Globalgeschichte des Mittelalters - Michael Borgolte - E-Book

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Michael Borgolte

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Beschreibung

Das mittelalterliche Jahrtausend zwischen 500 und 1500 nach Christus wird in diesem Band erstmals in konziser Form globalgeschichtlich dargestellt. Er zeigt die Vielfalt teils damals unverbunden nebeneinander existierender Welten, aber auch eingehend das zusammenhängende große Gebiet von Europa, Nordafrika und Asien mit seiner Durchdringung verschiedener Weltreligionen und Kulturen, seinen wechselnden politischen Grenzen und seiner Vernetzung durch den Fernhandel.

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Michael Borgolte

GLOBALGESCHICHTE DES MITTELALTERS

C.H.Beck

Zum Buch

«Betrachtet man das mittelalterliche Jahrtausend konsequent unter globalgeschichtlichem Aspekt, dann zeigt sich schnell, dass ein dichtes und mehrdimensionales Beziehungsgeflecht die auch geographisch zusammenhängenden Kontinente Europa, Asien und Afrika überzogen hatte. Die anderen Teile der Welt waren von diesem Komplex (so gut wie) vollständig getrennt. Es gab also im Mittelalter mehrere Welten, die sich miteinander nur vergleichend in Beziehung setzen lassen. Dies muss auch geschehen, aber die Hauptaufgabe besteht doch darin, die ‹trikontinentale Welt› oder – mit einem Akronym der drei Kontinentnamen gesagt – ‹Eufrasien› zu studieren und zu erfassen. Es ist bemerkenswert, dass es diese Welt war, die schon auf mehr als eintausend mittelalterlichen Karten oder Diagrammen dargestellt wurde. Die Auffassung von der tripartiten Welt aus Asien, Afrika und Europa ging bereits auf die Antike zurück, aber weder damals noch im Mittelalter wurde jemals die Geschichte der drei Kontinente erzählt. Erst die Frage nach einer Globalgeschichte in unserer Zeit hat diesen Mangel spürbar gemacht.»

Über den Autor

Michael Borgolte ist Professor (em.) für Mittelalterliche Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und einer der renommiertesten Mediävisten Deutschlands. Bei C.H.Beck ist zuletzt von ihm erschienen: Die Welten des Mittelalters. Globalgeschichte eines Jahrtausends (22022).

Inhalt

Karte: Hauptwege des Handels durch Zentralasien

Karte: Handelsrouten von Genua und Venedig

Globalisierung – Mittelalter – Globalgeschichte des mittelalterlichen Jahrtausends

I. Die trikontinentale Welt

1 Grenzüberschreitungen im Innern: Religionen und Reiche

1.1 Aufkommen und Frühgeschichte von Christentum und Islam

1.2 Christliche und muslimische Expansionen und Reiche

In Europa

In Afrika

In Asien

1.3 Judentum – Transkontinentales Netzwerk ohne Staat

1.4 Indien, Südostasien und der Buddhismus als panasiatische Religion

1.5 Ostasien, seine Religionen und die Nomaden

2 Grenzüberschreitungen im Innern: Der Fernhandel

2.1 Die ersten Jahrhunderte

2.2 Die mittleren Jahrhunderte

2.3 Die letzten Jahrhunderte

II. Die Welten des Pazifiks und der beiden Amerikas

Das mittelalterliche Jahrtausend als Periode der Globalisierung

Literaturhinweise zum Nachschlagen und Weiterlesen

Globalgeschichten

Geschichte der Erdteile

Zu Aspekten und Faktoren der mittelalterlichen Globalisierung

Register

Personen/-gruppen

Orte

Fußnoten

Karte: Hauptwege des Handels durch Zentralasien

Karte: Handelsrouten von Genua und Venedig

Globalisierung – Mittelalter – Globalgeschichte des mittelalterlichen Jahrtausends

Chinesische Tonfigur eines sogdischen Händlers auf einem baktrischen Kamel, Tang-Zeit (618–​907 n. Chr.). Shanghai-Museum, China

Unter ‹Globalisierung› wird die tatsächliche oder virtuelle Beziehung aller mit allen Menschen auf dem Globus verstanden, sei es durch persönliche Begegnung, sei es durch Medien, sei es im Austausch von Waren. Ihre Analyse bezieht die kulturellen Veränderungen ein, die durch solche Kontakte generiert werden, die Bildung neuer Einheiten und Differenzen, aber auch die Leerstellen im interkulturellen Netz und die selbstgewählten Isolationen. Der Bezug von Globalisierung und Globalgeschichte auf das Mittelalter leuchtet allerdings nicht ohne weiteres ein. Zum einen hat es in jenem Jahrtausend von 500 bis 1500u.Z., das gewöhnlich als Mittelalter verstanden wird, sicher keine routinemäßig den ganzen Globus umspannenden Beziehungen gegeben. Zum anderen bezeichnet ‹das Mittelalter› eine Periode der europäischen, nicht der allgemeinen Geschichte; ja, ‹Mittelalter› erfasst nach der Genese des Begriffs nicht einmal Europas Vergangenheit überhaupt, sondern nur einen Ausschnitt der west- und mitteleuropäischen Geschichte, der auf eine als klassisch empfundene lateinische Antike folgte und einer Neuzeit und Moderne vorausging, die an ihre Vorvergangenheit anschließen wollte. In Europa fehlt eine Abfolge dieser Art beispielsweise den griechisch-orthodoxen Völkern oder auch in Skandinavien, wo einem ‹Mittelalter› ab ca. 1000/1050 die (römische) Eisen- und die Wikingerzeit vorangegangen sein sollen. Manche, darunter nicht wenige Mediävisten selbst oder Angehörige ihrer Nachbarfächer, weisen die Rede vom ‹Mittelalter› zurück, weil sie die implizierte Abwertung der Epoche schwer ertragen können und sie für ungerecht halten. Andererseits hat sich die Bezeichnung, oft mit variierendem zeitlichen Schwerpunkt, sogar für außereuropäische Länder eingebürgert, beispielsweise für China, Indien und Japan, wenn es darum ging, eine postklassische Zeit anzusprechen. Es scheint geradezu die Vagheit des Begriffes zu sein, die ihn brauchbar gemacht hat. Für die Beibehaltung des ‹Mittelalters› spricht auch, dass sich das Bewusstsein, einer Kultur mit dieser Vergangenheit anzugehören, bei Angehörigen der betroffenen Länder und Völker nicht einfach ausradieren lässt. Diese haben, im Gegenteil, ein Recht darauf zu erfahren, wie sich ihr Bild vom Mittelalter ändert oder ändern könnte, wenn es globalhistorisch renoviert werden soll. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Zeitgrenzen von 500 und 1500, für die sich in Europa gute historische Gründe anführen lassen, für andere Kulturen insbesondere in Afrika und Asien natürlich keine Bedeutung haben (müssen). Aber auch jeder andere Versuch, die Globalgeschichte in der Vormoderne zu periodisieren, würde auf die ungerechtfertigte Verallgemeinerung partikularer Zäsuren hinauslaufen. Betrachten wir also jenes Jahrtausend als ein willkürlich geschnittenes Segment des zeitlichen Kontinuums, ohne uns von den Urteilen und Vorurteilen über das traditionelle Mittelalter leiten zu lassen!

Eine ‹Globalgeschichte des Mittelalters› darzustellen, ist noch immer ein ungewöhnliches Format. In letzter Zeit hat sich aber ein Konsens herausgebildet, dass dabei der ‹ganze› Globus einbezogen werden muss. Dieser Anspruch bringt freilich die Gefahr mit sich, eine zielgerichtete Geschichte zu erzählen, die im Sinne der älteren ‹Universalgeschichte› auf ein gutes Ende zulaufen müsste. ‹Globalgeschichte› ist aber keiner Idee vom Sinn und Zweck der Geschichte verpflichtet, sondern sie will nur vor Augen führen, wie, in welchem Maße und mit welchen Ergebnissen sich Menschen und Kulturen durch Beziehung und Austausch vernetzt haben. Zu ihren Grundlagen gehört auch die Einsicht, dass die Geschichte nicht aus der präferierten Sicht einer bestimmten Kultur erzählt werden kann; sie will, wenn nicht allen, so doch vielen Kulturen gerecht werden. Sie hat kein organisierendes Zentrum, sondern soll eine multipolare Welt zum Vorschein bringen, deren Reichtum keine Hierarchien duldet. Globalgeschichten verlangen Leserinnen und Lesern deshalb eine ungewohnte Anstrengung ab; sie müssen den Wechsel der Schauplätze mitvollziehen und konstituieren eben durch diese Bewegung und Beweglichkeit die Globalität des Mittelalters als neues Objekt historischen Verstehens.

Betrachtet man das mittelalterliche Jahrtausend konsequent unter globalgeschichtlichem Aspekt, dann zeigt sich schnell, dass ein dichtes und mehrdimensionales Beziehungsgeflecht die auch geographisch zusammenhängenden Kontinente Europa, Asien und Afrika überzogen hatte. Die anderen Teile der Welt waren von diesem Komplex (so gut wie) vollständig getrennt. Es gab also im Mittelalter mehrere Welten, die sich miteinander nur vergleichend in Beziehung setzen lassen. Dies muss auch geschehen, aber die Hauptaufgabe besteht doch darin, die ‹trikontinentale Welt› oder – mit einem Akronym der drei Kontinentnamen gesagt – ‹Eufrasien› zu studieren und zu erfassen. Es ist bemerkenswert, dass es diese Welt war, die schon auf mehr als eintausend mittelalterlichen Karten oder Diagrammen dargestellt wurde. Die Auffassung von der tripartiten Welt aus Asien, Afrika und Europa ging bereits auf die Antike zurück, aber weder damals noch im Mittelalter wurde jemals die Geschichte der drei Kontinente erzählt. Erst die Frage nach einer Globalgeschichte in unserer Zeit hat diesen Mangel spürbar gemacht.

Grabstein der Katerina, Tochter des genuesischen Kaufmanns Domenico Ilioni, von 1342, mit lateinischer Inschrift und Szenen u.a. aus der Legende der hl. Katharina. Yangzhou, China

Methodisch orientiert sich die folgende Studie und Darstellung an der Einsicht des amerikanischen Pioniers der Globalgeschichte, Jerry H. Bentley. Dieser sah die Anfänge aller Globalisierung beim Auftreten des ‹homo erectus› und charakterisierte sie mit dem Streben nach «Kenntnis der weiteren Welt» (2006). Es kommt also darauf an, die mittelalterliche Globalisierung aus der Transgression von Grenzen abzuleiten. Dieser Ansatz wird hier sowohl bei der trikontinentalen als auch bei den anderen identifizierbaren Welten durchgeführt. Allerdings ist die Überlieferungslage so verschieden, dass die Geschichten des Pazifiks und der beiden Amerikas erheblich weniger Raum beanspruchen können als diejenige von Eufrasien. Für die Erkenntnis der inneren Grenzziehungen und -überschreitungen bieten sich die Verbreitung der Religionen und die Reichsbildungen sowie der Fernhandel an. In einem Schlusskapitel soll der Beitrag des mittelalterlichen Jahrtausends zur Globalisierung im Kontrast zu vorangegangenen Perioden bestimmt werden.[1]

I. Die trikontinentale Welt

Die Welt der drei Erdteile endete nicht an der Meeresküste. Vielmehr waren die großen Gewässer, die sie umgaben, hervorragende Verkehrswege, die zu ihrer Kohärenz beitrugen. In der Ostsee hatten schon während der Antike Einheimische ihre Boote und Schiffe bewegt, während sich die Römer damit begnügten, ihre Waren auf Strom- oder Landstraßen ins Baltikum zu transportieren. Die Nachfolge der ‹Sueonen› (Tacitus) als seefahrende Völker traten im Mittelalter Angelsachsen und Friesen, Skandinavier, Russen und Deutsche an. Am Atlantik waren die Gestade Spaniens, Galliens, Britanniens und Germaniens in der Kaiserzeit ebenfalls römisch gewesen. Rom war «die einzige atlantische Macht» seiner Zeit (A. R. Lewis). Zur Zeitenwende erreichte die römische Atlantikflotte auch die Westküsten von Jütland und das Skagerrak, ein Feldherr umschiffte sogar den Norden Schottlands. Kurz darauf begannen sächsische, irische und piktische Piraten, das Reich herauszufordern, und nach dem Abzug der Flotte aus dem Kanal eröffneten eingesessene oder zugewanderte Germanen um 600 eine Epoche der ‹Northern Seas›. Norwegische Bauern trieben um 870 durch die Besiedlung Islands die Grenze Eufrasiens weit nach Nordwesten vor; als sie nach zwei Generationen das agrarisch nutzbare Land aufgeteilt hatten, zogen die Migranten nach Grönland weiter. Lebhafter Schiffsverkehr markierte die flandrisch-französische Atlantikküste, zumal gefördert durch den Salzhandel zwischen Gascogne und England (1152); ein Schiff aus Genua passierte 1277 zum ersten Mal die Straße von Gibraltar auf dem Weg zu den Häfen des nördlichen Europa. Weiteren Vorstößen nach Sonnenuntergang standen mentale Hindernisse im Wege. Lateinische Christen und Muslime scheuten den Ozean als ‹Meer der Dunkelheit›, in dem sie die vermeintliche Uferlosigkeit schreckte. Schließlich wiesen Experten aus Genua Portugiesen und Kastiliern den Weg entlang der Küsten Afrikas nach Süden. 1434 glückte der Expedition Heinrichs des Seefahrers die Passage des Kap Bajador, 1488 umsegelte Bartolomeu Dias das ‹Kap der Guten Hoffnung›, und 1497/98 erreichte Vasco da Gama Indien auf demselben Weg und nach der Passage Ostafrikas. Die Route – und Markierung Eufrasiens im Süden – trat neben die alte Transversale des Handels, die vom Mittelmeer über den Indischen Ozean nach Südostasien und China führte. Von dort gingen zwar regionale Verbindungen nach Korea und Japan weiter, aber sonst bildete auch der Pazifik eine unüberwindliche Grenze.