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Den Geschichten und Gedichten in diesem Buch ist eines gemeinsam: Am Ende gibt es mindestens eine Leiche – oder eine Person, die sich mit dem Tod auseinandersetzen muss. Claudia Kociucki schreibt hauptsächlich, um ihre verschiedenen Textsorten und Themen auf die Bühne zu bringen. Hierfür hat sie ein eigenes Format entwickelt: eine Mischung aus szenischer Lesung, Theater, Kabarett und Poetry-Slam-Beiträgen – verbunden durch einen roten Faden und vorgetragen in unterschiedlichsten Präsentationsformen. Abwechslungsreich und anspruchsvoll. Wie die Texte dieses Lesebühnenprogramms.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Autorin: Claudia Kociucki Originalausgabe: März 2023Bühnenpartner: Marcel Pichler
Covermotive: Christian Herrler
Coverdesign: Michael FrädrichDruck: BoD – Books on Demand, Norderstedt
© Edition Paashaas Verlag
www.verlag-epv.de
Printausgabe: ISBN: 978-3-96174-120-5
(Sofern die Texte anderweitig erstveröffentlicht wurden, ist dies vermerkt. Die Rechte liegen bei der Autorin.)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
Claudia KociuckiGestorben wird immer – oder: Radieschen von oben
Ausgewählte Texte zum und aus dem Lesebühnenprogramm
ist Autorin, Lesebühnenakteurin und Künstlerin aus Recklinghausen. Viele ihrer Geschichten, Szenen und Gedichte sowie ein Shakespeare-Remake sind bereits veröffentlicht worden, aber hauptsächlich schreibt sie, um ihre unterschiedlichen Textsorten auf die Bühne zu bringen. Hierfür hat sie eigenes Lesebühnenformat entwickelt: eine Mischung aus szenischer Lesung, Theater und Kabarett. Dieses einzigartige Format verbindet die Texte (die über eine Bandbreite von Hochliteratur über experimentelle Formen bis hin zu Beiträgen für Poetry Slams verfügen) mit einem thematischen roten Faden und fügt sie dramaturgisch mit abwechslungsreichen Präsentationsformen zusammen. Gestorben wird immer – oder: Radieschen von oben ist eines der Programme aus ihrer Feder, das sie mit ihrem Partner Marcel Pichler auf die Bühne bringt.
Informationen und Termine siehe https://www.lesebuehne.com/
Von Haus aus ist Claudia Kociucki Sprachlehr- und -lernforscherin sowie Literaturwissenschaftlerin und hat zu Interkulturellem Lernen promoviert. Neben dem Schreiben und Bloggen malt sie, spielt Klavier und moderiert Literaturveranstaltungen. Eine Herzenssache ist ihr die Deutsche DepressionsLiga, in der sie seit 2022 ehrenamtlich aktiv ist.
Jedem Anfang wohnt das Ende inne.
»Eine mutige Auseinandersetzung mit dem Thema Tod«, so die Rückmeldung einer Besucherin am Ende einer Veranstaltung. Mutig? So hatte ich das vorher noch nicht betrachtet. Ja, vielleicht. Persönlich auf jeden Fall, stehe ich doch mit meinem Lebensgefährten gemeinsam in diesem Programm auf der Bühne.
Vor dem Lesen, Vortragen, Performen der so sehr unterschiedlichen Texte stand jedoch deren Auswahl und Zusammenstellung. Oft habe ich am Anfang ein Motto, oder mir geistert ein knackiger Titel durch den Kopf, dann schreibe ich dazu, bis ausreichend Lesezeit für ein abendfüllendes Programm beisammen ist. Alleine oder mit den Partner:innen, mit denen ich zusammen auftrete. Hier war es andersherum:
Seit 2011 schreibe ich (literarisch), irgendwann war mir aufgefallen, dass es eine Reihe von Geschichten, Theaterszenen und Gedichten mit mindestens einer Leiche gab. Oder mit mindestens einer Person, die sich mit dem Tod auseinandersetzen musste. Egal, ob heiter, tiefgründig, spannend oder skurril.
Gemeinsam mit meinem Lebens- und Lesepartner Marcel Pichler habe ich diese Texte mit einem roten (Moderations-)Faden verbunden und dramaturgisch miteinander verknüpft. Nach den Veranstaltungen wurde häufig der Wunsch an uns herangetragen, die Texte nachlesen zu können. So ist dieses Buch entstanden. Es enthält große Teile des Bühnenprogramms sowie ein paar zusätzliche Geschichten, die zum Thema passen.
Wenn Sie das Gesamtwerk von Literatur & Lesebühne sehen möchten, kommen Sie gerne zu einem unserer Auftritte oder laden Sie uns zu sich ein! Unabhängig davon wünsche ich Ihnen nun viele persönliche Lesemomente mit meinen zum Teil sehr persönlichen Texten. Ich weiß sie bei Ihnen in guten Händen.
Ihre/Eure Claudia Kociucki
Ich hoffe echt, ich bin nicht
irgendwann mal ohne dich.
So nur mit mir allein, ganz ich,
ohne das ‚Du‘ – das kann ich nicht.
Was ist, wenn du mal vor mir gehst,
ich noch ´ne Blume auf dich leg
und dann zurück daheim
mit allem ganz alleine steh?
Was mach ich dann?
Wer ruft mich an mitten aus dem Supermarkt,
nur um mich zu fragen,
ob ich auch zwölf Aprikosen-Dosen haben mag,
denn heute sei der letzte Tag,
an dem die zwölf Cent billiger sind?
Oder:
Wer hüllt mich ein,
wenn ich nachts ohne meine Decke lieg?
Wer guckt nach mir,
wenn ich mich wieder mal verstecke wie ein Kind,
so vor der Welt und allem,
was ich mich ohne dich nicht trau?
Immer bist da du mit deinem Arm, in dem ich lieg,
in dem ich gegen alles sieg,
was ich nicht schaff allein.
Nein,
ich will, dass ich vor dir geh!
‚Ladies firstI!‘ –
und ich bin eine Frau.
Ich will keinen Tag,
ohne dass du mit mieser Stimmung aufwachst
und dann doch über einen meiner miesen Witze lachst,
die ich dir hinleg statt frischer Socken!
Ich will keinen Tag,
ohne dass du mir in meiner rosa Krönchen-Königinnen-Tasse Kaffee machst!
Nur du weißt,
mit wie vielen Körnchen braunem Zucker ich ihn mag.
Du würdest jedes einzelne schleifen und polieren,
wenn sie den Kaffee dadurch verbesserten.
Du würdest jede einzelne Träne aus meinen Augen küssen,
bevor sie mein Gesicht verwässerten,
wenn ich weinte,
dass du nicht mehr bist.
Doch das, das ist, …
Nein, das möcht ich niemals müssen!
Und doch werden alle sagen:
»Du schaffst das schon,
du kannst das tragen!«
Und:
»Kopf hoch!
Die Zeit heilt alle Wunden.«
So ein Scheiß!
Das tut sie nicht.
Nein,
ohne dich kann ich nicht sein.
Will ich auch nicht.
Ich weiß genau:
Gehst du vor mir,
das schaff ich nicht.
Ach, merk dir einfach:
‚Ladies first!' –
also ich, deine Frau.
*Poetry Slam-Text (mehrmals im Finale); wurde 2023 gekürzt in eine Theaterproduktion aufgenommen.
»Erinnerst du dich, mein Schatz?«, fragte die Frau (und hatte gleichwohl jeden noch so winzigen Schritt in ihrem Leben vor Augen). »Es war hier vor der Kirche. Hier hast du mir zum ersten Mal gesagt, dass du mich liebst.«
»Ich mag diesen Platz«, sagte der Mann (und hatte gleichwohl Schwierigkeiten, mit der Frau Schritt zu halten).
Die Kirche kam näher, der Glaube entfernte sich.
»Komm mit!«, sagte die Frau.
»Erinnerst du dich, mein Schatz?«, fragte die Frau (und umfasste die linke Hand ihres Mannes). »Es war hier am Fuße des Leuchtturms. Hier hast du deinen Ehering verloren.«
»Ich mag das Meer«, sagte der Mann (und umfasste ein Stück Treibgut mit seiner rechten Hand).
Die Wellen zerschellten am Felsen, das Herz brach entzwei.
»Komm mit!«, sagte die Frau.
»Erinnerst du dich, mein Schatz?«, fragte die Frau (und schaute dabei ihren Mann mit der größtmöglichen Zärtlichkeit an, die ein Mensch hervorzubringen imstande ist). »Es war hier im warmen Sand. Hier haben wir uns zum ersten Mal geküsst.«
»Ich mag die Wellen«, sagte der Mann (und schaute dabei der Gischt zu, wie sie sich auf dem warmen Sand des Nordstrandes ausbreitete).
Die Möwen hoben vom Boden ab, die Erinnerung flog davon.
»Komm mit!«, sagte die Frau.
»Erinnerst du dich, mein Schatz?«, fragte die Frau (und fühlte sich unendlich allein inmitten der unzähligen Menschen). »Es war hier in der Markthalle. Hier haben wir jeden Tag unseren Fisch gekauft.«
»Ich mag Fisch«, sagte der Mann (und fühlte sich unendlich wohl inmitten der unzähligen Gerüche).
Der Fisch sprang vom Haken, die Hoffnung entglitt der Angel.
»Du hast ein Gedächtnis wie ein Fisch«, stellte die Frau klar.
»Ich mag Fisch«, stellte der Mann fest.
»Komm mit, mein Schatz!«, seufzte die Frau mit der größtmöglichen Zuneigung, die ein Mensch zu fühlen imstande ist.
»Komm mit!«, sagte die Erinnerung. Was sie davontrug, war die Vergangenheit – und die Zukunft dazu.
»Komm mit!«, sagte die Demenz. Was sie hinter sich ließ, war ein ganzes Leben – und ein zweites dazu.
*Dieser ‚literarische Spaziergang‘ durch den Ort Nazaré (Portugal) wurde ursprünglich auf Portugiesisch für den Nazarener Literaturwettbewerb verfasst. Auf Deutsch erlangte der Text den 3. Platz beim Open Wort Café Dortmund am 8.11.2013 und wurde daraufhin erstmals veröffentlicht in: 'Best of Wort Café 2013-2014‘, Edition Paashaas Verlag Hattingen, Hrsg. Heike Wulf, 1. Auflage März 2015, Printausgabe: ISBN 978- 3945725153.
*Portugal, 1930. Das Schicksal ihrer Familie hat dem fünfzehnjährigen Bauernmädchen Fidélia eine große Bürde auferlegt, an der sie tagtäglich schwer zu tragen hat. (Nicht nur im wörtlichen Sinne …) Das Leben auf dem kleinen Hof mitten im Alentejo ist geprägt durch Eintönigkeit und Kargheit, durch harte körperliche Arbeit und eine tiefe religiöse Verwurzelung. Das ist ‚Heimat‘ für Fidélia. Doch eines Tages ergibt sich eine unerwartete Chance, diese Heimat neu zu definieren. Fidélia ergreift sie. (Nicht nur im übertragenen Sinne …)
Als die ersten Sonnenstrahlen die Korkeichenrinden in Honigfarbe tauchten, hatte die fünfzehnjährige Fidélia bereits die Hälfte ihres harten Tagwerks verrichtet: Heute hatte sie die Kohlköpfe geerntet und im Holzkarren neben den noch mit Sand bedeckten Zwiebeln aufgeschichtet. Später würde sie noch eine Handvoll Kartoffeln aus der lehmig-feuchten Vorratshöhle holen, die seit über einhundert Jahren unter der Erde den spärlichen Erträgen in dieser unwirtlichen Gegend Kühle verschaffte. Aus den Kartoffeln und dem Kohl würde Fidélia – wie beinahe jeden Tag – für sich und ihren Vater einen sämigen Caldo-Verde-Eintopf in dem gusseisernen Topf kochen, der – rußgeschwärzt – über der Feuerstelle vor sich hin pendelte. Kleine Äste und Zweige aus dem Pinienwäldchen hinter dem Gehöft hatte sie direkt nach dem Aufstehen eingesammelt.