Gender - Sprache - Stereotype - Hilke Elsen - E-Book

Gender - Sprache - Stereotype E-Book

Hilke Elsen

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Beschreibung

Sprache wirkt sich auf das Denken und Handeln aus und transportiert Rollenbilder. Der Band erläutert die vielfältigen Ursachen von Geschlechterstereotypen und zeigt Möglichkeiten auf, in Lehr- und Lernsituationen oder bei der Beurteilung von Kindern gendersensibel zu agieren. Sein Fokus liegt auf der Sprache: Sie behandelt die Geschlechter nicht gleich, sondern transportiert Geschlechterstereotype, ihr Gebrauch beeinflusst unser Denken, unsere Wahrnehmung und unser Handeln. Lehrkräften und Betreuungspersonen hilft der Band, diese Zusammenhänge zu erkennen und bietet Anregungen für einen gendersensiblen Umgang in Kita, Schule oder Universität. Die Neuauflage berücksichtigt neue Studien und Entwicklungen besonders zu gendersensibler Sprache sowie trans- und intersexuellen Lebensformen.

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EPUB

Seitenzahl: 470

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Hilke Elsen

Gender – Sprache – Stereotype

Geschlechtersensibilität in Alltag und Unterricht  2., überarbeitete Auflage

Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen

Prof. Dr. Hilke Elsen ist Professorin für germanistische Linguistik an der LMU München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Sprachvarietäten, Neologismen/Lexikologie, Wortbildung sowie Genderlinguistik.

 

Umschlagabbildung: © Two month old twin baby. Foto: Katrina Elena, https://www.shutterstock.com, Stock-​Illustration-​ID: 533865133

 

DOI: https://doi.org/10.36198/9783838561806

 

2., überarbeitete Auflage 2023

1. Auflage 2020

 

© 2023 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung

 

utb-Nr. 5302

ISBN 978-3-8252-6180-1 (Print)

ISBN 978-3-8463-6180-1 (ePub)

Inhalt

Vorwort zur 1. AuflageVorwort zur 2. Auflage1 Einleitung1.1 Einige Fakten1.2 Verhalten von Frauen und Männern1.3 Begriffe1.4 Leitgedanken1.5 Aufbau2 Geschichte2.1 Begriffe2.2 Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte2.3 Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache2.4 Feministische Sprachkritik3 Theorien3.1 Anfänge3.2 Defizit und Differenz – Feministische Linguistik3.3 Diversität – Gender und doing gender3.4 Dekonstruktion – undoing gender3.5 Evolution, aber nicht Determiniertheit3.6 Abgrenzungen4 Sprache und Denken4.1 Die Sapir-Whorf-Hypothese4.2 Sprache, Macht, Manipulation4.3 Sprachliche Diskriminierung5 Gender und Sprachsystem5.1 Geschichte5.2 Markierung5.3 Probleme5.3.1 Asymmetrien5.3.2 Genus und Sexus als unabhängige Kategorien5.4 Alternativen5.5 Strategien des Widerstands6 Studien zum Einfluss von Sprache auf Denken und Handeln6.1 Das Problem sprachlicher Asymmetrien6.2 Experimente zur Interpretation asymmetrischer Sprache6.2.1 Generisches Maskulinum im Deutschen6.2.2 Generisches Maskulinum in anderen Sprachen6.2.3 Erste Veränderungen und Ergebnisse6.3 Interaktion mit außersprachlichen Faktoren6.4 Auswirkungen6.4.1 Folgen auf kognitiver Ebene6.4.2 Folgen für Verhalten und Gesellschaft6.5 Deaktivierung von falschen Zuordnungen7 Stereotype7.1 Begriff7.2 Beispiele7.3 Wann treten Geschlechtsstereotype auf?7.4 Wie entstehen Geschlechtsstereotype?7.4.1 Die Rolle des Elternhauses7.4.2 Die Rolle der Schule7.4.3 Medien7.5 Gefahren7.5.1 Veränderte Wahrnehmungen und Erwartungen7.5.2 Stereotypbedrohung7.5.3 Welche Mechanismen liegen der Stereotypbedrohung zugrunde?7.6 Abbau von Stereotypen8 Neurobiologie8.1 Hormone8.2 Gehirn8.3 Kognition8.4 Evolutionärer Ansatz8.4.1 Spielverhalten8.4.2 Partnerwahl8.4.3 Dominanz und Empathie9 Linguistische Gesprächsforschung9.1 Rolle der Interaktion9.2 Gesprächsforschung9.3 Gesprächsverhalten von Frauen und Männern9.3.1 Erste Studien9.3.2 Kritik9.4 Fazit10 Genderentwicklung10.1 Geschlechtsidentität10.2 Sprachliche Unterschiede der Kinder10.3 Verhalten der Erwachsenen10.4 Sprachliche und stilistische Unterschiede der Erwachsenen10.5 Der Einfluss der Erwartungshaltungen der Erwachsenen10.6 Der Einfluss Gleichaltriger10.7 Weitere Faktoren11 Medien11.1 Wachsende Rolle der Massenmedien11.2 Werbung11.3 Fernsehen und Filme11.4 Zeitung11.4.1 Pronomina, Substantive, Kotext11.4.2 Unklare Verwendung maskuliner Formen11.5 Bilderbücher12 Schulbücher12.1 Kritische Analysen: Sprachlehrwerke12.2 Weitere Fächer: Naturwissenschaften12.3 Analyseaspekte12.3.1 Stereotype12.3.2 Beispielsätze12.3.3 Dialoge12.3.4 Textebene12.3.5 Weitere Aspekte13 Unterricht13.1 Die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer13.2 Historischer Hintergrund13.3 Verhalten im Gespräch13.4 Verhalten im Unterricht13.5 Entdramatisierung13.6 Erste Schritte14 Vorschläge für den Unterricht14.1 Sprache und Geschlecht als Unterrichtsthema14.2 Verfahrensplan14.3 Checklisten und Fragebögen14.4 Beispiele für den Unterricht14.4.1 Grundschule14.4.2 Ab der 5. Klassenstufe14.4.3 BerufsschuleLiteraturverzeichnisRegister

Vorwort zur 1. Auflage

Die Gleichberechtigung der Geschlechter schreitet voran. Längst sind Frauen nicht mehr nur für Kinder und Haushalt zuständig. Für viele unserer VäterVater war die Kinderbetreuung unmännlich, heute bleiben immer mehr junge Männer zu Hause, um sich zumindest ein, zwei Monate um die Neugeborenen mit zu kümmern. Das ist ein guter Schritt in Richtung Gleichberechtigung und für mehr Freiheit bei den Lebensentwürfen. Doch politische Maßnahmen stoßen schnell an ihre Grenzen. Sobald die verpflichtenden dreißig Prozent an Frauen in Gremien erreicht sind, stagniert die Zahl oder sie wird wieder rückläufig. Wenn es mit der Umsetzung nicht weitergeht und die Politik mit Vorgaben und finanzieller Unterstützung („less than 1 % of the EU’s Structural and Investment Funds“, CEWS 2019b: 59) nicht vorwärtskommt, muss auch an anderer Stelle angesetzt werden: in unseren Köpfen. Dies ist kurzfristig umsetzbar und langfristig wirksamer als alle politischen Maßnahmen. Dazu trug die Diskussion um gendergerechte Sprache bereits ihren Teil bei. Aber althergebrachte Denkweisen, falsche Argumente, etwa es ginge um Gleichmacherei, Verteidigung von etablierten Machtstrukturen und besonders verfestigte Rollenbilder behindern ab einem bestimmten Punkt die Weiterentwicklung. Es geht jedoch eben nicht darum, dass Männer und Frauen gleichgemacht werden sollen, sondern darum, sie als gleichwertig zu akzeptieren und gleichberechtigt zu behandeln. Dazu gehört auch Respekt vor vermeintlich selbstverständlichen Frauenleistungen wie Altenpflege und Kinderbetreuung. Stereotype wie diese blockieren viele Lebenswege, und viele Einflüsse tragen dazu bei, sie aufzubauen und zu stabilisieren.

Wie kommt es nun aber, dass wir trotz aller politischer Maßnahmen und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen faktisch noch keine Gleichberechtigung haben? Warum gibt es nach wie vor große Unterschiede zwischen der in den Grundgesetzen eigentlich zugesicherten Chancengleichheit und der Realität? Verliert unsere Gesellschaft nicht, wenn sie auf die Präsenz und Leistung der Mädchen und Frauen in vielen Sparten, aber auch die der Jungen und Männer in anderen verzichtet? Verlieren nicht auch Jungen und Mädchen, wenn sie davon abgebracht werden, das Leben nach eigenen Wünschen zu gestalten statt nach Rollenvorgaben und Geschlechterklischees?

Immer mehr junge Frauen in den Seminaren an Universitäten sind der Meinung, sie hätten keine Nachteile aufgrund ihres Geschlechts und es gäbe wirkliche Chancengleichheit und individuelle Freiheit in Deutschland. Dies entspricht nicht den Tatsachen, die sich unter anderem aus den Statistiken zum Einkommen und zum Anteil von Männern und Frauen in den verschiedenen Berufsfeldern ablesen lassen. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen der EigenwahrnehmungEigenwahrnehmung/selektive Wahrnehmung und der Realität?

Dies zu verstehen und Verbesserungen anzustoßen ist ein wesentlicher Beweggrund für dieses Buch. Es will die Fragen beantworten, welche Möglichkeiten wir als (zukünftige) Eltern und Lehrende haben, mehr Chancengleichheit zu schaffen, und welche Potenziale die Schulsituation bietet.

Zunächst müssen wir mehr über Fakten und Zusammenhänge erfahren. Der Band will daher über die verschiedenen Faktoren, die für die Ausbildung der GeschlechtsrollenGeschlechtsrolle während des Sozialisierungsprozesses ineinandergreifen, informieren. Er will die GenderkompetenzGenderkompetenz der Erwachsenen fördern, da sie die Grundlage für entsprechendes Wissen der Kinder darstellt. Vor allem will er die Rolle der Sprache beleuchten. Das komplexe Kausalgefüge, das zur Entstehung und Festigung von Geschlechterklischees führt, umfasst die gesamte Lebenszeit und bewegt sich teils außerhalb unseres bewussten Zugangs. Sprache spielt dabei eine wesentliche Rolle als Informationsträgerin und als Ausdrucksmittel. Rollenvorgaben lernen wir bereits als kleine Kinder in der InteraktionInteraktion mit den anderen, mit unseren Eltern, ErzieherErzieher/in:innen und Lehrer:innen, den Gleichaltrigen und über die MedienMedien. Stereotype beeinflussen unsere Einstellungen und die Erwartungshaltung, die wir uns und den anderen gegenüber entwickeln. Sie formen unser Selbstbild und wirken sich darauf aus, wie wir die anderen wahrnehmen. Wenn alles zusammenpasst und wir agieren, wie wir glauben, agieren zu sollen, fühlen wir uns gut. Damit entsprechen wir den Stereotypen. Das ergibt einen sich stabilisierenden Kreislauf. Für manche aber bewirken Stereotype einen inneren Leistungsdruck, wenn sie dem Bild entgegen ihrer Neigungen und Bedürfnisse entsprechen wollen.

Der Band will den Leserinnen und Lesern den Einfluss von Sprache auf die Wahrnehmung von GeschlechtsrollenGeschlechtsrolle bewusst machen und sie für das Problem sprachlicher Stereotype sensibilisieren, um Verbesserungsmöglichkeiten erkennen zu können, Kindern und Jugendlichen mehr Chancengleichheit zu ermöglichen und Diskriminierung zu begegnen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden behandelt und quasi dramatisiert, damit sie sichtbar und dadurch kognitivKognition, kognitiv fassbar werden als Voraussetzung für die kritische Auseinandersetzung und die Entwicklung eines eigenen Standpunktes. Alle, die Teil im sozialen System sind, vor allem aber diejenigen, die mit der Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu tun haben (werden), sind dabei angesprochen. Daher runden praktische Anregungen für den Schulalltag die Ausführungen ab.

Spätestens bei der Darstellung der biologischen Faktoren zeigen sich auch Genderausprägungen jenseits der typischen binären Pole, die alternativ zu oder in einem Übergangsbereich zwischen den zwei Geschlechtern anzusiedeln sind. Die aktuelle Forschungslage legt hierauf weit größeren Wert, als im Rahmen des Bandes für die momentane öffentliche Realität umsetzbar wäre. Für das Buch ergibt sich daraus das Dilemma, einerseits theoretisch auf dem neuesten Stand sein zu wollen, andererseits aber zunächst ein Umdenken mit praktikablen und akzeptablen Alternativen zu fördern. Da Letzteres ein zentrales Anliegen des Bandes ist, bedeutet die Fokussierung auf die beiden typischen Gendervarianten einen pragmatischen Kompromiss und vorläufigen Verzicht auf ein derzeit noch utopisches Ideal.

Die Kapitel schließen jeweils mit Hinweisen auf einige wichtige und weiterführende Literatur ab. Außerdem finden sich unter der Überschrift „Forschungsaufgaben“ Themenvorschläge für kleinere Abschlussarbeiten.

Dank

Die Arbeit an diesem Band profitierte von viel positivem Feedback meines wissenschaftlichen und privaten Umfelds. Ellina Totoeva, Eddy Ngome und Florian Bogon unterstützten mich praktisch und moralisch und versorgten mich ständig mit neuem Lesestoff. Hans J. Hanke sicherte alles Technische. Die Abbildung 2 stellte mir Eva Sondershaus zur Verfügung. Diana Hebel erstellte das Register. Wolfgang Schindler half mit wertvollen Kommentaren zu einzelnen Kapiteln. Hümeyra Uzunkaya und Ute Hofmann lasen das Manuskript sorgfältig und sehr kritisch durch und steuerten viele Verbesserungsvorschläge bei. Aline Kodantke half bei der finalen Manuskripterstellung. Meine Lektorin Valeska Lembke vom Narr Verlag schließlich erwies sich als zuverlässige und kompetente Partnerin auf dem Weg zur Veröffentlichung. Allen vielen herzlichen Dank!

 

Oberschneitbach, im August 2019     Hilke Elsen

Vorwort zur 2. Auflage

Die Diskussionen um geschlechtergerechte Sprache sind nach wie vor heftig. Erfreulicherweise nimmt die Akzeptanz gegenüber gendersensibler Sprache und nicht-​binären Personen in der Bevölkerung kontinuierlich zu. Die Bitte des Narr Verlags um eine Neubearbeitung des Bandes nutze ich daher gern, um neuere Publikationen und Ergebnisse aufzugreifen, sofern sie das Thema betreffen, und den Forschungsstand zu aktualisieren. Der Aufbau des Bandes hat sich nicht verändert, lediglich die wiederkehrenden Kapitel Zusammenfassung, Forschungsaufgaben und Literatur wurden bei der Nummerierung ausgespart. Sie sind nun mit Icons gekennzeichnet. Bei der Gelegenheit möchte ich mich bei allen Leser:innen bedanken, die durch ihr Interesse die Neuauflage mit ermöglicht haben. Mein Dank gilt aber auch Lisa Hartley für kritische Kommentare, dem Narr Verlag und meinem Lektor Tillmann Bub.

 

Oberschneitbach, im September 2023     Hilke Elsen

1Einleitung

1.1Einige Fakten

So lautet die aktuelle Rechtslage zur Gleichstellung von Frau und Mann:

Bundesverfassungsgesetz (Österreich)

Erstes Hauptstück, Artikel 7

(1) Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. […]

(2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau. Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten sind zulässig.

 

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Artikel 8 Rechtsgleichheit

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

(3) Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.

 

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Artikel 3

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

 

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Titel III: Gleichheit, Artikel 21 Nichtdiskriminierung

(1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der ReligionReligion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.

Haben alle Frauen und Männer in Deutschland – und Österreich und der Schweiz etc. – wirklich die gleichen Chancen und sind sie damit gleichberechtigt in Berufswahl und Lebensgestaltung? Trotz Mindeststandards für die EU erzielen einer Studie der Universität Duisburg-​Essen zufolge „die ‚vorbildlichen‘ deutschen Maßnahmen aber nicht die intendierten gleichstellungspolitischen Effekte, da sich bezüglich der Rollenverteilung auf Seiten der Männer durch die familienpolitischen Programme kaum etwas getan habe“ (Dalhoff 2019: 1). Nach wie vor verdienen deutsche Männer deutlich mehr als Frauen. Seit Jahren ist der Gender Pay Gap, also der Unterschied im Einkommen, in kaum einem anderen Land in Europa so hoch wie in Deutschland (vgl. Abb. 1). Und er erklärt sich sicher nicht aus der Ausbildung.

Laut Statista hatten im Jahr 2021 je 3,3 % der Frauen und Männer keinen allgemeinen Schulabschluss, einen Haupt- bzw. Volksschulabschluss hatten 30,5 % der Frauen, 31,8 % der Männer, die allgemeine Hochschulreife hatten 26,1 % der Frauen, 27,6 % der Männer. Der Frauenanteil an den Hochschulstudierenden betrug im WS 2022/23 50,5 %. 2021 waren 48 % der Promovierenden Frauen (destatis). So gibt es also auf jeder Ebene mehr gut ausgebildete Frauen als Männer, mit Ausnahme der Promotion und aller Folgeabschlüsse.

Abb. 1: Gender Pay GapGender (pay) gap in den 28 EU-​Ländern, 2021 (https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/GenderPayGap.html)1

Wenn es um die Berufssituation geht, befinden sich in den besser bezahlten Branchen die Männer in der Überzahl, obwohl während der Ausbildung und bei den Abschlüssen noch die Frauen in der Mehrheit waren. Der Anteil des weiblichen Kita-​Personals ist zwischen 2010 und 2020 leicht gesunken, an den Hochschulen gab es einen Anstieg von 35 % auf 40 % (Bildungsbericht 2022: 62).

Unternehmen mit Quotenregelung nähern sich bei Neueinstellungen zwar dem geforderten Mindestwert von 30 % in Aufsichtsräten an, Frauen kommen aber kaum in Ausschüsse mit Entscheidungsfunktion (CEWS 2018: 14f.). Wenn Unternehmen die Quote für die Aufsichtsräte erfüllt haben, nehmen sie ihre Anstrengungen wieder zurück (CEWS 2019a: 14). Die Hälfte aller Männer im Bereich Erziehung und Unterricht hat eine Leitungsposition gegenüber 28 % der Frauen (WSI Gender Pay Gap). EU-​weit waren in großen börsennotierten Unternehmen 6,3 % aller Führungspositionen von Frauen besetzt (CEWS 2019b: 11). 2017 bildeten Frauen mit 62 % den Großteil der Personen, die ausschließlich geringfügig beschäftigt waren (WSI). 2013 lag das Bruttoeinkommen von Frauen im Schnitt um 22 % niedriger als das der Männer, natürlich auch, weil 45,5 % der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit arbeiten gegenüber 9,7 % der Männer (2011, vgl. Focks 2016: 30). Der Gender Pay Gap beträgt 23 % (CEWS 2023: 53) und ist für Akademikerinnen besonders gravierend (CEWS 2018: 18f.). Frauen in der Besoldungsgruppe W32 erhalten im Monat im Schnitt 660 Euro brutto weniger als die Kollegen (Detmer 2023: 592). Der Gender Pension Gap für das Jahr 2015 lag in Deutschland bei 53 % (CEWS 2018: 22). Das bedeutet, dass Frauen im Alter mit weniger als der Hälfte von dem Geld auskommen müssen, das Männern zur Verfügung steht. In jeder Beziehung befinden sich Frauen finanziell im Nachteil. Andererseits ergab eine deutschlandweite Umfrage aus dem Jahr 2003, dass lediglich 5,2 % der befragten VäterVater alleiniger Ernährer der Familie sein wollten (Westheuser 2015). Realität und Bedarf decken sich hier also nicht.

1.2Verhalten von Frauen und Männern

Aus einer Filmszene: Fünf Personen sind vom Rest der Menschheit zeitweise getrennt. Alle haben sich mit einer tödlichen Krankheit angesteckt. Sie finden vier Ampullen mit dem Gegenmittel. Es gibt dazu zwei Kommentare: „Einer bekommt keine, wir losen.“ – „Wir teilen das Serum auf, dann bekommt jeder etwas.“ Welcher Satz stammt von einer Frau, welcher von einem Mann?

Oft wird betont, dass die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern größer sind als die Unterschiede und dass die Unterschiede innerhalb der weiblichen bzw. männlichen Gruppen größer sind als die zwischen ihnen. Trotz allem aber überstrahlen die Geschlechtsunterschiede alle anderen wie EthnieEthnie, Hautfarbe, ReligionReligion usw. Sie prägen unser Leben gleich von Geburt an oder bereits vorher, wenn in einigen Kulturen die weiblichen Föten abgetrieben werden, die männlichen aber leben dürfen. Der Unterschied ist in allen Kulturen und zu allen Zeiten grundlegend gewesen und führte und führt für einzelne Männer, mehr aber für die Frauen, zu Ungerechtigkeit und Diskriminierung: In den allermeisten Kulturen gilt das Wirken der Männer als prestigeträchtiger, die Arbeit der Frauen wird weniger geschätzt und weniger gut bezahlt. Abweichungen vom erwarteten geschlechtsspezifischen Verhalten werden mehr oder weniger offen missbilligt oder bestraft. Der Mann ist noch immer die Norm, an der die Frau gemessen wird. Und auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Frauen nach wie vor schwierig oder hält sie gar von ertragreicheren Karrieren ab, auch wenn es in den letzten Jahren Fortschritte gegeben hat.

Obwohl in vielen Ländern die Leistungen von Mädchen und Jungen z.B. in MathematikMathematik, Mathe, math mittlerweile gleich gut sind (vgl. Kap. 7.4.2), mögen viele Mädchen dieses Fach nicht, sind weniger motiviert und selbstsicher und bleiben im Ingenieurwesen und in mathematisch-​naturwissenschaftlichen Berufen, also den besser bezahlten Arbeitsbereichen, nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Nosek et al. (2009) finden im internationalen Vergleich einen klaren Zusammenhang zwischen impliziten Stereotypen und geschlechtsbedingten Unterschieden, die sich gegenseitig verstärken, und zeigen, dass sie soziokulturell bedingt sind. Else-​Quest et al. (2010) machen in einer Metaanalyse mit Daten aus vielen Nationen Zusammenhänge zwischen Gleichberechtigung beim Schulbesuch, dem Anteil der Frauen an Forschungsstellen und im Parlament und Unterschieden bei den Mathematikleistungen aus. Wenn Mädchen wissen, dass sie ein Recht auf die gleiche Schulbildung haben wie Jungen und dass ihre Gesellschaft die Leistungen von Mädchen schätzt, stärkt das auch das Selbstbewusstsein und das Interesse an besser bezahlten Berufen. Die Autorinnen messen daher der Schule eine bedeutende Rolle beim Mathematik Gender Gap zu.

Zahlreiche Theorien listen Faktoren auf, die dazu beitragen, warum Mädchen sich weniger für MINTMINT-Fächer interessieren und entsprechende Berufe ausüben: HormoneHormone und neuronale Strukturen, schlechte Erfahrungen, die StereotypbedrohungStereotypbedrohung, stereotype threat (vgl. Kap.7.5.2), schlechte Zukunftsprognosen, die gesellschaftliche Schichtung, die den Mädchen wenig Aussichten auf solch einen Beruf suggeriert und zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten anbietet oder einige sogar einschränkt, fehlende Rollenvorbilder in der Kultur und/oder konkret in der Familie, einengende Vorgaben für geschlechtsadäquates Verhalten, einengende Erwartungshaltung von Eltern und Lehrer:innen und falsche Selbsteinschätzung („das kann ich sowieso nicht“). Schüler:innen wenden sich in der Regel eher den Fächern zu, die sie für ihre spätere Laufbahn für wichtig erachten, in denen sie sich kompetent fühlen und glauben, erfolgreich sein zu können. Hier kann die Schule ausgleichend wirken.

[G]irls will perform at the same level as their male classmates when they are encouraged to succeed, are given the necessary educational tools, and have visible female role models excelling in mathematics (Else-​Quest et al. 2010: 125).

Das Faktorenbündel, das über die Wahl des späteren Berufs entscheidet, ist hochkomplex und führt dazu, dass immer noch sehr viele Mädchen technische und Jungen soziale Karrieren oder solche mit Sprachen meiden, obwohl es sie oftmals interessieren würde und sie vielleicht glücklicher damit wären. Dazu kommt, dass die Gesellschaft die Leistungen von Mädchen gern geringschätzt; daher bilden sie weniger Selbstbewusstsein aus – eine elementare Voraussetzung für Erfolg, Zugang zu Führungspositionen und damit mehr Geld und mehr Unabhängigkeit. Das heißt, dass im Wesentlichen Kultur, Gesellschaft und Schule in einem vielschichtigen Kausalgefüge mit psychologischen, kognitiven und sozialen Aspekten für im Endeffekt ungleiche Einkommens- und Lebenssituationen von Männern und Frauen verantwortlich sind. Der vorliegende Band legt den einen Schwerpunkt auf die Rolle der Sprache als Teil des Kausalgefüges.

Sprache sozialisiert und schafft neue Wirklichkeit. In der Lehre ist Sprache das wichtigste Mittel, welches der oder dem Lehrenden zur Verfügung steht. Daher liegt es nahe, diesem ‚Werkzeug‘ besondere Aufmerksamkeit zu widmen (Spieß 2008: 43).

Deswegen sollte zur Ausbildung an den Universitäten bereits eine geschlechtergerechte Sprache gehören, eine symmetrische Behandlung der Studierenden, die Überprüfung von Stereotypen in den MedienMedien, die Würdigung der Leistungen von Frauen in der Wissenschaft sowie die Thematisierung der Probleme (Spieß 2008: 44f.).

Im Elternhaus, im KindergartenKindergarten, in SchulenSchule und anderen Institutionen gibt es geschlechtsbedingte Unterschiede im Umgang mit Kindern und Heranwachsenden, was zu Benachteiligung und Chancenungleichheit führen kann. Hierbei spielt die Sprache eine nicht zu unterschätzende Rolle: Durch die Sprache schaffen, zementieren und vermitteln wir Stereotype, die Denken und Wahrnehmung und damit Handeln beeinflussen. In der Sprache und in der tagtäglichen InteraktionInteraktion werden Unterschiede hergestellt, gefestigt, tradiert.

Sprache ist Ausdruck des Denkens und Instrument des Denkens und Handelns.

Der zweite Schwerpunkt liegt auf der Position der Schule. Die Lehramtsstudiengänge bereiten nicht genügend auf das Gender-​Thema vor. Wie Martina Mittag formuliert: „Es scheint diesbezüglich nicht nur in der fachwissenschaftlichen Ausbildung, sondern auch und gerade in der Fachdidaktik Optimierungspotenzial zu geben“ (Mittag 2015: 257). Das Thema Gender fehlt im Fächerkanon bei der Ausbildung der Lehrer:innen (Bartsch/Wedl 2015). Dieser Band möchte dazu beisteuern, die Lücke zu schließen. Er soll dazu anregen, sich der Zusammenhänge bewusst zu werden und einen gendersensiblen Umgang miteinander zu praktizieren.

Frauen und Mädchen, Männer und Jungen sollen lernen und wirklich wissen, dass sie im Prinzip jede Rolle übernehmen können, wenn sie das wollen. Das muss ihnen von Anfang an auch vorgelebt werden. Elternhaus, Schule, peer group und die MedienMedien wirken auf Kinder und Jugendliche zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Gewichtungen ein. Informationsvermittlung und die Aushandlung von Rollen funktionieren im Wesentlichen sprachlich.

Sprache ist ein zentrales Mittel, um mehr Gendergerechtigkeit zu erzeugen.

1.3Begriffe

Stereotype sind stark vereinfachte, generalisierende und gleichzeitig starre Meinungen über Gruppen.

Geschlechtsstereotype sagen uns, wie Männer und Frauen zu sein und was sie zu tun haben: Männer verdienen das Geld für die Familie – Frauen bleiben zu Hause bei den Kindern1. Stereotype sind nicht grundsätzlich schlecht. Sie können anfangs bei der Wahrnehmung und Orientierung helfen, da sie den Interpretationsspielraum einschränken. Daher bedeuten sie eine wichtige Ökonomisierungsstrategie im Umgang mit anderen (vgl. ausführlich Kap. 7). Sexismus ist „die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts“ (Wetschanow/Wiesinger 2004: 21). Der Begriff entstand in den USA in Anlehnung an Rassismus und wird mittlerweile auch auf konkrete Verhaltensweisen bezogen. Moderner Sexismus heißt, die Diskriminierung von Frauen zu bestreiten und sich gegen Bestrebungen zu stellen, mehr Gleichberechtigung zu schaffen (Sczesny et al. 2016: 6).

1.4Leitgedanken

Vorstellungen werden durch Erfahrung, Stereotype und Sprache beeinflusst. Erwachsene tragen ihren Teil dazu bei, Geschlechtsunterschiede zu stärken und die Kinder auf stereotypkonformen Bahnen zu halten. Die verschiedenen Faktoren greifen ineinander und sind daher nicht ganz sauber zu trennen.

Unabhängig von sprachsystematischer Regularität gibt es eine enge assoziative Verbindung zwischen GenusGenus (grammatisches Geschlecht) und Geschlecht.

a) Die Sprache behandelt die Geschlechter nicht gleich.

b) Sprachlich agieren die Geschlechter nicht gleich.

Der Sprachgebrauch beeinflusst Denken und Wahrnehmung und damit Handeln.

Mädchen und Jungen unterscheiden sich in der hormonellenHormone Entwicklung, bei neuronalen Strukturen und Funktionen und in kognitiven Leistungen, was zu unterschiedlichem Verhalten, auch auf sprachlicher Ebene, führt. Das formt und stützt Stereotype.

Stereotype beeinflussen Denken und Wahrnehmung und damit Handeln. Familie, Institutionen und MedienMedien sind die wesentlichen Quellen für Stereotype. Sie entstehen und etablieren sich sprachlich und durch KontextKontext- und Frequenzwissen.

Sprache und Stereotype führen zu Unterschieden im Denken über und im Umgang mit Frauen und Männern. Dies ist nicht zu beanstanden, solange damit eine faire, gleichberechtigte Behandlung nicht gefährdet wird. Geschlechtsstereotype und geschlechterungerechte Sprache lösen jedoch einen voreingenommenen Umgang mit Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern aus. Das führt zu ungleichen Chancen im täglichen Miteinander, bei Identitätsfindung und Lebensentwurf.

Über Sprache lernen wir gesellschaftliche Positionen, Normen und Rollen. Mit Sprache dokumentieren wir sie und geben sie weiter. Damit manifestieren und reproduzieren wir auch Ungleichheit.

Wir alle tragen also zur Situation, wie sie ist, mit bei und sorgen dafür, dass sie bleibt. Den wenigsten ist dies jedoch bewusst. Die Analyse von Sprachgebrauch und Sprache soll die Beziehung zwischen Sprache, Denken und Handeln sichtbar machen.

Weiterhin sind Richtlinien bzw. politische Vorgaben zur Bewusstmachung von 6. und damit zur Veränderung von 2. (und 5.) nötig.

Dies führt zu gendergerechter Sprache im öffentlichen Diskurs (Ämter, MedienMedien).

Ein gendersensibler Umgang miteinander kann auch in der Ausbildungssituation erreicht werden (KitaKita, Schule, Universität; Integration von Geflüchteten), indem er durch Lehrkräfte erkannt und umgesetzt und bei Kindern und Jugendlichen gefördert wird. Daher sind die Verantwortlichen über die verschiedenen Zusammenhänge aufzuklären und für die Auswirkungen zu sensibilisieren.

Kinder, die genderbewusst aufwachsen, haben gerechtere Chancen im Privaten und im Beruf. Sie können dies wieder an andere weitergeben und als Vorbilder fungieren. Somit sind im Endeffekt gesellschaftspolitische Auswirkungen erwartbar.

Ziel ist es nicht, Frauen und Männer gleich zu machen, sondern die Anerkennung ihrer faktischen Gleichwertigkeit und entsprechend mehr Chancengleichheit zu erreichen.

1.5Aufbau

Die ersten Kapitel beschäftigen sich mit der historisch-​theoretischen Positionierung – die geschichtliche Entwicklung der Genderlinguistik und die gesellschaftspolitischen Einflüsse (2) und verschiedene theoretische Ansätze von Feministischer LinguistikFeministische Linguistik bis hin zu Queer Studies (3). Dies dient einem allgemeinen theoretischen Hintergrund, der u.a. auch helfen soll, die gesellschaftlich begründbaren Widerstände gegen genderlinguistische Themen zu verstehen. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der sprachlichen Perspektive.

Es folgen sprachwissenschaftliche Grundlagen. Sie betreffen den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken (4), den Zusammenhang zwischen Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und GenusGenus sowie die Stellung des Genderaspekts innerhalb des Sprachsystems (5). Diese Kapitel sind wichtig, da sie die Themen behandeln, die im öffentlichen Diskurs zumeist ignoriert werden und zu Vorurteilen und Fehleinschätzungen führen, jedoch als linguistisches Fundament für die weitere Argumentation Voraussetzung sind.

Kapitel 6 beschäftigt sich mit dem Einfluss sprachlicher AsymmetrienAsymmetrie und mit dem Einfluss der über Sprache transportierten Stereotype auf unser Denken und Handeln – welche Auswirkungen hat geschlechter(un)gerechte Sprache? Diese Informationen sind für das Erkennen des eigenen stereotypen Verhaltens unabdingbar. Kapitel 7 behandelt die Stereotype – wie entstehen Geschlechtsstereotype und warum sind sie wichtig? Es schließt sich ein Kapitel (8) über die hormonellenHormone, neurologischen und kognitiven Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen an: Gibt es biologische Faktoren, die einen Anteil an gendertypischen Verhaltensweisen und Fähigkeiten? Es folgen Informationen zum Gesprächsverhalten (9), denn das tagtägliche sprachliche Miteinander trägt zu Aufbau und Pflege der Rollenvorstellungen bei. Kapitel 10 zur Genderentwicklung fragt, wie und unter welchen Einflüssen sich das Geschlechtsbewusstsein entwickelt und welche Rolle Stereotype und Sprache dabei spielen.

Das Kapitel 11 zu den MedienMedien thematisiert die Ungleichbehandlung und die klischeehafte Darstellung von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen in der medialen Scheinwelt und ihre Rolle bei Herstellung und Zementierung von Stereotypen, auch durch die Sprache. Dazu werden Zahlen und Sprachanalysen aus Zeitung, WerbungWerbung, FernsehenFernsehen und von Bilderbüchern vorgestellt, die veranschaulichen, wie die Medien traditionelle Verhaltensmuster für die Geschlechter schon im frühen Kindesalter und dann permanent weiter pflegen.

Die nächsten Kapitel widmen sich konkret der Rolle der Schule: Welche Bedeutung kommt den Unterrichtsmaterialien zu? Wo finden wir Geschlechtsstereotype und AsymmetrienAsymmetrie (12)? Wie tragen Institution und Unterricht (13) zu Geschlechter(un)gerechtigkeit bei und wie können wir das vermeiden? Kapitel 14 möchte abschließend die Frage beantworten, was in der Unterrichtssituation konkret getan werden kann.

Zusammenfassung

Obwohl das Recht auf Gleichstellung in der EU gesetzmäßig verankert ist, Mädchen in der Schule meist bessere Noten haben und mehr von ihnen bessere Abschlüsse als Jungen erzielen, verdienen Frauen weniger, verbringen mehr Zeit mit Hausarbeit, Kindern und Altenpflege und enden bei einer wesentlich schlechteren Altersversorgung als Männer.

Dieser Band will über die Entstehung der unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen bei Kindern und Erwachsenen sowie über Zusammenhänge informieren und dabei die bedeutende Rolle der Sprache betonen. Er will auf die Auswirkungen auf Alltag, Unterricht und die Lehr- und Lernsituation aufmerksam machen und Möglichkeiten des Umgangs damit aufzeigen. Er will die GenderkompetenzenGenderkompetenz der Erwachsenen fördern für die kritische Auseinandersetzung und die Entwicklung einer eigenen Position sowie Anleitungen für die Praxis bieten. Ziel ist mehr Chancengleichheit und Individualität in Alltag und Unterricht.

Forschungsaufgaben

Stimmt das mit den Stereotypen? Fragen Sie im Bekanntenkreis, wie Ingenieure, Chirurgen oder Bürgermeister aussehen, wie sie sich verhalten. Sind das Vorstellungen, die zu Frauen passen? Kinder können Bilder malen zu LehrernLehrer/in, -kraft, -schaft, Ärzten, Bauern, Metzgern. Malen sie sowohl Frauen als auch Männer? Was ändert sich, wenn Sie Berufe wie Verkäufer, Tänzer oder ErzieherErzieher/in benennen? Welche Veränderungen ergeben sich aus der BeidnennungBeidnennung? Skeptische Leser:innen können auch einige Experimente wiederholen und die Ergebnisse vergleichen, z.B. Levinson (1976), Hay (1996), Riach/Rich (2006).

Literatur

Statistische Informationen liefern regelmäßig die Bildungs- und Gleichstellungsberichte der einzelnen Länder, die online einsehbar sind, z.B. (jeweils 20.07.2023):

https://www.bildungsbericht.de/de/nationaler-bildungsbericht/bildung-in-deutschland

https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/publikationen/zweiter-gleichstellungsbericht-der-bundesregierung-855554;

https://www.skbf-csre.ch;

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/wirtschaftliche-soziale-situation-bevoelkerung/gleichstellung-frau-mann.html;

https://www.bifie.at/material/nationale-bildungsberichterstattung/nationaler-bildungsbericht-2018/;

https://www.iqs.gv.at/downloads/bildungsberichterstattung/nationaler-bildungsbericht-2021;

https://www.dritter-gleichstellungsbericht.de/de/topic/81.dritter-gleichstellungsbericht.html.

Speziell zur Gleichstellungs- und Geschlechergerechtigkeit in der Wissenschaft vgl. https://www.gesis.org/cews/cews-publikationen/cewsjournal.

2Geschichte

2.1Begriffe

Ausgehend von der aus den reproduktiven Aufgaben sich ergebenden Unterscheidung zwischen Mann und Frau stellte Stoller (1968: 6ff.) beim Verhalten graduelle Unterschiede fest und fragte, welche Aspekte nun angeboren und welche anerzogen sind. Um die Darstellung zu vereinfachen, trennte er im weiteren Verlauf zwischen sex, der Gesamtheit der biologischen Merkmale wie Genitalien, Chromosome,Chromosomen HormoneHormone etc., und gender, was psychologisch und kulturell geprägt ist. Er betrachtete auch die gender identity, die „starts with the knowledge and awareness, whether conscious or unconscious, that one belongs to one sex and not the other“ (Stoller 1968: 10), und die gender role als „overt behavior one displays in society“ (ibd.). Gender behavior ist erlernt und spielt eine wesentliche Rolle beim biologisch bedingten sexual behavior. Ein Problem für Stoller als Psychiater entsteht daraus, dass es Menschen gibt, bei denen gender, gender identity und gender role nicht konform gehen und dass sexual behavior und gender behavior nicht immer zu trennen sind. Das englische gender (‚Geschlecht‘, auch im grammatischen Sinn wie ‚Genus‘Genus, eigentlich ‚Art, Gattung‘) etablierte sich daraufhin seit den 1970er Jahren im englischsprachigen Raum mit dem Aspekt ‚kulturell-​sozial und anerzogen‘ als Gegenbegriff zu sex. Das bedeutet ebenfalls ‚Geschlecht‘, aber mit der Zusatzbedeutung ‚natürlich, biologisch‘.

Da das Deutsche keine Möglichkeit für diese Differenzierung bereitstellt, bot sich die Fremdwortübernahme an, so dass im Laufe der 1990er Jahre nun Gender im Deutschen in der Bedeutung ‚soziales Geschlecht‘ auch für den wissenschaftlichen Diskurs verwendet wurde. Darum lösten dann die Gender-​Studien die frühere feministische Forschung ab.

Im Deutschen verfügen wir über drei Termini, die drei Bedeutungen von Geschlecht unterscheiden: Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus für das biologische, GenusGenus für das grammatische und Gender für das soziale Geschlecht.

Der Begriff Gender bzw. Genderforschung impliziert die Auseinandersetzung mit dem weiblichen und dem männlichen Geschlecht. Das Verb gendern bezieht sich auf die gendergerechte Gestaltung der Sprache. Frauenforschung versteht sich als Forschung über Frauen, allerdings ohne den Einbezug des biologischen Geschlechts neben dem sozialen, wie das bei Geschlechterforschung der Fall wäre (Frey Steffen 2017: 15ff.). Frauenforschung bildet einen Teilbereich der Geschlechterforschung. Letztendlich werden aber alle Begriffe oft genug synonym verwendet. Als wichtige Vorläufer der Frauenforschung gelten die FrauenbewegungenFrauenbewegung und literaturwissenschaftliche Kritik, vgl. Virginia Woolf, A room of one’s own (1929), Simone de Beauvoir, Le deuxième sexe (1949). Deswegen bedeutet die Beschäftigung mit Sprache nur einen von vielen Aspekten.

Der Begriff FeminismusFeminismus für eine politische Theorie bzw. Strömung kam in den 1880er Jahren in Frankreich auf (Gerhard 2009: 7f.). Er wird später auch erweitert auf die FrauenbewegungFrauenbewegung bezogen (Kusterle 2011: 14). Feministische LinguistikFeministische Linguistik beginnt als feministische Sprachkritik und bleibt bis heute deskriptiv-​kritisch. Sie wird mittlerweile zumeist anders bezeichnet, etwa als Gender und Sprache oder Genderlinguistik.

2.2Philosophische, kulturelle und gesellschaftspolitische Gesichtspunkte

FrauenbewegungFrauenbewegung und Frauenforschung sind eng mit dem Bestreben nach Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie verknüpft und daher immer auch politisch und sozialkritisch motiviert. Sie erhalten wichtige Anstöße aus Politik- und Sozialwissenschaft, aber auch Literaturwissenschaft und Philosophie.

Seit der Antike herrschte das Modell nur eines Geschlechts vor, in dem es verschiedene Ausprägungen des Menschen gab, die sich graduell unterschieden und bei dem die weibliche Variante die weniger gut gelungene war. Zum Ende des 17. Jahrhunderts gab es einige neue medizinische Erkenntnisse über die grundlegenden biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die den bisherigen Blick auf rein Äußerliches erweiterten. Daraufhin etablierte sich im 18. Jahrhundert u.a. durch Rousseau die Vorstellung von der auf natürliche Bedingungen rückführbaren Unterscheidung zwischen Männern und Frauen. Diese waren tugendhaft, sittsam und fleißig und agierten nur zu Hause, zumindest im Bürgertum. Daraus entstanden vor allem die „natürliche“ Unterordnung der Frauen, für den Mann zu existieren, und die Autonomie der Männer. „Rousseau entfaltet in seinen Schriften dasjenige Geschlechtermodell, das bis weit in das 20. Jahrhundert hinein Geltung besitzen wird und die Reichweite männlicher / weiblicher Aktivität definiert“ (Schößler 2012: 19). Die sich hieraus ergebende Arbeitsteilung sieht in dem Anteil der Frauen keine Leistung, denn ihre Arbeit ist unbezahlt und unsichtbar und auch „politisch nicht repräsentiert“ (Schößler 2012: 20). Dieses Modell führte dazu, dass die Hälfte der Bevölkerung die gleiche Tätigkeit (Haushalt und Pflege) zu übernehmen hatte. Diese Vorstellung der Geschlechtertrennung setzt sich im 19. Jahrhundert weiter durch. Unser heutiges binäres Geschlechtermodell, das beiden Geschlechtern klar unterschiedliche körperliche und psychische Eigenschaften zuspricht und damit eine gesellschaftspolitische Hierarchie schafft, ist also noch nicht so alt, es dürfte sich allerdings „um eine (gesellschaftlich-​kulturelle) Konstruktion handeln, die auch im Zusammenhang mit den sich professionalisierenden Wissenschaften gesehen werden muss“ (Schößler 2012: 20).

Ende des 19. Jahrhunderts stellten einige Frauen diese „natürliche“ Ordnung infrage. Sie prangerten vor allem die schlechten finanziellen Verhältnisse, fehlende Erwerbsmöglichkeiten und die katastrophale Bildungssituation vieler Frauen an. Die erste Welle der FrauenbewegungFrauenbewegung ab ca. Mitte des 19. Jahrhunderts forderte, Frauen und Männer in Staat und Gesellschaft gleichzustellen, sie als gleichwertig zu betrachten und ihnen die grundlegenden Rechte zuzuerkennen: das Wahlrecht, das Recht auf Bildung und das Recht auf bezahlte Arbeit. Es ging hier also zunächst um entscheidende Bürgerrechte. Dabei hatte die Französische Revolution (1789–1799) einen wesentlichen Anteil. Die Forderung nach Gleichwertigkeit von Frau und Mann, Demokratie und Menschenrechten auch für Frauen brachte einige Vorreiterinnen für Frauenrechte hervor.

Frühe Frauenforschung war sozialwissenschaftlich und empirisch ausgerichtet und zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass die beteiligten Forscherinnen keinen Zugang zu öffentlicher Bildung hatten und sich in der Regel über individuelle Wege und autodidaktisch fortbilden mussten; entsprechend zäh war die Akzeptanz in Akademikerkreisen. Sie wurde höchstens wohlwollend geduldet, aber nicht als ebenbürtig mit den Arbeiten der Männer erachtet, daher nicht diskutiert und weitgehend ignoriert.

In Deutschland initiierte Louise Otto-​Peters die FrauenbewegungFrauenbewegung im Zusammenhang mit der 1848er Revolution mit ihren Forderungen, dass Frauen an Staatsinteressen zu beteiligen seien, und gründete 1849 eine eigene politische Frauen-​Zeitung (Nave-​Herz 1997: 11). Das Recht auf Arbeit und Bildung sollte als kulturelle Bereicherung, aber auch als Grundlage für eine selbstständige Existenz zu verstehen sein, wobei sich hier die bürgerliche von der proletarischen Frauenbewegung unterschied, da die Arbeiterinnen bereits, meist in Fabriken, arbeiteten, jedoch nicht unbedingt freiwillig und für viel zu wenig Lohn. Für sie ging es weniger um Bildung, sondern dringlicher um faire Bezahlung und Mutterschutz. Neben verschiedenen Organisationen und Vereinen1 sind es vor allem die Schriftstellerinnen, die aktiv und kritisch ihre Unzufriedenheit äußern, u.a. Virginia Woolf oder Simone de Beauvoir. Diese führte in Le deuxième sexe (1949) bereits aus, dass Frauen und Männer „gemacht“ werden, denn welche Bedeutung den biologischen Unterschieden tatsächlich beigemessen wird, entscheiden die Menschen.

Seit Anfang des letzten Jahrhunderts kam es ganz langsam zu einigen Verbesserungen bei der Gleichstellung. Zum ersten Mal durften sich Frauen zwischen 1900 (Baden) und 1909 (Mecklenburg) an den Landesuniversitäten immatrikulieren. 1918 erhielten Frauen in Deutschland und Österreich das aktive und passive Wahlrecht, in der Schweiz erst 1971. Im Dritten Reich wurden dann die wesentlichen Zugeständnisse an Frauen wieder zurückgenommen, was Berufswahl und Studienmöglichkeiten betraf. Außerdem wurde das passive Wahlrecht wieder abgeschafft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges beteiligten sich deutsche Frauen bewusst am Demokratisierungsprozess. Die mit dem Beginn des Nationalsozialismus aufgelösten verschiedenen Frauengruppierungen formierten sich neu. Für sie waren die Frauenrechte ein wesentlicher Pfeiler einer Demokratie. Im Grundgesetz der BRD wurden so gleich zu Beginn (1949) Frauen und Männer offiziell gleichberechtigt, ohne dass es jedoch sofort zu einer Umsetzung kam. Die väterliche Gewalt etwa wurde erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts durch die elterliche Sorge bzw. Erziehung ersetzt (1965 DDR, 1957/80 BRD, 1970 Österreich, 1978 in der Schweiz, vgl. Guentherodt 1983/84: 277). Vorher hatte der Vater das alleinige Recht, über die Kinder zu verfügen. In Deutschland dürfen verheiratete Frauen erst seit 1962 ein Bankkonto eröffnen, ohne ihren Mann zu fragen. Seit 1969 gelten sie als geschäftsfähig, und erst seit 1977 dürfen sie ohne Erlaubnis des Mannes erwerbstätig werden – das heißt, vorher war Haushalt Verpflichtung gewesen, wenn nicht Bedienstete die wesentlichen Aufgaben übernahmen, und einen Anspruch auf eigenes Geld gab es nicht. Die Frauen bewegten sich gezwungenermaßen zu Hause. Der Aufgabenbereich war eindimensional, eine Ausbildung individueller (intellektueller) Fähigkeiten oder gar des Selbstbewusstseins schwierig. Sie hatten somit wenig Chancen, eine eigene Identität zu entfalten. Da dies auch an kommunikative bzw. sprachliche Möglichkeiten gebunden ist, galt es, hier mögliche Ungleichgewichte aufzuspüren, was sich zu einer der Hauptrichtungen der feministischen Sprachkritik weiterentwickelte. Die Unzufriedenheit mit der sozialen und politischen Situation erwies sich als auslösendes Moment für FrauenbewegungenFrauenbewegung, den FeminismusFeminismus und letztendlich die gesamten Gender-​Debatten.

Ende der 1960er Jahre kam es zur Neuen FrauenbewegungFrauenbewegung (2. Welle) im Zusammenhang mit der Außerparlamentarischen Opposition (ab 1967), der Studentenbewegung (1967/68) und in den USA auch mit Rassenunruhen und den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Zu den Themen gehörten Diskriminierung, Missbrauch und Vergewaltigung, faire Bezahlung und Schwangerschaftsabbruch. Nachdem es Anfang des letzten Jahrhunderts bereits erste empirische Studien zur Lage der Frau gegeben hatte, entstanden in den 1960er Jahren in Deutschland und den USA die Women’s Studies. Gleichzeitig erschienen erste kritische Schriften zur Behandlung von Frauen in der und durch die Sprache. Aus den Feminist Studies entwickelten sich die Gender Studies, aus den Gay / Lesbian Studies die Queer Theory (Frey Steffen 2017: 85).

Viele der ursprünglichen Forderungen waren umgesetzt. Die Wahrnehmung richtete sich langsam auf individuelles Wohlempfinden, so traten Frauenthemen etwas in den Hintergrund. Die Jüngeren nahmen vieles als selbstverständlich wahr und erkannten dann oft erst bei Eintritt in das Berufsleben die immer noch unfaire Chancenverteilung. Zudem erlitten in Deutschland mit der Vereinigung der zwei deutschen Staaten die FrauenbewegungenFrauenbewegung einen Rückschlag, da ihre Interessen bei der Neuorganisation untergingen (Gerhard 2009: 120ff.). In den 90ern formierte sich trotzdem weltweit die dritte Welle ausgehend von den USA, auch aufgrund antifeministischer Bewegungen. Es gab internationale Frauenkonferenzen und Initiativen, die die Anerkennung der Rechte der Frauen als Menschenrechte und Schutz vor Diskriminierung überall auf der Welt forderten. Zu den Themen gehörte zunehmend auch HomosexualitätHomosexualität. Als Auslöser gilt unter anderem Gender Trouble der Philosophin Judith Butler von 1990 mit der These, dass auch das biologische Geschlecht gesellschaftlich beeinflusst zu sehen ist. Das Werk stieß die Queer Theory mit an. Damit wurde die grundsätzliche Zweiteilung der Geschlechter hinterfragt. Der Schwerpunkt lag nicht mehr auf dem Sichtbarmachen der Frauen, sondern mehr auf der DekonstruktionDekonstruktion von Geschlecht. Eine gesellschaftliche und politische Gleichbehandlung sollte auch durch die sprachliche ergänzt werden.

Die geschichtlichen Tatsachen können teils nicht verständliche, gut etablierte Gewohnheiten erklären. Freiheit und Gleichheit sind für Frauen neu und ungewohnt. Sie blicken auf jahrtausendealte Rechtlosigkeit zurück2. Sie hatten Objektstatus, waren Eigentum von VäternVater oder Ehemännern, hatten keine Rechte, kein Geld, keine eigene Meinung, durften nicht nein sagen – Vergewaltigung in der Ehe war bis 1997 erlaubt und ein Recht des Ehemannes. Sie gilt in Deutschland erst seit 2004 als Offizialdelikt.

Frauen hatten auch keine eigenen Bedürfnisse zu haben und mussten zu Hause bleiben. Der öffentliche Raum gehörte den Männern. Da Frauen bis auf wenige adlige Ausnahmen nie Eigentum hatten, ist es verständlich, dass Männer um Macht kämpften, Frauen jedoch um Männer mit Macht und dass es deswegen auch den Frauen so schwerfiel – und zuweilen immer noch -fällt –, zusammenzuhalten. In diesen wenigen Jahren seit der offiziellen Gleichberechtigung können sie kaum das gleiche Selbstbewusstsein und SelbstwertgefühlSelbstbewusstsein, Selbstwertgefühl entwickeln, wie wir es von den meisten Männern kennen. Dies dürfte die ablehnende Haltung vieler Frauen gegenüber feministischen Gleichstellungsversuchen mit erklären.

Viele Frauen haben eine über Generationen tradierte Tendenz zur Angst vor Macht und vor der Verantwortung, während Männer Angst vor dem Verlust der Macht haben.

2.3Auseinandersetzungen mit dem Thema Frau und Sprache

Die Thematisierung von Frauen und Sprache erfolgte bis weit in das letzte Jahrhundert hinein intuitiv und aus männlicher Sicht. Otto Jespersen gehört zu denjenigen Sprachwissenschaftlern (m.), die in diesem Zusammenhang sehr oft zitiert werden, weil er Anfang des letzten Jahrhunderts nicht nur auf das andere Sprachverhalten der Frau hinwies, sondern auch Erklärungen dazu formulierte: Die Sprache der Frau sei insgesamt primitiver, para- und nicht hypotaktisch, inhaltsärmer, unvollständiger. Frauen hätten einen kleineren Wortschatz und bewegten sich in jeder Beziehung im durchschnittlichen Bereich. Jespersen verdanken wir Beobachtungen wie

[…], daß manche männer unverbesserliche wortspieler sind, während die frauen im allgemeinen langsam im begreifen eines solchen wortwitzes sind und kaum jemals selbst etwas derartiges verbrechen […], daß die Frauen viel öfter als die männer mitten in der rede aufhören und den satz unbeendet lassen, weil sie zu sprechen anfangen, ohne das, was sie sagen wollen, zu ende zu denken (Jespersen 1925: 233f.).

Auch Überlegenheit wird uminterpretiert:

Nicht nur, daß sie [die Frauen] schneller lesen konnten als die männer, sie waren auch imstande, bessere rechenschaft über den absatz als ganzen zu geben. Eine dame z.b. konnte genau viermal so schnell lesen als ihr mann und überdies noch einen vollständigeren bericht niederschreiben als er von dem kleinen stück des absatzes, das er zu bewältigen vermochte. Aber es ergab sich, daß diese geschwindigkeit kein beweis für geisteskraft war (ibd.: 236).

Die Gründe dafür suchte Jespersen bei Unterschieden in der Ausbildung, in den täglichen Anforderungen und der Arbeitsverteilung. Im Gegensatz zu einigen außereuropäischen Sprachen gibt es für den deutschen Sprachraum aber keine „FrauenspracheFrauensprache, women’s language“ mit grammatischen, lexikalischen und / oder phonologischen Eigenheiten und damit auch kein geschlechtsspezifisches Sprachverhalten, sondern nur mehr oder weniger typische Merkmale.

Die SoziolinguistikSoziolinguistik, -isch nahm den Faktor Geschlecht Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre mit in ihren Untersuchungskanon zu Sprachvariation auf, beginnend mit William Labov und Peter Trudgill. Zunächst waren oft genug nur männliche Probanden untersucht worden (Thorne/Henley 1975b, Hellinger 1990: 20). Die Studien mit Frauen zeigten, dass sie im Vergleich zu Männern eher standardnah sprechen.

Eine erste auf tatsächlichen Belegen beruhende Abhandlung über 1500 Spott-, Scherz- und Schimpfnamen für Frauen in der schweizerdeutschen Volkssprache legte 1935 Luise Frei (Frei 1981) vor mit einer erstaunlichen Menge und Bandbreite an affektiven, zumeist negativ konnotierten Begriffen zu den Themenbereichen ‚hässlich‘, ‚dick‘, ‚faul‘, ‚geschwätzig‘, vor allem ‚moralisch fragwürdig‘, und aus zahlreichen Wortschatzbereichen wie TierenTier oder Objekten. So wurden Behälter, Gefäße oder allgemeiner Hohlräume in Übertragung auf weibliche Organe verwendet (Schmutzsack, Stinkloch, Schmutzampele). Alle Bezeichnungen waren laut Autorin von Männern geschaffen. Das sagt nun aber hauptsächlich etwas über die Männer und über das, was ihnen wichtig ist, aus (Wyss in Frei 1981: 9).

Batliner (1981) argumentierte ähnlich. Er überprüfte statistisch Denotate und Konnotate von Nomen und Nominalphrasen mit Bezug auf Frauen und Männer (angefasste Apfelsine für eine Frau, ein Bär von einem Mann) in einem Synonymwörterbuch. Zunächst ging es ihm um die Häufigkeitsverteilung und darum zu zeigen, dass die Sprache eher von Männern als von Frauen geprägt wird. Zahlenmäßig überwiegen ganz klar die Denotate für die Frau (418, für den Mann 44; Batliner 1981: 325). Inhaltliche Aspekte verstärken dann die Argumentation: Attribute für Frauen beziehen sich auf das äußere Erscheinungsbild, auf das Verhalten gegenüber Männern und auf Themen wie ‚jungfräulich‘ oder ‚liederlich‘, während der Mann Machtansprüchen gewachsen ist oder nicht, vgl. bei der Frau schön, attraktiv, sexy, dumm, zanksüchtig gegenüber dem Mann potent, fruchtbar, jugendlich, schwach, senil (Batliner 1981: 320ff.). Anhand der Ausdifferenzierung bei den Bezeichnungen für die Frau werden die inhaltlichen Tendenzen und die vielen Rollenklischees sichtbar, die in dieser Ausrichtung und Breite den männlichen Sprachbenutzern offenbar wichtig sind.

Ruth Römer (1973) untersuchte das Weltbild, das Lehrbücher vermitteln. Sie sammelte Beispielsätze aus renommierten Grammatiken in Hinblick auf Erwähnung, Rollen und Tätigkeiten von Frauen und Männern und fand die klassische Verteilung und Stereotype. Hauptsächlich agieren Männer, Frauen sind selten berufstätig, sondern mit Kindern und Haushalt beschäftigt. „Während er alles weiß, weiß sie nichts.“ „Der Mann ist gebildet. Das Mädchen ist reizend.“ „Der Vater liest. Er liest ein Buch. Die MutterMutter liest Erbsen“ (Römer 1973: 77f.). Solche Untersuchungen gab es später noch öfter (Kap. 11, 12).

Die aktuelle Auseinandersetzung mit der Thematik fand ihren Anfang u.a. mit Key (1972, ausführlich 1975). Sie beleuchtete in Anlehnung an Arbeiten von z.B. Jespersen die Unterschiede der Sprache von Frauen und Männern in einigen Kulturen und trennte dabei auch zwischen gender (‚GenusGenus‘) und sex. Darüber hinaus stellte sie Vorüberlegungen zu unterschiedlichem sprachlichen Verhalten als auch zu Unausgewogenheiten in der sprachlichen Behandlung an, etwa bei den Pronomina, beim Sprechen über Frauen, vgl. „[w]omen fret […]; men get angry. Men have careers; women have jobs“ (Key 1972: 22), „[m]en yell; women scream (or squeal)“ (Key 1975: 81), oder bei der Gruppierung, vgl. „the blind, the lame, and the women“ (Key 1972: 23), „minors, the mentally incapacitated, and sometimes special groups such as married women, convicts, and aliens“, „women, minors, convicts, and idiots“ (ibd.), „Women and dogs and other impure animals“ (ibd.). Kurz darauf erschien Lakoff (1973) und führte die beiden Themen, wie Frauen sprechen und wie über sie gesprochen wird, fort. Sie überlegte, unser Sprachverhalten zu nutzen, um daran unsere unbewussten Einstellungen zu erkennen. Über beide Wege erfahren Frauen Diskriminierung, wenn sie auf unterwürfige Aufgaben („subservient functions“) degradiert werden. Die Autorin sieht die Gründe bereits in der frühen Sozialisation. Schon kleine Mädchen müssen lernen, sich wie ein „richtiges“ Mädchen zu verhalten und damit auch „ordentlich“ zu sprechen. Dann bedienen sie als Erwachsene aber wieder die bestehenden Stereotype mit dem typischen Frauenverhalten und werden als unfähig eingestuft. Wenn sie es nicht tun, sind sie unweiblich.

So a girl is damned if she does, damned if she doesn’t. If she refuses to talk like a lady, she is ridiculed and subjected to criticism as unfeminine; if she does learn, she is ridiculed as unable to think clearly, unable to take part in a serious discussion (Lakoff 1973: 48).

Beide Wege führen dazu, dass den Frauen Führungskompetenzen und Machtpositionen verweigert werden, jeweils mit der Begründung, nicht intelligent genug oder aber zu aggressiv und hart zu sein. Ein Dazwischen gibt es nicht. Dieses Manko an Neutralität bei den Entscheidungsmöglichkeiten der Frauen und die damit verbundene unlösbare double-​bind-Problematik bleiben Themen, die bei den Untersuchungen von Kommunikationsverhalten auch heute noch aktuell sind. Anders der Begriff women’s language: Er erwies sich für unseren Kulturraum als unpassend.

Lakoff (u.a. 1973, 1977) sprach zwar von FrauenspracheFrauensprache, women’s language, listete aber zahlreiche Unterschiede im sprachlichen Verhalten auf. Es ging nicht um zwei verschiedene grammatische bzw. lexikalische Systeme, sondern um andere Gewohnheiten, was die Verwendung des Begriffs Frauen- bzw. MännerspracheFrauensprache, women’s language nicht rechtfertigte. Lakoff stellte fest, dass Frauen über mehr Farbbezeichnungen als Männer verfügen (mauve, lavendel, beige), die von Männern aber als unwichtig erachtet werden. Sie verwenden „bedeutungslose“ Partikeln wie oh dear, dear me oder goodness. Andere frauentypische Begriffe sind charming, lovely, sweet, Intensivierungen wie so, such, Euphemismen, Diminutiva, Modalverben, HeckenausdrückeHeckenausdrücke, hedges (sorta, more or less) und tags wie isn’t it (Lakoff 1977: 22ff.). Solche Ausdrücke können zwar eine gewisse Differenziertheit zum Ausdruck bringen, schwächen eine Behauptung aber oft ab, um eine klare Aussage zu vermeiden, um Unstimmigkeiten zu mildern und um Kompromisse und Anpassung zu fördern. Das wird wiederum als Unsicherheit gedeutet. Ähnlich wirkt das Anheben der Stimme zum Ende eines Aussagesatzes, wie es eigentlich für Fragen typisch ist. Auf diese Weise klingen Frauen zwar höflicher, aber auch etwas unsicher und werden daher nicht ganz ernst genommen (Lakoff 1973: 57).

Lakoff führte einige AsymmetrienAsymmetrie auf der Sprachsystemebene auf wie die Pronomina, die Verwendung von master (‚Herr, Meister‘) gegenüber mistress (‚Geliebte‘), was im Übrigen nicht allein stehen kann, sondern immer nur in Bezug auf jemanden (Rhonda is *a / his mistress), oder auch der Unterschied zwischen he / she is a professional. Frauen sind in diesem Zusammenhang Prostituierte, Männer Profis in ihrem Beruf. Diese Asymmetrien reduzieren Frauen darüber hinaus wieder auf eine ihrer wenigen Hauptfunktionen. Hierzu gehörten laut Lakoff weiter auch die Unterscheidung von Miss und Mrs., vgl. sogar Mrs. John Smith, was kein Pendant auf männlicher Seite aufweist. Es zeigte sich außerdem, dass Frauen meist in Abhängigkeitsverhältnissen zu einem Mann dargestellt werden, vgl. auch Mary is John’s widow – *John is Mary’s widower (Lakoff 1973: 63ff.). Diese und andere sprachliche Disbalancen reflektieren soziale Ungleichheit, bezogen auf die Rollenverteilung. Lakoff (1973) trat aber ganz dezidiert nicht dafür ein, die sprachlichen Asymmetrien abzuschaffen.

Barrie Thorne und Nancy Henley legten 1975 einen Sammelband vor mit damals neuen Daten aus verschiedenen Erhebungsmethoden und Quellen und konnten die wesentlichen Behauptungen zu AsymmetrienAsymmetrie und männlicher Dominanz in der Sprache dadurch empirisch stützen. Auch sie gingen primär von sozialen Faktoren als Grund für Unterschiede aus und sahen „gender“ als kompliziertes soziales und kulturelles Phänomen (Thorne/Henley 1975b: 14). Insgesamt bot der Band ein zum damaligen Zeitpunkt sehr differenziertes Bild an beteiligten Disziplinen, Untersuchungsmöglichkeiten und Einflussfaktoren.

2.4Feministische Sprachkritik

Das Thema Frauen und Sprache kam nach Europa, nachdem im Zuge der feministischen Bewegungen auch die Wissenschaft die Rolle der Sprache entdeckt hatte, etwa zehn Jahre nach der Etablierung der Feministischen Linguistik als wissenschaftliche Disziplin in den USA. 1978 veröffentlichte Senta Trömel-​Plötz einen Artikel, der für hitzige Debatten sorgen sollte. Sie und ihre Ko-​Wegbereiterin der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik in Deutschland, Luise F. Pusch, beanstandeten das generische Maskulinum, das manchmal auf Frauen und Männer referiert und manchmal nur auf Männer, was zu Unklarheiten und Missverständnissen führt. Sie beziehen sich dabei auf das Sprachsystem und die entsprechenden Normen. Der zweite Bereich betrifft das Gesprächsverhalten. Frauen haben aufgrund ihrer Verhaltensweisen in der KommunikationKommunikation mit Männern Nachteile. Diese beiden Aufgabenstränge wurden damals bereits für den englischen Sprachraum diskutiert.

Mit ihrem Überblicksartikel von 1978 wollte Trömel-​Plötz zunächst nur die Aufmerksamkeit auf das Thema FrauenspracheFrauensprache, women’s language und women’s studies lenken und auf die Ungleichheit der Frau, die sich auch sprachlich ausdrückt. Sie fragte daher, wie Frauen von der Sprache und von den Sprecher:innen behandelt werden. Das generische Maskulinum bevorzugt Männer und benachteiligt Frauen. Darum ist es nicht, wie gern behauptet, geschlechtsindifferent. Einerseits ist die alleinige Verwendung der Maskulinformen oft genug nicht nötig – es gibt Kundin und Käuferin, warum also bei uns ist der Kunde König? Andererseits sind Frauen nur manchmal mitgemeint. Mit der maskulinen Form sind dann allerdings auch nur Männer mental präsent. In jedem Falle ist das grammatische System unausgewogen zum Vorteil der Männer, da es Frauen sprachlich und gedanklich oft ausschließt. Darüber hinaus gibt es weitere AsymmetrienAsymmetrie wie fehlende Gegenformen (*Kindergärtner, *Putzmann), besser konnotierte männliche Varianten (alte Jungfer/Junggeselle), eine große Bandbreite an Schimpfwörtern für Frauen sowie Unausgewogenheiten in SprichwörternSprichwort (vgl. Kap. 5.3.1). Auch die Sprachgewohnheiten von Frauen sind manchmal anders als die der Männer (Verniedlichungen, Euphemismen etc., weniger Vulgärausdrücke, mehr Fragen, Entschuldigungen, Konjunktive, indirekte Aussagen, Wortschatz im Bereich Kindererziehung und Haushalt), was auf traditionelle Rollen bzw. die Strategie der Höflichkeit, Konfliktvermeidung und Abschwächung hinweist. Dies gilt jedoch als Unsicherheit, so dass die Frau nicht ernst genommen wird und es schwer hat, sich zu behaupten. Die Bereitschaft zur Kooperation geht mit dem Verlust an Autorität einher.

Wieder stoßen wir auf die ‚double binddouble bind‘ Situation. Um ernst genommen und gehört zu werden, muß die Frau reden wie der Mann. Redet sie aber so wie ein Mann, dann ist sie männlich und wird als Frau entwertet (Trömel-​Plötz 1978: 62).

Da die Sprache auf der Ebene des Systems als auch auf der des Handelns die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Gesellschaft widerspiegelt, sollte sie auch langfristig gleichberechtigt eingesetzt werden. Diese sprachkritischen Überlegungen sehen damit durchaus sprachlichen Wandel vor.

Die Antwort auf den Artikel kam einige Monate später von Kalverkämper (1979a) in Form eines polemischen Aufsatzes mit vielen rhetorischen Figuren und unsachlichen, provozierenden, stark wertenden und diskreditierenden Anteilen. Er ging auf die eigentliche Problemlage nur am Rande ein. Der Begriff Übersichtsartikel wird in Anführungszeichen gestellt und dadurch ironisiert, die inhaltliche Darstellung zu einem „plakativen Geschlechterstreit und Rollenkampf“ (Kalverkämper 1979a: 56). Ausdrücke wie „grob-​globale[s] Freund-​Feind-​Bild“ und Fragen wie „Wer hat bloß für solche Thesen Pate gestanden? Das Modell des Heimchens am Herde und der Marlboro-​Mann?“ (Kalverkämper 1979a: 67) wirken in einem wissenschaftlichen Artikel deplatziert. Ironisch gemeint ist auch seine „Hoffnung, auf die Diskussion um ‚die Frau und die (d.h. ihre) Sprache‘ einen beruhigenden Einfluß ausüben zu können“ (ibd.: 56). Neben diesen groben stilistischen (und menschlichen) Schwächen sieht aber Kalverkämper das eigentliche Problem nicht: Er ignoriert die Handlungsebene der Sprache. Auf Systemebene postuliert er eine völlige Unabhängigkeit des Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus vom GenusGenus gemäß Saussures Postulat der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens. Er wirft Trömel-​Plötz deswegen Methodenfehler vor, da sie eine Verbindung zwischen sprachlichen Zeichen und außersprachlichen Aspekten anerkennt und die „Grundprinzipien der struktural-​funktionalen SemantikSemantik, -isch und somit der Linguistik überhaupt außer acht“ (ibd.: 62) lässt, ihre Argumentation sei „unlinguistisch“ (ibd.: 60). Vor diesem Hintergrund gebe es nur dieLangueLangueLangueParole1, die zählt, und keinen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken. Die Argumentation zur ParoleParole, in der es Unterschiede geben mag, wird nicht als seriös akzeptiert (ibd.: 67). Kalverkämper ignoriert, dass bei Bedarf maskuline Formen durchaus nur auf Männer bezogen werden, so dass Frauen dadurch nach Belieben ausgeschlossen werden können, etwa in der Argumentation der Schweiz gegen ein Wahlrecht für Frauen, das laut Gesetz eben nur „Schweizern“ zusteht (Trömel-​Plötz 1982: 201f., Kusterle 2011: 22). Warum bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung grundsätzlich die maskulinen Formen gewählt werden, bleibt ebenfalls offen. Auf beide Umstände zielt jedoch Trömel-​Plötz ab. Kalverkämper versäumt es aber nicht nur, in seinem Artikel auf alle vorgetragenen Argumente einzugehen, er stellt auch Trömel-​Plötz’ fachliche Kompetenz infrage. Beides ist wissenschaftlich unangemessen. Dies und der emotionale, provokative Stil führen die Debatte von der wissenschaftlichen Ebene in die Polemik, die Pusch (1979) fortsetzt. Sie fasst zunächst die Argumente von Trömel-​Plötz zusammen, ergänzt sie um weitere Beispiele, um dann auf Kalverkämpers Kritik einzugehen: Die strukturalistische Denkweise sei nur eine von mehreren Möglichkeiten. Kalverkämper ignoriere sozio- und psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Alternativen. Die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens gelte nicht in hundert Prozent aller Fälle, die feministische Kritik ziele auf Referenz- und Assoziationsprobleme ab, da mit einem angeblich neutralen PronomenPronomenman oder jedermann an Mann gedacht werde und nicht an Frauen (Pusch 1979: 93). Gerade im Bereich der Personenbezeichnungen, aber nicht nur hier, decken sich im Übrigen Genus und Sexus, die Trömel-​Plötz keineswegs verwechselt, sondern bewusst – und kritisch – beleuchtet. Diese Replik von Pusch ist zwar auch stilistisch stark markiert und für sie der Beginn zahlreicher Streitschriften und glossenartiger Artikel. Sie basiert aber außerhalb der provokativen Passagen immer noch auf wissenschaftlicher Argumentation. Doch Kalverkämper (1979b) antwortet noch heftiger als zuvor mit Quo vadis linguistica? – oder: Der feministische Mumpismus in der Linguistik. Er bleibt bei einer prinzipiellen Trennung von Genus und Sexus und schließt mit der Feststellung, dass die Feministische LinguistikFeministische Linguistik für die Sprachwissenschaft nichts Substantielles beizutragen habe (Kalverkämper 1979b: 105), worauf dann wieder Pusch (1980) teils sachlich, teils ironisch-übertrieben antwortet. Leser:innen befinden sich dadurch in der schwierigen Situation, die tatsächlichen Fakten herauszufiltern, ohne sich emotional zu beteiligen. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema war fast unmöglich, da die Gegner:innen der sprachkritischen Position kaum bereit waren, sich ernsthaft mit der Thematik zu befassen und auf alle Argumente einzugehen, wie ein weiteres Beispiel zeigt.

Auf ein Buch, das alternative Schreibweisen wie man oder frau