Geschichte des Agathon (Historischer Roman in 2 Bänden) - Christoph Martin Wieland - E-Book

Geschichte des Agathon (Historischer Roman in 2 Bänden) E-Book

Christoph Martin Wieland

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Beschreibung

Geschichte des Agathon gilt als der erste große Bildungs- und Erziehungsroman in der deutschen Literatur und als Vorläufer des modernen psychologischen Romans. Die Handlung spielt im Übergang vom 5. zum 4. vorchristlichen Jahrhundert, geschildert wird das Heranwachsen des schönen athenischen Jünglings Agathon zu einem reifen Mann. Der Autor zeigt, wie Agathon nach und nach durch Desillusionierungen und Enttäuschungen zu einer realistischeren, erfolgversprechenderen und glücklicheren Lebenseinstellung gelangt. Das Motto des Romans lautet: Quid Virtus, et quid Sapientia possit / utile proposuit nobis exemplum. "Was die Tugend und Weisheit vermögen / hat uns nützlich ein Beispiel gezeigt." Christoph Martin Wieland (1733-1813) war ein deutscher Dichter, Übersetzer und Herausgeber zur Zeit der Aufklärung. Wieland war einer der bedeutendsten Schriftsteller der Aufklärung im deutschen Sprachgebiet und der Älteste des klassischen Viergestirns von Weimar, zu dem er neben Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller gezählt wurde.

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Christoph Martin Wieland

Geschichte des Agathon

(Historischer Roman in 2 Bänden)
Historischer Roman - Wichtigster Bildungsroman der Aufklärungsepoche
            Books
- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung [email protected]   2017 OK Publishing

Inhaltsverzeichnis

Erste Fassung (1766/1767)
Erstes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Eilftes Kapitel
Zweites Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Drittes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Viertes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Fünftes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehentes Kapitel
Eilftes Kapitel
Sechstes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Siebentes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Achtes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Neuntes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Zehentes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Eilftes Buch
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel

Erste Fassung (1766/1767)

Inhaltsverzeichnis

– quid Virtus, et quid Sapientia possit Utile proposuit nobis exemplar. –        

Der Herausgeber der gegenwärtigen Geschichte siehet so wenig Wahrscheinlichkeit vor sich, das Publicum überreden zu können, daß sie in der Tat aus einem alten Griechischen Manuskript gezogen sei; daß er am besten zu tun glaubt, über diesen Punkt gar nichts zu sagen, und dem Leser zu überlassen, davon zu denken, was er will.

Gesetzt, daß wirklich einmal ein Agathon gewesen, (wie dann in der Tat, um die Zeit, in welche die gegenwärtige Geschichte gesetzt worden ist, ein komischer Dichter dieses Namens den Freunden der Schriften Platons bekannt sein muß:) gesetzt aber auch, daß sich von diesem Agathon nichts wichtigers sagen ließe, als wenn er geboren worden, wenn er sich verheiratet, wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an was für einer Krankheit er gestorben sei: was würde uns bewegen können, seine Geschichte zu lesen, und wenn es gleich gerichtlich erwiesen wäre, daß sie in den Archiven des alten Athens gefunden worden sei?

Die Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige, so wir den Liebhabern hiemit vorlegen, gefodert werden kann und soll, bestehet darin, daß alles mit dem Lauf der Welt übereinstimme, daß die Charakter nicht willkürlich, und bloß nach der Phantasie, oder den Absichten des Verfassers gebildet, sondern aus dem unerschöpflichen Vorrat der Natur selbst hergenommen; in der Entwicklung derselben so wohl die innere als die relative Möglichkeit, die Beschaffenheit des menschlichen Herzens, die Natur einer jeden Leidenschaft, mit allen den besondern Farben und Schattierungen, welche sie durch den Individual-Charakter und die Umstände einer jeden Person bekommen, aufs genaueste beibehalten; daneben auch der eigene Charakter des Landes, des Orts, der Zeit, in welche die Geschichte gesetzt wird, niemal aus den Augen gesetzt; und also alles so gedichtet sei, daß kein hinlänglicher Grund angegeben werden könne, warum es nicht eben so wie es erzählt wird, hätte geschehen können, oder noch einmal wirklich geschehen werde. Diese Wahrheit allein kann Werke von dieser Art nützlich machen, und diese Wahrheit getrauet sich der Herausgeber den Lesern der Geschichte des Agathons zu versprechen.

Seine Hauptabsicht war, sie mit einem Charakter, welcher gekannt zu werden würdig wäre, in einem manchfaltigen Licht, und von allen seinen Seiten bekannt zu machen. Ohne Zweifel gibt es wichtigere als derjenige, auf den seine Wahl gefallen ist. Allein, da er selbst gewiß zu sein wünschte, daß er der Welt keine Hirngespenster für Wahrheit verkaufe; so wählte er denjenigen, den er am genauesten kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat. Aus diesem Grunde kann er ganz zuverlässig versichern, daß Agathon und die meisten übrigen Personen, welche in seine Geschichte eingeflochten sind, wirkliche Personen sind, dergleichen es von je her viele gegeben hat, und in dieser Stunde noch gibt, und daß (die Neben-Umstände, die Folge und besondere Bestimmung der zufälligen Begebenheiten, und was sonsten nur zur Auszierung, welche willkürlich ist, gehört, ausgenommen) alles, was das Wesentliche dieser Geschichte ausmacht, eben so historisch, und vielleicht noch um manchen Grad gewisser sei, als irgend ein Stück der glaubwürdigsten politischen Geschichtschreiber, welche wir aufzuweisen haben.

Es ist etwas bekanntes, daß öfters im menschlichen Leben weit unwahrscheinlichere Dinge begegnen, als der Chevalier de Mouhy selbst zu erdichten sich getrauen würde. Es würde also sehr übereilt sein, die Wahrheit des Charakters unsers Helden deswegen in Verdacht zu ziehen, weil es öfters unwahrscheinlich ist, daß jemand so gedacht oder gehandelt habe, wie er. Wenn es unmöglich sein wird, zu beweisen, daß ein Mensch, und ein Mensch unter den besondern Bestimmungen, unter welchen sich Agathon von seiner Kindheit an befunden, nicht so denken oder handeln könne, oder wenigstens es nicht ohne Wunderwerke, Einflüsse unsichtbarer Geister, oder übernatürliche Bezauberung hätte tun können: So glaubt der Verfasser mit Recht erwarten zu können, daß man ihm auf sein Wort glaube, wenn er positiv versichert, daß Agathon wirklich so gedacht oder gehandelt habe. Zu gutem Glücke finden sich in den beglaubtesten Geschichtschreibern, und schon allein in den Lebensbeschreibungen des Plutarch Beispiele genug, daß es möglich sei, so edel, so tugendhaft, so enthaltsam, oder, nach der Sprache des Hippias, und einer ansehnlichen Klasse von Menschen zu reden, so seltsam, so eigensinnig und albern zu sein als es unser Held in einigen Gelegenheiten seines Lebens ist.

Man hat an verschiedenen Stellen des gegenwärtigen Werks die Ursachen angegeben, warum man aus dem Agathon kein Modell eines vollkommen tugendhaften Mannes gemacht hat. Da die Welt mit ausführlichen Lehrbüchern der Sittenlehre angefüllt ist, so steht einem jeden frei, (und es ist nichts leichters) sich einen Menschen einzubilden, der von der Wiege an bis ins Grab, in allen Umständen und Verhältnissen des Lebens, allezeit und vollkommen so empfindt, denkt und handelt, wie eine Moral. Damit Agathon das Bild eines wirklichen Menschen wäre, in welchem viele ihr eigenes erkennen sollten, konnte er, wir behaupten es zuversichtlich, nicht tugendhafter vorgestellt werden, als er ist; und wenn jemand hierin andrer Meinung sein sollte, so wünschten wir, daß er uns (wenn es wahr ist, daß derjenige der Beste ist, der die besten Eigenschaften mit den wenigsten Fehlern hat,) denjenigen nenne, der unter allen nach dem natürlichen Lauf Gebornen, in ähnlichen Umständen, und alles zusammen genommen, tugendhafter gewesen wäre, als Agathon.

Es ist möglich, daß irgend ein junger Taugenichts, wenn er siehet, daß ein Agathon den reizenden Verführungen der Liebe und einer Danae endlich unterliegt, eben den Gebrauch davon machen kann, welchen der junge Chärea beim Terenz von einem Gemälde machte, welches eine von den Schelmereien des Vater Jupiters vorstellte, – und daß er, wenn er mit herzlicher Freude gelesen haben wird, daß ein so vortrefflicher Mann habe fallen können, zu sich selbst sagen mag: Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud faciam ac lubens.

Es ist eben so möglich, daß ein übelgesinnter oder ruchloser Mensch, den Diskurs des Sophisten Hippias lesen, und sich einbilden kann, die Rechtfertigung seines Unglaubens und seines lasterhaften Lebens darin zu finden: Aber alle rechtschaffnen Leute werden mit uns überzeugt sein, daß dieser junge Bube, und dieser ruchlose Freigeist beides gewesen und geblieben wären, wenn gleich keine Geschichte des Agathon in der Welt wäre.

Dieses letztere Beispiel führt uns auf eine Erläuterung, wodurch wir der Schwachheit gewisser gutgesinnter Leute, deren Wille besser ist, als ihre Einsichten, zu Hülfe zu kommen, und sie vor unzeitig genommenem Ärgernis oder ungerechten Urteilen zu verwahren, uns verbunden glauben. Wir gestehen gerne, daß wir in das Bewußtsein der Redlichkeit unsrer Absichten eingehüllt, nicht daran gedacht hätten, daß diese Sorgfalt nötig wäre, wenn uns nicht die Anmerkung stutzen gemacht hätte, welche einer unsrer Freunde, ohne unser Vorwissen, auf der Seite pag. 58, unter den Text zu setzen, gut befunden.

Diese Erläuterung betrifft die Einführung des Sophisten Hippias in unsere Geschichte, und den Diskurs, wodurch er den Agathon von seinem liebenswürdigen und tugendhaften Enthusiasmus zu heilen, und zu einer Denkungsart zu bringen hofft, welche er nicht ohne guten Grund für geschickter hält, sein Glück in der Welt zu machen. Leute, die aus gesunden Augen gerade vor sich hin sehen, würden ohne unser Erinnern aus dem ganzen Zusammenhang unsers Werkes, und aus der Art, wie wir bei aller Gelegenheit von diesem Sophisten und seinen Grundsätzen reden, ganz deutlich eingesehen haben, wie wenig wir dem Mann und dem System günstig sind; und ob es sich gleich weder für unsere eigene Art zu denken, noch für den Ton und die Absicht unsers Buches geschickt hätte, mit dem heftigen Eifer gegen ihn auszubrechen, welcher einen jungen Magister treibt, wenn er, um sich seinem Consistorio zu einer guten Pfründe zu empfehlen, gegen einen Tindal oder Bolingbroke zu Felde zieht: So hoffen wir doch bei vernünftigen und ehrlichen Lesern keinen Zweifel übrig gelassen zu haben, daß wir den Hippias für einen schlimmen und gefährlichen Mann, und sein System, (in so fern es den echten Grundsätzen der Religion und der Rechtschaffenheit widerspricht) für ein Gewebe von Trugschlüssen ansehen, welche die menschliche Gesellschaft zu grunde richten würden, wenn es moralisch möglich wäre, daß der größere Teil der Menschen damit angesteckt werden könnte. Wir glauben also vor allem Verdacht über diesen Artikel sicher zu sein. Aber da unter unsern Lesern ehrliche Leute sein können, welche uns wenigstens eine Unvorsichtigkeit Schuld geben, und davor halten möchten, daß wir diesen Hippias entweder gar nicht einführen, oder wenn dieses der Plan unsers Werkes ja erfodert hätte, seine Lehrsätze ausführlich hätten widerlegen sollen: So sehen wir für billig an, ihnen die Ursachen zu sagen, warum wir das erste getan, und das andere unterlassen haben.

Weil nach unserm Plan der Charakter unsers Helden auf verschiedene Proben gestellt werden sollte, durch welche seine Denkensart und seine Tugend erläutert, und dasjenige, was darin übertrieben, und unecht war, nach und nach abgesondert würde; so war es um so viel nötiger ihn auch dieser Probe zu unterwerfen, da Hippias, bekannter maßen, eine historische Person ist, und mit den übrigen Sophisten derselben Zeit sehr vieles zur Verderbnis der Sitten unter den Griechen beigetragen hat. Überdem diente er den Charakter und die Grundsätze unsers Helden durch den Kontrast, den er mit selbigen macht, in ein desto höheres Licht zu setzen. Und da es mehr als zu gewiß ist, daß der größeste Teil derjenigen, welche die große Welt ausmachen, wie Hippias denkt, oder doch nach seinen Grundsätzen handelt; so war es auch in dem Plan der moralischen Absichten, welche wir uns bei diesem Werke vorgesetzt haben, zu zeigen, was für einen Effekt diese Grundsätze machen, wenn sie in den gehörigen Zusammenhang gebracht werden. Und dieses sind die hauptsächlichsten Ursachen, warum wir diesen Sophisten (welchen wir nicht schlimmer vorgestellt haben, als er wirklich war, und als seine Brüder noch heutiges Tages sind) in die Geschichte des Agathon eingeflochten haben.

Eine ausführliche Widerlegung dessen, was in seinen Grundsätzen irrig und gefährlich ist: (Denn in der Tat hat er nicht allemal unrecht,) wäre in Absicht unsers Plans ein wahres hors d'oeuvre gewesen, und schien uns auch in Absicht der Leser überflüssig; indem nicht nur die Antwort, welche ihm Agathon gibt, das beste enthält, was man dagegen sagen kann; sondern auch das ganze Werk (wie einem jeden in die Augen fallen wird, sobald man das Ganze wird übersehen können) als eine Widerlegung desselben anzusehen ist. Agathon widerlegt den Hippias beinahe auf die nämliche Art wie Diogenes den Sophisten, welcher leugnete, daß eine Bewegung sei: Diogenes ließ den Sophisten schwatzen, so lang er wollte; und da er fertig war, begnügte er sich vor seinen Augen ganz gelassen auf und ab zu gehen. Dieses war unstreitig die einzige Widerlegung, die er verdiente.

Erstes Buch

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Inhaltsverzeichnis

Erster TeilAnfang dieser Geschichte

Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang, als Agathon, der sich in einem unwegsamen Walde verirret hatte, von der vergeblichen Bemühung einen Ausgang zu finden abgemattet, an dem Fuß eines Berges anlangte, welchen er noch zu ersteigen wünschte, in Hoffnung von dem Gipfel desselben irgend einen bewohnten Ort zu entdecken, wo er die Nacht zubringen könnte. Er schleppte sich also mit Mühe durch einen Fußweg hinauf, den er zwischen den Gesträuchen gewahr ward; allein da er ungefähr die Mitte des Berges erreicht hatte, fühlt er sich so entkräftet, daß er den Mut verlor den Gipfel erreichen zu können, der sich immer weiter von ihm zu entfernen schien, je mehr er ihm näher kam. Er warf sich also ganz Atemlos unter einen Baum hin, der eine kleine Terrasse umschattete, auf welcher er die einbrechende Nacht zuzubringen beschloß.

Wenn sich jemals ein Mensch in Umständen befunden hatte, die man unglücklich nennen kann, so war es dieser Jüngling in denjenigen, worin wir ihn das erstemal mit unsern Lesern bekannt machen. Vor wenigen Tagen noch ein Günstling des Glücks, und der Gegenstand des Neides seiner Mitbürger, befand er sich, durch einen plötzlichen Wechsel, seines Vermögens, seiner Freunde, seines Vaterlands beraubt, allen Zufällen des widrigen Glücks, und selbst der Ungewißheit ausgesetzt, wie er das nackte Leben, das ihm allein übrig gelassen war, erhalten möchte. Allein ungeachtet so vieler Widerwärtigkeiten, die sich vereinigten seinen Mut niederzuschlagen, versichert uns doch die Geschichte, daß derjenige, der ihn in diesem Augenblick gesehen hätte, weder in seiner Miene noch in seinen Gebärden einige Spur von Verzweiflung, Ungeduld oder nur von Mißvergnügen hätte bemerken können.

Vielleicht erinnern sich einige hiebei an den Weisen der Stoiker von welchem man ehmals versicherte, daß er in dem glühenden Ochsen des Phalaris zum wenigsten so glücklich sei, als ein Morgenländischer Bassa in den weichen Armen einer jungen Circasserin. Da sich aber in dem Lauf dieser Geschichte verschiedne Proben einer nicht geringen Ungleichheit unsers Helden mit dem Weisen des Seneca zeigen werden, so halten wir für wahrscheinlicher, daß seine Seele von der Art derjenigen gewesen sei, welche dem Vergnügen immer offen stehen, und bei denen eine einzige angenehme Empfindung hinlänglich ist, sie alles vergangnen und künftigen Kummers vergessen zu machen. Eine Öffnung des Waldes zwischen zween Bergen zeigte ihm von fern die untergehende Sonne. Es brauchte nichts mehr als diesen Anblick, um die Empfindung seiner widrigen Umstände zu unterbrechen. Er überließ sich der Begeisterung, worin dieses majestätische Schauspiel empfindliche Seelen zu setzen pflegt, ohne eine lange Zeit sich seiner dringendsten Bedürfnisse zu erinnern. Endlich weckte ihn doch das Rauschen einer Quelle, die nicht weit von ihm aus einem Felsen hervor sprudelte, aus dem angenehmen Staunen, worin er etliche Minuten sich selbst vergessen hatte; er stand auf, und schöpfte mit der hohlen Hand von diesem Wasser, dessen fließenden Kristall, seiner Einbildung nach, eine wohltätige Nymphe seinen Durst zu stillen, aus ihrem Marmorkrug entgegen goß; und anstatt die von Cyprischem Wein sprudelnde Becher der Athenischen Gastmähler zu vermissen, deuchte ihm, daß er niemals angenehmer getrunken habe. Er legte sich hierauf wieder nieder, entschlief unter dem sanftbetäubenden Gemurmel der Quelle, und träumte, daß er seine geliebte Psyche wieder gefunden habe, deren Verlust das einzige war, was ihm von Zeit zu Zeit einige Seufzer auspreßte.

Zweites Kapitel Etwas ganz Unerwartetes

Inhaltsverzeichnis

Wenn es seine Richtigkeit hat, daß alle Dinge in der Welt in der genauesten Beziehung auf einander stehen, so ist nicht minder gewiß, daß diese Verbindung unter einzelnen Dingen oft ganz unmerklich ist; und daher scheint es zu kommen, daß die Geschichte zuweilen viel seltsamere Begebenheiten erzählt, als ein Romanen-Schreiber zu dichten wagen dürfte. Dasjenige, was unserm Helden in dieser Nacht begegnete, gibt mir neue Bekräftigung dieser Beobachtung ab. Er genoß noch der Süßigkeit des Schlafs, den Homer für ein so großes Gut hält, daß er ihn auch den Unsterblichen zueignet; als er durch ein lärmendes Getöse plötzlich aufgeschreckt wurde. Er horchte gegen die Seite, woher es zu kommen schiene, und glaubte in dem vermischten Getümmel ein seltsames Heulen und Jauchzen zu unterscheiden, welches von den entgegenstehenden Felsen auf eine fürchterliche Art widerhallte. Agathon, der nur im Schlaf erschreckt werden konnte, beschloß diesem Getöse mit eben dem Mut entgegen zu gehen, womit in spätern Zeiten der unbezwingbare Ritter von Mancha dem nächtlichen Klappern der Walkmühlen Trotz bot. Er bestieg also den obern Teil des Berges mit so vieler Eilfertigkeit als er konnte, und der Mond, dessen voller Glanz die ganze Gegend weit umher aus den dämmernden Schatten hob, begünstigte sein Unternehmen. Das Getümmel nahm immer zu, je näher er dem Rücken des Berges kam; er unterschied itzt den Schall von Trummeln und das Flüstern regelloser Flöten, und fing an zu erraten, was dieser Lärm zu bedeuten haben möchte; als sich ihm plötzlich ein Schauspiel darstellte, welches fähig scheinen könnte, den Weisen selbst, dessen wir oben erwähnet haben, seiner eingebildeten Göttlichkeit vergessen zu machen. Ein schwärmender Haufen von jungen Thracischen Weibern war es, welche von der Orphischen Wut begeistert, sich in dieser Nacht versammelt hatten, die unsinnigen Gebräuche zu begehen, die das heidnische Altertum zum Andenken des berühmten Zuges des Bacchus aus Indien eingesetzt hatte. Ohne Zweifel könnte eine ausschweifende Einbildungskraft, oder der Griffel eines la Fage von einer solchen Szene ein ziemlich verführerisches Gemälde machen; allein die Eindrücke die der würkliche Anblick auf unsern jungen Helden machte, waren nichts weniger als von der reizenden Art. Das stürmisch fliegende Haar, die rollenden Augen, die beschäumten Lippen und die aufgeschwollnen Muskeln, die wilden Gebärden und die rasende Fröhlichkeit, mit der diese Unsinnigen in frechen Stellungen, ihre mit zahmen Schlangen umwundnen Thyrsos schüttelten, ihre Klapperbleche zusammen schlugen, oder abgebrochne Dithyramben mit lallender Zunge stammelten; alle diese Ausbrüche einer fanatischen Wut, die ihm nur desto schändlicher vorkam, weil sie den Aberglauben zur Quelle hatte, machten seine Augen unempfindlich, und erweckten ihm einen Ekel vor Reizungen, die mit der Schamhaftigkeit alle ihre Macht auf ihn verloren hatten. Er wollte zurück fliehen, aber es war unmöglich, weil er in eben dem Augenblick, da er sie erblickte, von ihnen bemerkt worden war. Der unerwartete Anblick eines Jünglings, an einem Ort und bei einem Feste, welches kein männliches Aug entweihen durfte, hemmte plötzlich den Lauf ihrer lärmenden Fröhlichkeit, um alle ihre Aufmerksamkeit auf diese Erscheinung zu wenden.

Hier können wir unsern Lesern einen Umstand nicht länger verhalten, der in diese ganze Geschichte einen großen Einfluß hat. Agathon war von einer so wunderbaren Schönheit, daß die Rubens und Girardons seiner Zeit, weil sie die Hoffnung aufgaben, eine vollkommnere Gestalt zu erfinden, oder aus den zerstreuten Schönheiten der Natur zusammen zu setzen, die seinige zum Muster nahmen, wenn sie den Apollo oder Bacchus vorstellen wollten. Niemals hatte ihn ein weibliches Aug erblickt, ohne die Schuld ihres Geschlechts zu bezahlen, welches die Natur für die Schönheit so empfindlich gemacht zu haben scheint, daß diese einzige Eigenschaft den meisten unter ihnen die Abwesenheit aller übrigen verbirgt. Agathon hatte ihr in diesem Augenblick noch mehr zu danken; sie rettete ihn von dem Schicksal des Pentheus. Seine Schönheit setzte diese Mänaden in Erstaunen. Ein Jüngling von einer solchen Gestalt, an einem solchen Ort, zu einer solchen Zeit! Konnten sie ihn für etwas geringers halten, als für den Bacchus selbst? In dem Taumel worin sich ihre Sinnen befanden, war nichts natürlichers als dieser Gedanke; auch gab er ihrer Phantasie auf einmal einen so feurigen Schwung, daß, da sie die Gestalt dieses Gottes vor sich sahen, sie alles übrige hinzudichteten, was ihm zu einem vollständigen Dionysus mangelte. Ihre bezauberten Augen stellten ihnen die Silenen und die Ziegenfüßigen Faunen vor, die um ihn her schwärmten, und Tyger und Leoparden die mit liebkosender Zunge seine Füße leckten; Blumen, so deucht es sie, entsprangen unter seinen Fußsohlen, und Quellen von Wein und Honig sprudelten von jedem seiner Tritte auf, und rannen in schäumenden Bächen die Felsen hinab. Auf einmal erschallte der ganze Berg, der Wald und die benachbarten Felsen von ihrem lauten »Evan, Evan!« mit einem so entsetzlichen Getöse der Trummeln und Klapperbleche, daß Agathon, bei dem das, was er in diesem Augenblick sah und hörte, alles überstieg, was er jemals gesehen, gehört, gedichtet oder geträumt hatte, von Entsetzen und Erstaunung gefesselt, wie eine Bildsäule stehen blieb, indes, daß die entzückten Bacchantinnen gaukelnde Tänze um ihn her machten, und durch tausend unsinnige Gebärden ihre Freude über die vermeinte Gegenwart ihres Gottes ausdrückten.

Drittes Kapitel Unvermutete Unterbrechung des Bacchus-Festes

Inhaltsverzeichnis

Viertes Kapitel Agathon wird zu Schiffe gebracht

Inhaltsverzeichnis

Fünftes Kapitel Eine Entdeckung

Inhaltsverzeichnis

Die aufgehende Sonne, die von der rosenfingrichten Aurora angekündiget, das Jonische Meer mit ihren ersten Strahlen vergoldete, fand alle diejenigen, mit dem Virgil zu reden, von Wein und Schlaf begraben, welche die Nacht durch dem Bacchus und seiner Göttin Schwester geopfert hatten. Nur Agathon, der gewohnt war mit der Morgenröte zu erwachen, wurde von den ersten Strahlen geweckt, die in horizontalen Linien an seiner Stirne hinschlüpften. Indem er die Augen aufschlug, sah er einen jungen Menschen in einer Sklaven-Kleidung vor sich stehen, der ihn mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. So schön als Agathon war, so schien er doch von diesem liebenswürdigen Jüngling an Feinheit der Gestalt und Farbe übertroffen zu werden; in der Tat hatte er in seiner Gesichtsbildung und in seiner ganzen Figur etwas so jungfräuliches, daß er, gleich dem schönen Liebling des Horaz, in weiblicher Kleidung unter einer Schar von Mädchen gemischt, gar leicht das Auge des schärfsten Kenners betrogen haben würde. Agathon erwiderte den Anblick dieses jungen Sklaven mit einer Aufmerksamkeit, in welcher ein angenehmes Erstaunen nach und nach sich bis zur Entzückung erhob. Eben diese Bewegungen enthüllten sich auch in dem anmutigen Gesichte des jungen Sklaven; ihre Seelen erkannten einander in eben demselben Augenblicke, und schienen durch ihre Blicke schon in einander zu fließen, eh ihre Arme sich umfangen, und die von Entzückung bebende Lippen »Psyche – Agathon«, ausrufen konnten. Sie schwiegen eine lange Zeit; dasjenige, was sie empfanden, war über allen Ausdruck; und wozu bedurften sie der Worte? Der Gebrauch der Sprache hört auf, wenn sich die Seelen einander unmittelbar mitteilen, sich unmittelbar anschauen und berühren, und in einem Augenblick mehr empfinden, als die Zunge der Musen selbst in ganzen Jahren auszusprechen vermöchte. Die Sonne würde vielleicht unbemerkt über ihrem Haupt hinweg, und wieder in den Ozean hinab gestiegen sein, ohne daß sie in dem fortdaurenden Augenblick der Entzückung den Wechsel der Stunden bemerkt hätten; wenn nicht Agathon dem es allerdings zukam hierin der erste zu sein, sich mit sanfter Gewalt aus den Armen seiner Psyche losgewunden hätte, um von ihr zu erfahren, durch was für einen Zufall sie in die Gewalt der Seeräuber gekommen sei. »Die Zeit ist kostbar, liebste Psyche« sagte er, »wir müssen uns der Augenblicke bemächtigen, da diese Barbaren, von der Gewalt ihres Gottes bezwungen, zu Boden liegen. Erzähle mir, durch was für einen Zufall wurdest du von meiner Seite gerissen, ohne daß es mir möglich war zu erfahren, wie oder wohin? Und wie finde ich dich itzt in diesem Sklavenkleid, und in der Gewalt dieser Seeräuber?«

Sechstes Kapitel Erzählung der Psyche

Inhaltsverzeichnis

»Du erinnerst dich«, antwortete ihm Psyche, »jener unglücklichen Stunde, da die eifersüchtige Pythia unsre Liebe, so geheim wir sie zu halten vermeinten, entdeckte. Nichts war ihrer Wut zu vergleichen, und es fehlte nur noch, daß ihre Rache nicht mein Leben zum Opfer verlangte; denn sie ließ mich einige Tage alles erfahren, was verschmähte Liebe erfinden kann, eine glückliche Nebenbuhlerin zu quälen. Ob sie es nun gleich in ihrer Gewalt hatte, mich deinen Augen gänzlich zu entziehen, so hielt sie sich doch niemals sicher, so lang ich zu Delphi sein würde. Sie machte bald ein Mittel ausfündig, sich meiner zu entledigen, ohne einigen Argwohn zu erwecken; sie schenkte mich einer Verwandten, die sie zu Syracus hatte, und weil sie mich an diesem Orte weit genug von dir entfernt hielt, säumte sie nicht, mich in der größten Stille nach Corinth, und von da nach Sicilien bringen zu lassen. Die Törin! kannte sie die Macht der Liebe nicht, die Agathon einflößt? Wußte sie nicht, daß keine Scheidung der Leiber durch Länder und Meere meine Seele verhindern könne, aus einer Zone in die andre zu fliegen, und gleich einem liebenden Schatten um dich her zu schweben? Oder hoffte sie, reizender in deinen Augen zu werden, wenn du mich nicht mehr neben ihr sehen würdest? Wie wenig kannte sie unsre Liebe! Nein, wahre Liebe kann so wenig eifersüchtig sein, als sich selbst fühlende Stärke zittern kann. – Ich verließ Delphi mit zerrißnem Herzen. Als ich den letzten Blick auf diese bezauberten Haine heftete, wo deine Liebe mir ein neues Wesen gab, eine neue Würklichkeit, gegen die mein voriges Leben eine ekelhafte Abwechslung von einförmigen Tagen und Nächten, ein ungefühltes Pflanzen-Leben war, als ich diese geliebte Gegend endlich ganz aus den Augen verlor. – Nein, Agathon, ich kann es nicht beschreiben, du kannst es empfinden, du allein – Als ich mich selbst wieder fühlte, erleichtert ein Strom von Tränen mein gepreßtes Herz. Es war eine Art von Wollust in diesen Tränen, ich ließ ihnen freien Lauf, ohne mich zu bekümmern, daß sie gesehen würden. Die Welt schien mir ein leerer Raum, und alle Gegenstände um mich her Träume und Schatten; du und ich waren allein; ich sah, ich hörte nur dich, ich lag an deiner Brust, ich legte meinen Arm um deinen Hals, ich zeigte dir meine Seele in meinen Augen; ich führte dich in die heiligen Schatten, wo du mich die Gegenwart der Unsterblichen fühlen lehrtest; ich lag zu deinen Füßen, und meine an deinen Lippen hangende Seele glaubte den Gesang der Musen zu hören, wenn du sprächest; wir wandelten Hand in Hand beim sanften Mondschein durch elysische Gegenden, oder setzten uns unter die Blumen, stillschweigend, indem unsre Seelen, in ihrer eignen geistigen Sprache sich einander enthüllten, und lauter Licht und Wonne um sich her sahen, und unsterblich zu sein wünschten, um sich ewig lieben zu können. Unter diesen Erinnerungen, deren Lebhaftigkeit alle äußre Empfindungen verdunkelte, beruhigte sich mein Herz allgemach. Ich, die sich selbst nur für einen Teil deines Wesens hielt, konnte nicht glauben, daß wir immer getrennt bleiben würden. Diese Hoffnung machte nun mein Leben aus, und bemächtigte sich meiner so sehr, daß ich wieder heiter wurde. Denn ich zweifelte nicht, ich wußte es, daß du nicht aufhören könntest, mich zu lieben. Ich überließ dich der glühenden Leidenschaft einer mächtigen und reizenden Nebenbuhlerin, ohne sie einen Augenblick zu fürchten. Ich wußte, daß wenn sie es auch so weit bringen könnte, deine Sinnen zu verführen, sie doch unfähig sei, dir eine Liebe einzuflößen wie die unsrige, und daß du dich bald wieder nach derjenigen sehnen würdest, die dich allein glücklich machen, weil sie allein dich lieben kann, wie du geliebt zu sein wünschest. Unter tausend solchen Gedanken kam ich endlich zu Syracus an. Die vorsichtige Priesterin hatte Anstalt gemacht, daß ich nirgend Mittel finden konnte, dir von meinem Aufenthalt Nachricht zu geben. Meine neue Gebieterin war von der guten Art von Geschöpfen, die gemacht sind sich selbst zu gefallen, und sich alles gefallen zu lassen. Ich wurde zu der Ehre bestimmt, den Aufputz ihres schönen Kopfes zu besorgen; und die Art, wie ich dieses Amt verwaltete, erwarb mir ihre Gunst so sehr, daß sie mich beinahe so viel liebte, als ihren Schoßhund. In diesem Zustand hielt ich mich für so glücklich, als ich es ohne deine Gegenwart in einem jeden andern hätte sein können, bis die Ankunft des Sohnes meiner Gebieterin die Szene veränderte.«

Siebentes Kapitel Fortsetzung der Erzählung der Psyche

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»Narcissus, so hieß dieser junge Herr, war von seiner Mutter nach Athen geschickt worden, die Weisen daselbst zu hören, und die feinen Sitten der Athenienser an sich zu nehmen. Allein er hatte keine Zeit gefunden, weder das eine noch das andre zu tun. Einige junge Leute, die er seine Freunde nannte, machten jeden Tag eine neue Lustbarkeit ausfündig, die ihn verhinderte, die schwermütigen Spaziergänge der Philosophen zu besuchen. Überdas hatten ihm die artigsten Sträußermädchen von Athen gesagt, daß er ein sehr liebenswürdiger junger Herr wäre; er hatte es ihnen geglaubt, und sich also keine Mühe gegeben, erst zu werden, was er nach einem so vollgültigen Zeugnis, schon war. Er hatte sich also mit nichts beschäftiget, als seine Person in das gehörige Licht zu setzen; niemand in Athen konnte sich rühmen lächerlicher geputzt zu sein, weißere Zähne und sanftere Hände zu haben als Narcissus. Er war der erste in der Kunst, sich in einem Augenblick zweimal auf einem Fuß herum zu drehen, einen Fächer aufzuheben, oder ein Blumensträußchen an die Stirne einer Dame zu stecken. Bei solchen Vorzügen glaubte er einen natürlichen Beruf zu haben, sich dem weiblichen Geschlecht anzubieten. Die Leichtigkeit womit seine Verdienste über die zärtlichen Herzen der Sträußermädchen gesiegt hatten, machte ihm Mut sich an die Kammermädchen zu wagen, und von diesen Nymphen erhob er sich endlich zu den Göttinnen selbst. Ohne sich zu bekümmern, wie sein Herz aufgenommen wurde, hatte er sich angewöhnt zu glauben, daß er unwiderstehlich sei; und wenn er nicht allemal Proben davon erhielt, so machte er sich dafür schadlos, indem er sich der Gunstbezeugungen am meisten rühmte, die er nicht genossen hatte. – Wunderst du dich, Agathon, woher ich so wohl von ihm unterrichtet bin? Von ihm selbst. Was meine Augen nicht an ihm entdeckten, das sagte mir sein Mund. Denn er selbst war der unerschöpfliche Inhalt seiner Gespräche, so wie der einzige Gegenstand seiner Bewunderung. Ein Liebhaber von dieser Art sollte dem Ansehen nach wenig zu bedeuten haben. Eine Zeit lang belustigte mich seine Torheit; allein er wurde ungestüm. Er fand es unanständig, daß eine Aufwärterin seiner Mutter unempfindlich gegen ein Herz bleiben sollte, um welches die Sträußer-Mädchen zu Athen einander beneidet hatten. Ich ward endlich genötiget, meine Zuflucht zu seiner Mutter zu nehmen. Allein eben diese leutselige Organisation, welche sie gütig gegen sich selbst, gegen ihr Schoßhündchen und gegen alle Welt machte, machte sie auch gütig gegen die Torheiten ihres Sohnes. Sie schien es so gar übel zu nehmen, daß ich von den Vorzügen eines so liebreizenden jungen Herrn nicht stärker gerührt würde. Die Ungeduld über die Anfälle, denen ich beständig ausgesetzt war, gab mir tausendmal den Gedanken ein, mich heimlich hinweg zu stehlen. Allein ich hatte keine Nachricht von dir; ein Reisender von Delphi hatte uns zwar gesagt, daß du daselbst unsichtbar geworden, aber niemand konnte sagen wo du seiest. Diese Ungewißheit stürzte mich in eine Unruhe, die meiner Gesundheit nachteilig zu werden anfing; als eben dieser Narcissus, dessen lächerliche Liebe zu sich selbst mich so lange gequält hatte, mir ohne seine Absicht das Leben wieder gab, indem er erzählte, daß ein gewisser Agathon von Athen, nach einem Sieg über die aufrührischen Einwohner von Euböa, diese Insel seiner Republik wieder unterworfen habe. Die Umstände die er von diesem Agathon hinzu fügte, ließen mich nicht zweifeln, daß du es seiest. Eine Sklavin, die mir gewogen war, beförderte meine Flucht. Sie hatte einen Liebhaber, der sie beredet hatte, sich von ihm entführen zu lassen. Ich half ihr, dieses Vorhaben auszuführen und begleitete sie; der junge Sicilianer verschaffte mir zur Dankbarkeit dieses Sklavenkleid, und brachte mich auf ein Schiff, welches nach Athen bestimmt war. Ich wurde für einen Sklaven ausgegeben, der seinen Herrn zu Athen suchte, und überließ mich zum zweitenmal den Wellen, aber mit ganz andern Empfindungen als das erstemal, da sie nun anstatt mich von dir zu entfernen, uns wieder zusammen bringen sollten.«

Achtes Kapitel Psyche beschließt ihre Erzählung

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Neuntes Kapitel Wie Psyche und Agathon wieder getrennt werden

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Nachdem unsre Liebhaber aus ihrer Entzückung zurückgekommen waren, verlangte Psyche von Agathon eben dieselbe Gefälligkeit, die sie durch Erzählung ihrer Begebenheiten für seine Neugierde gehabt hatte. Er meldete ihr also, wiewohl ihm die Zeit nicht erlaubte umständlich zu sein, auf was Weise er von Delphi entflohen, wie er mit einem Athenienser bekannt geworden, und wie sich entdecket habe, daß dieser Athenienser sein Vater sei; wie er durch einen Zufall in die öffentlichen Angelegenheiten verwickelt und durch seine Beredsamkeit dem Volke angenehm geworden; die Dienste, die er der Republik geleistet; durch was für Mittel seine Neider das Volk wider ihn aufgebracht, und wie er vor wenig Tagen mit Verlust aller seiner väterlichen Güter und Ansprüche lebenslänglich aus Athen verbannt worden; wie er den Entschluß gefaßt, eine Reise in die Morgenländer vorzunehmen, und durch was für einen Zufall er in die Hände der Cilicier geraten. Sie fingen nun auch an, sich über die Mittel ihrer Befreiung zu beratschlagen; allein die Bewegungen, welche die allmählich erwachenden Räuber machten, nötigten Psyche sich aufs eilfertigste zu verbergen, um einem Verdacht zuvorzukommen, wovon der Schatten genug war, ihren Geliebten das Leben zu kosten. Sie beklagten itzt bei sich selbst, daß sie, nach dem Beispiel der Liebhaber in den Romanen, eine so günstige Zeit mit unnötigen Erzählungen verloren, da sie doch voraus sehen konnten, daß ihnen künftig wenig Gelegenheit würde gegeben werden, sich zu besprechen. Allein was sie hierüber hätte trösten können, war, daß alle ihre Beratschlagungen und Erfindungen vergeblich gewesen wären. Denn an eben diesem Morgen erhielt der Hauptmann Nachricht von einem reichbeladnen Schiffe, welches im Begriff sei, von Lesbos nach Corinth abzugehen, und welches, nach den Umständen die der Bericht angab, unterwegs aufgefangen werden könnte. Diese Zeitung veranlaßte eine geheime Beratschlagung unter den Häuptern der Räuber, wovon der Ausschlag war, daß Agathon mit den gefangnen Thracierinnen und einigen andern jungen Sklaven unter einer Bedeckung in eine Barke gesetzt wurde, um ungesäumt nach Smirna geführt und daselbst verkauft zu werden; indes, daß die Galeere mit dem größten Teil der Seeräuber sich fertig machte, der reichen Beute, die sie schon in Gedanken verschlangen, entgegen zu gehen. In diesem Augenblick verlor Agathon die Gelassenheit, mit der er bisher alle Stürme des widrigen Glücks ausgehalten hatte. Der Gedanke, von seiner Psyche wieder getrennt zu werden, setzte ihn außer sich selbst. Er warf sich zu den Füßen des Ciliciers, er schwur ihm, daß der verkleidete Ganymedes sein Bruder sei; er bot sich selbst zu seinem Sklaven an, er flehte, er weinte. – Aber umsonst. Der Seeräuber hatte die Natur des Elements, welches er bewohnte, und die Syrenen selbst hätten ihn nicht bereden können, seinen Entschluß zu ändern. Agathon erhielt nicht einmal die Erlaubnis, von seinem geliebten Bruder Abschied zu nehmen; die Lebhaftigkeit, die er bei diesem Anlaß gezeigt, hatte ihn dem Hauptmann verdächtig gemacht. Er wurde also, von Schmerz und Verzweiflung betäubt, in die Barke getragen, und befand sich schon eine geraume Zeit außer dem Gesichtskreis seiner Psyche, eh er wieder erwachte, um den ganzen Umfang seines Elends zu fühlen.

Zehntes Kapitel Ein Selbstgespräch

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Da wir uns zum unverbrüchlichen Gesetze gemacht haben, in dieser Geschichte alles sorgfältig zu vermeiden, was gegen die historische Wahrheit derselben einigen gerechten Verdacht erwecken könnte; so würden wir uns ein Bedenken gemacht haben, das Selbstgespräch, welches wir hier in unserm Manuskript vor uns finden, mitzuteilen, wenn nicht der ungenannte Verfasser die Vorsicht gebraucht hätte uns zu melden, daß seine Erzählung sich in den meisten Umständen auf eine Art von Tagebuch gründe, welches (sichern Anzeigen nach) von der eignen Hand des Agathon sei, und wovon er durch einen Freund zu Crotona eine Abschrift erhalten. Dieser Umstand macht begreiflich, wie der Geschichtschreiber habe wissen können, was Agathon bei dieser und andern Gelegenheiten mit sich selbst gesprochen; und schützet uns gegen die Einwürfe, die man gegen die Selbstgespräche machen kann, worin die Geschichtschreiber den Poeten so gerne nachzuahmen pflegen, ohne sich, wie sie, auf die Eingebung der Musen berufen zu können.

Unsre Urkunde meldet also, nachdem die erste Wut des Schmerzens, welche allezeit stumm und Gedankenlos zu sein pflegt, sich geleget, habe Agathon sich umgesehen; und da er von allen Seiten nichts als Luft und Wasser um sich her erblickt, habe er, seiner Gewohnheit nach, also mit sich selbst zu philosophieren angefangen:

»War es ein Traum, was mir begegnet ist, oder sah ich sie würklich, hört' ich würklich den rührenden Akzent ihrer süßen Stimme, und umfingen meine Arme keinen Schatten? Wenn es mehr als ein Traum war, warum ist mir von einem Gegenstand, der alle andern aus meiner Seele auslöschte nichts als die Erinnerung übrig? – Wenn Ordnung und Zusammenhang die Kennzeichen der Wahrheit sind, o! wie ähnlich dem ungefähren Spiel der träumenden Phantasie sind die Zufälle meines ganzen Lebens! – Von Kindheit an unter den heiligen Lorbeern des Delphischen Gottes erzogen, schmeichle ich mir unter seinem Schutz, in Beschauung der Wahrheit und im geheimen Umgang mit den Unsterblichen, ein stilles und sorgenfreies Leben zuzubringen. Tage voll Unschuld, einer dem andern gleich, fließen in ruhiger Stille, wie Augenblicke vorbei, und ich werde unvermerkt ein Jüngling. Eine Priesterin, deren Seele eine Wohnung der Götter sein soll, wie ihre Zunge das Werkzeug ihrer Aussprüche, vergißt ihre Gelübde, und bemüht sich meine unerfahrne Jugend zu Befriedigung ihrer Begierde zu mißbrauchen. Ihre Leidenschaft beraubt mich derjenigen, die ich liebe; ihre Nachstellungen treiben mich endlich aus dem geheiligten Schutzort, wo ich, seit dem ich mich selbst empfand, von Bildern der Götter und Helden umgeben, mich einzig beschäftigt hatte, ihnen ähnlich zu werden. In eine unbekannte Welt ausgestoßen, finde ich unvermutet einen Vater und ein Vaterland, die ich nicht kannte. Ein schneller Wechsel von Umständen setzt mich eben so unvermutet in den Besitz des größten Ansehens in Athen. Das blinde Zutrauen eines Volkes, das in seiner Gunst so wenig Maß hält als in seinem Unwillen, nötigt mir die Anführung seines Kriegsheers auf; ein wunderbares Glück kömmt allen meinen Unternehmungen entgegen, und führt meine Anschläge aus; ich kehre siegreich zurück. Welch ein Triumph! Welch ein Zujauchzen! Welche Vergötterung! Und wofür? Für Taten, an denen ich den wenigsten Anteil hatte. Aber kaum schimmert meine Bildsäule zwischen den Bildern des Cecrops und Theseus, so reißt mich eben dieser Pöbel, der vor wenigen Tagen bereit war, mir Altäre aufzurichten, mit ungestümer Wut zum Gerichtsplatz hin. Die Mißgunst derer, die das Übermaß meines Glücks beleidigte, hat schon alle Gemüter wider mich eingenommen, und alle Ohren gegen meine Verteidigung verstopft; Handlungen, worüber mein Herz mir Beifall gibt, werden auf den Lippen meiner Ankläger zu Verbrechen, mein Verdammungs-Urteil wird ausgesprochen. Von allen verlassen, die sich meine Freunde genannt hatten, und kurz zuvor die eifrigsten gewesen waren, neue Ehrenbezeugungen für mich zu erfinden, fliehe ich aus Athen, mit leichterm Herzen, als womit ich vor wenigen Wochen, unter dem Zujauchzen einer unzählbaren Menge, durch ihre Tore eingeführt wurde; und entschließe mich den Erdboden zu durchwandern, ob ich einen Ort finden möchte, wo die Tugend, von auswärtigen Beleidigungen sicher, ihrer eigentümlichen Glückseligkeit genießen könnte, ohne sich aus der Gesellschaft der Menschen zu verbannen. Ich nahm den Weg nach Asien, um an den Ufern des Oxus die Quellen zu besuchen, aus denen die Geheimnisse des Orphischen Gottesdiensts zu uns geflossen sind. Ein Zufall führt mich unter einen Schwarm rasender Bacchantinnen, und ich entrinne ihrer verliebten Wut bloß dadurch, daß ich in die Hände seeräuberischer Barbaren falle. In diesem Augenblicke, da mir von allem was man verlieren kann nur noch das Leben übrig ist, finde ich meine Psyche wieder; aber kaum fange ich an meinen Sinnen zu glauben, daß sie es sei, die ich in meinen Armen umschlossen halte, so verschwindet sie wieder, und ich finde mich auf diesem Schiffe, um zu Smyrna als ein Sklave verkauft zu werden – Wie ähnlich ist alles dieses einem Traum, wo die schwärmende Phantasie, ohne Ordnung, ohne Wahrscheinlichkeit, ohne Zeit oder Ort in Betracht zu ziehen, die betäubte Seele von einem Abenteur zu dem andern, von der Krone zum Bettlers-Mantel, von der Wonne zur Verzweiflung, vom Tartarus ins Elysium fortreißt? – Und ist denn das Leben ein Traum, ein bloßer Traum, so eitel, so unwesentlich, so unbedeutend als ein Traum? Ein unbeständiges Spiel des blinden Zufalls, oder unsichtbarer Geister, die eine grausame Belustigung darin finden, uns zum Scherz bald glücklich bald unglücklich zu machen? Oder, ist es eben diese allgemeine Seele der Welt, deren Dasein die geheimnisvolle Majestät der Natur ankündiget; ist es dieser allesbelebende Geist, der die menschlichen Sachen anordnet; warum herrschet in der moralischen Welt nicht eben diese unveränderliche Ordnung und Zusammenstimmung, wodurch die Elemente die Jahres- und Tages-Zeiten, die Gestirne und die Kreise des Himmels in ihrem gleichförmigen Lauf erhalten werden? Warum leidet der Unschuldige? Warum sieget der Betrüger? Warum verfolgt ein unerbittliches Schicksal die Tugendhaften? Sind unsre Seelen den Unsterblichen verwandt, sind sie Kinder des Himmels; warum verkennt der Himmel sein Geschlecht, und tritt auf die Seite seiner Feinde? Oder hat er uns die Sorge für uns selbst gänzlich überlassen, warum sind wir keinen Augenblick unsers Zustandes Meister? Warum vernichtet bald Notwendigkeit, bald Zufall, die weisesten Entwürfe? –«

Hier hielt Agathon eine Zeitlang inne; sein in Zweifeln verwickelter Geist arbeitete sich loszuwinden, bis ein neuer Blick auf die majestätische Natur die ihn umgab, eine andre Reihe von Vorstellungen in ihm entwickelte. – »Was sind«, fuhr er mit sich selbst fort, »meine Zweifel anders, als Eingebungen der eigennützigen Leidenschaft? Wer war diesen Morgen glücklicher als ich? Alles war Wollust und Wonne um mich her. Hat sich die Natur binnen dieser Zeit verändert, oder ist sie minder der Schauplatz einer grenzenlosen Vollkommenheit, weil Agathon ein Sklave, und von Psyche getrennet ist? Schäme dich, Kleinmütiger, deiner trübsinnigen Zweifel, und deiner unmännlichen Klagen! Wie kannst du Verlust nennen, dessen Besitz kein Gut war? Ist es ein Übel, deines Ansehens, deines Vermögens, deines Vaterlandes beraubt zu sein? Alles dessen beraubt warst du in Delphi glücklich, und vermißtest es nicht. Und warum nennest du Dinge dein, die nicht zu dir selbst gehören, die der Zufall gibt und nimmt, ohne daß es in deiner Willkür steht sie zu erlangen oder zu erhalten? Wie ruhig, wie heiter und glücklich floß mein Leben in Delphi hin, ehe ich die Welt, ihre Geschäfte, ihre Sorgen, ihre Freuden und ihre Abwechselungen kannte; eh ich genötiget war, mit den Leidenschaften andrer Menschen, oder mit meinen eigenen zu kämpfen, mich selbst und den Genuß meines Daseins einem undankbaren Volke aufzuopfern, und unter der vergeblichen Bemühung, Toren oder Lasterhafte glücklich zu machen, selbst unglücklich zu sein! – Meine eigene Erfahrung widerlegt die ungerechten Zweifel des Mißvergnügens am besten. Es waren Augenblicke, Tage, lange Reihen von Tagen, da ich glücklich war, glücklich in den frohen Stunden, da meine Seele, vom Anblick der Natur begeistert, in tiefsinnigen Betrachtungen und süßen Ahnungen, wie in den bezauberten Gärten der Hesperiden irrte; glücklich, wenn mein befriedigtes Herz in den Armen der Liebe, aller Bedürfnisse, aller Wünsche vergaß, und nun zu verstehen glaubte, was die Wonne der Götter sei; glücklicher, wenn in Augenblicken, deren Erinnerung den bittersten Schmerz zu versüßen genug ist, mein Geist in der großen Betrachtung des Ewigen und Unbegrenzten sich verlor – Ja du bist, alles beseelende, alles regierende Güte – ich sah, ich fühlte dich! Ich empfand die Schönheit der Tugend, die dir ähnlich macht; ich genoß die Glückseligkeit, welche Tagen die Schnelligkeit der Augenblicke, und Augenblicken den Wert von Jahrhunderten gibt. Die Macht der Empfindung zerstreut meine Zweifel; die Erinnerung der genossenen Glückseligkeit heilet den gegenwärtigen Schmerz, und verspricht eine bessere Zukunft. Alle diese allgemeine Quellen der Freude, woraus alle Wesen schöpfen, fließen, wie ehmals, um mich her; meine Seele ist noch eben dieselbige, wie die Natur, die mich umgibt – O Ruhe meines Delphischen Lebens, und du, meine Psyche! Dich allein, von allem, was außer mir ist, nenne ich mein, weil du die wertere Hälfte meines Wesens bist – Wenn ihr auf ewig verloren wäret, dann würde meine untröstbare Seele nichts auf Erden finden, das ihr die Liebe zum Leben wieder geben könnte. Aber ich besaß beide, ohne sie mir selbst gegeben zu haben, und die wohltätige Macht, die sie gab, kann sie wiedergeben. Teure Hoffnung, du bist schon ein Anfang der Glückseligkeit, die du versprichst! Es wäre zugleich gottlos und töricht, sich einem Kummer zu überlassen, der den Himmel beleidigt, und uns selbst der Kräfte beraubt, dem Unglück zu widerstehen, und der Mittel, wieder glücklich zu werden. Komm denn, du süße Hoffnung einer bessern Zukunft, und feßle meine Seele mit deinen schmeichelnden Bezauberungen! Ruhe und Psyche – Dieses allein, ihr Götter, so möget ihr Lorbeer-Kränze und Schätze geben, wem ihr wollt!«

Eilftes Kapitel Agathon kömmt zu Smyrna an, und wird verkauft

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Zweites Buch

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Erstes Kapitel Wer der Käufer des Agathon gewesen

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Der Mann, der sich für zwei Talente das Recht erworben hatte, den Agathon als seinen Leibeignen zu behandeln, war einer von den merkwürdigen Leuten, die unter dem Namen der Sophisten in den griechischen Städten umherzogen, sich der edelsten und reichsten Jünglinge bemächtigten, und durch die Annehmlichkeiten ihres Umgangs und die prächtigen Versprechungen, ihre Freunde zu vollkommnen Rednern, Staatsmännern und Feldherren zu machen, das Geheimnis gefunden hatten, welches die Alchymisten bis auf den heutigen Tag vergeblich gesucht haben. Sie wurden von aller Welt mit dem ehrenvollen Namen der Sophisten oder Weisen benennt; allein die Weisheit, von der sie Profession machten, war von der Socratischen, die durch einige Verehrer dieses Atheniensischen Bürgers so berühmt worden ist, so wohl in ihrer Beschaffenheit, als in ihren Würkungen unendlich unterschieden; oder besser zu sagen, sie war die vollkommne Antipode derselbigen. Die Sophisten lehrten die Kunst, die Leidenschaften andrer Menschen zu erregen; Socrates die Kunst, seine eigene zu dämpfen. Jene lehrten, wie man es machen müsse, um weise und tugendhaft zu scheinen; dieser lehrte, wie man es sei. Jene munterten die Jünglinge von Athen auf, sich der Regierung des Staats anzumaßen; Socrates, daß sie vorher die Hälfte ihres Lebens anwenden sollten, sich selbst regieren zu lernen. Jene spotteten der Socratischen Weisheit, die nur in einem schlechten Mantel aufzog, und sich mit einer Mahlzeit für sechs Pfenninge begnügte, da die ihrige in Purpur schimmerte, und offne Tafel hielt. Die Socratische Weisheit war stolz darauf, den Reichtum entbehren zu können; die ihrige wußte, ihn zu erwerben. Sie war gefällig, einschmeichelnd, und wußte alle Gestalten anzunehmen; sie vergötterte die Großen, kroch vor ihren Dienern, tändelte mit den Damen, und schmeichelte allen, welche es bezahlten. Sie war allenthalben an ihrem rechten Platz; beliebt bei Hofe, beliebt an der Toilette, beliebt beim Spiel-Tisch, beliebt beim Adel, beliebt bei den Finanz-Pachtern, beliebt bei den Theater-Göttinnen, beliebt so gar bei der Priesterschaft. Die Socratische war weit entfernt, so liebenswürdig zu sein; sie war trocken und langweilig; sie wußte nicht zu leben; sie war unerträglich, weil sie alles tadelte, und immer Recht hatte; sie wurde von dem geschäftigen Teil der Welt für unnützlich, von dem müßigen für abgeschmackt, und von dem andächtigen gar für gefährlich erklärt. Wir würden nicht fertig werden, wenn wir diese Gegensätze so weit treiben wollten, als wir könnten. Genug, daß die Weisheit der Sophisten einen Vorzug hatte, den ihr die Socratische nicht streitig machen konnte; sie verschaffte ihren Besitzern Reichtum, Ansehen, Ruhm, und ein Leben, das von allem, was die Welt glücklich nennet, überfloß.