Glück auf - bis Heiligabend - Mik Bäcker - E-Book

Glück auf - bis Heiligabend E-Book

Mik Bäcker

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Beschreibung

»Ein herzenswarmer, pointierter und zutiefst lebenskundiger Roman – und das im geliebten Bochum.«
Oliver Uschmann & Sylvia Witt (Hartmut und ich-Reihe)


Nico ist dreißig, wohnt in Hamburg und besucht nur noch selten seine Heimatstadt Bochum. Zwar steht Weihnachten vor der Tür, doch dieses Jahr will er nach der Trennung von Katharina die Feiertage lieber allein verbringen.

Als ihn am ersten Dezember seine Mutter anruft, muss er seine Pläne allerdings ändern. Sein Vater wohnt nämlich seit Neuestem in der Kleingartenlaube und Nico soll kommen, um das Familienchaos zu entwirren. »Na, das kann ja heiter werden«, denkt sich Nico, und eine turbulente Adventszeit nimmt ihren Lauf.

In dieser herrlichen Familienkomödie mit ihren liebenswerten Figuren können wir uns selbst wunderbar spiegeln. Ein Muss für jeden, der das Ruhrgebiet kennt und liebt.

»Ein herzenswarmer, pointierter und zutiefst lebenskundiger Roman, der zwischen all seinen Pointen eine verbindliche emotionale Geschichte erzählt - und das im geliebten Bochum. Zwischen Kleingartensiedlung und Ex-Kinderzimmer entstehen verblüffende, kathartische »Kenn ich auch!«-Effekte. Und »Der Papa wohnt jetzt inner Laube« ist aus dem Stand einer der schönsten Komödiensätze der Gegenwart.« (Oliver Uschmann & Sylvia Witt / Hartmut und ich - Reihe)

»Hinreißend verschroben – fast wie im richtigen Leben.« (Antonia Goldhammer, Bayerischer Rundfunk)

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Inhalt

Nico ist dreißig, wohnt in Hamburg und besucht nur noch selten seine Heimatstadt Bochum. Zwar steht Weihnachten vor der Tür, doch dieses Jahr will er nach der Trennung von Katharina die Feiertage lieber allein verbringen.

Als ihn am ersten Dezember seine Mutter anruft, muss er seine Pläne allerdings ändern. Sein Vater wohnt nämlich seit Neuestem in der Kleingartenlaube und Nico soll kommen, um das Familienchaos zu entwirren. »Na, das kann ja heiter werden«, denkt sich Nico, und eine turbulente Adventszeit nimmt ihren Lauf.

In dieser herrlichen Familienkomödie mit ihren liebenswerten Figuren können wir uns selbst wunderbar spiegeln. Ein Muss für jeden, der das Ruhrgebiet kennt und liebt.

Ein herzenswarmer, pointierter und zutiefst lebenskundiger Roman, der zwischen all seinen Pointen eine verbindliche emotionale Geschichte erzählt - und das im geliebten Bochum. Zwischen Kleingartensiedlung und Ex-Kinderzimmer entstehen verblüffende, kathartische »Kenn ich auch!«-Effekte. Und »Der Papa wohnt jetzt inner Laube« ist aus dem Stand einer der schönsten Komödiensätze der Gegenwart.

Oliver Uschmann & Sylvia Witt / Hartmut und ich-Reihe

Hinreißend verschroben – fast wie im richtigen Leben.

Antonia Goldhammer, Bayerischer Rundfunk

Autor

Mik Bäcker, geb. 1991, hat in Münster Literaturwissenschaft und Pädagogik studiert und unterrichtet heute Deutsch als Zweitsprache in NRW. Er schreibt außerdem Theatertexte.Glück auf bis Heiligabend ist sein erster Roman.

Mik Bäcker

GLÜCK AUF

BIS HEILIGABEND

Eine ganz normale

Adventsgeschichte

in 24 Kapiteln

Diederichs

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Copyright © 2022 Diederichs Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlag: zero-media.net, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Illustrationen: Claudia Lieb

Bildnachweis: Vignette Kapitelanfang: nadia1992 / stock.adobe.com

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-29456-4V001

www.diederichs-verlag.de

Für meinen Vater

1.12. 20:04

Alle Jahre wieder

Auf der Treppe zum Bochumer Bergbaumuseum liefern sich einige Kinder eine Schneeballschlacht. Ihre Wangen sind rot, ihre Schals leuchtend bunt. Sie sind viel zu abgelenkt, um zu bemerken, wie kalt es um sie herum geworden ist. Ihr warmer Atem bleibt dennoch einige Sekunden vor ihren Gesichtern stehen, bevor er unsichtbar wird. Ich höre das vergnügte Kichern durch die Dunkelheit widerhallen.

Die tiefe Schneedecke, über die sich die Kinder jagen, birgt die stetige Gefahr auszurutschen, aber der Leichtsinn überwiegt. Ein goldener Schriftzug, der »Fröhliche Weihnachten« verkündet, schwebt über dem ausgelassenen Treiben. Auf einmal zieht ein wilder Schneesturm auf, der sogar den mächtigen Förderturm komplett in Weiß hüllt. Jetzt fallen nur langsam dicke Flocken in Richtung Boden. Sie lassen die Szenerie noch mehr wie verzaubert aussehen.

»Es rieselt im Revier, lieber Nico«, hat meine Oma zu dem kleinen Paket geschrieben, in dem neben dieser Schneekugel eine Packung Dominosteine und die obligatorischen 20 Euro zum Geburtstag waren. Die Matriarchin des Jankowski-Clans versteht sich auf symbolhafte Gesten. Und diese bedeutet: Lass dich über die Feiertage in Bochum blicken und bleib nicht weg, so wie das ganze Jahr schon, du undankbarer Bengel. Zugegeben, da ist viel reininterpretiert, aber dennoch: Dieses malerische Bild von weißer Weihnacht, sorglosen Schneeballschlachten, das existiert nur in dieser Schneekugel-Welt, so klein und unwirklich, dass ich sie mühelos in die Hand nehmen, hochwerfen, fallen lassen kann.

Ich weiß das, und Oma Magda weiß das erst recht. Eine Frau, die das Ruhrgebiet nunmehr seit 89 Jahren kennt. Und so wie ich meine Oma kenne, weiß sie auch, wie hässlich dieses Teil ist, aber das ist ihr egal, denn wenn der Jaust schon nicht herkommen will, kriegt er halt so viele Erinnerungen, bis er sich schon aus schlechtem Gewissen in den Zug nach Hause setzt. Wenn ich mich nicht rühre, wird mir das gesamte Merchandise-Arsenal des VfL geschickt. Liebesgrüße aus Bochum. Das hat Methode, kleine Seitenhiebe aus der Heimat, damit ich nicht vergesse, wo ich wech bin. Meine Oma Magda hat nie viel geredet, aber das hat niemals bedeutet, dass ihr Verstand nicht permanent in Bewegung gewesen wäre.

Dass ich die Stadt, in der ich groß geworden bin, erst mal meiden musste und damit auch die Menschen, die dort wohnen, hatte dieses Jahr gute Gründe. Für mich zumindest. Ich nehme die Kugel in die Hand und halte sie ganz nah an mein Gesicht, sodass ich mich darin spiegeln kann. Je mehr ich mich dem Glas nähere, desto größer wird mein Gesicht, als würde ich langsam, aber sicher aus meiner ohnehin viel zu kleinen Wohnung platzen.

Dafür, dass das heute mein 30. Geburtstag ist, sehe ich herzlich wenig anderes, also außer mir. Gäste zum Beispiel. Freunde. Katharina. Ich habe mir die größte Mühe gegeben, alle potenziellen Gratulanten heute nicht zu treffen. Meinen Geburtstag mochte ich nie, aber dieser hier ist auch objektiv betrachtet relativ traurig.

Ich lasse den Schnee noch einmal aufwirbeln, dann stelle ich die Kugel unsanft auf dem Küchentisch ab und suche in meinem Smartphone nach Zugverbindungen Richtung NRW. Endstation: Bochum. Du bist keine Schönheit. Aber in Hamburg bleibt der Schnee auch nicht liegen.

Ich werde am 23.12. anreisen und über die Feiertage bleiben, in unserem kleinen, grauen Häuschen in Bochums Speckschweiz. Das sollte ausreichen, um alle Leute zu treffen, an denen mir dort etwas liegt. Vor allem reicht das aus, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Und Oma Magda hat ihren Willen bekommen. Alle Jahre wieder.

2.12. 15:10

Ein Anruf mit Folgen

»Du hast wirklich niemanden an deinem Geburtstag getroffen? War das nicht hart? War sicher hart.« Philipp ist mein Kollege, mittlerweile seit drei Jahren schon. Wir stehen auf dem Flur an dem Kopierer, der öfter frei ist als die anderen, weil er vielleicht zwölf Meter mehr Fußweg für die Mitarbeiter bedeutet.

Wir arbeiten für einen Verlag in Hamburgs HafenCity. Philipp und ich sind die einzigen Angestellten unter 40 auf unserer Etage. Philipp hat bei uns nach dem Studium sein Volontariat gemacht und ist gleich übernommen worden. Ich mag ihn, aber irgendwie machen wir nie was zusammen nach Feierabend. Vielleicht ist das normal. Und für uns beide hat das auch einen Vorteil: Was wir dem anderen von unserem Privatleben erzählen, muss als objektiv wahr eingeschätzt werden. Das gilt für Katharina und mich genauso wie für Philipp und seinen Schützenverein im sauerländischen Willingen. Denn das kommt noch dazu: Wir sind beide Zugezogene. Dadurch hat man ab und an den typischen Small Talk zu langen Autofahrten in die Heimat und so weiter.

Und was wir dem anderen sonst stecken, das wird wie gesagt so hingenommen. Man kennt ja sonst niemanden, der einem etwas anderes erzählen könnte. Philipp ist sehr empathisch. Mehr oder weniger zumindest. War sicher hart. Für Small Talk ist das super, gerade wenn man nicht genau weiß, wie man sich so fühlt, oder nicht darüber nachdenken will.

»Ach ja, war okay. Klar, bisschen komisch. Aber auch okay. Irgendwie. Mit Katharina ist halt auch ganz vorbei jetzt.« Manchmal tut mir das leid, wie oberflächlich der Kontakt zu Philipp ist. »Was? Jetzt ist so richtig Schluss? Puh. Das tut mir leid. Das ist traurig.« Danke für den Philipp-Service, mir auch noch ein Gefühl anzubieten, das zu meiner Lebenssituation passen könnte. Das ist traurig, soso.

Das Tolle an dieser Arbeitsfreundschaft ist auch, dass Philipp wirklich immer nur reagiert. Wenn ich nicht von Katharina angefangen hätte, wäre garantiert auch keine Frage nach ihr gekommen. Ich sehe mich um, ob jemand in Hörweite ist. Fehlanzeige. Philipp bemerkt das und begibt sich in Position, einen größeren Brotkrümel aus meinem Privatleben aufschnappen zu können, wie eine gierige Ente in einem Park. Die soll man auch nicht füttern, glaube ich.

Also entscheide ich mich dagegen, unsere natürliche Oberflächlichkeit aufzugeben, und liefere ihm lediglich ein halbherziges: »Ja, ist jetzt irgendwie so. Da macht man nichts.« Philipp schaut enttäuscht weg. Wahrscheinlich sucht er nach einem Adjektiv, mit dem er meine Lage beschreiben könnte. Bevor er mir bescheinigen kann, wie bitter oder schade das mit der Trennung ist, nehme ich meine Kopien in die Hand und verabschiede mich. Philipp watschelt semi-befriedigt an seinen Schreibtisch zurück.

Auf dem Weg nach Hause fällt mir auf, dass dieses »Gespräch« das intimste seit Tagen war. Ich bin richtig gut darin, mich einzuigeln, wenn ich mit niemandem reden will. Meine Wohnung habe ich lange nicht mehr in Ordnung gebracht, wozu auch? Ich mache mir ein Bier auf und lasse mich mitsamt der Flasche in meinen Sessel fallen. Den habe ich noch aus meiner ersten WG, tiefrotes Leder, sehr wuchtig und so abgenutzt, dass man eine Decke braucht, um weiteren Verschleiß zu vermeiden. Katharina fand ihn immer furchtbar. »Der kommt mir nicht in unsere gemeinsame Wohnung!« Am Ende sollte sie recht behalten.

Jetzt hat sie ihren Traum von einer gemeinsamen Wohnung mit jemand anderem, Arvid, dem dänischen Grafikdesigner, der für die gleiche Werbeagentur arbeitet, in der sie der Geschäftsleitung assistiert. In einem Anflug von Selbstbestrafung habe ich vor einigen Tagen Arvids Social-Media-Kanäle ausspioniert. Natürlich sieht der blendend aus, groß und blond und durchtrainiert mit strahlend blauen Augen. Mit jedem Bild könnte man Werbung in einem Lifestyle-Magazin machen. Es gibt Fotos von Arvid beim Kite-Surfen, beim Klettern, auf Partys mit anderen unverschämt attraktiven Menschen. Und mit Katharina, die überglücklich in die Kamera lacht, während der schöne Däne sie von hinten begrabbelt. In einem kurzen Moment habe ich gedacht, dass es dieses Foto nur gibt, um mich zu bestrafen. Um mir zu sagen: Du bist raus. Viel Glück mit deiner schäbigen Einrichtung in deinem kleinen Leben. Katharina hat jetzt Arvid, und der kommt zusammen mit minimalistischem Design und einer genauso aufgeräumten, klaren Zukunft. Und phänomenalem Sex, bestimmt.

Als ich mein Handy beiseitegelegt habe, um den Instagram-Account der Erniedrigung nicht mehr sehen zu müssen, finde ich mich noch immer in dem abgewetzten Sessel wieder. Der ist so tief und nachgiebig in der Sitzfläche, dass man sich mehrmals überlegt, ob man aufsteht, wenn man einmal davon eingesogen wurde. Wie viele Stunden ich schon hier drin abgehangen habe? Mir kommt kurz der Gedanke, ob ich vielleicht ein viel geileres Leben ohne diesen Sessel führen würde, ein besseres Zeitmanagement hätte, regelmäßig laufen, mich fitter fühlen würde, Katharina mehr hätte bieten können.

Ich nehme mein Handy in die Hand und suche nach neuen Möbeln, skandinavisches, kühles Design. Das kommt mir vor wie der erste Schritt zum Fremdgehen an meinem alten Sessel, der meinen Hintern schon mit Anfang 20 ausgehalten hat, vor Katharina, vor Hamburg, vor einem fixen Einkommen. Nichts ist für immer, mein Freund, denke ich, das musste ich auch lernen. Ich scrolle mich durch die Angebote. Gerade als ich auf einen anthrazitfarbenen Vintage-Sessel mit ausgesprochen schlanken Holzbeinen klicken will, klingelt mein Handy.

Ich erschrecke leicht, weil es so selten passiert, dass einen noch Menschen anrufen. Mich zumindest. Vielleicht ist es Katharina, die mich zurückwill? Oder irgendeine Frau, die mich will? Das wäre unwahrscheinlich, aber für meinen Selbstwert super.

Ich hatte zu lange keinen Sex mehr. Wenn es eine Frau ist, die mich anruft, werde ich versuchen, mit ihr Sex zu haben. Ich nehme ab.

»Hallo?« »Hallo Nico, hier ist die Mama.« Das ist ungünstig. »… Hi?« »Hi, sagt er. Hi. Na, wenigstens etwas.« Ich atme tief ein. »Wir hatten gestern ja zum Geburtstag gesprochen. Daher wundert mich nur, dass du heute wieder anrufst.« Pause. »… Aber ich freue mich.« »Ganz ehrlich, Nico. Manchmal ne …« Seit ich Sätze verstehen kann, habe ich diese Kombination aus Worten von meiner Mutter wahrscheinlich am meisten gehört. Die Einleitung dazu, was meine Mutter jetzt aber ehrlich mal machen wollte. Jemanden an die Wand klatschen. Durch die Mangel drehen. Sowas in die Richtung. Wir wissen beide, was sie meint. Daher macht sie sich nicht die Mühe, den Halbsatz zu beenden, sondern sendet ein genervtes Schnauben durch die Telefonleitung. Ich kann das jetzt nicht mehr geradebiegen, und das wissen wir auch beide. Wir werden das übergehen. Ist einfacher.

Ich frage möglichst freundlich: »Was gibt es denn?« »Ja, Nico. Pass auf.« Stille. »Ja?«, frage ich. »Ja, passte auf?« Silke Jankowski ist wahrscheinlich die einzige Person, die sich nach »Pass auf« vergewissert, dass man auch wirklich aufmerksam ist. Wären wir jetzt im gleichen Raum, würde sie mich zu Augenkontakt zwingen. »Ich höre zu, Mama. Was ist los?«, sage ich. »Nico, der Papa ist weg.«

Der Papa ist weg. Andere Kinder fänden so einen Satz vermutlich alarmierend. Andere Kinder haben aber auch andere Väter. Ich habe keine Nachricht zum Geburtstag von ihm erhalten, daran bin ich gewöhnt. Jetzt weiß ich auch, wieso. »Wie weg? Bei wem?« Mein Vater kennt das halbe Ruhrgebiet, und in der Regel nimmt ihn jemand auf, wenn er eine Nummer wie diese abzieht. Dann steht er ein paar Tage später wieder auf der Matte. »Diesmal ist es anders.«

Diesmal … Dass wir in dieser Familie auf verschiedene Situationen verweisen können, in denen mein Vater Reißaus genommen hat, ist schon etwas Besonderes. »Der Papa wohnt jetzt inner Laube.«

Der Papa wohnt jetzt inner Laube. Dass meine Mutter den Satz so bestimmt vorbringt, macht den ganzen Anruf noch absurder. Unsere Familie besitzt schon in vierter Generation eine Parzelle in einer Kleingartenanlage im Schmechtingswiesental. Die Schmechtingswiesen sind ein kleiner Park im Norden von Bochum. Man kann von dort den Förderturm des Bergbaumuseums sehen. Im Sommer haben wir da auch mal übernachtet, wenn es spät wurde, nach dem Grillen, oder wenn wir als Jugendliche einen Platz gebraucht haben, der nicht so überwacht war von den Eltern. Doch die Vorstellung, dass mein Vater ernsthaft in eine Schrebergartensiedlung gezogen ist, im Winter, obwohl wir ein Haus haben … also ganz ehrlich.

»Geht das denn?« »Geht das denn?! Ja ne, Nico, das geht nicht! Ist richtig peinlich, aber der Werner will da nich raus. Der hat da schon seit Wochen dran gearbeitet, jetzt macht er Ernst. Hat einiges an Ärger, aber mit mir will er da auch nicht reden.« »Mama, dann ist das vielleicht auch nicht dein Job, das zu klären.« »Das weiß ich selber. Sollen wir den Papa da jetzt drin verrotten lassen?« »Naja, verrotten … ist doch ein Trend. Minimalismus …« »Samma, dein Papa wohnt im Kleingarten! Kannste da mal ’n bisschen besorgt sein?« Wenn er hungrig wird, kommt der schon wieder, denke ich mir. Ich will sowas in die Richtung sagen, weil zynisch zu sein in der Vergangenheit irgendwie am leichtesten war, wenn es um meinen Vater ging. Mit 30 will ich nicht mehr so sein.

»Ja, tut mir leid. Ich meine halt: Wir wissen ja, wo er ist. Das ist doch schon mal gut. Und mir ist das auch nicht egal. Ehrlich.« Während ich das ausspreche, merke ich, dass es mir tatsächlich nicht egal ist. Manchmal wundert man sich. »Was soll ich denn jetzt machen?« »Du musst herkommen, Nico. Die Omma will das auch! Du musst mit dem Papa reden. Und das so schnell wie möglich.« »Ich komme doch schon über die Weihnachtstage. Ich hab schon nach Tickets geschaut.« »Früher, Nico! Wir haben hier echt n Problem mit deinem Vater.« Meine Mutter wird wahrscheinlich nie aufhören, sich zu kümmern. Und mein Vater wird nie aufhören … mein Vater zu sein. Ich schaue durch meine Wohnung, auf der Suche nach einer Ausrede, irgendeinem Einfall, und mein Blick landet auf der Schneekugel. Subtil ist anders, denke ich mir.

»Nico, was ist jetzt?« »Gut, ich komme früher, okay? Ich muss noch mit der Chefin klären, dass ich auch von zu Hause arbeiten darf.« »Danke. Wir sprechen morgen noch mal, ja? Ich hab dich lieb.« »Ich dich auch.« Sage ich. Wir legen auf. Ich sinke tiefer in den Sessel und trinke einen Schluck Bier. Der schöne Arvid hat sicher eine normalere Familie.

3.12. 17:57

Katharina

»Ja, wird auch echt früh wieder dunkel jetzt.« »Hmm, ja voll.« Ich führe das Telefonat mit Philipp nicht mal mit halber Aufmerksamkeitsleistung, während ich meinen Kühlschrank durchforste. Ich werde morgen früh den Zug Richtung NRW nehmen, und bevor ich Hamburg verlasse, will ich den verderblichen Kram wegschmeißen. Tatsächlich habe ich kaum etwas da, und ich kann mich nicht erinnern, etwas gegessen zu haben, das mehr Schritte in der Zubereitung benötigt hätte, als Milch über Müsli zu kippen.

Während ich Philipps Äußerungen ab und an bejahe, mache ich eine Bestandsaufname meiner Lebensmittel: Ich habe noch … abgelaufenen Speisequark, eine traurige Tube Tomatenmark und … eine Kartoffel. Wann zur Hölle habe ich denn mal Kartoffeln gekauft? Wollte ich da etwa kochen? Das muss vor meiner Singlephase gewesen sein. »Du, aber noch mal wegen der Teamsitzungen montags …« Philipp und ich sprechen kurz vor Feierabend, weil ich heute bei der Arbeit ausgemacht habe, von zu Hause aus zu arbeiten. Wegen einer dringenden Familienangelegenheit. Bevor sie eingewilligte, hat die Chefin erst mal gefragt, ob Philipp denn vor Ort wäre, und mich zwei Mal mit einem falschen Namen angeredet. 

»Ich schicke dir immer bis freitags um 12 meinen Plan für die nächste Woche. Ist ja klar.« Philipp brummelt irgendetwas zurück, während ich die Kartoffel genauer inspiziere. »Magst du eigentlich Kartoffeln, Philipp?« »Was?« »Kartoffeln.« »Och, also wenn man die zum Beispiel brät, dann geht das schon gut.« Wenn man die brät, dann geht das schon gut … Warum ist der Typ bei der Arbeit besser als ich? Ich werfe die Knolle in den Müll.

»Und Nico, ich bin ja auch einige Tage vor Weihnachten bei meiner Familie in Willingen. Du kannst gerne zu Besuch kommen. Ski fahren, wandern, ist vielleicht eine gute Abwechslung, so zum Ruhrgebiet, mein ich jetzt. Ist ja schön da. Gemütlich.« Willingen ist der Skiort für alle Menschen in Deutschland, die nördlicher als Frankfurt wohnen. Ich weiß nicht, ob »gemütlich« es trifft, aber Philipp liefert ja so gerne Adjektive, dass er mit Willingen sicher richtigliegt. Und tatsächlich ist das auch nicht das erste Mal, dass mich Philipp zu seiner sauerländischen Familie einlädt. Mann, der ist echt nett, bin ich auch so nett? Wahrscheinlich nicht. Ach was, bestimmt nicht. Ich bedanke mich und sage was von wenig Zeit, aber ich denke drüber nach. Mein Handy vibriert und zeigt fünf neue Nachrichten an. Philipp und ich beenden das Gespräch, bevor die Spannung nicht mehr auszuhalten ist. Schon mal eine schöne Vorweihnachtszeit, schöne Grüße und Tschüss. Die Nachrichten sind von Can.

»Alter, du kommst zurück in die Heimat, habe ich gehört? Wie kommt’s? Und wann machen wir einen drauf?« Ich muss lächeln. Can ist eine der wenigen Personen, auf die ich mich so richtig freue. Can ist zwei Jahre jünger als ich. Seine Schwester Aylin und ich sind ein Jahrgang. Can und Aylin haben mit ihren Eltern in einer Wohnung gegenüber von unserem Haus in Bochum gewohnt. Besonders Aylin und ich waren früher unzertrennlich. Wahrscheinlich hat meine Mutter mit Defne gesprochen, der Mutter der beiden, und daher weiß Can schon von meiner Anreise. Ich antworte kurz, wann ich morgen mit der Bahn komme, und schicke einige Partysmileys, ein unmotiviertes Selfie mit Daumen hoch und Doppelkinn. Das Lächeln kaufe ich mir nicht mal selber ab. Naja, bei Can ist mir das egal.

Ich weiß auch, dass er es mir nicht übel nimmt, dass ich mich so zurückgezogen habe. Can ist einfach immer positiv und vor allem loyal. Vielleicht hat er sogar schon von meinem Vater gehört, aber er will, dass ich von mir aus damit rausrücke, oder wir reden halt nicht drüber. Mir ist das Zweite lieber. Und ich weiß ja eh noch nicht, was genau los ist.

Ich will mich nach seiner Schwester erkundigen, dann entscheide ich mich dagegen. Aylin hatte Katharina und mich im Sommer noch in Hamburg besucht. Katharina hatte Geburtstag gehabt, und wir waren mit ihren Freunden Cocktails trinken gewesen. Danach haben wir noch ab und an geschrieben, dann gar nicht mehr. Aylin arbeitet neben dem Studium in der Pflege, wahrscheinlich hatte sie einfach viel um die Ohren. Sie wohnt jetzt in Dortmund, aber ich sehe sie bestimmt in den nächsten Tagen, wenn sie die Familie besucht. Can tippt eine neue Nachricht. Während ich darauf warte, scrolle ich mich durch meine Kontakte. Ich habe die Unterhaltung mit Katharina noch nicht gelöscht. Ob sie das schon gemacht hat? Vielleicht hat der fiese Arvid sie dazu gezwungen. Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich kennt der auch nicht meinen Namen, wie die Chefin heute. Ich bin einfach egal.

Mein Daumen bewegt sich in Richtung von Katharinas Namen, um »Löschen« einzuleiten. Unterhaltung wirklich löschen? Du stellst Fragen, Handy. Ich schaue mich um, als würde mich jemand in der leeren Wohnung beobachten, und drücke dann heimlich auf »Abbrechen«. Völlig bescheuert. Ich lege das Handy weg, um mit spitzen Fingern den Becher mit schimmeligem Quark in der Spüle auszuwaschen. Dann trenne ich die Papierummantelung vom Rest der Plastikverpackung und werfe beides getrennt weg. Wow, bin ich ein guter Mensch. In einer derart verdreckten Wohnung wie meiner dürfte Mülltrennung richtig albern aussehen.

Katharina war Mülltrennung wichtig. Die Umwelt generell, klar. Wir haben da einfach auch eine Verantwortung gegenüber der nächsten Generation, jaja. Ich wusste schon vor Katharina, was ein gelber Sack kann, aber wenn man durch Mülltrennen wie ein edler Ritter wirken kann, dann macht man das halt noch mal motivierter. Als ich den Quarkbecher in dem überquellenden gelben Sack verstaue, frage ich mich, ob mich Katharina vielleicht konditioniert hat. Recycling, weil uns das ja so wichtig ist. Weil wir ja an die nächste Generation denken. Ich habe mich sogar mal als Wahlhelfer gemeldet, um bei Katharina als Verteidiger demokratischer Prinzipien glänzen zu können. »Ehrlich toll, dass du das machst, Nico.«

So ein Satz und ein bewunderndes Lächeln waren dann die Belohnung ihrer operanten Konditionierung. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich monatlich an Greenpeace spende, weil wir mal von einer Abo-Fallen-Studentin in der Innenstadt angesprochen wurden und ich vor Katharina nicht mein tolles Öko-Image einbüßen wollte. Warum hat die das Abo eigentlich nicht selber abgeschlossen? Meine Selbstreflexion als rückgratlose Beziehungs-Laborratte wird durch ein lautes Scheppern unterbrochen.

Der gelbe Sack muss das Gleichgewicht verloren haben. Ist auch kein Wunder, weil ich seit Wochen allen Müll staple, anstatt ihn wegzubringen. Jetzt liegt ein Drittel davon lose am Küchenboden. Ich seufze laut, weil ich scheinbar wem auch immer klarmachen möchte, wie doof das jetzt für mich ist. Alles irgendwie. Ich packe den Müll zusammen, Bio und Plastik in einer Hand, Papier unter dem linken Arm, und lese noch Cans Nachrichten auf meinem Handy. Irgendwas von feiern und abholen und Weihnachtsparty. Ich gehe schwer bepackt aus der Küche, öffne die Wohnungstür mit dem Ellenbogen, will gerade einen Daumen-hoch-Emoji an Can verschicken. Die Tür fällt hinter mir zu, ich drehe mich um und stehe in Jogginganzug und Badelatschen vor meiner verschlossenen Wohnung. Die einzige Person, die noch einen Ersatzschlüssel hat und mir helfen könnte, ist die letzte Person, die mich heute so sehen sollte. Wenigstens weiß ich sicher, dass ich Katharinas Nummer noch nicht gelöscht habe. Was für ein Scheißtag.

Während ich den Müll runterbringe, wäge ich ab, ob eine Nacht ohne Unterkunft in Hamburg schlimmer ist, als komplett verloddert bei der Ex-Freundin antanzen zu müssen, um sich einen Gefallen zu erbitten. Wir haben noch keine Minusgrade. Andererseits brauche ich meine Sachen aus der Wohnung für Bochum, da ist auch der Arbeitslaptop noch drin. Wahrscheinlich werde ich aber sowieso bald gefeuert. Bevor ich weiter nachdenken kann, fängt es an zu regnen.

Ich laufe von den Mülltonnen rasch zurück zur überdachten Haustür. Wenn ich jetzt mit den Badelatschen ausrutsche und mir das Genick breche, muss ich Katharina heute nicht mehr anrufen. Ich beschleunige auf den letzten Metern, erreiche die Haustür unbeschadet. Auf einmal ist das Schicksal wieder auf meiner Seite. Super. Ich setze mich auf die Treppe und wähle Katharinas Kontakt an. Dann zähle ich bis zehn. Mir fällt nichts Besseres ein, um in die Wohnung zu kommen. Ich zähle noch mal bis zehn. Wieder nichts. Katharina Schöning. Ich atme ein und aus und rufe die Nummer an.

Zwei Busstationen, fünf S-Bahn-Haltestellen und elf Minuten Fußweg später stehe ich komplett durchnässt vor der Wohnung meiner Ex-Freundin in Eimsbüttel. Jetzt, wo ich es schon so weit hergeschafft habe, will ich das so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich drücke auf den Summer. Ich warte und presse willkürlich an meinem nassen Oberteil herum, als würde es davon spontan trocknen. Die Tür schnackt auf. Erdgeschoss. Erster Stock. Zweiter Stock. Meine Kondition muss schlechter geworden sein. Vierter Stock. Vielleicht macht mich auch das ganze Regenwasser so schwer, dass mich das Treppensteigen jetzt mehr fordert. Das wird es sein. Gerade als ich mich frage, warum das Haus auch keinen Aufzug hat, sehe ich: Katharina.