erspielen will, noch dazu in einer angenehm aufregenden, nervenkitzelnden Atmosphäre. Aber nicht für mich und hoffentlich wird sie es auch nicht für dich sein. Für andere ist sie das Nervenzentrum oder sogar der Motor des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Wahrheit liegt zwischen beiden Auffassungen und sie ist in der Tat etwas komplizierter, als man glauben sollte.