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Schwarze Knopfaugen, beeindruckende Schneidezähne, großer Paddelschwanz, dichter Pelz – Biber sind nicht nur entzückende Tiere, sondern auch schlau, empathisch, kommunikativ, verspielt und eigentlich sehr scheu. Als Bettina und Christian Kutschenreiter an einem Fluss auf eine Biberfamilie treffen, ist das der Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft. Die Biber lassen sie nach und nach an ihrem Leben teilhaben, suchen schließlich sogar bewusst ihre Nähe, und geben dieses Vertrauen seitdem jedes Jahr an ihre Jungtiere weiter. Und doch bleiben sie zugleich wild lebende Tiere, die sich ihre natürliche Scheu vor anderen Menschen bewahrt haben.
Bettina und Christian Kutschenreiter, beide als Naturfotografen und Biberexperten bekannt, erzählen verblüffende und warmherzige Geschichten, die zeigen, was für faszinierende und erstaunliche Wesen Biber sind – und dass sie uns nicht nur ähnlicher sind, als wir denken, sondern auch, wie sehr wir Menschen auf die kleinen fleißigen Baumeister angewiesen sind.
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Seitenzahl: 227
Veröffentlichungsjahr: 2024
Schwarze Knopfaugen, beeindruckende Schneidezähne, großer Paddelschwanz, dichter Pelz – Biber sind nicht nur entzückende Tiere, sondern auch schlau, empathisch, kommunikativ, verspielt und eigentlich sehr scheu. Als Bettina und Christian Kutschenreiter an einem Fluss auf eine Biberfamilie treffen, ist das der Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft. Die Biber lassen sie nach und nach an ihrem Leben teilhaben, suchen schließlich sogar bewusst ihre Nähe, und geben dieses Vertrauen seitdem jedes Jahr an ihre Jungtiere weiter. Und doch bleiben sie zugleich wild lebende Tiere, die sich ihre natürliche Scheu vor anderen Menschen bewahrt haben.
Bettina und Christian Kutschenreiter, beide als Naturfotografen und Biberexperten bekannt, erzählen verblüffende und warmherzige Geschichten, die zeigen, was für faszinierende und erstaunliche Wesen Biber sind – und dass sie uns nicht nur ähnlicher sind, als wir denken, sondern auch, wie sehr wir Menschen auf die kleinen fleißigen Baumeister angewiesen sind.
Bettina Kutschenreiter und Christian Kutschenreiter, beide 1974 geboren, entdeckten die Naturfotografie vor 25 Jahren für sich. Seit 2003 widmen sie sich speziell dem Thema Biber. Ihre Foto- und Filmarbeiten werden in Vorträgen gezeigt und in Zeitschriften, Magazinen, Büchern und im Fernsehen veröffentlicht. Bettina und Christian Kutschenreiter leben im Voralpenland.
BETTINA KUTSCHENREITERCHRISTIAN KUTSCHENREITER
Unsere außergewöhnliche Freundschaft mit einer Biberfamilie
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Originalausgabe 09/2024
Copyright © 2024 by Ludwig Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Ulrike Strerath-Bolz
Umschlaggestaltung: wilhelm typo grafisch unter Verwendung eines Fotos von © Bettina und Christian Kutschenreiter
Fotos im Innenteil: © Bettina und Christian Kutschenreiter
Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-31954-0V001
www.Ludwig-Verlag.de
Vorwort
Projekt »Biber«
Aller Anfang ist schwer
Der Durchbruch
Eine besondere Freundschaft entsteht
Endlich akzeptiert – nichts ist mehr vor den Bibern sicher
Biberwissen aus erster Hand
Der Körper des Bibers – perfekt ans Wasser angepasst
Geschickte Hände – die Vorderpfoten
Kräftige Füße – die Hinterpfoten
Die Kelle
Das Fell
Die Zähne
Gut geschärfte Sinne
Baumfällungen
Population
Lebenserwartung
Baumeister Biber
Begabte Kletterer
Tage und Nächte
Der Speiseplan der Biber
Kuriose Idee – Biber als Wetterpropheten?
Im zugefrorenen Gewässer
We are family!
Die Biberfamilie – ein dynamisches System
Paarungs- und Tragezeit
Die ersten Lebenstage
In die große Welt hinaus – erste Begegnungen mit den jungen Bibern
Kleine Händchen lernen schnell
Fellpflege ist lebenswichtig
Biberspiele
Nase-Nase – das Begrüßungsritual
Biber und andere Tiere
Frühwarnsystem »Biber«
Biber als Naturschützer
Biber und Ratten
Untermieter und Nutznießer
Biber, Fische & Co.
Allerlei Begegnungen rund um die Biberburg
Beobachtungen, Erlebnisse und unvergessliche Geschichten
Anhängliche Biber
Dreistigkeit kennt keine Grenzen
Unsere Biber sind nicht »zahm«
Männchen oder Weibchen?
Wer bist denn du? So erkennen wir die einzelnen Familienmitglieder
Jeder Biber ist anders – Charaktere, Verhaltensweisen und Allüren
Omi, Mutti, Tochter, Halbgeschwister, Onkel, Tante, Enkel …
Der größte Feind der Biber sind die Biber selbst
Was wurde eigentlich aus unseren Jungbibern?
Schreck in der Abendstunde
Noch haben wir alle Finger
Die Rasselbande – ein Biberbild geht um die Welt
»Plüschi« – die traurige Geschichte eines kleinen Bibers mit Handicap
Die Katastrophe – unsere Biber besuchen uns plötzlich nicht mehr
Endlich wieder Jungtiere!
Biberfreunde – Biberfeinde
Die Wiederansiedlung der Biber – eine Erfolgsgeschichte
Die rechtliche Situation
Was passiert, wenn der Biber wirklich stört?
Bibermanagement kann Konflikte lösen – wenn man dazu bereit ist
Skrupellose Biberfeinde
Biberschutz ist Naturschutz
Biber ehrenhalber – wie sich unser Leben verändert hat
Wer passt sich hier an wen an?
Unser persönliches Engagement
Anhang
Wichtige Informationsquellen
Tipps zum Weiterlesen
Über uns
Dank
Bildteil
Um es gleich vorweg zu sagen: Beruflich haben wir eigentlich nichts mit Bibern zu tun. Wir arbeiten beide in München, pendeln also jeden Tag zwischen unserer Heimat im Bayerischen Voralpengebiet und München hin und her. Wie üblich sind wir heute Morgen kurz vor fünf Uhr aufgestanden, haben uns kurz fertig gemacht und sind dann Richtung Arbeit losgefahren. Wir starten so früh, um dem Verkehrschaos möglichst zu entgehen und abends mehr Zeit zu haben. Nach den üblichen Widrigkeiten eines Arbeitsalltags freuen wir uns dann schon auf den wohlverdienten Feierabend. Spätestens, wenn wir auf unserem Rückweg vom Irschenberg aus unsere Heimat von oben erblicken, rückt unsere freie Zeit in greifbare Nähe. Zeit für unsere große Leidenschaft: die Biber.
Gegen Abend machen wir uns auf den Weg zu unserer wild lebenden Biberfamilie. Wir freuen uns schon auf die Erlebnisse, die uns der Abend bescheren wird. Jeder Tag ist anders, und es wird selten langweilig. An unserem Treffpunkt angekommen – wir sind leider wieder etwas zu spät dran –, werden wir schon sehnsüchtig erwartet. Das »Mauserl« hält Ausschau nach uns. »Mauserl« ist ein kleiner Biber aus dem Vorjahr, und sie ist etwas ganz Besonderes. Sie liegt regungslos im Wasser wie ein Baumstamm, macht keinen Mucks. Natürlich hat sie uns längst bemerkt. Kurz bevor wir uns hinsetzen, taucht sie ab und lässt sich die nächsten paar Minuten nicht blicken. Nur ein paar kleine Wellen verraten ihr Versteck am Ufer. Nach etwas Zureden schwimmt sie aber doch auf uns zu, fiept lautstark und herzerweichend. Am Ufer angekommen, stockt sie, wird ganz vorsichtig und langsam, pirscht sich zu uns herauf. Kurz bevor sie uns erreicht hat, macht sie eine 180-Grad-Kehrtwende und springt einen Meter weit weg. Dann dreht sie sich um und marschiert zu uns, als wäre nichts gewesen, und holt sich ihre Streicheleinheiten ab.
Wenig später erscheint »Anton«. Schon von Weitem ist er zu hören: Laut fiepend schwimmt er zu uns heran, stürmt das Ufer hoch, und Tina kann ihn gerade noch davon abhalten, dass er es sich auf ihrem Schoss bequem macht. Inzwischen wiegt er an die 25 Kilo, da reicht es durchaus, wenn er sich nur an sie herandrückt, um sich streicheln zu lassen. Wenn es ihm nicht schnell genug geht, stupst er Tina kräftig an. Dann verschwindet er wieder, sucht sich am Ufer einen Ast, kommt kurze Zeit später damit zurück und setzt sich gemütlich zu uns.
Zwischendrin fiept er plötzlich und schaut uns mit großen Augen an. Offensichtlich hat er festgestellt, dass wir zwei ja ganz ohne Ast dasitzen, und das geht natürlich gar nicht. Also beißt er von seinem Ast einen Teil ab und bringt ihn uns. Er legt das Holzstück einfach vor unseren Füßen ab wie ein Hund, der ein Stöckchen apportiert. Er bleibt stehen, fiept abermals, sieht uns direkt mit erhobenem Kopf in die Augen: Hab ich das nicht gut gemacht? Natürlich loben wir ihn ausgiebig, und ein paar Streicheleinheiten springen dabei auch für ihn raus.
Wir sehen uns begeistert an und fragen uns, was Anton uns wohl sagen will, was er damit ausdrücken möchte. Außer ihm hat bisher noch kein Biber jemals dieses Verhalten gezeigt. Ein paar Minuten später schwimmt er weg, ohne den Ast oder die Blätter gefressen zu haben. Es scheint, als hätte er ihn uns wirklich nur bringen wollen. Was für ein einmaliges Erlebnis! Warum er das macht, wissen wir leider nicht, und bis jetzt konnten wir das auch nicht herausfinden. Vermutlich wird es auch dabei bleiben. Der Rest der Familie lässt sich heute nicht bei uns blicken. Doch nach diesem einmaligen Erlebnis fahren wir mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause.
Und morgen? Wahrscheinlich werden wir unsere Biberfamilie auch morgen wieder besuchen. Wie wir es schon seit Jahren tun.
Vermutlich stellen Sie sich jetzt die Frage, wie es überhaupt erst dazu kommen konnte. Davon und von unseren Erlebnissen mit den Bibern erzählt dieses Buch.
Seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigen wir uns mit dem Thema Biber. Eine lange Zeit, in der die Faszination immer weiter gewachsen ist. Allerdings hätten wir am Anfang wirklich nicht geglaubt, dass Biber jemals eine so wichtige Rolle in unserem Leben spielen würden. Heute sagen wir: Wir möchten keine Sekunde mit diesen Tieren missen und sind froh, dass wir ihnen einen so großen Teil nicht nur unserer Zeit, sondern unseres Lebens gewidmet haben.
Nach einigen Jahren der Beschäftigung mit einer Gruppe von Bibern wurden wir als »Familienmitglieder« akzeptiert. Seitdem gewähren uns die Tiere einzigartige Einblicke in ihr Familien- und Sozialleben mit allen Höhen und Tiefen, ohne sich durch unsere Anwesenheit gestört zu fühlen.
Anfangs war unsere Arbeit geprägt von Unwissenheit und Rückschlägen. Wir brachten wenig Wissen mit, aber dafür sehr viel Geduld und Ausdauer. Die brauchten wir auch, denn zu Beginn wurden wir von Teilen unserer Familien und unseres Freundes- und Bekanntenkreises rundheraus zu Spinnern erklärt. Schon die ersten größeren Anschaffungen von Kameras und Objektiven versuchte man uns auszureden. Erst nach vielen Jahren, nach zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen zu dem Thema schlug die Skepsis in Anerkennung um. Wichtiger als die Anerkennung der Zweibeiner ist uns aber die einzigartige Freundschaft zwischen uns und einer wild lebenden Biberfamilie.
Wild lebend heißt: Unsere Biberfamilie lebt frei und in absoluter Wildnis. Es handelt sich weder um eine Domestizierung noch um Handaufzucht, Gehege oder gar Gefangenschaft. Sie kommen und gehen, wann immer sie wollen. Umso erstaunlicher, dass die Tiere uns so viel Vertrauen schenken. Das ist der schönste Lohn für unsere Mühe. Es ist nicht immer ganz einfach, den regelmäßigen Kontakt zu den Bibern zeitlich zu organisieren, zumal wir ja noch »bürgerlichen Berufen« nachgehen, aber es ist den Aufwand definitiv wert. Und spätestens, wenn sich so ein Kerlchen wieder an uns ankuschelt, sich genüsslich streicheln lässt oder im Gegenzug versucht, unseren kläglichen »Restpelz« zu pflegen, wenn wir nach einer Pause unserer Besuche lautstark fiepend begrüßt werden, wird uns wieder bewusst, wie außergewöhnlich und kostbar diese Freundschaft ist.
Wir halten täglich Kontakt zu den Bibern, nur unterbrochen durch unsere Reisen, die sich allerdings über mehrere Wochen erstrecken können. Unser täglicher Zeitaufwand beträgt ca. eine bis vier Stunden. Unsere Erfahrungen und Erlebnisse beziehen sich zu 95 Prozent auf diese eine Biberfamilie. Wir erleben mittlerweile das dritte Weibchen sowie das zweite (uns bekannte) Männchen, und wir durften die ersten beiden Lebensjahre von mittlerweile 27 Jungtieren miterleben.
Den einschlägigen Interessenverbänden der Land-, Forst- und Jagdwirtschaft ist es leider mit vielen Veröffentlichungen und Stellungnahmen zum Thema Biber gelungen, den größten Landschaftsgestalter unserer Heimat völlig zu Unrecht in ein negatives Licht zu rücken. Gebetsmühlenartig werden Forderungen nach »Entschädigung«, »Abschuss« und »Entnahme« (ein verharmlosendes Wort für das Töten der Tiere) gestellt. Unsere Arbeit wird dadurch nicht unbedingt leichter. Auch deshalb versuchen wir mit unseren Vorträgen und Veröffentlichungen, interessierten Personen einen Einblick in das Familienleben der Biber zu gewähren. Ab und zu lernt man dabei sehr interessante und charismatische Persönlichkeiten kennen. Einige wenige gehören inzwischen zu unserem engeren Freundeskreis.
Umso dankbarer sind wir, dass wir nun die Möglichkeit haben, ein Buch zu veröffentlichen und damit noch mehr Menschen zu erreichen. Wir möchten Sie in die Welt eines der wohl faszinierendsten Tiere unserer Heimat entführen. Hoffentlich springt ein kleiner Funke unserer Begeisterung auf Sie über.
Es begann, wie so vieles im Leben, mit einem Zufall. Es war Juni, und ich wollte eigentlich einen Eisvogel fotografieren. Ich legte mich versteckt an einem abgelegenen Altwasserarm auf die Lauer, um zunächst die Lage zu sondieren und ihn aus der Ferne betrachten zu können. Wie erhofft, bekam ich den Eisvogel zu Gesicht und konnte ihn sogar beim Fischen beobachten. Von einem Ast aus schoss er pfeilschnell ins Wasser, tauchte mit einer kleinen Elritze im Schnabel wieder auf und flog sofort zu seinem Ansitz zurück. Die Beute wurde mit einigen harten Schlägen auf den Ast getötet und dann mit dem Kopf voraus in einem Stück verschluckt.
Es war ein Eisvogelmännchen, zu erkennen an der schwarzen Schnabelunterseite. Beim Weibchen wäre diese orange gefärbt. Nach ein paar Stunden waren mir schon einige schöne Ansitzfotos des fliegenden Juwels gelungen; jedes noch so kleine Federchen war zu erkennen. Was für ein prächtiges Kerlchen!
Es wurde Abend, das schöne Licht war verschwunden, und so verließ ich nach etlichen Stunden mein Tarnzelt. Plötzlich war in unmittelbarer Nähe ein lautes Platschen zu hören. Ich fuhr erschrocken zusammen. Das Ufer ist in diesem Bereich sehr steil und die Vegetation sehr dicht. Anfangs konnte ich die Ursache also nicht ausmachen; es waren nur ein paar Wellen zu sehen. Ich musste mich weit über die Steiluferkante beugen und warten. Und richtig: Da waren die Verursacher, eine Biberfamilie bestehend aus zwei Alt- und drei Jungtieren, die sich beim abendlichen Spiel und bei der Nahrungssuche offensichtlich von mir gestört fühlten. Die Jungen waren noch sehr klein, fast winzig im Vergleich zu den Alttieren, und hatten große Mühe abzutauchen. Platsch, schon wieder erschreckten sie mich, indem die Alttiere mit voller Wucht ihre kräftige Kelle auf die Wasseroberfläche schlugen. Das Wasser spritzte viele Meter weit.
Dem ersten Schreck folgte Begeisterung. Ich war absolut überwältigt. Noch nie war ich einer Biberfamilie so nahe gekommen. Sofort rief ich meine Frau Tina an und erzählte ihr von der zufälligen Begegnung. Noch am selben Abend beschlossen wir, ein »Biberprojekt« zu starten. Wir wollten unbedingt mehr über diese wunderbaren Tiere in Erfahrung bringen und natürlich auch versuchen, diese zu fotografieren.
Unser Wissen über Biber war damals, wie schon gesagt, mehr als dürftig. Aber wir begannen fleißig zu recherchieren und informierten uns auf allen Kanälen, denn wir wollten unbedingt mehr über das Verhalten und die Lebensweise der Tiere in Erfahrung bringen. Gleichzeitig starteten wir eine umfangreiche Spurensuche in dem Gebiet, wo mir die Biber zum ersten Mal begegnet waren.
Bald entdeckten wir dann auch einige sanduhrförmig angenagte und gefällte Weiden. Die Äste waren verschwunden, nirgends mehr zu finden. Die Rinde war sorgfältig von den Bäumen abgeschält worden. Die Bissspuren und die großen Holzspäne zeigten, dass hier zweifellos Biber am Werk waren. Leider war aber nirgends eine Biberburg oder ein Biberdamm zu sehen. Lediglich einige handtellergroße Pfotenabdrücke im Schlamm fanden wir nach tagelanger Suche. Von ihrer Größe waren wir durchaus beeindruckt. Die Schwimmhäute zwischen den Zehen waren deutlich zu erkennen.
Das war’s dann aber auch schon; mehr als diese dürftigen Ergebnisse brachte unsere ausgedehnte Spurensuche nicht. Es half alles nichts, wir mussten unsere eigenen Erfahrungen machen. Doch wie sollten wir das anfangen? Und wo sollten wir beginnen?
Wir entschieden uns, den Platz meiner ersten Begegnung mit den Bibern als Startpunkt auszuwählen. Damals hatten wir keine Ahnung, wie schwierig und langwierig das Unterfangen werden würde bis zu den ersten wirklich brauchbaren Biberfotos.
Die Gegend, in der die Biberfamilie lebt, ist weit abgelegen. Nur wenige Menschen verirrten sich damals dorthin. Daher waren die Biber die Anwesenheit von Menschen nicht gewohnt. Anfangs sahen wir das als Chance, dort ungestört arbeiten zu können, doch zunächst erwies sich dieser Umstand als eine zusätzliche Herausforderung. Denn leider waren die Biber, die einfach kaum Menschen kannten, ganz besonders scheu, also noch empfindlicher, als man es ihnen ohnehin schon nachsagt.
Doch wir ließen uns nicht beirren. Fast jeden Abend waren wir vor Ort, bewaffnet mit Fernglas und Fotoapparat, allen Rückschlägen zum Trotz. Und Rückschläge gab es mehr als genug; unser Versuch, die Biberfamilie zu beobachten oder gar eine Beziehung zu den Tieren aufzubauen, schien keine Aussicht auf Erfolg zu haben. Zu Anfang (und damit sind nicht Tage oder Wochen gemeint, sondern Monate und Jahre) durften wir uns glücklich schätzen, wenn wir im letzten Abendlicht einen schemenhaften Blick auf einen in 30 Metern Entfernung platschenden Biber erhaschen konnten.
So vergingen zwei wirklich äußerst mühselige Jahre. Bei jeder noch so kleinen Bewegung, sobald der Wind drehte oder wenn irgendein leises (nicht einmal von uns verursachtes) Geräusch zu hören war, zogen sich die Biber sofort zurück und ließen sich meist bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht mehr blicken. Von Fotografieren konnte gar keine Rede sein. Damals fotografierten wir noch analog, und so war bei den schlechten Lichtverhältnissen der Einsatz eines Blitzgeräts nicht zu vermeiden. Doch bereits das für uns quasi unhörbare Pfeifen des Blitzgeräts hielt die sensiblen Biber auf Abstand. Ganz zu schweigen von dem lauten mechanischen Geräusch unserer auslösenden Spiegelreflexkamera.
Trotzdem ließen wir uns nicht beirren. Der abendliche Besuch bei den Bibern wurde zur Gewohnheit, auch wenn wir kaum Fortschritte verzeichnen konnten. Aber wir lernten das Gebiet anderweitig sehr zu schätzen. Jeder Tag war anders, und es gab ständig etwas Neues und Spannendes zu beobachten. Nach einem anstrengenden und ereignisreichen Arbeitstag fanden wir dort unsere Erholung.
Die Mücken machten uns jedoch unheimlich zu schaffen. Zu Hoch-Zeiten umschwärmten uns Tausende Mücken in einer dunklen Wolke. Von den stark riechenden Mückenschutzmitteln waren die Biber natürlich überhaupt nicht angetan. Wild herumzufuchteln, um die Mücken zu verscheuchen oder zu erschlagen, machte die Sache auch nicht besser. So setzten wir im biologischen Selbstversuch auf Abhärtung und stellten fest: So ab dem dreißigsten bis fünfzigsten Mückenstich juckt es fast nicht mehr. Wir entschieden uns für die »harte Tour« in der Hoffnung auf eine Chance, vielleicht einen kurzen Blick auf die Biber zu erhaschen.
Im Laufe der Zeit probierten wir alles Mögliche aus, um einen Kontakt zu den scheuen Tieren herzustellen. Die meisten Methoden erwiesen sich als erfolglos, aber siehe da, beruhigendes und sanftes Ansprechen der Biber zeigte durchaus Wirkung. Na gut, dachten wir uns, Menschen reden mit allen möglichen Haustieren. Warum also sollten wir nicht auch mit »unseren« Bibern reden? Allmählich reagierten sie etwas zutraulicher, und wir konnten sie öfter kurz beobachten. Offenbar hatten sie inzwischen den Eindruck gewonnen, dass von uns keine Gefahr ausgeht. Aber wir waren ihnen immer noch ziemlich suspekt. Sie näherten sich kaum einmal auf weniger als 10 bis 15 Meter und tauchten nur an uns vorbei. Jede Veränderung unsererseits wurde von ihnen als Störung empfunden. So suchten wir uns einen möglichst guten und ruhigen Platz, an dem wir in Zukunft immer saßen. Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit sollten uns Erfolg bringen, jedenfalls hofften wir das.
Bald wurde uns klar, welche entscheidende Rolle das Muttertier spielte. Gelegentlich wurden wir von den Jungtieren aus der Ferne neugierig beäugt, was uns natürlich sehr freute. Aber die Vorsicht und das Misstrauen der Mutter uns gegenüber verhinderten einen näheren Kontakt. Als Matriarchin hatte sie die größte Autorität und achtete sehr auf die Sicherheit der Familie. Sie entschied, gab den Ton an und tadelte das unvorsichtige Verhalten der Jungen. Zwar fasste auch sie langsam mehr Vertrauen zu uns, doch sie blieb immer in gebührender Distanz – und damit leider auch der Rest der Familie.
So verstrich das erste Jahr ohne nennenswerte Erfolge. Im zweiten Jahr passierten uns die Biber in der Dämmerung immerhin schon schwimmend und nicht mehr nur tauchend. So gelangen uns die ersten brauchbaren Fotos, zum Beispiel von dem Weibchen, das sich auf der anderen Uferseite ausgiebig putzte oder durch eine seichte Stromschnelle stapfte.
Im Herbst des zweiten Jahres ereignete sich eine dramatische Veränderung im Leben der Biberfamilie. Von einem Tag auf den anderen war das Muttertier, unsere lieb gewonnene »Mutti«, spurlos verschwunden. Es war nicht ungewöhnlich, dass wir einige Biber längere Zeit nicht zu Gesicht bekamen. Vor allem mit der Ernährungsumstellung im Herbst passierte das immer wieder. So hofften wir wochenlang auf ein Wiedersehen, leider jedoch vergeblich.
Aufgrund ihrer beachtlichen Größe vermuteten wir, dass sie wahrscheinlich an Altersschwäche gestorben war und ein geschätztes Alter von fünfzehn bis zwanzig Jahren – die durchschnittliche Lebenserwartung von wild lebenden Bibern – erreicht hatte. Sie war der größte Biber, den wir bis heute jemals beobachtet haben. Selbst Biber, deren Alter wir mit Sicherheit kennen und die vierzehn Jahre alt sind, haben ihre Größe noch immer nicht erreicht.
Dazu muss man wissen, dass Biber ihr ganzes Leben lang wachsen, mit zunehmendem Alter natürlich immer langsamer. Die maximale Lebenserwartung hängt von vielen Faktoren ab. In freier Wildbahn liegt sie zwischen acht und zwanzig Jahren. In Gefangenschaft können Biber ein Alter von über dreißig Jahren erreichen.
Wir waren besorgt um die Zukunft der Familie, denn Biber leben streng monogam, und der Tod des erfahrenen Muttertiers bedeutete echte Gefahr.
Dann die Überraschung: Im Winter, also im Januar/Februar, zur Paarungszeit der Biber, stellte sich eine Nachfolgerin als Familienoberhaupt ein. Sie war erheblich kleiner, jünger, neugieriger und uns gegenüber deutlich aufgeschlossener als die alte »Chefin«. Bis zum Frühsommer gelang es uns, wesentlich mehr Vertrauen aufzubauen. Einzelne Biber näherten sich uns bis auf wenige Meter; Blitz, Fotoapparat und langsame Bewegungen von uns wurden ohne jede Reaktion toleriert. Endlich gelangen uns auch die ersten wirklich tollen Biberfotos.
Das neue Weibchen war trächtig, und mit großer Spannung erwarteten wir, was uns die neue Bibersaison bescheren würde. Und tatsächlich – nach zwei Jahren sollten unsere intensiven Bemühungen endlich von Erfolg gekrönt sein.
Mittlerweile war es Juni, und es herrschte reges Treiben und Aktivität im Biberrevier. Wir wussten, dass es Jungtiere geben musste, alles deutete darauf hin, aber wir hatten noch keines beobachten können.
Doch eines Abends, wir waren wie immer vor Ort, geschah plötzlich das, worauf wir so lange gehofft hatten. Zu unserer großen Überraschung erschien plötzlich ein kleiner Biber direkt vor uns. Er war geradezu winzig, er hätte leicht in meiner Hand Platz gefunden. Wir saßen da wie versteinert, wagten kaum zu blinzeln und harrten der Dinge, die nun passieren würden.
Der Knirps hatte uns natürlich entdeckt, kam immer näher und »pirschte« sich minutenlang Zentimeter für Zentimeter in Zeitlupe an uns heran. Es war offensichtlich, dass er uns nicht so recht traute; unzählige Male zögerte er, aber die Neugier überwog. Schließlich beschnupperte er vorsichtig Tinas Bergstiefel, knabberte diesen ganz sachte an, machte einen kleinen Sprung mit einer 180-Grad-Kehrtwende, flüchtete dann sogleich ins Wasser und verschwand. Was für ein Erlebnis, was für eine Freude! Wir konnten unser Glück gar nicht fassen.
Doch damit nicht genug: Das Kerlchen machte am selben Abend noch mehrere Annäherungsversuche und setzte sich zu guter Letzt vor uns am Ufer ins seichte Wasser und beobachtete uns einfach nur.
Endlich war das Eis gebrochen. In den nächsten paar Wochen überschlugen sich die Ereignisse förmlich. Auch die anderen Familienmitglieder aller Altersklassen wurden mutiger, und die Vertrauensbeweise vonseiten der Biber steigerten sich Tag für Tag. Sie schwammen plötzlich mit Weidenästen zu uns, setzten sich direkt vor uns ans Ufer und fraßen diese in aller Ruhe, als wären wir gar nicht da.
Zwei anfängliche Ereignisse jedoch blieben uns sehr gut in Erinnerung. Das Weibchen näherte sich etwas argwöhnisch. Aus der Uferböschung ragten überall Wurzeln heraus. Sie kam immer näher und begann, eine Armeslänge von uns entfernt, störende Wurzeln abzubeißen. Dabei ließ sie uns nicht aus den Augen, starrte uns förmlich an. Wir wussten anfangs gar nicht, wie uns geschieht, und konnten die Situation überhaupt nicht einschätzen. Würde das Weibchen uns angreifen? Konnte das gefährlich werden? Wir hatten keine Ahnung. So ein großer Biber direkt vor uns, das halb geöffnete Maul mit den großen Schneidezähnen, das laute quietschende Geräusch der Wurzeln, die mit messerscharfen Zähnen durchtrennt wurden … Eine echte Gänsehautsituation, ehrlich gesagt fühlten wir uns ganz und gar nicht wohl dabei. Hatten wir etwas falsch gemacht? War sie uns nicht wohlgesinnt? Wollte sie ihre Jungen verteidigen? Wir hatten derartige Erfahrungen bis dahin noch nicht gemacht, aber ich denke, was wir da zu sehen bekamen, war durchaus eine Art Drohgebärde.
Ein paar Tage später kletterte das Weibchen entschlossen die Uferböschung zu uns hoch, stapfte langsam, aber zielstrebig auf Tina zu und machte dann direkt vor ihr Männchen. Das klingt erst einmal nicht so dramatisch. Aber stellen Sie sich das vor: Sie sitzen auf dem Boden, der Biber watschelt auf Sie zu, setzt sich direkt vor Ihnen ebenfalls auf den Boden, macht unverhofft Männchen, ist plötzlich so groß wie Sie selbst, schaut Ihnen direkt in die Augen, das Maul ist halb geöffnet, die scharfen Zähne kommen bedrohlich nahe, der Kopf ist so groß wie der eines Schäferhundes, und er fängt an, Sie intensiv zu beschnüffeln, weil er wissen will, mit wem er es zu tun hat.
Wieder stockte uns der Atem. Wir hielten still, vermieden jede Bewegung, schwitzten gehörig, und erst nach einer gefühlten Ewigkeit war es vorbei: Die Bibermutter drehte sich um, ging zurück ins Wasser, tauchte ab und verschwand.
Heute wissen wir: Die Situation war vollkommen harmlos, das Weibchen hatte überhaupt keine bösen Absichten, sie war nur neugierig. Aber natürlich hatte sie uns mit ihrem Verhalten und der direkten Art der Kontaktaufnahme völlig überrumpelt. Von da an ging alles sehr rasch. Sie wurde schneller zutraulich, als uns manchmal lieb war. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich unsere Aufregung und Nervosität gelegt hatte. Aber dieses Weibchen hat uns tief und nachhaltig beeindruckt.
Zu unserer großen Freude wurde unser täglicher Treffpunkt von den kleinen Bibern zum Spielplatz auserkoren. Manchmal kamen sie gemeinsam mit den älteren Geschwistern, manchmal auch allein. Aber sie besuchten uns fast täglich, fühlten sich in unserer Nähe offensichtlich wohl und suchten immer öfter den direkten Kontakt zu uns.
Das gegenseitige Vertrauen wuchs von Tag zu Tag. Endlich wurde unsere Geduld belohnt, und es war ein Riesenspaß, die Abende mit der Biberfamilie zu verbringen. Jeder Tag brachte neue Überraschungen, es gab so viel Neues zu entdecken, zu beobachten und zu lernen! Unsere Eindrücke und Gefühle kann man schwer in Worte fassen oder auch nur versuchen zu beschreiben, eigentlich muss man es selbst erlebt haben, »Biber ehrenhalber« sein zu dürfen.
Wenn die Biber satt waren, fingen sie sogar gelegentlich an, sich selbst oder einen der anderen direkt neben uns zu putzen. Dabei drehten sie uns manchmal sogar den Rücken zu: ein Zeichen absoluten Vertrauens.
Dass unsere Beziehung jemals so weit gehen würde, hätten wir uns nie träumen lassen. Jetzt waren wir endlich in der Lage, einzigartige Erfahrungen und Erlebnisse zu sammeln, von den Bildern ganz zu schweigen. Doch damit trat ein neues Problem auf, mit dem wir nicht gerechnet hatten: Die Biber waren jetzt meist viel zu nah, wir konnten oft gar nicht mehr scharf stellen! Also ließen wir die Teleobjektive daheim. Weitwinkel- und sogar Makroobjektiv waren ab jetzt die bessere Wahl.
Doch vor den Rabauken war nichts mehr sicher. Nicht nur, dass wir ständig irgendwelche schmutzig nassen Nasen- und Pfotenabdrücke auf den Linsen oder Kameras hatten und mit dem Putzen kaum mehr hinterherkamen – auch die Sonnenblenden wurden gerne mal angeknabbert. So statteten wir alle Objektive mit Schutzfiltern als Verschleißartikel aus. Regelmäßig mussten wir aber auch die Ausrüstung in Sicherheit bringen, weil wir der Lage sonst nicht mehr Herr wurden.
Kleine Biber sind in den ersten Monaten ihres Lebens unheimlich neugierig und verspielt, wie alle jungen Säugetiere. Alles wird beschnüffelt, angetatscht, gestupst, untersucht und meist auch angeknabbert. Natürlich waren wir davon nicht ausgenommen. Am meisten litten darunter Schuhbänder, Handschuhe, Jacken und Hosen. Und mit zunehmendem Alter der Jungbiber wird dann aus dem Knabbern auch mal ein Durchlöchern.
Vor allem die Wathose hat es ihnen angetan. In dem Gewusel verliert man schnell den Überblick, vor allem, wenn man im Wasser sitzt. Auf das Schnuppern folgt schnell das probeweise Reinbeißen, und schon ist es passiert. Wenn es dann plötzlich schlagartig nass und kalt wird, ist es mal wieder so weit; also schnell raus aus dem Wasser, bevor die Hose vollläuft und man fast nicht mehr rausklettern kann. Wir müssen unsere Wathosen mehrmals im Jahr flicken, wenn sich daran eine Neugiernase zu schaffen gemacht hat. Das Ganze ist natürlich nicht böse gemeint, sondern einfach Neugierde und Spieltrieb. So sitzen wir am Ende doch wieder mit einem Lächeln da, denn den liebenswerten Kerlchen kann man einfach nicht böse sein.