Georg Müller - Frederick G. Warne - E-Book

Georg Müller E-Book

Frederick G. Warne

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Beschreibung

Das Lebensbild, welches hier gezeichnet ist, ist eins der merkwürdigsten und geistgesalbtesten in den Annalen der Christenheit. Georg Müller stand über 70 Jahre im Dienst des Herrn Jesu und war während dieser Jahrzehnte eifrig bemüht, Christus zu verkündigen und seinen Namen unter den Menschen zu verherrlichen. Auf geistlichem Gebiet war er wohl der mächtigste Mann des Jahrhunderts. Er konnte dies sein, weil jede Faser seines Seins an Gott gebunden war. Das Glaubens- und Gebetsbeispiel Müllers wird ein herrliches Besitztum des ganzen Volkes Gottes bleiben. Inzwischen sind über 100 Jahre vergangen, seit die irdischen Überreste dieses großen und guten Mannes der Erde übergeben wurden, und treten mit diesem Werk – ein Tribut der Dankbarkeit – an die Öffentlichkeit. Wir glauben dies einem Mann schuldig zu sein, der durch sein selbstverleugnendes Leben so vielen gedient hat. Wir tun es mit der demütigen Bitte zu Gott, diese Seiten mögen ein Segensmittel für viel Tausende werden, sie zu erfüllen mit einem reichen Maß des Glaubens, der in Georg Müller auf eine so hervorragende Weise wirksam gewesen ist.

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Georg Müller

Ein Glaubensapostel

Frederick G. Marne

Impressum

© 1. Auflage 2019 ceBooks.de im Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Frederick G. Marne

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-209-8

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Shop: www.ceBooks.de

 

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Inhalt

Titelblatt

Impressum

Vorwort zur englischen Ausgabe

1. Von der Finsternis zum Licht

2. Das neue Leben

3. Der zündende Glaube

4. Ein neuer Wirkungskreis

5. Wunderbare Gebetserhörungen

6. Der Glaubenspfad

7. Für Christus und die Waisen

8. Weitere Zeugnisse für Christus

9. Personalien

10. Missionsreisen

11. Die Anstalt zur Verbreitung von Schrifterkenntnis

12. Ein Besuch in den Waisenhäusern

13. Wie wird das Werk unterhalten?

14. Über das Geben

15. Ratschläge für das christliche Leben

16. Noch einige Tagebuchblätter

17. Eine Ansprache über völlige Heiligung von Georg Müller

18. Um die Abendzeit

19. Der Heimgang

Unsere Empfehlungen

Vorwort zur englischen Ausgabe

Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.

 

Das Lebensbild, welches auf den folgenden Blättern gezeichnet ist, ist eins der merkwürdigsten und geistgesalbtesten in den Annalen der Christenheit unserer Tage. Georg Müller stand über 70 Jahre im Dienst des Herrn Jesu und war während dieser Jahrzehnte eifrig bemüht, Christus zu verkündigen und seinen Namen unter den Menschen zu verherrlichen. Auf geistlichem Gebiet war er wohl der mächtigste Mann des Jahrhunderts. Er konnte dies sein, weil jede Faser seines Seins an Gott gebunden war. Das Glaubens- und Gebetsbeispiel Müllers wird ein herrliches Besitztum des ganzen Volkes Gottes bleiben.

Noch sind nicht viele Tage verstrichen, seit wir die irdischen Überreste dieses großen und guten Mannes der Erde übergeben haben, und schon treten wir mit diesem Werk – ein Tribut der Dankbarkeit – an die Öffentlichkeit. Wir glauben dies einem Mann schuldig zu sein, der durch sein selbstverleugnendes Leben so vielen gedient hat. Wir tun es mit der demütigen Bitte zu Gott, diese unvollkommene Skizze möge ein Segensmittel für viel Tausende werden, sie zu erfüllen mit einem reichen Maß des Glaubens, der in Georg Müller auf eine so hervorragende Weise wirksam gewesen ist.

1. Von der Finsternis zum Licht

„Ich sah, wie ein kleiner Strahl der anflehenden Sonne allen Mächten der Finsternis Trotz bot. Ohne Heftigkeit und Geräusch erhob sie sich dann hinter den Bergen hervor und die Nacht musste weichen, derart, dass sie in der Freude des Morgens vergessen wurde.“

Bischof Taylor

Auf einer der erhabenen Höhen, welche die alte Stadt und den Seehafen von Bristol umgeben, ist eine merkwürdige Reihe von Häusern – vielleicht die merkwürdigste der ganzen gebildeten Welt – zu sehen. Zwar sind hier nicht heilige Mauern oder Denkmäler menschlicher Kunst und Wissenschaft zu schauen, – nein, wir bewundern diese Häusergruppe, weil sie erbaut ist durch das eifrige Gebet und den Glauben eines Mannes, der oft von Mahlzeit zu Mahlzeit von dem Herrn das Nötige erbitten musste, – der wenig Freunde von Einfluss besaß, sich aber entschlossen die Aufgabe gesetzt hatte, für Vater- und Mutterlose zu sorgen. Prinzipiell wollte er hierbei nicht Menschen um Hilfe bitten, sondern alles in Ergebung von seinem Gott erwarten. Dieser Mann war Georg Müller, dem der Titel: „Glaubensapostel unserer Zeit“ mit Recht gebührt, denn die „Ashley Down“ Waisenhäuser sind ein bleibendes Zeugnis für die Güte des Gottes, dem Georg Müller treu gedient hat. Sie stehen da als ein mächtiges Gebetsdenkmal.

Die Laufbahn Georg Müllers ist eine auffallend interessante und wird es auch bleiben für die Christen der kommenden Tage. Fest und unerschrocken war der Glaube dieses Gebetsfürsten. In demselben konnte er nicht nur sich ohne Vorbehalt auf den Herrn verlassen, um von ihm seinen persönlichen Lebensunterhalt zu erwarten, sondern im Blick auf den Gott des Elias vermochte er auch eine Familie von 2000 Waisenkindern um sich zu sammeln. Dann lag die Verantwortlichkeit für das Wohlergehen einer großen Anstalt „zur Verbreitung von Schrifterkenntnis“ auf seinen Schultern. Bei alledem trug er auch noch die Beschwerden und Lasten von langen Missionsreisen – und das alles bis zu einem Alter von neunzig Jahren. Das Leben dieses großen Mannes gleicht einem Kapitel aus der Geschichte der ersten Kirche. Inmitten der streitenden Glaubensparteien, des Skeptizismus und der Gleichgültigkeit des 19. Jahrhunderts erhebt sich die ruhige, würdige und anspruchslose Gestalt Georg Müllers gleich einem Leuchtturm auf stürmischer See, den Weg weisend nach dem Hafen der Sicherheit, in sich tragend das wahrhaftige Zeugnis eines lebendigen Christen.

Unberechenbar ist der wohltätige Einfluss, welcher von einer solchen Persönlichkeit ausstrahlen musste. In Bezug auf sein ganzes Leben bezeugt Georg Müller:

„Mein ganzes Leben ist ein einziger Gottesdienst. Das Sorgen für die leiblichen Bedürfnisse der Kinder war bloß Mittel zum Zweck. Mein Herz fühlt und blutet für die armen Waisenkinder und ich begehre sie in einem gemütlichen Heim zu sehen, aber das war nicht mein Beweggrund. Mein Herz verlangt danach, den Kindern die Wohltat einer guten Erziehung zu gewähren, aber auch das war nicht die treibende Kraft. Mein Herz ist bedacht auf das Heil ihrer Seelen, aber auch sogar dieses ist nicht mein Motiv gewesen. Ich wollte Gott verherrlichen. Alle Welt, und sonderlich die ganze Christenheit sollte es sehen, dass Gott auch noch in unseren Tagen Gebete erhört und dass er derselbe ist in Kraft und Liebe wie vor Alters.“

Zu einer Zeit, als dem Glauben die Gefahr drohte, seine alte Kraft über die Herzen der Menschen zu verlieren, kam das mächtige Beispiel von Georg Müllers Vertrauen auf die Verheißungen des Gebete erhörenden Gottes zu Kraft und Ansehen. Es ist wunderbar, wie der Herr seinen Diener erzog – ein besonderes Werk zu einer besonderen Zeit zu tun. Das Leben und Wirken dieses Gotteshelden als ein Ganzes betrachtet, – die Tage der Jugend, die keine anmutigen Früchte aufzuweisen haben, seine Bekehrung, seine Versetzung nach London, der epochemachende Entschluss, gefasst in der Stille eines Seestädtchens von Devonshire und dann die Errichtung und erstaunlichen Resultate des Waisen-, Missions-, Schul- und Traktatwerkes zu Bristol – das alles steht da als ein neues Zeugnis für die alten Gottesverheißungen. Das Vertrauen auf die Allmacht Gottes kann nicht übertroffen werden!

Jeder wahrhaft Gläubige wird mit großem Interesse das vorliegende Lebensbild betrachten müssen. So viel als möglich sind Müllers eigene Worte wiedergegeben worden. Es soll hier nicht kritisiert, auch nichts verschönert oder vergrößert werden. Wir wollen schlicht und einfach die Mitteilungen erzählen, die er uns hinterlassen hat. Zusammengefasst ergeben sie das Bild eines edlen und fruchtreichen Lebens.

*

Georg Müller wurde zu Kroppenstedt bei Halberstadt am 27. September 1805 geboren. Ungefähr 4 Jahre später zogen seine Eltern in das benachbarte Heimersleben, wo sein Vater die Stelle eines Steuereinnehmers erhielt. Des Knaben Jugend war nichts weniger als hoffnungsvoll. Mutwille, Gottlosigkeit und Ausschweifung begegnen uns hier auf allen Schritten. Welch ein Gegensatz zu seinem späteren Leben in Selbstverleugnung und Liebe! Seine Erziehung war eine verfehlte. Müller selbst schreibt darüber:

„Mein Vater, der seine Kinder nach weltlichen Grundsätzen erzog, gab uns Geld, ehe wir es recht anzuwenden wussten. Wir sollten dasselbe nicht ausgeben, sondern uns an den Besitz des Geldes gewöhnen. Das Resultat war, dass ich und mein Bruder in manche Sünde geführt wurden. Oft gab ich einen Teil des Geldes auf kindische Weise aus und wenn der Vater dann Rechenschaft verlangte, suchte ich ihn zu täuschen durch falsche Rechnungslegung. Selbst wenn meine Täuschung entdeckt und ich bestraft wurde, tat ich doch immer wieder dasselbe. Ich war noch nicht 10 Jahre alt, als ich schon öfters Staatsgelder aus der Kasse meines Vaters entwendete. Eines Tages, nachdem dieser wiederholt Geld vermisst hatte, ließ er absichtlich eine abgezählte Summe Geldes liegen und entfernte sich. Ich nahm nun etwas von dem Geld und versteckte es in meinen Schuhen. Zurückgekehrt, zählte der Vater das Geld und der Diebstahl war entdeckt. Ich wurde durchsucht und das Geld auch bei mir gefunden. Obgleich ich jetzt und auch bei anderen Gelegenheiten bestraft wurde, so vergaß ich das doch immer wieder. Es hatte nur den Erfolg, dass ich mir Gedanken machte, wie ich es wohl das nächste Mal klüger könnte anfangen. Es war dies drum nicht das letzte Mal, dass ich als Dieb dastand.“

Als Georg im 11. Jahre war, schickten ihn seine Eltern auf das Gymnasium nach Halberstadt. Es war nämlich des Vaters Wunsch, er sollte Pfarrer der lutherischen Kirche werden, nicht um Gott zu dienen, sondern um ein behagliches Leben führen zu können. Aus dieser Zeit erzählt Müller folgendes:

„Meine Zeit verbrachte ich mit Studieren und Romanlesen, auch ergab ich mich, obgleich noch so jung, doch schon allerlei sündigen Gewohnheiten. So ging es fort bis ich 14 Jahre alt geworden war. Da starb plötzlich meine Mutter. Die Nacht, als sie im Sterben lag, wovon ich freilich nichts wusste, spielte ich Karten bis des Morgens 2 Uhr und ging am nächsten Tage, der ein Sonntag war, mit etlichen meiner Kollegen ins Wirtshaus und von dort zogen wir halb berauscht durch die Straßen der Stadt. Am Montag begann der Unterricht zur Vorbereitung aus die Konfirmation, an dem ich unachtsam teilnahm. Zu Haus angekommen, erwartete mich schon mein Pater, der gekommen war, um mich und meinen Bruder zum Begräbnis der Mutter abzuholen.“

„Der Verlust meiner Mutter machte auch keinen bleibenden Eindruck auf mein Gemüt. Ich sank tiefer und tiefer. Drei oder vier Tage vor meiner Konfirmation machte ich mich grober Unsittlichkeiten schuldig und den Tag vor derselben betrog ich den Pastor. Als ich nämlich demselben, wie dies üblich war, meine Sünden bekannte, händigte ich ihm nur den zwölften Teil der Summe aus, welche mir der Vater für ihn gegeben hatte. In diesem Herzenszustand, – ohne Gebet, ohne wahre Reue, ohne Glauben, ohne Kenntnis des Heilsplanes – wurde ich konfirmiert und nahm das Heilige Abendmahl am Sonntag nach Ostern 1820. Die Feierlichkeit der Handlung erzeugte in mir eine ernste Gemütsstimmung. Ich blieb am Nachmittag und Abend zu Haus, während die anderen konfirmierten Knaben und Mädchen im Feld umherstreiften.

Ich nahm mir auch vor, mehr zu studieren und meine lasterhaften Gewohnheiten aufzugeben. Aber da ich nicht aus Gott sah, sondern es in eigener Kraft versuchte, so scheiterten diese guten Vorsätze und ich sank noch tiefer.“

„Meine Zeit bis Mitte Sommer 1821 widmete ich teilweise meinen Studien. Der weit größere Teil derselben aber wurde mit Klavier- und Gitarrespiel, mit Romanlesen und häufigem Wirtshausbesuch verbracht. Oft fasste ich Vorsätze, anders zu werden, brach dieselben aber immer wieder, so fest sie auch sein mochten. Da ich für meine sündigen Vergnügungen viel Geld brauchte, so kam ich je und je in Verlegenheit. In einer solchen stahl ich einst, um meinen Hunger stillen zu können, einem Soldaten, der in meinem Logiehause einquartiert war, ein Stück hartes Kommisbrot. Welch ein bitteres, bitteres Ding ist der Dienst Satans schon in dieser Welt!“

Um Mitte Sommer 1821 erhielt Georgs Vater eine Anstellung in Schönebeck bei Magdeburg. Diese Gelegenheit glaubte er wahrnehmen zu müssen, um auch für sich eine Veränderung herbeizuführen. Er dachte nämlich, die Umgebung wäre an allem Unheil schuld und wenn er da heraus käme, so würde er ein anderes Leben anfangen können. Der Vater war nicht abgeneigt und erlaubte ihm bis Herbst in Heimersleben zu bleiben. Während dieser Zeit sollte er bauliche Veränderungen, welche an dem Haus seines Vaters vorgenommen wurden, beaufsichtigen. Dies Leben gefiel ihm und im Herbst bat er den Vater um die Erlaubnis, noch länger bleiben zu dürfen. Er wollte mit Pastor Dr. Nagel die Klassiker lesen. Der Vater erlaubte es und er blieb. Hier bemerkt Müller:

„Ich lebte auf dem Eigentum meines Vaters unter ungenügender Aufsicht und war ausgerüstet mit einer beträchtlichen Summe Geldes, welches ich von verschiedenen Personen für meinen Vater einkassiert hatte.

Bald wurde ich wieder in meine alten Gewohnheiten geführt und brachte einen großen Teil des Geldes durch. Ich hatte über die einzelnen Beträge Quittung erteilt, log aber dem Vater vor, ich hätte das Geld nicht erhalten.“

Von Heimersleben aus machte er im November eine Vergnügungsreise nach Magdeburg, wo er 6 Tage in „vielen Sünden“ zubrachte. Von hier aus wandte er sich nach Braunschweig, wo in einem teuren Hotel Quartier gemacht wurde. Nicht viele Tage vergingen bis alles Geld ausgegeben war. In dieser Verlegenheit suchte er einen Onkel auf, der hier wohnte. Nachdem er eine Woche im Haus desselben zugebracht hatte, schöpfte dieser Verdacht und gab ihm zu verstehen, dass er einen längeren Aufenthalt in seinem Haus nicht wünsche.

„Ohne Geld verließ ich Braunschweig und ging in ein benachbartes Dorf, wo ich in einem Gasthof eine sehr verschwenderische Woche verlebte. Die Sache schien dem Gasthofbesitzer nicht recht geheuer und er bat schließlich um Bezahlung. Ich musste meine besten Kleider an Zahlungsstatt zurücklassen und konnte noch froh sein, dass ich an einer Arretierung vorbeikam.

Ich ging nun bis zum 6 Meilen entfernten Wolfenbüttel, kehrte hier in einer Wirtschaft ein und fing ein Leben an, als wenn ich Geld im Überfluss hätte. Doch der Boden brannte mir unter den Füßen, denn ich hatte ja nichts mehr, was ich als Pfand hätte zurücklassen können. Ich gedachte deshalb heimlich zu entfliehen. Bei Nacht war eine Flucht nicht wohl möglich, da die Fenster meines Zimmers zu hoch waren. Darum machte ich mich am Morgen des 3. oder 4. Tages stille aus dem Hof und rannte davon. Ich kam aber nicht weit, denn ich war beobachtet worden.

Kaum hatte ich den Hof verlassen als ich schon zurückgerufen wurde. Nun wurde die Situation ernst. Ich bekannte meine Lage, fand aber keine Barmherzigkeit. Man ließ mich arretieren und von 2 Soldaten in das Polizeibureau bringen. Bei dem Beamten war ich als ein Vagabund und Dieb verdächtigt worden, darum nahm mich dieser 2 oder 3 Stunden in ein scharfes Verhör und ließ mich schließlich ins Gefängnis abführen. So war ich denn, 16 Jahre alt, ein Hausgenosse voll Dieben und Mördern und wurde demgemäß behandelt!“

„Ich war zuerst in Einzelhaft. Das Essen war derart, dass es mich am ersten Tage anekelte und ich es unberührt ließ. Am 2. Tag nahm ich ein bisschen, am 3. aß ich alles und von da an wäre ich froh gewesen, wenn ich noch mehr gehabt hätte. Am 2. Tage bat ich den Gefängniswärter um eine Bibel, erhielt aber keine. Nicht, dass ich ein inneres Bedürfnis danach empfunden hätte, aber die Langeweile plagte mich entsetzlich.

So saß ich nun in völliger Einsamkeit, ohne Buch, ohne Arbeit, hinter dicken Eisenstäben, in einsamer Zelle. Während der 2. Nacht weckte mich plötzlich das Rasseln der Riegel und Schlösser und drei Männer traten in meine Zelle, die auf meine erschrockene Frage, was sie wollten, mich auslachten. Sie untersuchten stillschweigend das Fenstergitter, um sich zu überzeugen, dass eine Flucht unmöglich sei und gingen dann wieder. Nach einigen Tagen erfuhr ich, dass in einer Zelle neben mir ein Dieb saß. Ich fing nun an, mich mit demselben, so gut es die Holzwand erlaubte, zu unterhalten und war erfreut, als kurze Zeit darauf der Gefängnis-Inspektor demselben erlaubte, meine Zelle zu teilen.

Wir vertrieben uns nun die Zeit, indem wir uns unsere Abenteuer erzählten. Ich war dabei so schlecht, dass ich mich nicht begnügte, ihm das zu erzählen, dessen ich mich wirklich schuldig gemacht hatte, sondern erdichtete sogar noch Geschichten, nur um ihm zu zeigen, was für ein famoser Bursche ich sei. Nach 10 oder 12 Tagen aber entzweiten wir uns und dadurch gestaltete sich unsere ohnehin schon trostlose Lage zu einer unerträglichen. Wir sprachen tagelang nichts mehr mit einander.“

Vom 18. Dezember 1821 bis 12. Januar 1822 musste Müller im Gefängnis bleiben. Er wurde erst freigelassen, nachdem sein Vater seine Wirtshausschulden und seine Unterhaltungskosten im Gefängnis bezahlt und für Reisegeld gesorgt hatte. In Heimersleben angekommen, wurde er von seinem Vater empfindlich gezüchtigt und es schien auch, als hätten die Erfahrungen einen heilsamen Eindruck auf ihn gemacht. Im Oktober 1822 kam Georg Müller dann auf die Schule nach Nordhausen, wo er 2 ½ Jahre verblieb. Mit großem Fleiß studierte er hier die lateinischen Klassiker, französische Geschichte, deutsche Literatur. Er wohnte in dem Haus des Direktors und wusste sich bei demselben durch gutes Betragen beliebt zu machen.

Winter und Sommer stand er um 4 Uhr auf und studierte bis 10 Uhr abends, deshalb wurde er oft den anderen Schülern als Muster vorgehalten.

„Aber während ich mir äußerlich die Achtung meiner Mitmenschen erwarb, kümmerte ich mich nicht im Geringsten um Gott, sondern lebte heimlich in vielen Sünden. Infolge dieses Sündenlebens wurde ich schließlich krank und für 13 Wochen ans Zimmer gefesselt. Aber auch während dieses Krankseins zeigte sich keine wahre Herzensreue, obgleich sich religiöse Empfindungen in mir regten. Diese veranlassten mich, Klopstocks Werke zu lesen. Ich tat dies ohne zu ermüden. Bei alledem kümmerte ich mich um das Wort Gottes nicht im Geringsten. Ich besaß ungefähr 300 Bücher, aber keine Bibel! Den Schriften von Horaz, Cicero, Voltaire und Moliere maß ich größeren Wert bei als der Heiligen Schrift.“

Hier ein Beweis, wie verdorben er war: Infolge seines liederlichen Lebens hatte er Schulden gemacht, die er nicht bezahlen konnte. Eines Tages nun, nachdem er Geld von seinem Vater empfangen hatte, zeigte er dieses absichtlich einigen Kollegen und erdichtete später, es sei ihm gestohlen worden. Er beschädigte zu diesem Zweck das Schloss seines Schrankes, erbrach den Gitarrenkasten und rannte dann mit offenem Rock in das Zimmer des Direktors, nur demselben, anscheinend sehr erschreckt, die Mitteilung zu machen, sein Geld wäre ihm gestohlen worden. Er wurde, wie er nicht anders erwartet, sehr bemitleidet und einige Freunde ersetzten ihm die angeblich gestohlene Summe. Zudem hatte er jetzt auch einen Grund, seine Gläubiger um Aufschub zu bitten. Eins verlor er aber doch dabei, nämlich das Vertrauen des Direktors. Dieser vermutete die Wahrheit, obgleich er nichts beweisen konnte.

Mit sehr ehrenvollen Zeugnissen in Händen wurde Müller im Jahre 1825 Mitglied der Universität zu Halle und besaß somit auch das Recht, in der lutherischen Kirche zu predigen. In dieser Zeit kam er zu der Überzeugung, dass, wenn er sein Leben nicht ändere, seine Zukunft ernstlich gefährdet sei. Gute Vorsätze, ein besseres Leben zu führen, waren für den gottlosen jungen Mann so viel wie nichts, und da er nun mehr denn je sein eigener Herr war, ging er aufs Neue seine verworfenen Wege, ungeachtet der Tatsache, dass er ein Student der Theologie war. Wenn sein Geld ausgegeben war, wurden Uhr und Kleider versetzt oder auf eine andere Weise geborgt. Befriedigung fand er jedoch niemals.

Eines Tages, als er mit einigen wilden Mitstudenten im Wirtshaus war, begegnete ihm ein alter Schulkollege, namens Beta, den er früher wegen seiner Frömmigkeit verachtet hatte. Des gegenwärtigen Sündenlebens müde, suchte er nun dessen Freundschaft, weil er hoffte, durch diesen Umgang zu einem gesetzteren Leben geführt zu werden. Er hatte sich getäuscht. Wohl erneuerte Beta mit Freuden die alte Bekanntschaft, aber er war nicht mehr der Alte. Er glaubte, durch Müller in lustige Gesellschaften geführt zu werden. „Also war mein armes törichtes Herz wieder getäuscht“, erzählt Müller, „und doch machte Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit diesen Freund später, auf eine Art und Weise, wie ich es mir nie gedacht, zu einem Werkzeug, mir Gutes zu tun, nicht allein für diese Zeit, sondern auch für die Ewigkeit.“

Im Juni 1825 wurde Müller infolge seines verworfenen und schlechten Lebens wieder krank. Nach dieser Krankheit wurde sein äußeres Betragen etwas besser, doch diese Besserung stützte sich lediglich auf Geldmangel. Im August machte er mit Beta und zwei anderen Studenten eine Vergnügungstour aufs Land. Die Auslagen bestritten sie, indem sie etliches von ihrer Habe verpfändeten. Dieser Ausflug weckte das Verlangen nach einer größeren Tour und man plante deshalb eine Schweizerreise. Hierüber sagt Müller:

„Die Hindernisse, die im Wege lagen, nämlich Mangel an Geld und Pässe, wurden von mir beseitigt. Durch gefälschte Briefe von unseren Eltern verschafften wir uns Pässe und durch Verpfändung alles dessen, was wir entbehren konn ten, besonders unserer Bücher, das nötige Geld.“

Die Müßiggänger kamen über Erfurt, Frankfurt, Heidelberg, Stuttgart, Zürich bis nach dem Rigi und kehrten über Konstanz, Ulm und Nürnberg wieder nach Halle zurück. Die Reise dauerte 48 Tage und wurde meistens zu Fuß gemacht. „Ich war auf dieser Reise ein Judas“, so fährt Müller fort, „denn ich hatte die gemeinsame Kasse und war ein Dieb. Ich wusste es einzurichten, dass mich die Reise bloß 2/3 von dem kostete, was sie meine Freunde gekostet hatte.

Zuhause angekommen, musste ich wieder Sünde mit Sünde decken, denn nur durch viele Lügen, betreffs der Reisekosten, gelang es mir, den Vater zu beschwichtigen.

Eine Veränderung – eine merkwürdige Veränderung aber war nahe. Im Alter von 20 Jahren fingen die trüben Wolken an sich zu heben und aus dem sündhaften und verschwenderischen Studenten begann der feine, edle und ernste Mann Gottes zu werden. Bis hierher hatte er noch keine Bibel und seit Jahren nicht darin gelesen. Er ging nur selten zur Kirche, gleichwohl zweimal des Jahres gewohnheitsmäßig zum Heiligen Abendmahl. Bis Anfang November 1825 hatte er noch niemals das lautere Evangelium gehört, hatte er noch niemals einen Menschen getroffen, der ihm gesagt hätte, er solle mit Gottes Hilfe der Heiligen Schrift gemäß leben.

Aber die Zeit kam, wo seine Augen sich öffneten und seine Schritte sich zu der engen Pforte wandten. An einem Sonnabendnachmittag ging er und Beta spazieren. Unterwegs erklärte Beta, dass er seit einiger Zeit wieder religiöse Versammlungen besuche, die in dem Haus eines christlichen Handwerkers, namens Wagner, gehalten würden. Auf weiteres Befragen erklärte er auch, dass sie daselbst die Bibel lesen, singen, beten und eine gedruckte Predigt lesen würden. Müller sagt in seiner Erzählung:

„Sobald ich dies gehört, war es mir, als hätte ich das gefunden, wonach ich mein Leben lang gesucht. Ich wollte sogleich mit meinem Freunde hingehen. Dieser war aber nicht gewillt, mich mitzunehmen, denn, da er mich als einen lustigen jungen Mann kannte, glaubte er, ich würde solche Versammlungen nicht lieben.“

Gleichwohl kamen sie überein, zusammen hinzugehen. Der neue Ankömmling wurde hier auf eine Weise bewillkommt, die er nie vergessen konnte. Der freundliche Hauswirt sagte zu ihm: „Kommen Sie so oft Sie wollen, Haus und Herz stehen Ihnen offen.“ Die wenigen Freunde setzten sich nieder und sangen ein geistliches Lied – dann fiel Bruder Kaiser, – der später als Missionar von der Londoner Missions-Gesellschaft nach Afrika gesandt wurde, – auf die Knie und bat um Segen für die Versammlung. Dieser einfache Akt war für Müller das sich Öffnen des goldenen Tores, und die Ewigkeit allein kann das Wunderbare, das Glück und die Herrlichkeit uns zeigen, welche er fühlte. Es trat ein Wendepunkt in seinem Leben ein, der für Tausende von unaussprechlichem Nutzen sein sollte. „Dieses Niederknien“, erzählt Müller, „machte einen tiefen Eindruck auf mich. Ich hatte noch niemand auf den Knien gesehen, auch selber niemals kniend gebetet.“

Nachdem ein Kapitel und eine Predigt gelesen und noch ein Lied gesungen worden war, betete der Herr des Hauses und die Versammlung wurde geschlossen. Als der junge Student heimkam, fühlte er die Glut einer neuen Glückseligkeit in seinem Innern. „Jedoch“, sagt er, „wenn man mich gefragt haben würde, warum ich so glücklich sei, so hätte ich schwerlich eine klare Antwort geben können.“

2. Das neue Leben

„Gott lässt es oft zu, dass sein Volk wie auf den Planken eines gestrandeten Schiffes das rettende Ufer erreicht. Er beraubt uns der Zisterne, um uns zu veranlassen, Quellwasser zu trinken. Er nimmt oft unsere Stützen hinweg, nicht, dass wir zu Fall kommen sollen, sondern, damit er Stecken und Stab werde. Die Verlegenheiten seines Volkes sind nur die herrlichen Gelegenheiten, bei welchen seine Macht, seine Treue und seine Gnade ihre Triumphe feiert.“

Krummacher.

Nach dem, was am Schluss des vorigen Kapitels erzählt worden ist, erwarten wir billig nun auch eine Lebensänderung. Hören wir hierüber Müllers eigene Worte:

„Ich lebte nun nicht länger mehr in den gewohnten Sünden, obwohl ich noch oft von Sünden überwunden wurde, sogar von offenbaren Sünden. Es kam dies aber doch nicht mehr so oft vor wie früher und wenn es vorkam, erfüllte es mich jedes Mal mit großem Herzeleid. Ich las die Bibel, betete viel, liebte die Brüder, ging aus rechtem Antrieb oft zur Kirche und stand auf des Herrn Seite. Von meinen Mitstudenten wurde ich verlacht.“

Im Jahre 1826 wurde er durch das Lesen von Missionsschriften mit dem lebhaften Verlangen erfüllt, in den Dienst der äußeren Mission zu treten. Zu gleicher Zeit fing er aber auch ein Verhältnis an mit einem jungen Mädchen. Dadurch wurden die Missionsgedanken unterdrückt. Ja, es kam so weit, dass seine Gebete kalt und formell wurden und zuletzt fast gänzlich aufhörten. Der Herr hatte ein gnädiges Einsehen und ließ ihn in diesem Zustand die Bekanntschaft eines jungen und gelehrten Mannes, namens Hermann Ball, machen. Dieser war der Sohn wohlhabender Eltern, hatte aber sein angenehmes Heim verlassen, um unter den Juden in Polen zu arbeiten. „Sein Beispiel machte einen tiefen Eindruck auf mich“, schreibt Georg Müller. „Ich stellte einen Vergleich an zwischen ihm und mir, denn ich hatte das Werk des Herrn, ja ich möchte sagen, den Herrn selbst, um eines Mädchens willen aufgegeben. Das Resultat dieser Vergleichung war, dass ich in den Stand gesetzt wurde, diese Verbindung, welche ich ohne Gebet eingegangen war, wieder zu lösen. Sobald ich zu diesen! Entschluss gekommen war, sah der Herr freundlich ans mich herab und ich war zum ersten Mal in meinem Leben fähig, mich dem Herrn rückhaltlos zu übergeben.“

„Es war um diese Zeit“, so fährt Müller fort, „als ich anfing, den Frieden Gottes, der höher ist denn alle Vernunft, wirklich zu genießen. In dieser meiner Freude schrieb ich auch meinem Vater und meinem Bruder und bat sie, indem ich ihnen erzählte, wie glücklich ich sei, sie möchten sich mit dem Herrn Jesus in Verbindung setzen. Ich war in dem Glauben, sie würden dies freudig begrüßen und gerne den Weg zur wahren Glückseligkeit gehen. Zu meinem größten Erstaunen erhielt ich eine ärgerliche Antwort.“

Eine weitere Abweisung wurde ihm zu teil, als er kurze Zeit darauf seinen Vater um die Erlaubnis bat, in eine deutsche Missionsanstalt eintreten zu dürfen. „Mein Vater“, sagt Müller, „war darüber sehr unzufrieden und warf mir insbesondere vor, er habe gehofft, nachdem er so viel Geld an mich gewandt, seine alten Tage in einer angenehmen Pfarrei mit mir verleben zu können und nun sehe er, dass alle seine Hoffnungen vereitelt seien. Er wurde sogar zornig und erklärte, mich nicht mehr als seinen Sohn betrachten zu wollen. Der Herr gab mir Gnade, fest zu bleiben. Die härteste Probe aber kam noch, denn schließlich bat er mich unter Tränen, von meinem Plan abzustehen. Doch der treue Herr gab mir Kraft, auch diese schwere Prüfung zu ertragen.“

Von diesem Augenblick an wurde es Müller klar, dass es Unrecht wäre, noch länger auf Kosten seines Vaters zu leben, da er dessen Lieblingswunsch, „ein Pastor mit angenehmem Leben“ zu werden, nicht erfüllen konnte. Dieser Entschluss war umso schwerwiegender, weil er noch 2 Jahre zu studieren hatte und voraussichtlich für diese Zeit mehr Geld brauchte, als in irgendeiner früheren Lebensperiode. Der Herr verschaffte ihm aber auf eine sehr merkwürdige Weise seinen zeitlichen Unterhalt. Professor Dr. Tholuck, welchen der Herr besonders gebraucht hatte, den jungen Studenten zu segnen, sorgte dafür, dass er einigen Amerikanern, welche nach Halle gekommen waren, um weiter zu studieren, Unterricht in der deutschen Sprache erteilen konnte. Diese Herren bezahlten seine Dienstleistungen sehr gut. Er hatte nicht nur genug, sondern konnte noch etwas ersparen. „So ersetzte mir der Herr“, sagt Müller, „reichlich das wenige, welches ich um seinetwillen darangegeben hatte.“ O, fürchtet den Herrn, ihr seine Heiligen, die ihn fürchten, haben keinen Mangel. (Ps. 34, 10)

Aus dieser Zeit muss ein Zwischenfall erzählt werden, der für den jungen Nachfolger des Herrn sehr ermutigend war. Eines Tages besuchten ihn zwei frühere Freunde. Er erzählte ihnen, wie glücklich er sei und er könne nur wünschen, sie möchten diesen Pfad auch betreten. „Wir fühlen nicht, dass wir Sünder sind“, erwiderten diese ihm. Sogleich fiel Müller auf seine Knie und bat Gott, er möchte seinen Freunden doch ihren Zustand zeigen. Dann zog er sich in sein Schlafzimmer zurück und fuhr fort, demütig für sie zu beten. Als er in das Wohnzimmer zurückkehrte, fand er beide in Tränen mit der Erklärung auf den Lippen, dass sie sich sehr sündig fühlten. Von dieser Stunde an arbeitete die Gnade in ihren Herzen und für das Werkzeug ihrer Bekehrung wurde dieses freudige Ereignis eine Glaubensstärkung. Noch größere Dinge harrten seiner!

Müllers Herz beschäftigte sich noch immer mit dem Gedanken, Missionar zu werden. Da er in dieser Sache eine bestimmte Entscheidung wünschte, nahm er zu einem sehr kuriosen Mittel seine Zuflucht. Er wollte nämlich durchs Los des Herrn Wille erfahren. Er zog aber nicht nur im Stillen das Los darüber, sondern kaufte sich auch ein Los aus der königlichen Staatslotterie und wollte im Falle eines Gewinnes den Willen Gottes erkennen, dass er Missionar werden sollte. Wirklich gewann er eine kleine Summe und es stand ihm deshalb fest, er solle Missionar werden. Infolgedessen meldete er sich bei der Berliner Missionsgesellschaft, wurde aber abgewiesen, weil sein Vater die Einwilligung verweigerte. Müller sah bald ein, dass er einen großen Fehler gemacht, indem er seine Zuflucht zum Los genommen hatte, anstatt ganz ruhig, geduldig und betend auf den Herrn zu warten. Er selbst sagt:

„Es war nicht allein ganz und gar unrecht, dass ich, ein Kind Gottes, etwas gemein wollte haben mit einem so weltlichen und ungöttlichen System, nein, es war auch unbiblisch.“

Der Herr gab seinem jungen Nachfolger schon in den ersten Anfängen seines geistlichen Lebens ein gewisses Maß von Einfalt und kindlichem Vertrauen. Dies veranlasste ihn, obwohl er noch sehr unbekannt mit der Heilifen Schrift war, auch die kleinsten Sachen im Gebet vor Gott zu bringen. Wir sehen hier, wie früh die große Zentralgewohnheit seines Lebens – das einfache, ernste Glaubensgebet, der Grundpfeiler der Kraft, die ihn nie verließ – sich bildete. In seinem Verlangen etwas für den Herrn tun zu dürfen, verbreitete er schon damals in verschiedenen Teilen des Landes monatlich 300 Missionsblätter und eine große Anzahl Traktate, welche letztere er teils verkaufte, teils verschenkte, auch nahm er oft die Gelegenheit wahr, mit Personen, denen er begegnete, über das Heil ihrer Seelen zu reden. Seinen früheren weltlichen Kollegen schrieb er mitunter liebevolle Briefe. Auch besuchte er Kranke, soviel es ihm seine Zeit erlaubte. Einmal besuchte er einen solchen 13 Wochen lang sehr regelmäßig. Er wurde reichlich belohnt dafür, denn derselbe wurde gläubig an den Herrn Jesus und gab seiner: freudigen Dankesgefühlen wiederholt Ausdruck.

Eine andere Begebenheit aus dieser Zeit ist wert, erzählt zu werden. Es kam dem Neubekehrten zu Ohren, dass ein Schulmeister in einem Dorf nahe bei Halle jeden Morgen um 4 Uhr mit den Bergleuten, bevor diese in die Grube gingen, eine Gebetsversammlung halte. Erdachte: das muss ein Gläubiger sein, den willst du besuchen, was auch geschah. „Zwei Jahre später“, so erzählt Müller, „gestand er mir, dass, als ich das erste Mal zu ihm gekommen sei, er den Herrn noch nicht gekannt habe. Die Gebetsstunden habe er nur aus Gefälligkeit einem Verwandten gegenüber gehalten. Dieselben hätten diesem obgelegen und er habe sie nur während dessen Abwesenheit weitergeführt. Die Ansprachen seien nicht von ihm gewesen, sondern die habe er aus einem Buch abgeschrieben. Weiter sagte er, dass mein freundlicher und herablassender Besuch und das, was wir zusammen gesprochen, ihm Veranlassung geworden sei, sich um göttliche Dinge zu kümmern. Ich kannte ihn später als einen treuen und wahrhaften Christen.“

Bis zu dieser Zeit hatte der junge Theologe noch nie gepredigt, obgleich er als Student der Theologie das Recht dazu schon seit mehr als einem Jahr besaß. Wohl hatte er vor seiner Bekehrung in seiner Herzensbosheit seinem Vater einmal geschrieben, er habe gepredigt. Der Grund dazu war: er wusste, dass der Vater sich darüber freuen würde. Als er nun eines Tages wieder bei dem oben erwähnten Lehrer weilte, fragte ihn dieser, ob er nicht einmal in ihrer Pfarrei predigen wolle. Da der Pastor ein alter und kränklicher Mann sei, so freue er sich über jede Vertretung. Müller sagte zu. Er fing nun an eine gedruckte Predigt den Verhältnissen entsprechend abzuändern und seinem Gedächtnis einzuprägen. Diese Predigt hielt er dann „ohne Genuss“ zuerst um 8 Uhr morgens in der Filialkirche und um 10 Uhr in der Mutterkirche. Er glaubte nun, für den Tag fertig zu sein und war nicht wenig erstaunt, als ihm gesagt wurde, am Nachmittag sei auch Gottesdienst. Doch da er dem Herrn dienen wollte, gab dieser ihm in den Sinn, Matth. 5 zu lesen und einige Bemerkungen darüber zu machen, so gut er dazu imstande sei.

„Ich tat das“, berichtet Müller, „und begann ohne Einleitung sofort mit der Auslegung: Selig sind, die geistlich arm sind. Ich fühlte den Beistand des Heiligen Geistes, und während meine Predigt am Morgen nicht einfach genug war, um von den Leuten verstanden zu werden, wurde mir nun mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Ich wurde verstanden und empfand große Freude und geheiligten Frieden und fühlte, dass es eine gesegnete Arbeit gewesen war.“ Auf dem Heimweg sagte er sich: „So möchte ich immer predigen können.“ Zu dieser Zeit war es ihm freilich noch zweifelhaft, ob eine so einfache, nur auslegende Art auch imstande sei, die Gemeinde zu bauen. Erst ungefähr 3 Jahre später fing er an zu predigen, wie der Geist es ihm eingab, ohne vorher seine Predigt zu schreiben, oder Notizen irgendwelcher Art zu machen. Diese Predigtmethode hielt er sein ganzes Leben hindurch fest.

Wie fern Georg Müller zu dieser Zeit noch von dem war, was später seinem Leben eine strahlende Krone aufsetzte, nämlich von dem völligen Glauben und dem demütigen Vertrauen auf Gott, das soll an zwei Beispielen gezeigt werden: Noch immer hatte Müller mit seinen Gewohnheitssünden zu tun. Als wieder einmal ein solcher Fall eingetreten war, kaufte er sich ein Kruzifix und hing es in seinem Zimmer auf. Das öftere Erinnertwerden an das Leiden des Heilandes würde ihn, so meinte er, vor fernerem Bösestun schützen. Aber schon nach einigen Tagen, so berichtet er uns, zeigte es sich, dass es mit dem Aufblicken auf das Kruzifix nichts war, denn er kam in den Tagen mehr als einmal zu Fall. – Eine andere Begebenheit steht in völligem Gegensatz zu seinem späteren Prinzip, allein auf Gott zu vertrauen. Er hörte von einer vornehmen und reichen Dame, welche etwa 200 Meilen von Halle entfernt wohnte, und da er immer noch Schulden hatte von jener Schweizerreise her, aber auch gerne einem armen Verwandten eine Unterstützung hätte zukommen lassen, so schrieb er jener Dame und bat sie um ein Darlehen von etwas mehr als 100 Mark. Er wagte in dem Brief zu erzählen, wie er zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen sei und nahm die Gelegenheit wahr, der Empfängerin den Heilsweg klarzulegen. Die Antwort blieb aus. Erst längere Zeit nachher, gerade an einem Tage, als seine Schritte wieder wankend geworden waren, kam die erbetene Summe an mit folgendem Brief:

„Eine besondere Fügung hat mich in den Besitz des Briefes gebracht, welchen Sie an Frl. B. geschrieben haben. Sie befinden sich im Irrtum betreffs derselben, sowohl was ihren Charakter als ihren Aufenthaltsort zu D. betrifft. Man hat sie für eine andere Person gehalten. Um Ihnen nun einigermaßen in Ihren Schwierigkeiten zu helfen, sende ich die eingeschlossene kleine Summe, für welche Sie nicht dem unbekannten Geber, sondern dem Herrn, der die Herzen lenkt wie Wasserbäche, danken mögen. Halten Sie fest an dem Glauben, den Gott durch seinen Heiligen Geist Ihnen geschenkt hat. Er ist das höchste Kleinod des Lebens und trägt seine Seligkeit in sich. Nur streben Sie, wachend und betend, immer freier zu werden von aller Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, von denen selbst der wahre Gläubige noch umstrickt werden kann, wenn er es am wenigsten erwartet. Lassen Sie es Ihr hauptsächlichstes Ziel sein, immer demütiger, treuer und stiller zu werden. Mögen wir nicht zu denen gehören, welche fortwährend sagen und schreiben: Herr, Herr! – sondern zu denen, die ihn tief im Herzen tragen. Das Christentum besteht nicht in Worten, sondern in Kraft. Es muss Leben in uns sein. Denn darum hat uns Gott zuerst geliebt, dass wir ihn wieder lieben und dass wir durch die Liebe Kraft erhalten, Ihm treu zu sein und uns selbst, die Welt, Not und Tod zu überwinden vermögen. Dazu stärke Sie sein Geist, dass Sie ein tüchtiger Bote seines Evangeliums werden! Amen.

Ein anbetender Verehrer des Heilandes Jesu Christi.

Frankfurt a. M., den 14. Januar 1827.“

Dieser Brief verfehlte nicht, einen tiefen Eindruck auf den jungen Gläubigen zu machen. Er konnte trotz fußhohem Schnee es nicht unterlassen, hinter einer Hecke auf seine Knie zu fallen, um sich aufs Neue seinem Gott zu übergeben, ihn um weitere Kraft zu bitten und ihm zu danken für seine Barmherzigkeit. Er blieb eine halbe Stunde im Gebet. „Ich sah“, so sagt Müller, „es schon damals, als ich diesen Brief erhielt, in hohem Maße ein, wie sehr ich ein so treues und liebreiches Wort der Ermahnung bedurft hatte – und ich sah es später nach besser ein. Selbstgefälligkeit und Mangel an Stille und viel mehr: „Herr, Herr!“ sagend und schreibend, als ihn im Lebend bekennend – das waren die Sünden, in Bezug auf die ich es ganz besonders nötig hatte, gewarnt zu werden.“

Einige Wochen später kam Müller wieder in einen rückfälligen Zustand und blieb einige Tage darin. Er erzählt davon: „Das Gebet hatte ich fast ganz aufgegeben und an einem Tage schellte ich sogar dem Diener und ließ mir Wein holen. Aber wie gut und treu war der Herr! Ich wollte trinken und mich betäuben, um leichter weiter sündigen zu können, doch der Herr erlaubte es nicht, dass ich mich der Bosheit meines Herzens ergab. In meinen ungöttlichen Tagen trank ich oft sehr viel ohne Gewissensbisse, einmal sogar über 5 Liter starken Bieres, nur um groß zu tun. Jetzt aber hatte ich noch nicht mehr als 2 Gläser Wein genommen, als die ganze Bosheit meines Herzens nur vor die Seele trat.

Es mag hier hervorgehoben werden, dass der öffentlichen Gnadenmittel, zu denen Müller Zugang hatte, wenig waren. Darüber berichtet er: