Generation Hoffnung - Amelie Marie Weber - E-Book

Generation Hoffnung E-Book

Amelie Marie Weber

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Beschreibung

Klima-Krise, Corona-Krise, Ukraine-Krieg – dazu Smartphone-Sucht, Sexismus-Skandale und ein kollektives Burnout. Innerhalb kurzer Zeit ist die heile Welt einer ganzen Generation ins Wanken geraten. Amelie Marie Weber beschreibt auf einfühlsame und persönliche Weise, welche Umstände junge Erwachsene in Deutschland heute prägen. Wie schaffen sie es, optimistisch zu bleiben? Welche Ziele können sie sich setzen? Und wie verändern sie die Welt? Auf der Suche nach Lösungen spricht die Autorin mit Experten, Aktivistinnen und Influencern – und findet Zeichen der Hoffnung in Zeiten der Krise. Im Interview: Sophia Thiel, Nadine Breaty, Louisa Dellert, Fabian Grischkat, Annahita Esmailzadeh, Valeria Shashenok, Dario Schramm.

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Amelie Marie Weber

Wie junge Menschen zwischenKlimawandel, Krieg und Selfie-Suchtdie Zukunft gestalten

Für Laurenz, meinen großen kleinen Bruder

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Impressum

1. Auflage Oktober 2023

Lektorat: Katrin Blum

Umschlagabbildung Porträt: Thomas Koschel

Umschlaggestaltung: SOFAROBOTNIK Büro für Gestaltung, München

Druck und Bindung: Drukkerij Wilco B.V., Vanadiumweg 9, NL–3812 PX Amersfoort

© Klartext Verlag, Essen 2023

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-8375-2569-4

eISBN 978-3-8375-2570-0

Jakob Funke Medien Beteiligungs GmbH & Co. KG

Jakob-Funke-Platz 1, 45127 Essen

[email protected]

www.klartext-verlag.de

INHALT

PROLOG

KLIMA

Fakten: Irgendwann gibt es kein Zurück mehr

Globalisierung: Alles hängt mit allem zusammen

Verantwortung: Unser schlechtes Gewissen ist kein Zufall

Aktivismus: Schulschwänzer und Klimakleber verändern die Welt

Politik: Junge Menschen sind parteiverdrossen

Lösung: Gegen Ohnmacht hilft Ermächtigung

Louisa Dellert: „Die kleinen Erfolge sind von großer Bedeutung“

PANDEMIE

Psyche: Unsicherheit ist der Normalzustand geworden

Polarisierung: Angriff auf die Demokratie

Wirtschaft: Wir finden den Mut, mitzumischen

Dankbarkeit: Was im Leben wirklich zählt

Dario Schramm: „Das Corona-Abi ist ein Qualitätssiegel“

KRIEG

Ukraine: Der Albtraum ist wahr geworden

TikTok: Ein Mittelfinger an Putin

Nachrichtenflucht: Dranbleiben ist Pflicht

Frieden: Der schönste Trend der Welt

Valeria Shashenok: „Das Leben geht immer weiter“

INTERNET

Smartphones: Wunder in der Hosentasche

Sucht: Laborratten auf Drogen

Freiheit: Pippi Langstrumpf hat kein Handy

Fotos: Katharina in Paris

Influencer: Wo das Gras immer grüner ist

Beziehungen: Gemeinsam einsam

Digitale Gewalt: Sturm des Hasses

Digital Detox: Ganz oder gar nicht?

Nadine Breaty: „Das echte Leben ist schöner als die Onlinewelt“

GESUNDHEIT

Gefühle: Gebrochene Seelen brauchen Heilung

Schönheitsideale: Pretty stupid

Operationen: Wir spritzen uns schön

Körperbild: Size Zero und Body Positivity

Natürlichkeit: Mama ist mein Beauty-Vorbild

Sophia Thiel: „‚So gut es geht‘ ist das neue ‚perfekt‘“

DISKRIMINIERUNG

Mütter: #Powerfrauen zwischen Kind, Karriere und Chaos

Geschlechterrollen: Sexy Märchenprinzessinnen und mutige Superhelden

Social Media: Hausfrauen in Ausbildung

Gewalt: Wie viele Hashtags müssen wir noch erfinden?

Protestkultur: Ignoranz ist ein Privileg

Fabian Grischkat: „Arschlöcher dürfen doch nicht die Welt definieren”

ARBEIT

Schule: Das Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise

Chancengleichheit: Die Nepo-Baby-Gang muss teilen lernen

Burn-out: Unsere Arbeitswelt ist kaputt

Sinnhaftigkeit: Wofür tun wir uns das alles an?

Klischee: Junge Menschen sind nicht faul – sie wissen, was sie wollen

New Work: Das Lügenmärchen von der schönen, neuen Arbeitswelt

Künstliche Intelligenz: Mehr Chancen als Gefahren sehen

Revolution: Die Vier-Tage-Woche wird immer wahrscheinlicher

Veränderung: Generation der Arbeitsweltoptimierer

Annahita Esmailzadeh: „Jeder braucht einen Platz am Tisch“

EPILOG

DANK

QUELLEN

PROLOG

„Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden Bach des Lebens.“

Friedrich Nietzsche

Über der langen Tafel glitzert ein gläserner Kronleuchter. An der Tafel sitze ich – mit knurrendem Magen, mitten in einem schicken Restaurant in Brüssel. Es ist der letzte Abend einer dreitägigen Konferenz. Die EU-Kommission hat knapp zwei Dutzend junge Deutsche dazu eingeladen. Hinter uns liegen aufregende Tage. Wir haben prominente EU-Politiker getroffen, interessante Vorträge gehört, hitzige Diskussionen geführt und unzählige Fotos und Videos aufgenommen. Manche von uns sind Blogger, andere Podcasterinnen, wieder andere Instagrammer und einige, darunter ich, sind Journalistinnen. Uns alle eint, dass wir im Netz über Politik berichten – und dass wir nun in diesem Restaurant unter dem glitzernden Kronleuchter sitzen und der letzten Ansprache des Tages lauschen.

Am Kopf des Tisches sitzt eine Frau mittleren Alters mit blonder Kurzhaarfrisur und freundlichem Lächeln. Sie berichtet uns von ihrer Arbeit als hochrangige EU-Beamtin. Wir haben im Verlauf der Konferenz viele ähnliche Reden gehört. Es ging um heikle Themen wie Migration, Digitalisierung das Klima, die Pandemie oder den Krieg in der Ukraine. Nun sitzen wir mit betrübten Gesichtsausdrücken am Tisch und hören auch diese Frau wieder von Problemen und Krisen und noch mehr Problemen und noch mehr Krisen sprechen.

Die Rednerin bemerkt, dass unsere Stimmung eher bescheiden ist. Sie sagt: „Ja, in der Vergangenheit sind viele Fehler gemacht worden. Aber ihr könnt es besser machen. Ihr jungen Leute habt es in der Hand. Ihr schafft das schon!“ Aufmunternd blickt sie in die Runde. Stille. Plötzlich lautes Schluchzen. Es kommt von Leonie, einer 22-jährigen YouTuberin, die zwei Plätze neben mir sitzt. Die Beamtin schaut sie verwundert an. Offenbar selbst erschrocken von ihrem eigenen Gefühlsausbruch, wischt sich Leonie schnell mit der weißen Stoffserviette die Tränen von der Wange. „Entschuldigung“, sagt sie. „Aber ich ertrage solche Sätze einfach nicht mehr. Die Generationen vor uns haben so viel verbockt, so viel falsch gemacht. Und wir müssen jetzt alles wieder geradebiegen? Ich weiß überhaupt nicht, wie wir das schaffen sollen.“

Was Leonie beschreibt, ist die Überwältigung einer ganzen Generation. Wir sind noch keine 30 Jahre alt und haben bereits drei Jahre Pandemie hinter uns, einen Krieg in Europa ausbrechen sehen und die Gefahren der Klimakrise begriffen. In Deutschland gibt es rund elf Millionen Menschen, die zwischen 18 und 30 Jahren alt sind. Wir alle werden im Dauerkrisenmodus erwachsen. Keine andere Altersgruppe fühlt sich durch die aktuellen Krisen so stark belastet. In der Studie „Jugend in Deutschland 2023“ geben 46 Prozent der 14- bis 29-Jährigen an, unter Stress zu leiden. Zum Vergleich: Bei den 50- bis 69-Jährigen sind es nur 20 Prozent.1 „Junge Menschen müssen in diesen unsicheren Zeiten richtungsweisende Entscheidungen treffen. Die Krisen berühren sie in einer besonders empfindlichen Phase der Persönlichkeitsentwicklung“, sagt Simon Schnetzer, der die Untersuchung durchgeführt hat. Er gilt als einer der renommiertesten Jugendforscher Deutschlands, und ich werde ihn im Verlauf dieses Buchs immer wieder um Einschätzungen bitten.

Schnetzers Forschung und die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen anderer Expertinnen und Experten zeichnen ein ganz anderes Bild der Jugend als jenes, das ihr oft vorauseilt. In den Augen vieler gelten wir als verwöhnt, hedonistisch und arbeitsscheu. TV-Moderator Markus Lanz spricht von einer „Hafermilchgesellschaft“, einer „Guavendicksaft-Truppe“, die „wirklich die ganze Zeit auf der Suche nach der idealen Work-Life-Balance“ sei.2 Doch wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen vielmehr eine Kohorte, die sich um den Zustand dieser Welt sorgt und psychisch stark belastet ist. „Viele junge Menschen leiden unter krankhaftem Stress“, sagt Simon Schnetzer. „Angesichts der vielen Krisen fühlen sie sich hilflos und erschöpft.“

In diesem Buch schreibe ich über die großen Herausforderungen unserer Zeit: Klima, Pandemie und Krieg. Aber auch Internet, Gesundheit, Diskriminierung und Arbeit. Über jedes dieser komplexen Themen könnte man ganze Bücher schreiben. Ich muss mich also kurz fassen. Und doch will ich in jedem Kapitel herausfinden: Was passiert da in der Welt? Inwiefern beeinflusst es uns junge Menschen? Und vor allem: Was lässt uns immer weitermachen? Denn am Ende geht es doch darum, angesichts der heutigen Lage nicht den Glauben an ein besseres Morgen zu verlieren. Was wir brauchen, ist Hoffnung.

Doch was bedeutet das überhaupt? Hoffnung? Ähnlich wie uns jungen Menschen eilen auch der Hoffnung eine Menge Vorurteile voraus. Manche sagen zum Beispiel, sie sei naiv und verkenne die Ernsthaftigkeit einer Situation. Ich spreche hier jedoch von einem Hoffen, das die Augen vor der Wirklichkeit nicht verschließt. Wir können uns sehr ernsthaft mit den Krisen dieser Welt beschäftigen, ohne dabei den Blick für ihre Schönheit zu verlieren. Das ist nicht naiv, sondern konstruktiv.

Andere sagen, die Hoffnung mache es sich zu leicht. „Wir schaffen das“ ist so ein Hoffnungssatz, der Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel jede Menge Ärger einhandelte. Aber was wäre die Alternative? „Wir schaffen das nicht?“ Wer den Weltuntergang vorhersagt, kann währenddessen zwar immer damit prahlen, dass er das ja sowieso schon immer geahnt habe – doch verhindern wird er den Untergang damit nicht. In Wahrheit ist es also der Pessimismus, der es sich zu leicht macht. Die Hoffnung hingegen ist mutig. Sie gibt nicht auf.

Das am weitesten verbreitete Vorurteil gegenüber der Hoffnung ist vielleicht, dass sie passiv sei. Manche sagen schulterzuckend: „Ich habe keine Hoffnung” und lehnen sich dann zurück. Doch Hoffnung ist aktiv. Sie kommt nicht von alleine.

„Hoffnung ist harte Arbeit und die Arbeit muss man selbst machen. Das bedeutet vor allem, dass fehlende Hoffnung kein Grund ist, nichts zu tun, sondern ein Grund, etwas zu tun. Denn das ist, wo die Hoffnung im Zweifel herkommt: Vom Machen, vom Handeln, vom ersten Gespräch, vom ersten Gedanken, vom ersten Schritt (…). Von einer kleinen, offenen Umarmung für den nächsten Moment.“

Luisa Neubauer, Klimaaktivistin3

Ich schreibe dieses Buch als Journalistin, die unsere Welt zu erklären versucht. In den vergangenen Jahren habe ich mich vor allem damit beschäftigt, jungen Menschen politische Themen in den sozialen Medien näherzubringen. 2021 gründete ich einen TikTok-Channel, der inzwischen zu den erfolgreichsten politischen Kanälen der Plattform zählt. Dabei habe ich viel über meine Zuschauerinnen und Zuschauer erfahren: Was sie beschäftigt, wie sie denken, wovor sie sich fürchten und was sie sich wünschen. Immer wieder stelle ich fest, dass uns junge Erwachsene meist ganz ähnliche Themen umtreiben und ich bin der Überzeugung, dass wir über sie sprechen müssen, um gemeinsam Lösungen zu finden.

Ich verfasse dieses Buch aber auch als junge Frau, die oft selbst nicht weiter weiß und ein schlechtes Gewissen hat, weil sie zum Beispiel in den Urlaub fliegt, statt auf der Straße zu kleben. Ich schreibe über meine Träume und Sorgen und Ängste und Wünsche und ich mache mich dabei zwangsläufig verletzlich. Obwohl mir das nicht leicht fällt, habe ich mich dazu entschieden, meine Gedanken und Erfahrungen festzuhalten. In der Hoffnung, dass sich der eine oder die andere in ihnen wiederfindet und daraus Mut und Kraft schöpft. Mein Wunsch ist, dass sich junge Menschen durch meine Zeilen verstanden fühlen und dass ältere Menschen uns junge Menschen vielleicht ein bisschen besser verstehen können. Denn die Werte und Tugenden von Jung und Alt sind gar nicht so unterschiedlich, wie es oft heißt. „Jungen und älteren Menschen sind ähnliche Dinge im Leben wichtig und sie haben ähnliche Ziele“, sagt Jugendforscher Schnetzer. Um den vielfach beschworenen „Generationenkonflikt” aus dem Weg zu räumen, müssen wir also miteinander ins Gespräch kommen und uns unserer Einigkeit bewusst werden. Dieses Buch soll dabei helfen.

Ich will zum Nachdenken anregen – über das, was ist, und das, was sein könnte. Deshalb beschreibe ich die großen Entwicklungen unserer Zeit und die Gefühle, die sie in mir auslösen. Außerdem teile ich persönliche Geschichten meiner Freundinnen und treffe junge Aktivisten und Influencerinnen, um mit ihnen über die großen Krisen und ihre ganz persönliche Hoffnung zu sprechen.

Letztlich werde ich trotzdem niemals alle Perspektiven abbilden können. Es wird Leserinnen und Leser geben, die ein bestimmtes Thema vermissen oder ein anderes als zu ausführlich beschrieben empfinden. Manche werden sich in meinen Überlegungen wiederfinden, andere werden sie nicht nachvollziehen können. Ich werde viele Fragen stellen und nicht auf jede eine Antwort liefern – egal, wie viele Studien ich gelesen und wie viele Experten ich interviewt habe. Ich werde meine Privilegien hinterfragen und sie dennoch nicht ganz hinter mir lassen können. Ich werde über Ängste und Wünsche schreiben – stets in dem Wissen, dass sich die Situation für andere Menschen ganz anders anfühlen kann.

Alle Angehörigen einer Altersgruppe als Einheit zu betrachten, hat noch nie besonders gut funktioniert. Jede und jeder hat nun mal ganz individuelle Ansichten, Schwächen und Erfahrungen. Ich bin eine weiße, heterosexuelle Frau, die in der Großstadt lebt, und kann beispielsweise nicht für einen Schwarzen, homosexuellen Mann aus einem kleinen Dorf sprechen, nur weil er ungefähr so alt ist wie ich. Deshalb schreibe ich in diesem Buch nicht über vordefinierte Generationen nach Geburtsjahrgängen wie die „Millenials“ oder die „Generation Z“. Stattdessen geht es mir um junge Erwachsene, die gerade ins Leben finden. Jene, die genau wie ich zwischen Schulabschluss und Familiengründung ihren Platz in der Welt suchen.

Wir sind voller Gegensätze. Während wir von Individualität und Freiheit träumen, sehnen wir uns nach Orientierung und Sicherheit. Obwohl wir permanent miteinander verbunden sind, fühlen wir uns oft einsam. Wir wirken selbstbewusst und sind doch verloren.

Natürlich prägt uns neben vielen individuellen Faktoren auch die Gesellschaft, in der wir aufwachsen. Politische Ereignisse, technologische Fortschritte, der gegenwärtige Zeitgeist. Manches haben wir eben doch gemeinsam. Etwa die Tatsache, dass wir die ersten Deutschen sind, die mit einer weiblichen Regierungschefin groß wurden. Oder dass wir die Letzten sind, die sich an eine Kindheit ohne Smartphone erinnern können. Wir haben den Aufstieg von Donald Trump, den Abstieg der Volksparteien und den EU-Ausstieg der Briten erlebt. All diese Erfahrungen einen und formen uns.

Die letzten Jahre haben unsere Welt noch mehr ins Wanken gebracht. Eine Pandemie ließ sie stillstehen. Die Folgen des Klimawandels setzen ihr zu. Russische Bomben erschüttern Europa. Plötzlich finden wir uns in einer Gesellschaft wieder, die statt wohlstrukturierter Verlässlichkeit nur bedrohliche Unsicherheit bietet. Krise folgt auf Krise – und wir stellen fassungslos fest: Dass es im Leben immer weiter nach oben geht, ist kein Naturgesetz.

Auf der Suche nach Zeichen der Hoffnung in Zeiten der Krise will ich nichts schönreden und zugleich das Schöne nicht vergessen. Ja, es sind zweifelsfrei herausfordernde Zeiten. Aber aus Herausforderungen können großartige Dinge entstehen. In uns steckt die Kraft, die Welt neu zu gestalten. Davon bin ich überzeugt. Wir müssen und werden Wege finden, das Beste aus unserer Situation herauszuholen. Weil Aufgeben keine Option ist.

"Was mir Hoffnung gibt, ist die nächste Generation. Wenn ich um die Welt reise, stelle ich fest, dass diese Generation junger Menschen intelligent, idealistisch und innovativ ist. Ich möchte euch sagen, dass es eine freudige Verantwortung ist. Es ist ein großes Privileg, auf diese Welt einzuwirken und sie zu verbessern."

Barack Obama, ehemaliger US-Präsident4

Ich sitze also in dem Restaurant in Brüssel, sehe mich um, betrachte die weinende YouTuberin und die besorgten Gesichter der anderen. So viele junge, engagierte Menschen, die so viel bewirken könnten. Doch wir fühlen uns entmutigt, verängstigt und gelähmt. Ich will nicht akzeptieren, dass das für immer unser Zustand sein soll. Wir dürfen nicht aufhören, über die großen Krisen zu sprechen. Aber genauso müssen wir immerzu über die großen Chancen sprechen. Als ich am nächsten Tag zurück nach Deutschland fliege, beschließe ich, dieses Buch zu schreiben. Zunächst will ich es „Generation Krise“ nennen. Doch mir wird schnell klar, dass das nicht passend ist, weil wir viel mehr sind als die Krisen um uns herum. Also mache ich aus der Krise die Hoffnung. Nicht nur, weil wir Hoffnung benötigen, um immer weiterzumachen, sondern vor allem, weil wir selbst die Hoffnung sind. Wir gestalten die Zukunft. Wir verändern die Welt. Wir sind die Generation Hoffnung.

KLIMA

„Hoffnung ist nichts, was einem geschenkt wird. Sie ist etwas, was man sich verdienen, was man schaffen muss. Sie ist nicht passiv zu bekommen, indem man da steht und darauf wartet, dass jemand anderes etwas unternimmt.”

Greta Thunberg

Ich beginne dieses Buch mit dem Klimakapitel. Das ist riskant, vielleicht auch taktisch unklug, weil ich weiß, dass sehr viele Leute sehr wenig Lust auf dieses Thema haben. Die Klimakrise macht uns Angst. Und wenn Menschen Angst haben, reagieren sie nach psychologischen Erkenntnissen auf drei unterschiedliche Weisen: sie kämpfen, erstarren oder flüchten. Viele von uns entscheiden sich für die Flucht. Das Thema ist nicht sexy, macht schlechte Laune und darauf haben wir keinen Bock. Also schalten wir ab und verdrängen es so gut wir können.

Das Verdrängen funktioniert bei der Klimakrise – zumindest in unseren privilegierten Breitengraden – recht gut, weil sie uns noch selten das Gefühl einer akuten Gefahr vermittelt. Wir sehen Berechnungen und Prognosen und Graphen und denken: „Oh, das sieht aber nicht gut aus.” Doch wir Menschen müssen oft erst etwas fühlen, damit wir es wirklich begreifen. Unser Gehirn ist nicht gut darin, langfristige Entwicklungen zu erkennen und ernst zu nehmen. Um in Aktion zu treten, also um zu kämpfen statt zu flüchten, braucht es in der Regel räumliche, zeitliche oder soziale Nähe. Potenziell tödliche Viren im Supermarkt, Geflüchtete vor der eigenen Haustür, eine riesige Summe auf der Heizkostenabrechnung: Das bringt Menschen in Bewegung. Aber die neueste Publikation von Klimaforscherinnen und -forschern? Ein Foto von einem schmelzenden Eisberg?

Die meisten von uns wissen theoretisch, dass die Klimakrise eine existenzielle Bedrohung unserer Zukunft bedeutet. Aber wir fühlen es nicht. Und deshalb schieben wir sie von uns weg. Das Problem: Wenn wir ihre Auswirkungen wirklich spüren, wird es wohl zu spät sein, um noch etwas ändern zu können.

Es gibt – vor allem junge – Menschen, die das kapiert haben. Sie entscheiden sich für den Kampf statt für die Flucht. „Die Jugend muss noch viel länger mit den Konsequenzen des Klimawandels leben als die Älteren”, sagt der Jugendforscher Simon Schnetzer. „Auch deshalb ist das Thema für sie so wichtig.” Ich komme also nicht drumherum, in diesem Buch über die existenziellste aller Krisen zu schreiben. Denn ja, ich habe Angst. Aber Angst verschwindet nicht von alleine, sondern nur, indem man sich ihr stellt und nach einer Lösung sucht. Fangen wir also an.

Fakten: Irgendwann gibt es kein Zurück mehr

Manchmal bin ich fast schon froh, nicht über Spezialwissen zur Klimakrise zu verfügen, denn wäre ich eine Expertin, die wirklich verstünde, wie viel gerade schiefläuft, würde ich wahrscheinlich vollkommen durchdrehen. Dieses Buch ist nichts für Leugnerinnen und Leugner des menschengemachten Klimawandels. Auf was wir uns also einigen sollten: Die Klimakrise ist real und gefährlich. Wir Menschen sind die Ursache.

Und noch ein bisschen mehr Grundwissen ist wichtig. Der umfassende Bericht des Weltklimarats IPCC hat die Ergebnisse von sechs Klimaberichten und drei Sonderberichten aus den vergangenen Jahren gebündelt. Insgesamt basiert er auf ungefähr 80.000 Studien. In dem Bericht heißt es: „Das Fenster der Möglichkeiten, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu schaffen, schließt sich schnell.“1 Was wir dringend begreifen müssen: Es wird dann auch für immer verschlossen bleiben. Die Erde hat Grenzen. Wir zerstören ein System, das wir nicht einfach so wiederherstellen können. Vielleicht ist es das, was mir am meisten Furcht einjagt: Dass unsere Versäumnisse eines Tages nicht mehr gutzumachen sind. Dass ein „Ups, sorry, das wollten wir nicht” keinen Unterschied machen wird, weil es dann einfach zu spät ist.

Um das besser zu veranschaulichen, gibt es das Konzept der Klimakipppunkte. Dabei handelt es sich um kritische Schwellenwerte, deren Überschreitung zu irreversiblen Veränderungen des globalen Klimas führt. Kipppunkte sind zum Beispiel das Schmelzen des Grönlandeises, die Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes oder das Absterben der Korallenriffe. Sollten diese Dinge geschehen – und das werden sie, wenn wir tatenlos zusehen – hätte das dramatische Auswirkungen auf den gesamten Planeten. Eine lebenswerte Existenz wäre dann kaum mehr möglich.

Louisa Schneider ist Klimaaktivistin und reist mit der Umweltorganisation Greenpeace zu verschiedenen Orten der Erde, an denen diese Kipppunkte sichtbar werden. Als ich sie zum digitalen Interview erreiche, sitzt Louisa gerade vor ihrem Laptop in einem kleinen Apartment mit Blick über São Paulo. Am Tag zuvor ist die 24-Jährige aus dem Amazonasgebiet zurückgekehrt. „Du fährst kilometerweit durch ausgedörrte Felder, die einst florierender Regenwald waren”, beschreibt sie einen der eindrücklichsten Momente ihrer Reise. „Und dann steigst du aus und du stehst mitten im Rauch. Du kannst nicht richtig atmen. Deine Augen beginnen zu tränen. Überall zischt und knackt es. Ein Baum stürzt um. Die letzten Wildschweine rennen aus dem rauchenden Wald. Über dir schreien brennende Vögel.” Es seien Eindrücke wie diese, die ihr immer wieder bewusst machten, was wir verlieren, wenn wir nicht endlich handeln.

Eigentlich haben sich fast alle Länder der Welt zum Handeln verpflichtet: Im Pariser Klimaabkommen von 2015 verständigten sie sich unter anderem darauf, das sogenannte 1,5-Grad-Ziel zu verfolgen, also den globalen Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Gelänge dies, könnte man das Überschreiten der Klimakipppunkte möglicherweise verhindern. Dann würde das Grönlandeis nicht weiter abschmelzen, die Korallenriffe bunt bleiben und der Regenwald nicht zur Savanne werden. Kurz gesagt: Das Leben auf diesem Planeten wäre weiterhin möglich. Die 195 teilnehmenden Länder verpflichten sich unter anderem, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren und regelmäßig über ihre Fortschritte zu berichten. Das Pariser Abkommen gilt als Meilenstein im globalen Kampf gegen den Klimawandel, doch die Verpflichtungen sind freiwillig und die bisherigen Emissionsreduktionen unzureichend. Bleibt es beim aktuellen Kurs, so die Autorinnen und Autoren des IPCC-Berichts, steuert die Welt auf einen Temperaturanstieg von bis zu 2,6 Grad Celsius zu. „Wir haben 16 Klimakipppunkte weltweit und zehn davon sind eventuell schon überschritten”, sagt Louisa. „Dadurch gerät immer mehr ins Wanken. Es kann so nicht weitergehen.”

Während ich mit Louisa spreche, fällt immer wieder ein Begriff: Kapitalismus. Man kann einfach nicht über das Klima reden, ohne auf die Wirtschaft zu blicken. Es geht im kapitalistischen System eben vordergründig darum, dass die Wirtschaft läuft, und solange Menschen mehr Geld damit verdienen, die Umwelt zu zerstören, als sie zu bewahren, wird sich nicht viel ändern. Wir müssen uns also fragen, warum fossile Energien noch immer so lukrativ sind und was wir dagegen tun können. Denn was bringt eine laufende Wirtschaft, wenn sie den Untergang der Menschheit bedeutet? Und warum sorgen wir nicht dafür, dass die Wirtschaft läuft, indem wir Dinge schaffen, die dem Klima zuträglich sind? Ökonomie und Ökologie schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Klimaschutz und Nachhaltigkeit können wirtschaftliche Wachstumstreiber sein. Wir brauchen wissenschaftliche und technologische Entwicklungen, um grüne und zugleich günstige Energien herzustellen. Wenn es uns gelänge, mehr effiziente, klimaneutrale Technologien zu entwickeln, könnten wir zugleich Arbeitsplätze und damit letztlich sogar einen Wettbewerbsvorteil schaffen. Dabei geht es nicht nur um Ansätze, die zur Reduktion von CO2-Äquivalenten beitragen, sondern auch um solche, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen und speichern. Es muss darum gehen, effektive Lösungen zu finden und sie in die ganze Welt zu exportieren. Ich bin überzeugt, dass wir Wohlstand bewahren und trotzdem – oder sogar erst recht – ambitionierten Klimaschutz vorantreiben können, indem wir arbeiten, erfinden, erschaffen. Und zwar für das Klima. Nicht dagegen.

„Es ist wichtig, dass wir jetzt auf Technologien setzen, die dazu führen, dass unser Wohlstand in Zukunft größer ist als heute. Und dass wir gleichzeitig dazu beitragen, dass das Klima und die Umwelt geschützt werden. (…) Denn ich bin für Wachstum, um das ganz klar zu sagen. Aber ich finde, Wachstum muss nicht so sein, dass man gewissermaßen dann schlechter lebt. (…) Für uns in Deutschland ist das übrigens eine gute Chance. Denn wenn wir es sind, die die Technologien [beherrschen], dann können wir sie auch verkaufen.“

Olaf Scholz, Bundeskanzler2

Je länger wir warten, desto teurer und unbequemer wird es für uns alle. Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesumweltministeriums zeigt, dass die Schäden, die bis 2050 durch die Klimakrise entstehen, das Land bis zu 900 Milliarden Euro kosten könnten. Ein schwacher Klimawandel würde dagegen „nur” 280 Milliarden Euro kosten. Wer also Angst vor Wohlstandsverlust hat, muss erst recht jetzt tätig werden. Und wer Angst vor Veränderungen hat, sollte sich vor Augen führen, dass diese nicht unbedingt einen Verzicht, sondern oft sogar einen Zugewinn an Lebensqualität bedeuten. Zum Beispiel weil sich ohne Kohle und Öl die Luftqualität verbessert oder weil durch eine fleischfreie Ernährung die Lebenserwartung steigt.

Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckart von Hirschhausen schreibt in seinem Buch „Mensch Erde”: „Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten 10.000 Jahre verlaufen.”3 Diesen Satz muss man einfach noch mal lesen, um ihn wirklich zu begreifen: Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten 10.000 Jahre verlaufen. Wie krass ist das? Mit den Maßnahmen, die wir jetzt treffen, beeinflussen wir, ob die menschliche Spezies langfristig überlebt – oder eben nicht.

Manche mögen jetzt vielleicht sagen: „Mir doch egal, was nach mir kommt. In hundert Jahren bin ich sowieso tot.” Aber selbst wenn einem die Zukunft der eigenen Kinder und Enkelkinder egal ist, muss klar sein, dass die ersten Auswirkungen der Klimakrise bereits hier und jetzt spürbar sind. Das überflutete Ahrtal, Waldbrände, Wasserknappheit, Ernteausfälle, Dürreschäden und geschätzt mehr als 8.000 Hitzetote in Deutschland allein im Sommer 2022. All das sind nur Vorboten dessen, was sich noch entwickeln könnte. „Es sind so viele Klimakatastrophen vorprogrammiert, dass wir mit Sicherheit davon ausgehen können, dass dieses Thema junge Menschen noch sehr lange beschäftigen wird“, sagt Jugendforscher Schnetzer. Wir gehören zur ersten Generation, die wirklich spürt, welche Folgen die Erderwärmung hat. Und wir gehören zur letzten, die sie aufhalten kann.

Diese Verantwortung lastet schwer auf unseren Schultern. Studien zeigen, dass sich die unfassbare Tragweite der Klimakrise und das Gefühl, sie quasi allein aufhalten zu müssen, negativ auf die mentale Gesundheit auswirkt.4 Inzwischen gibt es sogar ein psychologisches Phänomen, das diesen Umstand beschreibt: Klimaangst oder Climate Anxiety. Sie reicht von Stress, Schuldgefühlen und allgemeiner Sorge bis hin zu intensiven emotionalen Reaktionen wie Panikattacken, Schlafstörungen oder Depressionen. Auch Louisa kennt diese Klimaangst: „Nach all den Jahren, in denen ich mich schon mit diesen Themen beschäftige, versinke ich manchmal immer noch in Verzweiflung und breche in Tränen aus”, sagt sie. Das gehöre zur aktivistischen Arbeit wohl einfach dazu. Die Klimakrise ist zum Heulen.

Globalisierung: Alles hängt mit allem zusammen

93 Prozent der EU-Bürger sehen im Klimawandel ein „ernstes Problem“.5 Das ist ein beachtlicher Konsens. Doch viele tun bisher wenig bis nichts, um ernsthaft zu einer Lösung beizutragen. Ich schließe mich da ganz bewusst mit ein: Obwohl ich die Klimakrise sehr ernst nehme, ignoriere ich sie meist so gut es geht. Das ist untypisch für mich, denn normalerweise versuche ich, Problemen im Leben immer konstruktiv zu begegnen. Ob bei akutem Liebeskummer oder schockierenden AfD-Umfragewerten – ich frage selten: „Wie konnte es so weit kommen?”, und viel lieber: „Wie können wir es ab jetzt besser machen?”. Bei der Klimakrise ist die Beantwortung dieser Frage jedoch alles andere als leicht, denn alles hängt mit allem zusammen. Das Klima ist global. Deshalb müssen wir es global denken.

Wirtschaftsnationen wie Deutschland tragen eine historische Verantwortung. Weil sie bereits zu Zeiten des Kolonialismus andere Regionen und Völker ausgebeutet haben. Weil sie seit der Industrialisierung hohe Emissionen verursachen. Und weil sie nach wie vor überdurchschnittlich viele Treibhausgase ausstoßen.

Doch es wäre keinem geholfen, wenn Deutschland nun im Alleingang strengere Auflagen oder höhere Preise einführte, um beispielsweise CO2 einzusparen. Im Gegenteil: Die inländische Produktion würde teurer werden und stattdessen könnten Wettbewerber in anderen Ländern die Ware günstiger produzieren und nach Deutschland exportieren. Deutsche Unternehmen müssten womöglich schließen und das CO2 wäre trotzdem in der Luft. Dem weltweiten Klima wäre kein bisschen geholfen und der deutschen Wirtschaft zugleich massiv geschadet. Dieses Phänomen wird als Carbon Leakage bezeichnet und macht deutlich, warum klimapolitische Entscheidungen unbedingt auf internationaler Ebene koordiniert werden müssen.

Welchen Unterschied kann unser kleines Heimatland überhaupt machen? Laut dem „Global Carbon Atlas” beträgt der Anteil Deutschlands an den weltweiten CO2-Emissionen gerade mal zwei Prozent. Ganz Europa ist für etwa zehn Prozent verantwortlich.6 Selbst wenn Deutschland oder sogar ganz Europa über Nacht CO2-neutral werden würde, würde die Welt wohl trotzdem überhitzen. Asien, der bevölkerungsreichste und größte Kontinent, trägt dagegen zu mehr als 50 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei. Bei diesem Gedanken bin ich direkt frustriert, weil ich mir einfach nicht zutraue, den chinesischen Staatschef Xi Jinping persönlich davon zu überzeugen, doch bitte endlich was fürs Klima zu tun.

„Wenn sich in Asien nichts tut, bringt unser Einsatz doch sowieso kaum etwas”, sage ich zu Louisa. Sie entgegnet: „Wir machen es uns viel zu leicht, indem wir unsere Klamotten und Handys in Asien produzieren lassen und uns dann darüber beschweren, dass da so viel CO2 ausgestoßen wird. Diese Emissionen werden bewusst von Konzernen in diese Länder ausgelagert, um dann mit dem Finger auf sie zu zeigen. Auch das muss uns bei unseren eigenen Konsumentscheidungen bewusst sein.“ Aha! Ich muss also gar nicht persönlich mit Xi Jinping sprechen, um ein kleines bisschen Einfluss zu nehmen. Die Emissionen in anderen Ländern sind weder deren alleinige Schuld noch ihr alleiniges Problem. Solange wir immer nur möglichst viele, möglichst billige Sachen kaufen wollen, die Produktionsbedingungen ignorieren und Kosten externalisieren, wird sich das weltweite System nicht ändern. Es bleibt dabei: Alles hängt mit allem zusammen.

Die Länder des Globalen Südens, die genau betrachtet am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, haben am stärksten mit dessen Folgen zu kämpfen, während die Länder des Globalen Nordens, die historisch am meisten profitieren, eher in der Lage sind, sich anzupassen. Deutschland zum Beispiel befindet sich in einer gemäßigten Klimazone. Doch in den Ländern des Globalen Südens leiden die Menschen jetzt schon unter Trinkwasserknappheit, Hitzewellen und Dürren. Landwirtschaft, auf die sie häufig angewiesen sind, wird auf Dauer nicht mehr möglich sein. Früher oder später werden diese Menschen in kühlere Regionen der Erde flüchten müssen. Es ist also weder moralisch vertretbar, noch klug, die Sorgen anderer Länder zu ignorieren.

Wie schaffen wir es, dass die einen Menschen nicht hungern und leiden, während andere vollkommen über ihre Verhältnisse leben? Die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth hat das Konzept der „Donut-Ökonomie” entworfen. Den Namen finde ich schon mal sehr verlockend. Raworth stellt die Wirtschaft darin wie einen Donut dar. Es gibt einen inneren und einen äußeren Ring. Der innere Ring steht für das gesellschaftliche Fundament des Wohlbefindens. Wenn Menschen diesen Ring nach innen überschreiten, leiden sie unter Wassermangel, Nahrungsknappheit, Bildungsdefiziten, Gesundheitsproblemen – kurz: Es geht ihnen schlecht. Der äußere Ring symbolisiert dagegen die ökologische Grenze. Wenn wir ihn nach außen überschreiten, kommt es zu Luftverschmutzung, dem Verlust der Artenvielfalt, der Versauerung der Meere und all den anderen dramatischen Folgen der Klimakrise. Der Raum zwischen den beiden Ringen – also der Donut selbst – ist der Ort, an dem die Bedürfnisse aller Menschen auf dem Planeten erfüllt werden können, ohne die verfügbaren Ressourcen überzustrapazieren. Hier sollten wir alle leben, denn im Donut selbst, so Raworth, „liegt ein sicherer und gerechter Raum für die Menschheit”.7 Im Augenblick überschreiten wir jedoch sowohl die innere als auch die äußere Grenze. Raworth schreibt in ihrem Buch: „Was wäre, wenn wir unser eigenes Leben nach dem Donut ausrichten und uns die Frage stellen würden: Wie beeinflusst die Art, wie ich einkaufe, esse, reise, meinen Lebensunterhalt verdiene, wähle, meine Bankgeschäfte erledige und mich generell verhalte die sozialen und planetaren Grenzen?“ Oder anders gesagt: Wie werden wir zur leckeren Schokoglasur des Donuts?