Gestalttherapie mit Gruppen - Josta Bernstädt - E-Book

Gestalttherapie mit Gruppen E-Book

Josta Bernstädt

0,0

Beschreibung

Dieses Handbuch ist die erste umfassende monographische Einführung in die gestalttherapeutische Arbeit mit Gruppen. Die zahlreichen Praxisbeispiele und der umfangreiche Anhang mit Übungen und Experimenten machen es zu einem Nachschlagewerk für die tägliche psychotherapeutische Praxis.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 421

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



JOSTABERNSTÄDT/ STEFANHAHN

GESTALTTHERAPIEMITGRUPPEN

EHP – Edition Humanistische Psychologie

Hg. Anna und Milan Sreckovic

Autorin und Autor

Josta Bernstädt, Jg. 1952; Psychologie-Studium an der FU Berlin; 1979 Umzug nach Edinburgh, dort Ausbildung in Gestalt- und Körpertherapie (Lomi) und freiberuflich in eigener Praxis tätig; Mitbegründerin und ehemalige Ausbildungsleiterin des Gestalt Training Institute Edinburgh; ihre wichtigsten Lehrer waren Ischa Bloomberg, Hilda Courtney und Roger Trenka-Dalton; 1996 Rückkehr nach Deutschland; 1999 bis 2009 Lehrtherapeutin für das Gestalt Institut Kontakte mit dem Schwerpunkt Gestaltarbeit mit Gruppen; seit kurzem Lehrtherapeutin für das Gestalt Institut Hamburg; mehrjährige Erfahrung im klinischen Bereich in der Gruppentherapie für Drogenabhängige; arbeitet zurzeit in der forensischen Psychiatrie bei Andernach; bietet in ihrer Praxis in Koblenz Therapie- und Fortbildungsgruppen an; Informationen unter: www.psychotherapie-koblenz.org.

Stefan Hahn, Jg. 1968; Ausbildung zum Heilerzieher, Studien in Psychologie, Theologie und Pädagogik; Weiterbildung in Transaktionsanalyse und Ausbildung in Gestalttherapie seit 1996, Weiterbildung in Gruppentherapie bei Gunther Schmidt, Heidelberg und Bud Feder, USA; Heilpraktiker für Psychotherapie; 1989 für ein Jahr Ordensnovize, seitdem mit der Thematik Gruppen und Gemeinschaft beschäftigt; seit 1993 Tätigkeit im sozialen Bereich, zunächst in einer Einrichtung der Jugendhilfe, danach in der Forensischen Psychiatrie und seit zehn Jahren in einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie in eigener Praxis; lang-jährige Erfahrung mit ambulanten und stationären Gruppentherapien; Mitglied in der Redaktion der Zeitschrift Gestalttherapie und Regional Contact Person der Association for the Advancement of Gestalttherapie.

Josta Bernstädt / Stefan Hahn

GESTALTTHERAPIEMITGRUPPEN

Handbuch für Ausbildung und Praxis

Mit einem Vorwort von Bud Feder

und einem Interview mit Gordon Wheeler

– EHP 2010 –

© 2010 EHP - Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach www.ehp.biz

Vorwort von Bud Feder aus dem Amerikanischen übersetzt von Manfred Schnee

Redaktion: Benjamin Uhl

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagentwurf: Gerd Struwe, Uwe Giese

– unter Verwendung eines Bildes (Ausschnitt) von Dorothea Cyran-Daboul: ›Untitled‹

Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Alle Rechte vorbehalten

All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

EPUB-ISBN 978-3-89797-510-1

Inhalt

Geleitwort von Peter Schulthess

Vorwort von Bud Feder

Einleitung

TEIL 1

Gruppenleiten – von der Angst zu mehr Sicherheit

Alles könnte außer Kontrolle geraten

Sie könnten abgelehnt werden und sich lächerlich machen

Ihnen könnte nichts mehr einfallen

Sie könnten Schaden anrichten

Sie könnten Wichtiges übersehen

Aufkommende Konflikte könnten die Gruppe sprengen

Wir fangen an

Der innere Supervisor

Die Kultivierung des inneren Supervisors

Die Auswertung des bisherigen Gruppengeschehens

Die Selbstfürsorge des inneren Supervisors

Zusammenfassung der Aufgaben des inneren Supervisors

So könnte es weitergehen – einige allgemeine Prinzipien

Figur-Hintergrund als Orientierungshilfe

Über Verlangsamung zum Gewahrsein bis zur Entautomatisierung

Vom Allgemeinen zum Spezifischen, vom Abstrakten zum Konkreten

Offene und geschlossene Gestalten

Einen Fokus finden und halten

Das volle Potenzial einer Gruppe nutzen lernen

Der therapeutische Prozess in der Gruppe

Landkarte für Veränderungsprozesse in der Gruppe

Aufbau einer therapeutischen Beziehung

Kontakt und dessen Vermeidung

Widerstand und offene Gestalten

Von der Angst zur Erregung

Die Erregung in spontanes Handeln einfließen lassen

Die Erfahrung aus der Gruppe in den Alltag übertragen

Ich, Du und Wir im Gruppenprozess

Die Gruppe als Organismus

Die Gestaltgruppe als ideales Lernfeld

Die Entwicklung von Verbindlichkeit

Der Kontaktzyklus als Modell der Bedürfnisregulierung in der Gruppe

Der Kontaktzyklus, übertragen auf ganzheitliche Erfahrungseinheiten im Gruppengeschehen

Unterschiedliche Modelle für den Entwicklungsverlauf einer Gruppe

Entwicklungsmodell einer Gestaltgruppe

Konzentration auf das Hier-und-Jetzt in der Gruppe

Statt über etwas zu reden, jemanden direkt ansprechen

Was können wir hier und jetzt in der Gruppe miteinander tun?

Das Dort-und-Jetzt entspricht dem Hier-und-Jetzt in der Gruppe

Vom Dort-und-Damals ins Hier-und-Jetzt

Vom Dort-und-Jetzt ins Hier-und-Jetzt

Ich, Du und Wir im Hier-und-Jetzt in der Gruppe

Träume als Botschaft im Hier-und-Jetzt der Gruppe

Das Wahrnehmungskontinuum

Feedback geben

Das Johari-Fenster

Unterschiedliche Formen von Feedback

Rückmeldungen annehmbar gestalten

Auf das richtige Timing kommt es an

Feedback für Diaden und Paare

Klärung des Gruppenprozesses

Der Unterschied zwischen Inhalt und Prozess

Warum Prozessbeobachtungen so wichtig sind

Was lässt sich beobachten?

Was teile ich mit?

Wie teile ich mit?

Mitten drin – einige allgemeine Prinzipien

Die Kreativität des Gruppenleiters

Lösung chronischer Fixierung

Die Gruppe als Container für regressive Ablösearbeit

Techniken, die aus der Tiefung führen

Umgang mit autonomen Körperreaktionen

Vertiefung der Selbsterfahrung durch Körperarbeit

Typische Gruppenprozesse

Untergruppenbildung

Interventionsmöglichkeiten bei Festhalten an rigider Untergruppe

Über einen direktiven Eingriff in den Gruppenprozess

Pairing

Interventionsmöglichkeiten bei Bildung rigider Paare

Ein Fall von Selbstregulation

Splitting

Therapeutischer Umgang mit Spaltungsprozessen

Splitting und projektive Identifikation

Interventionsmöglichkeiten bei Kontaktunterbrechungen im Gruppengeschehen

Kontaktunterbrechungen des Individuums werden immer unter Einbeziehung der Gruppe bearbeitet

Typische Beispiele für Kontaktunterbrechungenim Gruppengeschehen anhand des Kontaktzyklus

Konfluenz

Retroflexion und Projektion

Egotismus, Projektion und Introjektion

Konfluenz

Retroflexion, Introjektion und Konfluenz

Übertragung und Gegenübertragung

Übertragung und Gegenübertragung als Sonderform von Projektion

Übertragung und Gegenübertragung im Unterschied zu einer einfachen Projektion

Übertragung und Gegenübertragung als komplexes und fixiertes Muster von Kontaktunterbrechungen

Erkennen von und Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung

Übertragung als Zugangsweg zur Wirklichkeit

Übertragung und Transparenz

Abstinenz versus Transparenz

Was brauchen Sie, um arbeitsfähig zu bleiben?

Arbeit mit der Gruppe als Ganzes

Die Gruppe im Nebel – Auflösung einer konfluenten Gruppenkultur

Die Gruppe im Wellnessbad – spielerische Aufweichung von Rollenfixierung

Die heilende Kraft der Gruppe

Das kreative Potenzial der Gruppe nutzen

Theatralische Bearbeitung offener Gestalten

Arbeit mit Polaritäten – sich verkleiden

Traumarbeit

Wenn das mein Traum wäre …

Der Traum als Projektion innerpsychischer Konflikte

Arbeit mit Märchen

Arbeiten mit dem Alter-Ego

Wir nähern uns dem Ende

Kurzlebige themenzentrierte Gruppen

Institutionelle Supervisions- oder Fortbildungsgruppen

Ausbildungsgruppen

Therapiegruppen

Unterschiedliche Reaktionen auf das angekündigte Ende

Eine detaillierte Landkarte für die Abschlussphase einer Gruppe

Faktoren, die einen befriedigenden Gruppenabschluss begünstigen

Die letzten Treffen entlang einer Prioritätenliste planen

Beispiele für typische Gruppenepisoden aus der Abschlussphase

TEIL 2

Gestalt-Gruppentherapie in der psychiatrischen Akutklinik

Einleitung

Das Feld

Rahmenbedingungen

Entwicklung meiner Annahmen

Fundamente

Ziele der stationären Gruppentherapie

Konsequenzen für die Behandlung

Die Nutzung von Gruppenphasen

Krisensituationen

Abschluss

TEIL 3

Anhang

Vorschläge für Experimente und Gruppenaktivitäten

Für Gruppen in der Anfangsphase

1. Sich mit Namen und Eigenschaften vorstellen

(Mit der Polarität experimentieren)

2. Sich als Tier vorstellen – Projektion

3. Du damals als Kind – Projektion

4. Ich, Du, Ihr …

5. Einige leere Stühle …

6. Herausfinden von Gemeinsamkeiten und Unterschieden

7. Vergleichende Aufstellungen

Für Gruppen, die schon eine Weile zusammen sind

1. Rangordnung

2. Gruppenkörper

3. Zur Erfahrung unterschiedlicher Kontaktfunktionen

(Schauen,Hören , Riechen, Schmecken, Spüren, Töne, Stimme und Sprache )

4. Gehmeditation

5. Führen und geführt werden

Für Gruppen, die sich dem Ende nähern

1. Abschied und Trennung in der bisherigen Biographie

2. Gemeinsame Rückschau auf die Geschichte der Gruppe

3. Gemeinsame Rückschau auf die Innere Reise des Einzelnen

4. Abschließende Rückmeldungen und Auswertungen

5. Abschlussrituale für die Gruppe

(Ein Abschiedsgeschenk,Zum Abschied eine Klangmassage)

Interview mit Gordon Wheeler

Literaturverzeichnis

Geleitwort

Von Beginn an war die Gestalttherapie als Gruppentherapie konzipiert. Die Ausbildung in Gestalttherapie findet traditionell seit ihren Anfängen im Gruppensetting statt. Heute praktizieren jedoch die meisten GestalttherapeutInnen Einzeltherapie, nur wenige führen Therapiegruppen außerhalb des Ausbildungssettings durch. Eher noch jene, die in Kliniken arbeiten. Das war in den 70er-Jahren noch anders. Als Auszubildende waren wir gefordert, ab dem 3. Ausbildungsjahr eine Gestalt-Selbsterfahrungsgruppe zu leiten und in die Supervision einzubringen. Allerdings scheint in der freien Praxis die Nachfrage nach Gruppentherapie auch etwas zurückgegangen zu sein, die Faszination des Gruppenerlebnisses wich zurück, dafür erhöhte sich die Bereitschaft zur Einzeltherapie. Es ist bedauerlich, dass weniger in Gruppen gearbeitet wird, denn das Gruppensetting bewährt sich sehr und bietet Möglichkeiten des Therapierens, die im Einzelsetting nicht möglich sind.

Erstaunlich ist, dass es nicht mehr Literatur zur Arbeit in Gruppen1 gibt unter der mittlerweile doch umfangreichen Literatur zur Gestalttherapie. Ob das Gruppensetting in der Gestalttherapie zu selbstverständlich ist, als dass man es speziell reflektieren würde? Dabei verdient es diese Reflexion sehr, gerade in einem Therapieansatz, der wesentlich von der Feldtheorie und dem Umgang mit Gestaltbildungsprozessen geprägt ist und prozessorientiert (also auch gruppenprozessorientiert) vorgeht.

Oft fragen mich jüngere KollegInnen, die eben ihre Ausbildung zum Gestalttherapeuten abgeschlossen haben, wo man denn eine Weiterbildung in Gestalt-Gruppentherapie machen könne. Ich bin dann jeweils erstaunt, weil die Ausbildungsgänge ja in Gruppenform erfolgen und somit eigentlich auch eine Ausbildung in Gruppentherapie abgeben sollten.

Viele AbsolventInnen von Gestalttherapieausbildungen (aber auch erfahrene Profis und AusbilderInnen) fühlen sich jedoch unsicher in der Gruppenarbeit, wenn es um den Einbezug der Gruppendynamik und um Arbeitsweisen mit der Gruppe als Ganzes geht. Sie kennen wohl den Stil der Einzelarbeit in der Gruppe, wie ihn Fritz Perls zu Demonstrationszwecken praktizierte, weniger aber das gruppenorientierte oder gruppenzentrierte Arbeiten. Der Übergang von der Einzeltherapie in der Gruppe zur eigentlichen Gruppentherapie, welche auch die Therapie der Gruppe mit einschließt, ist wesentlich am Cleveland Institut vorangetrieben worden.

Umso mehr ist es mir eine Freude, dass in diesem Buch eine erfahrene Praktikerin aus der Gruppenarbeit in freier Praxis und Ausbildung sowie ein erfahrener Praktiker der stationären Arbeit einer Klinik aus ihrem Erfahrungsschatz berichten. Dieses Buch ist wohltuend anschaulich aus der Praxis für die Praxis geschrieben. Es lässt die Lesenden den beiden erfahrenen Autoren »über die Schulter« sehen.

Es wird in diesem Band anschaulich gezeigt, dass Gestalt-Gruppenarbeit mehr – und etwas anderes – ist als »bloß« Einzeltherapie in bzw. vor der Gruppe. Durch die hohe Praxisorientierung werden viele Anregungen gegeben, wie in bestimmten Phasen der Gruppenarbeit vorgegangen werden kann und soll.

Ein solches Buch hat bisher gefehlt. Mögen viele angehende GestalttherapeutInnen darin die nötige Unterstützung und Orientierung finden. Und mögen sich viele, die sich die Arbeit mit Gruppen nicht so recht zutrauen, durch dieses Buch ermuntert fühlen, ebenfalls mit Gruppenarbeit zu beginnen. Es soll jedoch nicht als Kochbuch verstanden werden, vielmehr kann die persönliche Darstellung des eigenen Arbeitsstils der Autorin und des Autors dazu ermutigen, einen eigenen Arbeitsstil mit Gruppen zu entwickeln, der sich aber natürlich an hier beschriebenen Leitlinien orientieren wird. So wenig die Gestalttherapie sich manualisieren lässt, sondern so eingesetzt wird, dass sie mit jedem Klienten und jeder Klientin anders aussehen kann, so wenig lässt sie sich für die Gruppentherapie rezeptartig manualisieren, denn jede Gruppe ist anders.

Ich wünsche viel Spaß und Anregung beim Lesen und danke Josta Bernstädt und Stefan Hahn für dieses Buch.

Peter Schulthess,

Präsident der European Association for Gestalt Therapy, EAGT

Zürich im Sommer 2010

Anmerkung

1. vgl. Literaturverzeichnis im Anhang, S. 299

Vorwort

Ein Vorwort sollte meiner Meinung nach wie die Ankündigung eines Butlers für die Gäste im Salon sein: kurz und verführerisch. Es soll dafür sorgen, dass ein zarter Hauch köstlicher Speisen aus der Küche die Gäste ins Esszimmer lockt. Das traditionelle »Ladies and Gentlemen, dinner is served« erfüllt diese Kriterien sehr gut. Nun schauen wir mal, ob mir dasselbe gelingt und ich Ihnen dieses sehr genießbare, lesenswerte Buch schmackhaft machen kann.

Welche Speisen erwarten uns?

Ein Buch über Gestalt-Gruppenpsychotherapie, wie sie in Deutschland in niedergelassener Praxis durchgeführt wird und – was weniger bekannt ist –auch in psychiatrischen Kliniken. Gerade deswegen sollte dieses Buch eine willkommene Ergänzung in der Bibliothek des Psychotherapeuten sein. Aber bevor wir zu einem voreiligen Schluss kommen, lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die Speisekarte werfen – um im Bild zu bleiben.

Wie wir vermutlich alle wissen, ist die Einzeltherapie für den Therapeuten eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Sie fordert ihn immer wieder heraus, sich sowohl als Wissenschaftler als auch als Künstler zu bewähren und darüber hinaus sehr menschlich zu sein. Ich nehme an, Sie alle wissen aus eigener Erfahrung, hoffentlich sowohl als Klient als auch als Therapeut, was ich meine. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist Gruppentherapie noch anspruchsvoller. Statt eine Beziehung nur zu einer Person aufzubauen, für die man verantwortlich ist, die man zu verstehen, zu begleiten, zu konfrontieren sucht – und vor der man sich in einigen Fällen auch schützen muss –, hat man in der Gruppentherapie vielleicht fünf, sechs, zehn oder sogar fünfzehn solcher Menschen. Und darüber hinaus interagieren sie alle nicht nur mit Ihnen, sondern auch untereinander, wobei letztendlich nur Sie allein (oder auch zusammen mit einem Co-Leiter) verantwortlich sind.

Welch ein Glück also, dass so ein Buch existiert, das viele Lichter in die dunklen Ecken dieses besonderen Universums bringt und es voll und ganz ausleuchtet.

Beim ersten und größeren Teil des Buches geht es hauptsächlich um Gestalt-Gruppenarbeit niedergelassener Therapeuten und um Ausbildungsprogramme für angehende Berater, Therapeuten, Supervisoren, Erzieher und Gruppenleiter. Die Autoren geben zunächst einen Überblick, um dann die Thematik in ihren Einzelheiten und Nuancen zu vertiefen. Nun, ich denke –in aller Bescheidenheit –, dass ich mich in den verschiedenen Aspekten der Gestalt-Gruppentherapie gut auskenne. Und doch fällt mir kein Aspekt ein, der nicht schon in diesem Buch behandelt worden ist. Vom »inneren Supervisor« bis zu Beispielen »für die Abschlussphase« wird alles abgedeckt: Was sind allgemeine Prinzipien der Gruppenarbeit? Wie schafft man eine therapeutische Umgebung? Was sind die verschiedenen Ebenen, auf die man das Augenmerk richten muss? Wie nutzt man Feedback und das Hier-und-Jetzt in der Gruppe? Welche Bedeutung hat Awareness? Was sind Themen in der mittleren Phase einer Gruppe? Und … und … und – alle Aspekte sind behandelt. Und dabei sind die zusätzlichen praktischen Kapitel zu Gruppenexperimenten, zur Entwicklung der Kontaktfunktionen usw. noch nicht erwähnt.

Ganz sicherlich ein Festmahl.

Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit Gruppentherapie in akutpsychiatrischen Kliniken. Er möchte die Entwicklung von Gruppentherapie in diesen Settings unterstützen und voranbringen. Gleichzeitig zeigt er die ihnen innewohnenden Beschränkungen auf: die Besonderheiten der Klientel, die zeitlichen Rahmenbedingungen, die heutzutage immer enger werden usw. … Trotz dieser Einschränkungen – oder eher von ihnen ausgehend – stellt dieser Teil des Buches auf eine sehr persönliche, menschliche Art eine vitale und wirkungsvolle Herangehensweise dar. Alle, die in solchen Institutionen arbeiten, können auf der Grundlage der im ersten Teil gegebenen Anregungen und Leitlinien von diesem gut durchdachten, humanistischen Ansatz profitieren.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei diesem Festmahl für Feinschmecker!

Bud Feder,

Winter 2009/2010

Einleitung

Dieses Buch ist an Leser gerichtet, die lernen wollen, Gruppen im Sinne der Gestaltphilosophie zu leiten. Modellhaft werden wir unsere eigenen Erfahrungen und Vorgehensweisen beschreiben sowie transparent machen, welche theoretischen Überlegungen unseren Interventionen zugrunde lagen, aber auch Situationen schildern, in denen wir ins Schwimmen gekommen sind, wenig Orientierung hatten, Wichtiges übersehen und Fehler gemacht haben.

Das Buch ist so geschrieben, dass Sie beliebig, je nach Interesse, mit dem Lesen anfangen können. Es gibt zwar einige etwas theoretischer gehaltene Abschnitte, aber ansonsten haben wir (Josta Bernstädt als Autorin von Teil 1 und 3 und Stefan Hahn von Teil 2) unsere Ausführungen so konkret und anschaulich wie möglich gehalten. Einige Fachbegriffe setzen wir als bekannt voraus, haben allerdings in Anmerkungen auf Quellen verwiesen, in denen der Leser sie nachschlagen kann.

Zu Teil 1

Ich begann vor knapp 20 Jahren, angehende Gestaltberater und Gestaltpädagogen in Gruppenleitung auszubilden und ein grundlegendes Verständnis der wesentlichen gruppendynamischen Prozesse zu vermitteln. Eine immerwährende Herausforderung war und ist dabei ein gelungenes Ineinandergreifen von Theorie und Praxis.

So sind Sie, lieber Leser, eingeladen, die in diesem Buch dargestellte Theorie immer wieder mit Ihrer eigenen Erfahrung abzugleichen, zu überprüfen und kritisch in Frage zu stellen. Zu groß ist die Neigung, jede angebotene Theorie als einzig wahre Handlungsorientierung zu introjizieren in der Hoffnung, damit die Plagegeister Unsicherheit und Angst loswerden.

Man kann noch so viel Theorie anderer erfahrener Gruppenleiter gelesen und gehört haben, entscheidend ist ihre sinnvolle Umsetzung, wie es die jeweilige Situation erfordert. Dieses Buch kann Ihnen helfen, ein Gespür dafür zu bekommen, wann welche Gruppenintervention im Sinne der Gestaltphilosophie hilfreich ist.

Eingangs ist es wichtig, dass der Leser sich vergegenwärtigt, welche Erfahrungen er bereits im Leiten von Gruppen hat.

Auch verfügen Sie bereits über einen reichen Erfahrungsschatz, was Ihre eigene Mitgliedschaft in Gruppen betrifft , der Ihnen helfen kann, sich in die möglichen Empfindungen, Bedürfnisse und Verhaltensweisen von Gruppenmitgliedern hineinzuversetzen.

Zu guter Letzt können Sie, lieber Leser, bereits auf eine lebenslange Erfahrung, eine Gruppe zu leiten, zurückblicken, nämlich die eigene innerpsychische. Hier können Sie sofort Bestand aufnehmen, was Ihr Führungsstil ist, ob Sie alle inneren Stimmen und die des Körpers, der Bilder und Gefühle zu Worte kommen lassen, wie Sie ordnen, strukturieren, Konflikte aufgreifen und handlungsfähig werden. Oder andererseits, wie Sie unterdrücken, manipulieren, vermeiden, sich quälen, leugnen, diktatorisch regieren oder eher im Laissez–faire-Stil sich aus der existenziellen Verantwortung für die Gestaltung Ihres eigenen Lebens schleichen. Hier siedelt sich der innere Supervisor an, wie im gleichnamigen Kapitel beschrieben.

In meinen Ausbildungsgruppen zum Gestaltgruppenleiter erhalten die Teilnehmer gleich von Anfang an die Möglichkeit, sich im Gruppenleiten zu üben, wobei ich als Coach zur Verfügung stehe. Ich bin immer wieder betroffen, wie viel Angst diese Einladung auslöst. Die Teilnehmer scheinen vor einer schier unlösbaren Aufgabe zu stehen, wie im Märchen »Rumpelstilzchen«, als die arme Müllerstochter aus Stroh Gold spinnen muss, weil ihr Vater dem König gegenüber behauptet hat, dass sie es könne.

Nun, ich behaupte auch, dass jeder Erwachsene bereits die Fähigkeit hat, Gruppen zu leiten, wenn er nur nicht so viel Angst vor dem König hätte. Die Angst etwas falsch zu machen, sich lächerlich zu machen oder als inkompetent enttarnt zu werden, erzeugt bei vielen akuten Stress, gepaart mit der Überzeugung, weder Wissen noch Können zur Verfügung zu haben, um eine Gruppe anzuleiten. Hiervon handelt das erste Kapitel: »Gruppenleiten – von der Angst zu mehr Sicherheit«.

Was den Teilnehmern dann hilft, sich aus dieser Erstarrung zu lösen, sind klare Strukturen, konkrete und spezifische Handlungsanweisungen, an denen sie sich zunächst festhalten können. Hiermit erklärt sich die Popularität von strukturierten Übungen, auf die sich einige Autoren spezialisiert haben (z.B. Klaus Vopel 1997) aber auch die in Gestaltgruppen üblichen Rituale (z.B. Befindlichkeitsrunde, Feedback geben usw.)

Auch für Gruppenteilnehmer gibt es Zeiten, in denen strukturierte Übungen hilfreich sind. Dies ist insbesondere in der Anfangs- und Kennlernphase der Fall, in der die Teilnehmer oft ängstlich, nervös und sich fremd sind – also in der Phase des Vorkontakts.

Im Kapitel »Wir fangen an« habe ich beispielhaft einen möglichen Gruppenbeginn geschildert. Ergänzend im Anhang dazu findet der Leser noch einige andere Vorschläge für Exprimente und Gruppenaktivitäten.

Möglicherweise haben Sie eine Übung gut durchgeplant und vorbereitet und sie ist auf Interesse und Kooperationsbereitschaft der übrigen Gruppenmitglieder gestoßen. Plötzlich ist die Übung dann zu Ende, aber die Gruppe noch lange nicht und jetzt schauen die Teilnehmer Sie erwartungsvoll an.

Diese meist angstbesetzte Ungewissheit und Unsicherheit nicht nur auszuhalten, sondern bewusst willkommen zu heißen, muss nicht nur der angehende Gruppenleiter immer wieder üben. Dies sind kostbare Momente, in denen Nichts und Niemand verplant sind. Die existenzielle Freiheit eines jeden Gruppenmitglieds kann jetzt genutzt werden. Es handelt sich um eine fruchtbare Leere, voller Potenzial für kreative Schöpfung, Entdeckung von Neuem, Unbekanntem, Belebendem und Bereicherndem. Sie kann aber auch als eine furchtbare Leere von ewig wiederkehrenden Automatismen, sattsam Bekanntem und Überdrüssigem erlebt und deshalb möglichst vermieden werden. Hiervon handelt das folgende Kapitel »So könnte es weitergehen – einige allgemeine Prinzipien«.

Der Gestaltgruppenleiter, egal ob Anfänger oder Alter Hase, muss sich immer wieder neu erfinden, in vollem Bewusstsein der existenziellen Freiheit und Verantwortung, ausgehend von seinen Erfahrungen und der der Gruppenmitglieder: jeder neue Schritt ein neues Experiment.

In der Gestaltgruppenarbeit kann und darf es per se keine Routine geben. Trotzdem ist es unabdingbar, dass Sie sich an einer inneren Landkarte orientieren und Sie eine fundierte Vorstellung davon haben, wie Sie Veränderungsprozesse in Gruppen anstoßen können und was Sie dabei berücksichtigen sollten. Dies wird in den Kapiteln »Der therapeutische Prozess« und »Ich, Du und Wir im Gruppenprozess« beschrieben.

Das Herzstück der Gestaltarbeit ist im Kapitel »Konzentration auf das Hier-und-Jetzt in der Gruppe« beschrieben. Hier findet der Leser konkrete Anleitungen, wie es ihm gelingen kann, den Fokus immer wieder auf das gegenwärtige Geschehen in der Gruppe zu lenken.

Ein wichtiger Bestandteil jeder Gruppensitzung wird das Feedback sein, dass die Teilnehmer regelmäßig austauschen. Dem ist das nächste Kapitel »Feedback geben« gewidmet. Die wenigsten von uns haben gelernt, wirklich hilfreiche Rückmeldungen zu geben. Hier erfährt der Leser einige nützliche Anregungen, wie unnötige Verletzungen und Kränkungen vermieden werden können, aber auch, wie aufb auendes und motivierendes Feedback gestaltet werden kann.

Ebenso wichtig wie die Konzentration auf das jeweils aktuelle Gruppengeschehen sind die Prozessbeobachtungen des Gruppenleiters. In dem Kapitel »Klärung des Gruppenprozesses« wird erläutert, was damit überhaupt gemeint ist, warum es zum wesentlichen Handwerkszeug des Gruppenleiters gehört und wie es konkret umzusetzen ist.

Sie haben die Anfangstadien der Gruppe gut überstanden. Die meisten Ihrer Ängste sind nicht wahr geworden. Die Gruppe hat Ihre Autorität als Gruppenleitung akzeptiert. Sie haben an Selbstsicherheit und Vertrauen in sich und die Gruppe gewonnen und schon einige Krisen und Konflikte zusammen gemeistert.

Auch die Gruppenteilnehmer sind vertrauter miteinander geworden und haben größtenteils ihren Platz in der Gruppe gefunden. Es haben sich kleine Grüppchen gebildet, die gerne die Pause miteinander verbringen. Meist hat sich sogar eine feste Sitzordnung gebildet. Ein Klima der Verbindlichkeit ist entstanden. Es finden Seitengespräche statt und Teilnehmer trauen sich mehr, Sie zu unterbrechen und das Gruppengeschehen mit zu beeinflussen. Die Teilnehmer sind fasziniert von der Gestaltmethode und weniger verschreckt und ausweichend im Kontakt. Ab und zu kommt es sogar zu Persiflagen. Erste Introjektionsversuche der Gestaltsprache und Haltung werden oft mit viel Selbstironie und Witz demonstriert.

Als Gruppenleiter haben Sie sich ein Bild von den einzelnen Gruppenmitgliedern und ihren gewohnheitsmäßigen Kontaktunterbrechungen machen können. Die Teilnehmer haben einige ihrer eingeschränkten Kontaktfunktionen bewusst erfahren, Neues in der Gruppe ausprobiert und mit in ihren Alltag genommen.

Wie im Kapitel »Ich, Du und Wir im Gruppenprozess« beschrieben, besteht jetzt die Tendenz der Gruppenmitglieder, bestimmte fixierten Rollen einzunehmen und damit die neu gespürte Lebendigkeit und Aufregung wieder abzuwürgen. Dieselbe Gefahr besteht natürlich auch für Sie als Gruppenleiter.

In dem Kapitel »Mitten drin – einige allgemeine Prinzipien« sind einige wichtige Prinzipien beschrieben, die Ihr Handeln jetzt leiten könnten. Wie können Sie sich jetzt Ihre Kreativität bewahren, mit Widerständen und Fixierungen umgehen und welche Methoden stehen Ihnen zur Verfügung, zwischen unterschiedlichen Tiefungsebenen zu pendeln? Hier sind auch Anmerkungen zur Regressionsarbeit zu lesen, für die der Gruppenleiter fundiertes Wissen über die Entwicklung und Arbeit mit Kindern und Jugendlichen haben sollte. Darüber hinaus sind in diesem Kapitel auch wichtige Grundlagen der Gestalt-Körperarbeit anschaulich beschrieben.

Die oben erwähnten Fixierungen betreffen einerseits den Gruppenprozess als Ganzes, wie im Kapitel »Typische Gruppenprozesse« beschrieben, andererseits auch jedes einzelne Gruppenmitglied und wie es sich im Kontakt mit anderen verhält.

Im Kapitel »Interventionsmöglichkeiten bei Kontaktunterbrechungen im Gruppengeschehen« ist anhand einiger Beispiele illustriert, wie bei jeder Einzelarbeit auch immer die Gruppe mit einbezogen wird.

Ein besonders komplexes Muster der Kontaktunterbrechung ist die Übertragung, beziehungsweise Gegenübertragung. Als Sonderform der Projektion verdient sie die besondere Aufmerksamkeit auch des erfahrenen Gruppenleiters. Im Kapitel »Übertragung und Gegenübertragung« findet der Leser hilfreiche Hinweise, wie er sie erkennen und therapeutisch nutzen kann. Eine Gegenübertragung ist tückisch, da von starken Gefühlen begleitet. Wie kann sich der Gruppenleiter hier schützen und arbeitsfähig bleiben? Wie hilfreich ist Transparenz, um wieder in den Kontakt zu kommen? Wie viel eigene Authentizität kann der Gruppenleiter der Gruppe zumuten? Der Leser wird darauf keine eindeutigen Antworten erhalten, nichtsdestotrotz sind diese Fragen sehr wichtig. In unserem Interview mitGordon Wheeler im Anhang findet der Leser dazu einige hilfreiche Leitlinien und methodische Anregungen.

In dem Kapitel »Arbeit mit der Gruppe als Ganzes« geht es anhand von konkreten Beispielen darum, wie der Gruppenleiter die Gruppe als Ganzes im Auge behalten und ihr förderliche Impulse geben kann.

Im nachfolgenden Kapitel erhält der Leser Anregungen, wie er »das kreative Potenzial der Gruppe nutzen« und sich damit die Arbeit erleichtern kann. Denn eine aktive Involvierung der Teilnehmer begünstigt ein Gefühl von Gruppenzugehörigkeit und Kohäsion. Spontan werden wünschenswerte Veränderungsprozesse im Gruppengeschehen in Gang gesetzt und müssen weniger nur von Ihnen initiiert werden.

Im Kapitel »Wir nähern uns dem Ende« beschreibe ich Faktoren, die einen befriedigenden Gruppenabschluss begünstigen. Anhand einiger Beispiele zeige ich aber auch, dass jede Gruppe einen anderen Abschluss inszeniert und welchen Herausforderungen, auch sehr persönlicher Natur, sich der Gruppenleiter in dieser Phase des Abschiednehmens stellen muss.

Zu Teil 2 (Autor: Stefan Hahn):

Warum finden überhaupt noch Gruppen statt? Warum besteht ein sich stetig steigerndes Interesse an Gruppentherapien? Ist es, weil Gruppen eine höchst wirksame Methode sind, um psychische Störungen zu behandeln? Aus der Sicht der Kostenträger mit Sicherheit. Aber aus der Sicht der Patienten?

Wir leben in einer Welt, in der immer mehr Leistung erwartet wird, mehr Flexibilität, mehr Selbstverleugnung, mehr Anpassung an menschenun- oder frag-würdige Zustände. In dem der Einzelne als Humankapital eine Rolle spielt, und die Politik ein fragwürdiges »immer weiter so« skandiert; was hat Psychotherapie noch für eine Aufgabe?

Für mich hat Wachstum Grenzen. Die Welt hat überhaupt Grenzen. Der Mensch lebt in seinen Grenzen. Und das ist gut so. Hier findet er Halt.

In den Gruppen wird deutlich, dass eine weitere Untergrabung und Zerstörung der menschlichen Existenz – mit der Folge der Verelendung – nur noch wenig kompensierbar ist für den Einzelnen. Die steigende Zahl von Menschen mit Ängsten, Depressionen, Anpassungsstörungen oder die in Konflikten zusammenbrechen, sowie soziale Situationen und Entwürdigungen nicht mehr aushalten können, spricht ihre eigene Sprache. Ich meine, wir sind an der Grenze angekommen.

Natürlich kann es weitergehen, aber wohin und um welchen Preis? Worum es geht: Um den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch. Mit all den Gefahren, Herausforderungen, schönen und angstvollen Momenten und den begleiteten Veränderungen.

Zu Teil 3

Der Anhang besteht aus einer reichen Fundgrube für Experimente und Gruppenaktivitäten, die für jeweils unterschiedliche Gruppenphasen geeignet und dementsprechend geordnet aufgeführt sind. Dabei habe ich mit einfließen lassen, aus welchem Kontext heraus diese Experimente entwickelt wurden und wie sie modifiziert werden können.

Meiner Erfahrung nach ist eine angeleitete Übung am wirkungsvollsten, wenn sie organisch gewachsen, im Fluss des Gruppenlebens entstanden ist und ihr eine Folgerichtigkeit innewohnt (Polsters 2002: 171). Diese Erfahrungen sind am ehesten zu integrieren. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass solche Übungen nicht planbar sind.

Trotzdem können Sie sich als Gruppenleiter innerlich auf die nächste Begegnung mit der Gruppe vorbereiten, indem Sie eine Vermutung anstellen, welches Thema für die Gruppe gerade im Vordergrund steht. Vielleicht passt eine der von mir aufgeführten Übungen und sie könnte der Gruppe helfen, dieses Thema zu erforschen.

Wohlgemerkt, es kann sich nur um eine Vermutung handeln, die Sie im Kontakt mit der Gruppe abgleichen sollten. Um eingebunden im Fluss des Gruppengeschehens zu bleiben, sollten Sie eine grundsätzliche Bereitschaft zur Flexibilität mitbringen. Mal werden Sie Ihre geplante Vorgehensweise modifizieren, mal etwas Neues erfinden, oder auch bei Ihrem Plan bleiben.

Im Anschluss an jedes vorgeschlagene Experiment findet der Leser Hinweise, wie er die Erfahrungen der Gruppenteilnehmer aufgreifen und gegebenenfalls vertiefen kann.

Die Erfahrungen, die der einzelne Gruppenteilnehmer in diesen angeleiteten Übungen und Experimenten macht, haben nur Wert, wenn sie integriert werden können. Diesen Integrations- und Wachstumsprozess zu begleiten, ist eine Ihrer wichtigsten Aufgaben als Gruppenleiter. Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch dabei ein hilfreicher Begleiter sein wird.

Die Arbeit an diesem Buch hat uns in den letzten fünf Jahren begleitet. Die Zeit war vor allem durch regen fachlichen und persönlichen Austausch und Diskussion über die Gruppenarbeit geprägt. Persönlich haben wir beide profitiert, sei es, dass wir unsere Arbeit in Gruppen überprüfen konnten, damit begannen, gemeinsam Gruppen anzubieten oder dass wir zu Interviewzwecken Gordon Wheeler und Bud Feder persönlich kennen lernten und die Gestaltphilosophie für uns immer neu belebten. Nicht zuletzt in den anregenden, spannenden und reichhaltigen Begegnung mit der Gestaltcommunity.

Es ist schön, wenn die Arbeit soviel Lebensfreude und Lebendigkeit zu bieten hat und durch den Abschluss dieses Projektes der nächste Schritt in die Zukunft gemacht ist, denn wir sind überzeugt davon, dass die Gruppenarbeit innerhalb der Gestalttherapie einen besonderen Beitrag für die Weiterentwicklung von Gruppenansätzen im speziellen und für Psychotherapie überhaupt leisten kann.

TEIL 1

Gruppenleiten – von der Angst zu mehr Sicherheit

In meinen Ausbildungsgruppen zum gestalttherapeutischen Gruppenleiter haben die Teilnehmer oft Angst, selbst die Gruppe anzuleiten. Am liebsten würden sie damit warten, bis die Angst verschwunden ist. Denn sie sind überzeugt davon, dass sie mit weniger oder idealer Weise ganz ohne Angst besser eine Gruppe leiten könnten. Ich werde als Vorbild idealisiert und als sicher, entspannt und souverän wahrgenommen.

Wovor haben diese angehenden Gruppenleiter Angst? Was ist an dieser Situation so bedrohlich, dass Teilnehmer, die oftmals in anderen Kontexten bereits Gruppen leiten, plötzlich keinen Zugang mehr zu ihren eigenen Kompetenzen, Fähigkeiten und Bewältigungsstrategien haben? Sie scheinen vor Angst blind und gelähmt.

Die Aufgabe, eine Gruppe zu leiten, ähnelt in ihrem Erleben einer unkontrollierbaren Stressreaktion (Hüther 2005). Das bisher erworbene Verhaltensrepertoire scheint nicht zu genügen, um mit der neuen Situation fertig zu werden. Die Antwort auf meine Frage, wovor sie Angst haben:

• Alles könnte außer Kontrolle geraten.

• Sie könnten abgelehnt werden, sich lächerlich machen.

• Ihnen könnte nichts mehr einfallen.

• Sie könnten Schaden anrichten.

• Sie könnten Wichtiges übersehen.

• Aufkommende Konflikte könnten die Gruppe sprengen.

Im Folgenden werde ich auf diese Ängste einzeln eingehen, auch wenn sie miteinander verbunden sind.

Alles könnte außer Kontrolle geraten

In jeder Gruppe gerät immer einiges außer Kontrolle. Im Hinblick auf das, was die Gruppenleitung geplant hat, gibt es immer Unvorhergesehenes. Didaktisch geplante Gruppentreffen mit strukturierten Übungen für Alle geben dem Gruppenleiter ein hohes Maß an anfänglicher Sicherheit und ausreichend Selbstvertrauen, um mit dem ›Abenteuer Gruppe-Leiten‹ zu beginnen. Sie erfreuen sich deshalb größter Beliebtheit nicht nur bei angehenden Gruppenleitern. Auch die Gruppenteilnehmer haben meist Angst. Sie wird durch eine klare vorgegebene Struktur gelindert.

Bei angehenden Gruppenleitern geht oft viel Energie in die Vorbereitung und manchmal minutiöse Strukturierung der geplanten Gruppensitzung. Dabei scheint sehr viel auf dem Spiel zu stehen, wie eine alles entscheidende Prüfung des Selbstwerts oder der Standhaftigkeit im Anblick einer feindlichen Macht. Der Gruppenleiter hat Angst. Es könnte irgendetwas Unvorhergesehenes passieren, das alle seine Pläne zunichte macht, und am Ende stünde er vor einem Scherbenhaufen. Um für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein und somit der drohenden Scham entgehen zu können, hat er ein Überangebot von Übungen und Material vorbereitet. Er ist so sehr mit seinem eigenen psychischen Überleben der Prüfung beschäftigt, dass er wenig Kapazität für Begegnungen mit den Gruppenteilnehmern hat und sich auch bei guter »Performance« noch isoliert fühlt.

In der Regel sind die Teilnehmer in den Ausbildungsgruppen kooperativ und schützen somit den angehenden Gruppenleiter vor einer Blamage. Außerhalb, in anderen Gruppen, kann er von dieser Hilfsbereitschaft nicht ausgehen und die vorher genannten Ängste haben durchaus ihre Berechtigung.

Ziel in meinen Ausbildungsgruppen ist deshalb, dass Teilnehmer lernen, mitihrer Angst Gruppen zu leiten und von der Angst zur Erregung zu finden. Diese Angst kommt eher zum Vorschein, wenn weniger geplant wurde. Die Teilnehmer sollen die Erfahrung machen, wie aus der für sie als unkontrollierbar erlebten Stresssituation eine kontrollierbare werden kann. Denn selbst für mich, nach langjähriger Berufserfahrung, ist Gruppenleiten immer auch noch mit Stress verbunden.

Eine Gestaltgruppe wird per Definition prozessorientiert geleitet, in ihr muss es Raum für Unvorhersehbares, lebendige Prozesse und Interaktionen geben. Als Gruppenleitung meistere ich in jedem Gruppentreffen neue einzigartige Herausforderungen.

Die anfängliche Angst weicht oft einer Zufriedenheit gegen Ende einer Gruppe. Ich habe Nährendes und Bereicherndes erlebt, wir haben zusammen gelernt und sind uns näher gekommen.

Sie könnten abgelehnt werden und sich lächerlich machen

Oft rührt die Angst des Gruppenleiters von dem inneren Erleben des Isoliertseins. Verstärkt wird dies Gefühl natürlich, wenn sich die Gruppenteilnehmer bereits kennen.

Zu dem Gefühl der Isolation gesellt sich die Überzeugung, dass Sie auf dem Prüfstand stehen, kritisch beobachtet und bewertet werden, wobei Ihnen die Kriterien für die Bewertungen unbekannt sind. Nur eines ist gewiss: Dass Sie es im besten Fall nicht allen recht machen können, hin und wieder wirklich abgelehnt werden und Sie sich in seltenen Fällen auch wirklich lächerlich machen. In Gruppen mit vielen Teilnehmern, die Angst vor emotionaler Tiefung haben, wird der Gruppenleiter vermehrt auf Abweisung seines persönlichen Interesses und seiner Anteilnahme stoßen.

All das mag sehr unangenehme Gefühle auslösen, die aber zu meistern sind. Siehe hierzu auch das Kapitel: »Der innere Supervisor«. Bei Bedarf gehören diese Gefühle in die Supervision.

Ihnen könnte nichts mehr einfallen

Oftmals haben Teilnehmer zu Beginn einer Gruppe wenig Bewusstheit über ihre Interessen, Bedürfnisse und Befindlichkeit oder sie sind gehemmt, diese offen zu äußern. Es kommt zu keiner Prägnanz von Figurbildung (in Gestaltsprache). Irgendwie fehlt die Energie bei allem, was die Teilnehmer und die Gruppenleitung unternehmen. Es entsteht kein Spannungsbogen, kein müheloser Fluss, es mangelt an Konzentration.

Welche Gestaltmethoden stehen Ihnen zur Verfügung, wenn Sie zu Beginn einer Gruppe im Trüben fischen und es zu keiner klaren Figurbildung kommt? Die Versuchung mag groß sein, eine neue Übung anzuregen, vielleicht eine, die Sie selbst kennen gelernt haben und die Ihnen gut gefiel. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, aber zurückhaltendes Überprüfen der Gruppensituation ist vorzuschalten.

• Was ist in der Gruppe bisher passiert?

• Was sind die bereits benannten Themen?

• Welche Gefühle, Gedanken und Interesse löst das in Ihnen aus?

• Ist hier etwas offen (ein Bedürfnis, eine Frage, ein Anliegen, ein Konflikt)?

• Spüren Sie eine Anspannung?

• Möchten Sie etwas vertiefen?

• Welche vielleicht nur zaghaften Versuche der Kontaktaufnahme gibt es, die Sie aufgreifen können?

Aus dieser Reflexion des Gruppenprozesses können sich ganz natürlich Interventionen für den Gruppenleiter ergeben, mit denen er sich an einzelne Gruppenmitglieder oder die Gruppe als Ganzes wendet. Diese Interventionen gewinnen ihre überzeugende Einladungskraft aus der klaren Figurbildung. Sie haben genau den Nerv der Gruppe getroffen, wenn jetzt die Energie wieder fließen kann.

Als Gruppenleiter verfolgen Sie dabei ihr persönliches Interesse an den einzelnen Teilnehmern, an den Interaktionen sowie am Gruppenprozess. Handeln Sie aus authentischem Interesse und Anteilnahme, werden Sie Ihre Angst vorübergehend vergessen. Hierbei ist persönliches Interesse nicht mit reiner Neugier zu verwechseln. Ihr Interesse und ihre Anteilnahme dienen der Förderung von Kontakt- und Wahrnehmungsfähigkeiten der Gruppenmitglieder und sind hierfür unabdingbare Voraussetzung.

Natürlich können Ihr Interesse und Ihre Anteilnahme auch auf Ablehnung bei den Teilnehmern stoßen. Dies ist sogar häufig der Fall. Nur selten geschieht diese Ablehnung jedoch offen und direkt, oftmals nicht einmal bewusst. Die Art und Weise, wie Gruppenteilnehmer sich dem Interesse und der Anteilnahme des Gruppenleiters verschließen, sind so zahlreich wie es Teilnehmer gibt. Wichtig für Sie ist, es zu erkennen, innezuhalten und nachzuspüren, welche Gefühle und Impulse dies in Ihnen auslöst.

Eines dieser Gefühle mag ein altvertrautes sein: Angst. Angst, in der Gruppenöffentlichkeit als inkompetent zu erscheinen und das beschämende Gefühl ertragen zu müssen, abgeblitzt zu sein. Angst davor, von allen anderen mit Ihrem Interesse abgewiesen zu werden.

Vielleicht nehmen Sie Ihre Angst hauptsächlich als Herausforderung wahr: »Dem werde ich es zeigen, ich lasse mich doch nicht so einfach abweisen, schließlich meine ich es doch gut.« Oder Sie ziehen sich gekränkt zurück und erleben die Abweisung als Niederlage.

Je nach persönlicher Toleranz für diese Unsicherheit im Kontakt mit den Gruppenteilnehmern, ziehen Sie es jetzt vielleicht doch vor, noch eine Übung zu machen. So können Sie wenigstens für sich sorgen und wieder etwas Verdauungspause und sicheren Abstand von der Gruppe gewinnen.

In den Kapiteln »Der therapeutische Prozess« und »Interventionsmöglichkeiten bei Kontaktunterbrechungen im Gruppengeschehen« gehe ich näher darauf ein, welche vielseitigen Möglichkeiten es noch gibt, mit dieser Form von Widerstand anders umzugehen.

Sie könnten Schaden anrichten

Eine Gruppe verläuft dann zufriedenstellend, wenn das, was ich anbiete, dem Bedürfnis und Interesse der Gruppe entspricht (Zinker 1998). Dies ist eine für mich beruhigende Grundannahme, auch wenn ich weiß, dass man es nie allen Teilnehmern einer Gruppe recht machen kann.

Je klarer die Teilnehmer ihre Interessen und Bedürfnisse formulieren, desto eher werden Sie als Gruppenleitung dazu in der Lage sein, darauf einzugehen. Dies ist der Zweck von Befindlichkeitsrunden und Runden, in denen Sie abfragen, was die Teilnehmer im Moment beschäftigt, interessiert und was sie gerne tun möchten. Siehe auch im Kapitel »So könnte es weitergehen – allgemeine Prinzipien«.

Es kann sein, dass Sie durch Ihre Anteilnahme und Interesse bei den Teilnehmer lebhafte, gefühlvolle Prozesse auslösen, womit Sie jetzt eigentlich zufrieden sein könnten – wäre da nicht schon wieder Ihre Angst. Alles könnte außer Kontrolle geraten – und letztendlich sind Sie für den einmal in Gang gesetzten Prozess verantwortlich. Das beinhaltet unter anderem, dass keiner dadurch zu Schaden kommen darf. Diese lebhaften, gefühlvollen Prozesse werden Ihnen umso mehr Angst machen, je weniger Sie sie am eigenen Leib erfahren haben, was übrigens auch auf die Gruppenteilnehmer zutrifft .

Wie schaffen Sie nun einen sicheren Rahmen für lebhafte, gefühlvolle Prozesse in der Gruppe? Vorangestellt sei, dass es den sicheren Rahmen nicht gibt. Jeder Gruppenleiter (und natürlich auch die Gruppenteilnehmer) braucht für sein Gefühl von Sicherheit etwas anderes. Wichtig ist dennoch, dieses Bedürfnis nach einem sicheren Rahmen überhaupt zu spüren und benennen zu können. Es hat seine Berechtigung, auch wenn es keine Garantie für Sicherheit gibt. Ihre Sicherheit wird wachsen mit Erfahrung, Kenntnis von Methoden und Übung von Achtsamkeit für den Kontaktprozess.

Dazu gehören der kontaktvolle Umgang mit »Widerstand«, Ihre Fähigkeit, den Gruppenteilnehmer in seinem Prozess zu unterstützen und seine Selbststützung, sowie Unterstützung durch die Gruppe zu aktivieren. Als Gruppenleiter müssen Sie Kenntnis haben von Techniken, die aus der Tiefung führen und die die Integration der Erfahrung im Nachkontakt fördern. Sie werden später detailliert beschrieben.

Wenn Sie auf Ihre Grenzen und die der Teilnehmer achten, können Sie keinen Schaden anrichten. Fordern Sie Teilnehmer dazu auf, selbstverantwortlich auf ihre Grenzen zu achten und die anderer Gruppenmitglieder zu respektieren. Grenzen- und maßloses Verhalten sollten Sie stoppen. Wenn Ihnen das schwer fällt, nehmen Sie es mit in die Supervision.

Sie könnten Wichtiges übersehen.

Sie werden zweifellos ab und zu Wichtiges übersehen, wie auch sonst in Ihrem Leben. Ist es für die Gruppe und ihre Teilnehmer wichtig, wird Sie meist jemand darauf hinweisen. Hier zahlt es sich aus, wenn Sie von Anfang an die Eigenverantwortlichkeit jedes Gruppenmitglieds gefördert haben.

Natürlich haben Sie als Gruppenleiter auch Verantwortung, aber bei weitem nicht für alles, was in der Gruppe geschieht oder eben nicht. Geteilte Verantwortung für die Geschehnisse in der Gruppe kann Ihren Stress und die Angst reduzieren. Beziehen Sie ganz bewusst die Gruppenteilnehmer mit in die Verantwortung für die Gestaltung des Gruppengeschehens ein. Abgesehen davon, dass dies sowieso eines der wichtigsten Lernziele in einer Gestalt-Gruppe ist, hat diese Vorgehensweise eine sehr entlastende Wirkung für Sie als Gruppenleitung, wenn Sie es denn zulassen können. Das enthebt Sie jedoch nicht der Verantwortung, den Überblick zu behalten und mit der Ihnen angetragenen Macht und Ihrem Einfluss verantwortungsbewusst umzugehen.

Aufkommende Konflikte könnten die Gruppe sprengen.

Das Konfliktpotenzial in einer Gruppe ist immens. Ungezügelt könnte es jede Gruppe sprengen. Ein Grund für die Angst des Gruppenleiters vor Konflikten (und die der Teilnehmer natürlich auch) ist also, dass sie eskalieren und die Existenz der Gruppe bedrohen könnten.

Ein weiterer Grund liegt in der Möglichkeit, dass die ganze Gruppe sich gegen den Gruppenleiter verbündet und dieser Konflikt durch den Ausstoß des Gruppenleiters »gelöst« wird.

Beide Szenarien sind zumindest in dieser offenen Eskalation eher selten, aber als mögliche Konfliktlösungsmodelle vielen vertraut und daher psycho-dynamisch in vielen Gruppen unterschwellig wirksam.

Die meisten Gruppen, die Sie bereits leiten oder leiten werden, sind zunächst Zweckgemeinschaften, deren Teilnehmer ein großes Interesse an ihrem Fortbestehen haben. Teilnehmer vollbringen oft eine große Anpassungsleistung, damit es ihnen gelingt, für einen vorher vereinbarten Zeitraum in der Gruppe zu bleiben. Nur wenn sie für bestehende Konflikte keine andere Lösung in der Gruppe gefunden haben, werden sie das Feld räumen. Dies kann übrigens auch ein Indikator für schwelende Konflikte in einer Gruppe sein, wenn Teilnehmer häufig fehlen, später kommen oder früher gehen.

Zu Beginn einer Gruppe werden Teilnehmer ihre kritischen, feindseligen, potenziell kränkenden, fordernden oder ansonsten von der Gruppennorm abweichenden Impulse eher zurückhalten, um das Zusammenwachsen einer Gruppe und ihr Zusammenbleiben nicht zu gefährden. Grundsätzlich ist diese Fähigkeit, eigene Impulse bewusst zurückzuhalten und zu filtern, eine wichtige soziale Kompetenz, die ich als Gruppenleiter zu schätzen weiß. Für Teilnehmer, die diese Fähigkeit wenig entwickelt haben, wäre dies ein wichtiges Lernziel.

Andererseits ist in Gruppen gerade die Konfliktfähigkeit ein häufig geäußertes Lernziel der Teilnehmer. Naiverweise hoffen die meisten, dass sie Konfliktfähigkeit anhand von Konflikten lernen können, die sie mit anderen Menschen außerhalb der Gruppe haben: Konflikte mit Arbeitskollegen, Chefs, Partnern, Eltern und Kindern stehen für sie im Vordergrund und werden von Ihnen als Gruppenleiter auch aufgegriffen.

Von den anderen Gruppenmitgliedern und Ihnen erwarten Teilnehmer oft zunächst uneingeschränkte Solidarität und Unterstützung für ihre Sichtweise eines Konflikts. Man soll sie selbst wenig infrage stellen und keine unangenehmen, unbequemen eigenen Veränderungen in Aussicht stellen (Einforderung von Konfluenz in der Gestaltsprache).

Aber genau darum geht es ja. Die Teilnehmer können mit Ihrer Unterstützung als Gruppenleiter lernen, Konflikte in der Gruppe ohne Beziehungsabbruch auszutragen.

Wir fangen an

Wir fangen mit einer konventionellen Vorstellungsrunde an. Interessant ist hier in diesem Fall zum Beispiel, dass die Art der Vorstellungen ohne Vorgabe der Gruppenleitung uniform ist – ein oft zu beobachtendes Phänomen.

Abb. 1

Als Gruppenleitung könnte ich dann:

• dies zum Fokus meines Interesses – zur Figur – werden lassen und fragen, was den Teilnehmern aufgefallen sei oder

• meine eigene Beobachtung mitteilen und

• zu einer zweiten Vorstellungsrunde einladen, um

• diesen Prozess bewusst zu erleben und/oder

• damit zu experimentieren, diesmal aus dem Rahmen zu fallen.

Bei Teilnehmern mit wenig oder keiner Gruppenerfahrung könnte dies zu angstbesetzt sein und Widerstand provozieren. Stattdessen könnte es so weitergehen:

»Sucht euch einen Partner, der euch interessiert und findet mehr über ihn heraus.« (s. Abb. 2)

Abb. 2

Die untergeschobenen Zitate sind zwar frei erfunden aber meiner Erfahrung nach wirklichkeitsnah. Das wenigste wird davon sofort offen ausgesprochen. Höchstens im Nachhinein, wenn die Gruppenmitglieder eine gute Vertrauensebene aufgebaut haben und diese Erfahrung aus sicherer Vergangenheit laut erinnert werden kann.

Für den Gruppenleiter ist es wichtig, sich über mögliche ausgelöste Prozesse im Klaren zu sein bei einer solchen simplen, anscheinend unverfänglichen Übung, die gemeinhin als Eisbrecher und Aufwärmübung bekannt ist. Man kann sich vielleicht lebhaft vorstellen, wie unbefriedigend die meisten dieser Begegnungen verlaufen werden und welchen Stress es verursacht, diese Unzufriedenheit zu kaschieren.

Nach solch einer Übung herrscht oft eine undefinierbare Anspannung in der Gruppe. Alle schauen dann erwartungsvoll den Gruppenleiter an. Mitunter ruft auch jemand ungeduldig aus: »Wann fangen wir denn endlich an, mir geht es hier zu langsam.«

Die Teilnehmer würden jetzt gerne die Gruppenleitung allein für ihr Unwohlsein in der Gruppe verantwortlich machen. Diese Verantwortung nehme ich nur teilweise an. Stattdessen gilt es, so früh wie möglich die Weichen umzustellen und die Gruppenteilnehmer mit in die Verantwortung zu ziehen:

»Ich habe angefangen, wie möchtest Du anfangen?« oder:

»Wozu brauchst Du ein schnelleres Tempo?«

Die Kultur einer Gestaltgruppe weicht sehr von alltäglichem Verhalten in sozialen Zusammenhängen ab. Ein wichtiger Eckpfeiler ihrer Philosophie ist die Eigenverantwortlichkeit. Die Kunst des Gestaltgruppenleiters besteht meiner Meinung nach darin, Übergangserfahrungen anzubieten, zu pendeln von der Alltagskultur in die Gestaltkultur und wieder zurück.

Zurück zu unserer fiktiven Gruppe. Eine von vielen anderen Möglichkeiten an die vorherige Übung anzuknüpfen, könnte folgende Aufgabe sein: Stellt den Partner in der Gruppe vor, was ihr von ihm erfahren habt.

Abb. 3

Vielleicht würde ich mich in dieser Gruppe zum Abschluss selbst vorstellen, mit etwa folgendem Wortlaut: »Ich fange an, mich ein wenig zu entspannen, da ich euch jetzt alle näher kennen gelernt habe, danke.« Der aktuelle Hintergrund für meine Restanspannung ist in etwa in Abbildung 4 dargestellt.

Abb. 4

Darf ich vorstellen: Der »Herr in Blau« (rechts) ist mein innerer Supervisor. Die Farbe blau steht für mich für ruhige Klarheit (vgl. a. Kapitel »Der innere Supervisor«). Hier lenkt er meine Aufmerksamkeit auf drei wichtige Fragen zu Beginn jeder Gruppe:

1. Was ist meine unmittelbar gefühlsmäßige Reaktion auf die einzelnen Gruppenteilnehmer?

2. Halte ich jeden für diese Gruppe geeignet?

3. Wie gehe ich damit um, wenn ich einen Teilnehmer für die Gruppe ungeeignet halte?

Ob ich jemand spontan mag oder nicht, wird meine Kontaktaufnahme zu diesem Gruppenmitgliedern auf jeden Fall beeinflussen. Anstatt mich zu bemühen, alle gleich zu behandeln und zu mögen, ist es deshalb sinnvoller, immer wieder bewusst meine Sympathien und Antipathien wahrzunehmen.

Versuche ich zum Beispiel auszublenden, wen ich am wenigsten mag, geht wichtige Information im Kontakt verloren und wird der Bewusstheit unzugänglich. Es entstehen Sprachlosigkeit und diffuses Unwohlsein, anstelle von Raum für mögliche Begegnung und Veränderung. Im Kapitel »Übertragung und Gegenübertragung« gehe ich auf diesen Prozess näher ein.

Von Anfang an sollten die Teilnehmer einer neuen Gestaltgruppe den ganzheitlichen Ansatz erfahren (Hartmann-Kottek, 2004: 54). Sie erleben so vielleicht zum ersten Mal seit ihrer Kindheit die Reichhaltigkeit und Vielschichtigkeit ihres Daseins.

Die bewusste Miteinbeziehung des Körpers beim Kennenlernen ist hierfür eine Möglichkeit.

Hier ein Vorschlag:

»Nachdem wir jetzt viel miteinander geredet haben, schlage ich einen konventionellen Händedruck zur Begrüßung vor, Reden ist dabei also erlaubt. Vielleicht könnt Ihr Euch noch mal mit Namen vorstellen, oder den des anderen erraten.«

Abb. 5

Hier sind hypothetische Gedanken der Teilnehmer zu lesen, die nur die wenigsten bei einem ersten Treffen spontan preisgeben würden. Je größer die Aufregung und Anspannung, desto weniger wird die Begegnung mit dem jeweiligen Gegenüber wirklich bewusst erlebt.

Obwohl dies eine fiktive Gruppe ist, werden Sie als Leser spontan Sympathien oder Antipathien mit bestimmten Gruppenteilnehmern entwickeln und könnten wahrscheinlich deutlich bestimmen, wem Sie am liebsten die Hand geben würde und wem nicht. Für alle Teilnehmer einer neuen Gruppe wird es ein Anliegen sein, sich auf diese Weise zu orientieren und herauszufinden, wen man mag und wen nicht.

Zunächst zurück zu unserer Gruppe. Da es in der Gestalt um die Förderung der ganzheitlichen Präsenz geht, also um die Konzentration auf das Hier-und-Jetzt im Kontakt, könnten Sie jetzt die Teilnehmer zu folgendem Experiment einladen:

»Gebt diesmal ganz bewusst höchstens drei Teilnehmern die Hand und konzentriert Euch jetzt auf die körperliche Empfindung des Händedrucks.

Was löst es in Euch aus, welche Gefühle oder Gedanken, Bilder oder Impulse?

Beschreibt es so prägnant wie möglich. Macht eine kurze Aussage.

Nehmt Euch Zeit, die Aussage Eures Gegenübers zu hören.«

Anschließend haben die Teilnehmer die Möglichkeit, in der Gruppe wichtige Entdeckungen und Erfahrungen mitzuteilen und gegebenenfalls zu vertiefen. Als Gruppenleiter hätten Sie die Wahl, diese Aussagen aufzugreifen oder einfach so stehen zu lassen. Lassen Sie sie erst mal so stehen, ist damit eine Erfahrungseinheit abgeschlossen, zumindest vorläufig. Je nach Plan bietet sich dann eine natürliche Pause an, in der Sie das Erlebte verdauen können.

Grundsätzlich ist also nichts gegen strukturierte Übungen und stringente Planung besonders zu Beginn einer Gruppe einzuwenden (vgl. im Anhang: »Vorschläge für Experimente und Gruppenaktivitäten«). Sie helfen Ihnen nicht nur, ihre Angst beim Gruppenleiten zu meistern, sondern werden wegen ihrer beruhigenden Wirkung auch von den Gruppenteilnehmern zunächst dankbar aufgegriffen. Es gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit, Überschaubarkeit und man ist von unkontrollierbaren Überraschungen gefeit.

Die strukturierten Übungen dienen dem Sich-Kennenlernen und geben Ihnen als Gruppenleiter wichtige Informationen und Orientierung:

1. In Bezug auf die Teilnehmer: Welche Erwartungen, Bedürfnisse, Befürchtungen, Vorwissen, Erfahrung und Interessen haben sie?

2. In Bezug auf Ihre eigene Befindlichkeit und Einschätzung (was genauso wichtig ist):

– Wie fühlen Sie sich mit den Teilnehmern hier?

– Mit wem bahnt sich ein guter Rapport an?

– Wen erleben Sie als unterstützend und wohlwollend Ihnen gegen über?

– Wen erleben Sie als kritisch, in Konkurrenz gehend, abwertend, in Frage stellend?

– Wen erleben Sie eher als ausweichend, zurückgezogen, reserviert, maskenhaft?

– Wen erleben Sie als schwierig?

– Zu wem fühlen Sie sich hingezogen?

– Mit wem haben Sie hier Gemeinsamkeiten?

– Wer ist Ihnen sehr fremd?

– Gibt es jemanden, den Sie abstoßend finden oder den Sie nicht mö gen?

– Was davon erleben Sie als bedrohlich?

– Fühlen Sie sich von der Gruppe angenommen?

Um diese Fragen als Gruppenleiter beantworten zu können, nutzen Sie möglichst all Ihre Sinne, all Ihre Kontaktfunktionen wie schauen, hören, riechen, sich spüren, usw. (Polster/Polster 1975: 127 ff.).

• Können Sie in der Gruppe gut durchatmen?

• Welche inneren Bilder tauchen auf?

• Wie frei fühlen Sie sich, in der Gruppe zu sprechen,

• sich zu bewegen und gegebenenfalls auch jemanden zu berühren?

• Sind sie gerne in dieser Gruppe?

• Wie ist Ihr Energiepegel?

• Haben Sie einen klaren Fokus?

• Was könnte Ihr nächster Schritt sein?

• Was brauchen Sie von den Gruppenteilnehmern, um diese letzte Frage beantworten zu können?

Der innere Supervisor

Im vorhergehenden Kapitel habe ich meinen inneren Supervisor, den »Herrn in Blau« vorgestellt. In diesem Fall hatte er meine Aussage als Gruppenleiterin hinterfragt und das Gegenteil in Erwägung gezogen.

Dies ist nur eine der möglichen Funktionen des inneren Supervisors. In diesem Kapitel möchte ich ausführlicher auf die unterschiedlichsten Wirkweisen eines inneren Supervisors eingehen.

Vorab noch etwas zum Herrn in Blau«. Er ist für mich ein Symbol für eine wichtige innere Instanz, für meine Fähigkeit der kritischen Selbstreflexion. Diesen inneren Supervisor erlebe ich als einen inneren Raum, in den ich mich als Gruppenleiter zurückziehen kann, um mehr Gewahrsein und Bewusstheit für das komplexe Gruppengeschehen zu ermöglichen. Hier nehme ich meine assoziativen Bilder, Körperempfindungen, Gefühle und Handlungsimpulse wahr, besinne mich auf meine Erfahrung und mein Wissen, spiele mit Inter-ventionsmöglichkeiten und nehme mir Zeit. Zeit und Raum brauche ich, um kreativ jeden einmaligen Gruppenprozess mitzugestalten. Häufig entstehen in diesem inneren Raum auch Dialoge mit bedeutsamen Menschen aus meinem Leben. Dadurch erhalte ich wichtige und hilfreiche Hinweise für das momentane Gruppengeschehen.

Der Leser könnte sich diesen inneren Supervisor also auch als einen sehr facettenreichen Co-Therapeuten vorstellen, der ihm unterstützend zur Seite steht.

Der angehende Gestaltgruppenleiter braucht noch einen äußeren Supervisor, der ihm diesen Raum außerhalb der Gruppe zur Verfügung stellt. Er wird sich zu Anfang in erster Linie auf die eigenen Erfahrungen als Gruppenmitglied beziehen und sich am Modell seines Gruppenleiters orientieren. Darüber hinaus verfügt er wahrscheinlich über theoretisches Wissen, was Gruppendynamik, Aufgabe des Gruppenleiters und wesentliche Prinzipien der Gestalt betrifft .

Sein innerer Supervisor ist quasi erst ein Schössling, der noch wachsen und reifen wird. Die anfängliche Imitation wird der eigenen spontanen Kreation weichen. Der vorerst internalisierte äußere Supervisor wird zunehmend durch den eigenen inneren Supervisor ersetzt.

Das, was nützlich war, kann vom Vorbild und Supervisor übernommen werden, anderes wird verworfen, neu erfunden und ausprobiert. Dies ist ein lebenslanger Prozess.

Es ist ratsam, auch als erfahrener Gruppenleiter, Supervision in Anspruch zu nehmen. Diese braucht nicht mehr so engmaschig zu sein und kann auch in einem Kreis von erfahrenen Kollegen stattfinden, denn der innere Supervisor kann über weite Strecken die wichtige Funktion der kritischen Selbstreflexion übernehmen.

Wenn es allerdings um blinde Flecken geht (was die Psychoanalyse Gegenübertragung nennt), brauche ich manchmal »Sehende«, um mich aus der Fixierung lösen zu können und wieder in den Kontakt mit mir, mit der Gruppe und einzelnen Gruppenteilnehmern zu gelangen.

Die Kultivierung des inneren Supervisors