Gillean und der Inselgott - Michaël Moritz - E-Book

Gillean und der Inselgott E-Book

Michael Moritz

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Beschreibung

Die junge Anwältin Gillean Campbell aus Edinburgh wird wegen einer wichtigen Angelegenheit in das abgelegene Schloß von Lord Durward gerufen. Schon die Anreise in das Felsmassiv Ben Mercliff, auf dessen entlegenem Gipfel Schloß Skyrock thront, erweist sich als Horror-Trip. Eine unwirkliche, nächtliche Kutschfahrt und die gespenstische Seilbahn, die einzige Verbindung des Schlosses zur Außenwelt, lassen die junge Frau fast verzweifeln. Doch sind diese Unannehmlichkeiten nur Vorboten der mysteriösen Geschehnisse, die Gillean in den kommenden Tagen heimsuchen werden. Kurz davor den Verstand zu verlieren, erkennt sie die unheilvolle Bedeutung ihrer Erlebnisse.

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Michaël Moritz

wurde im zwanzigsten Säculum mittags irgendwo in Deutschland geboren. Er lebt in Berlin und Orbsteden und arbeitet als Schriftsteller, Werbetexter, Bühnenautor, Philosoph und Beobachter verschiedener Wahrnehmungsfelder. Zum Beispiel des der Gegenwartsgeschichte. Er interessiert sich für das Mysteriöse, Groteske, Gagaeske und Skurrile. Daraus sind sowohl der humoristische Roman KNUT als auch der skurrile YouTube-Kanal MYGROGASKU entstanden. Sein besonderes Interesse gilt RealmYS. RealmYS ist das faszinierende Grenzgebiet zwischen dem Realen und dem Mysteriösen, das zu betreten ihm bislang nur zwiefach erlaubt wurde.

Michaël Moritz

Gillean und der Inselgott

Impressum

© 2023 Michaël Moritz

michaelmoritz.de

ISBN

Paperback 978-3-347-84757-6

e-Book 978-3-347-84758-3

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Covergrafik: liuzishan, iStock

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung »Impressumservice«, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Für Jürgen und Ulla,

die zu den wichtigsten Menschen

an meiner Seite zählen.

Schwarz ist die Tiefe der Zeit

und das Meer ist ihre Bühne für die Ewigen.

Lord Edward Durward

Die unheimliche, gespenstische Fahrt der Kutsche

durch die Gebirgswaldungen des Ben Mercliff in den

Grampians ging weiter. Die am schottischen

Nachthimmel wild umherzuckenden Blitze

beleuchteten die dunkle Gestalt des Kutschers mit

seinen hochaufgerissenen Armen und der Peitsche, die

regelmäßig auf den Rücken der Pferde niedersauste.

Zum ersten Mal nach langer Zeit empfand Gillean

Angst, nackte Angst. Ihr wurde mit einem Schlag

bewusst, dass eine andere als eine menschliche Macht

diese Kutsche durch die Wälder des Ben Mercliff zog.

Der fürchterliche Pferdelenker drehte sich langsam um.

Als Gillean sein Gesicht erkannte, ergriff sie panische

Furcht. Es war nicht McBrian, der sie da anstarrte!

Dichter Regen fiel aus dem grauen Morgenhimmel Edinburghs und verwandelte die nordschottische Stadt in eine nebelige Waschküche. Nebelschwaden senkten sich auch über das zweistöckige, gotische Gebäude mit dem geschwungenen Steinportal, in dem seit Jahrzehnten die renommierte Anwaltskanzlei Williams & Burnett ansässig war.

Gillean Campbell saß in den frühen Morgenstunden in ihrem Büro. Vor sich liegen hatte sie die Akten des Falles, mit dem sie es in den nächsten Tagen zu tun haben würde, der Erbschaftsangelegenheit der altehrwürdigen Familie Durward.

Die Durward-Akten kannte sie mittlerweile in- und auswendig. Denn sofort nach ihrem Erfolg in dem Skandalprozess um die McFarlane-Giftmorde war Mister Williams auf sie mit der Bitte zugekommen, diese sich mittlerweile lang hinziehende Erbschafts- und Grundbuchangelegenheit zu einem guten Abschluss zu bringen. Und betont hatte er dabei, dass dieser Fall für ihn persönlich wichtig sei und ihm sehr am Herzen liege.

Dergleichen äußerte er selten. Und Gillean hatte sich intensiv reingekniet.

Sie blickte aus dem hohen gotischen Fenster mit den Samtportieren auf die verregneten Distelbeete. Gillean mochte Disteln, nicht nur, weil sie ein Faible für Schottland hatte und die Distel die Nationalblume Schottlands ist, sondern auch, weil ihre erste große Liebe ihr ein unvergessliches Bouquet aus verschiedenen Distelarten geschenkt hatte.

Obwohl sie natürlich Berufliches und Privates strikt und konsequent trennte, auch trennen musste, freute sie sich, Sir Robert Durward wiederzusehen!

Seit ihrem ersten Treffen mit der Familie Durward hatte sie ihn nicht mehr vergessen können! Alles an ihm gefiel ihr mehr, als sie es sich zunächst hatte eingestehen wollen.

Seine blauen, wachen Augen, sein Benehmen und seine höfliche, zurückhaltende Art – das alles, und natürlich noch viel, viel mehr, sagte ihr so zu, dass sie sich nach seiner Gegenwart sehnte.

Nun ja, wir werden sehen…

Gillean schaute auf den Intarsienschreibtisch, den ihr Vater ihr zur Übernahme des ersten selbständigen Falles geschenkt hatte. Sie ließ ihre Gedanken ins Vergangene schweifen.

Als sie nach dem Collegeabschluss ihrer Familie offenbart hatte, dass sie Juristin werden wolle, war die Enttäuschung groß. Man hatte erwartet, dass sie wie ihr Vater Medizin studieren werde. Als dieser jedoch sah, wie sehr sie in der Juristerei aufging, hatte er sie nach besten Kräften unterstützt.

Heute konnte Gillean es mit den besten Juristen des Vereinigten Königreiches aufnehmen. Sie musste lächeln, als sie daran dachte, wie Lordrichter Sir Thomas Harley seine Augenbrauen hochzog, nachdem sie ihn darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass sie erstmals die Verteidigung übernehmen würde.

In den hohen Fluren des Royal Court hatte sie dann ihre bissigen Kollegen gehört, was bei der Beratung über sie gesagt worden sei: »Dieses Schönchen sollte lieber nach Hollywood gehen!«

Doch jetzt, nach ihren Erfolgen, würde es keiner mehr wagen, so oder ähnlich über sie zu reden, denn Gillean Campbell hatte sich als Frau in der Paragraphenwelt nicht nur behauptet, sondern auch einen Namen gemacht.

Energisch schüttelte Gillean die rotblonde Strähne aus ihren grünen Augen und blickte zu der Standuhr Grandfathers Clock aus 1780 hinüber, die ihr zeigte, dass es höchste Zeit war, sich auf den Weg zu machen.

Gillean öffnete ihre Tasche, überprüfte ihr Make-up und ihr Outfit und wählte die Nummer der Taxizentrale. Entschlossen ergriff sie ihren Aktenkoffer.

Obwohl sie wegen der gegenwärtigen Edinburgher Festspielwochen genügend Zeit eingeplant hatte, war sie auf der Fahrt zum Bahnhof nervös geworden.

Der Taxifahrer, ein behäbiger, gemütlicher Hochlandschotte, ließ sich von ihrer Anspannung und Aufregung nicht beeinflussen.

»Da haben Sie aber wirklich Pech, Ma'am«, teilte er ihr mit, »dass Sie gerade jetzt fahren müssen, wo doch heute Abend auf dem Schloss reichlich viel los ist. Ich meine den Zapfenstreich, Fackellicht und alles, was dazu gehört. Das ließe ich mir an Ihrer Stelle nicht entgehen!«

Sie standen im dichten Stau neben dem Alexander-Graham-Bell-Denkmal und Gillean hatte zum ersten Mal für die von draußen auf sie eindringende Dudelsackmusik eines Spielmannszuges kein Ohr.

Sie bemühte sich, ihren Unmut im Zaum zu halten, und atmete auf, als es dem Fahrer gelungen war, die National Library of Scotland zu passieren.

Sie erinnerte sich, wie sie als Kind ihren Vater hierher oft begleiten durfte. Während er sich mit den Werken von James Simons, einem namhaften Edinburgher Mediziner, beschäftigte, zog sie sich in der Buchhandlung von Tante Florence die Zuckerschädel-Comics von Charles Burns rein.

Da sie damals natürlich wusste, dass ihre Eltern das nicht gerne sehen würden, legte sie sich stets ein Buch von Julia Donaldson in Griffnähe, so dass der Seelenfrieden ihrer Eltern bewahrt bleiben konnte.

So lernte Gillean damals, die verschiedenen Interessen der Menschen zu erkennen und schon als Kind zu bedienen. Und für ihr späteres Interesse an der Juristerei wurde hier in Edinburgh das Fundament gelegt.

Auf dem Bahnhof umgab sie in Sekundenschnelle das Gedränge fröhlicher Menschen. Am Haupteingang versperrte eine Formation der ScottishCountry Dancers in Nationaltracht den Weg. So sehr sie sich über diesen Anblick freute, so ungelegen kam er ihr im Moment und als sie den Bahnsteig erreicht hatte, war es zu spät.

Trotz des schweren Aktenkoffers und der hohen Absätze versuchte Gillean, die letzte Tür des abfahrenden Zuges zu erreichen. Vergeblich.

Urplötzlich beugte sich ein langhaariger Greis aus einem Fenster des vorletzten Waggons und warf ihr einen Briefumschlag zu.

Für Sekunden sah Gillean das gelblich, faltige Gesicht des Fremden und das unheimliche Glitzern seiner Augen, die denen einer Schlange glichen und sie schaudern ließen. Der Mann musste sie verwechselt haben.

Da sie sich schleunigst nach dem nächsten Zug erkundigen musste, steckte sie achtlos den Brief in die Handtasche, während sie nach dem Informationsschalter Ausschau hielt.

Vor ihr erkundigte sich ein Japaner langatmig nach dem Unterschied zwischen Highland- und Freedom-of-Scotland-Ticket. Ärgerlich musste sie danach erfahren, dass der nächste Zug nach Aberdeen erst in zwei Stunden eingesetzt würde.

Sie verließ Edinburgh Waverley, den Hauptbahnhof Edinburghs. Draußen schlug ihr jetzt kalte Regenluft ins Gesicht. Da sie nunmehr noch einige Minuten zur freien Verfügung hatte, verkürzte sie ihre Wartezeit im Charlie's in der George Street mit der Augustausgabe der Vogue.

Gillean würde zwei oder drei Tage auf dem Schloss Lord Durwards verbringen. In dieser Zeit müsste die Grundbuchangelegenheit mit Errol Durward, dem Bruder des Lords, geregelt sein. Natürlich nur, wenn dieser sich nicht vollständig gegen alles stellen würde! Der Zeitrahmen aber entsprach dem Wunsch und der Vorstellung ihres Chefs.

»Sie werden es mit Ihrem Charme und Ihrem Einfühlungsvermögen schon schaffen, diesen alten Haudegen gnädig zu stimmen«, hatte ihr Mister Williams gesagt, um ihr Mut zu machen.

Der hat gut reden, dachte Gillean bei sich. Und doch, ich werde Robert wiedersehen!

Die hinterste Ecke des Restaurants neben einem großen Aquarium bot ihr einen ruhigen Platz und Gillean bestellte sich einen klassischen schwarzen Earl Grey mit Scottish Oatcakes.

Während sie ihren Mantel aufhängte, fiel ihr Blick auf das Aquarium, in das die Szenerie einer untergegangenen Inselwelt mit einer gesunkenen, mittelalterlichen Bireme eingearbeitet war. Speziell geschliffene Glasscheiben vergrößerten die Fische zu grotesken Monstern, deren Köpfe den Eindruck erweckten, dass Glas kein unüberwindbares Hindernis für sie sei.

Unter ihnen, teilweise von Sand überzogen, lag eine wasserfest imprägnierte, vergilbte Landkarte, vielleicht die einer verschwundenen Inselgruppe. Die Namen der vielen kleinen Inseln waren kalligraphisch verschnörkelt gemalt und ihre Schriftzeichen erinnerten Gillean an die der Mayaschrift. Im Zentrum des größten Eilandes stand unübersehbar der Name Nebamun.

Sie wandte sich dem Wandspiegel zu, um ihre Frisur zu richten. Im Spiegel schwammen Monsterfische zwischen ihren langen Haaren hindurch.

Seltsam, dachte sie, dass es trotz der vielen Inseln und Länder offensichtlich notwendig ist, neue Welten zu ersinnen. Der Kellner servierte den Tee.

Beizeiten machte sich Gillean auf den Weg, um den Zug nicht zu versäumen. Gut gelaunt und fröhlich gestimmt betrat sie das Erste-Klasse-Abteil und nahm ihren reservierten Platz ein. Der Zug fuhr an und Gillean ließ ihren Gedanken freien Lauf.

Aufgrund der Geschwindigkeit des Zuges schien der Regen zugenommen zu haben. In ungefähr eineinhalb Stunden würde die Granitstadt Aberdeen erreicht sein. Hier hatte Gillean am Marischal College ihr Jurastudium abgeschlossen.

Der Zug durcheilte die Grampians.

Als sie Dundee hinter sich ließen, fiel Gillean der Brief des Unbekannten ein. Ein seltsam gemischtes Gefühl aus Angst und Neugier überkam sie, als sie die eigenartige Schrift auf dem Briefumschlag auf sich wirken ließ.

Irgendwo hatte sie eine solche schon einmal gesehen. Das Kuvert war unverschlossen und An die viel geehrte Miss Gillean Campbell adressiert. Nervös fingerte sie den Kartenbrief aus dem Umschlag.

Sie musste an das uralte Gesicht des Fremden denken. Ein Gesicht, das sie noch nie gesehen hatte!

»Bitte Miss Gillean, fahren Sie nicht nach Skyrock Castle! Ich kann sonst nichts mehr für Sie tun!« hatte der Fremde mit einem Füllhalter und schwarzer Tinte in eben denselben alten Schriftzügen auf der Briefkarte notiert. Die Unterschrift setzte sich aus pittoresken Zeichen einer ihr völlig unbekannten Sprache zusammen. Nachdenklich legte Gillean den Brief des Fremden zu ihren Privatpapieren in den Aktenkoffer.

Der Zug hatte Aberdeen erreicht und immer noch musste Gillean an den Fremden denken. Fast hätte sie vergessen, auszusteigen.

Der Sprühregen hatte nachgelassen und eine warme Spätnachmittagssonne vertrieb Gilleans aufkommende dunkle Gedanken und Ahnungen um Skyrock Castle. Der Fremde hatte ihr geraten, umzukehren. Noch war es möglicherweise nicht zu spät, aber die Betriebsamkeit vor dem Bahnhof ließ ihren Optimismus über düstere Gefühle siegen.

Kurzerhand stieg sie in ein Taxi und nannte als Fahrziel Lonely Edge am Fuße des Ben Mercliff, eine Station, von der aus Pferdekutschen nach Skyrock Castle bei Bedarf verkehrten.

Was für ein Unterschied zur Bahnfahrt! Vor einer Stunde noch strömender Regen, der die Anreise alles andere als angenehm erscheinen ließ, und jetzt warme Sonnenstrahlen!

Gilleans Vorfreude auf ein paar weniger anstrengende Tage in erholsamer Meeresluft wuchs. In ungefähr einer Stunde würde sie Lonely Edge erreichen.

Der Fahrer des Taxis war ein langer, rotblonder Mann mit buschigem Schnauzbart, den Gillean sich weit eher bei einem der bekannten HighlandWettkämpfe im Baumstammwerfen als im Straßenverkehr vorstellen konnte.

Je mehr Gillean sich um ein lockeres Gespräch bemühte, desto erzürnter und unzufriedener blickte er sie aus seinen stahlblauen Augen an. Das Einzige, was sie als Antwort zu hören bekam, war ein gebrummtes »Aye, Mylady.«

Die Menschen dieser Gegend scheinen nicht gerade die konversationsfreudigsten zu sein, mutmaßte sie.

Mit gerunzelten Augenbrauen sah der Mann zu ihr hinüber, so, als könnte er ihre Gedanken erraten. Unbehaglich lehnte Gillean sich in die Polster des Taxis zurück und verbrachte den Rest der Fahrt schweigend.

Als der Wagen im Halbdunkel schließlich stoppte, wies der Fahrer mit herrischer Geste auf ein düsteres, reetgedecktes Gebäude zu ihrer Rechten.

»Die Kutschstation von Skyrock Castle, Mylady.« Sein Benehmen ließ keinen Zweifel daran, dass er froh war, sie loszuwerden.

Oder ist es die Gegend, vor der er zu fliehen scheint?

Als der Motor hinter der nächsten Bergecke verhallte, fand Gillean sich allein zwischen dem verwitterten Eingangsportal des Kutscherhauses und dessen Stallungen wieder. Ein Käuzchen untermalte mit seinem Ruf leises Wiehern eines Pferdes.

Schien die Sonne bei ihrer Ankunft in Aberdeen noch, so war sie jetzt, eine gute Stunde später, im Dickicht des Gebirgswaldes kaum noch wahrzunehmen. Gillean stand fröstelnd vor dem Tor der Kutschenstation.

Eine nackte Glühbirne einer alten verrotteten Lampe baumelte neben dem Holztor und warf unruhiges Licht auf den Türöffner. Beherzt griff Gillean zu. Beinahe wäre sie über einen vermodernden Balken gestolpert. Im Kutscherhaus brannte Licht.

Alles hatte sie ganz anders von ihrem ersten Besuch auf Skyrock Castle in Erinnerung. Sicher, sie hatte damals nicht auf jede Kleinigkeit geachtet. Aber inzwischen empfand sie ihre Anreise als eine ganz spezielle Herausforderung.

Dieser merkwürdige Mensch im Zug hatte sie gewarnt. Wenn sie dem auch keine wesentliche Bedeutung beigemessen hatte, so suchte sie jetzt nach Gründen für ihre sofortige Rückkehr. Als junge Frau war es ihr ja auch kaum zumutbar, sich in dieser Gegend im Dunkel der hereinbrechenden Nacht alleine zurechtzufinden und ihre Weiterfahrt zu organisieren.

In Edinburgh hatte sich alles ganz einfach angehört: Taxi zur Kutschenstation. Von dort aus direkt nach Skyrock Castle. Und was erwartete sie in Wirklichkeit?

Ein offensichtlich geistig verwirrter Greis warnte sie im Zug vor der Herfahrt. Und hier im Gebirgswald traf sie auf eine halb verfallene Station! Sie hätte zu Hause am Kamin sitzen und es sich urgemütlich machen können.

Nun ja, Mister Williams ist daran gelegen und außerdem werde ich ja wohl bald in einem warmen komfortablen Zimmer sitzen.

Die Tür knarrte in ihren mächtigen, verrosteten Angeln, als Gillean sie öffnete. Drei Männer saßen in dem schlecht erleuchteten Raum und spielten Karten. Starker Whiskygeruch strömte ihr entgegen. Offensichtlich hatten sie zu später Stunde nicht mehr mit einem Besucher, erst recht nicht mit einer Besucherin, die zudem noch jung und hübsch war, gerechnet.

»Guten Abend, die Herren!« grüßte sie salopp, denn sie rechnete mit der Erwartungshaltung der Männer, Zeichen der Unsicherheit in ihrem Verhalten zu entdecken. Und ein Überlegenheitsgefühl wollte sie bei den dreien auf gar keinen Fall aufkommen lassen. »Abend, Mylady!«, erwiderten die Kutscher. »Heute Abend noch rauf nach Skyrock?«

»Ja, wann kann's denn losgehen? Ich habe es eilig. Oder gibt es irgendwelche Probleme?«

»Ob es Probleme gibt, will die Lady wissen!«, kicherten die Männer zweideutig. Gillean riss der Geduldsfaden.

»Also, ich möchte sofort nach Skyrock, ich habe keine Zeit und Lord Durward erwartet mich! Wer fährt mich?«

Unsicher stierten sich die drei an.