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In jahrzehntelanger Forschung haben die beiden Wissenschaftler Richard Wilkinson und Kate Pickett empirische Daten gesammelt und ausgewertet, anhand derer sie den Einfluss der Ungleichheit auf eine Vielzahl der drängendsten sozialen Probleme entwickelter Gesellschaften untersuchen. Die geistige und körperliche Gesundheit oder der Drogenkonsum der Mitglieder einer Gesellschaft, Lebenserwartung, Übergewicht, Bildung, die Geburtenrate bei Minderjährigen, die Verbrechensrate und nicht zuletzt die soziale Mobilität: All diese Phänomene hängen statistisch eindeutig davon ab, wie ungleich die Einkommens- und somit Chancenverteilung einer Gesellschaft ist. Ab einem gewissen Einkommensniveau, das etwa auf der Höhe dessen von - ausgerechnet - Kuba liegt, ist es eben nicht mehr die Höhe des Durchschnittseinkommens, die es den Menschen immer bessergehen lässt, sondern die Verteilung des Einkommens. Dieser Titel befasst sich, wie das zur Zeit viel besprochene Buch von Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, mit der Verteilung des Reichtums.
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Deutsche Erstausgabe
Die englische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel
The Spirit Level. Why More Equal Societies Almost Always Do Better bei Allen Lane, an imprint of Penguin Books, London.
Copyright © 2009 Richard Wilkinson und Kate Pickett
Alle Rechte für die deutsche Ausgabe und Übersetzung
Copyright © 2009, Haffmans & Tolkemitt, Inselstr. 12, D-10179 Berlin
www.haffmans-tolkemitt.de
Übersetzt von Edgar Peinelt (bis Kapitel 14 und Anhang) und Klaus Binder (Kapitel 15 bis 17).
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile, sowie der Übersetzung in andere Sprachen.
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Lektorat: Ekkehard Kunze, Büro Z, Wiesbaden.
Umschlaggestaltung: Tom Ising für Herburg Weiland, München;
Foto: Jenny van Sommers/CLM/trunkarchive.com;
Installation: Adam Dawe Design.
Herstellung von Urs Jakob,
Werkstatt im Grünen Winkel, CH-8400 Winterthur.
Satz: Fotosatz Amann in Achstetten.
Druck und Bindung: Ebner & Spiegel in Ulm.
Printed in Germany.
ISBN 978-3-942989-38-1
e-Pub ISBN 978-3-942989-32-9
Für unsere ElternDon und Marion ChapmanGeorge und Mary Guillemard
Vorwort
I
Wirtschaftlicher Erfolg, soziales Scheitern
1. Das Ende einer Ära
Die Fakten
Die Umwelt setzt dem Wirtschaftswachstum Grenzen
Einkommensunterschiede innerhalb einer Gesellschaft und unterschiedliche Durchschnittseinkommen im internationalen Vergleich
2. Armut oder Ungleichheit?
Das Ausmaß der Ungleichheit
Was sind die Folgen der Ungleichheit?
Soziales Gefälle
Unterschiedliche Probleme – dieselben Ursachen
Welche Lehren sind aus der Ungleichverteilung der Einkommen zu ziehen?
Lebensqualität für alle und besseres Leistungsniveau der Nation
Entwicklungsländer
3. Wie uns Ungleichheit trifft
Zunehmende Ängste
Selbstachtung und Unsicherheit
Bedrohungen des sozialen Selbst
Stolz, Scham und Status
Von der Gemeinschaft zur Massengesellschaft
Ungleichheit verstärkt die sozialen Ängste
Selbstbestätigung statt Zurückhaltung und Bescheidenheit
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
II
Die Kosten der Ungleichheit
4. Leben in der Gemeinschaft und soziale Beziehungen
Die Gleichheit der sozialen Verhältnisse
Welche Rolle spielt gegenseitiges Vertrauen?
Einkommensungleichheit und Vertrauen
Die Henne oder das Ei?
Vertrauen ist wichtig
Raiders und Outlanders
Die soziale Stellung der Frau
Vertrauen über die Grenzen hinweg
Erste Erkenntnisse
5. Seelische Gesundheit und Drogenkonsum
Psychische Erkrankungen in Großbritannien und den USA
Psychisches Wohlbefinden
Ein Vergleich von Äpfeln und Birnen?
Einkommensunterschiede und psychische Erkrankungen
Aufstieg um jeden Preis
Ungleichheit und Drogenkonsum
Affentheater
6. Gesundheit und Lebenserwartung
Materielle und psychosoziale Einflüsse auf die Gesundheit
Wo das Leben hart ist, stirbt man früher
Gesundheit und Wohlstand
Die entscheidende Erkenntnis
Was uns innerlich trifft
7. Fettleibigkeit: Mit der Ungleichheit wachsen die Pfunde
Die adipogene Umwelt
Übergewicht und Ungleichverteilung der Einkommen
Essen zum Trost
Essen oder fasten für den Status
Sind Frauen dicker?
Reich und schlank, arm und dick
Der »sparsame Phänotyp«
Gleichheitsdiät
8. Schulische Leistungen
Heimvorteil
Leistungsunterschiede
Nationales Bildungsniveau
Staatliche Erziehungsfürsorge
Ungleiche Bildungschancen
Nach Gusto
9. Mädchen als Mütter – ein Kreislauf der Entbehrungen
Das Thema ist wichtig
Ungleichheit ab Geburt
Wer wird schneller erwachsen?
Frühe Geschlechtsreife und Abwesenheit der Väter
Was ist mit den Vätern?
10. Gewalt: aus mangelnder Anerkennung
»Unser Stolz ist alles, was wir haben«
Ungleichheit ist »strukturelle Gewalt«
Zufluchtsorte in einer herzlosen Welt
Trends: abwärts und aufwärts
11. Gefängnis und Bestrafung
Verbrechen oder Bestrafung?
Gefängnisstrafen und Ungleichheit
Unterschiede im Strafvollzug
Sind Gefängnisstrafen sinnvoll?
Verhärtete Fronten
12. Soziale Mobilität: Chancenungleichheit
Wie der Vater, so der Sohn?
Wer aufsteigt, zieht um
Die feinen Unterschiede
Nach oben buckeln und nach unten treten
III
Eine bessere Gesellschaft
13. Fehler im sozialen System
Gesellschaften können versagen
Liegt es nur an der Ungleichheit?
Ungleichheit und ethnische Zugehörigkeit
Vorgeschichten
Vorteile für alle
Ursachen
14. Unser soziales Erbe
Erst denken, dann lenken
Die zwei Seiten der Medaille
Freund oder Feind
Wirtschaftliche Experimente
Schimpansen und Bonobos
Das soziale Gehirn
Unser doppeltes Erbe
Frühe Erfahrungen
Spiegelneuronen und Empathie
Oxytocin und Vertrauen
Zusammenwirken macht Freude, Ausgrenzung schmerzt
15. Gleichheit und Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit und Lebensqualität
Faire Reduktion der CO2-Emission
Mit neuen Techniken allein ist es nicht getan
Wirtschaft jenseits von Wachstum
Ungleichheit und zwanghaftes Konsumverhalten
16. Die Zukunft gestalten
Gesellschaftlicher Wandel
Das Scheitern der Politik
Der Trend zur Ungleichheit
Unterschiedliche Wege zu mehr Gleichheit
Der politische Wille
Gewerkschaften
Die Macht der Unternehmen – die Elefanten im Porzellanladen
Alternativen
Was können wir tun?
Freiheit und Gleichheit
Tendenzen der technischen Entwicklung nutzen
Die Zukunft der Gleichheit
17. Postskript: Debatten um Gleichheit ist Glück
Eine These, die an der Zeit war?
Wem nützt größere Gleichheit?
Ungleichheit, Klasse und Status
Faire Kritik, faule Attacken
Warum solche Angriffe ins Leere gehen
Die Rosinen rausgepickt?
Zur Auswahl der Länder
Kulturelle Unterschiede?
Ausreißer, verdammte Ausreißer
Andere Faktoren?
Probe aufs Exempel
Neue Befunde
Gleichheit und Nachhaltigkeit
Ungleichheit, Markt und Demokratie
Ungleichheit, Schulden und Finanzkrise
Damit Demokratie funktioniert
Anhang
Erläuterungen zu den Schaubildern
Zahlen zeigen Fakten: Wie man die Diagramme in diesem Buch liest
Zur Auswahl der Länder für den internationalen Vergleich
Zur Berechnung des Index der sozialen und gesundheitlichen Probleme
Die 50 US-Bundesstaaten
Anmerkungen und Quellen
Register
Dank
Menschen neigen dazu, die Bedeutung ihrer eigenen Leistungen zu überschätzen, und wir hatten uns auch schon gefragt, ob wir hier unseren Lesern vielleicht zu viel versprechen. Aber keine Sorge: Dieses Buch ist keineswegs eine weitere Sammlung von Patentrezepten und persönlichen Vorstellungen zur Rettung der Welt, sondern das Ergebnis unserer langjährigen Recherchen. Wenn wir beide unsere Forschungszeiten an diesem Buch zusammenrechnen, kommen wir auf gut fünfzig Jahre. Ursprünglich ging es uns um die »Ungleichverteilungen im Gesundheitsbereich«. Wir wollten wissen, warum die Lebenserwartung der Menschen in den gesellschaftlichen Schichten so unterschiedlich ist, warum die Bürger in den modernen Industrienationen immer mehr gesundheitliche Probleme haben, je weiter unten sie auf der sozialen Stufenleiter rangieren.
Als Epidemiologen versuchen wir, die Gründe für bestimmte Krankheiten in der Bevölkerung methodisch zu erfassen: Warum kommt eine Krankheit in einer bestimmten Gruppe sehr häufig vor und in einer anderen dagegen nicht? Warum breiten sich manche Krankheiten in allen sozialen Schichten aus? Warum treten bestimmte Krankheiten in dem einen Land häufig, in dem anderen Land praktisch gar nicht auf? Und was ist der Grund, warum schichtspezifische Krankheiten im Lauf der Zeit von einer Schicht in eine andere wandern? Dieser methodische Ansatz, das Risiko einer Krankheit nicht in erster Linie als ein individuelles Gesundheitsproblem zu betrachten, sondern die hauptsächlichen Ursachen ihrer Häufigkeit in den sozioökonomischen Strukturen der jeweiligen Gesellschaft zu erkennen, bietet ein ganz neues Instrument der Betrachtung. Wie mit einer Wasserwaage lässt sich die soziale Schieflage einer Gesellschaft analysieren, und diese Methode ist damit geeignet, neben den gesundheitlichen auch die sozialen Probleme besser zu erkennen und zu entschärfen – etwa die schleichende Auflösung sozialer Bindungen, die zunehmende Gewalt, den rapiden Vertrauensschwund, die Überforderungen am Arbeitsplatz und nicht zuletzt die steigende Zahl kranker, depressiver, kreuzunglücklicher oder übergewichtiger Menschen.
Um hier mit einem aktuellen Beispiel für unsere These vorzugreifen, dass die Ungleichheit die Ursache vieler sozialer und gesundheitlicher Probleme ist: In den neuen Bundesländern nahm das Phänomen der Fettleibigkeit in den Jahrzehnten nach dem Mauerfall signifikant zu, aber nicht etwa, weil es den Bürgern der ehemaligen DDR nach der Wiedervereinigung nun besser ging, ganz im Gegenteil, sondern weil sich seitdem die Einkommensungleichverteilung in ihrer ostdeutschen Heimat rapide verschärfte – und sich bei den Verlierern in ungesundem Übergewicht manifestierte. Die einst charakteristische Physiognomie der Wohlhabenden ist heute Stigma der Armen – ein schlagendes Beispiel, wie sich psychische Krankheiten, die materielle Ursachen haben, körperlich auswirken.
Die Forschungsergebnisse, auf die wir uns im Folgenden beziehen, sind von zahlreichen Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen und Denkrichtungen zusammengetragen worden. Das soll allerdings nicht heißen, dass sie über alle Zweifel erhaben sind. Sie müssen natürlich interpretiert werden, wobei es in der Regel gute Kriterien gibt, sich einer bestimmten Lesart anzuschließen. Auch werden die ersten theoretischen Näherungen und Annahmen häufig durch weitere Forschungsergebnisse in Frage gestellt und müssen neu überdacht werden.
Wir wollen Sie in diesem Buch mitnehmen auf den Weg unserer Erkenntnisse, der markiert war von immer neuen wichtigen Einsichten und Belegen. Einige Sackgassen und zeitraubende Irrwege haben wir ausgelassen. Es geht uns darum, zu zeigen, wie man die Lebensqualität aller Bürger in den modernen Gesellschaften verbessern kann – die der Wohlhabenden wie die der Bedürftigen. Wir werden hier alle Befunde vorstellen und alle unsere Interpretationen begründen; die Leser werden entscheiden, ob wir Recht haben.
Dass Ungleichheit eine Gesellschaft zersetzen kann, haben die Menschen intuitiv schon immer begriffen. Doch es war nicht anzunehmen, dass in den heutigen Industriegesellschaften ein Niveau der Ungleichheit erreicht werden würde, das eindeutig messbare Wirkungen zeigt. Als wir zum ersten Mal glaubten, einen solchen Effekt zu entdecken, war der Anlass unbedeutend im Vergleich mit den Konsequenzen der Ungleichheit, die inzwischen unübersehbar deutlich geworden sind. Entdeckungen hängen eben nicht nur vom Urteilsvermögen, sondern auch vom Zufall ab.
Vielleicht konnte ein solches Gesamtbild, wie wir es hier bieten, erst auf der Grundlage der statistischen Erhebungen aus den letzten Jahren erstellt werden. Seit es international vergleichbare Daten nicht nur zu Durchschnittseinkommen und Einkommensverteilungen, sondern auch zu einzelnen sozialen und gesundheitlichen Problemen gibt, war es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis eine umfassende Auswertung versucht werden würde. Wir und andere Forscher profitierten davon, Zugriff auf immer neue Daten zu bekommen. Nur so konnten wir analysieren, wie sich Gesellschaften unterscheiden, wie die einzelnen sozialen Faktoren in Beziehung stehen – und erst dadurch ließen sich theoretische Annahmen erhärten.
In den Naturwissenschaften setzen sich neue Erkenntnisse schneller durch als in den Sozialwissenschaften. Das scheint daran zu liegen, dass Theorien über die stoffliche Welt weniger uneindeutig und angreifbar sind als Theorien über soziale Verhältnisse. Doch auch in der Geschichte der Naturwissenschaften finden sich zahlreiche Auseinandersetzungen, die als theoretische Meinungsverschiedenheiten begannen und ihre Protagonisten ein Leben lang in einen heftigen und oft auch schmerzlichen Streit untereinander verwickelten. In den Naturwissenschaften sind die Kontroversen meist eine Angelegenheit zwischen Experten; zur Teilchenphysik haben die meisten Menschen keine Meinung. Aber jedermann glaubt zu wissen, wie die Gesellschaft funktionieren sollte. Gesellschaftstheorien sind damit nicht zuletzt auch Annahmen über uns selbst, man könnte sie sogar als Teil der menschlichen Selbsterkenntnis oder des sozialen Selbstbewusstseins verstehen. Naturwissenschaftler müssen ihre Theorien nicht den betreffenden Zellen oder Atomen beweisen, Sozialwissenschaftler dagegen sehen jede ihrer Annahmen konfrontiert mit unzähligen individuellen Vorstellungen und auch mit mächtigen Eigeninteressen.
1847 entdeckte Ignaz Semmelweis, dass die Todesfälle durch das Kindbettfieber allein dadurch erheblich reduziert werden konnten, dass sich die Ärzte im Kreißsaal sorgfältig die Hände wuschen. Doch um etwas zu bewirken, musste er diese Erkenntnis erst einmal anderen vermitteln; vor allem seinen Kollegen in der Medizin. Nicht seine wissenschaftliche Einsicht hatte er zu verteidigen, sondern die Konsequenzen machten ihm zu schaffen. Er wurde verlacht, büßte seine psychische Gesundheit ein und endete im Elend. In der Medizin nahm man seine Arbeit lange Zeit nicht ernst. Das änderte sich erst, als Louis Pasteur und Joseph Lister ihre Theorie der Krankheitserreger vorstellten und als damit klar wurde, dass Hygiene ein wichtiges Moment der Bekämpfung von Mikroorganismen ist.
Wir leben in Zeiten, die wenig Anlass zu Optimismus bieten. Nicht nur die globale Erwärmung muss uns beunruhigen, wir stellen auch fest, dass in vielen Gesellschaften der materielle Aufschwung von zunehmenden Lasten und Katastrophen im sozialen Bereich begleitet wird. Sofern unsere Annahmen und Belege, die in diesem Buch vorgestellt werden, als korrekt gelten dürfen, zeichnen sich immerhin neue Möglichkeiten ab: Die Lebensqualität der Bevölkerungsmehrheit könnte deutlich verbessert werden. Doch zunächst und zugleich gilt es, den Menschen eine andere Sichtweise auf ihre Lebensumstände zu vermitteln, sonst nützt auch die beste Theorie nichts. Erst wenn die Vorstellungen, die wir hier vertreten, öffentliche Anerkennung erfahren, kann man auf die notwendigen politischen Entscheidungen für einen Wandel hoffen.
Wir haben uns deshalb entschlossen, eine Stiftung ins Leben zu rufen, die der Verbreitung unserer Erkenntnisse dienen soll. Da wir keine Experten in diesem Bereich sind und auch nicht über die nöti-gen Mittel verfügen, ist daraus bislang nicht viel mehr als eine Website geworden: www.equalitytrust.org.uk. Aber wir hoffen immer-hin deutlich zu machen, dass wir gemeinsam einen Ausweg finden können.
Ich habe gerade eine Steuererleichterung von 200.000 $ bekommen …
Ich liebe dieses Land!
Aber warum sieht es überall aus wie auf einer Müllkippe?
Ich seh, welch große Macht das Geld besitzt, die Fremden zu beschenken und den krank gewordnen Leib mit Spenden durchzubringen; doch das Brot für jeden Tag, das kostet wenig; jeder, der sich voll gegessen, ob reich, ob arm, er kriegt das gleiche Maß.
Euripides, Elektra, 398 – 402
Es scheint paradox: Der Menschheit gelingen immer neue materielle Erfolge und technische Höchstleistungen, aber wir leiden unter Ängsten und Depressionen, sorgen uns darum, wie wir in den Augen der anderen erscheinen, und wissen nicht, wem wir trauen können. Wir konsumieren, statt Beziehungen mit unseren Nachbarn zu pflegen, und weil uns die unangestrengten sozialen Kontakte und das emotionale Wohlbefinden fehlen, das jeder Mensch braucht, suchen wir Trost in Extremen: viel essen, viel einkaufen und Geld ausgeben, viel Alkohol, viele Psychopharmaka oder Drogen.
Wie kommt es, dass die Menschen länger und komfortabler leben als jemals zuvor, aber zugleich psychisch und emotional leiden? Oft fehlt uns kaum mehr, als uns hin und wieder einmal mit Freunden zu treffen, aber wir können die Zeit dafür nicht erübrigen. Wir handeln so, als sei unser Leben ein ständiger Kampf ums psychische Überleben, ein Kampf gegen Stress und emotionale Abstumpfung, aber in Wahrheit ist unser Leben so luxuriös und extravagant, dass es unseren Planeten in Gefahr bringt.
In den USA hat das Harwood Institute for Public Innovation in einer von der Merck Family Foundation in Auftrag gegebenen landesweiten empirischen Untersuchung belegt, dass viele Menschen glauben, der »Materialismus« sei das eigentliche Problem; er hindere sie an der Befriedigung ihrer sozialen Bedürfnisse. Die Studie, erschienen unter dem Titel Yearning for Balance (»Sehnsucht nach Gleichgewicht«), kommt zu dem Schluss, dass die Befragten »ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Wohlstand und materiellem Gewinn zeigten«.1 Eine deutliche Mehrheit wünscht, dass die Gesellschaft sich »von Gier und Maßlosigkeit abkehrt und einen Lebensstil wählt, in dem Wertvorstellungen, Gemeinschaft und Familie eine größere Rolle spielen«. Jedoch glauben die Befragten, dass die meisten Amerikaner diese Meinung nicht teilten, weil sie »mit zunehmender Vereinzelung selbstsüchtig und verantwortungslos« geworden seien. Viele der Befragten fühlten sich isoliert. Die Studie belegt aber auch, dass die Teilnehmer von Kontrollgruppen, in denen genau diese Probleme diskutiert wurden, sich »überrascht und begeistert zeigten, dass andere ihre Ansichten teilten«. Viele von uns fühlen sich unbehaglich in ihrem Streben nach materiellem Gewinn und weil ihnen dabei die sozialen Werte abhanden gekommen sind; aber statt uns in diesem gemeinsamen Anliegen mit anderen zusammenzutun, glauben wir, die Vereinzelung sei unser persönliches Problem.
In der großen Politik spielen solche Fragen keine Rolle mehr, eine gemeinsame Vision für eine bessere Gesellschaft steht nicht auf der Agenda. Und wenn wir bei Wahlen unsere Stimme abgeben, sind soziale Veränderungen auch kein Entscheidungskriterium; unter den gegebenen Verhältnissen ist fast jeder nur auf den eigenen Vorteil bedacht.
Diese Diskrepanz zwischen materiellem Erfolg und sozialem Versagen ist ein wichtiges Indiz für den gesellschaftlichen Zustand vieler reicher Nationen. Wenn wir mehr echte Lebensqualität wollen, dann dürfen wir nicht länger nur nach Wirtschaftswachstum und Wohlstand streben, sondern müssen uns Gedanken um die Verbesserung des psychischen und sozialen Wohlergehens unserer Gesellschaft insgesamt machen. Aber psychologische Fragestellungen gelten gemeinhin als ein Fall für die individuelle Therapie; Politiker scheinen sich dafür nicht zuständig zu fühlen.
Heute kann man sich allerdings ganz andere, überzeugendere Möglichkeiten vorstellen, die Gesellschaft vor solchen Fehlentwicklungen zu bewahren. Es wird die Politik und unsere Lebensqualität von Grund auf verändern, wenn wir erst einmal die Lage richtig einzuschätzen gelernt haben: Wir werden einen neuen Blick auf die Welt gewinnen, wir werden andere Präferenzen setzen und unsere Forderungen an die Politik ändern.
Zunächst wollen wir zeigen, in welcher Weise die materiellen Grundlagen einer Gesellschaft ihre sozialen Beziehungen determinieren. Der Grad der Einkommensunterschiede hat einen großen Einfluss darauf, wie die Menschen miteinander umgehen. In diesem Buch geht es also weniger um die üblichen Schuldzuweisungen an Eltern, Religion, Wertvorstellungen, Erziehung oder Justiz, es soll vielmehr deutlich gemacht werden, in welchem Maße sich soziale Ungleichheit auf unser aller Wohlbefinden auswirkt. Einst wurden wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, um zu belegen, dass liebevolle Zuwendung entscheidend für die frühkindliche Entwicklung ist, heute muss man Sterbeziffern und Einkommensverteilungen analysieren, um klarzumachen, dass auch Erwachsene soziale Bedürfnisse haben, und um zu zeigen, wie die Gesellschaft diese befriedigen kann.
Lange vor der internationalen Finanzkrise, die sich Ende 2008 abzeichnete, sprachen manche Politiker in Großbritannien vom »Zusammenbruch« unserer Gesellschaft, wenn sie auf den Mangel an Gemeinschaftsgefühl oder die Zunahme asozialen Verhaltens aufmerksam machen wollten. Inzwischen hat der Zusammenbruch des Finanzsystems die Aufmerksamkeit auf die Wirtschaft gelenkt. Die sozialen Defizite konnte man noch den ärmeren Schichten anlasten, für die wirtschaftliche Katastrophe musste man den Reichen die Schuld geben. Manager selbst »seriöser« Geldinstitute schlugen alle Warnungen in den Wind und halfen ein Kartenhaus zu errichten, das zusammenfallen musste, als die Spekulationsblase platzte; ihnen war es ausschließlich um noch höhere Einkommen und noch größere Bonuszahlungen gegangen. Aber sozialer wie wirtschaftlicher Kollaps haben eine gemeinsame Ursache: die zunehmende Ungleichheit.
Zunächst werden in diesem Buch Belege dafür angeführt, dass uns wirtschaftliches Wachstum in naher Zukunft kaum noch Vorteile bringen wird. Seit Jahrtausenden ist die Verbesserung des materiellen Lebensstandards stets das probate Mittel zur Erhöhung der Lebensqualität gewesen. Als noch die Wölfe ums Haus strichen, konnte man von guten Zeiten sprechen, wenn es genug Nahrung und sauberes Wasser gab und wenn man sich irgendwo wärmen konnte. Aber heute haben die Menschen in den reichen Ländern ganz andere Alltagsprobleme als etwas in den Magen zu kriegen. Tatsächlich würden die meisten lieber weniger als mehr essen wollen. Erstmals in der Geschichte der Menschheit sind die Armen (im Durchschnitt der reichen Länder) fettleibiger als die Reichen. Wirtschaftswachstum war für lange Zeit der Motor des Fortschritts, doch in den reichen Ländern ist dieser Antrieb inzwischen weitgehend erschöpft. Das ökonomische Wachstum ist nicht mehr wie einst von Maßnahmen für das Wohlergehen und Wohlbefinden der Bürger begleitet. Schlimmer noch: Langfristig haben Ängste, Depressionen und andere soziale Probleme mit wachsendem Wohlstand zugenommen. Die Bevölkerung der reichen Länder steht heute am Ende einer langen historischen Entwicklung – am Ende einer Ära.
Welchen Weg wir gegangen sind, zeigt Abbildung 1.1: Hier ist die Entwicklung der Lebenserwartung in den verschiedenen Stadien wirtschaftlichen Aufschwungs ins Verhältnis zum jeweiligen Pro-Kopf-Bruttoeinkommen eines Landes gesetzt. In den ärmeren Ländern steigt die Lebenserwartung zu Beginn der wirtschaftlichen Entwicklung deutlich an, aber sobald diese Länder den Bereich mittlerer Einkommen erreichen, flacht die Kurve ab und zeigt schließlich keinen Aufwärtstrend mehr. Reiche Länder werden zwar noch reicher, aber sie verzeichnen keine weitere Zunahme der Lebenserwartung ihrer Bevölkerung. Rechts oben in Abbildung 1.1 kann man erkennen, dass diese Situation in den 30 reichsten Ländern der Welt bereits eingetreten ist.
Das Abflachen der Kurve in Abbildung 1.1 ist nicht etwa so zu interpretieren, dass die Menschen die Obergrenze möglicher Lebenserwartung erreicht hätten; selbst in den reichsten Ländern erweist sich die Bevölkerung im Alter statistisch als robuster denn je zuvor. Die entscheidende Veränderung besteht darin, dass diese Entwicklung nichts mehr mit dem durchschnittlichen Lebensstandard zu tun hat. Im Zehnjahresrhythmus steigt die Lebenserwartung in den reichen Ländern um zwei bis drei Jahre – und zwar unabhängig vom Wirtschaftswachstum. Ein reiches Land wie die USA weist hier keine besseren Werte auf als etwa Griechenland oder Neuseeland – Länder, die halb so reich wie die USA sind. Die statistischen Befunde führen zu der Einsicht, dass die Erhöhung des durchschnittlichen Lebensstandards in den reichen Ländern immer weniger Einfluss auf die Gesundheit ihrer Bevölkerung hat.
Abb. 1.1 Wirtschaftlicher Aufschwung führt nur in der Anfangsphase zu erhöhter Lebenserwartung.5
Gesundheit und ein langes Leben sind allerdings nicht die einzigen Aspekte von Lebensqualität. Nicht nur der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Wirtschaftswachstum verliert an Bedeutung, sondern auch das Verhältnis von Reichtum und Wohlbefinden. Wie im Bereich der Gesundheit zeigt sich in der Anfangsphase wirtschaftlichen Wachstums, dass die Menschen sich zunächst glücklicher fühlen, aber im weiteren Verlauf ökonomischer Prosperität verliert sich dieser Effekt. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Richard Layard hat in seinem Buch über Die glückliche Gesellschaft3 darauf besonders hingewiesen. Natürlich ist zu vermuten, dass statistische Angaben zum »Glücklichsein« stark von der Kultur des Landes abhängen, in dem die Erhebung gemacht wurde. In der einen Gesellschaft klingt es wie ein Eingeständnis des Scheiterns, wenn man behauptet, nicht glücklich zu sein, und in einer anderen Gesellschaft hört es sich selbstgefällig und rücksichtslos an, wenn einer sagt, dass er glücklich sei. Solche Befindlichkeiten in Rechnung gestellt, zeigt sich in Abbildung 1.2 eine deutliche Angleichung der »Glückskurve« unter den reichsten Ländern, ähnlich wie bei der Lebenserwartung. In beiden Fällen steigt die Kurve in der Anfangsphase wirtschaftlicher Prosperität an, aber je wohlhabender ein Land im Laufe der Zeit geworden ist, desto weniger fühlt sich die Bevölkerung entsprechend glücklicher, wenn sie noch reicher wird. In beiden Grafiken erreichen die Kurven (Lebenserwartung und Glücklichsein) einen konstanten Wert bei einem Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung von etwa 25.000 Dollar. Allerdings gibt es Anzeichen, dass sich dieser Effekt künftig erst auf einem etwas höheren Einkommensniveau einstellen wird.4
Dass mit zunehmendem Reichtum in den reichen Ländern nicht automatisch auch das Glücksgefühl zunimmt, zeigt nicht nur der Vergleich zwischen verschiedenen Ländern zu einem bestimmten Zeitpunkt (wie in Abb. 1.2); in einigen Ländern, wie z. B. in den USA, in Großbritannien und Japan, erlaubt es das Datenmaterial, die Veränderung des Wohlbefindens über längere Zeiträume hinweg zu beurteilen und den Zusammenhang von Glück und zunehmendem Reichtum zu bewerten. Hier wird klar, dass selbst in einem Zeitraum, in dem sich die Realeinkommen verdoppelt haben, unter der Bevölkerung kein weiterer Anstieg von »Glück« zu verzeichnen ist. Genau dieses Muster zeigt sich auch in Studien, die mit anderen Indikatoren arbeiteten (»wirtschaftlicher Erfolg«, »echter Fortschritt«), um in diesem Punkt das Nettoresultat des Wirtschaftswachstums nach Abzug der sozialen Kosten (Umweltverschmutzung, Verkehrsstaus usw.) zu erhalten.
Abb. 1.2 Wohlbefinden und Durchschnittseinkommen (für GB sind keine Daten verfügbar).5
Ob wir Gesundheit, Glücklichsein oder andere Aspekte des Wohlergehens betrachten, es zeichnet sich ein deutliches Ergebnis ab: In den ärmeren Ländern ist wirtschaftliche Prosperität nach wie vor ein sehr wichtiger Faktor für die Befindlichkeit der Menschen, hier wirkt sich jede Steigerung des materiellen Lebensstandards deutlich auf die objektiven Aspekte (z. B. Lebenserwartung) und die subjektiven Aspekte (z. B. Glücklichsein) des Wohlergehens aus. Sobald aber eine Nation den Status eines entwickelten und reichen Landes erreicht, haben weitere Einkommenssteigerungen immer weniger Relevanz.
Das Muster leuchtet ein: Wer sich von allen Gütern immer mehr leisten kann, wird irgendwann jeden weiteren Zuwachs nicht mehr als Zugewinn für sein Wohlergehen betrachten. Wer hungert, träumt von einem Laib Brot, wer satt ist, weiß mit immer mehr Brot nicht wohin und findet den Überfluss eher lästig, weil alles verschimmelt. Im Laufe wirtschaftlichen Wachstums wird irgendwann ein Wohlstandsniveau erreicht, das mit »abnehmenden Erträgen« einhergeht: Immer mehr Einkommen verspricht immer weniger Zuwachs an Gesundheit, Glück und Wohlbefinden. Einige der entwickelten Länder blicken inzwischen auf eine mehr als 150jährige Geschichte fast ununterbrochener Einkommenssteigerungen zurück – und jede weitere Erhöhung des Reichtums erscheint nicht mehr, wie einst, als Segen.
Eine solche Tendenz lässt sich auch an der Statistik der Todesursachen ablesen. Wenn Länder wohlhabender werden, verschwinden zunächst die typischen Armutskrankheiten wie Tuberkulose, Cholera oder Masern, die in den ärmsten Ländern der Welt bis heute virulent sind. An ihre Stelle treten nach und nach die so genannten Wohlstandskrankheiten: Krebs, Herz- und Gefäßerkrankungen. Diese Krankheiten treten vorwiegend im Alter auf, während an den klassischen Armutskrankheiten die Menschen meist schon im Kindesalter sterben.
Für die Abflachung der statistischen Verläufe in den Abbildungen 1.1 und 1.2 gibt es noch eine weitere Erklärung: Hat ein Land ein bestimmtes Maß an materiellem Lebensstandard erreicht, nimmt die positive Wirkung weiteren Wirtschaftswachstums auf das Leben der Einzelnen ab. So erklärt sich, dass die »Wohlstandskrankheiten« inzwischen auch bei den armen Schichten in reichen Gesellschaften zu beobachten sind. Herzkrankheiten, Schlaganfall und Fettleibigkeit galten traditionell als typische Befunde bei den Reichen; der Herzanfall war die Krankheit der Geschäftsleute. Einst waren die Wohlhabenden fett und die Habenichtse mager, aber seit den 1950er Jahren zeigt sich in den reichen Ländern immer deutlicher eine Umkehrung dieses Prinzips: Die Armen leiden zunehmend unter den Krankheiten, die vormals typisch für die Reichen waren.
Während die Menschen in den reichen Ländern aus weiterer ökonomischer Prosperität immer weniger Vorteile ziehen können, macht sich eine ganz neue Begrenzung dieses wirtschaftlichen Wachstums bemerkbar: die Umweltschäden und vor allem die globale Erwärmung. Um die unabsehbaren Folgen eines sich fortsetzenden Klimawandels und eines sich daraus ergebenden Anstiegs des Meeresspiegels zu verhindern, müssen die CO2-Emissionen drastisch verringert werden. Dies würde bedeuten, dass unser heutiges Niveau der Konsumtion nicht zu halten ist – und die eigentlich angestrebte Erhöhung des Lebensstandards in den Entwicklungsländern wäre damit auch nicht mehr möglich.
In Kapitel 15 werden wir erläutern, was unsere Prognosen im Hinblick auf die bisherigen politischen Maßnahmen zu Reduzierung der Erderwärmung bedeuten.
Unsere Generation muss sich erstmals in der Geschichte die Fragen stellen, ob und wie überhaupt weitere Verbesserungen unserer Lebensqualität machbar wären. Wenn wirtschaftliches Wachstum das nicht leistet, was brauchen wir dann? Einen wichtigen Hinweis zur Beantwortung dieser Frage haben wir bereits: Offenbar betreffen uns Einkommensunterschiede innerhalb der eigenen Gesellschaft weit stärker, als es unterschiedliche Durchschnittseinkommen tun, wenn man reiche Gesellschaften miteinander vergleicht.
In den Kapiteln 4 bis 12 werden wir eine Reihe sozialer und gesundheitlicher Probleme genauer betrachten, die in den jeweiligen Ländern deutlich häufiger bei den armen als bei den reichen Schichten auftreten: Gewalt, psychische Erkrankungen, Schwangerschaft im Teenageralter, Schulversagen usw. Es zeigt sich zum einen, dass solche Probleme mit zunehmendem Einkommen und Lebensstandard zu verschwinden scheinen, aber sobald man unter diesem Aspekt Vergleiche zwischen den Gesellschaften verschiedener Nationen anstellt, wird klar, dass es in diesem Aspekt kaum einen Zusammenhang mit dem Durchschnittseinkommen einer Gesellschaft gibt.
Abb. 1.3 Zwischen den reichen Ländern zeigt sich keine Korrelation von Durchschnittseinkommen und Lebenserwartung.6
Abb. 1.4 Innerhalb einer Gesellschaft besteht eine enge Abhängigkeit von Sterbeziffer und Einkommen.7
Nehmen wir den Bereich Gesundheit: Statt (wie in Abb. 1.1) die Lebenserwartung von reichen und armen Ländern in Bezug zu setzen, kann man auch (wie in Abb. 1.3) nur reiche Länder miteinander vergleichen. Hier zeigt sich: Ein Land kann doppelt so reich sein wie ein anderes, ohne zugleich eine höhere Lebenserwartung seiner Bevölkerung aufzuweisen als die des Vergleichslandes; aber innerhalb der jeweiligen Länder lässt sich ein klarer Zusammenhang zwischen Sterbeziffer und Einkommen nachweisen.
Abbildung 1.4 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Sterbeziffer und Einkommen in den USA, gegliedert nach Postleitzahlen und dem durchschnittlichen Haushaltseinkommen der Bewohner dieser Gebiete. Rechts im Schaubild finden sich die reicheren Gebiete mit niedriger Sterbeziffer, links die ärmeren mit höheren Werten. Hier wurden Daten aus den USA ausgewertet, vergleichbare Werte gibt es aus fast jedem Land der Welt: Höheres Einkommen bedeutet auf jedem sozialen Niveau eine geringere Sterbeziffer. Die über raschende Aussage in Abbildung 1.4 besteht also in der gleichmäßigen Verteilung: Das Muster gilt für alle Schichten, für die wohlhabenderen ebenso wie für die ärmeren. Keineswegs liegt es nur am besonders schlechten Gesundheitszustand der Armen.
Innerhalb eines jeden Landes ist also ein statistischer Zusammenhang zwischen Gesundheitszustand und Wohlbefinden der Menschen und ihrem Einkommen zu erkennen: Die Reichen sind gesünder und glücklicher als die Armen. Vergleicht man aber reiche Länder, dann spielt es keine Rolle, ob in dem einen Land die Menschen durchschnittlich doppelt so reich sind wie in dem anderen.
Welchen Reim soll man sich auf diesen merkwürdigen Befund machen, dass Unterschiede in Durchschnittseinkommen und Lebensstandard zwischen Ländern kaum Wirkung zeigen, die Einkommensunterschiede innerhalb ein und desselben Landes aber sehr wohl? Es gibt zwei Erklärungsansätze. Zum einen: In den reichen Ländern geht es vielleicht weniger um die absolute Höhe des Einkommens und des Lebensstandards, sondern um den sozialen Vergleich mit den anderen Mitgliedern der Gesellschaft. Hier zählen nicht die Durchschnittswerte, sondern nur die Distinktion – man will seinen Platz in der Hackordnung erobern bzw. behaupten. Zum anderen: Das soziale Gefälle in Abbildung 1.4 könnte weniger mit den Auswirkungen von aktuellem Einkommen und Status auf die Lebenserwartung zu tun haben als vielmehr mit sozialer Mobilität: Die Gesunden schaffen den sozialen Aufstieg, die Schwachen bleiben auf der Strecke.
Um diese Fragen wird es im folgenden Kapitel gehen: Welche Folgen haben Schließung oder Öffnung der Einkommensschere in einer Gesellschaft? Zeigen sich derartige soziale und gesundheitliche Probleme auch in einer um Gleichheit bemühten Gesellschaft?
Armut bedeutet nicht, nur eine kleine Menge von Gütern zu besitzen, Armut bedeutet auch nicht nur ein bestimmtes Verhältnis von Zielen und Mitteln, Armut ist vor allem eine Beziehung zwischen Menschen. Armut ist ein sozialer Status … und sie hat zugenommen – sie bildet eine unerfreuliche Trennlinie zwischen den Schichten.
Marshall Sahlins, Stone Age Economics324
In Kapitel 1 wurde gezeigt, dass Wirtschaftswachstum und steigende Durchschnittseinkommen in den reichen Ländern kaum noch etwas zum Wohlbefinden ihrer Bevölkerung beitragen können, dass aber innerhalb einer Gesellschaft sehr wohl ein enger Zusammenhang zwischen gesundheitlichen und sozialen Problemen und Einkommensniveau besteht. In diesem Kapitel geht es um die Frage, welche Rolle die Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft spielt.
In Abbildung 2.1 werden entwickelte Länder nach Einkommensunterschieden verglichen: Oben finden sich die Länder mit den geringsten Unterschieden, unten die Länder mit der größten Einkommensschere. Der Balken zeigt den Grad der Ungleichheit zwischen den reichsten und den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung des jeweiligen Landes. In Japan und den skandinavischen Ländern, die ganz oben stehen, besitzen die reichsten 20 Prozent nur knapp vier Mal so viel wie die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung. Unten in der Grafik finden sich die Länder, in denen die Ungleichheit mehr als doppelt so hoch ist; in zwei Fällen verdient die reichste 20-Prozent-Schicht rund neun Mal so viel wie die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung. Besonders drastisch ist die Einkommensschere in Singapur, den USA, Portugal und Großbritannien. Die Statistik basiert auf dem Haushaltseinkommen (nach Steuern) und berücksichtigt die Zahl der Personen in einem Haushalt.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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