Gewebte Juwelen - Astrid Lotz - E-Book

Gewebte Juwelen E-Book

Astrid Lotz

4,8

Beschreibung

Der Kaschmirschal ist eines der ältesten und begehrtesten Kleidungsstücke in der Geschichte der Textilherstellung. Aus dem Haar einer Ziege, die ihren Lebensraum auf den Hochweiden des Himalaya hat, wird in mühsamer Handarbeit ein Kunstwerk geschaffen, das an Luxus kaum zu überbieten ist. Viele Jahrhunderte lang gehörte er zur Grundausstattung der Königshäuser in Indien, Zentralasien, dem Orient und schließlich auch Europa, und sein Einfluss auf die Entwicklung der Webindustrie war erheblich. Die großen Umbrüche des letzten Jahrhunderts ließen ihn mehr und mehr in Vergessenheit geraten, und auch heute fristet er ein Dasein im Schatten der Pashminaindustrie. 'Gewebte Juwelen' dokumentiert die Geschichte des Kaschmirschals in Wort und einzigartigen Bildern, von seinem Weg als Ziegenhaar fünftausend Meter hoch in Ladakh im Himalaya, über seine Wanderung in einem Sack durch Schluchten und über Pässe, und seine wundersame Verwandlung in eines der kostbarsten Kleidungsstücke der Geschichte.

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Seitenzahl: 54

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhalt

Der Schal

Schal oder Paschmina?

Im Land der Nomaden

Auf dem Weg nach Kaschmir

Das Garn – Spinnen und Schären Weben

Design - Färben, Drucken, Sticken

Kani – Der Kaschmirschal und seine Geschichte

Quellennachweis und Literatur

Danke

Abbildung 1: "Courtesy of the University of Texas Libraries, The University of Texas at Austin"

Der Schal

Wer schon einmal in Indien war, hat sicherlich bemerkt, dass die traditionelle Kleidung der Inder nicht nur ausgesprochen farbenfroh ist, sondern auch immer lose den Körper umhüllt. Die Frauen tragen Sari und Punjabi Dress (Tunika mit Hose), die Männer Dhoti und Lungi (Stoffbahnen, die um die Hüfte gewickelt werden). Es ist nur konsequent, das Ganze mit einem Schal zu vervollständigen, sei er nun aus Seide oder Baumwolle für die warme Jahreszeit oder aus Wolle für die kühleren Monate. Der Kaschmirschal aus Pashmina liegt deutlich im oberen Preissegment und ist nur für die im wahrsten Sinne des Wortes „gut betuchten“ Leute erschwinglich.

Als Kaschmir 1586 von dem Großmogul Akbar besiegt und in das Reich eingegliedert wurde, erließ der Herrscher ein Dekret, das das Tragen eines Kaschmirschals ausschließlich den Angehörigen des Hochadels erlaubte. Darüber hinaus war der Schal ein besonderes Gastgeschenk und ein beliebtes Mittel, um treue Staatsdiener für besondere Taten auszuzeichnen. Der Schal wurde ein absolutes Statussymbol.

Man unterscheidet in Kaschmir zwei Arten des Schals. Die erste ist Tapisserie; Muster, die so in den Schal eingewebt werden, dass sie ein Bild ergeben ohne mitlaufende Fäden auf der Rückseite. Dies ist der klassische Kaschmirschal, Hauptexportartikel nach Indien, Vorderasien und Europa vor allem im 18. und 19. Jahrhundert. Lieblingsstück von Josèphine, der Gattin Napoleons, die den Schal in Europa hoffähig und zum begehrten Modeaccessoire des Adels machte. Sein Zweitname ist Kani-Schal, benannt nach dem Arbeitsgerät (Kani – Stöckchen). Die zweite Art ist ein wunderbar gewebtes Tuch aus Pashmina, das sehr aufwändig bestickt ist, der Amli-Schal. Er ist aus einer Weiterentwicklung der feinen Näharbeiten heraus entstanden und behauptete sich als 'preisgünstigere' Variante in den letzten hundertfünfzig Jahren immer mehr.

Über die Geschichte des Kaschmirschals möchte ich berichten; von seinem Beginn als Ziegenhaar fünftausend Meter hoch in Ladakh im Himalaya, über seine Wanderung in einem Sack durch Schluchten und über Pässe, und seine wundersame Verwandlung in eines der kostbarsten Kleidungsstücke der Geschichte.

Schal

oder

Pashmina?

Eines der ältesten Kleidungsstücke in der Geschichte des Menschen ist der Schal. Auf primitiven Webstühlen verarbeitetes Tierhaar war er das erste Kleidungsstück welches neben seiner Funktionalität auch ästhetische Aspekte verband. In tausenden von Jahren wurden die Webstühle verbessert, die Materialien immer feiner, und man begann die Stoffe mit Mustern zu verschönern. Sie wurden mit Blumen, Ranken und graphischen Symbolen bemalt oder bedruckt, und man verzierte sie durch kleine Applikationen und mit Stickereien. Auch wenn im Laufe der Zeit andere Textilien wie Kleider, Hemden und Hosen hergestellt wurden, der Schal war immer mit dabei, weil er so vielseitig war.

In den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts tauchten in Europa plötzlich Pashminas auf, Tücher in allen Farben des Regenbogens, aus feiner Wolle und Seide, ein Import aus Nepal und Indien. Zu tragen als gewöhnlicher Schal um den Hals gewickelt, als Schultertuch in kühlen Sommernächten, um den Kopf gelegt bei windigem Wetter, ein modernes Accessoire für alle Gelegenheiten. Pashmina ist nichts anderes als ein rechteckiges Stück Stoff, ein Schal eben, neu ist nur der Name. Pashmina war IN und OUT, dann wieder IN, zurzeit gerade mal wieder OUT - so die Modemagazine. Nichtsdestotrotz werden Pashminas gehandelt wie nie zuvor - Totgesagte leben eben länger.

Pashminas gibt es nicht nur in allen Farben und Mustern, sondern auch in allen Preisklassen. Aber was für eine Qualität rechtfertigt den Preis von tausenden Euros?

Der Käufer schaut aufs Etikett und findet zur Qualität nur die Angabe: 100% Pashmina. Gleich daneben ein Stand mit der Aufschrift: Pashminas für fünf Euro! Der Käufer ist nun verwirrt und beginnt ein Gespräch mit dem Verkäufer, das meistens so verläuft:

„Was ist denn der Unterschied?“

„Der Schal ist aus Pashmina, es steht im Etikett.“

„Ja, allerdings steht bei diesem hier 100% Viskose. Und er ist billiger. Aber auf dem Schild am Stand steht auch Pashmina.“

„Der Schal heißt Pashmina, aber der teure ist aus Cashmere.“

„Aber dann würde doch Cashmere drin stehen wie bei Pullovern und nicht Pashmina. Was ist denn jetzt der Unterschied?“

Der Verkäufer wird allmählich unruhig.

„Naja, der Pashmina kommt aus Kaschmir.“

„Aber hier steht: Made in Nepal.“

„Es ist aber Wolle aus Kaschmir.“

„Ich dachte, es ist Pashmina. Ist das nun die Wolle oder der Schal?“

„Ganz ehrlich - ich habe keine Ahnung.“

Keine Ahnung haben die meisten und das ist nicht verwunderlich. Deshalb werde ich in diesem Buch etwas Klarheit in dieses Durcheinander bringen.

Pashmina leitet sich ab von pashm (pers. Wolle). Der Begriff Pashm bezeichnet das Unterhaar der tibetischen Ziege, welches das Tier in den Hochlagen des Himalayas vor extremer Kälte schützt. Ohne dieses feine Haar könnte es dort nicht überleben. Bei der Verarbeitung wird Pashm zu Pashmina, der gesponnenen Wolle.

Pashm wird im Rohzustand von Ladakh nach Kaschmir gebracht und dort weiter verarbeitet. Vor dem Einsatz von Maschinen waren die Kashmiris als einzige in der Lage, diese feine Wolle von Hand so zu verarbeiten, dass daraus am Ende Kunstwerke entstanden. Sie nannten sie aber nicht Pashmina, sondern einfach nur shawl (dt. Schal).

Um die feinen Schals aus Kaschmir von den billigeren Wolltüchern zu unterscheiden, fügte man noch den Namen der Region Kashmir (dt. Kaschmir) hinzu. Kaschmirschals wurden somit zum Inbegriff für ganz besonders edle Schals. Und da feine Wolle (als Schal) in alter Zeit nur aus der Region Kaschmir kam, stand Kaschmir im Umkehrschluss auch bald für feine Wolle.

Die Verwirrung ist perfekt, wenn man sich die unterschiedlichen Schreibweisen für das Material ansieht - dt. Kaschmir, engl. cashmere, fr. cachemir.

Kaschmir als Material klingt genauso wie Kashmir das Land, und wenn man sagt: der Schal ist aus Kaschmir, weiß man nicht, ob damit die Herkunft oder das Material gemeint ist. Fairerweise muss hier gesagt werden, dass sich die englische Schreibweise und Aussprache cashmere immer mehr durchsetzt, wenn es um das Material geht.