Gentlemen of New York - Calvin - Joanna Shupe - E-Book
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Gentlemen of New York - Calvin E-Book

Joanna Shupe

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Beschreibung

New York 1889. Eine Stadt im Umbruch. Lügen sind hier eine Währung und Liebe nur ein Spiel. Doch ein Spiel mit hohen Einsätzen.

Calvin Cabot genießt die Macht, die er als Zeitungsverleger über die Reichen und Schönen hat. Kein Geheimnis, egal wie schmutzig oder wie gut verborgen, ist vor ihm sicher. Und wie viel süßer wird dieses Spiel noch, wenn es um Lillian geht, die einzige Frau, die ihm je das Herz gebrochen hat? Doch aus seinen genüsslichen Racheplänen wird bald etwas ganz anders ...


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Seitenzahl: 478

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

DANKSAGUNGEN

Über das Buch

New York 1889. Eine Stadt im Umbruch. Lügen sind hier eine Währung und Liebe nur ein Spiel. Doch ein Spiel mit hohen Einsätzen. Calvin Cabot genießt die Macht, die er als Zeitungsverleger über die Reichen und Schönen hat. Kein Geheimnis, egal wie schmutzig oder wie gut verborgen, ist vor ihm sicher. Und wie viel süßer wird dieses Spiel noch, wenn es um Lillian geht, die einzige Frau, die ihm je das Herz gebrochen hat? Doch aus seinen genüsslichen Racheplänen wird bald etwas ganz anders …

Über die Autorin

Joanna Shupe hat mit ihrem Debüt-Roman den prestigeträchtigen Golden Heart Award der Romance Writes of America gewonnen und startete damit ihre Karriere als Schriftstellerin. Ihre Romane wurden in mehrere Länder übersetzt. In Deutschland erscheint 2017 ihre »Gentlemen of New York«-Trilogie, mit der sie in den USA für Furore sorgte. Darin verlässt sie die eingetretenen Wege des Historischen Liebesromans und wendet sich einem für das Genre ungewöhnlichem Setting zu: New York in den 1880er Jahren. Due Serie wurde von Lesern und Journalisten begeistert gefeiert. So urteilte die Washington Post über den ersten Band: »Ein wunderschöner Liebesroman … sexy und clever«. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und ihren zwei Töchtern in New Jersey und tauscht sich über Facebook und Twitter gern mit ihren Fans aus.

JOANNA SHUPE

Gentlemen of New York

Sündig wie Silber

Roman

Aus dem amerikanischen Englischvon Anita Nirschl

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2017 by Joanna Shupe

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Mogul«

Originalverlag: Zebra Books, New York

Published by Arrangement with Kensington Publishing Corp.,

New York, NY 10018 USA

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Antonia Zauner, Olching

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

Unter Verwendung von Motiven von © hotdamnstock und © thinkstock:

stocksnapper | AnnaPoguliaeva | Reinhold Leitner | Kiuikson

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4044-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für all jene, die Amerika ohne faire Entlohnung,gerechte Arbeitspraktiken oder anständige Lebensbedingungen

KAPITEL EINS

»Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure gedrängten Massen,die sich danach sehnen, frei zu atmen.«

– EMMA LAZARUS

ChinatownNew York CityApril 1889

Nie hätte sie damit gerechnet, ihren ehemaligen Gatten in einer Opiumhöhle zu finden.

Lily verwünschte im Stillen ihr fürchterliches Pech und wandte sich an die Person neben ihr, den Mann, der entdeckt hatte, wen sie suchte. »Wie lange ist er schon hier?«

»Zwei Tage, Ma’am.«

Gütiger Himmel. An diesem düsteren und deprimierenden Ort herrschte ein nussiger, süßlicher Gestank, der sie zwang, sich die Nase zuzuhalten und durch den Mund zu atmen. Männer und Frauen jeden Alters und jeder Hautfarbe lagen mit glasigen Augen auf schmalen Liegen, lange Pfeifen in ihrer Reichweite. Mehrere spärlich gekleidete Frauen drückten sich in der Nähe herum, ebenso wie der Besitzer, der sie zweifellos von hier forthaben wollte.

Da waren sie schon zwei. Sie würde viel lieber in der Chesapeake Bay segeln oder sich im Haus ihrer Familie in Newport entspannen. In Palm Beach auf ihrem Pferd ausreiten oder in Paris einkaufen. Alles, außer hier zu stehen und den einzigen Mann zu betrachten, den sie nie wiederzusehen gehofft hatte.

Calvin Cabot. Sie musterte ihn, während er schlief, und versuchte abzuschätzen, inwieweit er sich, falls überhaupt, in den vergangenen vier Jahren verändert hatte. Er war immer noch langgliedrig und wohlproportioniert. Unglaublich gut aussehend, trotz des zottigen hellbraunen Haars und des Barts, der sein Gesicht bedeckte.

Er hatte ihre Briefe beinahe zwei Wochen lang ignoriert, jeder einzelne war ungeöffnet zurückgekommen. Darüber hinaus war er verschwunden, wann immer sie in seinem Büro oder seinem Zuhause aufgetaucht war. Ganz egal, welche Uhrzeit, ganz egal, welchen Tag sie wählte, er war ihr stets einen Schritt voraus. Frustrierend, wenn man bedachte, dass sie ein heikles Problem hatten, bei dessen Beseitigung er ihr helfen musste, bevor jemand anderes es entdeckte. Sie hatte keine andere Wahl gehabt, als einen Pinkerton-Detektiv zu beauftragen, ihn zu kidnappen.

Und doch hätte sie nie damit gerechnet, ihn hier zu finden. War er süchtig nach der Pfeife? Calvin, einer der mächtigsten Zeitungsverleger der Ostküste, lag ausgestreckt in schmutzigen, verknitterten Kleidern vor ihr, und ein unangenehmer Geruch ging von ihm aus. Wie konnte er nur eine Opiumsucht und sein Imperium miteinander vereinbaren?

Nicht dass sie je verstanden hätte, was in ihm vorging. Lily und Calvin waren wie Öl und Wasser gewesen – oder, wie er gern behauptet hatte, Öl und Champagner. Obwohl er den Reichtum und die Privilegien, die ihre Familie mit sich brachte, nicht immer gehasst hatte …

»Was würden Sie gern tun, Ma’am?«, fragte der Mann an ihrer Seite. Sie hatte zwölf Männer angeheuert, um Calvin zu finden, und Jessup hier war derjenige, der sich ihre zweitausend Dollar Belohnung verdient hatte.

Lily wandte sich an den Besitzer der Opiumhöhle. »Wie viel schuldet Ihnen dieser Mann?«

Gier leuchtete in den dunklen Augen des Besitzers auf – Lily erlebte diese Reaktion bei Weitem nicht das erste Mal. Aber sie war die Tochter ihres Vaters, nicht irgendein dummes, leicht einzuschüchterndes Frauenzimmer. Grundgütiger, sie fungierte seit dem Tod ihres Vaters als Präsidentin der Davies Mining Company. Niemand haute Lillian Davies übers Ohr.

»Dreihundert.«

Sie lachte über diese unverschämte Summe. »Und nun den wahren Betrag.«

Der Besitzer warf Mr. Jessup einen Seitenblick zu, offensichtlich um abzuwägen, wie seine Chancen standen, ihr mehr Geld abzugaunern, ohne verprügelt zu werden. Nicht, dass Lily den Pinkerton bitten würde, einzuschreiten. Lily brauchte keinen Mann, um ihre Probleme zu lösen.

»Einhundertzwanzig Dollar«, sagte der Besitzer.

Lily nickte, obwohl sie auch mehr bezahlt hätte. Sie brauchte Calvin dringend.

Die Transaktion wurde rasch abgewickelt, dann wandte sie sich an Mr. Jessup, der ihr seit ihrer Ankunft nicht von der Seite gewichen war, und zeigte auf den bewusstlosen Mann auf der Pritsche. »Werfen Sie ihn bitte in die Kutsche, wenn Sie so freundlich wären.«

Hotel FauchèrePocono Mountains, PennsylvaniaVier Jahre zuvor …

»Lily, Darling, die Haut an meinem Schwanz wird schon wund.«

»Du Ärmster.« Lily beugte sich vor und benutzte ihre Zunge, um der mitgenommenen Stelle Linderung zu verschaffen. »Lass mich dir helfen.«

Calvin, seit weniger als drei Wochen ihr Ehemann, ließ sich zurück aufs Bett fallen und gab ein Stöhnen von sich, das zu gleichen Teilen aus Schmerz und Wonne bestand. »Genau genommen hilfst du mir damit nicht«, keuchte er, als sie kleine Küsse auf die empfindsame Haut hauchte.

Sein Körper reagierte sofort. Seine Erektion wuchs unter ihren Lippen, doch anstatt Lily wegzuschieben, strichen ihr seine kräftigen Finger das blonde Haar aus dem Gesicht, um ihre fürsorgliche Zuwendung mit hungrigen blauen Augen verfolgen zu können. »Das hat doch den ganzen Ärger überhaupt erst verursacht. Ein Mann braucht Erholungspausen, Weib.«

Lily ignorierte ihn, völlig auf ihre Aufgabe konzentriert. Sie liebte es, wie er schmeckte, wie sich die geschmeidige, samtige Länge an ihrer Zunge anfühlte. Weiche Haut spannte sich über straffe Härte. Am meisten liebte sie es, wie er auf alles reagierte, was sie tat, als könnte er nicht genug von ihr bekommen. Sie verstand dieses Gefühl gut; sie wollte nie mehr damit aufhören, ihn zu berühren oder zu küssen. Wollte nicht aufhören, dieselbe Luft zu atmen. Genau genommen hatten sie seit dem Beginn ihrer Flitterwochen vor zwanzig Tagen kaum das Bett verlassen.

Ihre Brautwerbung war kurz gewesen. Die beiden waren einander erst zwei Monate zuvor vorgestellt worden, bevor sie beschlossen hatten, durchzubrennen. Obwohl viele sie töricht nennen würden, war Lily sich noch nie in ihrem ganzen Leben einer Sache so sicher gewesen. Calvin war alles, was sie wollte. Er war intelligent und abenteuerlustig und arbeitete unermüdlich als Reporter für den New York Bugle, wo er sich für die Sache der weniger vom Glück Begünstigten einsetzte. Korruption aufdeckte. Die Scheinheiligkeit der New Yorker Politik enthüllte. Außerdem war er gut aussehend, mit braunem Haar, strahlend blauen Augen und einem großen, schlanken Körper, der vor Energie und Selbstvertrauen vibrierte. Er hatte Ehrgeiz und starke Überzeugungen, ein Mann, der in seinem Leben Erstaunliches erreichen konnte. Lily freute sich schon darauf, ihm auf diesem Weg bei jedem Schritt beizustehen.

Zweifellos würde ihr Vater erst davon überzeugt werden müssen, die Heirat zu akzeptieren, aber Lily hatte ihre Argumente bereits parat. Calvin fürchtete, Warren Davies würde wütend darüber sein, dass seine einzige Tochter einen einfachen Reporter geheiratet hatte, einen Mann ohne Geld oder Ansehen, aber Lily hatte Vertrauen in ihren Vater. Schließlich war er selbst als Teenager nach Dakota gegangen, um sein Glück zu machen, und hatte eine profitable Silbermine entdeckt. Er respektierte harte Arbeit und Entschlossenheit, jeden Mann, der sich auf seinen Verstand und seinen Instinkt verließ, um es in der Welt zu etwas zu bringen. Zweifellos würde er Calvin mit der Zeit mögen, sobald die beiden sich besser kennenlernten.

Sie gab Calvin mit einem feuchten Ploppen frei, und die Erektion ihres Mannes fiel auf seinen Bauch. »Willst du, dass ich aufhöre?«, schnurrte sie und fuhr dabei mit den Fingernägeln an der Innenseite seiner Schenkel empor.

Calvin erschauderte. »Gott, bitte nicht. Ich weiß, ich habe nicht viel, aber ich überschreibe dir alles, wenn du mich nur tiefer – Ja, genau so«, stöhnte er, als sie ihn heiß und feucht in sich einsog. »Oh, und wenn es mich umbringt, dann war es das wert.«

Er hörte selten auf zu reden, selbst während intimer Augenblicke. Worte waren nicht nur sein Lebensunterhalt, sie waren auch eine Quelle des Trostes und eine Waffe für ihn. Entschlossen, ihn zum Schweigen zu bringen, umfasste sie seine Hoden, um sie leicht zu drücken, und er versteifte sich. »Schneller«, bat er. »Fester. Gott, Lily, ich verbrenne bei lebendigem Leib.«

Sie verdoppelte ihre Anstrengungen. Ihr Kopf bewegte sich auf und ab, mit saugenden Lippen und flatternder Zunge, bis seine Muskeln zu zittern begannen. Je rauer sie mit ihm umging, je mehr sie ihn kratzte und drückte, desto mehr liebte er es. Bald darauf stieß er fluchend die Hüften nach vorne, und mit einem Schrei ergoss er sich am ganzen Körper bebend in ihrem Mund.

Als das Pulsieren schließlich verebbte, verlagerte sie ihre Position, um Küsse auf die roten Kratzspuren zu drücken, die sie auf seinem flachen Bauch hinterlassen hatte. Sie war feucht vor Verlangen, Erregung pochte im Einklang mit ihrem Herzen. Wie lange würde er wohl brauchen, um sich zu erholen?

»Komm her, du Hexe.« Große Hände griffen unter ihre Arme und hoben sie auf seinen Körper. Mit schmerzhaft zärtlicher Miene drückte er ihr einen Kuss auf die Lippen. Sie genoss es, wie er schmeckte, wie ihre Lippen perfekt zusammenpassten, wie seine Zunge rau in ihren Mund eindrang. Liebe explodierte in ihrer Brust und erfüllte sie bis ins Mark mit einem Gefühl der Richtigkeit. »Ich liebe dich wahnsinnig«, flüsterte sie, als sie sich wieder voneinander lösten.

Mit der Rückseite seiner Fingerknöchel streichelte er ihr zärtlich über die Wange. Seine blauen Augen waren dunkel, trunken vor Wonne, sein Lächeln schief. »Ich liebe dich ganz und gar, Lily, meine Liebste. Für immer und ewig.«

Das Herz ging ihr in der Brust auf. »Was habe ich für ein Glück, dir begegnet zu sein.«

»Das Glück ist ganz auf meiner Seite. Du bist Lillian Davies; du hättest dir jeden Mann aussuchen können –«

Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Wenn das wahr ist, dann wähle ich dich, Calvin – außerdem bist du bescheiden, denn ich weiß, dass es in deiner Vergangenheit auch eine ganze Reihe von Frauen gab.« Er mochte zwar nicht wohlhabend sein, aber Calvin war der Typ Mann, der den Frauen auffiel. Mit seinem markanten Aussehen und der geschmeidigen Figur strahlte er Macht und Anmut aus, und sein federnder Gang ließ ihn geradezu draufgängerisch wirken. Seinen scharfen Augen entging nichts, und in ihren blauen Tiefen verbarg sich ein amüsiertes Funkeln. Er war ein Mann, der eine Frau auf sündige Gedanken brachte, sie sich fragen ließ, wozu dieser Teufel im Schlafzimmer fähig sein mochte …

Was für ein Glück, dass sie sich das nicht mehr zu fragen brauchte. Nein, sie wusste genau, welche Talente er in diesem Bereich besaß – und sie hatte nicht die Absicht, ihn je wieder aufzugeben.

»In meiner Vergangenheit vielleicht, und da sollen sie auch bleiben.« Er umfasste ihre Brust und reizte mit geschickten Fingern ihre Brustwarze, bis sie sich unter seiner Berührung aufrichtete.

»Besser wär’s. Ich habe nicht die Absicht, dich zu teilen, mit niemandem.«

Er knetete die zarte, pralle Rundung, was sie aufkeuchen ließ. »Ich ebenso wenig. All diese Verehrer, die du hingehalten hast, lässt du besser von der Leine, wenn wir wieder in New York sind.«

»Hingehalten?« Sie kniff ihn in die Brustwarze, und diesmal war er es, der aufkeuchte. »Das nimmst du zurück. Ich halte keine Männer hin.«

»Wirst du etwa wütend? Du weißt, was es mit mir anstellt, wenn du verärgert bist.« Er nahm ihre Hand von seiner Brust, hob sie an seinen Mund und küsste ihre Fingerspitzen. »Und ich habe nicht weniger als vier der begehrtesten Junggesellen Manhattans gezählt, die dich zu umgarnen hofften, Liebste. Soll ich sie dir aufzählen?«

»Die wollen nur das Vermögen meines Vaters, nicht die schlichte Lily, die sture, herrische Tochter eines Bergmanns.«

»Da irrst du dich. Ich sehe, wie sie dich anstarren, mit Bewunderung in den Augen, nicht mit Habgier. Es ist genau die gleiche Weise, wie ich dich anstarre.«

Ihr wurde warm und kribbelig im Bauch, und sie bewahrte das Kompliment in ihrem Herzen, weil sie nie vergessen wollte, welche Süße dieser Mann in ihr Leben gebracht hatte. Sie schlang ihre Beine um seine und streichelte mit ihrer weichen Fußsohle seine raue Haut. »An dem Abend, an dem wir uns begegneten, hast du mich um einen Tanz gebeten. Ich hatte keine Ahnung, wer du warst.«

»Ich wusste deinen Namen nicht, nur, dass du die schönste, hinreißendste Frau im ganzen Saal warst. Ich konnte dir nicht fernbleiben. Ich musste alles über dich erfahren, dich berühren, und wenn auch nur, um zu tanzen.«

»Und du, der geheimnisvolle Reporter im Saal, der die Party mit wachsamen, klugen Augen beobachtete. Niemand wusste genau, was er von dir halten sollte.«

»Ich glaube, die meisten in der Menge haben mich für einen Diener gehalten«, meinte er trocken.

»Auf keinen Fall. Deine Haltung ist ungefähr so unterwürfig wie …«

»Deine?«, bot er an.

Sie lachte, und seine Lippen fanden ihren Hals. Leckend und knabbernd reizte er ihre Haut, bis sie sich an ihm wand. Verzweifelt. Begehrend. »Wie viel Erholungszeit sagtest du, brauchst du?«

Er rollte sie auf den Rücken und positionierte sich zwischen ihren Schenkeln. »Meine bezaubernde Lily, der Mund eines Mannes braucht nie Erholungszeit.« Er zog eine Spur aus Küssen hinunter bis zum Herz ihrer Weiblichkeit und raubte ihr dann den Atem.

Ein Klopfen an der Tür des Hotelzimmers drang in Calvins Bewusstsein. Er kämpfte gegen die Nachwirkungen des Schlafes und der Unersättlichkeit seiner Ehefrau an und streckte den schmerzenden Rücken. Nur ein einziger Mensch würde es wagen, sie zu stören, und Calvin wusste, dass er nicht klopfen würde, außer es war dringend.

In der Hoffnung, seine Frau nicht zu wecken, rutschte Calvin zum Rand der Matratze und griff nach seiner Hose. Seine Frau. Es gefiel ihm, das zu sagen. Sehr sogar. Seine Kindheit hatte er damit verbracht, mit seinen Eltern um den ganzen Erdball zu reisen. Sie waren völlig darin aufgegangen, ihre Religion zu verbreiten, weshalb sie nie lange an einem Ort geblieben waren. Vorübergehende Bleiben, vorübergehende Freunde. Niemals irgendetwas Echtes oder Dauerhaftes – bis Lily kam. Sie gehörte jetzt zu ihm.

Er warf einen Blick über die Schulter auf ihre schlafende Gestalt. Blondes Haar ergoss sich über die cremefarbenen Laken wie ein Sonnenstrahl. Sie lag auf der Seite, beide Hände unter der Wange wie zum Gebet. Emotion wallte in seiner Brust empor, ein tiefes Gefühl der Richtigkeit, das er noch nie zuvor erlebt hatte. Und das ausgerechnet mit dieser Frau. Sie kamen aus zwei verschiedenen Welten; Lilys bestand aus Partys und Champagner, während die seine eine Welt blanker Entschlossenheit und Durchhaltevermögens war. Und doch funktionierte es irgendwie.

Als es ein weiteres Mal klopfte, öffnete Calvin die Tür. Hugo, sein bester Freund und manchmal Kammerdiener, stand im Flur, die Augen voller Sorge. »Ihr Vater ist hier.«

Calvin erstarrte. »Ihr Vater? Lilys Vater? Hier?« Bei Hugos Nicken sackte Calvin der Magen in die Kniekehlen. »Scheiße. Er sollte doch in Dakota sein.«

Hugo zuckte die Schultern. »Ich weiß nur, dass er unten ist und nach euch gefragt hat.«

Calvins Gedanken rasten. Er war Warren Davies noch nicht begegnet, aber er kannte den Ruf des Mannes. Ein hartherziger Geschäftsmann, der Rebellion und Meinungsverschiedenheit unbarmherzig mit allen Mitteln niederschlug, selbst mit Blutvergießen. Der letzte Versuch der Bergmänner in Davies’ Silbermine, eine Gewerkschaft zu gründen, hatte zum Tod von über fünfzig Männern geführt. Davies war dafür bekannt, zu bekommen, was er wollte … und Calvin ahnte, dass das hier kein angenehmer Besuch werden würde.

»Gib mir zwei Minuten, dann bin ich unten.«

Er schloss die Tür und beeilte sich, seine Kleider vom Fußboden zusammenzusuchen. Obwohl er regelmäßig gebadet hatte, hatte er seit mindestens einer Woche keine Kleidung mehr getragen, nicht mehr, seit er das Zimmer verlassen hatte, um Lily Eiscreme in einem Laden unten an der Straße zu kaufen – eine Nascherei, die er ihr von ihrem köstlichen nackten Körper geleckt hatte, wie er sich mit einem Lächeln erinnerte. Er fand sein Hemd, das zwar sauber, aber zerknittert war, und seine Krawatte war eine zerknüllte Katastrophe. Nicht gerade, wie man seinem Schwiegervater zum ersten Mal gegenübertreten wollte.

Nachdem er sich angekleidet hatte, warf er einen Blick auf sein Gesicht im Spiegel. Ein zwei Tage alter ungepflegter Bart überzog seinen Kiefer. Er krümmte sich innerlich. Nicht mehr zu ändern, dachte er und fuhr sich mit einem Kamm durch das störrische Haar.

»Calvin? Wo gehst du hin?«

Beim Klang der heiseren, schlaftrunkenen Stimme seiner Frau fuhr er herum. »Dein Vater ist hier.«

»Daddy ist hier?« Sie setzte sich auf. Das Laken rutschte von ihrem Körper und enthüllte die üppigsten Brüste, die er je gesehen hatte.

»Er ist unten.« Calvin griff nach seinem Gehrock und zog ihn an. Es war sein bester Gehrock, aus dunkelblauer Wolle, den er sich erst letztes Jahr gekauft hatte. Er bürstete Staub von den Ärmeln und zupfte seine Manschetten zurecht.

»Wie hat er herausgefunden, wo wir sind?« Lily war jetzt auf den Beinen und suchte nach ihren Kleidern. Er bemerkte, dass ihre Hände zitterten, als sie mit ihrer Chemise kämpfte. »Er sollte doch die Mine besuchen.«

»Ich habe keine Ahnung. Aber wir werden es bald herausfinden.«

Er ging zu ihr und fasste sie an den Schultern, um ihren fieberhaften Bewegungen Einhalt zu gebieten. »Liebling, warte.« Sie straffte die Schultern und starrte ihn mit panisch geweiteten Augen an. Er küsste sie auf die Nase. »Es wird alles gut gehen. Er wird es verstehen, das verspreche ich.«

Sie schluckte, nickte aber. »Natürlich. Du hast recht. Trotzdem sollte ich mit dir nach unten kommen.«

»Nein, das ist nicht nötig. Ich gehe zuerst hinunter. Nimm dir Zeit, dich in Ruhe anzukleiden. Es hat keine Eile.«

»Einverstanden.« Ihre Finger umklammerten sein Revers. »Calvin, ich liebe dich.«

Er lächelte sie an und ließ seine Hände hinuntergleiten, um ihre Brüste zu umfassen. »Und ich liebe dich. Beeil dich, bevor er beschließt, das Zimmer zu stürmen.«

Er ließ Lily sich fertig ankleiden und trat in den Flur hinaus. Als er die Treppe hinunterging, rief er sich all die Gründe in Erinnerung, warum Warren Davies ihn als Lilys Ehemann gutheißen sollte. Wie Davies war auch Calvin in Armut aufgewachsen, war jedoch auf dem besten Wege, es zu etwas zu bringen. Er hatte eine einträgliche Anstellung und all seine Gliedmaßen. Er hatte sogar noch all seine Zähne. Er würde Lily nie schlecht behandeln oder ihr Leid zufügen. Und vor allem liebte er sie von ganzem Herzen. Welcher Vater würde nicht wollen, dass seine Tochter glücklich war und geliebt wurde?

Hugo wartete am Fuß der Treppe, eine finstere Miene auf dem dunklen Gesicht. »Er ist im vorderen Salon«, sagte er. »Und er wirkt nicht erfreut. Zwei Männer sitzen draußen in seiner Kutsche, einer steht an der Tür des Salons. Hat einen Fünfundvierziger an der Hüfte.«

Diese Information versprach nichts Gutes. Warum hatte Davies eine kleine Armee mitgebracht? »Danke. Lily wird in ein paar Minuten herunterkommen. Sorgst du dafür, dass sie hineingeführt wird?«

»Wird gemacht. Und viel Glück.«

Ein großer Mann bewachte den Salon. Als Calvin sich näherte, öffnete der Mann ihm die Tür, dann schloss er sie rasch wieder, nachdem Calvin eingetreten war. Sobald seine Augen sich an das Licht des Nachmittags gewöhnt hatten, sah Calvin einen gedrungenen, gut gekleideten Mann am vorderen Fenster stehen. Warren Davies.

Davies trat auf ihn zu, und Calvin sah sofort die Ähnlichkeit mit seiner Tochter. Dieselben whiskeyfarbenen Augen, hellbraun mit goldenen Sprenkeln, und ein ähnlich eigensinniges Kinn. Davies hatte kurzes, graues Haar und einen langen Schnurrbart, wie man ihn an einem Cowboy draußen in Dakota sehen würde. In seiner Miene lag jedoch keine Wärme, und eine düstere Vorahnung nistete sich in Calvins Eingeweiden ein.

»Sie sind Calvin Cabot?«

»Das bin ich in der Tat, Mr. Davies.« Er streckte ihm grüßend die Hand entgegen, doch Davies machte keine Anstalten, sie zu ergreifen. Nach einem Augenblick ließ Calvin den Arm wieder sinken und sagte: »Ich weiß, das wird eine Überraschung für Sie sein, Sir –«

»Eine Überraschung?«, höhnte Davies. »Junge, eine Überraschung ist es, nach Hause zu kommen und festzustellen, dass die Köchin einem die Lieblingsnachspeise gekocht hat. Eine Überraschung ist es, wenn man auf der Straße einen guten Bekannten trifft. Eine Überraschung ist es, einen erfolgreichen Tag an der Börse zu haben. Das hier ist keine Überraschung. Herauszufinden, dass«, er deutete auf Calvin, »dieses Stück Scheiße einfach so deine einzige Tochter geheiratet hat, ist eine gottverdammte Katastrophe.«

Calvins Haut wurde flammend heiß, und Wut stieg in ihm auf wie eine Flutwelle. Bleib ruhig, sagte er sich. Es würde nichts Gutes dabei herauskommen, wenn er die Beherrschung verlor. Er musste den älteren Mann besänftigen, ihm erklären, was er für Lily empfand. »Ich weiß, dass ich nicht Ihre erste Wahl bin, aber ich liebe Lily. Ich werde –«

»Es ist mir egal, was Sie für sie fühlen. Herrgott, die Ehe baut nicht auf Gefühlen auf, Junge. Dabei geht es um Rang und Vermächtnis. Sie hatte gerade erst ihr Debüt, und ich hatte Pläne für sie. Und keiner dieser Pläne beinhaltete einen billigen Schmierfink bei einer Zeitung, von der noch nie irgendjemand etwas gehört hat.«

Der Hieb saß, und Calvin verschränkte die Arme vor der Brust, um sich davon abzuhalten, Davies eine zu verpassen. Ja, er arbeitete als Reporter für den Bugle, aber er besaß Ehrgeiz. Er würde nicht immer ein ›billiger Schmierfink‹ sein. Doch das schien Davies nicht zu interessieren. Er interessierte sich nur dafür, ob Calvin sich jetzt als Ehemann für Lily eignete.

»Warum sind Sie hier?«, fragte er rundheraus.

Davies Mundwinkel zuckten. »Jetzt kommen wir zum Wesentlichen. Ich habe Annullierungspapiere hier, die Sie unterzeichnen werden.«

»Ich werde keine verdammten Annullierungspapiere unterzeichnen«, schnauzte Calvin. Jede Höflichkeit war verpufft. Wenn Davies einen Kampf wollte, dann würde Calvin ihm mit Freuden einen bieten. »Ganz egal, was Sie sagen, ich werde Lily nicht aufgeben.«

»Wie viel?« Davies schob die Seiten seines Jacketts zurück und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Wie viel wollen Sie?«

»Ich will Ihr Geld nicht. Sie haben nicht genug, um mich dazu zu bringen, sie zu verlassen.«

Lachend warf Davies den Kopf in den Nacken. »Sie wissen ganz genau, wie wohlhabend ich bin. Ich habe keinen Zweifel, dass Sie eine ausgiebige und gründliche Recherche unternommen haben, bevor Sie sich Lily genähert haben. Bevor Sie ihr den Kopf mit Ihren Lügen gefüllt haben.«

Calvin biss so heftig die Zähne zusammen, dass er befürchtete, sein Kiefer könnte brechen. »Ich habe Ihre Tochter nie angelogen. Und ich habe mich ihr nicht genähert, weil sie Ihre Tochter ist. Ich hatte keine Ahnung, wer sie war, als –«

»Ersparen Sie mir das, Sohn. Ich habe weder die Zeit noch die Geduld für diesen Unsinn. Wenn ich Ihnen sage, was ich über Sie erfahren habe, dann denke ich, werden Sie Ihre Meinung bezüglich der Annullierungspapiere ändern.«

Calvins Gedanken rasten, als er überlegte, welche Geheimnisse Davies in seiner Vergangenheit ausgegraben haben könnte … aber ihm fiel nichts ein. Er hatte nicht wie ein Mönch gelebt, aber er hatte auch keine schweren Verbrechen begangen. »Ach ja?«

Davies ließ sich in einem Sessel nieder und stützte die Ellbogen auf die Armlehnen. »Ich habe zwei Informationen, die Sie hören sollten. Die erste ist, dass ich meiner Tochter, obwohl ich sie liebe, jede finanzielle Unterstützung entziehen werde, falls sie mit Ihnen verheiratet bleibt. Sie beide werden keinen Cent von mir oder meinem Vermögen bekommen. Ich werde Lily vollständig aus meinem Testament streichen.«

Calvin runzelte die Stirn, und sein Mut sank. Als sie durchgebrannt waren, hatte er nicht weit genug vorausgedacht, um sich über Finanzielles Sorgen zu machen. Verdammt, er war mit nichts aufgewachsen und hatte überlebt, aber Lily liebte das Leben reicher junger Frauen der Gesellschaft mit ihren wilden Partys und ihrem verschwenderischen Lebensstil. Und auch wenn er sie absolut nicht wegen des Geldes ihrer Familie geheiratet hatte, hatte er nicht in Betracht gezogen, dass ihr dieser Lebensstandard weggenommen werden könnte. Sie könnte sich mit … magerem Fleisch statt Foie gras begnügen müssen. Lagerbier statt Champagner. Ihre Kleider flicken, statt neue zu kaufen. Vorbei mit schicken Bällen und gesellschaftlichen Verabredungen; sie könnte sich eine Arbeit als Sekretärin oder Verkäuferin suchen müssen.

Aber wie könnte er sie je verlassen? Vielleicht bluffte ihr Vater nur. Schließlich behauptete Lily, dass Davies völlig vernarrt in sie war. Sicher würde ihr Vater doch nicht –

»Ich sehe, dass Sie mir noch nicht ganz glauben«, sagte Davies. »Also lassen Sie mich Ihnen die zweite Information geben. Ich habe viele Freunde bei der US-Regierung – mehr Freunde als Sie, offensichtlich –, und sie waren mehr als bereit, mich über Ihren jüngsten Bestechungsversuch in Kenntnis zu setzen. Wie es scheint, haben Sie jedem Briefe geschrieben und Geld angeboten, der es hören wollte. Etwas, das mit Ihrer Ehefrau zu tun hat, und zwar mit der in China …«

KAPITEL ZWEI

Davies-Villa, Fifth AvenueApril 1889

Calvin Cabot, ihr früherer Ehemann. Hier, im Haus ihrer Familie.

Ehemann. Sogar das Wort klang fremd. Die Erinnerung an ihre kurze Ehe lag ihr im Magen wie verdorbene Austern, obwohl er immer noch bewusstlos war. Schon allein ihn zu sehen verärgerte sie. Die Demütigung war immer noch so frisch, als wäre es gestern gewesen. Langsam stieß sie den Atem aus, fest entschlossen, ruhig zu bleiben. Von ihrer unglückseligen Vergangenheit einmal abgesehen, musste der Mann noch lange genug leben, um ihr zu helfen.

Sie musste ihren Bruder finden. Pinkertons hatten wochenlang ohne Ergebnis nach ihm gesucht. Dann hatte sie einen Brief erhalten, den sie nicht ganz verstand, aber sofort als gefährlich erkannte. Zweifellos würde Calvin ihr da zustimmen, sobald er wach war und sie ihm den Brief zeigte.

Ganz egal, was passierte, dieses spezielle Geheimnis musste begraben bleiben.

Die nächsten elf Stunden verbrachte sie damit, ihn zu beobachten, während sie versuchte, ihm Wasser einzuflößen, und ihn mit einem feuchten Tuch wusch. Er glühte vor Fieber, was ihr eigenartig schien. Sie hatte seine Pflege keinem ihrer Bediensteten anvertraut, da keiner von ihnen wusste, dass Lily schon einmal verheiratet gewesen war. Nein, nur zwei weitere Menschen wussten von ihrer Heirat – und es hatte sie nicht überrascht, dass einer davon bei Tagesanbruch an ihrer Türschwelle aufgetaucht war.

Hugo, Calvins Freund und Kammerdiener, hatte sich am Dienstboteneingang eingefunden, um sich um seinen Schützling zu kümmern. Er hatte dunkle Haut, freundliche braune Augen und kurzes schwarzes Haar. Ein schokoladenbrauner Anzug betonte seine kräftige Gestalt. Dankbar für eine kurze Atempause an Calvins Seite hatte sie ihn willkommen geheißen und war in ihre Räume gegangen, um sich frisch zu machen.

Sie kannte Hugo bereits aus der Zeit, in der sie und Calvin noch auf besserem Fuß miteinander gestanden hatten, da Hugo Calvin nie wirklich von der Seite wich. Die Geschichte, wie die beiden Männer sich kennengelernt hatten, war etwas undurchsichtig, in etwa so wie Calvins ganze Vergangenheit, aber ein wenig wusste sie. Hugo war als Sklave in Missouri aufgewachsen und als Teenager mit seinem ehemaligen Besitzer in China gelandet, einem Geschäftsmann, der kurz nach seiner Ankunft im Orient starb. Hugo war geblieben, und irgendwann waren Calvin und er Freunde geworden.

Lily hatte die beiden um ihre Beziehung beneidet. Calvin ließ nicht viele Menschen an sich heran, und sie hatte gehofft, eines Tages auch diese Ebene der Intimität zu erreichen. Doch das hatte sie nie. Nicht, dass er überhaupt an einer richtigen Ehe interessiert gewesen wäre. Calvins Ziel war von Anfang an Geld gewesen.

Sie erinnerte sich noch, wie sie vor vier Jahren die Treppe heruntergekommen war und ihren Vater allein im Salon des Hotels vorgefunden hatte.

»Wo ist Calvin?«, hatte sie Daddy gefragt.

»Dein neuer Ehemann ist gegangen.«

»Gegangen?« Sie sah sich um. »Wo ist er hingegangen?«

»Zurück nach New York, nehme ich an. Zweifellos hatte er es eilig, das Geld auszugeben, das ich ihm gerade gegeben habe.«

Lily blinzelte verständnislos. Geld? New York? »Das verstehe ich nicht. Du hast ihm Geld gegeben?«

»Ich habe ihm eine Annullierung angeboten, und er wollte ein Vermögen. Er hat beides ohne mit der Wimper zu zucken angenommen.«

»Annullierung?« Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, während ihre Lunge sich weigerte, Atem zu holen. »Willst du damit sagen …«

Ihr Vater nahm ein Blatt Papier vom Teetisch und reichte es ihr. »Es tut mir leid, Täubchen. Er wollte nie etwas anderes als das Geld unserer Familie.«

Calvin hätte sie nicht verlassen, er hätte ihre Ehe nicht beendet, nicht ohne vorher mit ihr zu reden. Er liebte sie. Das Geld ihres Vaters hatte ihn nie interessiert. Tatsächlich vibrierte ihr Körper immer noch von ihrem kürzlichen Liebesspiel. Überzeugt, dass ihr Vater sich irrte, blätterte sie zu der Seite mit der Unterschrift.

Und da sah sie es. Klar und deutlich. Der Name, der ihr entgegenstarrte, war unmissverständlich. Calvin Cabot stand in eleganter Handschrift auf der Linie. Ein Schluchzen entschlüpfte ihr, während Tränen sich in ihren Augen sammelten und überquollen. Eine große, dicke Träne fiel auf das Papier in ihrer Hand.

Selbst da noch glaubte sie an Calvin. »Du irrst dich. Das ist … das ist irgendein Missverständnis. Du wirst schon sehen. Er wird zu mir zurückkommen, und dann wird er es erklären.«

Daddy schüttelte nur den Kopf. »Ich zeige dir gern eine Kopie des Schecks. Er hat ihn bereitwillig angenommen. Hat sich nicht einmal gesträubt. Ist das die Art Mann, mit der du verheiratet sein willst? Du hast jemand Besseres verdient, Täubchen.«

»Bitte nenn mich nicht so«, fauchte sie. Zum ersten Mal gefiel ihr nicht, was sein Kosename aus Kindertagen andeutete. Dass sie ein dummes Ding war, das man leicht übertölpeln konnte. »Und es wird sich zeigen, dass du dich irrst, Daddy. Calvin ist ein guter Mann, ein ehrenhafter Mann. Er würde mich nicht meines Geldes wegen heiraten.«

»Du kennst ihn kaum. Ich liebe dich wie verrückt, Lily, aber du springst stets blind ins Ungewisse. Du hättest auf einer ordentlichen Verlobung bestehen und nicht überstürzt schon nach ein paar Wochen durchbrennen und ihn heiraten sollen.«

»Du meinst, ich hätte einen von den Männern heiraten sollen, die du mir aufgedrängt hast, von denen ein jeder wirklich abscheulich war.«

»Nun, wir werden sehen«, sagte ihr Vater und hob beschwichtigend die Hände. »Ich werde mit Freuden zugeben, dass ich mich geirrt habe, sollte dein Calvin Cabot zurückkommen.«

Oh, wie sie gewartet hatte! Wie eine Närrin hatte sie am Fenster gesessen, auf die Fifth Avenue hinuntergestarrt und sich gewünscht, Calvins hochgewachsene Gestalt würde aus einer der Mietkutschen steigen, die dort unten vorbeifuhren. Ihr Stolz hatte verhindert, dass sie Calvin aufsuchte, obwohl sie zweimal eingeknickt war und ihm telegrafiert hatte. Doch er kam nie. Ihr Vater hatte von Anfang an recht gehabt.

Dieser eine schreckliche Fehler hatte sie beschämt und ihren Vater heftig enttäuscht. Mit Lilys Zustimmung hatte ihr Vater die ganze Geschichte vertuscht, als wäre sie nie passiert. Niemand durfte je von ihrer Dummheit erfahren, dass sie töricht genug gewesen war, Calvin zu heiraten, ganz zu schweigen davon, auf seine Rückkehr zu warten, nachdem er gegangen war. Sie hatte jetzt ein anderes Leben, und einen angehenden Verlobten. Montgomery Fields hatte keine Ahnung, dass Lily schon einmal verheiratet gewesen war – und Lily hatte die Absicht, es dabei zu belassen.

Monty entstammte einer alten New Yorker Familie mit Geld und Ansehen. Er nahm an jedem wichtigen gesellschaftlichen Ereignis teil und kannte dieselben Leute wie sie. Kurz gesagt, Monty war der Typ Ehemann, den sich Warren Davies für seine einzige Tochter gewünscht hatte. Nicht wie ihre erste katastrophale Wahl, der Schurke, der gegenwärtig ein paar Zimmer weiter schlief.

Monty war mehr als nur ihr Freund. Er saß auch im Verwaltungsrat der Davies Mining Company, wo er ihr zusammen mit ihrem Onkel Edward ein Verbündeter bei heiklen Angelegenheiten geworden war. Monty zu verärgern würde ihre hart erkämpfte Position im Unternehmen ihres Vaters gefährden, einem Unternehmen, das sie in der Familie zu halten gedachte, bis ihr Bruder es übernehmen konnte. Sie würde nicht zulassen, dass ihre Vergangenheit mit Calvin ihre Chance auf Glück bedrohte.

Nachdem sie sich frisch gemacht hatte, kehrte sie ins Gästezimmer zurück. Hugo stand neben dem Bett und blickte stirnrunzelnd auf seinen Arbeitgeber hinunter. Sie ging zur anderen Seite der Matratze. Oh, wie sie sich wünschte, es gäbe jemand anderen, an den sie sich wenden könnte, irgendeinen anderen Menschen, der ihr helfen könnte. Jeden anderen als den Mann, der gegenwärtig bewusstlos auf diesem Bett lag. Sie hasste es, irgendetwas von Calvin zu brauchen, einem Mann, den sie verabscheute.

Aber er hatte zu diesem Schlamassel beigetragen; das Mindeste, was er tun konnte, war, ihr dabei zu helfen, ihn wieder zu beseitigen. Schnell und unauffällig.

»Ziemlich schlimm diesmal«, meinte Hugo mit einem Nicken.

»Was meinen Sie damit, diesmal?«, flüsterte sie. »Wie oft kommt so etwas vor?«

Hugo antwortete nicht, sondern fuhr einfach damit fort, den Mann auf dem Bett zu mustern. Calvins Beine bewegten sich unter der Bettdecke. Eine Minute später drehte er sich mit einem leisen Stöhnen auf den Rücken. Die Bettdecke rutschte zu seinen Hüften hinunter und gab den Blick auf seinen Oberkörper frei. Lily bemühte sich, nicht darauf zu reagieren. Während seiner Fieberträume hatte sie ihm in ihrem verzweifelten Bemühen, ihn abzukühlen, die Kleider ausgezogen, deshalb sollte sie eigentlich immun gegen den Anblick seines nackten Körpers sein. Aber nach vier Jahren konnte sie den Blick einfach nicht von ihm losreißen, und sie labte sich an seiner überraschend kräftigen Gestalt.

Glatte, gebräunte Haut über schlanken Muskeln. Lange, mit etwas braunem Haar bedeckte Glieder. Dieselbe Behaarung zeigte sich auch etwas dichter auf seiner breiten Brust, die sich zu einem flachen, verlockenden Bauch verjüngte, der das Auge noch weiter nach unten lenkte. Und noch weiter …

Der Teufel sollte den Mann holen! Sie musste von hier fort, aus dem Zimmer gehen, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Calvin zu begaffen wie eine Hure im Haymarket war unter ihrer Würde.

Gerade, als sie gehen wollte, begann er zu sprechen. »Oh, Gott sei Dank bist du es«, hörte sie ihn zu Hugo sagen. Seine Stimme klang, als hätte ihm jemand die Luftröhre mit einer Rasierklinge aufgeschlitzt. »Hatte einen furchtbaren Traum. Es war die blonde Schreckschraube. Sie war hier und hat mich gefangen gehalten. Es war ein verdammter Albtraum.«

Hugo zuckte zusammen, während Lily die Hände zu Fäusten ballte. Hitze schlich sich an ihrem Hals empor und in ihr Gesicht.

Etwas an Hugos Reaktion musste in Calvins von Drogen vernebeltes Gehirn gedrungen sein, denn er erstarrte. Langsam wandte er den Kopf, sah sich im Zimmer um und nahm seine Umgebung in sich auf: die Satinbettwäsche, die unbezahlbaren Gemälde an den zartgelben Wänden. Seine blasse Haut wurde kreidebleich, und der Mund blieb ihm vor Überraschung offen stehen.

Sie wappnete sich, als er sie endlich entdeckte. Ihre Blicke trafen sich – und er zuckte mit einem erschrockenen Aufschrei zusammen. Lily verschränkte die Arme, um sich davon abzuhalten, ihn zu erwürgen. Tom braucht dich. Du kannst Calvin ertragen, wenn das bedeutet, deinen Bruder zu finden.

Seit dem Tod ihres Vaters war ihr jüngerer Bruder alles, was sie auf dieser Welt noch an unmittelbarer Familie hatte. Sie liebte Tom inbrünstig, bedingungslos – im Gegensatz zu diesem Schuft, der sich nun bemühte, die Bettdecke bis zum Kinn hochzuziehen. Sie hatte einst den Fehler gemacht, auch ihn zu lieben, doch er hatte sich rasch eines so mächtigen Gefühls unwürdig erwiesen. Der opportunistische Wurm.

»Bemüh dich nicht«, sagte sie zu Calvin. »Ich bin bereits vertraut mit allem, was da drunter ist.« Lügnerin.

Calvin schluckte. Sein Blick flog zwischen ihr und Hugo hin und her und blieb schließlich an seinem Freund hängen. »Was zur Hölle mache ich hier?«

»Sie hat dich aus Sings Etablissement rausgeholt.«

Wütende blaue Tiefen richteten sich auf sie. »Verdammt. Ich habe ihm einen unverschämten Batzen Geld dafür bezahlt, meine Anwesenheit dort geheim zu halten. Warum hast du das ruiniert?«

»Weil du meine Briefe ignoriert hast. Ich hatte keine andere Wahl, als dich zu entführen.«

Sein Seufzen war schwer und leidgeplagt. »Ich muss mich anziehen.«

»Du gehst nicht, bevor wir nicht miteinander geredet haben und du dich einverstanden erklärt hast, mir zu helfen«, schnauzte sie.

»Ich werde verdammt noch mal gar nichts tun, bis ich gepisst und meine Eier verhüllt habe«, schnauzte er zurück.

Schock und Verlegenheit durchströmten sie, aber sie blieb standhaft. »Na schön. Ich bin in zehn Minuten wieder da – und falls du versuchst zu fliehen, lasse ich meinen Kutscher auf dich schießen.«

Lillian Davies. Seine ehemalige Frau. Und er war in ihrem Haus. Himmelherrgott. Calvin konnte sein unglaubliches Pech kaum fassen.

Er stützte sich auf die Ellbogen, bereit, Hugo knurrend sein Missfallen zu bekunden – und Schmerz explodierte in seinem Kopf. Mit einem grollenden Stöhnen kniff er die Augen zu und ließ sich zurück aufs Bett fallen. »Verflucht, mein Kopf. Bitte sag mir, dass du das Mittel mitgebracht hast.«

»Sicher doch.«

Eine Glasflasche wurde Calvin in die Hand gedrückt. Sofort trank er den widerlichen Inhalt, ein Geheimrezept, das Hugo sorgfältiger hütete als eine Spionagemission im Krieg. Dann warf Calvin die leere Flasche beiseite und konzentrierte sich einige Augenblicke lang darauf, sich nicht zu übergeben.

Als die Übelkeit sich gelegt hatte, sagte er: »Zu schade, dass sie nicht vor hundert Jahren gelebt hat. Sie hätte Napoleon das Fürchten lehren können. Was hast du ihr erzählt?«

»Nicht viel. Allerdings hab ich sie wissen lassen, dass das hier nichts Ungewöhnliches war.«

Calvin brummte. Wahrscheinlich hatte sie ohnehin nichts Besseres von ihm erwartet. Sie war durch und durch Warren Davies’ Tochter. Skrupellos und rachsüchtig. Dass sie allerdings Calvins erbittertsten Konkurrenten unterstützt hatte, war ein besonders grausamer Tiefschlag gewesen, sogar für eine Davies, und diesen Tiefschlag konnte Calvin nicht so leicht verzeihen.

»Wie fühlst du dich?«

»Als hätte man mich ein paarmal durch die Druckerpresse gejagt.« Calvins Blick wanderte durchs Zimmer, und angesichts der protzigen Einrichtung und des Wissens, wo er sich befand, fühlte er sich nur noch schlechter. »Du musst mich hier rausholen.«

»Du hast gehört, was die Missus gesagt hat. Sie braucht deine Hilfe bei etwas – etwas, das wichtig genug ist, um dich zu entführen. Findest du nicht, du solltest sie anhören?«

Calvins Magen rumorte. »Sie ist nicht die Missus«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Die Ehe wurde annulliert, wie du sehr wohl weißt.« Er hatte beinahe geglaubt, die ganze Sache wäre nie passiert, bis auf die erotischen Träume, die er in manchen Nächten immer noch hatte. Schwer zu sagen, wen er beim Aufwachen mehr hasste: sich selbst, weil er diese Träume überhaupt hatte, oder sie, weil sie sie verursachte.

Er kämpfte sich in eine sitzende Position. »Und du weißt auch, dass ich ihr seit zwei Wochen aus dem Weg gehe. Hilf mir hoch. Ich muss gehen.«

Hugo seufzte, griff Calvin jedoch unter die Arme und zog ihn auf die Füße. Calvin stolperte zum Wasserklosett, wo er sich erleichterte und sich dann das Gesicht wusch. Der markante, nussige Geruch von Opiumrauch hing ihm noch in der Nase, eine unglückliche Nebenwirkung seines Verstecks. Er hatte seit Jahren keine Pfeife mehr geraucht, und die euphorisierende Droge war nicht der Grund, warum er Sings Etablissement aufsuchte. Er nutzt den Ort von Zeit zu Zeit als Versteck, wenn das Hong-Kong-Fieber wieder ausbrach, um zu verhindern, dass der Rest der Welt von seiner Schwäche erfuhr. Niemand hatte bisher je daran gedacht, ihn bei Sing zu suchen, kein einziges Mal in drei Jahren … Wie also hatte die Schreckschraube das geschafft?

Findest du nicht, du solltest sie anhören?

Nein, das fand er nicht. Welchen Gefallen sie auch immer brauchte, groß oder klein, kümmerte Calvin nicht. Er durfte nicht zulassen, dass es ihn kümmerte. Er hatte selbst schon genug Probleme. Lily hielt ihn für einen opportunistischen, geldgierigen Wurm, und er hatte nicht die Absicht, diese Meinung zu ändern. Völlig egal, dass er ihren Vater vor vier Jahren davon abgehalten hatte, sie zu enterben. Dank ihm war die Silbererbin genau dort, wo sie hingehörte: Sie dinierte mit ihren vornehmen Freunden und besuchte noch vornehmere Partys. Sie leitete das kostbare Unternehmen ihres Vaters. Unterstützte konkurrierende Zeitungsverleger. Also hatte er ihr schon genug Gefallen getan, schönen Dank auch.

Zugegeben, er war ein klein bisschen neugierig, aus welchem Grund sie ihn entführt hatte. Information war schließlich sein Geschäft; er sammelte sie, wie ein Geizhals Münzen sammelte. Und trotz der Annullierung hatte er sich über ihr Kommen und Gehen, über die Männer, mit denen sie verkehrte, auf dem Laufenden gehalten. Es hatte nicht viele Männer gegeben außer ihrem langjährigen Verehrer Montgomery Fields, einem wohlbekannten Mann in der Stadt.

Fields war ein Einfaltspinsel ersten Grades. Das Schlimmste, was die New Yorker Gesellschaft zu bieten hatte, mit seiner Faulheit und seinem selbstgerechten Anspruchsdenken. Er verdiente Lily nicht, und das musste sie wissen. Die Frau würde ihn zum Frühstück verspeisen und seine Knochen dann auf der Fifth Avenue verstreuen. Entweder das, oder er würde sie zu Tode langweilen.

Nichtsdestotrotz hatte Calvin kein Recht, ihr im Weg zu stehen. Ihre unüberlegte Heirat war erfolgreich rückgängig gemacht worden, indem man Menschen in zwei Bundesstaaten dafür bezahlt hatte, alle Nachweise verschwinden zu lassen. Warren Davies hatte in der Tat gründliche Arbeit geleistet, jede Verbindung zwischen seiner Tochter und Calvin zu beseitigen.

Zu der Zeit war Calvin machtlos gewesen. Er hatte weder das Geld noch die Mittel besessen, sich gegen Davies zur Wehr zu setzen, nicht ohne sein Versprechen Hugo gegenüber zu brechen, dem Freund, der ihm schon bei mehreren Gelegenheiten das Leben gerettet hatte. Dieses Versprechen musste immer noch erfüllt werden, eine Tatsache, die Calvin jeden Tag quälte.

Er rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Was zum Teufel machte er hier? Bis vor Kurzem hatte Lily nicht versucht, ihn zu kontaktieren, nicht einmal nach dem Tod ihres Mistkerls von einem Vater. Keine Briefe, keine Telegramme. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen er ihr in der Stadt persönlich begegnet war, hatte sie ihn betont ignoriert.

Also, was konnte sie jetzt nur von ihm wollen? Beinahe konnte er die Unterhaltung schon vorhersagen:

Ich brauche deine Hilfe, Calvin, würde sie sagen.

Was immer du brauchst, die Antwort ist Nein, würde er erwidern.

Dann werde ich dich im Schlaf ersticken, würde sie ihm drohen.

Das möchte ich sehen, wie du das anstellen willst, würde er knurren.

Seufzend stieß er die Tür auf und trat zurück ins Schlafzimmer, dabei ließ ihn die protzige, erdrückende Einrichtung erneut zusammenzucken. Zugegeben, Calvin wusste so gut wie gar nichts darüber, ein Haus einzurichten, aber er wusste, wann etwas hässlich war – und auf dieses Zimmer traf das eindeutig zu. In Gelbtöne gehalten fanden sich überall Hinweise auf den Reichtum der Davies’, von den dicken Teppichen und schweren Vorhängen bis zu den imposanten Möbeln und der mit leuchtendem Gold verzierten Zimmerdecke.

»Erinnere mich daran, alles Gold in meinem Haus entfernen zu lassen«, brummte er auf seinem Weg zu den Fenstern.

»Du hast kein Gold im Haus. Reich wie Krösus, und trotzdem bist du zu geizig, irgendwas davon auszugeben«, sagte Hugo.

Calvin schenkte seinem Freund keine Beachtung; er hatte im Moment größere Probleme. Drei große Bogenfenster gingen hinaus auf den Garten, und als er hinunterblickte, sah er, dass sie sich im zweiten Stock befanden. Das war ein bisschen zu hoch, um zu springen, ohne sich etwas zu brechen. »Schnapp dir die Laken und fang an, sie zusammenzuknoten.«

Hugo brummte etwas vor sich hin, ging aber zum Bett, und gemeinsam drehten sie die Satinlaken, Bettdecke und den Überwurf zu einem Seil.

»Ist nicht lang genug, um bis zum Boden zu reichen«, meinte sein Freund.

»Ich weiß, aber es bringt mich ziemlich wahrscheinlich weit genug runter, um springen zu können. Außerdem haben wir nicht genug Zeit, um mir einen anderen Weg aus dem Haus zu suchen und zu riskieren, erwischt zu werden. Schnell – binde das Ende ans Bett.«

Hugo kniete sich an den Fuß des Himmelbetts, während Calvin das Seil zum Fenster trug. Er stieß die Läden auf und ließ das behelfsmäßige Tau aus dem Fenster fallen, wo es gegen die Hausmauer schlug.

»Alles bereit«, sagte Hugo, worauf Calvin keine Zeit vergeudete, sondern ein Bein aus dem Fenster schwang und den rutschigen Stoff mit beiden Händen packte. Langsam begann er, sich zum Boden hinunterzuhangeln, und betete, dass die Laken wenigstens so lange halten würden, bis er den ersten Stock erreicht hatte. Als seine Füße so mitten in der Luft baumelten, raste ein vertrauter Rausch durch sein Blut: der Kitzel des Unbekannten, die Gefahr der Jagd.

Dieselbe Erregung, die ihn zum Journalismus hingezogen hatte. Beim Bugle hatte er sich rasch den Ruf erworben, ein Mann zu sein, der bereit war, alles für eine Story zu riskieren. Er hatte große Anstrengungen unternommen, um Korruption aufzudecken. Die Verbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Die Missstände in der Stadt zu beheben. Er nahm an, das war seine Art, das Vermächtnis seiner Eltern fortzuführen, nur dass er Wahrheit verbreitete anstatt Religion. Gutes zu tun lag ihm anscheinend im Blut, und er hatte eine Möglichkeit gefunden, Menschen zu helfen und gleichzeitig Geld damit zu verdienen.

Hugo lehnte sich aus dem Fenster, um Calvins Fortschritt zu überprüfen. »Noch ein bisschen weiter«, rief er leise. »Es sind noch ungefähr eineinhalb Meter Seil.«

Hand um Hand kletterte Calvin nach unten, und seine Armmuskeln zitterten vor Anstrengung. Plötzlich explodierte rechts von ihm etwas mit lautem Knall, und winzige Ziegelsplitter flogen ihm ins Gesicht. Er zuckte zusammen und versuchte, so gut er konnte, seinen Kopf zu schützen. »Himmelherrgott!«

»Die nächste geht in deinen Hintern«, rief eine weibliche Stimme vom Boden zu ihm hoch.

Calvin spähte über seine Schulter. Lily stand dort, ihr Kutscher neben ihr, ein Gewehr in der Hand. »Du hast auf mich geschossen!«

»Genaugenommen hat er auf dich geschossen.« Sie zeigte auf den Mann neben ihr. »Ich war mir nicht sicher, ob ich mich zwingen könnte, danebenzuschießen. Und er wird noch mal schießen, wenn du nicht wieder nach oben kletterst, Calvin.«

Seine Hände rutschten ein wenig an dem Stoff ab, und er versuchte, seinen Griff zu verstärken. Leider hatte ihn der Fieberanfall gepaart mit den im Bett verbrachten letzten Tagen geschwächt und seiner Kraft beraubt. Er wusste nicht, wie lange er sich noch festhalten konnte. »Gottverdammt, Lily! Ich werde fallen. Lass mich runterklettern, dann können wir das besprechen.«

Ihr sprödes Lachen klang durch den Garten. »Erwartest du wirklich, dass ich das glaube? In der Sekunde, in der deine Füße den Boden berühren, sehe ich dich nie wieder. Hoch mit dir, Calvin. Beweg dich.«

»Ich verspreche dir, ich werde nicht weglaufen. Lass uns das wie Erwachsene regeln«, stieß er hervor. Der Schweiß auf seinen Handflächen bildete sich mit alarmierender Geschwindigkeit. Plötzlich rutschte er ein paar Zentimeter ab, und das Herz blieb ihm kurz stehen. Der Boden war immer noch zu weit weg, als dass er sicher springen konnte. »Komm schon, Liebling. Du kannst mir glauben –«

»Du hast jedes Versprechen gebrochen, das du je gemacht hast. Ich wusste, dass du versuchen würdest, dich rauszustehlen. Klettre wieder hoch, Liebling, bevor ich Jenkins noch mal auf dich schießen lasse.«

Einer der Knoten über seinem Kopf lockerte sich, und Calvin sackte noch ein bisschen weiter ab. In Panik versuchte er, sich an der Hauswand festzuhalten, aber der raue Stein bot keinen Halt. »Lily, bitte –«

Und dann fiel er. Die Luft pfiff an ihm vorbei, als er zu Boden stürzte. Mit einem mächtigen Aufprall von Gliedmaßen auf Gras und Erde schlug er auf, gefolgt von unbeschreiblichem Schmerz, der in seinem ganzen Körper ausbrach. Er rang nach Luft, doch sie blieb ihm versagt.

Als seine Sicht verschwamm, sah er die blonde Furie, ihr schönes Gesicht war von Schreck und Schuldgefühlen erfüllt, als sie auf ihn heruntersah … und dann war da nichts mehr.

KAPITEL DREI

Diesmal ließ sie ihm keine Gelegenheit zur Flucht.

Lily blieb an Calvins Bett und wartete darauf, dass er aufwachte, während sie zusah, wie seine Brust sich gleichmäßig hob und senkte. Er war aus gefährlicher Höhe abgestürzt. Der Atem hatte ihr gestockt, als er wild mit seinen langen Gliedmaßen rudernd gefallen und dann auf dem Boden aufgeschlagen war, und vor Entsetzen war sie überzeugt gewesen, ihn umgebracht zu haben.

Aber er hatte überlebt. Selbstverständlich, denn Calvin war unverwüstlich, eine Naturgewalt, die weder Mann, Frau noch Kugel aufhalten konnten. Er hatte es wahrlich weit gebracht in der Welt, indem er drei erfolglose Zeitungen aufgekauft und in profitable Unternehmen verwandelt hatte. Nur wenige Leute wussten, dass es das Geld ihrer Familie gewesen war, das ihm einen so kometenhaften Aufstieg ermöglicht hatte.

Seufzend sah sie auf die Uhr. Er war seit fünfzehn Minuten bewusstlos. Nachdem sie festgestellt hatten, dass keine Knochen gebrochen waren, hatte Hugo ihr geholfen, Calvin nach oben zu bringen, und war dann gegangen, um ihren Leibarzt zu holen. Lily hoffte aufrichtig, dass er keine inneren Verletzungen hatte. Trotz allem wollte sie nicht, dass Calvin ernsthaft zu Schaden kam.

Unglücklich, ja. Tot, nein.

Sie beugte sich vor und strich ihm eine verirrte Locke seines kastanienbraunen Haars aus der Stirn. Es war eigenartig, ihm so nahe zu sein. Nach der Annullierung hatten sich ihre Wege nicht oft gekreuzt. Sie war viel gereist und nur für Sitzungen des Verwaltungsrats zurückgekommen, während Calvin und seine Zeitungen hier in New York großen Erfolg hatten. Sie hatte ihn in diesen Jahren dreimal gesehen, zweimal in der Oper und einmal auf der Straße. Calvin hatte sie jedes Mal ignoriert.

Seine Wut hatte nie einen Sinn ergeben. Wenn hier jemandem Unrecht getan worden war, dann ihr. Calvin hatte bereitwillig das Geld angenommen, das ihr Vater ihm angeboten hatte, und es eilig gehabt, zu seinen Geliebten und dem sorglosen Leben zurückzukehren. Er hatte nicht um sie gekämpft, sich nicht gegen Warren Davies behauptet – was Lily verwirrt hatte, wenn man bedachte, wie glühend Calvin sie vor der Heirat umworben hatte. Aber am Ende hatte ihr Vater recht gehabt: Calvin war nichts weiter gewesen als ein Glücksritter und sie sein naives Opfer.

Sie war ziemlich dumm in Bezug auf ihn gewesen, was sie wahrscheinlich am meisten ärgerte. Von der Sekunde an, in der sie sich begegnet waren, hatte Calvin sie überwältigt, sie in das Chaos seiner Persönlichkeit gehüllt. Der Mann hörte nie auf, sich zu bewegen, seine Energie war beständig und unnachgiebig, er hatte die verblüffende Fähigkeit, einen Raum einzunehmen, kaum dass er ihn betreten hatte. Er war weit gereist und äußerst belesen. Er war zu gleichen Teilen P.T. Barnum und Dr. Livingstone.

Sie hatte diese Eigenschaften einmal attraktiv gefunden. Jetzt wollte sie jemanden, der beständig und verlässlich war. Vorhersehbar und langweilig. Jemanden, der sie nicht auf Schritt und Tritt anlog.

Und Calvin war ein notorischer Lügner. Er verdiente seinen Lebensunterhalt damit, Tatsachen zu manipulieren, und verdrehte die Wahrheit in den Zeitungen so, wie es ihm gerade passte. Kein Wunder, dass Lily damals übertölpelt worden war, sie hatte sich ebenso leicht hinters Licht führen lassen wie seine Leser heute. Sie hasste die Scham, die mit dem Wissen einherging, dass er sie übervorteilt, ihr das Herz gebrochen und sie dann hinter sich gelassen hatte. Das Schlimmste war, dass sie tatsächlich monatelang an der Hoffnung festgehalten hatte, dass ihr Vater sich geirrt hatte. Dass Calvin zurückkommen würde. Dass er sie wirklich geliebt hatte.

Idiotin.

Calvins langer Körper regte sich unter der Bettdecke, und wartend hielt sie den Atem an, während er langsam wieder zu Bewusstsein kam. Seine Lippen öffneten sich mit einem Stöhnen, und seine Lider flatterten.

»Gott«, flüsterte er, und zum zweiten Mal an diesem Tag sah sie, wie die Erkenntnis in diesen strahlend blauen Augen dämmerte. »Du hast auf mich geschossen!«

»Mein Kutscher hat auf dich geschossen, und ich hatte dich gewarnt, dass das passieren würde, solltest du versuchen, zu fliehen. Warum bist du nicht geblieben, wo du warst?«

Er seufzte und schloss die Augen. »Wie ich sehe, versuchst du immer noch, alles und jeden um dich herum zu kontrollieren, genau wie dein lieber Daddy.«

»Nicht dass das bei dir funktionieren würde, weil du stets versuchst, von mir fortzukommen.«

»Als hätte ich eine Wahl«, murmelte er tonlos.

»Was soll das heißen?«

»Das heißt, dass ich gehen will, Lily. Lass mich aufstehen.«

»Nein. Ich brauche dich, du musst mir helfen, Tom zu finden.«

Seine Lider flogen auf, und zugleich runzelte er die Stirn. »Dein Bruder? Wo ist er?«

Sie warf ihm einen ironischen Blick zu. »Offensichtlich weiß ich nicht, wo er ist. Er sollte zur Mine in Dakota fahren und ist nie dort angekommen. Niemand hat von ihm gehört, seit er vom Grand Central Depot abgefahren ist.«

»Er wird schon wieder auftauchen.« Er gähnte und verzog dann das Gesicht. »Gütiger Gott, mir tut alles weh. Wo ist Hugo –«

»Calvin, wechsle nicht das Thema. Mein Bruder wird vermisst, und ich brauche deine Hilfe.« Sie klatschte ein Stück Papier auf seine Brust. »Hier, lies das.«

»Lily, ich kann dir nicht helfen. Ich habe drei Zeitungen zu leiten –«

»Zwischen deinen Besuchen in deiner Opiumhöhle. Ja, ich verstehe, dass du sehr beschäftigt bist, und ich sage dir, du wirst mir helfen, oder ich drücke dir dieses Kissen aufs Gesicht und ersticke dich im Schlaf.« Ein kleines Lächeln kräuselte seine Lippen, das nicht zu ihrer Drohung passte, und sie knirschte mit den Zähnen. »Amüsiere ich dich irgendwie?«

»Das war der am wenigsten amüsante Tag meines Lebens, das kann ich dir versichern. Ich wurde entführt, aufs Korn genommen, gefangen gehalten …« Er lachte. »Nun ja, wenn man es so nimmt, erinnert es mich doch stark an meinen einundzwanzigsten Geburtstag.«

»Oh!« Angewidert stand sie auf und drehte sich vom Bett fort. Ihre Muskeln zitterten regelrecht unter dem Drang, ihn zu erwürgen. Das hier ist für Tom. Deinen kleinen Bruder. Sie holte tief Luft und versuchte, ihre Fassung wiederzufinden. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass er sie so leicht aus dem Gleichgewicht brachte?

Hinter ihr raschelte die Bettdecke, und sie stellte fest, dass Calvin sich bemühte, sich aufzusetzen. »Bleib liegen, du Idiot. Mein Leibarzt wird bald hier sein und –«

»Wo hast du das her?« Er hielt die Nachricht hoch, die sie ihm vor wenigen Augenblicken hingeworfen hatte, und seine Miene war eigenartig ernst. Das Blatt Papier enthielt Reihen chinesischer Schriftzeichen, zusammen mit dem Namen ihres Bruders – und dem von Calvin. »Diese Nachricht wurde dir überbracht?«

»Ja«, blaffte sie. »Deshalb habe ich versucht, dich zu finden. Sie hat etwas mit meinem Bruder zu tun, aber ich kann kein Chinesisch lesen. Du hast in Hongkong gelebt, deshalb hoffe ich, dass du sie entziffern kannst, denn ihr war eine Fotografie beigelegt, die niemand sonst sehen darf –«

Mit einem trockenen Lachen schnitt er ihr das Wort ab. »Dein Bruder ist so gut wie tot.«

Furcht kroch ihr über den Rücken. »Warum sagst du das? Was steht in dieser Nachricht?«

»Es ist jedenfalls kein Liebesbrief, so viel ist sicher. Sie stammt von Wah Lee.« Als Lilys Miene sich nicht veränderte, fügte er hinzu: »Von der On-Leong-Tong.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Ist er irgendein Geschäftsmann?«

Calvin rieb sich mit den Handballen die Augen. »Ich habe vergessen, wie behütet du bist. Lee ist Chinatowns erste Adresse für Verbrechen jeder Art. Opium, Glücksspiel, Frauen …«

»Schön und gut, aber was hat das mit meinem Bruder zu tun?« Tom versuchte sich nie an irgendetwas Riskanterem, als an einem bewölkten Tag auf seiner Jacht zu segeln. Sie beide standen sich sehr nahe, und er war in den vergangenen Jahren in nichts Ungebührliches oder Skandalöses verwickelt gewesen. Er mochte Partys und Segeln. Pferderennen. Bald würde er Davies Mining und damit die Verantwortung für das Unternehmen ihres Vaters übernehmen.

»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Calvin mit einem weiteren Gähnen. »Ich habe die Nachricht nicht gelesen, nur gesehen, von wem sie ist.«

»Nun, kennst du diesen Mr. Lee persönlich?«

»Natürlich kenne ich ihn«, sagte Calvin mit einer Spur Empörung in der Stimme.

Lily wurde bewusst, wie dumm die Frage gewesen war. Als Herausgeber von zwei großen Zeitungen der Stadt war er zweifellos mit jedem New Yorker bekannt, der es wert war, gekannt zu werden – egal, auf welcher Seite des Gesetzes er stand. »Also wirst du mit ihm reden, um herauszufinden, was er von Tom will?«