Ghost Lover - Lisa Taddeo - E-Book

Ghost Lover E-Book

Lisa Taddeo

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Beschreibung

Anziehend, verstörend, wahr: »Taddeos Prosa gleicht einer geschliffenen Klinge.« Nylon Was, wenn wir nicht mehr selbst auf die Nachricht eines Liebhabers antworten müssten? Wenn eine App namens Ghost Lover es übernähme, uns endlich die Dates zu verschaffen, die wir verdienen? Als Ami für die Erfindung dieser App ein Preis verliehen werden soll, denkt sie zurück an die Männer, die sie geprägt und verletzt haben. Und fragt sich, welche Strafe gerecht ist im ungerechten Spiel der Liebe. Die »wortgewaltigste Chronistin unseres Begehrens« (Esquire) beleuchtet in ihren Storys die dunklen Seiten des Frauseins, erzählt von bitterer Sehnsucht, schönem Schein und rückhaltloser Hingabe. »Die Chancen stehen gut, dass jede Frau, die sie kennen, wenigstens ein kleines bisschen von dem in sich trägt, was Lisa Taddeos Figuren ausmacht.« Los Angeles Times

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Impressum Literatur

Lisa Taddeo

Ghost Lover

Lisa Taddeo

Ghost Lover

Storys

Aus dem amerikanischen Englisch von Anne-Kristin Mittag

Mehr über unsere Autorinnen, Autoren und Bücher:www.piper.de/literatur

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Ghost Lover bei Avid Reader Press, einem Imprint von Simon & Schuster, New York.

Von Lisa Taddeo liegen im Piper Verlag vor:

Three Women – Drei Frauen

Animal

ISBN 978-3-492-07094-2

© 2022 Woolloomooloo, LLC

© Piper Verlag GmbH, München 2023

Gesetzt aus der Whitman

Satz: Satz für Satz, Wangen im Allgäu

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Impressum ePUB

Mehr über unsere Autorinnen, Autoren und Bücher:www.piper.de/literatur

Aus dem amerikanischen Englisch von Anne-Kristin Mittag

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel Ghost Lover bei Avid Reader Press, einem Imprint von Simon & Schuster, New York.

© 2022 Woolloomooloo, LLC

© Piper Verlag GmbH, München 2023

Covergestaltung: zero-media.net, München

Coverabbildung: Talya Coviello / EyeEm / Getty Images; FinePic®, München

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Ghost Lover

1

2

3

4

5

Zweiundvierzig

Schöne Menschen

Padua, 1966

Grace Magorian

Luft zum atmen

Maid Marian

American Girl

Ein Vorortwochenende

Textnachweise

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Widmung

Für alle Frauen, die schon mal geliebt haben

Ghost Lover

1

Göttlich

Du stehst in der Schlange des Hipster-Cafés in einem düsteren Block in den Hills und willst dir kein eigenes Sandwich zusammenstellen. Du könntest dir eine der angeschriebenen Varianten aussuchen, aber die machen alle fett. Pastrami steht im diametralen Gegensatz zu Los Angeles.

Eigentlich hattest du dir in deiner blitzblanken Küche mit Blick auf den Pazifik selbst etwas zu essen machen wollen, einen Avocado-Toast zum Beispiel; nur hattest du keine Avocados mehr, und es war bloß noch ein winziges Stück Butter übrig, und deshalb konntest du auch nichts Feines zaubern. Du hättest dir auch Butter liefern lassen können, doch dann wärst du dir verwöhnt und schwabbelig vorgekommen. Und obwohl du gern Kerrygold gehabt hättest, hättest du wahrscheinlich gesagt: Organic Valley oder so, Hauptsache nicht Land O’Lakes. Und die Kurierin hätte dir nicht weniger als zweimal gesimst. Die haben hier nur Breakstone’s oder Horizon?

Und du hättest dagesessen, hundeelend auf die Wellen geblickt, die an deinem felsigen Streifen Strand nagen, und nicht weniger als drei Minuten gewartet, damit das dunkelblonde Mädchen, das jünger, schmaler und ärmer wäre als du, dort in der Kühlabteilung hätte ausharren müssen, in einem ärmellosen Shirt an diesem herrlichen Strandtag, bis du zurückschriebst: Gesalzen. Manchmal war das Einzige, was dir ein Glücksgefühl verschaffen konnte, Kontrolle über ein anderes Leben auszuüben. Aber letztendlich wird sich das natürlich nie auszahlen. Zum einen wirst du immer fetter sein, als dir lieb ist. Über andere zu bestimmen macht um die fünfhundert Kalorien extra. Ein leckerer exotischer Cocktail in der Bar neben dem Nobu am Pacific Coast Highway hat hundert zusätzliche Kalorien, wenn du versuchst, deine Assistentin für dein schlechtes Date büßen zu lassen, indem du ihr textest, während sie gerade ein gutes Date hat.

In der Warteschlange reißt du eine Tüte Caesar Croûtons auf. Wenn du nur die Hälfte isst, sind es 170 Kalorien. Dick und träge vom Spätsommer, segelt eine Fliege im Tiefflug heran. Vor dir turtelt ein Pärchen. Der junge Mann beugt sich vor, um den Duft ihrer Haare am Scheitel einzuatmen. Sie dreht sich um und blickt ihm lächelnd in die Augen. Die Fliege, die laut um eure Köpfe summt, hören sie gar nicht. Als sie den versexten Blick voneinander losreißen, wendet der Typ sich um und bemerkt dich. Zuerst nimmt er kaum Notiz von dir, weil du nicht heiß bist, seine Freundin aber schon. Und dann erkennt er dich. Er knufft ihr in den Arm.

»Ey!«, sagt er. »Ey! Das ist – Sie sind Ari von Ghost Lover! Oder?«

Mit einem albtraumhaft großen Croûton im Mund wird dir flau. Du versuchst, lautlos zu kauen, aber es ist schlichtweg unmöglich, still und leise mit einem Croûton fertigzuwerden, es gibt nur langsame Zersetzung.

Die Augen der Freundin, die dich jetzt offensichtlich auch erkennt, weiten sich. Die Fliege schwirrt vorbei. Hinter dir geht die verrußte Fliegengittertür auf und wieder zu, und du nutzt die Gelegenheit, um den Kopf dorthin zu drehen und den Croûton zu zermampfen.

»Alter«, sagt das Mädchen, »Sie sind es!«

Du wendest dich, Sprenkel getrockneter Petersilie auf den Lippen, wieder um. Sie trägt ein ärmelloses Cure-Shirt mit nichts drunter, und hinter Robert Smiths Ohr blitzt ihr Busen hervor. Ihre Schultern sind glatt und rund. Sie ist fünfundzwanzig. Du warst nie fünfundzwanzig.

»So wegen Ihnen heiratet meine beste Freundin den Mann ihrer Träume!«, fährt das Mädchen fort.

Der Junge grinst. »Luke ist der Mann ihrer Träume?«

Das Mädchen boxt ihn und rollt mit den Augen. Beide wenden sich dir zu.

»Ohne Scheiß, wir gehen so in zwei Monaten auf ihre Hochzeit! Alles nur wegen Ihnen!«

Gegen deinen Willen musst du lächeln. Die beste Freundin des Mädchens ist wahrscheinlich eine Rang-III-Kundin, überlegst du. Obwohl sie vielleicht auch einfach nur deine Serie geschaut hat. Es ist die einzige Selbsthilfe-Show auf Netflix, die je gebingt wurde. Was Jennifer, deine PR-Frau, öfter erwähnt als ihren eigenen Namen.

»Alter, Pandora flippt aus, wenn wir ihr erzählen, dass wir Sie getroffen haben!«

Inzwischen hat er das Interesse verloren, krabbelt mit den Fingern an der Hüfte des Mädchens. Ihre schwarze Jeans ist tief geschnitten; das Fleisch dort straff wie ein Sitzgurt. Er will jetzt einfach nur Sex mit ihr. Niemand hat einen besseren Riecher dafür als du.

»Sie sind echt toll. Sie sind echt so meine Heldin.«

Du nickst. Vor einer Woche hast du dir vorgenommen, nicht mehr Danke zu sagen. Überhaupt frostiger aufzutreten. Die Entscheidung fiel an einem Tag, als die Schiebetür zu deinem Balkon offen stand und von weither das sonderbare Krächzen eines Vogels ertönte. Für diesen Laut hättest du dem Tier am liebsten die Augen ausgestochen, und dir selbst gleich mit. An jenem Tag warst du Gott ferner als je zuvor. Du hast nie an ihn geglaubt, doch in dem Moment konntest du spüren, wie das Meer bis zum Grund gefror und dir das Blut aus den Zehen wich. An jenem Tag flatterte über die zarten Triebe dieser Erkenntnis hinweg die Karte zu dir herein.

»Kann ich … können wir Ihr Autogramm haben, oder so, keine Ahnung?«

Ihn interessiert das echt null. Du kriegst einen Riesenhass auf das Mädchen, weil ihr die Begegnung mit dir gerade wichtiger ist als ihr Freund; dass sie diese Macht hat. Die Glückliche. Eine blinde Vorsehung hat sie bei der Geburt mit diesen großen Augen bedacht, den hohen Wangenknochen. Zu Hause ist deine Fliegengittertür aus der Schiene gesprungen. Es gibt niemanden, den du bitten könntest, das zu reparieren. Es gibt jemanden, aber darum kannst du ihn noch nicht bitten. Du weißt, dass es zu früh dafür ist. Dass es immer zu früh sein wird.

»Nächste, bitte!«, blökt der Sandwichverkäufer.

Heute ist Sonntag, ein Tag wie der Rachen eines Wals – blauschwarz und unendlich. Die Leute melden sich immer montagmorgens um 10:27 Uhr, wenn du gerade am meisten zu tun hast. Sonntags fast nie. Nicht einmal deine alten Freundinnen von der Highschool, deren Männer an einer seltenen Krebsart leiden und die auf eine milde Gabe hoffen. Selbst die sind zu beschäftigt, um dich an einem Sonntag anzuklingeln.

Das Paar wendet sich dem Verkäufer zu. »Äh, ein Bánh mì mit Schweinefleisch und ein Göttliches Grilled Cheese«, sagt der Typ.

Du musst daran denken, wie du zum ersten Mal hergekommen bist. Mit ihm. Er hat dir L. A. gezeigt, als stieße er eine sonnige Tür in seiner Brust auf. Seinen Sandwichladen. Abgeranzt, aber nach vor sich hin backendem Brot duftend, auf einem Hügel über dem Highway, im Schatten von Bäumen. Die Weinflaschen, die drinnen zum Verkauf stehen. Du könntest mit einer Flasche Wein nach Hause gehen, und Sandwiches.

»Keine Tomaten auf dem Grilled Cheese«, flüstert das Mädchen und zupft an dem weichen grauen Hemd ihres Freundes.

»Keine Tomaten auf dem Göttlichen«, sagt er, und der Verkäufer nickt.

»Macht genau zwanzig«, antwortet er. Der Typ fischt einen Schein aus der Hosentasche, der wie der letzte Zwanziger der Erde aussieht, und das Herz bricht dir noch etwas mehr, als das Mädchen ein »Danke« in sein Schulterblatt flüstert.

2

Die Zukunft ist weiblich

Auf dem Weg zum Country Mart drehst du die Temperatur auf 15 Grad runter und das Gebläse voll auf. Innerhalb von Sekunden ist dein Gesicht kühl wie ein Glas Milch. Früher hast du dir Sorgen gemacht, wie viel Benzin die Klimaanlage frisst. Jetzt nicht mehr. Kalt fühlen sich deine Wangen dünner an.

Es ist jetzt beinahe zwei Jahre her. In zwei Jahren hast du eine vollkommene Verwandlung durchgemacht, zumindest in den Augen der Welt. Davor kannte man dich überhaupt nicht, jetzt kennt dich fast jeder. Was sich schon verrückt anfühlt. Männer in Titleist-Käppis und labberigen Golfhemden wissen, wer du bist, weil ihre Töchter es wissen. Weil man deinem Gesicht auf Schritt und Tritt begegnet. Du bist reich. Dieses Wort! Du hast dir ein Haus in Malibu gekauft. Auf Stelzen, mit einer dieser Auffahrten direkt am Pacific Coast Highway. Früher hast du gesagt: »Geht so. Das ist Malibu?« Worauf Nick meinte: »Du hast ja keine Ahnung, der Witz ist die andere Seite.« Und eines Tages ging er mit dir dort spazieren, über die Felsen am atmenden Wasser entlang, und du sahst die Sonnenterrassen und die wahren Fassaden der Häuser. Die Fassaden blickten aufs Meer! Die andere Seite, die zum Highway, das war die Rückseite. Als du auf der Meerseite standest, wurde dir klar, wie viel mehr diese Menschen wussten, wie viel mehr sie besaßen als du. Nick hielt deine Hand, um dir über die scharfen Felsen hinwegzuhelfen. Du erinnerst dich nicht, ob du damals mehr wolltest, aber es muss so gewesen sein.

Jetzt besitzt du ein A-Frame-Haus. Du hast deine beste Freundin belogen, was den Preis angeht, weil du ein schlechtes Gewissen hast, in bar bezahlt zu haben, während sie mit zwei Jobs gerade so den Kredit für ihre Krankenpflegeausbildung abstottert. Im obersten Stock gibt es ein fantastisches weißes Badezimmer. Eine Badewanne auf Klauenfüßen mit Blick aufs Meer und goldenen Hähnen. Himmelweiße Handtücher auf Teakhaltern und ein Stück Seife auf dem Teakhocker. Vetiver in französischer grüner Tonerde, noch in flaumiges Papier eingeschlagen.

Gerade bist du auf dem Weg zum Country Mart für einen Iced Matcha Latte und um dir Klamotten zu Preisen zu kaufen, die dich immer noch entzücken. Du kannst über zweitausend Dollar für eine hauchzarte Bluse ausgeben, bei der man trotzdem etwas drunterziehen muss. Je unvollkommener der Körper, desto dringender ist er auf teure Kleidung angewiesen, schwere Kreppstoffe, die sich wie Katastrophenhelfer über die Verwerfungslinien legen.

Gleichwohl halten sich die alten Gewohnheiten hartnäckig. Die Seife in deinem Bad hat achtzehn Dollar gekostet. Du weigerst dich, sie anzurühren, bis du mindestens zwei Kilo abgenommen hast.

Die Idee für Ghost Lover kam – so bitter das ist – von Nick. Beziehungsweise von der Auflösung von Nick und dir. Euer Ende hatte mehr von einem Bankrott als einem Dolchstoß. Du hast deine Seele, wie du es damals in weniger feinen Worten ausdrücktest, auf den Seiten deines Tagebuchs ausgeschieden. Hast monatelang getrauert, dann in Cafés herumgelungert und Pläne ausgeheckt. Anfangs warst du entschlossen, ihn zurückzuerobern. Es gab da einen Laden am La Cienega Boulevard, ein von ihm unberührter Coffeeshop, der ihm auch gar nicht aufgefallen wäre. Dafür war er weder teuer noch sauber genug. Man konnte keine Arabica-Bohnen kaufen. Eine Frau so um die fünfzig arbeitete da in der Küche und kam auch nach vorn, um die Süßstofftütchen aufzuräumen und mit der Handfläche die Milchtheke abzuwischen. Anfangs fandest du ihr Gegrunze unerträglich. Du fandest es unerträglich, wie unförmig ihr Hintern und wie laut ihre Schuhe waren. Wie sie hinter dir herumstampfte, ihre Zehen wie Dominosteine an deinen Fersen. Obwohl sie offenbar kein Englisch konnte, warst du dir sicher, dass sie die Worte auf deinem Laptop las, deine Tagebucheinträge. Eines Tages dann, als sie den Boden um deinen Stuhl moppte, legte sie dir eine Hand auf die Schulter. Segnete dich, wie eine Mutter oder ein Priester. Das war deine Heilung. Du wandtest dich um, und ihre uralten Augen sogen deine Abgründe auf.

Und einfach so kam alles ins Lot. Du dachtest: Mir gehts gut. Ich schreibe ihm. Es war sein Geburtstag. Du schriebst Happy Birthday. Als du diese Worte über Pfade aus Code schicktest, kamst du dir vor wie eine Herzdame. Sieben Minuten später antwortete er: Thx!

Eine Woche darauf spazierte Nick in deinen Coffeeshop. Mit einem Mädchen. Und zwar definitiv einem Mädchen – ungefähr ein Jahrzehnt jünger. Bei Nicks Anblick ging dir ein Wind ab. Das Mädchen wandte sich um und entdeckte dich. Vor Mitgefühl wurde ihr Gesicht ganz rosa. Er hatte anscheinend nichts gehört. Und sie wusste nicht, wer du bist oder wie Nick dich mal im Haus deiner Mutter geleckt hat, während Karl, ihr sogenannter Ehemann, der sich an dir vergangen hatte, unten die Ohren spitzte.

Entscheidend war, dass Nick dich nicht bemerkte, also ranntest du ohne deinen Laptop und deinen Stapel Bücher hinaus. Du wetztest um die Ecke und wartetest, bis sie wegfuhren, und zwar in ihrem Auto, einem schwarzen Sportwagen. Das drehte dir den Magen um – der Gedanke an ihn im Wagen eines Mädchens, wie er ihre Teeniemusik hörte. Als du wieder hineingingst, stand die Chinesin an deinem Tisch, und ihr Schatten lag schützend über deinen Sachen. Sie nickte dir zu. Du hättest am liebsten geweint. Du wusstest, dass du nicht wiederkommen und sie nie mehr sehen würdest. Diese winzigen Schlusspunkte, wohin man blickt.

Ghost Lover ergab sich ganz natürlich daraus, eine aus Schmerz geborene Idee, so natürlich, wie Motten vom Licht angezogen werden. Du kündigtest deinen Job als zweite Assistentin einer B-Prominenten, einen Job, den du dir nur besorgt hattest, um einen Grund zu haben, in L. A. und damit bei ihm zu sein. Du fingst an, die Tage zu verschlafen, die eisgekühlten Drinks in strahlendem Sonnenschein und die Volleyball spielenden Blondinen im Badeanzug. Du gingst nur noch abends aus dem Haus. Hocktest im Chez Jay’s, das ihm gehört hatte, ehe du es dir unter den Nagel gerissen hast. Es war ein schmieriger Luxus, an einem Ort zu sein, an dem du nicht sein solltest. Ein unheimliches Auf-der-Lauer-Liegen. Du lauschtest. Hauptsächlich Mädels mit Textnachrichten. Was sie auf diese oder jene zurückschreiben sollten. Sie hatten keine Ahnung, waren jung und belanglos, doch du fühltest mit ihnen, oder vielmehr mit dem Schmerz in ihnen, oder nein: Dein Schmerz fühlte eine Verwandtschaft mit ihrem Schmerz, und damals warst du unzertrennlich von deinem Schmerz. Er war das einzig Reale.

Eines Abends bist du dort einem alten Freund in die Arme gelaufen, der in Long Beach einen verkürzten MBA machte und seine Freundin an beinahe jedem Wochenende betrog. Ihr seid auf einen Drink ins Father’s Office weitergezogen. Der süßliche Burger dort schmeckte rosa und falsch. Du spürtest, dass der Freund bloß eine Übernachtungsmöglichkeit in L. A. suchte. Aber wie viele Nebenfiguren war er nützlich. Wie nützlich, wurde dir erst später klar. Er meinte, das Einzige, was man wirklich an der Business School lerne, sei Identifiziere ein Problem auf dem Markt und FindeeineLösung.

An dem Abend nahmst du an der Bar und später zu Hause über 2500 Kalorien zu dir. Du schlucktest eine Ambien und schriebst einen Businessplan, bis die Worte auf dem Bildschirm zerliefen. Am nächsten Wochenende schliefst du mit dem Freund von der Business School. Er fühlte sich in dir an wie ein weiches Stück Eisen, schlicht und schroff. Der stumme Schmerz von schnörkellosem Rein-raus-Sex. Du kamst nicht. Er ejakulierte in deinen Bauchnabel. Diese fettige Lache.

Einige Wochen später verfasstest du mithilfe dieses Freundes die Bewerbung. Ein System zur Weiterleitung von Textnachrichten, sodass eine Expertin demjenigen zurückschrieb (oder auch nicht), in den die Kundin verknallt war. Die Kundin würde je nach Bedarf informiert werden, ansonsten aber selige Ahnungslosigkeit genießen. Eine Möglichkeit vor allem für Frauen, die coolste Version ihrer selbst darzustellen, immun gegen ihr eigenes Verlangen.

Anfangs warst du die einzige Expertin. Du, die sich überlegte, wie Nick selbst auf eine Nachricht antworten würde. Wie die schönen jungen Frauen, mit denen er neuerdings zusammen war, auf Nachrichten murrender Männer reagieren würden. Dein Team wuchs rasch. Du stelltest dünne, umwerfende Mädchen ein. Für dich arbeiteten nur Frauen, von denen du dachtest, dass Nick sie begehren würde. Einer der Gründe war das wütende Pochen, das es in deinem Becken hervorrief. Ein anderer war, dass du ihn damit nie mehr in dein Leben zurücklassen konntest. Das käme gar nicht infrage – zu viele Körper, auf die du hättest eifersüchtig sein müssen. Dieses ganze supertolle Haar, diese Surferinnenschenkel.

3

Schön, ohne dass es verzweifelt wirkt

Es gibt Frauen, die es Frauen, und Frauen, die es Männern recht machen wollen. Erstere, schon mit dreizehn, also, ihr Ding ist, dass sie einem Jungen einen blasen, nicht damit der sie mag, sondern um danach ihren Mädels Bericht erstatten zu können. Geruch und Geschmack, Häkchen dran. Du gehörtest zur zweiten Kategorie. Du bist immer voll auf Jungs abgefahren. Jeder war ein Märchen für sich. Eine Therapeutin meinte mal, das hättest du dir von deiner Mutter abgeschaut. Eine andere sagte, es sei ein Nebeneffekt vom Tod deines Vaters.

Gerade gibt es einen, Jeff. Er ist Fotograf. Du hast ihn zu Partys mitgenommen, auf Veranstaltungen, wo man Fliege trägt. Er ist stets parfümiert und rechtzeitig fertig. Du-weißt-schon-wer war nie rechtzeitig fertig.

Du bist im Country Mart, um dir ein Kleid für eine solche Veranstaltung heute Abend in der Getty Villa zu kaufen. Du kommst hierher, weil du es in Downtown-L. A. nicht aushältst – Rodeo Drive mit seinem kreidebleichen Sonnenlicht. Und die Malls kommen nicht infrage. Den Malls bist du entwachsen, dein Geschmack ist inzwischen vom Allerfeinsten. Heute hast du deine Hoffnung auf Morgane Le Fay gesetzt. Dir schwebt etwas Luftiges, dezent Durchscheinendes vor.

Bei diesem Neuen machst du dir mehr Gedanken als sonst. Durch dich ist Jeff zu bescheidenem Ruhm gelangt. Du hast ihn als Fotografen für dein Elle-Shooting vorgeschlagen. Er wollte die Beleuchtung erst nicht auf deren Weise machen, dann aber schon. Seitdem wurde er von Vogue und Esquire gebucht. Du hast ihn am Telefon mit einer Frau von W gehört, wie er verhandelte, ihr schmeichelte. Jennifer, deine Publicity-Managerin, hat euch beiden offen ins Gesicht gesagt, dass er heiß sei. Was irgendwie unverzeihlich war, aber du hast ihr verziehen. Unter vier Augen dann, rechtzeitig, um so zu tun, als sei nichts gewesen, stellte sie seine Beweggründe infrage. Du hast ihn auf einer Seite für Leute mit über zehntausend Twitter-Followern kennengelernt. Dort ist man entweder heiß oder hat eine gewisse Anzahl von Followern. Du zähltest zur zweiten Gruppe. Er zur ersten.

Im Geschäft erkennt dich eine Verkäuferin, selbst mit der Sonnenbrille und dem Bruins-Cap. Du hast eine Stupsnase. Sie ist unverwechselbar. Es tut weh, immer wieder aufs Neue an einem Makel erkannt zu werden. Am liebsten würdest du dafür jede brünette Schönheit bestrafen, die dir über den Weg läuft.

Jennifer ist der zweite Grund, weshalb man dich auf Schritt und Tritt entdeckt. Auf ihrem Gebiet ist sie besser als jeder andere, den du kennst. Zum größten Teil ist das dem Zufall geschuldet. Wie bei allen Riesenerfolgen liefen ein paar Dinge goldrichtig bei ihr, sodass sie sich jetzt nur noch auf ihren Lorbeeren auszuruhen braucht.

»Sind Sie … wow. Sie sind es.«

Du nickst der Verkäuferin gar nicht erst zu. Wenn du mal wieder zu viel zu Mittag gegessen hast, musst du eine von ihnen grausam behandeln. Du betastest ein fließendes, cremefarbenes Kleid. Sie bietet an, die null Kleidungsstücke auf deinem Arm schon mal in die Umkleidekabine zu bringen.

Sie gibt noch mehr von sich, Floskeln, die für dich so dumm und doch unerlässlich sind wie das heiße Zitronenwasser, das du jeden Morgen trinkst. Als sie aber fragt, ob du nach etwas Besonderem suchst, tickst du aus.

»Im Gegenteil. Ich suche nach was ganz Unbesonderem. Sagen Sie’s mir, was ist das am wenigsten besondere Teil, das Sie hier haben?«

Wieder draußen, kneifst du die Augen gegen das Sonnenlicht zusammen und massierst dir die Schläfen. O sonntägliche Schande!

Du öffnest die Augen und schickst Jennifer eine kurze Textnachricht.

Ich hab bisschen bei Morgane Le Fay rumgebitcht.

Montana oder Malibu? Kundin oder Verkäuferin?

Letzteres, schreibst du. So gut bist du in deinem Job. Du bist eine Chirurgin der Textnachricht. Mit nur einem beiläufigen Wort, plus geschickte Zeichensetzung, kannst du zerlegen, abtasten, annullieren. Jennifer soll jemanden fragen, was du meinst. Sie soll sich dumm und unwürdig fühlen, wie die PR-Tussi, die sie ist. Damit sie ihre Schlankheit ja nicht mit Wichtigkeit verwechselt.

Du kehrst mit leeren Händen zum Auto zurück. Früher haben dich die sandfarbenen Berge in der Ferne fassungslos gemacht. Sie hatten etwas von Natur, von Wildheit, aber zugleich zwängten sich diese ganzen bootsförmigen Villen zwischen die gastfreundlicheren Felsen. Von unten wirkten die Häuser weiß und schmutzig, aber sie waren allesamt bewacht. Niemand hatte Verwendung für seinen Grundbesitz. Es gab Pferde, aber die verdursteten fast in der Hitze. Früher haben dich die Hügel von Los Angeles fassungslos gemacht, aber inzwischen bist du auf Partys in diesen verwahrlosten Schlössern gewesen. Du hast Swimmingpools gesehen, die als Schwanenteich zweckentfremdet wurden, und Nackte-Männer-Teiche. Du hast Swimmingpools gesehen, in denen nie ein Tropfen Wasser war. Wenn man in den Bergen ist, begreift man, dass es keine Berge, sondern Platzhalter sind.

Du öffnest dein Auto aus der Ferne und schaltest mit dem Schlüssel die Klimaanlage an, bevor du einsteigst. Du wirst das rote Kleid anziehen, das Nick dir in diesem einen Secondhandshop in Cambridge gekauft hat. All diese Jahre, all diese Hungerkuren später hast du immer noch mehr oder weniger dieselbe Größe. Wenn die Leute nur wüssten, wie viel Arbeit in deinem Gewicht steckt. In deiner Vorstellung schießt es in die Höhe und rauscht wieder hinab wie eine verwegene Wasserrutsche. Dank deiner Beziehung zum Kühlschrank hat die Katze eine Angststörung entwickelt. Doch an deinem Körper haben diese Schwankungen kaum Spuren hinterlassen.

Das Kleid passt dir jedenfalls immer noch; es ist das einzige, in dem du dich je mühelos schön gefühlt hast.

Heute Abend wirst du einen Preis entgegennehmen, mit dem du zur dritten Golda-Meir-Botschafterin für Frauenrechte gekürt wirst. Du musst vor einem Saal sehr wichtiger Menschen eine Rede halten. Ursprünglich wolltest du darüber sprechen, wie du von beinahe ganz unten nach ziemlich weit oben gekommen bist. Nichts, was man zuvor nicht schon gehört hätte, so banal, dass es an Peinlichkeit gegrenzt hätte; doch dein Stern brennt gerade so hell, dass es keine Rolle spielt, nicht mal für dich selbst.

Dann kam die Karte. Und bei dir brachen alle Dämme, deine Eingeweide zerschmolzen wie ein in Tee getauchter Löffel Honig.

Du nahmst ein langes Eukalyptusbad. Du schriebst deine Rede noch einmal neu.

4

Mit dem Neuen im Old Place

Vor der Preisverleihung gehst du mit Jeff noch was trinken. Zu seinem dreiunddreißigsten Geburtstag letzten Monat hast du ihm eine jagdgrüne Triumph geschenkt, und er liebt es, damit durch die Canyons zu düsen.

Vor Kurzem hat er vorgeschlagen, sich draußen zu verabreden, anstatt dich auf dem Motorrad mitzunehmen. Du hast ihm gesagt, du hättest kein Problem damit, keine Angst. Aber er erwiderte, er schon, denn er sei ja noch Anfänger und wolle nicht, dass dir was passiert. Heute Abend kommt es eh nicht infrage, wegen deiner Haare und dem Wind und dem Kleid.

Das Old Place ist noch ein Restaurant, in das Nick mit dir gegangen ist. Und zwar in der Woche, als du zum ersten Mal zu Besuch warst, als du dein Recht einfordertest. Du sprachst davon, wie traurig dich die Straßenwüsten und gedrungenen Gebäude machten. Du hattest gedacht, Los Angeles sehe aus wie diese ein, zwei Straßen in Beverly Hills, von Palmen gesäumt und rucolabewachsen. Nick sagte, Los Angeles sei nicht so, wie alle es sich vorstellen, ehe sie tatsächlich herkommen. Weil es gar nicht wirklich existiert. Man muss sich sein eigenes L. A. schaffen.

Dann ist er mit dir in seinem Subaru zum Old Place gefahren. Es war ein Traum, ein abgelegener, überwucherter Himmel auf Erden, eine knarzige Scheune mit Geweihen an der Fassade und Hufeisen drinnen, Öllampen und vollgeritzten Holztischen. Wie in Wyoming, und doch stand gleich um die Ecke eine Villa im spanischen Stil und ein Arsenal von Teslas. Drinnen habt ihr euch eine Charcuterie-Platte geteilt und eure Vierteldollars gezählt. Vor eurer schönen Kellnerin hattest du keine Angst. Damals wart ihr noch Freunde, nicht mehr. Das war ein Jahr nach dem College. Die Bostoner Jahre, sagte er gern, also ein Jahr nach Boston.

Aber selbst damals war es für dich mehr. In deinem Tagebuch klebt ein roter Sternsticker auf dem Abend, an dem ihr euch kennengelernt habt. Es war im Frühling deines vorletzten Jahrs vor der Abschlussprüfung, und die Polizei führte eine Razzia auf der Party im Studentenwohnheim durch. Du hattest einen Plastikbecher in der Hand und wusstest nicht, wohin damit.

Nick war dir kurz zuvor am Bierfass begegnet. Er hatte gepumpt und dir eins gezapft mit der Frage, ob du es dir nicht gern selbst machst. Deine Augen weiteten sich. »Dein Bier«, sagte er.

Als die Bullen zackig auf dich zusteuerten, erfasste er deine Lage, riss sich das Hemd vom Leib und reckte ihnen die nackte Brust entgegen wie Tarzan. Schöne Menschen können sich einfach ausziehen und so für Ablenkung sorgen. Jedenfalls hast du dich in einen Anflug von Menschlichkeit bei einem heißen Typen verliebt.

Jeff – für seine Zeitschriftenjobs seit Neuestem Jeffrey – schreibt, dass er jetzt losfährt. Er braucht von seiner Einzimmerwohnung in der Stadt vierzig Minuten für die Fahrt hierher. Er hat eine Schublade bei dir und wird übernachten. Am Morgen wird er am Strand eine Runde laufen gehen und mit nacktem Oberkörper zurückkehren. Er lässt immer ein neutrales James-Perse-T-Shirt an einem ganz bestimmten Felsvorsprung hängen. In mancher Hinsicht ist er wie ein Schauspieler. Du wirst geduscht, eine unsichtbare Menge Make-up aufgetragen und frische Cashewmilch zubereitet haben. Er wird hereinkommen, seine Hüfte an deine drücken und dich auf die Wange küssen, und du wirst ihn wieder wollen. Aber er ist immer auf dem Sprung. Immer arbeitet er, es sei denn, eine Veranstaltung steht an.

Als du im Old Place ankommst, ist es vier. Du setzt dich an denselben Tisch wie vor beinahe einem Jahrzehnt. Eine Kellnerin um die fünfzig, mit Pockennarben im Gesicht, begrüßt dich. Du bestellst einen Wodka Soda und durchkämmst die Speisekarte nach etwas mit unter hundert Kalorien. Es gibt keine Austern. Kein Ceviche. Je besser die Atmosphäre einer Bar, vor allem im Wald, desto frittierter das Essen.

Du schaust auf Jeffs Instagram, weil er manchmal ein Bild macht und du nicht mal wusstest, dass er gerade an diesem oder jenem Ort ist. Sein Account ist eine Mischung aus malerisch nebligen Fotografien – spiegelglatte Gewässer und hohe Bäume im Sonnenlicht – und Selfies von dir und ihm auf Preisverleihungen, in Privatjets, in Cannes und an der Côte d’Azur. Es gibt ein Bild, das schrecklich an dir nagt. Ihr beide bei Alexander McQueen während der Fashion Week in New York. Du steckst in einem violetten Kleid, in dem du laut Jennifer wie eine Göttin aussahst. Jeff ist braun gebrannt, sein Gesicht schwach, doch unwiderlegbar hübsch. Jemand, den ihr beide nicht kennt, hat als Kommentar daruntergeschrieben: Stillleben mit Fotograf und einer Wurst in Balmain.

An dem Abend hast du Jeff gebeten, seinen Account auf privat zu stellen. »Na klar«, sagte er. Am Morgen batest du ihn erneut.

Vor neun Jahren hattest du Nick an genau diesem Tisch von Karl erzählt. Karl trug eine Brille und hatte seidig krauses Haar, und deine Mutter liebte ihn abgöttisch.

Du hast Nick alles erzählt. Wie du den Wichser für jeden Übergriff zahlen ließest, und zwar wortwörtlich. Er hat dich im Flur gefingert, als du in deinem Kensie-Girl-Bademantel aus der Dusche kamst? Du hast dir mit seiner Kreditkarte eine Sonnenbrille von Prada gekauft. Hat sich unter dem Tisch deine Hand auf den Schwanz gelegt, während deine Mom euch direkt gegenübersaß? Du schenktest deinem schwulen Freund Bobby ein Dinnerjacket.

Du hast Nick nicht von Karl erzählt, um es dir mal von der Seele zu reden. Du erzähltest ihm von Karl, damit er dich liebt.

Den Helm in der Hand, kommt Jeff herein. Er lächelt dem Barkeeper zu, inspiziert den leeren Raum. Er sieht dich, und dann entdeckt er dich.

»Babe«, sagt er und gibt dir über den Tisch hinweg einen Kuss.

»Hi«, erwiderst du tonlos. Diesen überraschend aufscheinenden Ernst hast du perfektioniert. Die Leute haben dann immer das Gefühl, sie hätten dir unrecht getan und müssten es kompensieren.

»Du siehst unfassbar gut aus.«

»Danke.«

»Bist du bereit? Irgendwelche flatternden Nerven, die ich beruhigen kann? Haben die einen Teleprompter, oder machst du’s aus dem Stegreif?«

»Aus dem Stegreif.«

»Du bist hardcore.«

»Ich muss dir erzählen, was ich sagen werde.«

»Schieß los.« Er gibt der Bedienung ein Zeichen mit dem Finger. Kellnern gegenüber tritt er fast schon unterwürfig höflich, aber dennoch mit Nachdruck auf.

»Es geht um meinen Ex.«

»Oha«, sagt er.

»Es geht darum, wie mein Ex mich vergewaltigt hat.«

Jeff gehört zum neuen, stocksteifen Schlag Mann. Er hat in Texas Pferde geritten wie ein Cowboy, aber beim Wort Vergewaltigung kriegt er beinahe Menstruationskrämpfe. Er weiß nicht, wie er sich da politisch korrekt verhalten soll. Überhaupt kommt bei ihm nichts von Herzen.

Er schnappt nach Luft. Ist so aus der Fassung, dass er nichts zu trinken bestellt, als die Kellnerin an den Tisch kommt. Er schüttelt nur den Kopf. Du bestellst für ihn.

»Er nimmt einen Wodka Grapefruit«, meinst du.

»Absolut okay?«, fragt sie.

»Grey Goose«, flüstert er. Und an dich gewandt: »Was willst du damit sagen?«

Du atmest tief ein. »Es ist eine komplizierte Geschichte, wie immer bei solchen Dingen. Wir waren lange zusammen. Wir waren sehr verliebt. Er war auf jeden Fall forsch. Es gab immer wieder Krach. Abgesehen davon aber keine Warnzeichen. Er war … Ich dachte, er wäre einer von den Guten.«

Jeff nickt und schüttelt den Kopf. Gebannt.

Du erzählst ihm von dem Abend, um den es in deiner Rede gehen soll. Ihr hattet beide ein paar Pilze eingeworfen, Nick war psychedelische Substanzen jedoch nicht gewohnt. Er war eher der Biertyp. Dein Freund Bobby hatte dir die Pilze zum Geburtstag geschickt. Mit Karls Amex hattest du einen Bungalow im Beverly Hills Hotel gebucht. Du und Nick seid mit seinen Freunden – du hattest noch keine eigenen – ins Slumulous was trinken gegangen. Er hat die Pilze nicht nehmen wollen, aber es war dein Geburtstag, und so hast du nicht lockergelassen.

Als du vor neun Jahren an diesem Tisch Nick von Karl erzählt hast, sagte er, er würde ihn umbringen. »Bitte«, meintest du unter Tränen. »Bitte, es ist vorbei. Ich brauche nur …«

»Was?« Nick war richtig pissig.

Du wolltest sagen: Ich brauche nur dich. Stattdessen erlaubtest du dem Schmerz, deine Züge zu verzerren.

Jetzt streckt Jeff seine weiche Hand über den Tisch nach deiner aus. Du zuckst nicht mit der Wimper. Du bist eine Alphafrau und fürchtest dich nur davor, hässlich auszusehen.