zufällig zugefallenes - Martin Christen - E-Book

zufällig zugefallenes E-Book

Martin Christen

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Beschreibung

täglich zufällig blind zugefallene ausdrücke in der tageszeitung bilden den ausgangspunkt dieser textesammlung, die innerhalb eines zeitraums von 100 tagen entstanden sind. kürzestgeschichten, die das leben schrieb - oder eben nicht... dennoch respektive gerade deswegen: lesenswert.

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Seitenzahl: 137

Veröffentlichungsjahr: 2025

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inhalt

die vorgehensweise

1 köln

2 demissioniert

3 die sache

4 letzthin

5 rache!

6 bestmöglich

7 beanstandet

8 beobachtung

9 wochenende

10 bundesrat

11 investiert

12 ex-klotener

13 gesundheitsdirektorinnenkonferenz

14 zappelphillippin

15 die rückkehr

16 verinnerlicht

17 eindringlinge

18 segelroute

19 konferenzdolmetscherin

20 stockwerkeigentümerinnen

21 abruzzenrundfahrt

22 gesamtverkehrskonzept

23 strafverfahren

24 milliarden

25 weihnachtsgeschenke

26 mit geschlossenen augen

27 ledig

28 annullieren

29 vorstand

30 eingesehen

31 verhältnis

32 wohnbevölkerung

33 grönland

34 opfer

35 dreizehnjährig

36 auswirkungen

37 resultat

38 verhaftet

39 erfrieren

40 konkret

41 angeführt

42 «himmlische

43 verhandlungen

44 bankgeheimnis

45 hausärzte

46 ohren

47 verhindern

48 beziehung

49 vorfall

50 verantwortung

51 stimmbevölkerung

52 beitrag

53 zweihundert

54 verstecken

55 solothurn

56 wichtige adressen

57 rückseite

58 überzeugt

59 40 prozent

60 zitieren

61 rezept

62 last but not least

63 funktionieren

64 tänzerin

65 ineinander

66 roman

67 beirren

68 falsch

69 sarkastisch

70 irritiert

71 behandlung

72 em-titel

73 ursprünglich

74 neujahrsnachmittag

75 freundlin

76 gesellschaft

77 know-how

78 feuerwehrleute

79 minimum

80 lösungsorientiert

81 berühmt

82 zentrum

83 festival

84 heute

85 spärlich

86 angebot

87 sauber getrennt

88 zufällig

89 diskussion

90 psychotherapie

91 schliesslich

92 jubiläum

93 familienplanung

nachwort

martin christen, autor

die vorgehensweise

kurzgeschichten zu schreiben ist keine easy sache. und erst recht kürzestgeschichten.

dazu gehören ideen, kenntnisse, fähigkeiten und ein relativ gutes, sicheres, solides sprachgefühl.

weitaus am schwierigsten ist es, texte mit inhalt zu füllen, mit wörtern und begriffen, die eine bedeutung haben, aus denen sich eine geschichte, und sei diese noch so kurz, konstruieren lässt.

darum machte ich mir die sache einfach:

man nehme eine aktuelle tageszeitung – in meinem fall die aargauer az – blättere bei geschlossenen augen darin herum, steche mit einem kugelschreiber irgendwo zu, notiere, sofern verwendbar, das gepiekste wort auf einer liste, wähle von je drei aufgespiessten begriffen jenen, der dich sofort anspringt, aus und verwende ihn als titel der nächsten kürzestgeschichte.

und es hat funktioniert – besser als erwartet.

vielleicht versuchen sie’s auch einmal – es muss ja nicht unbedingt die az sein.

martin christen, autor

märz 2025

1

köln

kaum hatte sie den kölner dom betreten, überkam sie ein ungutes gefühl.

«ungut» war exakt die richtige bezeichnung für ihre emotionale lage:

nicht-gut, gar-nicht-gut, ausgesprochen-nicht-gut.

und das lag nicht etwa am dom, sondern?

«wenn ich das wüsste!», fuhr es ihr durch den kopf, bevor sie sich auf eine der bänke in einer der hintersten reihen setzte.

«und diese ruhe! diese stille! nicht auszuhalten!»

so dass sie beschloss, dieses sakrale gebäude, in dem sie sich bis anhin noch nie aufgehalten hatte, schnellstmöglich wieder zu verlassen.

doch wohin sollte sie sich wenden? nach links? rechts?

geradeaus? nach hause?

wenn sie das nur wüsste – doch nichts wusste sie, nichts:

weder ihren namen, ihr geburtsdatum, ihre familiäre situation noch den grund, warum sie sich gerade jetzt hier in diesem dom befand.

«dom!»

wenn sie dieses wort schon hörte, dröhnte ihr der kopf!

«dom-dom-dom!», furchtbar schrecklich, diese drei buchstaben!

«de-oh-em!»

nie hätte sie sich vorstellen können, jemals in eine derart abartige position geraten zu können.

«abartig» war die exakt zutreffende beschreibung ihres zustands:

verloren sass sie hier auf einer holzbank mitten im kölner dom.

tränen liefen ihr über ihre leicht rouge gefärbten wangen, tränen der trauer, der hoffnungslosigkeit, der einsamkeit, der leere und überforderung, denn alles hatte sie verloren!

und nichts und niemand half ihr dabei, es je wiederzufinden.

«was, um gottes willen, was denn?»

kein grund zur panik!

nichts wichtiges!

kein grund zur beunruhigung!

nichts elementares, zentrales, unabdingbares!

lediglich ihr dings.

ihr dingchen.

ihr winzig kleines, nicht der rede wertes dinglein.

genau:

ihr gedingleinchen.

ihr herziges, buntfarbenes, unscheinbares, für immer und ewig verschollenes –

erinnerungsvermögen.

und sooo kühl wehte der abenddings.

so grauenhaft kühl.

7. dezember 2024

2

demissioniert

zur allgemeinen überraschung hatte sie bereits nach nur drei tagen demissioniert!

damit hatte niemand gerechnet, am wenigsten sie selbst:

«nein, damit habe ich nicht gerechnet, am wenigsten ich selbst», äusserte sie sich kurz nach bekanntgabe ihres sofortigen rücktritts gegenüber der tagesschau.

«ich habe mich damit selbst überrascht – aber ich konnte nicht anders. ich war, ich wurde zu diesem schritt gezwungen!»

mehr wolle sie dazu nicht sagen – zuerst müsse sie das mit ihrem umfeld, das sie habe davon abhalten wollen, besprechen.

«aufgrund der uns vorliegenden fakten ist uns, den betroffenen, nach wie vor absolut schleierhaft, aus welchen gründen sie bereits am dritten tag ihrer präsidialen amtszeit den hut genommen hat!»

mit «schlicht nicht nachvollziehbar!», «unfassbar!», «mit so etwas hat niemand gerechnet!» und «erneut stehen wir vor einem scherbenhaufen!» kommentierten verschiedene medienvertreterinnen und -vertreter dieses vorgehen der vor zwei tagen mit sagenhaften 93,2% aller stimmen ins präsidentinnenamt gewählten.

die mutmassungen der journalistinnen, journalisten, weggefährtinnen und -gefährten, mitstreiterinnen und –streiter, aller betroffenen reichten von

die mafia habe sie unter druck gesetzt,

sie leide an einem unheilbaren hirntumor,

sie habe in einem akuten anfall tiefster depression die reissleine gezogen, über

ihr mann habe sie hypnotisert,

sie habe seit ihrer wahl kein auge mehr zugetan und aus purer erschöpfung ihr amt per sofort zur verfügung gestellt, bis zu

sie sei offensichtlich gefoltert worden – weshalb sie auch einen so hoch geschlossenen, so langärmligen anzug mit so langen hosenbeinen trage,

sie habe nach der wahl zu tief ins glas geschaut und bei über 2,5 promille nicht mehr gewusst, was sie tue, und

da sehe man, dass man frauen zu gar nichts – mit einer einzigen ausnahme – gebrauchen könne, sowie

typisch frau: unzuverlässig, karrieresüchtig, sprunghaft, verantwortungslos, sich selbst masslos überschätzend – bremsklötze an den beinen ihrer männer…

nichtsdestotrotz: das hohe amt muss neu besetzt werden, diesmal, nehmen wir an, durch einen richtigen, zuverlässigen,

karrieregeilen

mann.

8. dezember 2024

3

die sache

die sache war gelaufen.

und punkt und schluss.

zwar dumm, saudumm gelaufen, doch es war vorbei.

definitiv.

dieser typ, dieser idiot, dieser fiese macho hatte ab sofort nichts mehr zu suchen –

in keiner ecke ihres lebens!

ein für allemal und für immer und ewig.

so ein a, so ein verdammtes, verfluchtes a!

hatte sich als manager, förderer, unterstützer ausgegeben, doch er wollte nur eines.

wie hatte sie auf so einen lügner, betrüger, gauner und abzocker hereinfallen können!

seine stahlblauen augen, sein unschuldiger blick, seine – gespielte – unbeholfenheit mussten es gewesen sein, die ihr vortäuschten, er ticke anders als alle übrigen männchen, die jeweils nur ihren jungen body im auge gehabt hatten:

nein – er war, wie sie in den ersten minuten mit schrecken feststellte, keine ausnahme, im gegenteil:

er war der stupideste, schlimmste, heuchlerischste aller wichser, die ihr je begegnet waren und die sich mithilfe ihres, evas, sportlichen körpers schnellstmöglich zu befriedigen gesucht hatten.

und wieder einmal war sie hineingefallen in die simple, eigentlich leicht zu durchschauende falle – und sie hatte genau so funktioniert, wie es die internet-ratschläger mit ihren «simpel anzuwendenden tricks» prophezeiten:

und schon hatte sie an seiner angel gezappelt.

doch diesmal hatte sie sich gewehrt:

sein stechender, brünstiger, hechelnder blick war schon in sie eingedrungen, als sie reaktionsschnell aufsprang, in die küche rannte, die sonnenblumenölflasche und ein kilogramm biozopfweissmehl ergriff, zurückraste und den typen, der inzwischen erwartungsfroh ausgestreckt auf dem weichen korridorteppich lag, von oben bis unten mit salaterdnussöl übergoss und mit mehl so bestreute, dass er wie ein weihnachtshampelmann aussah, bereit, in den backofen geschoben zu werden.

aber zu welchem preis, zu welchem preis!

so eine sauerei!,

sage ich ihnen, so eine sauerei!,

doch sie war gelaufen.

die sache.

definitiv.

9. dezember 2024

4

letzthin

ja genau:

letzthin wollte ich meine freundin besuchen, die umgezogen war.

von hier nach dort.

ihre neue adresse hatte sie mir gemailt, doch die nachricht musste ich aus versehen gelöscht haben.

auf eine sprechnachricht reagierte sie nicht, ebenso wie auf textmessages.

sie war zwar meine umgezogene freundin, doch verschollen, verschwunden.

ein anruf im städtischen fundbüro brachte nichts:

nein, ein frau, eine junge frau dieses namens sei nicht abgegeben worden, ob sie denn sicher wäre, dass sie verloren gegangen sei.

was er eigentlich denke, «sie macho!», habe sie darauf erwidert, sie sei schliesslich ihre freundin, die sie nur suche, weil sie dummerweise deren neue adresse verlegt oder verloren hätte.

«hätte ich die adresse, müsste ich sie auch nicht suchen!», schrie ich dem fundbürobeamten hasserfüllt entgegen, der ja schlussendlich nichts dafür konnte, dass ich so schlampig, unaufgeräumt und unordentlich war.

nach weiteren tagen des vergeblichen suchens hatte ich letztendlich doch noch – via einer entfernten bekannten – den neuen wohnort herausgefunden.

doch sie war nicht dort!

stattdessen erhielt ich eine postkarte aus südfrankreich:

wo ich eigentlich sei – wir hätten doch abgemacht, gemeinsam unsere ferien am französischen mittelmeer zu verbringen – und sie versuche sei tagen, mich zu erreichen…

was eigentlich los sei mit mir,

ja was.

10. dezember 2024

5

rache!

ja, sie würde sich rächen.

wann, wo, bei welcher gelegenheit, stand noch nicht fest, doch sie würde es tun – auf jeden fall!

und wenn es das letzte wäre in ihrem leben.

der anlass war nichtig gewesen, zum vergessen eigentlich:

es war um ein kleid gegangen, das sie getragen hatte – wider willen getragen – mit einem grossen, viel zu grossen ausschnitt.

so gross, dass die anwesenden männchen jeden anstand verloren, nicht wussten, wohin mit ihren blicken, und, statt in ihre augen, hinunter und tief hinein in ihren ausschnitt starrten wie auf einen toll dekorierten fleischteller.

ein flittchen, sich so schamlos zu kleiden!

unanständig, in diesem anstössigen outfit zu erscheinen!

in grund und boden schämen sollte sie sich in diesem anzüglichen, praktisch oben-ohne fetzen.

und wer hatte sie gebeten, dieses zu jedermanns freier besichtigung kaum vorhandene oberteilchen zu tragen, wer?

genau!

einzigartig, einmalig sähe sie aus in diesem rosafarbenen nichts, unwiderstehlich, begehrenswert wäre sie, das highlight der veranstaltung, zur ikone würde sie darin, zur queen, zum star, zur legende.

und was traf stattdessen ein was?

viele frauen fanden es geschmacklos, derart offenherzig die fehlende oberweite zur schau zu stellen,

manche tuschelten hinter ihrem rücken, ärgerten sich, bezeichneten sie als nutte, scham- und zitzenfreie hexe,

während die männlichen gäste lüstern ihren fast freien, schneeweissen oberkörper bewunderten, als ob sie schneewittchen oder oder ein anderes under-aged-girl wäre.

so dass bald ein gemisch aus weiblich geprägten, einengenden antimachogefühlen und maskulin-hormonalen düften in der luft schwebte, was vielen zuviel wurde.

und erst als die frauen unter sich waren, ging es so richtig los.

und ihre rachegefühle lösten sich in luft auf.

11. dezember 2024

6

bestmöglich

der regen hatte aufgehört, hie und da fielen noch vereinzelte tropfen.

sie schloss ihren schirm, verstaute ihn in ihrer einkaufstasche, setzte ihren spaziergang fort.

einundachtzig war sie nun, eine alte schachtel, zu nichts mehr zu gebrauchen.

ihre einkünfte aus pension und ahv reichten gerade noch zum überleben – wenn sie sparsam war, das heisst sich nichts leistete und etwas weniger als das minimum einkaufte.

ersparnisse hatte sie keine, mit ausnahme jener 3500 franken, die sie nicht antastete, denn damit sollten ihre beerdigungskosten bezahlt werden.

manchmal wünschte sie, sie wäre tot.

denn viel hatte das leben nicht mehr übrig für sie, die ihr leben lang gearbeitet hatte als verkäuferin, putzhilfe, kindermädchen.

und kinderlos war sie auch geblieben, die zwei drei freundschaften, die sie als solche bezeichnen konnte, hatten die männer vorzeitig beendet – vermutlich, weil sie sich nicht als so «gefügig» angestellt hatte, wie «mann» es von ihr erwartet hatte:

bis zu einem geschlechtsverkehr war es nie gekommen, ausser mit ihren zwei besten freundinnen, mit denen sie einigemale ihre sommerferien auf einem campingplatz – stets demselben – am mittelmeer verbrachte.

da waren sie sich in ihren bikinis in ihrem engen zelt und den hohen temperaturen und dem glas rotwein manchmal etwas näher gekommen…

und nun war sie also schon über achtzig und hatte niemanden, der oder die sich um sie sorgte.

immerhin konnte sie ihre einzimmerwohnung und ihre einkäufe noch selbst besorgen – vielleicht würde es dem ladenpersonal auffallen, wenn sie zwei, drei wochen lang ausbliebe.

«weisst du etwas über frau schmidiger? ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen… hoffentlich ist nichts passiert!».

so etwa stellte sie sich die reaktion vor – mehr durfte sie nicht erwarten – die würden bestimmt nicht die polizei rufen oder bei der gemeindeverwaltung nachfragen.

die hausverwaltung? die firma, die die abwartsdienste verrichtete? die nachbarin, die beiden nachbarn in den anderen stockwerken?

mit denen hatte sie kaum kontakt, ihre wenigen klassenkameradinnen, die nicht in der nähe gewohnt hatten, waren inzwischen alle gestorben, und die gemeinde würde ihr erst zu ihrem 85. geburtstag wieder gratulieren.

auch auf ihre wenigen verwandten konnte sie nicht zählen: eine nichte wohnte in amerika, eine in australien, ein neffe in der westschweiz – und von den sieben cousins und cousinen lebten nur noch zwei: eine in einem pflegeheim im appenzellischen, eine in einem altenheim am deutschen bodenseeufer.

immerhin war alles aufgeräumt, an seinem ort, alles, was sie nicht mehr brauchte, hatte sie entsorgt, recycelt, ihr tod würde nicht allzu viel aufwand verursachen, die paar möbelstücke waren reif für die kehrichtverbrennungsanlage, ebenso wie das geschirr, die kleider, die wenigen bücher, souvenirs und die weiteren habseligkeiten.

nichts würde übrigbleiben, wenn sie tot war.

nichts würde an sie erinnern.

niemand würde sich an sie erinnern.

und dennoch war sie einigermassen glücklich und zufrieden. mit sich und der welt.

denn religiös oder gar fromm war sie nie gewesen.

nie.

12. dezember 2024

7

beanstandet

man hatte beanstandet, sie wäre viel zu egoistisch, zu unzuverlässig, zu eigensinnig, verantwortungslos und frech.

dabei hatte sie nur ihre meinung gesagt.

in aller deutlichkeit.

ihre sicht der dinge erklärt.

ohne jemanden zu beleidigen, anzuklagen oder zu demütigen.

schliesslich lebten sie in einem freien land mit meinungsfreiheit, handelsfreiheit, niederlassungsfreiheit und weiteren freiheiten, die es allen menschen ermöglichte, sich zu verwirklichen, sich zu entfalten, sich zu jener person zu entwickeln, die man anstrebte.

mit einer ausnahme:

ihr.

ihr wurde dieses recht nicht zugestanden.

schon ihre eltern hatten sie immer daran gehindert, das zu tun, was sie am liebsten getan hätte, nämlich:

nichts.

auch ihre lehrpersonen, ihre vorgesetzten, sogar ihre kolleginnen und kollegen hinderten sie stets und immerzu daran, nichts zu tun.

«nur wer ein nichts werden will, tut ganz und gar nichts!»,

hatten schon ihre eltern gesagt, und auch ihre lehrerin hatte ihr mal ins zeugnis geschrieben, aus nichts werde nichts.

und dass sie es schlussendlich doch noch zu

etwas

gebracht hatte,

war nicht ihre schuld gewesen, denn man hatte sie genommen, wie sie war:

egoistisch, unzuverlässig, eigensinnig, verantwortungslos.

und frech.

13. dezember 2024

8

beobachtung

sie stand unter permanenter beobachtung –

ihres manns.

ihres ehemanns.

denn sie waren verheiratet.

jung verheiratet, um genau zu sein.

seit exakt neun monaten, wenn sie es noch genauer wissen

wollen.

und noch immer war sie nicht schwanger.

weder von ihm, dem ehegatten, noch von einem andern, wie ihr mann vermutete, obwohl es keinen grund, geschweige beweise für allfällige seitensprünge seiner angetrauten gab.

er war eben einer von denen, die stets vom schlechtest möglichen des schlechtest möglichen ausgingen.

eben beispielsweise, dass sie ihn ständig betrügen, hintergehen würde, dass sie hinter seinem rücken eine affäre nach der anderen hätte –

haltlose verdächtigungen eben, die allesamt seiner kranken, kleinkarierten, hinterwäldlerischen, von engstirniger eifersucht zerfressenen und geprägten fantasie entsprangen, was logischerweise nicht nur das gemeinsame liebesleben, sondern auch die deswegen in schrägste schieflage geratene ehe belastete und bedrohte.

«deine eifersucht halte ich nicht mehr aus! noch einmal

eine derartige verdächtigung und ich lasse mich scheiden!

hätte ich geahnt, wie krankhaft eifersüchtig du bist, hätte ich dich nie im leben geheiratet!

nie im leben!

und dass wir noch nicht geschieden sind, ist einzig meiner langmütigkeit und dem umstand zu verdanken, dass ich noch immer darauf hoffe, dass du endlich doch noch zur vernunft kommst!»

diese worte frassen sich nun endlich in ihm fest und er beschloss, sich in dieser beziehung ändern zu wollen, indem er sich vornahm, fortan nur noch das positive an ihrer beziehung zu sehen.

und siehe da: