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dies ist der dritte band kurzer kurzgeschichten, diesmal auf der basis von begriffen aus margrit schribers roman "rauchrichter", erschienen 1993. ein zufällig und blind angetipptes wort auf irgendeiner romanseite dient jeweils als titel einer der 101 kürzestgeschichten, die insgesamt eine erstaunliche vielfalt und breite aufweisen und nicht selten ironisch-humorvoll daherkommen.
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Seitenzahl: 112
Veröffentlichungsjahr: 2025
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0 wie das?
1 geschützt
2 glitt
3 abscheu
4 vogellaute
5 stolz
6 frau donato
7 stehen
8 schreibtisch
9 wegwische
10 sommergäste
11 vorgekommen
12 mass
13 konto
14 sekretärin
15 warum
16 eingenommen
17 drückt
18 brei
19 kreppbändel
20 frau ott
21 klettert
22 funke
23 aufflammen
24 rest der welt
25 hereinstürzt
26 einverständnis
27 zwängt
28 zunähten
29 brust
30 streckengänger
31 protegieren
32 grund
33 blieb
34 cats first
35 gibt
36 einkaufenden
37 schlummerten
38 nachrichten
39 umgekippten
40 traum
41 verlängert
42 konrad
43 gelegentlich
44 akten
45 hänge
46 sohn
47 gäste
48 knöchel
49 vergessen
50 verfolgen
51 mund
52 geschenke
53 verkauft
54 ladenstrassen
55 schmiegen
56 festgestellt
57 schwiegermutter
58 verloren
59 begehren
60 gemeinsamkeit
61 essgeräusche
62 mahagonipult
63 stricktsche
64 kontrollieren
65 beheben
66 ernennung
67 pudert die nase
68 nichtsnutz
69 gewissheit
70 tanzende zirkushunde
71 lauschte
72 bezahlte
73 gelten
74 vormittage
75 wenig neues
76 kinder
77 zeitgemäss
78 gleichmässig
79 hochgelagerte füsse
80 bergschwester
81 sonntagsfahrt
82 urteil
83 frisierkommode
84 im glauben betritt
85 ewigkeitszeichnung
86 ihre hand
87 bleiben stehen
88 kein thema
89 agatha
90 sondern lehnte
91 aus schwarzem filz
92 mantel
93 schwiegertochter
94 milchmann
95 frühlicht
96 zieht aus
97 dringen
98 sekretär
99 nachbarhäuser
100 glänzt
101 dachwohnung
fehlendes nachwort
martin christen, autor
auch im dritten «kürzestgeschichten»-band verwendet der autor eine inspirierenden textvorlage zur festlegung der einzelnen titel.
diesmal weder eine tageszeitung noch die bundesverfassung, sondern schweizer literatur:
margrit schribers roman «rauchrichter», erschienen 1993.
schliesst also der autor die augen, öffnet irgendwo das buch, sticht mit einem stumpfen farbstift zu – und zack! hat er ihn gefunden, den ausdruck, der ihm, ohne schribers roman, nie über den weg gelaufen wäre.
und schon beginnt die nächste story.
eine neue kurze kurzgeschichte.
kurz: kürzestgeschichte.
martin christen, autor juni 2025
«igitt, glitt», fuhr es dem jungen mann mit ausgefranster hose, haaren und ebensolchem bart durch den kopf, also nicht etwa «shit», was mindestens die hälfte der menschheit in dieser situation gedacht, wenn nicht sogar gerufen oder gebrüllt hätte,
aber nicht anton, der wohlerzogene, junge mann, der lediglich, wie oben beschrieben, ganz bescheiden und höflich «igitt» – nicht einmal sagte, sondern nur dachte.
weil es sich so schön reimte, was man von «shit» zwar auch behaupten konnte, jedoch nicht derart.
«und? sind sie fit im schritt, frau schmidt?», fuhr sein denkprozess ungehobelt weiter, als er aus der ferne sah, wie diese eben den bus bestieg, schweren herzens, denn ihre katze war ja gestern gestorben:
hatte tot neben ihr unter der bettdecke gelegen, als sie aufwachte, ganz im gegensatz zum rolfli, gott hab ihn selig.
doch statt «igitt» zu schluchzen, brach sie in tränen aus, herzte, streichelte und küsste ihn, aber natürlich vergeblich. warm war sie immer noch gewesen, die katerkatze, hatte von der körperwärme ihrer alten herrin profitiert, war schon steif und starr gewesen, jedoch warm, als ob sein kleines herz noch schlüge.
«so traurig!», weinte er der eine schuhschachtel tragenden, richtung kehrichtverbrennungsanlage davonbrausenden alten dame eine träne nach, die er nur vom hörensagen kannte,
sich gleichzeitig entschuldigend für sein unentschuldbar gedacht-gereimtes «im schritt».
und «pomm-frites» fiel ihm gleich auch noch ein.
als letztes.
«wie hühner laufen die jungen leute heute über die strasse, wie hühner!», meinte ein besonders zartfühlender gaffer. «was denken die eigentlich?»
16. märz 2025
«ach was, so schlimm ist es nun auch wieder nicht! aus allem und jedem machst du ein drama! nimm dir ein beispiel an mir: immer bewahre ich meine ruhe – oder bin ich schon jemals in panik geraten?»
wie hasste hildi diese sprüche ihres «alten», den sie auch so bezeichnete, zwar nur sich selbst gegenüber, doch das war immerhin schon ein anfang.
klar: hansheiri war polizist, und was für einer! trug tag und nacht uniform, tagsüber die richtige, nachts ein polizeiuniformähnliches pijama, einfach ohne hut, denn das wäre sogar ihm, dem möchte-gern-obersheriff, zuviel gewesen.
und schuhlos schlief er auch.
doch nie ohne socken, graugrüne, satt gestrickte polizeisocken mit gut sitzenden rändern, ebenso selbstverständlich wie die unterhose, die auch im bett nie fehlen durfte:
denn gab es einen alarm, trug er diese schon, wodurch er mindestens zehn bis zwanzig sekunden gewänne, im sommer weniger, im winter mehr, denn da waren sie lang.
ehrlich gesagt, hing er ihr schon lang zum hals heraus, ihr hansheiri, doch fehlte ihr der mut, ihm das zu sagen und erst recht, einen schlussstrich zu ziehen.
der dann tatsächlich gezogen wurde, doch nicht von ihr.
nach dem alarm um zwei uhr sechsunddreissig war er losgeprescht wie die feuerwehr, war am tatort als erster eingetroffen, hatte sich schützend vor die verzweifelte junge frau gestellt und hatte so deren leben gerettet.
so war ihr hansheiri doch noch mehr geworden als nur ein gewöhnlicher polizist, der sein pflichtgefühl über alles andere stellte:
ein held. ein echter, wahrer held.
und sein hildi konnte stolz sein auf ihn, ihren hansheiri, so stolz,
als nachruf voller wahrer liebe.
17. märz 2025
die zwei hauskatzen weckten ihn, den mieter der fünzimmerwohnung, stets zwischen fünf und sechs uhr. morgens.
indem sie ein möglichst klägliches klagelied sangen. die eine, etwas leiser, dafür höher, die andere noch dramatischer und beschwörender, etwas tiefer.
auf diese weise täglich geweckt zu werden, hatte etwas magisches an sich:
den inhalt konnte mann sich denken: «hunger!» «wach endlich auf, du arsch!»,
doch war es die ausdauer, der unberechenbare wille, die einsicht, dass die katzen stärker waren als er, das menschliche männchen, das sich von jedem wesen, auch den weiblichen, stets auf immer und ewig unterdrücken liess:
der mann unten, alles übrige, in erster linie alles weibliche, oben. nicht sexuell, sondern allgemein. höchst allgemein.
und mit vogelgezwitscher am frühen morgen, das längst, vor jahren schon, verstummte, habe das gar nichts zu tun.
während jenes niemand vermisste, war es in diesem fall ganz anders:
würde es ausbleiben, das gemiaue, bräche panik aus, und zwar sofort.
doch verstummte vogellaute? wen interessierte das schon.
sie etwa?
18. märz 2025
«hagestolz – schon mal gehört?»
«ja, mal gelesen irgendwo, ein alter ausdruck eines oesterreichers vermutlich!»
«ja, aber klar doch: stift – stifter – am stiftesten!»
«genau! so hell und klar wie die morgensonne! der morgenständer! der morgendliche kaffeesatz!»
«und was hat das mit ‘hagestolz’ zu tun?»
«nichts, absolut nichts. aber mit ‘stolz’.»
«ja, da haben sie richtig.»
«sind sie noch recht im kopf?»
«wieso? ‘richtig’ ist hier doch recht?»
«alles, was richtig ist, nein.»
«sie verwechseln oben mit unten, rechts mit links, tag mit nacht.»
«nie und nimmer! wenn jemand etwas verwechselt, dann sind sie das! kommen daher und schleudern ein ‘hagestolz’ in die luft, als ob das weiss-was wär.»
«hagestolz ist eine person, mindestens eine literarische figur.»
«behaupten sie. und wenn das nicht wahr wär, was dann?»
«ja, dann wüsste ich auch nicht weiter!»
«immerhin darin sind wir uns einig!»
«worin?»
«mit ihnen kann man ja gar nicht diskutieren!»
so ist es, sie.»
«was?»
«stimmt: fast hätte ich was gesagt.»
19. märz 2025
«die in den kot der marder trat? DIE donato? was ist mit der beziehungsweise war, vielleicht ist die ja inzwischen tot.»
«literarische figuren sterben nie.»
«doch: DIE schon.»
«und wie soll das gehen?»
«der marderkot hat sie umgebracht! weisst du das nicht? hat den kot abgekratzt, die hände nicht gut genug gewaschen, zudem hatte sie eine kleine fingerverletzung und im hui eine blutvergiftung, aus der sie nie mehr erwachte. so schnell ging das: im hui.»
«ui-ui-ui! so schnell?»
«genau! schneller ging’s nicht! marderkot und du bist tot!»
«stimmt!»
«wieso soll das stimmen?»
«alles, was sich reimt, stimmt. das wussten schon schiller und goethe.»
«ja, jetzt erinnere ich mich wieder!»
«woran?»
«an die glocke!»
«DIE glocke?»
«genau: 128 strophen – und erst noch auswendig!
«richtig!»
«KATA-KATA-KATA!»
20. märz 2025
sie stehe ihren mann, tue das täglich, versuche es jedenfalls.
welchen mann sie denn stehe, welchen, um gottes willen.
was das mit gott zu tun habe was.
ob ihr denn das nicht bewusst sei, dass gott der männlichste, maskulinste aller männer sei, der ober-, super-, hypermacho, noch tausendmal machopäpstlicher als der macho-papst himself.
ihres erachtens stehe der papst, obwohl nur ein männchen, oft auch hinter den frauen.
als mann sei der genau so einer wie alle übrigen männer: ein schafseckel.
woher sie sich das recht herausnähme, den papst derart zu beleidigen.
sie sei, obwohl weiblich, ein stadtammann, der über allen anderen stehe, auch über den machos, also sei sie aufgrund ihres amtes befugt, dieser meinung zu sein: alle männer, obwohl sie selbst, funktional gesehen, auch dazu gehöre, seien ausnahmslos, sie selbst ausgenommen, schafseckel, idioten, nichtsnutze.
nun solle sie bitte mal aufhören damit, das männertum noch schlechter zu machen, als es ohnehin schon seit ewig sei.
gerade darum sei sie nun ein stadtammann, um allen machos, idioten und schafseckeln zu zeigen, wo gott, nämlich sie, der ammann, hocke.
auf welche weise sie das denn tue.
auf jegliche, immer und überall.
ob es dafür ein beispiel gäbe.
ja natürlich, haufenweise: sie kleide sich wie ein männchen, rede wie eines, verhalte sich, verhandle, denke wie eines, derart, dass das denen sogar auffalle, die dann frügen, warum sie so sei, wie sie sei.
und was sie denen denn dann darauf antworte.
mann zwinge sie, ein mann zu sein. also sei sie einer.
und zwar ein richtiger.
21. märz 2025
manchmal sah er sich um, ängstlich, scheu wie ein reh, rehpinscher, eine drehleiter:
verfolgte ihn eine? blies ihm eine rauch ins gesicht? fuhr ihm eine übers maul? stiess ihn eine vom sockel? platzte einer der kragen? suchte eine das weite? stiess eine ins horn? schlug ihm eine das brett vom kopf? trat ihm eine auf den zeh? preschte eine vor? sprang eine aus dem gebüsch? wusch eine schmutzige wäsche? hatte eine nicht mehr alle tassen im schrank? fuhr eine auf und davon? kam ihm eine auf die spur? auf welche? und warum?
lauter fragen, die er sich stellte. in solchen momenten. wenn er sich fürchtete, dass eine käme. und ihn mitnähme.
22. märz 2025
herr hans meier-müller war, wie er hiess:
gewöhnlich. hundsgewöhnlich.
schlief bis um sieben, frühstückte, ging zur arbeit, kehrte wieder heim, ass, trank, ab ins bett und aufgestanden. punkt sieben.
so war es und so blieb es.
bis er in den himmel kam.
«los, herr meier-müller! machen sie schon!»
schon so etwas raubte ihm den schlaf, den himmlischen.
oder:
«geben sie sich mehr mühe, herr meier-müller, sie sind hier schliesslich nicht irgendwo! tun sie ihre pflicht, herr meier!»
warum er meier-müller und nicht nur meier hiess, war ihm entfallen.
«ich heisse meier-müller, im fall», wagte er zu erwidern, leise, jedoch hörbar.
«sie wagen es, sich mir zu widersetzen, sie widerling?»
und schon klingelte es, die sonne schien, der morgen begann, kein vogel zwitscherte.
und zum erstenmal in seinen siebenundfünfzigjährigen leben blieb er liegen in seinem bett, drehte sich um und dachte:
«so ein schöner traum!
so ein schöner!»
23. märz 2025
das fehlte gerade noch, dass ihn heute, ausgerechnet heute, jemand besuchen wollte.
und erst noch eine frau.
eine tante, schon lange nicht mehr gesehn, aus weiter ferne hergereist, um ihn, den rudölfeli, wie sie ihn damals vor fünfundvierzig jahren, als er sie zum letzten mal gesehen hatte, nannte:
ru-döl-fe-li.
«rudölfeli, rudölfeli, wo hast du deine schuh, rudölfeli, rudölfeli, nun lass mich doch in ruh!»,
war das letzte, an was er sich seine tante betreffend