Geteilte Geschichte - Ingolf Kern - E-Book

Geteilte Geschichte E-Book

Ingolf Kern

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Beschreibung

Die Mauer dominierte das Verhältnis der beiden deutschen Staaten und verstellte oft den Blick dafür, dass es in der Realität viele Berührungspunkte gab. Ingolf Kern und Stefan Locke haben nach Orten gesucht, an denen die Gemeinsamkeit, aber auch der Irrsinn der Teilung sichtbar wurden, Orte, die heute vielfach vergessen sind, an die nichts mehr erinnert. Da ist das Postzollamt Falkenberg, in dem täglich Tausende Westpakete kontrolliert wurden, das Ausflugslokal Zenner in Ost-Berlin, das im oberen Stockwerk in einem separaten Teil Westtouristen bewirtete, oder das Dorf Mödlareuth, das durch einen kleinen Fluss in zwei Welten geteilt war – die eine gehörte zu Thüringen, die andere zu Bayern. Der entfernteste Ort liegt in Kanada/Neufundland, wo der kleine Flughafen Gander zum Schlupfloch im Eisernen Vorhang wurde – für privilegierte Transitreisende aus der DDR auf dem Weg nach Kuba. Die Autoren stellen 25 Orte vor, die in besonderer Weise mit der deutsch-deutschen Geschichte verbunden sind, und berichten, was inzwischen aus ihnen geworden ist.

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Seitenzahl: 338

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Ingolf Kern / Stefan Locke

GETEILTE GESCHICHTE

25 deutsch-deutsche Orte und was aus ihnen wurde

Für Else und Mops

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, September 2015 (entspricht der 1. Druckauflage von September 2015) © Christoph Links Verlag GmbH Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected] Karte: Peter Palm, Berlin Lektorat: Jan Martin Ogiermann, Berlin Umschlaggestaltung und Satz: Eugen Lempp, Ch. Links Verlag, Berlin

Inhalt

Titel

Impressum

Inhalt

Vorwort

Bastionen und Vorposten

Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter: Archiv des Unrechts

Ständige Vertretung der DDR, Bonn: Herr Rotkohl und die Totalitäten

Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten, West-Berlin: Nie auf die Toilette mit dem Feind!

Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn: Die letzte Innerdeutsche

Schicksalsorte

Aufnahmelager für DDR-Flüchtlinge, Gießen: Erste Adresse im Westen

Rechtsanwaltskanzlei von Wolfgang Vogel, Ost-Berlin: Ein Lotse in die Freiheit

Auffanglager für Übersiedler aus dem Westen, Molkenberg: Unter Verdacht

Sporthalle Köln: Der Mauerfall vom Rhein

Aufnahmelager für desertierte NATO-Soldaten, Bautzen: Flucht in den Osten

Grenzlinien

Mödlareuth: Weltgeschichte vor dem Küchenfenster

Grenzübergang Hirschberg/Rudolphstein: »Die DDR pfeift, und wir tanzen«

Postzollamt Falkenberg: Irgendwie, irgendwo, irgendwann

Betonwerk Malchin: Der Trick mit der Optik

Hoffnungstäler

Das ZDF in Ost und West: Die Störenfriede

Schlosshotel Wilhelmshöhe, Kassel: Denkpause mit Erdbeeren

Bürgerhaus Neunkirchen: Ein weißer Löwe für das Saarland

RIAS-Gebäude, West-Berlin: »Das ist eine Karte aus dem Osten«

Kuriose Teilung

Priwall, Travemünde/Lübeck: Refugium am Ende der Welt

Haus Zenner, Ost-Berlin: »Selbst aufs Klo kam man nur mit Westgeld«

Reichstagsgebäude, West-Berlin: Zimmer mit Telefon

Handelswege

Planetarium, Wolfsburg: Der Stern von Bethlehem aus Jena

Antikhandel Pirna: Vom Kellner zum Millionär

Deponie Schöneiche: Westmüll für den Frieden

Deutsch-deutsche Welt

Sopron, Ungarn: Panik im Sonnenblumenfeld

Flughafen Gander, Kanada: Die Tür in die Freiheit

Anhang

Kleines Glossar: Die deutsch-deutschen Beziehungen in 25 Begriffen

Literaturverzeichnis

Die Autoren

Vorwort

Als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Juni 1985 auf dem Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf auf das inner- deutsche Verhältnis zu sprechen kam, sagte er: »In Berlin habe ich eine Formulierung gehört, die jeder verstehen kann: Die deutsche Frage ist so lange offen, als das Brandenburger Tor zu ist.« Zwei Jahre später, im September 1987, fiel ein Satz, der mindestens ebenso bedeutungsvoll klang und bildhaft daherkam, aber das völlige Gegenteil beschrieb: »Die Entwicklung unserer Beziehungen, der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland, dessen sind wir uns bewusst, ist von den Realitäten dieser Welt gekennzeichnet, und sie bedeuten, dass Sozialismus und Kapitalismus sich ebenso wenig vereinigen lassen wie Feuer und Wasser.« Ihn sprach Erich Honecker am ersten Tag seines Besuchs in der Bundesrepublik beim Abendessen in der Godesberger Redoute. Offene Fragen, geschlossene Tore, Feuer und Wasser – Synonyme für die Teilung als Lebenswirklichkeit, Hoffnung versprühend auf der einen und sie zerstörend auf der anderen Seite. Die Menschen im Westen sollten für das ferne Ziel Deutsche Einheit bei der Stange gehalten, die Menschen im Osten sich bitte schön im Konsumsozialismus mit beschränkten Reisemöglichkeiten, aber sicheren Arbeitsplätzen und 5-Pfennig-Brötchen einrichten. Zwischen diesen deutsch-deutschen Fensterreden lag ein Alltag der Zweistaatlichkeit, der mit gutem Willen, viel Geld und auch jeder Menge Pfiffigkeit gemeistert werden musste. Den Jahren der Abschottung folgte eine Annäherung durch Wandel, denn während das Feuer des Sozialismus immer schwächer loderte, sprudelte das Wasser des Kapitalismus unverdrossen, um in Honeckers Bild zu bleiben. Und so glich die DDR Mitte der Achtzigerjahre einer kargen, dahinglimmenden Insel, um die das Wasser immer höher stieg.

Dieses Buch hat sich im 25. Jahr der deutschen Vereinigung vorgenommen, genau diese geteilte Lebenswirklichkeit zu beschreiben, und zwar anhand von Orten, an denen sich Deutschlandpolitik ereignete und die Beziehungen zwischen DDR und Bundesrepublik gestaltet wurden. Der Blick richtet sich aber auf nur wenig Offizielles, denn im alltäglichen Zusammenleben ging es um ganz pragmatische Fragen wie das Ausstellen von Passierscheinen, die Müllentsorgung oder gemeinsame Geschäfte – von der Lieferung von VW Golf in den Osten bis zum Verscherbeln von Antiquitäten in den Westen. Neben dem vier Jahrzehnte dauernden Versuch, den jeweils anderen zu übertrumpfen und damit den Sieg des eigenen Systems davonzutragen, gab es ein Miteinanderauskommen zweier Länder in Europa, die wegen der Unteilbarkeit ihrer Geschichte und der Verbundenheit ihrer Menschen zusammengehören. 1989 herrschte deshalb zunächst Jubel und Begeisterung, doch erzeugte die Spannung zwischen Einheit und Eigenwegen oft auch tiefe Verunsicherung, falsche Erwartungen und große Sorgen.

Wo aber liegen die Orte, an denen die Gemeinsamkeit in der Teilung offenkundig wurde? 25 Jahre danach scheinen die Städte, Punkte und Wegmarken, die einst in Ost wie West gleichermaßen bekannt waren, in Vergessenheit geraten zu sein. Der erste Blick fällt auf kleine Grenzstädte wie Bebra, Hof und Helmstedt, auf Marienborn, Gerstungen oder Gutenfürst, die plötzlich Weltbedeutung erlangten, einfach weil sie direkt am Eisernen Vorhang lagen, heute jedoch wieder in der Mitte Deutschlands verschwunden sind. Erfahrbar wurden Zusammengehörigkeit und Abgrenzung aber auch an Orten spektakulärer Fluchtversuche, im Schlosshotel Wilhelmshöhe in Kassel, wo Willy Brandt auf Willi Stoph traf, in der Kölner Sporthalle, wo sich Wolf Biermann aus der DDR sang, oder im Ost-Berliner Gasthaus Zenner, wo auf dem Spreebalkon eine Währungsapartheid galt und damit auch über guten und miserablen Service entschieden wurde. Es geht außerdem nach Salzgitter, Neunkirchen oder auf den Priwall, wo das deutsch-deutsche Verhältnis archiviert, beschworen oder bewältigt wurde.

In Reportagen und Porträts kehren wir in das versunkene Zweiland zurück und rücken 25 Orte abermals ins Bewusstsein, diesmal in das gesamtdeutsche. Das Buch richtet sich auch an eine neue Generation in Deutschland, für die das geeinte Land längst Normalität und die mit der europäischen Einigung schon einige Schritte weiter ist. Ihr sagen all die Adressen nichts mehr, an denen sich einst Tragödien abspielten, politische Eiszeiten begonnen oder beendet wurden oder an denen sich bizarre Kammerspiele des Kalten Krieges zutrugen.

Die ersten Gedanken zu diesem Buch entstanden an einem Sommerabend des Jahres 2013 in Rathen in der Sächsischen Schweiz beim Blick auf die Elbe, die damals stolz und träge dahinfloss, obwohl sie Wochen zuvor heimtückisch über die Ufer getreten war und die Zeitrechnung in dieser kleinen Gemeinde auf null gestellt hatte – wieder gab es ein Davor und ein Danach. Nun lässt sich eine Naturkatastrophe nicht mit einer politischen Revolution vergleichen, aber unsere Gespräche kreisten an diesem Abend auch um die Frage, wie und warum denn alles so gekommen ist. Folgten Mauerfall und Einheit nun einer Gesetzmäßigkeit und mussten sich ereignen, weil die Westdeutschen eine so kluge Politik gemacht hatte? War es der große Michail Gorbatschow, der damals in Moskau genug eigene Probleme hatte und sich nicht mehr um seine Satellitenstaaten kümmern konnte? Oder war es die Courage der Ostdeutschen, die der morschen DDR den letzten Stoß versetzten, weil sie diesen vormundschaftlichen Staat einfach satthatten?

Auch darum geht es in diesem Buch: Zu lesen ist von Menschen mit ihren Überzeugungen, Irrtümern und Hoffnungen, von fanatischen Fehden und zögerlichen Umarmungen. Es ist ein Buch, das weder jene bestärken möchte, die immer auf der richtigen Seite standen, noch jene belehren, die in ihrem Urteil falsch lagen. Das Buch soll eher zum Nachdenken darüber anregen, wie wir wurden, was wir sind und ob es vielleicht ein gemeinsames Erinnern gibt. Jeder hat natürlich seine persönliche Sicht auf das geteilte Land. Das ist auch bei diesem Buch nicht anders. Es stellt Personen in den Mittelpunkt, die in ihrer alltäglichen Arbeit mit der Teilung zu tun hatten – die Ministerin am Kabinettstisch wie den Saucier in der Hotelküche, den Rechtsanwalt im goldfarbenen Mercedes wie den Müllmann auf der Deponie.

Wir danken herzlich allen unseren Gesprächspartnern in Ost und West, dem Christoph Links Verlag und seinem Programmleiter Patrick Oelze für das unerschütterliche Vertrauen in das Projekt, dem Fotografen Götz Schleser für seinen Bildessay, dem Lektor Jan Martin Ogiermann für die kritische Durchsicht des Manuskripts, der Stasi-Unterlagenbehörde und den Landes- und Stadtarchiven in Berlin, Bonn und Falkenberg für aufschlussreiches Material und unseren Lebenspartnern für anregende Kritik und nötigen Zuspruch.

Ingolf Kern und Stefan Locke im Juli 2015

BASTIONEN UND VORPOSTEN

Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter: Archiv des Unrechts

Die kleine Behörde in Niedersachsen war der DDR ein Dorn im Auge und für einige West-Politiker ein Hindernis auf dem Entspannungsweg. Bis 1989 schrieb sie eine Chronik der ostdeutschen Diktaturgeschichte.

Am ehemaligen Grenzübergang Marienborn hängt eine Tafel mit dem innerdeutschen Todesstreifen, 119 Nadeln bohren sich in den Verlauf der einstigen Grenze. Haben sie schwarze Köpfe, sind dort Flüchtlinge von DDR-Grenzsoldaten erschossen worden; sind die Nadelköpfe weiß, erledigten das die Selbstschussanlagen und Minen, oder die Menschen sind ertrunken. 119 Todesfälle, die der »Zentralen Beweismittel- und Dokumentationsstelle der Landesjustizverwaltungen« in Salzgitter bekannt geworden sind. 119 Gründe, warum diese Behörde zu einem der wichtigsten Beobachter der ostdeutschen Diktatur wurde. Als »Relikt des Kalten Krieges« von der DDR bekämpft, als Störfaktor in der Entspannungspolitik von westlichen Politikern infrage gestellt, hielt diese Behörde all das fest, was die DDR-Organe gern vertuscht und worüber einige im Westen aus taktischen Gründen lieber hinweggesehen hätten: Menschenrechtsverletzungen, schreiendes Unrecht, juristische Willkür, Grenzmord.

Wer heute nach der einstigen Behörde sucht, trifft auf einen Gedenkort vor dem zweigeschossigen Zweckbau mit Klinkerfassade am Pfingstanger in Salzgitter-Bad, in dem heute die Polizei residiert. Seit dem 9. November 2009 erinnern eine Stele und ein Teilstück der Berliner Mauer an eine »Adresse der Hoffnung«, wie es auf der Plakette heißt. Was ist sonst geblieben? In Marienborn liegt noch das blecherne Behördenschild, der Aktenbestand befindet sich längst im Koblenzer Bundesarchiv. Nicht so einfach wegzuräumen sind Erinnerungen und auch Ressentiments. Es gibt jene, die Salzgitter eine bedeutende Rolle bei der Aufarbeitung der DDR-Diktatur nach der Wiedervereinigung zubilligen, und andere, die noch immer von den Kalten Kriegern im Justizdienst sprechen. Dabei ist die Ermittlungsbilanz von Salzgitter ziemlich eindeutig: 42 000 Gewaltakte, 2700 Misshandlungen im Strafvollzug, über 34 000 Verurteilungen aus politischen Gründen, 270 Tote an der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze.

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