Gespräche auf den Punkt - Frank Ertel - E-Book

Gespräche auf den Punkt E-Book

Frank Ertel

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Beschreibung

Ist es Zufall, wenn Gespräche gelingen? Nein, ist es nicht! Das vorliegende Buch dient als Leitfaden, Gespräche punktgenau zu führen. Basis dafür ist das Kommunikationskonzept des zielorientierten Kurzgespräches. Das Buch führt in das Konzept ein und stellt die Methodik verständlich vor. Die Autor:innen erläutern das Vorgehen an Beispielen und für unterschiedliche Anwendungsbereiche. Besonderes Augenmerk gilt dabei den Fragen: Wie sind Gespräche auf den Punkt aufgebaut? Welche Haltung braucht es dazu? Welche Techniken sind nötig? Worauf ist das Augenmerk zu legen? Das Buch zeigt, wie es in kurzer Zeit gelingt, Lösungen zu finden und erste konkrete Schritte zu ermöglichen. Coaching- und Beratungssituationen kommen dabei ebenso in den Blick wie punktgenaues Agieren in Mitarbeitergesprächen, Meetings, Konferenzen und in digitaler Kommunikation. Ein Buch für alle, die besser kommunizieren und Gespräche erfolgreich auf den Punkt bringen möchten.

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Frank Ertel/Christian Klein/Ute Lohmann/Detlev Prößdorf

Gespräche auf den Punkt

Impulse für zielorientierte Gespräche

2., durchgesehene und überarbeitete Auflage

VANDENHOECK & RUPRECHT

Mit 14 Abbildungen und einer Tabelle

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2024 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: © rdnzl/Adobe

Stock Innenabbildungen: © Lena Meurer

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datamatics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-647-99304-1

Inhalt

Vorwort

I Gespräche auf den Punkt bringen

1 Was sind Gespräche auf den Punkt?

2 Wohin soll die Gesprächsreise gehen?

3 Wie lässt sich Kurs halten?

4 Wie verläuft das Gespräch?

5 Drei Dynamiken

6 Als Anwalt der Hoffnung unterwegs sein

II Acht Kostbarkeiten

Kostbarkeit 1: Die Sprache ist der Schlüssel

Kostbarkeit 2: Richtig gute Fragen stellen

Kostbarkeit 3: Entscheidendes hören

Kostbarkeit 4: Auf die Beziehung achten

Kostbarkeit 5: Unnötige Karussellfahrten vermeiden

Kostbarkeit 6: Zu Lösungen kommen

Kostbarkeit 7: Stimme und Körper gezielt einsetzen

Kostbarkeit 8: Einen runden Abschluss finden

III Der besondere Pfiff

1 Sprachbilder aufnehmen

2 Sprachbilder einbringen

3 Geschichten strategisch erz

IV Was noch zur Meisterschaft gehört

1 Die Interaktion im Gespräch

2 Wenn Gespräche nicht auf den Punkt kommen

3 Übung macht den Meister

V Just do it! – Anwendungsgebiete

1 In Konferenzen und Meetings

2 Bei Mitarbeitendengesprächen

3 Bei Workshops, Seminaren und Kursen

4 Bei Konfliktgesprächen

5 In der Beratung per Video, Telefon und Chat

6 Eigenberatung

VI Auf den Punkt – im Überblick!

Anhang

Schritte zur Weiterarbeit

Danksagung

Literatur

Stichwortregister

Anmerkungen

Vorwort

Willkommen im großen weiten Meer der Kommunikation! Die gute Nachricht vorweg: Auf diesem Meer kann man sich zwar verirren, aber nicht untergehen. Denn wie sagte schon Paul Watzlawick treffend: »Man kann nicht nicht kommunizieren!«1

Sie als Leser:in werden vermutlich einiges von Ihren Erlebnissen auf diesem Meer erzählen können: Gespräche ziehen sich in die Länge, in Diskussionen redet man aneinander vorbei, Konferenzen kommen vom Hundertsten ins Tausendste, Besprechungen enden ohne konkretes Ergebnis. Das genaue Gegenteil gibt es aber auch: Man unterhält sich präzise und zielgerichtet, versteht sich auf Anhieb und beide Gesprächspartner gehen anschließend mit dem guten Gefühl auseinander, einen echten Schritt weiter zu sein.

Dieses Buch haben wir geschrieben, um zu zeigen, wie sich das Schlechte vermeiden lässt und das Gute gelingen kann. Um es konkret zu sagen: wie sich Gespräche auf den Punkt bringen lassen! Sie bekommen mit diesem Buch eine detaillierte Karte an die Hand, die Sie befähigt, auf dem Meer der Kommunikation sicher zu navigieren. Wer diese Karte in seinen alltäglichen Begegnungen zur Hand oder besser noch im Kopf hat, wird sich darauf nicht mehr verirren. Mehr noch: Sie werden sich damit in vielfältigsten Gesprächssituationen deutlich sicherer fühlen.

Als Grundlage benutzen wir dazu die Kommunikationstechnik des von Timm H. Lohse entwickelten Konzepts des Kurzgesprächs.2 Nachdem wir das Konzept jahrelang in sozialen Bereichen, in Schule und Telefonseelsorge angewendet und als Trainer:in weitergegeben haben, haben wir zunehmend festgestellt: Es eignet sich hervorragend auch für andere Bereiche. Punktgenau zu kommunizieren ist für einen selbst genauso ein Gewinn wie für alle, die um Klärung oder Rat gebeten werden, sei es in Organisationen, Institutionen oder Verwaltungen.

Wir erläutern Ihnen in diesem Buch, was Sie brauchen, um Gespräche in kurzer Zeit auf den Punkt zu bringen (Kapitel I). Wir stellen Ihnen »Acht Kostbarkeiten« vor, die als Herzstück dieses Buches die wesentlichen Kernelemente des Konzeptes darstellen (Kapitel II). Sie erfahren sodann, wie sich Bilder und Geschichten gewinnbringend einbringen lassen (Kapitel III). Wir zeigen, was es noch braucht, um mit diesem Konzept einen gewissen Grad der Meisterschaft zu erreichen (Kapitel IV). Gegen Ende gehen wir noch auf die Anwendung in anderen Gesprächssituationen wie Meetings, Workshops und der immer bedeutsamer werdenden Onlineberatung ein (Kapitel V). Zum Abschluss haben wir Ihnen alles noch einmal komprimiert »auf den Punkt« gebracht (Kapitel VI). Das soll bei der Fülle der Informationen helfen, den Überblick und hoffentlich auch den Durchblick zu behalten. Außerdem können Sie von hier aus schnell einzelne Elemente aufgreifen, die Sie gezielt einsetzen oder üben wollen.

Dieses Buch ist aus der Praxis für die Praxis geschrieben. Es fließen viele Jahre an Erfahrung mit Gesprächen ein, die wir zu »steuern« hatten. Der Praxisbezug mit Beispielen und die konkrete Anwendbarkeit stehen für uns im Vordergrund, Verweise auf (wissenschaftliche) Literatur sind daher knapp gehalten.

Als geschlechtergemischtes Team von Autor:innen wissen wir um die Sensibilität von gendergerechter Sprache. Wir gendern gern, aber nicht, wenn es den Lesefluss zu sehr beeinträchtigt. Aus reiner Lesefreundlichkeit halten wir uns daher im Zweifel an die maskuline Form und hoffen, dass alle damit gut leben können.

Das Buch soll Ihnen Lust machen, das eine oder andere auszuprobieren. Was dieses Buch jedoch nicht ersetzen kann, ist das eigene Üben. Um noch einmal das Bild aufzunehmen: Die Karte zum Navigieren auf dem großen weiten Meer der Kommunikation geben wir Ihnen hiermit an die Hand. Richtig Freude wird sie Ihnen aber erst machen, wenn Sie sich auch trauen, sich in neue Gewässer vorzuwagen. Dazu möchten wir Sie ausdrücklich ermutigen!

Und nun: Leinen los und gute Fahrt!

Im Sommer 2022

Frank Ertel Christian Klein Ute Lohmann Detlev Prößdorf

I Gespräche auf den Punkt bringen

1 Was sind Gespräche auf den Punkt?

Jede:r wird das kennen: Manchmal kommen Gespräche sehr schnell in die Tiefe und manchmal dauert es gefühlt eine Ewigkeit, bis man beim Kern der Sache ist oder überhaupt in die Nähe eines Ergebnisses kommt. Gespräche können sehr dicht und konzentriert sein. Sie können aber auch langatmig sein und mit Abschweifungen, Wiederholungen und ohne Ergebnis verlaufen.

Welchen Verlauf ein Gespräch – gerade auch im Beratungskontext – nimmt, entscheidet sich oft schon bei der ersten oder zweiten Erwiderung (auch »Intervention« genannt) seitens des Gesprächsführenden. Je nachdem, wie der Gesprächsführende (G) auf die Aussage des Anfragenden (A) reagiert, nehmen Gespräche einen unterschiedlichen Verlauf.

Ein Beispiel: Ein Anfragender kommt zum Gespräch und sagt:

A: Gerade geht bei uns alles drunter und drüber. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich denken soll. Alles ist irgendwie Mist.

Sie als Gesprächsführende:r haben jetzt etliche Optionen, hierauf zu reagieren. Und jede Ihrer Interventionen wird das Gespräch in eine andere Richtung führen.

Sagt G: Was ist denn da bei euch los? –

so wird der Anfragende ermuntert, das Problem zu schildern. Sein Erzählen wird zunächst schwerpunktmäßig auf die Probleme und auf Vergangenes gerichtet.

Sagt G: Das kann ich gut nachvollziehen. Solche Phasen im Leben kenne ich. –

so signalisiert der Gesprächsführende eigene Erfahrungen. Kommunikativ begibt sich das Gespräch jedoch in die Welt des Gesprächsführenden – und damit weg vom Anliegen des Anfragenden.

Sagt G: Wo werden Sie beim Ausmisten anfangen? –

so wird das Gespräch in Richtung eines Lösungsweges gelenkt.

In Gesprächen gilt die alte Weisheit »Wer fragt, der steuert«. Art und Inhalt des Fragens entscheiden maßgeblich, welche Richtung ein Gespräch nimmt. Es gibt kein wirklich »Richtig« oder »Falsch« des Fragens, viele Wege führen hier nach Rom. Allerdings sind einige Wege kürzer und andere länger. Und bei manchen Wegen wird Rom in der zur Verfügung stehenden Zeit gar nicht erreicht. Das ist in der Regel unbefriedigend, vor allem für den Anfragenden, aber auch für Sie als Gesprächsführende:n.

Wollen Sie Gespräche auf den Punkt bringen, ist es sinnvoll, das Gespräch oder einen Teil eines Gespräches auf möglichst wenige, dafür aber zielführende Interventionen zu beschränken. Vermieden wird eine Gesprächsführung, die eher Nebensächliches thematisiert; gefördert wird ein enges sprachliches »Dranbleiben« an einem Lösungsweg für das Gegenüber. Der anfangs noch unbekannte Weg nach Rom, zum eigentlichen Ziel, erfolgt dabei kommunikativ verblüffend elegant unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse des zielorientierten Kurzgespräches.

Der Ansatz des Kurzgespräches basiert auf den Arbeiten von Timm H. Lohse. Seine Erfahrungen in Schwangerschaftskonfliktberatungen ließen ihn nach neuen Wegen in der Gesprächsführung suchen, da die herkömmlichen beraterischen Ansätze und Methoden die ungewollt schwangeren Frauen nicht erreichten. Im Studium der Protokolle dieser Gespräche entdeckte Lohse einen Weg, wie eine betroffene Frau aus der Fixierung auf die Lösung ihres Schwangerschaftskonflikts befreit und ihr der Zugang zu den ihr eigenen vielschichtigen Kräften mobilisiert werden kann, um eine autonome Lebensführung für sich zu verwirklichen. Daraus entwickelte er sein erstmals 2003 veröffentlichtes Konzept „Das Kurzgespräch in Seelsorge und Beratung“.

Die von Lohse zusammengestellten kommunikativen Fertigkeiten für ein gutes Gespräch übernehmen wir, stärken und erweitern jedoch den Aspekt der Zielorientierung, um die Anwendungsmöglichkeit des Kurzgespräches auf Settings außerhalb von Seelsorge und Beratung zu erweitern.3

Wir verstehen somit unter „Gespräche auf den Punkt“ eine spezifische Kommunikationsform, die es ermöglicht, Gespräche in unterschiedlichen Settings sicher und kompetent zu steuern. Ihr Ziel ist ein erster konkreter Schritt aus einer problematischen oder unbefriedigenden Ausgangslage heraus.

Sechs Grundsätze bilden dazu die Basis:

1. Ich sehe deine Schwächen, baue aber auf deine Stärken!

Wir begegnen dem anderen mit einer wertschätzenden Haltung. Wir sehen im Anfragenden kein unselbstständiges Mängelwesen, sondern einen wertvollen Menschen, dem mit Achtung und Wertschätzung zu begegnen ist. Wir sehen mehr seine Möglichkeiten als seine Einschränkungen, egal, wie sich seine momentane Situation auch darstellt.

2. Ich weiß nicht, wie es dir geht – sag du es mir!

Jeder Mensch sieht die Welt mit eigenen Augen – er konstruiert sich sozusagen seine eigene Welt. Vollständig »verstehen« kann man die Welt eines anderen nie, aber man kann trotzdem mit ihr interagieren. Unsere kommunikativen Impulse zielen darauf, nicht unsere eigene Sicht und unser eigenes Deuten in den Vordergrund zu stellen, sondern den Gesprächspartner sich selbst deuten zu lassen.

3. Mich interessiert nicht das Problem – mich interessiert die Lösung!

Gewöhnlich wird viel Energie in einem Gespräch darauf verwendet, das Problem und die Vergangenheit zu schildern. Man meint, damit der Lösung näherzukommen. Wir gehen jedoch den umgekehrten Weg: Wir fragen mit hoher Intensität nach der Lösung und der Zukunft und nehmen nur so viel vom Problem mit in den Blick, wie dafür benötigt wird.

4. Du bist Expert:in für dein Problem – und damit auch für die Lösung!

Wir verstehen uns nicht als allwissende Berater – dafür kennen wir die Person und ihr Problem viel zu wenig. Wir sind auch nur in begrenztem Maße Helfer. Vielmehr sind wir aufmerksame Begleiter auf einem kurzen gemeinsamen Stück. Wir klären, wir unterstützen und manchmal irritieren wir auch. Um ein Bild zu gebrauchen: Wir sind der Steuermann für eine Fahrt zu neuen Ufern. Der Anfragende jedoch ist und bleibt der Kapitän seines Lebensschiffes.

5. Wir nutzen die Gunst des Augenblicks.

Für sein Anliegen hat der Anfragende sich einen ihm passend erscheinenden Moment und Ort ausgesucht (z. B. »zwischen Tür und Angel«). Dem versuchen wir gerecht zu werden und mit voller Aufmerksamkeit alle darin liegenden Möglichkeiten zu nutzen. Und wir beschränken uns auf diesen einen Moment! In der Regel gibt es am Ende dieser Gespräche keine Versprechen, Folgetermine oder weitergehenden Verabredungen. In der zur Verfügung stehenden Zeit wird ein erster konkreter Schritt erreicht.

6. Wir glauben an die Kraft des ersten erfolgreichen Schrittes.

Wir wissen, dass sich ein über eine lange Zeit entstandenes Problem mit vielen Facetten kaum umfassend in einem kurzen Gespräch lösen lässt. Wir vertrauen aber darauf, dass auf einen ersten erfolgreichen Schritt viele weitere solcher Schritte folgen können. Wir setzen unsere Energie daher in diesen ersten Schritt des Anfragenden.

Diese sechs Grundsätze sind mehr als praktische Hinweise. Sie skizzieren die Haltung, aus der heraus kommunikativ gehandelt wird. Ohne diese sechs Grundsätze laufen die im Weiteren beschriebenen kommunikativen Elemente Gefahr, lediglich eine reine Methode (also eine Gesprächstechnik) zu sein. Umgekehrt lässt aber erst die Methode die Haltung praktisch werden – ansonsten bliebe sie reine Gesinnung. Die beiden Teile organisch zu verbinden ist die entscheidende Fertigkeit, die es braucht, um Gespräche gut auf den Punkt zu bringen.

2 Wohin soll die Gesprächsreise gehen?

Aber wie schafft man das nun – ein Gespräch auf den Punkt zu bringen? Schauen wir uns an, wie aus einem kurzen Gespräch ein langes Gespräch wird.

Stellen Sie sich einen jungen Menschen vor, der Sie anspricht. Nach einer kurzen Einleitungssequenz wird deutlich, was ihn bewegt:

A: Ich habe seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Vater!

Was denken Sie: Wird das eher ein kurzes oder ein eher langes Gespräch? – Die meisten Menschen antworten auf diese Frage: Das wird vermutlich eher ein langes Gespräch, weil hinter der Aussage eine sehr lange Vorgeschichte steckt.

Will man ein solches Gespräch auf den Punkt bringen, ist es nicht nötig, das Problem in seiner ganzen Bandbreite zu erfassen. Es geht für Sie als Gesprächsführende:n nicht darum, möglichst viele Details aus der Vergangenheit zu erfahren. Sondern es geht darum, dass der Anfragende einen guten ersten Impuls bekommt, um einen ersten gedanklichen Schritt hinaus aus seinem Problem bzw. Ursprungsdilemma zu machen.

Es wird dann ein längeres Gespräch, wenn auf die Geschichte und damit auf die Vergangenheit eingegangen wird. Dies ermuntert das Gegenüber, immer mehr Details zu erzählen. Diese Details mögen zwar interessant sein, führen aber nicht aus dem Dilemma hinaus. Im Gegenteil: Beide Gesprächspartner geraten hierbei leicht in ein Problemkarussell, bei dem – wie bei einem echten Jahrmarktskarussell – zwar viele bunte Details zu sehen sind und die unterschiedlichsten Gefühle frei werden. Aber bereits nach kurzer Zeit merkt man: Es wiederholt sich alles, ohne dass man wirklich vom Fleck kommt. Im schlimmsten Fall wird Ihnen als Gesprächsführende:r bei dieser Karussellfahrt sogar schwindelig. Man will eigentlich nur noch aussteigen. Doch das ist schwieriger als gedacht. Aussagen wie »Ich bin den einfach nicht mehr losgeworden« oder »Die war gar nicht mehr zu stoppen« zeugen von einer solchen ungewollten Karussellfahrt.

Dabei tun wir als Gesprächsführende oft einiges, damit sich das Karussell dreht:

A: Ich habe seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Vater!

G: Wie kommt denn das? Was ist da passiert?

So gefragt wird der Anfragende angeregt, aus der Vergangenheit zu erzählen. Das befördert das Erzählen von Details, wodurch das Gespräch Länge bekommt. Oder:

A: Ich habe seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Vater!

G: Das tut mir leid zu hören. Wie geht es Ihnen jetzt damit?

Hierbei wird der Anfragende angeregt, Stimmungen und Gefühle zu verbalisieren. Empathie seitens des Gesprächsführenden ist enorm wichtig! Jedoch kann und wird diese bei Gesprächen auf den Punkt anders, nämlich vorwiegend nonverbal ausgedrückt.

Als Gesprächsführende:r vermeiden Sie somit, Impulse zu setzen, die das Kreisen des Problemkarussells fördern. Es soll darum gehen, das Karussell im Kopf und im Erzählen des Gegenübers zu stoppen. Erst wenn das jeweilige Karussell gestoppt ist, kann aus dem gewohnten Drehen der Gedanken ausgestiegen werden und sich das Denken in eine neue Richtung bewegen.

Gespräche werden dann auf den Punkt gebracht, wenn es gelingt, der Versuchung eines Nachfragens nach Details der Geschichte (z. B. »Was war denn da los?«) und auch eines Nachfragens nach der emotionalen Befindlichkeit (z. B. »Was macht das mit Ihnen?«) zu widerstehen. Ein gut vorgetragener und das bisherige Denken sanft verstörender Impuls bringen hingegen die Gesprächsreise deutlich schneller Richtung Ziel, weil dem Anfragenden eine neue Blick- und Denkrichtung eröffnet wird. In diesem konkreten Beispiel könnte ein solcher Impuls z. B. sein:

A: Ich habe seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Vater!

G: Und was soll nun aus diesem Kontakt für Sie werden4

Der Anfragende wird dadurch angeregt, nicht in die Vergangenheit zu schauen, sondern vom Hier und Jetzt aus nach vorn zu blicken.

Die Perspektive ändert sich grundsätzlich:

– weg von der Vergangenheit – hin zur Zukunft

– weg vom Bekannten – hin zu neuen Betrachtungsweisen

– weg von Eingefahrenem – hin zu neuen Möglichkeiten

Richtung, Verlauf und Länge eines Gespräches werden von beiden Gesprächspartnern geprägt. Sind Sie angefragt, steuern Sie jedoch durch die Art und Weise Ihrer Interventionen entscheidend die Gesprächsreise mit. Der Anfragende ist in der Regel nicht in der Lage, aus dem Schlingern und Kreisen in eine zielgerichtete Bewegung zu kommen. Dies ist Ihre Aufgabe als Gesprächsführende:r. Sie haben wesentlichen Anteil daran, ob die Gesprächsreise kurz oder lang, intensiv oder ausschweifend, mit einer Zieleinfahrt in einen Hafen oder mit einem Stranden auf einer kommunikativen

Sandbank endet. Jederzeit können Sie aber an Ihrer kommunikativen Navigationskunst arbeiten und damit Ihren Beitrag leisten, dass die Gesprächsreise eine Richtung bekommt und ihr Ziel erreicht!

3 Wie lässt sich Kurs halten?

In den Grundsätzen zum Kurzgespräch in Kapitel I.1 hatten wir erläutert, dass das Verhältnis der Gesprächspartner im Kurzgespräch vergleichbar ist mit dem von Kapitän und Steuermann. Deuten wir dieses Verhältnis noch ein wenig aus: Der Kapitän ist einer, der in seinem momentanen Hafen nicht länger bleiben kann oder will. Sie kennen seine Gründe dafür nicht, zumindest nicht alle. Sie bekommen nur vage mit: Er will da raus. Und jetzt ist für ihn der richtige Moment gekommen, dies ernsthaft anzugehen und loszufahren. Dazu heuert er Sie als Steuermann an. Eigentlich ein ziemlich abenteuerliches Unternehmen: Weder er noch Sie wissen am Anfang genau, wo es hingehen soll. Erst allmählich wird ein neuer Zielhafen erkennbar – näher oder weiter entfernt. Dieser Hafen ist nicht das Ziel aller Wünsche und das Ende aller Probleme. Aber zumindest eine der ursprünglichen Belastungen hat man bei der Einfahrt in diesen Zielhafen hinter sich gelassen. Damit hat sich die Ausfahrt gelohnt.

Bei Kurzgesprächen gilt diesem neuen Ziel von Anfang bis Ende die Aufmerksamkeit und alles ist darauf ausgelegt, es auf möglichst kurzer Route zu erreichen. Gäbe es dieses Ziel nicht, wäre die Fahrt womöglich einfach nur eine lustige Seefahrt, die von den momentanen Problemen ablenkt. Aber sie wäre nicht das, wozu man ursprünglich aufgebrochen ist. Erst das Ziel gibt der gemeinsamen (Gesprächs-)Reise die Ausrichtung und strukturiert alle Bemühungen. Daher ist es nur redlich, diese gemeinsame Reise auch präzise zu benennen. Sie führen ein Gespräch mit dem vorrangigen Ziel, auf kurzem Weg neue Lebens- oder Handlungsperspektiven für den Anfragenden zu erreichen – ein zielorientiertes Kurzgespräch5.

Hat man erst einmal den Hafen verlassen und ein neues Ziel anvisiert, gilt es, einen klaren Kurs zu halten. Doch gibt es gewöhnlich keine Seezeichen auf hoher See. Dafür gibt es Strömungen, die das Schiff abtreiben lassen, und Winde, die zuweilen kräftig wehen und ihm manchmal sogar entgegenstehen. Und ehe man sich versieht, ist das Schiff vom Kompasskurs abgekommen. In der Seemannssprache nennt man diese Einflüsse durch Wind und Strömung »Drift«. Um trotz der Drift auf Kurs zu bleiben, muss der Zielkurs immer wieder überprüft und korrigiert werden.

Ähnlich wie in der Seefahrt gibt es auch in Gesprächen manches, was vom eingeschlagenen Kurs abbringen kann, z. B.:

A: Also meine Frau meint …

Das ist ein verlockendes Angebot. Schließlich ist man als Gesprächsführende:r ja auch ein wenig neugierig. Aber das Gespräch wird dann in eine Richtung abdriften, die nicht zum Ziel führt. Denn was die Frau meint, ist in der Regel eine Nebenströmung.

Eine Möglichkeit, mit dieser Nebenströmung umzugehen und auf Kurs zu bleiben, wäre:

G: Und was meinen Sie

Nehmen wir noch ein zweites Beispiel. Der Anfragende sagt:

A: Das tut noch immer weh, wenn ich daran denke …

Diese Aussage kann dazu führen, dass Sie sich als Gesprächsführende:r von dem zugrunde liegenden Schmerz einfangen lassen. Eine Möglichkeit, auf Kurs zu bleiben, wäre:

G: Und was tut Ihnen gut, wenn Sie daran denken

Auch beliebt ist es, seitens des Anfragenden schnelle Lösungen einzubringen:

A: Ach, ich könnte ja einfach mal …

Gerade solche schnellen Ideen sind für beide Gesprächspartner attraktiv: Ein schnelles Ende einer anstrengenden Reise winkt! Aber genau das ist auch der Haken: Sie sind meist mehr ein verlockendes Alternativangebot als eine wirkliche zielorientierte Lösung, die mit Mühe erarbeitet werden muss. Nebenbei bemerkt: Solche schnellen Alternativen werden meistens auch nicht umgesetzt. Hier ließe sich fragen:

G: Wie können Sie Ihrem Ziel wirklich näherkommen

Sie merken: Es wirken so viele kommunikative Kräfte auf den Gesprächsverlauf ein, dass es eine gute kommunikative Steuermannskunst braucht, um den Kurs zu halten. Dabei muss der Steuermann zwei Punkte im Blick behalten: erstens das Ziel und zweitens den aktuellen Standpunkt. Immer wieder werden Sie abgleichen und korrigieren müssen, damit die Drift Sie nicht vom gewählten Kurs abbringt und das Gespräch nicht buchstäblich »aus dem Ruder« läuft.

4 Wie verläuft das Gespräch?

Jedes Gespräch ist unterschiedlich. So unterschiedlich wie die Menschen, die es führen. Trotzdem lässt sich für Gespräche, die auf den Punkt kommen sollen, eine gemeinsam zugrunde liegende Struktur entdecken.

Am Anfang kommt der Anfragende mit einem drängenden Problem, aber wenig Perspektive. Details und Einzelfragen haben es für ihn zu einem komplexen »Knäuel« von vielen Fäden werden lassen, die er nicht entwirren kann. Hat man genug Zeit und Muße, kann man sich mit ihm daran begeben, alle einzelnen Fäden zu entwirren und so das Problem zu lösen. Beides haben Sie im Alltag gewöhnlich nicht. So besteht die erste Phase