Glücksfunken - Margit Neidhart-Hübner - E-Book

Glücksfunken E-Book

Margit Neidhart-Hübner

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Beschreibung

3. Januar: SIE tastet einen Knoten in der Brust. Eine Zu-Mut-ung! Was bedeutet das für das eigene Lebensverständnis? Aus dem Blickwinkel der fortlaufenden Krebstherapie schaut die Autorin ein ganzes Jahr lang auf die Fülle des Lebens um sie herum. Alles kommt vor und hat seinen Platz: Lebenswille, Zweifel, Schwere, Dankbarkeit, Freude über Alltägliches, Freundschaft, die Besteigung eines Dreitausenders, die Sonnenfinsternis, runder Geburtstag, tiefes Glücksempfinden, religiöses Bedürfnis, Loslassen und Abschied. Die kurzen, poetischen Betrachtungen und Erzählungen bezeugen die Lebenskunst und das Lebensgeschenk in einer Ausnahmezeit – und geben dem Leser immer wieder den Impuls, das eigene Leben zu lieben.

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MARGIT NEIDHART-HÜBNER

Glücksfunken

Eine Jahresrunde mit Brustkrebs

Oertel+Spörer

© Oertel+Spörer Verlags-GmbH+Co. KG 2016Postfach 16 42 · 72706 ReutlingenAlle Rechte vorbehalten.

Titelbild: fotolia ©Marco2811Gestaltung: PMP Agentur für Kommunikation, ReutlingenSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-88627-773-5

Besuchen Sie unsere Homepage und informieren Sie sich über unser vielfältiges Verlagsprogramm:www.ortel-spoerer.de

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

1 DER RÜBENGEIST – EIN HEITERER ZUGANG ZUM EIGENTLICHEN

2 VOM KNOTEN ZUM KARZINOM

3 WO BLEIBT DIE HOFFNUNG?

4 MEIN SCHÖNSTES LIEBLINGSWORT VERHEISST DAS, WONACH ES KLINGT: MUT!

5 GLAUBE, HOFFNUNG, LIEBE – DIESE DREI; LICHT, LUFT, LIEBE – DIESE DREI

6 KREBS IST KEINE SCHULDFRAGE. KREBS IST EINE NEUE LEBENSFRAGE!

7 GLÜCKSFUNKEN

8 KEINE GARANTIE!

9 ANTEILNAHME

10 SONNENFINSTERNIS

11 ALLES BEKANNT – EIN MÄRCHEN FÜR ERWACHSENE

12 DIE GLÜCKSSTRATEGIE – MÄRCHEN NUMMER 2 FÜR ERWACHSENE

13 ERSTE CHEMOTHERAPIE

14 AKZEPTANZ UND REBELLION

15 ENDLICH LEBEN

16 VORSICHT GIFTIG!

17 GESUNDE ERNÄHRUNG

18 OHNE DICH …

19 AB HEUTE GEH ICH CHOCOLATE-BROWN!

20 ZWEITE CHEMOTHERAPIE – UND KEIN ENDE IN SICHT

21 CHEMO-JUNKIE

22 ZWEIFEL UND ÄNGSTE

23 HEILUNGSBEDÜRFTIG

24 ZECKE UND SÄUGETIER

25 WIESENWONNE

26 WECHSELWOCHEN

27 SENSIBILITÄTSSTÖRUNGEN

28 FREMDBESTIMMUNG

29 OBEN OHNE

30 BESCHÄMT

31 ZUVIEL DES GUTEN!

32 SCHWERE

33 CHEMO-SÜLZE IM HIRN

34 LETZTE CHEMOTHERAPIE

35 GESCHAFFT!

36 HEILE, HEILE, SEGEN …

37 GIPFELSTURM

38 ZU FEIGE!

39 AM MEER!

40 STRAHLENTHERAPIE

41 SO VIEL LICHT FÜR MICH!

42 RUNDER GEBURTSTAG

43 FÜNFZIG JAHRE LEBEN!

44 AUSGETRICKST UND STINKEWÜTEND

45 LOSLASSEN!

46 NEUE LEBENSSTUFE

47 EIGENSINN

48 GELENKSCHMERZEN

49 SCHWERBEHINDERT

50 PHILOSOPHISCHER HERBST

51 TOTENGEDENKEN

52 STRAHLENTHERAPIE ADE!

53 ICH GEH MIT MEINER LATERNE …

54 ALLTAGSGLÜCK

55 ANTIHORMONTHERAPIE MIT WEITBLICK

56 DER PORTKATHETER KOMMT WEG!

57 FLOCKENTREIBEN

58 ÜBERRASCHUNG!

59 FREUNDIN IN DER NOT

60 GESCHENKTE ZEIT

61 INDIREKTE BOTSCHAFT

62 MEHR UND WENIGER!

63 SELBSTHEILUNGSKRÄFTE

64 LEBENSKONSTRUKT

65 NEBENWIRKUNGEN UND WIDERSTREBEN

66 DAS LICHT EINER KERZE IST IM ADVENT ERWACHT …

67 GENETISCHE BERATUNG

68 ENTSCHEIDUNG

69 SIMPLICITY – DIE KUNST DES WEGLASSENS

70 FÜRCHTE DICH NICHT …!

71 FROHE BOTSCHAFT

72 FAMILIENBANDE

73 DIE KURVE KRIEGEN

74 VOILÀ

75 VON GUTEN MÄCHTEN WUNDERBAR GEBORGEN …

76 365 TAGE LEBEN MIT KREBS

NACHWORT

VORWORT

Siebzigtausend Frauen erkranken jährlich in Deutschland an Brustkrebs. Jede einzelne dieser Frauen erlebt auf ihre Weise die Konfrontation mit einer Krankheit, die ihr Leben verändern wird. Alle haben sich unerwartet mit großen Ängsten und Fragen auseinanderzusetzen: Wie ernst ist die Erkrankung? Was sind meine Aussichten? Wie werde ich, wie werden meine Angehörigen damit fertig?

Die Fragen mögen vielfach dieselben sein, die Antworten sind ganz individuell. Jede Frau muss ihren ganz eigenen Weg durch die Krankheit und den oft komplizierten und anstrengenden Ablauf von Diagnose und Therapie finden.

Die Medizin hat inzwischen erkannt, dass die Behandlung von Brustkrebs sich nicht auf die operative, medikamentöse oder Strahlentherapie beschränken darf: Es kommt kommt für die Ärztinnen und Ärzte vielmehr darauf an, jede Patientin in ihrer individuellen Lage ganzheitlich zu verstehen, zu beraten und zu behandeln. Eines kann die Medizin jedoch nicht: Sie kann der Patientin nicht die ureigene Auseinandersetzung mit ihrer bedrohlichen Erkrankung abnehmen.

Ich habe als behandelnder Arzt viele Frauen erlebt, die ihre Erkrankung als Herausforderung, ja als Chance begriffen haben. So wie die Autorin dieses Buchs: Nach der Diagnose und ihren beiden Operationen macht sie sich daran, sich intensiv mit sich selbst, ihrer Trauer und ihren Ängsten auseinanderzusetzen. Und sie arbeitet an ihrer Hoffnung und der Zuversicht, »dass alles gut und richtig ist mit mir …, dass alle Verletzungen, Brüche und Fehlschläge in der Vergangenheit genauso zu meinem Lebensfluss gehören wie die Wechselbäder von eigenem Tun und Lassen in der Zukunft.« Die Offenheit, mit der die Autorin sich diesen Fragen stellt, sind beeindruckend, ebenso die Energie, mit der sie inmitten großer Belastungen und – wie sie schreibt – »extremer Gefühle« gemeinsam mit ihrer Familie ihren Lebenswillen und ihre Balance bewahrt und vielfach neu erringt.

Ich wünsche der Autorin Leserinnen, die sich anregen und ermutigen lassen, ihren ganz eigenen Weg trotz und mit der Krankheit zu finden, sodass sie wie die Autorin von sich selbst sagen können: »Es wird einmal in ferner Zukunft rückblickend schon der richtige Weg gewesen sein, mein persönlicher Weg, ganz bescheiden eigen, nicht so wie ein anderer, es ist ja auch meiner.«

Prof. Dr. Diethelm WallwienerÄrztlicher Direktor

Department für FrauengesundheitUniversitäts-Frauenklinik Tübingen

Krebs: Und täglich übe ich mich in Gelassenheit und Heiterkeit. Man könnte auch sagen, es ist eine tägliche Übung in Geduld, im Loslassen und Überlassen und in der Stärkung des Willens: Ich schaff das!

1 DER RÜBENGEIST – EIN HEITERER ZUGANG ZUM EIGENTLICHEN

10. 3. 2015 – Ich habe Brustkrebs! Und mit mir noch 70000 weitere Frauen jährlich in Deutschland. Seit Jahresbeginn bin ich mit meinem Brustkrebs konfrontiert – und jetzt weiß ich auch wozu: Damit ich schreibe! Klingt absurd, aber die unvermeidliche menscheneigene Suche nach einem Sinn – wozu und wofür – hat meinem Lebenstraum Raum und Aussicht geschaffen. Ich schreibe, so wie sich manch andere Frauen (und auch Männer) mit dieser niederschmetternden Diagnose im Laufe ihrer Erkrankung neue Wege erschließen: Die einen gehen mehr nach innen oder nach außen, andere fangen von vorne an, beruflich oder privat, oder beginnen sich künstlerisch oder sozial zu verwirklichen – und ich schreibe!

Endlich, endlich erlaube ich mir, mich hinzusetzen und meine Worte zuzulassen. Das, was innerlich drängt, nun heraus und Gestalt annehmen zu lassen. Das hat etwas mit Wertschätzung zu tun: Meine Worte gleichzusetzen mit anderen geschriebenen Zeichen. Ihnen eine Chance geben, ohne sie von vorneherein zu beurteilen oder gar zu verurteilen, sondern meine eigenen Gedanken als persönlichen Ausdruck anzuerkennen. Warum sollte das, was in mir brennt, weniger Energie haben als das, was ein anderer Mensch aufs Papier bringt? Für mein persönliches Lebensglück wird es bahnbrechend sein und in seiner Authentizität vielleicht auch andere Menschen berühren. Mit Heiterkeit und Tiefgang, mit Ehrlichkeit und Hoffnung.

Eine frühere Bekannte betonte einmal, dass sie keine Literatur – außer die Tageszeitung – lese, weil sie das, was jemand in seinem kranken Hirn fantasiert, nicht wissen möchte! Nun habe ich zwar kein krankes Hirn, aber eine kranke Brust. Fast könnte man Mitleid bekommen: Da ist etwas gewachsen, was primär nicht dort hingehört. Wie auf einem Acker – so stelle ich mir das vor – wo inmitten guter Kartoffeln ein dicker Rübengeist Platz nimmt, sich aufplustert, aber auch seine unförmigen Lachgesichtszähne zeigt und leuchtet, wenn man eine Kerze in den ausgehöhlten Leib stellt. Und das ist im Prinzip auch geschehen: Eine Ärztin hat meinen Rübengeist herausgeschnitten, eine Pathologin hat ihn ausgehöhlt und begutachtet und in einer Tumorkonferenz haben sie ihn von allen Seiten und auf allen Ebenen ausgeleuchtet – Deckel auf, Kerze rein, Deckel zu – und ihn mir dringend ans Herz gelegt: Für Sie, machen Sie was draus, nehmen Sie ihn ernst; wir gehen davon aus, dass er der Einzige bei Ihnen ist, das haben die Ganzkörperuntersuchungen gezeigt: Der Ultraschall der inneren Organe (Hörst du mich?), das Röntgenbild der Lunge (Siehst du mich?) und das Szintigramm der Knochen (Trägst du mich?). Hallo? Aber hallo – ein bisschen Leichtigkeit darf doch sein bei all der Tragik!

Manchmal wird mir erst bewusst, dass ich (potenziell betrachtet) sterbenskrank bin, wenn ich die Zuwendung von lauter lieben Menschen um mich herum entgegennehme, die vielen Segenswünsche und Energiebündel, die sie mir schicken und überreichen mit dem Zuspruch: »Du schaffst das! Wir denken an dich! Ich schließe dich in mein Gebet ein!« Ein Satz, den ich vorher selten im Zusammenhang mit mir gehört habe. Meine Freundin Karin hat extra wieder angefangen zu beten, hat sie gesagt, wegen mir! Vielleicht habe ich deshalb diesen Brustkrebs: Damit ich erfahre, von wie vielen Engeln ich eigentlich umgeben bin, ja wirklich!

Genau genommen sind solche Engel ganz unscheinbar, verborgen, nicht unbedingt explizit religiös. Aber wenn der Engel in uns gerufen wird, wenn er angerührt wird durch den ständig wiederkehrenden Gedanken an einen bestimmten Menschen, dann richtet er sich auf und agiert. Diese stumm rumorenden Gedenktiraden bündeln sich zu einem Kraftfeld, das ich nun in meiner Erkrankung spüren kann, weil es sich wärmend um mich breitet und mich durch die Stunden trägt, wo meine Sterblichkeit anklopft und wie ein Krimitrailer mit Bildern aufwartet, die mich vor Entsetzen fast lähmen. Sie sind alle da – mehr als ich erwarten durfte, Freunde von früher, von gestern, von heute.

Was für ein Geschenk des Himmels! Da wird mir doch ganz leicht ums Herz, wenn mich der Rübengeist herausfordernd anlächelt. Was die geistige Welt – ich glaube daran – nicht alles aufbietet, um mir zu helfen! Wie unendlich wunderbar und zauberhaft – DANKE!

Liebe Gedanken sind heilende Wärmeströme.

Ein lieber Gedanke ist heilende Wärme.

Ein lieber Gedanke ist Wärme.

Ein lieber Gedanke heilt.

Gedanken als Wärme.

Liebe heilt.

Danke.

2 VOM KNOTEN ZUM KARZINOM

11. 3. 2015 – Als ich am dritten Januar diesen Jahres einen himbeerförmigen Knoten in der Nähe des Brustbeins tastete, war ich nicht etwa schockiert, eher überrascht, und ich dachte an nichts Schlimmes: Der Knoten ließ sich bewegen, also konnte er wahrscheinlich nur gutartig sein, nach allem was ich laienhaft zuvor gehört hatte. Außerdem war das Signal meiner inneren Stimme eindeutig: alles gut, allesgut! Auch mein Mann Ralf schob den Gedanken an etwas Ernsthaftes auf die Seite. Dass vielleicht eine Operation anstünde, war mir aber sofort klar, vielleicht weil ich mir auch wünschte, diesen Bobbel so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Beängstigend war nur, dass diese Beere sich innerhalb der nächsten vier Tage bis zum ersten Praxis-Öffnungstag meines Gynäkologen nach Dreikönig weiter vergrößerte und im ersten Ultraschallbild bereits beachtliche 1,7 cm ausmaß. Bei der Mammografie am dreizehnten Januar war der Knoten schon auf 2,7 cm gewachsen, fühlbar schnell und auch schmerzhaft, weil gewebeverdrängend. Da lag die Biopsie des Brust- und angrenzenden Lymphgewebes schon drei Tage hinter mir. Am selben Tag wurde uns dieser Knoten in einem sensiblen Arztgespräch als bösartiger Tumor vermittelt – als Karzinom.

Bis dahin war ich zehn Tage lang wie in einen schützenden Kokon gewickelt durchs Leben gelaufen. Das war eine besondere Zeit – etwas Außerordentliches war geschehen! Ich werde nie vergessen, wann und wo ich den Knoten erspürt habe: Beim Abrubbeln nach dem Duschen. Er war plötzlich da, einfach so. Hier bin ich und lasse mich auch nicht wegreiben! Es war von der ersten Sekunde an unglaublich, was der Tastsinn meinem Verstand vermittelte: hoppla, na sowas! Dass dieser Tastbefund Krebs sein könnte, war nur eine diffuse Ahnung, eigentlich ausgeschlossen. Ich wollte mich nicht so schnell ins Bockshorn jagen lassen, hatte keine Angst, auch keine Panik. Alle Familienmitglieder wurden erstmal beruhigt: Das wird schon nichts Schlimmes sein! In ruhigen Minuten richtete ich den Blick nach innen, um meine seelische Befindlichkeit zu erspüren und da war nur dieses verheißungsvolle Vakuum, das mit jedem Anfang einhergeht: Es kam etwas Neues auf mich zu mit diesem Knoten, was auch immer es war und letztendlich bedeutete. In diesen ersten zehn Tagen in meinem Leben mit Krebs war ich von einer inneren Gelassenheit und Ruhe – fast schon unerhört!

Das änderte sich mit der Karzinomdiagnose, zumal auch drei von achtzehn Lymphknoten als bösartig befunden worden waren. Krebs, wurde mir erklärt, gilt immer als systemische Erkrankung – als eine, die das ganze Körpersystem betrifft, auch wenn sich der Tumor nur an einer Stelle lokalisiert und manifestiert hat. Folglich bestand die Möglichkeit, dass sich die Tumorzellen schon über die Lymphwege in meinem Körper verteilt und an anderen Stellen Metastasen gebildet haben könnten, was sich aber in den Kontrolluntersuchungen als negativ herausstellte. Gott sei Dank! Nach allem, was ich aus den vielen Informationen extrahiert hatte, war das für mich, aufs Wesentliche reduziert, eine wichtige Weichenstellung: Mit Metastasen würde der Weg eher in Richtung einer Eindämmung gehen, ohne Metastasen in Richtung Heilung. Was für eine Erleichterung! Heilung war bei mir zumindest möglich – immerhin – und das war von nun an die Zielvorgabe für alle: für mich und für die Ärzte! Nach einer Tumorkonferenz wurde mir eine maßgeschneiderte Therapie empfohlen: Operation – dosisdichte Chemotherapie mit ETC (Epirubicin, Taxol, Cyclophosphamid) – hochdosierte Strahlentherapie – 5 Jahre Antihormontherapie. Wie wichtig doch die medizinische Aufklärung und ein Handlungsplan sind! Auf einen Schlag fühlte sich alles nicht mehr so schwer an, von erhellender Klarheit entlastet: Wenn es sein muss, dann mach ich das und dann schaff ich das! So Gott will!

3 WO BLEIBT DIE HOFFNUNG?

In der Zeit der Ungewissheit müsste doch der Glaube greifen, der Glaube daran, dass es richtig ist, was wahr wird.

12. 3. 2015 – Nach zwei Operationen – nach der ersten brusterhaltenden Entfernung des mittlerweile auf 3,7 cm angewachsenen Tumors am dritten Februar, also genau einen Monat nach meinem Tastbefund, und nach einer weiteren Operation (Resektion) mit einem Endergebnis von 4,7 cm Krebsgewebe wieder einen Monat später am zweiten März – darf ich doch auch einmal klagen! In Selbstmitleid zergehen! Dass ich überhaupt mir selbst gegenüber das Jammern und die aufsteigenden Tränenimpulse – entgegen allen (gut gemeinten) Durchhalteparolen – so freimütig zulasse, ist nicht leicht. Dass mein Schönwettergesicht wie ein Karamelltoffee auf der Zunge zerschmilzt, sobald ich meine Angst und Niedergeschlagenheit einem Zuhörer weitergebe und ihn damit belaste, kommt manchmal einer Demütigung gleich. Ich bin nicht gerne bedürftig – nach einem wertschätzenden Gegenüber zum Beispiel, der mich TROTZ ALLEM als liebenswert erachtet. Bedürftig nach Zärtlichkeit, nach Worten des Mitgefühls und der Aufmunterung. Oh, wie ich das jetzt aber brauche!

Wenn ich im Gespräch, ganz öffentlich – nicht abgeschieden und alleine – schluchze und weine, wenn ich unüberhörbar meine Wenigkeit (gemessen an der Weltmenschenmasse) bedaure, dann fühle ich mich so sehr an die interpretationsbeladenen großen christlichen Gesten der Barmherzigkeit und Gnade und Erlösung erinnert, dass ich innerlich nur beschämt und demütig flehen kann: »Jesus Christus, bitte hilf mir, mein Kreuz zu tragen!«

Am Ende einer Trauerwelle wirkt meistens der Überlebenskünstler in mir. Dieser Mechanismus ist wirklich erstaunlich und ich möchte ihn gerne jedem wünschen: Das Bündlein Mensch, das ich bin, adaptiert an die neuen Lebensbedingungen, pendelt und lotet die Möglichkeiten und den Radius der verbliebenen Selbstverwirklichung aus und findet sich nach einer Weile damit ab, bestenfalls damit zurecht. Dann schaut es sich um und stellt fest, dass es noch Parallelgeschichten gibt und solche, die das Selbstmitleid verbieten, weil hier das Empathie-Vermögen gefragt ist. Wenn zum Beispiel eine andere Frau eine Wirklichkeit erlebt, die über meine eigene Vorstellungskraft hinausgeht und mich so sehr berührt, dass es mir das Herz zerreißt. Dann kann ich die Schleusen öffnen und heulen, wohlgemerkt nicht wegen meines eigenen Dramas, sondern wegen des Entsetzens über die Tragik eines viel schlimmeren Schicksals.

Wenn ich an Andrea denke, die schon zwei Jahre zuvor alles durchgemacht hat, was im Zusammenhang mit Brustkrebs an Therapiemaßnahmen angeboten wird, und die ein Jahr später nun mit Metastasen in Lunge, Leber und im Knochenmark kämpft, dann kann ich klagen! Klagen um diese junge Frau mit ihren zwei kleinen Mädchen, die selbst so erbarmungswürdig positiv bleibt, so hoffnungsvoll stark und zuversichtlich. Da läuft mir das Herz über vor Mitgefühl und Unmut über die Unverhältnismäßigkeit der Lastenverteilung in den menschlichen Lebensläufen und ich könnte schreien. Das wird ihr nicht helfen, ich weiß, deshalb versuche ich, sie im gemeinsamen Klinikzimmer zu erheitern, damit etwas mehr Licht in ihre verbleibende Lebenszeit hereinfluten kann.

4 MEIN SCHÖNSTES LIEBLINGSWORT VERHEISST DAS, WONACH ES KLINGT: MUT!

13. 3. 2015 – Man beginnt mit dem gepressten, verschlossenen Lippenlaut M, überwindet dieses Gedrückte entschlossen und schwungvoll zum offenen, tiefen, aufmunternden und weichen U, um schließlich leidenschaftlich, furchtlos und froh ins T zu explodieren.

Mut steht für den Wandel in meinem Leben – und nicht nur in meinem eigenen: In der Klinikzeit vor und nach den zwei Operationen habe ich so viele starke Frauen kennengelernt, die ich mit Mut verbinde:

Anmut: »Ohne Haare kann man richtig schön sein!« (Andrea)

Großmut: »Er hat MICH geheiratet, nicht meine Brüste!« (Lydia)

Hochmut: »Selbstverständlich geh ich mit Chemo arbeiten.« (Claudia)

Langmut: »Ich sage mir mit jedem Tag: Ich bin noch da!« (Anita)

Frohmut: »Die Narbe schaut gut aus, richtig ästhetisch!« (Silvia)

Unmut: »Erst der Scheidungskrieg und jetzt das!« (Birgit)

Missmut: »Ich habe vom Kortison schon 10 Kilogramm zugenommen.« (Ute)

Übermut: »Keine Schmerzen, null Komma nichts!« (Hildegard)

Freimut: »In was für einem Horrorfilm bin ich da aufgewacht!« (Anke)

Sanftmut: »Alles hat auch sein Gutes!« (Martina)

Demut: »Ich kann nur beten, das ist meine letzte Chance!« (Heidrun)

5 GLAUBE, HOFFNUNG, LIEBE – DIESE DREI; LICHT, LUFT, LIEBE – DIESE DREI

14. 3. 2015 – Licht, Luft und Liebe sind das beste Rezept für eine gute Genesung! Haben die Ärzte gesagt – und mein gesunder Menschenverstand. »Gehen Sie raus an die frische Luft, lassen Sie das Tageslicht auf Ihren Körper wirken, Vitamin D wird gebildet, Ihr Immunsystem wird gestärkt und durch die Endorphin-Ausschüttung bleiben Sie positiv gestimmt.«

Mache ich gerne! Mit den Walkingstöcken laufe ich langsamen Schrittes los Richtung Wiesen und Wald. Die OP-Wunden tun noch weh und der Arm, in dessen Achselbereich die Lymphknoten entnommen wurden, mein Lymph-Arm, ist klumpig schwer, aber es geht! Manchmal kostet es mich Überwindung, durch die Straßen zu laufen und vermeintliche Blicke auf mir zu spüren: Hat die nichts anderes zu tun? Darum nehme ich die Nordic-Walking-Stöcke mit, auch wenn ich sie schonungsbedingt nicht richtig handhaben kann, sozusagen als Daseinsberechtigung auf den Wegen. So ohne Hund oder Kinderwagen oder Einkaufstasche durch die Gegend zu spazieren fühlt sich immer noch komisch an (das will ich dringend ablegen), obwohl dahingehend ein Wandel stattgefunden hat. Musste man vor wenigen Jahren wohl krank sein, wenn man ohne Grund