Gewitter im Kopf - Leben mit Tourette - Jan Zimmermann - E-Book

Gewitter im Kopf - Leben mit Tourette E-Book

Jan Zimmermann

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Beschreibung

Jan und Tim sind beste Freunde und selbst Gisela, die oft ziemlich unverschämt dazwischen grätscht, kann die beiden nicht trennen. Gisela, das Tourette-Ich von Jan, hat im letzten Jahr für ziemlich viele verrückte Momente im Leben von "Gewitter im Kopf" gesorgt und damit nicht nur Unheil gebracht. Wie Jan und Tim sich kennenlernten, wie und warum ihr YouTube-Kanal entstanden ist, wie ihr Alltag mit der Erkrankung Tourette aussieht und welche Schattenseiten der Erfolg mit sich bringt, verraten sie dir in ihrem Buch "Gewitter im Kopf - Leben mit Tourette".

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 162

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www.gewitter-im-kopf.de/gibtshierwasumsonst

Immer mal wieder sind im Buch Links versteckt, über die du zu exklusiven Videos, die sonst nicht auf unserem Channel zu sehen sind, kommst. Wir wünschen dir viel Spaß damit!

Inhalt

VORWORT

WIE ALLES BEGANN

DIAGNOSE: TOURETTE

MOBBING

EPILEPSIE

EINSTIEG INS BERUFSLEBEN

FEUER-ALARM

NOTBREMSEN UND VOLLE ZÜGE

URLAUBE, KNOCHENBRÜCHE & EIN ANRUF VON PROSIEBEN

DIE GALILEO-REPORTAGE UND IHRE FOLGEN

INTERVIEW »AUF KLO«

GEWITTER IM TOPF: KUCHENBACKEN FÜR ANFÄNGER

WENN DICH PLÖTZLICH JEDER KENNT …

WIESO EIGENTLICH GISELA?

TUBEFESTIVAL 2019

KISS FM – EINE WOCHE MORNINGSHOW

GEWITTER IM TOPF: VANILLE-MUFFINS

GAMESCOM 2019

KLEINE AUSZEIT AUF MALLORCA UND ERSTER MERCH

TOURETTE BEIM ZAHNARZT

YOUTUBE SPACE BERLIN

GEWITTER IM TOPF: SPRITZGEBÄCK MIT OMA

MUSIK IM KOPF: EIGENE SONGS

NIE WIEDER UNKEL – WENN DIE PRIVATSPHÄRE SCHWINDET

GEWITTER IM TOPF: APFELERLEBNIS IN DER PFANNE

EIN HAUFEN YOUTUBER AUF MADEIRA

GEWITTER IM TOPF: SCHOKOKUSS-TORTE

AUTOFAHREN MIT TOURETTE UND EPILEPSIE

FALLSCHIRMSPRUNG AUF USEDOM

GEWITTER IM TOPF: MILKA-TORTE

PAROOKAVILLE 2020 – FESTIVAL & FEUERALARM

GEWITTER IM TOPF: GEBRATENER SALAT

ACHTUNG, KONTROLLE

DAS VERF$%§TE DINNER – DIE LIVE-SHOW

GEWITTER IM TOPF: SPAGHETTI-TORTE

EIN HERZ FÜR TIERE: PFERDEMIST & ALPAKAKAKA

JAN, DER PIZZABÄCKER

GEWITTER IM TOPF: PIZZA

ALLTAG ALS YOUTUBER

GEWITTER IM TOPF: CHILI

LIVESTREAMING

QUIZGEWITTER IM KOPF: WER WEISS DENN SOWAS?

ABSURDE & INTERESSANTE FRAGEN

LICHT & SCHATTEN

UNSERE ZUKUNFTSPLÄNE

AN DIE BESTE COMMUNITY DER WELT

ÜBER DIE AUTOREN

QUELLENVERZEICHNIS

IMPRESSUM

VORWORT

Die Idee, ein Buch zu Gewitter im Kopf zu machen, kam uns zum ersten Mal 2020. Wir erzählen zwar auch online immer wieder ein paar Dinge über unser Leben, aber verstreut in verschiedenen Videos und Livestreams. Also dachten wir, dass ihr uns durch ein Buch besser kennenlernen könnt. Wer sind wir eigentlich und was denken wir? Wir verraten euch Hintergrundinformationen zu Videodrehs, geben euch Infos zu Jans Erkrankung und berichten etwas über die Entstehung unserer Freundschaft. Außerdem erzählen wir von besonderen Highlights seit der Eröffnung unseres YouTube-Kanals. Jetzt ist das Buch fertig und ihr haltet es in der Hand. :) Eins solltet ihr noch wissen: Wenn ihr unseren Kanal schon länger verfolgt, habt ihr vielleicht schon mitbekommen, dass wir Jans Tourette einen Namen gegeben haben, nämlich Gisela. Falls ihr euch fragt, wieso die Wahl ausgerechnet auf den Namen Gisela gefallen ist: Das erklären wir in einem späteren Kapitel. Deshalb hier nur die Kurzversion:

Gisela ist keine richtige Person, die Bezeichnung hilft uns einfach nur, zu verdeutlichen, dass Jans verbale Tics nicht seine Meinung wiedergeben. Das gilt auch fürs Buch: Die Tics sind bei der Arbeit an den Texten aufgetreten – manchmal auch, wenn Tim erzählt hat – oder in einigen Fällen in den Situationen, über die wir erzählen.

Es gibt Kapitel, in denen Gisela öfter das Wort ergreift – das heißt, dass es bei unseren Gesprächen zu verbalen Tics kam. An diesen Stellen haben wir die verbalen Tics daher dann einfach mit einfließen lassen. Allerdings gibt es auch Kapitel, in denen Gisela kaum oder sogar gar nicht zu Wort kommt. Das liegt daran, dass es bei Jan je nach Situation sehr unterschiedlich ist, wie sehr das Tourette-Syndrom sich bemerkbar macht. In manchen Situationen wird es gar nicht getriggert, manchmal dafür besonders stark.

Wir wünschen euch viel Spaß mit unserem Buch!

Jan & Tim

UND ICH, IHR FOTZEN

WIE ALLES

BEGANN

JAN

Alles fing mit einer Reportage bei Galileo an. Darin ging es um den Alltag mit dem Tourette-Syndrom – und um die Herausforderungen, die diese Erkrankung mit sich bringt. Der Kontakt ist über eine Journalistin entstanden, die in einer Facebookgruppe nach Menschen mit Tourette gesucht hat. Aber mehr dazu später. Dieser Bericht wurde anschließend auf YouTube hochgeladen und ging sofort viral. Innerhalb kurzer Zeit wurden Hunderte von Kommentaren gepostet. Die Leute stellten viele Fragen, und ein paar wünschten sich, dass wir einen YouTube-Channel eröffnen. Tatsächlich hatten wir das ohnehin schon mal überlegt, aber konnten uns bis dahin nicht dazu durchringen. Übrigens danke an diejenigen, die das vorgeschlagen haben und uns damit in unserem Vorhaben bestärkt haben. Ohne euch wären wir wahrscheinlich nicht da, wo wir heute sind!

Anfangs war ich von der Idee nämlich nicht begeistert. Ich hatte Sorge, dass die Leute die Videos aus Sensationsgier ansehen würden, und nicht, weil sie etwas über das Tourette-Syndrom erfahren wollen. Zum Glück hat Tim mich überredet, es einfach mal zu versuchen. Für unser erstes Video hatten wir uns das so vorgestellt, dass Tim mir die Fragen stellt, die unter dem Galileo-Video gepostet worden waren, und ich die dann vor der Kamera beantworte. Also im Grunde ein kurzes FAQ zum Thema Tourette und dem Leben damit. Damit wollten wir vor allem eins: Verständnis schaffen, Aufklärung über die Krankheit betreiben und mit Vorurteilen aufräumen. Dass daraus so viel mehr werden würde, hätten wir beide niemals erwartet.

Dieses erste Video hätte ich mit niemand anderem gemacht als mit Tim. Wir sind schon ewig Freunde und er geht sehr locker mit meinem Tourette um. Außerdem können wir uns bedingungslos aufeinander verlassen. Kennengelernt haben wir uns in der fünften Klasse – wir gingen in Parallelklassen und hatten gemeinsam Sport, Sozialwissenschaften und Religion. In den Pausen haben wir immer zusammen rumgehangen und später auch außerhalb der Schule viel unternommen. In der Zeit, in der unsere Freundschaft begonnen hat, hab ich übrigens viel Zeit mit einem Computerspiel verbracht – und zwar mit Sims 3.

T

Das war wirklich verrückt, wie Jan Sims gespielt hat. Als ich damals in sein Zimmer kam, lagen auf dem Tisch Bücher und Plakate. Die Bücher waren Tagebücher, die er zu jedem einzelnen Sim geführt hat. Er hat sich darin die Charaktereigenschaften notiert und festgehalten, wer mit wem verheiratet ist und welche Kinder die einzelnen Sims haben. Das waren richtige Stammbäume über Generationen hinweg und er hat dazu ganze Nachbarschaften entworfen. Ich war unheimlich beeindruckt, wie viel Arbeit da drinsteckte! Aber so ist Jan einfach. Wenn er etwas macht, dann auch richtig. Das galt übrigens auch für einige Aktionen im Unterricht. Wie er in Reli mal einen Horrorfilm mitgebracht und uns als religiöse Aufklärung verkauft hat, werde ich nie vergessen. Und der Lehrer hat das auch noch durchgehen lassen. Damals habe auch ich viel vor dem Rechner gesessen. Allerdings war ich ein bisschen anders drauf als Jan. Mein Ding war Call of Duty. Danach bin ich auf Counterstrike und später auf GTA: San Andreas umgestiegen. Dabei ist die eine oder andere Stunde draufgegangen, das war früher mein Alltag.

DIAGNOSE:

TOURETTE

JAN

Das erste Mal wurde Tourette bei mir diagnostiziert, als ich sieben Jahre alt war. Ich erinnere mich noch vage daran, dass meine Eltern mich undercovermäßig gefilmt haben. Das muss man sich mal vorstellen – fast wie so Geheimagenten. Ich hatte zu der Zeit das erste Mal einzelne motorische Tics mit den Armen und im Gesicht. Starke Zuckungen, die auch über mehrere Sekunden hinweg anhielten. Meine Eltern hatten einfach keine Ahnung, was mit mir los war, und haben sich Sorgen gemacht. Also wollten sie dem Kinderarzt Videoaufnahmen zeigen.

Der Arzt hat anhand der Aufnahmen erst mal vermutet, dass es Epilepsie sein könnte. Als nächster Schritt wurde dann ein Langzeit-EEG an der Uniklinik Bonn gemacht. Dabei wird die Gehirnaktivität gemessen und aufgezeichnet. Dafür musste ich eine ganze Weile dort bleiben. Heutzutage kann man das einfach mobil machen, aber damals wurde das nur stationär durchgeführt und man durfte das Krankenhaus nicht verlassen. Bei der Untersuchung wurde das Tourette-Syndrom diagnostiziert. Besonders starke Auswirkungen auf mein Leben hatte das erst mal nicht. Aber ich erinnere mich daran, dass meine Eltern in einigen Situationen anders mit mir umgegangen sind als zuvor. Vorher wurde mir zum Beispiel von anderen Erwachsenen öfter gesagt, dass ich nicht so rumzappeln sollte. Das hörte nach der Diagnose auf, beziehungsweise meine Eltern haben ihnen dann erklärt, dass ich keinen Unsinn mache, sondern es sich um Symptome meiner Erkrankung handelt.

T

Allerdings muss man sagen, dass Jans Tourette in der Schule gar nicht so stark aufgefallen ist. Er war zwar immer verrückt drauf und hat für jede Menge Unterhaltung gesorgt, aber das hatte mit seiner Erkrankung nichts zu tun. Da gibt es unendlich viele Geschichten. Einmal hat er sich im Bio-Unterricht das Hemd ausgezogen, weil ein Mitschüler gewettet hat, dass er sich das nicht traut. Dabei ging es übrigens um zwanzig Cent. Ihr denkt jetzt sicher, das war in der Grundschule, aber das war in der zehnten Klasse …

Über die Krankheit haben wir erst später das erste Mal geredet, als Jans Tics auffälliger wurden. Eigentlich war das ziemlich unspektakulär. Er hat mir einfach erzählt, dass er eine leichte Form des Tourette-Syndroms hat, und damit war die Sache erst einmal erledigt. Ich kannte Tourette aus ein, zwei Dokumentationen auf YouTube, zum Beispiel mit Christian Hempel, es war also nicht völlig neu für mich. Im Detail hatte ich aber keine Ahnung. Erst in den späteren Jahren, als Jans Erkrankung deutlicher sichtbar wurde, habe ich mich mehr damit beschäftigt.

Im Laufe der Zeit hat man es schon bemerkt, wenn man so wie ich viel Zeit mit Jan verbracht hat. Abends waren wir oft hier am Rhein mit Freunden unterwegs und hatten jede Menge Spaß. Je später der Abend wurde, desto eher hatte Jan motorische Tics im Gesicht. Wahrscheinlich wurde er einfach müde und konnte sie nicht mehr so kontrollieren, wie er das sonst zu der Zeit noch geschafft hat.

ICH WAR BESOFFEN!

Auch meine Eltern wussten lange gar nichts davon, bis zu dem Moment im Auto, als er meine Mutter als Küchendame bezeichnet hat oder so was. FAHR SCHNELLER, DU KÜCHENFLITTCHEN! Meine Mutter war zuerst total verwirrt, ist dann aber sehr gut damit umgegangen.

J

Erst einmal möchte ich euch erklären, was Tourette eigentlich genau ist – und zwar in meinen eigenen Worten, also mit wenigen Fachbegriffen.

Das Tourette-Syndrom ist eine Tic-Störung und eine neuropsychiatrische Erkrankung. Also eine Krankheit, die im Gehirn entsteht, bzw. eine Krankheit, bei der das Gehirn betroffen ist.

Das Hauptmerkmal von Tourette sind die sogenannten »Tics«. Das Wort »Tic« kommt aus dem Französischen und steht für »nervöses Zucken«, was das Ganze schon recht gut auf den Punkt bringt. Es gibt vokale/verbale Tics und motorische Tics. Bei vokalen Tics äußern sich die Tics in Form von Geräuschen, Silben, seltener auch Wörtern oder sogar ganzen Sätzen, die von den Betroffenen ungewollt ausgesprochen oder besser gesagt ausgestoßen werden. Motorische Tics äußern sich in Form von Zuckungen, Bewegungen oder sogar Handlungen. Das kann zum Beispiel heißen, dass man Leute oder Gegenstände berührt.

Tourette-Tics werden übrigens ausschließlich mit »c« geschrieben. Oft verwenden Leute das Wort »Ticks«, also mit »ck« geschrieben. Das ist allerdings der englische Begriff für »Zecken«, es hat somit also nichts mit dem Tourette-Syndrom zu tun. Manchmal wird der Begriff »Tick« höchstens als umgangssprachliche Metapher für Angewohnheit oder »Marotte« verwendet, aber auch das hat nichts mit Tourette zu tun.

Es gibt bei Tourette drei komplexere Ausprägungen, die sich sowohl vokal/verbal als auch motorisch äußern können. Dabei handelt es sich um:

KOPROLALIE: das Aussprechen von beleidigenden, vulgären und sonstigen unangebrachten Ausdrücken oder auch Geräuschen.

KOPROPRAXIE: im Prinzip das Gleiche wie Koprolalie, nur in motorischer Form. Also zum Beispiel das Zeigen des Mittelfingers und andere obszöne und schockierende Gesten oder Handzeichen.

ECHOLALIE: das Nachäffen anderer Leute. Das heißt, man spricht immer wieder einzelne Wörter oder auch ganze Sätze nach, die jemand anderes gerade gesagt hat.

ECHOPRAXIE: ähnlich wie Echolalie, nur dass es sich hier wieder um das Motorische handelt. Man ahmt also ungewollt die Bewegungen und Mimik anderer Leute nach.

PALILALIE: bedeutet, dass man sich selber ungewollt nachspricht. Man wiederholt seine eigenen Sätze und Wörter. Dabei lässt die Lautstärke häufig nach, während die Sprechgeschwindigkeit aber zunimmt.

PALIPRAXIE: Hierbei werden die eigenen Handlungen und Bewegungen wiederholt.

Das Tourette-Syndrom tritt bei jeder betroffenen Person unterschiedlich auf. Als Begleiterkrankungen kommen sehr oft ADHS, ADS, Zwangsstörungen und manchmal auch Depressionen hinzu. Das Aussprechen von Schimpfwörtern durch Tourette ist womöglich das klassische Bild, was Leute im Kopf haben, wenn Sie von Tourette hören. Tatsächlich tritt das »Tourette-bedingte Fluchen«, also die Koprolalie, allerdings recht selten auf. Nämlich nur bei ca. 10–20 Prozent aller Tourette-Betroffenen.

Die Diagnose Tourette darf nur durch Ärzte oder Ärztinnen aus den Bereichen Neurologie, Psychiatrie oder Neuropsychiatrie gestellt werden. Falls ihr also einen professionellen ärztlichen Rat bezüglich des Tourette-Syndroms sucht, würde ich die Tourette-Ambulanz in der Medizinischen Hochschule Hannover oder die Tourette-Ambulanz der Uniklinik Köln empfehlen. Ich war bereits an beiden Orten Patient.

Falls euch meine Erklärung noch nicht ausreichen sollte, findet ihr im Internet weiterführende Informationen. So wird zum Beispiel im Wikipedia-Eintrag das Tourette-Syndrom definiert:

Das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (kurz Tourette-Syndrom) ist eine angeborene Erkrankung des Nervensystems. (…) Hauptmerkmale sind unwillkürliche Bewegungen (Tics) und ebenfalls Tic-artige Laut- oder auch sprachliche Äußerungen. (…) Unter die Kategorie der komplexen Tics fallen im motorischen Bereich das imitierende Grimassenschneiden und das Nachmachen von Handlungen anderer. Komplexe vokale Tics sind das Nachsprechen von Wörtern (Echolalie bzw. Palilalie) oder das Herausschleudern obszöner und aggressiver Ausdrücke (Koprolalie).

Das Tourette-Syndrom wird zu den zentralnervösen Bewegungsstörungen gerechnet. Primäre Tic-Störungen können weder geheilt noch ursächlich behandelt werden.

MOBBING

TIM

In der fünften und sechsten Klasse gab es eine Phase, in der ich recht lange nicht in der Schule war. Genauer gesagt sogar viele Monate. Jan war damals in meiner Parallelklasse und hat nur mitbekommen, dass ich fehlte. Den Grund dafür kannte er nicht.

Ich hatte in dieser Zeit große Probleme mit anderen Schülern und wurde von denen gemobbt. Das führte dazu, dass ich mich verkrochen habe. Schon bei dem Gedanken, zur Schule zu gehen, bekam ich Magenkrämpfe und mir wurde schlecht. Meine Eltern wussten zuerst nicht, was los war. Ihnen wurde nur klar, dass ich erst mal keinen Fuß mehr in die Schule setzen würde. Das war auch für meinen Vater und meine Mutter keine leichte Zeit.

Angefangen hatte das Mobbing mit einer Kleinigkeit. Ich hatte mich mit meinem damaligen besten Freund gestritten, der dann andere in die Sache hineingezogen hat. Aber ihr kennt es ja wahrscheinlich selbst – Mobbing entsteht manchmal praktisch aus dem Nichts. Plötzlich war ich der Außenseiter der Klasse. In der Grundschule war ich recht beliebt und mit praktisch jedem befreundet gewesen. Nach dem Wechsel auf die weiterführende Schule kannte ich erst mal nur zwei Leute, darunter meinen besten Freund. Als die beiden mich dann ausgegrenzt haben, war es umso schlimmer, weil ich praktisch keinen Kontakt zum Rest der Klasse hatte. Ich war damals nicht stark genug, über Provokationen hinwegzusehen. Irgendwann war für mich der einzige Ausweg, zu Hause zu bleiben. Solange das Schulthema nicht aufkam, ging es mir besser, aber das konnte natürlich nicht ewig so weitergehen.

Zum Glück hatte meine Mutter irgendwann die Kraft, sich gegen meinen Willen durchzusetzen und professionelle Hilfe für mich zu organisieren.

Das war bestimmt nicht leicht für sie – und auch für mich nicht, aber da habe ich gelernt, über Probleme zu sprechen und meine Emotionen rauszulassen. Ich glaube, wenn man mit niemandem redet und alles immer weiter in sich hineinfrisst, kommt man irgendwann nicht mehr allein da raus.

Als ich dann wieder in die Schule zurückkam, war die Situation eine ganz andere. Die Klasse hat mich viel positiver aufgenommen, als ich es mir ausgemalt hatte. Die Leute, die mich gemobbt hatten, waren zwar noch da und haben auch noch ein paarmal versucht, mich zu provozieren, aber mir war das zu dem Zeitpunkt einfach egal. Ich war stärker und selbstbewusster als vorher.

Ich finde es wichtig, dass man es nicht als Schwäche ansieht, wenn man allein nicht weiterweiß. Wenn ihr Probleme habt, ob mit Mobbing, Panikattacken, Depressionen oder anderem, dann redet darüber. Entweder mit guten Freunden oder einem Familienmitglied oder, wenn beides nicht geht, mit einem Therapeuten. Ihr könnt auch jederzeit bei der Telefonseelsorge anrufen – das könnt ihr einfach googeln. Die Nummer ist kostenlos und die Leute, die dort arbeiten, werden euch helfen.

Ganz wichtig: Sucht nicht die Schuld bei euch. Und holt euch Hilfe, wenn ihr nicht klarkommt. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen. Ihr müsst das nicht allein durchstehen. Mein größter Fehler war damals, dass ich alles mit mir selbst ausmachen wollte und mich anfangs niemandem anvertraut habe. Manchmal kommt Hilfe von völlig unerwarteter Seite. Bei mir war das zum Beispiel meine Mathelehrerin, die sich total für mich eingesetzt hat. Auch wenn es für mich nicht leicht ist, mich daran zu erinnern, bin ich im Nachhinein dankbar für diese Zeit, die mich sehr geprägt hat, und für die Menschen, die mir geholfen haben – vor allem für meine Mutter, die sich so unglaublich für mich eingesetzt hat. Danke!

EPILEPSIE

JAN

Anfang 2018 hatte ich den ersten epileptischen Anfall – und zwar in einem Club in Köln. Allerdings hat da noch keiner verstanden, was eigentlich los ist und ob das einfach mit Tourette zu tun hat. Als ich in den Club reinkam, hatte ich das Gefühl, dass mir das Licht unangenehm in die Augen sticht, und mir wurde extrem heiß.

T

Wir wollten einfach in Köln feiern gehen. Schon als wir in den Club rein sind, hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, weil Jans Augen irgendwie groß wurden und er benommen wirkte. Dann bekam er diesen Anfall. Plötzlich lag Jan auf der Tanzfläche auf dem Boden und hat unkontrolliert gekrampft. Wir mussten ihn aus dem Club raustragen. Dabei hab ich mich noch fast mit ein paar Leuten angelegt, die natürlich dumme Kommentare abgeben mussten von wegen »Haha! Da hat wohl einer zu viel getrunken!«, obwohl sie keine Ahnung hatten.

Wir waren alle unglaublich geschockt. Schließlich wussten wir nicht, was abgeht. Keiner von uns hatte vorher einen epileptischen Anfall erlebt. Sollten wir Jan nach Hause fahren oder besser direkt ins Krankenhaus? Ich kann es nicht gut ertragen, jemandem nicht helfen zu können. Es war die totale Überforderung. Mit meinem heutigen Wissen hätte ich sofort den Rettungswagen gerufen, aber ich konnte es damals nicht einschätzen. Nicht mal Jan selbst wusste zu dem Zeitpunkt ja, dass er Epilepsie hat. Wir haben ihn dann zu meiner damaligen Freundin nach Hause gebracht und ins Bett gelegt. Auch deren Oma dachte wahrscheinlich, dass er nur zu viel getrunken hätte.

J

Ja, die konnte es genauso wenig einschätzen wie wir alle. Ich glaube, sie wollte bei mir Fieber messen. Als ich dort im Bett lag, ging es noch mal los, deshalb haben sie dann doch den Rettungswagen gerufen. Als die Sanitäter kamen, war der Anfall vorbei und ich wurde auch nicht ins Krankenhaus gebracht, weil man wohl davon ausging, dass es mit meiner Tourette-Erkrankung zusammenhing. Damit war das Thema für mich erst einmal erledigt.

Doch schon eine Woche später hatte ich wieder einen Anfall, und zwar in der Kölner Innenstadt. Ich war mittags auf dem Weg vom Hauptbahnhof zur Fresenius, an der ich zu der Zeit meine Ausbildung zum Physiotherapeuten gemacht habe. Einen Augenblick später – zumindest für mich – bin ich dann in der Uniklinik Köln wach geworden, in der Neurologie. Ihr müsst wissen, dass ich während eines Anfalls komplett abwesend bin, ich bekomme absolut gar nichts davon mit.

Also hab ich erst in der Klinik erfahren, was passiert war. Zum Glück haben mir fremde Leute einfach geholfen und sofort den Rettungswagen gerufen, als mein Anfall losging. Außerdem haben sie meine Sachen eingesammelt, anscheinend lagen mein Handy und mein Portemonnaie irgendwo auf dem Bürgersteig und sie haben alles den Rettungssanitätern mitgegeben. Es hat nichts gefehlt. Wirklich toll, dass es so hilfsbereite und ehrliche Menschen gibt. Dafür bin ich sehr dankbar, denn das ist leider nicht selbstverständlich.