Gjak – sauber bleibt nur, wer nix tut - Dimosthenis Papamarkos - E-Book

Gjak – sauber bleibt nur, wer nix tut E-Book

Dimosthenis Papamarkos

0,0

Beschreibung

Griechisch-Türkischer Krieg 1919–1922: Im Zentrum der neun Erzählungen stehen griechische Veteranen. Zurück im zivilen Leben, sollen sie eine Rolle übernehmen, die ihnen von den Sozialnormen aufgezwungen und ihren Kriegserlebnissen und den begangenen Grausamkeiten diktiert wird. Erzählt in rauer Mündlichkeit, handeln die Geschichten vom Orientierungsverlust der Ich-Erzähler und der Unfähigkeit, den traditionellen Verhaltenskodex mit den eigenen Emotionen in Einklang zu bringen. Es geht um begangene oder miterlebte Grausamkeiten und deren Auswirkungen auf alle Beteiligten, aber auch um Liebe. Mit mehr als 45.000 verkauften Exemplaren in Griechenland ist Papamarkos ein großer Wurf gelungen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 179

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel »Γκιακ« im Verlag Antipodes, Athen, Griechenland.

Copyright © Dimosthenis Papamarkos

1. Auflage

Copyright © 2022 der deutschen Ausgabe

by mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)

www.mitteldeutscherverlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)

Umschlagabbildung: © iStock – Benjamin Lion

Satz und Layout: Stefanie Bader, Leipzig

ISBN 978-3-96311-728-2

Für Yorgos Goussis, meinen Freund

Gjak: aus dem Protoalbanischen *źakuh

1. Blut

2. (jur.) Verwandtschaftsgrad, der sich von einer gemeinsamen Herkunft ableitet, Blutsverwandter, Blutsverwandtschaft – im Gegensatz zur angeheirateten Verwandtschaft

3. Mord, begangen aus Rache oder Vergeltung

4. Sippe, Clan, Stamm

DO T’A PRES KOÇÍDHETË*

Hör mal, Antonis, auf die Frage kriegste ne Antwort, weils sich so gehört. Und außerdem – ich bins, der zu dir ins Haus gekommen ist, denn ich will was von dir. Aber ich brauch deine Besa, dein Ehrenwort, dass alles hier am Tisch bleibt. Das geht nur dich und mich was an, sonst niemand. Es ist nichts Verwerfliches, aber besser, es bleibt unter uns. Nicht, dass noch ne große Sache draus wird. Nur Geduld, wirst gleich sehn, was ich meine.

An meine Schwester Syrmo erinnerst du dich bestimmt. Ja, ja, wart mal, darum geht es nicht, lass mich ausreden. Also, die Syrmo und ich, wir warn ja die beiden Jüngsten. Den Christophoros, den hats auch noch gegeben, aber der Kleine ist ja mit eins oder zwei schon gestorben, Gott hab ihn selig, also so ein richtiger Bruder war der gar nicht für uns. Mit der Syrmo aber, mit der war ich sehr eng, enger als mit allen andern. Schau, meine Mutter hatte die Großen, Stamatis und Vassilis, schon ganz früh gekriegt und noch bevor ich richtig übern Tisch schaun konnte, warn die schon im heiratsfähigen Alter. Ich und Syrmo, wir warn die Nachzügler. Gut, sie war zwar vier Jahre älter als ich und außerdem noch n Mädchen – aber trotzdem: Sie wars, die mich zähmen konnte. Im Grunde hat die mich großgezogen und sonst keiner. Mutter und Vater habn mit den großen Brüdern geschuftet und ich war mit meiner Schwester allein zu Hause. Meine Großmutter, Gott hab sie selig, war damals ja schon fast blind, viel zugetraut hat ihr Mutter nicht mehr. Solang ich denken kann, wars die Syrmo, die mich gefüttert und gewaschen hat, mir den Hintern abgewischt und mich ins Bett gesteckt hat. Dabei war ich sicher kein einfaches Kind. Nein, ganz im Gegenteil, immer mürrisch und miesepetrig und immer hatte ich was zu meckern. Aber sie, sie war kein einziges Mal böse auf mich. Hat sich nie benommen, wie Kinder das normalerweise tun, hat nie gebrüllt und mich zum Teufel geschickt, nie. Nein, immer geduldig und immer gabs ein liebes Wort für mich. Takis-Schatz hier, Takis-Schatz da. Wie ne richtige Mutter eben. Ha, einmal hatt mich unsre Mutter zu fassen gekriegt und mir richtig den Hintern versohlt – ich weiß nicht mehr warum –, da ist die Syrmo dazwischengegangen und hat gesagt, Mutter, jetzt lass doch den Kleinen, der ist doch noch n Kind, der kann doch nix dafür. Das war zu viel, Mutter hat sich die Syrmo vorgenommen und geschrien: Hier, nimm das und das und das noch. Musst du ihm denn immer in Schutz nehmen? Und die arme Syrmo – keinen Mucks hat sie von sich gegeben. Abends, als wir dann so nebeneinander lagen, hat sie mich in n Arm genommen und gemeint, mach dir nix draus, Takis-Schatz. Bin doch schon ne richtige Frau, tut gar nicht weh, wenn Mutter zuschlägt. Ich schwörs dir beim heiligen Kreuz, genau so hat sies gesagt. Sie und schon ne Frau? Sie war doch auch noch n halbes Kind. Zwölf oder dreizehn vielleicht. Aber ja, schon so besonnen und geschickt wie ne Erwachsene. Ich weiß noch, die Tante Dina hat das oft zu Mutter gesagt: Dein Mädchen, Pagona, die ist so tüchtig, der braucht ihr keine Aussteuer mitzugeben, für die müsst ihr ne Aussteuer kriegen. Na ja, als Knirps bin ich der Syrmo ständig hinterhergelaufen, die eine Hand immer an ihrem Rockzipfel. Auch später, als ich langsam älter wurde, war ich am liebsten in ihrer Nähe. Bis sie mir dann mal gesagt hat: Hau ab, spiel endlich mal mit den andern Jungs. Du bist doch kein Mädchen, musst doch nicht den Webstuhl hüten! Das hat gesessen, hat mir die Sprache verschlagen, konnte ihr nichts erwidern. Mir – wo ich doch immer n wilder Hund war und mir nie was hab gefallen lassen! Aber ich hab ja gleich verstanden, die sagts aus Liebe. Na ja, und dann isse langsam, aber sicher ins Alter gekommen, wo man allmählich heiratet, und ich wurde auch langsam n Kerl, aber wir warn immer noch unzertrennlich. Und Mutter, Gott hab sie selig, hat gesagt: Auch wenn mich heut der Herrgott zu sich nimmt, ich kann unbesorgt sein, weil meine Kinder, die vertragen sich und halten zusammen. Also, dass ich n Mensch geworden bin, das hab ich der Syrmo zu verdanken, ihr allein, das kannste mir glauben, Antonis.

Und dann ist es passiert. Ich komm eines Tages zurück aus Liumlia, hatte die Tiere zur Tränke gebracht. Noch an der Tür hab ich der Syrmo wie immer zugerufen, mach mir Essen. Ich krieg keine Antwort und ruf noch mal. Wieder nichts. Ich schau nach, das Haus leer. Syrmo, Mutter, Vater, keiner da. Ich geh noch mal raus aufn Hof, ruf wieder, nichts. Wo soll ich noch suchen? Ich schau in die Scheune, sogar ins Klo, seh überall nach, an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Ich denk, das kann doch nicht sein, es wird schon dunkel und keiner zu Hause? Ich klopf bei meiner Tante, da ist auch niemand. Ein Haus weiter, auch niemand. Langsam werd ich unruhig, mir schwirrt der Kopf. Was ist bloß passiert, dass keiner zu Hause … Nicht gleich das Schlimmste denken, sag ich mir. Die werden schon noch auftauchen. Ist ja schon spät, weit können sie nicht sein. Aber dann ist es draußen schon stockdunkel und keiner kommt. Und wie ich so überlege, ins Kafenion zu gehn und zu fragen, ob irgendwas Schlimmes passiert ist und alle in der Kirche sind, da hör ich, wie die Haustür aufgeht. Rein kommen Vater und all seine Geschwister, dahinter Mutter mit dem Onkel und dann meine Brüder, der Vassilis und der Stamatis mit ihren Frauen. Mehr oder weniger die ganze Sippe, alle mit nem Trauerblick. Hast du Syrmo gesehn, fragt mich Vater, noch bevor ich n Wort sagen kann. Was redest du da, frag ich zurück. Syrmo ist noch vorm Sonnenaufgang zum Brunnen gelaufen, Wasser holen. Ich war den ganzen Tag in Liumlia. Und ich soll jetzt wissen, wo die Syrmo steckt? Und da hat er mir erzählt, Syrmo ist den ganzen Tag nicht aufgetaucht. Überall habn sie nach ihr gefragt und sie dann den ganzen Abend gesucht. Sind zum Brunnen gelaufen, zur Kapelle der Panagia, sogar bis Chouni sind sie gekommen, aber die Syrmo hatte keiner gesehn. Mir ist ganz flau geworden, als er das sagte. Ich bin richtig ausfallend geworden und hab ihn angebrüllt. Alter Mann, hab ich ihn angeschnauzt, wie kannste bloß hier rumsitzen? Meine Schwester ist weg und du bist noch hier? Nimm zwei Fackeln und lass uns gehn! Und dass mir ja keiner ohne die Syrmo zurückkommt! Ich war damals sechzehn und hab im Dorf schon zu den Männern gezählt, aber egal wie alt und erwachsen, so redet man nicht mit dem eignen Vater, das weißt du besser als ich. Aber er hat gar nichts gesagt damals und auch sonst niemand. Normalerweise wären alle über mich hergefallen und hätten mich windelweich geschlagen, weil so ohne Respekt. Aber schau, recht hatte ich schon und alle habn auch gewusst, wie sehr ich meine Syrmo geliebt hab. Mit Engelszungen habn sie auf mich eingeredet und mir klargemacht, das hat keinen Sinn, mitten in der Nacht weiterzusuchen. Mit dem Blutsbruder, dem Vlamis meines Bruders Vassilis, der war Jäger, hatten sie abgemacht, mit den Hunden am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrüh jeden Stein umzudrehn, bis sie Syrmo gefunden hätten. Sie habn sich nun hingesetzt zum Essen, aber keiner hatte Appetit. Gesprochen habn sie alle nur darüber, wies am Morgen weitergeht. Keinen Bissen hab ich runtergekriegt und auch nix gesagt, hab immer nur dran gedacht, was der Syrmo wohl zugestoßen ist, dass sie nicht zurückkommt. Was für Scheiß ich mir da zusammengereimt hab! Aber das wollt ich alles nicht glauben und hab mir gedacht, sicher hat sie sich den Fuß verstaucht. Und da es damit nicht schnell genug nach Hause ging, hat sie sich bestimmt irgendwo hingekauert und wartet jetzt auf uns. Das hat mich n bisschen beruhigt und ich bin dann eingeschlafen.

Ich war als Erster wieder wach, es hatte noch nicht mal gedämmert. Hab dafür gesorgt, dass alle andern auch gleich aufgestanden sind. Vassilis hat seinen Vlamis geholt und die Jagdhunde und dann habn wir uns vom Dorf aus in alle Himmelsrichtungen verstreut. Die Sonne hat noch nicht richtig gebrannt, da warn Stamatis, mein Onkel Nikos und ich schon fast bis Lemniona gekommen und haben aufm Weg dorthin jeden Stein umgedreht. Abgemacht war, wenn wir bis ans Meer kommen, suchen wir auch das ganze Ufer ab. Von dort aus wollten wir dann bis zur Kapelle des Propheten Elias weiterlaufen, dort meinen Vater und seinen zweiten Bruder Fanis treffen und Neueres erfahren. So habn wirs dann auch gemacht, aber als wir an die Kapelle kamen, war keiner da. Wir habn uns hingesetzt, gewartet und nachgedacht, wo wir noch nicht gewesen warn und wo wir noch suchen sollten. Die Zeit ist vergangen, es ist Mittag geworden und kein Mensch hat sich blicken lassen. Mein Onkel hat gemeint, wir müssen höher steigen, dorthin, wo die andern suchen, irgendwo werden wir denen schon über den Weg laufen.

Gesagt, getan. Aufm Pfad hinterm Propheten Elias habn wir den Hund von der Leine gelassen und in jedes Schlupfloch geschaut, an dem wir vorbeikamen. Dort, wo der Weg sich teilt, einmal zum Dorf und einmal zum Kloster, habn wir plötzlich hinterm Hügel lautes Geschrei gehört. Der Hund hat angefangen zu bellen und ich gleich los. Da hab ich meinen Vater und meinen andern Onkel gesehn, sie habn gebückt und halb verborgen hinter nem Busch gesessen. Mir ist die Galle hochgekommen, ich hab mich gleich aufgeregt, die habn mal wieder getrödelt – und dann hab ich Syrmo gesehn. Aufm Rücken, das Gesicht voller Blut. Mein Vater hatte seine Jacke ausgezogen und damit ihren Körper bedeckt, mein Onkel hielt ihre zwei abgeschnittnen Zöpfe in den Händen, die hingen runter wie tote Schlangen. Lauf ins Dorf, sagte der Onkel zu mir, hol n Pferd und ne Wolldecke und ruf den Arzt, der soll schnell kommen. Da hatte ich auch schon die Beine in die Hand genommen und war im Nu im Dorf. Als ich später wieder zurück war, warn dann auch alle andern bei Syrmo. Zu hören war nur das laute Klagen meiner Mutter und das Gejaule der Hunde. Ich bin vom Pferd gesprungen und hab alle andern zur Seite geschubst, damit der Arzt durchkommt. Neben Syrmo bin ich dann zu Boden gegangen. Ich schaute genau zu, wo der Arzt sie berührte, wie er sie untersucht hat. Und ich hab die Muttergottes angefleht, mach, dass sie weiterlebt, mach, dass sie wieder gesund wird. Ich hab ihr geschworen, dann Mönch zu werden. Hauptsache, dass es Syrmo wieder gut geht. Aber es hat nicht sein sollen. Der Arzt hat gesagt, das Mädchen, das atmet fast nicht mehr. Kopf und Eingeweide sind hin. Es geht ihr sehr schlecht, die Natur kann sie nicht heilen und auch keiner von uns kann noch was für sie tun. Ein Wunder, dass sie noch lebte, als ihr sie gefunden habt. Aber wenn ihr sie von hier wegbringt, wird sies nicht mehr bis ins Dorf schaffen. Ich kann ihr ne Spritze geben, wenn ihr wollt, dann hat sie keine Schmerzen, aber lasst sie hier und quält sie nicht weiter.

Da saßen wir also, habn sie gestreichelt und umarmt und keinen Trost gefunden, auch wenn wir sie wie n Kind in den Armen gewiegt habn. Habn sie beweint wie ne Tote, obwohl sie noch am Leben war. Kein Wort hab ich rausgebracht, konnte nur mitm Taschentuch ihr Gesicht kühlen. Als sie dann vor Fieber und Schmerz angefangen hat zu zittern, hab ich sie geküsst und nur für mich gedacht, meine kleine Mutter, mein Herz, hör auf, dich so zu quälen.

Lass los – lass los und komm zur Ruh. Da wars, als hätt sie mich verstanden, Antonis, als hätt sie mitgekriegt, dass ich ihr ganz tief in die Augen geschaut hab, denn wie n Sohn war ich für sie, die Syrmo hat mich in- und auswendig gekannt. Und da hat sie ihren letzten Atemzug getan und war schließlich erlöst. Die andern habn sie dann aufgehoben und auch mir beim Aufstehen geholfen, denn mir haben die Beine versagt. Ich weiß nur noch, dass ich aufm Weg ins Dorf neben dem Pferd hergelaufen bin, das sie nach Hause brachte. Ich hab ihre Hand gehalten und gemerkt, wie ihre Finger langsam immer kälter wurden.

Mehr brauch ich dir nicht zu erzählen. Jedes Mal, wenn ich dran denke, werde ich aufs Neue zum Waisenkind. Du weißt es sicher, Syrmo ist nicht gestürzt. Jemand hat ihr aufgelauert, ihr Gewalt angetan und dann das Leben genommen. Das ist sicher. Als der dachte, sie ist tot, hat er ihr auch noch die Zöpfe abgeschnitten und ins Gebüsch geworfen. Dort hat sie mein Onkel dann entdeckt. Als ich das erfahrn hab, hab ich mir geschworn, ihren Mörder zu finden. Ich bin zu der Stelle gegangen, wo er meine Schwester liegen gelassen hat, hab den Stein genommen, auf den wir ihren Kopf gebettet hatten, und hab auf diesen Stein geschworn, ihn zu töten und seinen Kadaver so zu verstecken, dass nicht mal das Wild ihn finden kann. So, wie ers auch mit meiner Syrmo gemacht hat.

Zwei Jahre später musste ich als Soldat nach Kleinasien. Mein Herz hatte bis dahin keine Ruhe gefunden. Bin auf die Felder, hab mich um die Olivenbäume und die Schafe gekümmert, bin ins Kafenion und in die Kirche gegangen, war aber im Grunde nur damit beschäftigt, alles aufzuschnappen, was in meinen Ohren irgendwie merkwürdig klang und den Mörder vielleicht verraten könnte. Meine Brüder meinten, der ist sicher nicht von hier, so was Schreckliches hätte keiner von uns getan. Ich soll aufhören, mich so zu quälen, denn am Ende wird mich der Kummer ganz und gar auffressen. Doch ich hab genau gewusst, das war einer von uns. Ich sags dir, dort, wo wir sie gefunden hatten, ist n Fremder nie hingekommen. Eine Bodensenke, ein Versteck, da geht keiner einfach so hin. Da muss man hinwollen. Und der, ders getan hat, der hat das genau gewusst, der hat sie dort verstecken wollen. Aber ich will dich nicht vollquatschen. Damals hab ich das Rätsel nicht lösen können. Und dann musste ich ja weg, nach Kleinasien.

Dort war ich am Anfang nur im Hinterland. Nach ner Weile hat man auch meine Einheit an die Front geschickt. Aber stell dir das nicht zu schrecklich vor. Die Türken waren aufm Rückzug. Nur ab und zu fiel n Schuss, wenn wir auf versprengte Tscheten, diese verdammten türkischen Freischärler, gestoßen sind. Für uns Soldaten war das keine große Gefahr. Hart wars aber schon. Wir hatten den Auftrag, die Türken aus der Gegend zu vertreiben, und wir warn dabei nicht grade zimperlich. Um dir n Beispiel zu geben, wir habn das Getreide von den Feldern geerntet und dann Salz gesät. Antonis, niemand hat uns dafür zur Rede gestellt und so habn wir langsam, aber sicher verlernt, uns wie normale Menschen zu benehmen. Wenn ich heute einen von uns Heimkehrern auf der Straße treffe und dran denk, was ich mit eignen Augen gesehn hab, was jeder von uns so getan hat, dann wird mir ganz schlecht. Aber ich hab da ja auch mitgemacht. Nur, dass ich keine Frau angerührt hab – nicht, weils mir nicht in den Sinn gekommen ist, sondern weil mir jedes Mal meine Schwester eingefallen ist und ich dann wie gelähmt war.

Ich hatte zu viel gesehn, so viel, dass mein Herz ganz kalt geworden ist und nichts mehr Eindruck auf mich gemacht hat. Einmal bin ich mit zwei andren wieder mal in n Haus gegangen, wir habn so getan, als wollten wir nach Waffen suchen. Da drin warn nur zwei Frauen, ne alte und ne junge, Mutter und Tochter. Die habn die ganze Zeit auf uns eingeredet, wir habn aber nichts verstanden – und es war uns auch egal. Wir habn alles auf den Kopf gestellt, um Waffen zu finden. Darum gings aber gar nicht, eigentlich wollten wir nur die beiden Frauen loswerden, die Suche nach Waffen war nur vorgeschoben. Ich war dann mit nem Kameraden in der Scheune und wir habn grade das Vieh abgeschlachtet, als wir immer und immer wieder gellende Schreie aus dem Haus hörten. Das habn wir einfach ignoriert. Als wir getan hatten, was zu tun war, ist der dritte Kamerad ausm Haus gekommen. Was war da los, hab ich ihn gefragt. Grinsend hat er dann erzählt, die Nutte hats nicht anders gewollt, der hab ichs mal so richtig gezeigt. Richtig so, hab ich zu ihm gesagt, aber im selben Moment ist mein Blick auf seine Hände gefallen. In der einen hielt er n Messer, in der andern zwei abgeschnittene Zöpfe. Weißt du, in extremen Situationen kommen die Marotten zum Vorschein. Der eine schneidet Brüste ab, der andre nimmt n Stück vom Kleid mit. So was Schräges hatt ich aber noch nicht gesehn. Bin richtig ins Grübeln gekommen. Dann hab ich aber gedacht, das bild ich mir vielleicht nur ein. Manchmal gibts ja so dumme Zufälle.

Aufm Weg zurück ins Feldlager sah ich, wie er mit ner knappen Handbewegung die Zöpfe in die Büsche geworfen hat. Mir liefen Schauer übern Rücken, mir war, als wenn er mir die Zöpfe ins Gesicht geschlagen hätte. Ab dem Moment hab ich ihn nicht mehr ausn Augen gelassen. Das war nicht schwer, denn in unsrer Einheit warn wir beide und noch neun andre aus demselben Dorf, also fiels nicht weiter auf, dass wir ab dann so viel miteinander zu tun hatten. Mit der Zeit habn wir uns sogar Feldgeschirr und Verpflegung geteilt. Er hat irgendwas gemopst und wir habn es uns geteilt, dann hab ich was gemopst und wir habn uns auch das geteilt. Wo immer es hinging, warn wir zusammen. Wie die Jünger Philippus und Nathanael aus dem Neuen Testament. So habn uns dann auch alle genannt. Und da wir immer zusammen warn, hab ich auch all seine Macken und Marotten mitgekriegt. Seine größte Schwäche warn auf jeden Fall die Frauen, das war nicht zu übersehen. Im Gebiet ums Lager gabs keine Nutten, nur normale Landfrauen. Jedes Mal, wenn er einer Gewalt angetan und ihr das Leben genommen hatte, schnitt er ihr am Schluss auch noch die Zöpfe ab. Danach warf er sie immer einfach weg.

Als ich das n paarmal gesehn hatte und sicher war, da hab ich gewusst, den muss ich töten, hier, an Ort und Stelle. Es war ja Krieg und keiner konnte wissen, was noch alles passieren wird. An diesem Tag warst du noch am Leben, am Tag danach nicht mehr. Ich hab gewusst, ich muss mich beeilen, auch auf die Gefahr hin, geschnappt und hingerichtet zu werden. Meinen Schwur wollte ich auf keinen Fall brechen. War kurz davor, mich auf ihn zu stürzen und ihm den Schädel einzuschlagen, jetzt gleich, ohne zu überlegen. Aber ich hab mich noch zusammengerissen, erst musste n Plan her, ich musste mich absichern, wollte keinen Fehler machen. Der Wichser sollte keine Chance zum Überleben habn, keiner sollte ihn in letzter Minute noch retten können.

Es dauerte nicht lange, bis sich die Gelegenheit ergeben hat. Schon zwei, drei Tage später hat man uns losgeschickt, um n Dorf bei Alaşehir, dem antiken Philadelphia, abzufackeln. Befehl war, keinen Stein aufm andern zu lassen und alles Leben im Dorf in Blut zu ersticken. Wir habn getan, was man uns aufgetragen hatte. Aufm Rückweg hab ich ihn zur Seite genommen und ihm ne Geschichte aufgetischt. Dass mir n Türke erzählt hat, er besitze n paar Goldmünzen, die er mir gibt, wenn ich ihn freilass. Und was hast du gemacht, hat mich mein Kumpel gefragt. Ich hab ihm gesagt, ich lass dich gehen, wenn du mir sagst, wo die Münzen sind. Hat er auch gemacht und ich hab ihn erledigt. Da müssen wir noch mal hin und das Geld holen. Im Lager zurück bin ich sofort zum Kommandanten und hab ihm die gleiche Geschichte erzählt. Hab ihm gesagt, lassen Se uns gehn und die Hälfte gehört Ihnen. Der Kommandant hat mir die Erlaubnis gegeben. Nen Strick nahm ich mit und n paar andre Sachen und bin dann mit dem Kameraden losgezogen. Unterwegs war der in Hochstimmung. Erzählte mir, was er mit dem Gold alles machen will, dass er dieses oder jenes Grundstück im Dorf kaufen wird und welche Frau er sich nehmen will, da er nun reich ist und so weiter. Ich für meinen Teil hab mich dumm gestellt und ihn weiter angestachelt, jeden Tag Fleisch zu essen.