Glückskatz - Kaspar Panizza - E-Book

Glückskatz E-Book

Kaspar Panizza

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Beschreibung

Das Ableben des zwielichtigen Abmahnanwaltes Hasso von Käskopf gleicht zwar einer Hinrichtung, löst in München aber Genugtuung aus. Ein weiterer mysteriöser Mord - und schon spricht man in der Stadt von einem Serienmörder, der Recht und Gesetz in die eigenen Hände nimmt. Viele Verdächtige erschweren Steinböck und seinem Team die Arbeit. Dann taucht plötzlich, zu Frau Merkels Missfallen, eine winkende Porzellankatze aus Japan mit einer geheimnisvollen Botschaft auf. Jetzt ist Steinböck wirklich gefordert.

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Kaspar Panizza

Glückskatz

Frau Merkel und der Racheengel

Zum Buch

Rache ist süß Der Mord an dem zwielichtigen Rechtsanwalt Hasso von Käskopf gleicht einer Hinrichtung. Dennoch stößt sein Ableben in München auf ein gehöriges Maß an Genugtuung und Zustimmung. Als Abmahnanwalt hatte Käskopf sich viele Feinde gemacht, mehr als für einen einzelnen Menschen zuträglich sind. Als ein weiterer Mord an einem dubiosen Schrotthändler verübt wird, spricht man in der Stadt von einem Serienmörder, der Recht und Gesetz in die eigenen Hände nimmt. Steinböck ermittelt fieberhaft. Aber auch privat herrscht Trubel um Steinböck. Die Hausgemeinschaft plant ein großes Fest, und Steinböck beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit der schönen Anna Maria, sehr zum Unmut von Frau Merkel. Logisch, dass sich die Katze kleine, aber gemeine Spitzfindigkeiten gegenüber dem Kommissar nicht verkneifen kann. Als dann noch ein mysteriöses Paket mit einer winkenden Glückskatze und einer geheimnisvollen Nachricht aus Japan eintrifft, ist es um Frau Merkels Zurückhaltung geschehen. Das Viech muss weg.

Kaspar Panizza wurde 1953 in München geboren. Den Autor, der aus einer Künstlerfamilie stammt, prägten Arbeiten seines Vaters, eines bekannten Kunstmalers, sowie die Bücher seines Urgroßonkels Oskar Panizza. Nach dem Pädagogik-Studium machte Panizza eine Ausbildung zum Fischwirt, erst später entdeckte er seine Liebe zur Keramik. Nach abgeschlossener Ausbildung mit Meisterprüfung arbeitete er zunächst als Geschirr-Keramiker und später als Keramik-Künstler im Allgäu. 2004 übersiedelte er nach Mallorca, wo er eine Galerie mit Werkstatt betrieb und zu schreiben begann. Seit 2009 lebt Kaspar Panizza in Ribnitz-Damgarten an der Ostsee, wo er zusammen mit seiner Ehefrau bis 2018 ein Keramik-Atelier führte. Seither widmet er sich ganz dem Schreiben.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Lolame / pixabay.com und © Digitalpress / fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5980-1

Widmung

Für meine liebe Frau und meine Kinder Elias, Isabelle, Lena und Felix. Und für alle meine Fans, die sich schon auf dieses Buch freuen.

Und natürlich für Frau Merkel, auf deren ausdrücklichen Wunsch an dieser Stelle darauf hingewiesen werden soll, dass dieses Buch Produktplatzierungen enthält.

Sonntag

Hasso Käskopf schaute selbstverliebt in den Spiegel. Mit einer Pinzette zupfte er noch mal seine Augenbraue nach. Dann drückte er die Nasenflügel nach innen und suchte nach Mitessern, bevor er sich mit dem gleichen Zeigefinger affektiert die Zähne putzte. Schließlich überprüfte er an dem seitlich angebrachten Schminkspiegel das Haartransplantat und lächelte selbstzufrieden. Da hatten sich die 5.000 Euro rentiert, auch wenn er noch nicht sicher wusste, ob sein Körper es nicht abstoßen würde.

»Durch und durch ein schöner Mann«, stellte er fest und wischte sich noch ein paar imaginäre Fussel vom Kragen. Natürlich war er eitel, aber er war davon überzeugt, dass nur schöne Menschen wirklich erfolgreich sein konnten. Außerdem liebte er es, jungen Frauen zu imponieren.

»Je jünger, desto dümmer«, flötete er seinen Wahlspruch vor sich hin. Es gab aber nur wenige, bei denen er landen konnte. Deswegen beruhigte er sein Ego, indem er vorgab, besonders wählerisch zu sein. Je mehr Geld, desto mehr Einfluss, desto mehr Macht. Er war jetzt 68, sah aus wie 50 und fühlte sich wie 25. Und er hatte ein großes Vorbild. Donald Trump. Er verehrte diesen Mann. Weil er ein Blender war. Trump erklärte den Menschen, dass sie Vollidioten seien, und dafür liebten sie ihn. Und ein Teil seiner Mitmenschen war nicht anders. Nur wollte Käskopf nicht ihre Liebe, sondern ihr Geld. Die Geschäfte liefen gut, um nicht zu sagen blendend. Nicht gerade typisch für eine Anwaltskanzlei. Er kannte Kollegen, die kämpften, die jeden Falschparker vertraten. Aber er, er hatte zehn Angestellte, ein Büro mit eigenem Bad, eine Villa in Bogenhausen und ein Haus am Gardasee. Hasso Käskopf hatte es geschafft.

Es klingelte an der Tür. Heute war Sonntag. Die Kanzlei war geschlossen. Käskopf schaute auf seine goldene Rolex. Er erwartete niemanden und überlegte, das Klingeln zu ignorieren. Aber eitle Menschen sind neugierige Menschen und so entschloss er sich die Tür zu öffnen. Ein verhängnisvoller Entschluss, wie sich bald herausstellen sollte.

»Sie!«, sagte er verblüfft. »Was wollen Sie?«

»Ich bin gekommen, um Sie zu töten.«

*

Als Mojo Guambo am Sonntagmorgen in München aus dem Flugzeug stieg, sog er tief die Luft ein. Der leichte Geruch nach Kerosin störte ihn nicht. Ganz im Gegenteil, seit Monaten hatte er nicht mehr derart saubere Luft eingeatmet. Mojo Guambo war Student an der HFF, Hochschule für Film und Fernsehen. Er war jetzt 23 Jahre alt und lebte seit 15 Jahren in Deutschland. Damals hatte ihn das Ehepaar Guambo aufgenommen und adoptiert. Als er 18 war, starben beide bei einem Lawinenunglück in den Alpen. Mojo, der gerade Abitur gemacht hatte, bestand die Aufnahmeprüfung für die HFF. Hätte er damals allerdings nicht die von Domeniks, ein älteres Ehepaar, und deren Ziehtochter Maxi Müller kennengelernt, wäre sein Studium nie möglich gewesen. Die Domeniks hatten dafür gesorgt, dass er eine kostenlose Wohnung in ihrem Haus bekam, und sie hatten ihn umhegt wie ihren eigenen Sohn.

Jetzt war er zurück und er freute sich, sie endlich wiederzusehen, auch wenn die angekündigte Willkommensparty am Wochenende nicht in seine momentane Stimmungslage passte. Das letzte Semester hatte er in seiner alten Heimat Ghana in der Hauptstad Accra verbracht, besser gesagt: auf der größten Müllhalde für Elektroschrott in Westafrika. Er hatte dort zusammen mit seinem Kommilitonen Ulf Heisler einen Dokumentarfilm für seine Abschlussarbeit an der HFF gedreht. Das leise Rattern der S-Bahn, die grünen Wiesen, all die sauberen Häuser und die Bäume voller Obst, die vorbeihuschten, nahm Mojo mit Genugtuung auf.

»Hier bin i dahoam«, sagte er leise und zog seinen Rucksack näher zu sich heran. Dann dachte er an die zurückliegenden Monate, und Übelkeit kam in ihm auf. All die Kinder, die mit wunden Knien auf schmutzigen Styroporplatten kniend aus verbrannten Laptops und PCs das Silber, Kupfer, Aluminium und Zinn herauslösten. Von Glas und scharfen Metallteilen waren Hände und Arme voller Schnitte und Wunden, meist entzündet und eitrig durch all die Gifte und den Dreck, in dem sie wühlten. Und über alldem lag eine hochgiftige Wolke aus Schwefel und schwarzem Qualm, ausgelöst durch brennende Kabel, Kühltruhen, Drucker, Computer und Autoreifen. »Toxic City«, wie sie es nannten, einer der giftigsten Orte der Welt. Mit mehr als 5.000 Menschen, die dort arbeiten, die meisten davon Kinder.

Die Einfahrt der S-Bahn unter die Erde riss ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Die Lichter im Waggon flackerten kurz, bevor sie angingen, und er wusste, dass es nicht mehr weit war. Nächste Station: Hauptbahnhof, umsteigen in die U-Bahn und dann endlich daheim.

*

Montag

Es war die Sonne, die Steinböck an diesem Sommermorgen weckte. Offenbar hatte er die Vorhänge nicht ausreichend zugezogen. Die Katze lag am Fußende und blinzelte ihn an.

»Morgen, Frau Merkel«, sagte er gut gelaunt und schwang elegant die Füße aus dem Bett.

»Denk dran, du bist nicht mehr der Jüngste, du solltest auf deine Bandscheibe achten«,meinte sie, streckte sich ausgiebig, formte einen Buckel und sprang vom Bett. »Ich geh dann mal Emil wecken«, rief sie, bevor sie durch den Wintergarten die Wohnung verließ.

»Emil Mayer junior, Neger, Rollstuhlfahrer und 60er-Fan«, wie er sich selbst vorzustellen pflegte, war Steinböcks junger Kollege. Er war Anfang 30 und wohnte seit drei Wochen in der Nachbarwohnung, Steinböcks ehemaligem Domizil. Steinböck hatte sie ihm besorgt, nachdem Emils Wohnblock luxussaniert wurde und man dazu als Erstes den Lift austauschen wollte. Eigentlich sollte die Wohnung für Maxi Müller freibleiben, aber weil die noch ein paar Jahre in der Giesinger JVA für Frauen sitzen würde, hatte das Ehepaar von Domenik sofort zugestimmt, als es von Emils Notlage hörte.

Steinböck hatte sich einen Kaffee gemacht und flegelte sich in seinen Korbsessel. Das Tabakpäckchen Schwarzer Krauser auf den Knien, drehte er sich eine Zigarette. Der Sommer war da und eine Menge der Pflanzen, hier in seinem Wintergarten, blühten und wuchsen wie verrückt. Steinböck hatte keine Ahnung von Topfpflanzen, aber die Pflegeanweisungen von Maxi Müller funktionierten vorzüglich und inzwischen hatte er seinen Spaß daran.

»Morgen, Chef, kann ich reinkommen?«, rief Emil.

»Freilich, magst an Kaffee?«

»Gern, i mach man scho selber, moagst auch noch einen?«

Steinböck verneinte und beobachtete Emil, wie der mit dem Rolli, die Katze wie immer vorne auf seinen Knien sitzend, geschickt durch den Wintergarten kurvte. Die von Domeniks hatten vor Emils Einzug sämtliche Schwellen im Erdgeschoss rollstuhlgerecht umbauen lassen. Die Katze kam zurück und machte es sich wie immer in dem Kübel mit den Marihuanapflanzen bequem.

»So schlecht kann des Zeug nicht sein, wenn du dich da immer nei legst«, brummte der Kommissar.

»Ja, nur schade, dass du die Blüten und Blätter immer auf den Kompost wirfst, wo es doch genug notleidende Interessenten auf der Straße gäbe.«

»Bloß komisch, dass am nächsten Tag von dem Zeug nichts mehr da ist«, sagte er streng.

»Glaubst du wirklich, dass ich mich abends an die Ecke stell und es an die Kids verhökere?«

Steinböck winkte ab, er merkte selbst, welchen Blödsinn er erzählte. Das war wohl seinem schlechten Gewissen geschuldet, weil er die Pflanzen immer noch nicht entsorgt hatte. Aber er meinte, sie hätten ihre Chance verdient. Schließlich konnten die Pflanzen ja nichts für die staatlich bayerische Haschisch-Paranoia. Inzwischen kam Emil zurück. In der einen Hand den Kaffeebecher, mit der anderen vorsichtig den Rolli bugsierend.

»Ich hätt dir den Kaffee auch machen können«, sagte Steinböck, als Emil neben ihm den Pot auf den Korbtisch stellte.

»Ich sitz zwar im Rollstuhl, aber ansonsten bin i ned bled«, antwortete Emil patzig.

»Ist schon gut«, sagte Steinböck beschwichtigend.

»Tut mir leid, aber da bin ich empfindlich. Ich weiß schon, dass du es bloß gut meinst.« In diesem Moment klingelte Emils Handy.

Nach dem kurzen Gespräch wandte Emil sich vorwurfsvoll an Steinböck: »Es war die Ilona, sie kann dich mal wieder nicht erreichen.«

Steinböck tastete die Hose ab und suchte nach seinem Smartphone. Umständlich zog er es heraus und sagte: »Schmutzleer. Was ist los?«

»Mir hätten a Leich, in der Maximilianstraß 48, im sechsten Stock. Die Ilona ist schon dort. Ich fahr dann besser ins Präsidium. Soll ich die Katz mitnehmen?«, fragte Emil.

Wenn sie nach Steinböcks Meinung sonst nicht viel Vernünftiges von sich gab, hatte die Katze doch einen erstaunlichen Riecher dafür, ob jemand ermordet worden war. »Eindeutig Mord?«, fragte er deshalb nach.

»Sieht aus wie eine Hinrichtung, sagt die Ilona.«

»Gut, ich nehm sie trotzdem mit.«

Der Kommissar verließ gerade die Wohnung, als draußen schon Emils aufgemotzter Golf vom Hof fuhr. Auf dem Gang kamen ihm ein junger, groß gewachsener Schwarzer und eine weiße Frau mittleren Alters mit schulterlangen kastanienbraunen Haaren entgegen.

»Sie müssen Kommissar Steinböck sein«, sagte der junge Mann und zeigte eine Reihe funkelnd weißer Zähne. »Mein Name ist Mojo Guambo, ich wohne im zweiten Stock und bin gestern aus Afrika zurückgekommen.«

Der Kommissar schob Frau Merkel auf den linken Unterarm und reichte ihm die Hand.

»Schön, Sie zu sehen, Amely hat mir schon viel von Ihnen erzählt.«

»Auweh, sakra, wie deppert von mir. Darf ich vorstellen? Anna Maria Becker, meine Dozentin für Dokumentarfilm«, antwortete Mojo im perfekten Münchner Slang.

Steinböck reichte der Frau die Hand und sah ihr nun das erste Mal ins Gesicht. Und dann war er plötzlich da, der Mann mit dem großen Hammer. Solche Augen hatte er noch nie gesehen! Er spürte, wie er in dem tiefen Grünblau versank. Der schmerzhafte Kontakt mit den Krallen der Katze brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Immer noch hielt er die Hand von Anna Maria Becker in der seinen und auch sie machte keinerlei Anstalten, sie ihm zu entziehen. Ihr Lächeln war wie ein Schlag in die Magengrube, was natürlich ein idiotischer Vergleich war, denn da war nichts, was schmerzte, selbst die Krallen von Frau Merkel spürte er nicht mehr. Ihm blieb einfach die Luft weg. Aber eins war ihm klar: Er musste hier weg.

»Angenehm«, stammelte er mit krächzender Stimme. »Tut mir leid, ich muss, eine Leiche in der Maximilianstraße.«

Und dann verschwand er eilig durch die Haustür.

*

Steinböck wusste, dass es kein gutes Zeichen war, wenn die Katze auf der Rückenlehne des Beifahrersitzes Platz nahm.

»Was war das?«

»Was war was?«, fragte Steinböck mürrisch.

»Ich dachte schon, du gibst den Löffel ab.«

»Was soll das?«

»Dein Puls hüpfte innerhalb weniger Sekunden von 60 auf 180. Also was war los?«

Steinböck schwieg und gab vor, sich besonders auf den Verkehr zu konzentrieren.

»Aha, diese grünen Augen waren schuld? Nicht, dass das menschliche Auge auch nur im Entferntesten an die Funktionalität und Schönheit eines Katzenauges heranreicht – dennoch kann ich den Augen dieser Frau eine gewisse Faszination nicht absprechen.«

Eine kurze Vollbremsung beendete abrupt den Monolog von Frau Merkel, die von der Rückenlehne rutschte und sich wütend fauchend in die Sitzfläche krallte.

»Wir sind da. Kommst du mit oder willst du noch ein paar Liegestützen machen?«, fragte Steinböck mit hämischem Lachen, während er sein »Polizei im Dienst«-Schild hinter die Windschutzscheibe klemmte.

Leider währte sein Triumph nur kurz. Der Beamte in der Eingangstür, der ständig Leute davon abhalten musste, das Haus zu betreten, begrüßte ihn grantig: »Servus Steinböck, kommst du a scho. Heit muasst z’ Fuß laffen. Im Lift is die SpuSi. Die Leich is im sechsten Stock.«

Steinböck setzte die Katze ab und machte sich fluchend auf den Weg. Eine kleine Ewigkeit und drei Pausen später erreichte er endlich die Wohnung. Direkt gegenüber der Eingangstür war der Lift, in dem Staller von der SpuSi auf dem Boden kniete, herumliegende Papiere aufsammelte und in Tüten steckte. Staller war Frau Merkels Erzfeind und sie hatte es im letzten Jahr tatsächlich geschafft, ihn für einige Monate in die Nervenklinik zu bringen.

»Was Besonderes?«, fragte er, immer noch keuchend.

Staller sah auf und seine Miene verfinsterte sich. »Is die Katz auch wieder da?«, fragte er bitter.

»Ja schon, aber lass du sie in Ruh, dann lässt sie dich auch in Ruh. Also, was Besonderes mit den Zetteln?«

»Auf jedem steht ›Letzte Mahnung‹.«

»Sonst nichts?«

»Sonst nichts«, wiederholte Staller und schüttelte den Kopf.

»Wie viele sind’s denn?«

»Stuckera fuchzge. Aber auf einem ist ein Schuhabdruck.«

»Schön, bringts den in die KTU. Vielleicht hilft der uns ja weiter.«

Steinböck wandte sich ab und ging in das Büro, wo noch zwei Kollegen von der SpuSi mit ihren Ganzkörperkondomen unterwegs waren. Zur Linken standen drei Schreibtische und rechts befand sich eine geöffnete Tür, durch die er beobachtete, wie Hasleitner gerade den Inhalt eines Papierkorbs untersuchte. Er stülpte sich zwei Plastikschoner über die Schuhe und schlurfte hinein.

Ein recht makaberer Anblick bot sich ihm. In einem sündhaft teuren Schreibtischsessel saß ein Mann, Hände und Füße mit Kabelbinder an den Stuhl gefesselt. Neben ihm kniete Thomas Klessel und fummelte mit einer Pinzette am Ärmel des Toten herum. Thomas Klessel war nicht nur Gerichtsmediziner, sondern auch ein guter Freund von Steinböck. Er war ein paar Jahre jünger, etwa Mitte 40, und seitdem er sich in seiner Freizeit auf Datingportalen herumtrieb, wurden ihre gemeinsamen Abendessen immer seltener.

»Servus, Thomas, net grad a schöne Leich«, stellte Steinböck fest und betrachtete den Toten. Dessen Kopf hing nach unten und es sah aus, als wenn er ein Hamsterfell auf den Haaren liegen hätte.

»Was hat der da am Kopf?«, fragte Steinböck.

»Das ist ein Haarimplantat, nur die Farbe stimmt nicht ganz überein.« Vorsichtig griff Klessel unter das Kinn des Toten und hob den Kopf nach oben. Im Mund steckte etwas und Erbrochenes war an den Mundwinkeln heruntergelaufen.

»Und was hat der da zwischen den Zähnen?«

»Sieht aus wie Geld.«

»Ist er daran erstickt?«

»Kann durchaus sein«, sagte Klessel und schob das Hamsterfell nach hinten.

»Mein Gott«, meldete sich jetzt Ilona Hasleitner zu Wort. »Des ist doch der Käskopf.«

Steinböck beugte sich nach vorne. »Ich glaub, ich spinn. Ilona, du hast recht, des ist tatsächlich der Käskopf. Aber sein Name steht doch gar nicht draußen an der Tür?«

»Da steht nur KK Consulting«, meinte Ilona. »Aber um den ist es eh ned schad«, bemerkte sie zynisch.

»Gehört der überhaupt hierher?«, fragte Steinböck und überhörte absichtlich Hasleitners letzte Bemerkung.

»Wohl schon, die Putzfrau, die ihn heut früh gefunden hat, sagt, er wäre hier der Chef«, antwortete Ilona.

»Also, Thomas, was meinst du, woran ist er gestorben?«

»Ich nehm ihn mit. Ich denk, bis zum Nachmittag kann ich dir mehr sagen.«

In diesem Moment kam Frau Merkel, schnupperte am Stuhlbein, sprang dann auf den Schreibtisch und roch an Käskopfs Hamsterfell.

»Moment mal«, sagte Steinböck.

»Der Hamster riecht komisch«, meinte Frau Merkel.

»Kannst du dieses Hamsterfell genauer untersuchen?«, fragte Steinböck.

»Auf was?«

»Keine Ahnung, untersuch es einfach.«

»Du hast wieder mit der Katze geredet«, stellte Hasleitner grinsend fest.

»Quatsch, niemand kann mit Katzen reden«, brummte Steinböck und zog Ilona hinter sich her.

Hasso Käskopf war im Kommissariat sehr wohl bekannt. Er gehörte zu jener Art von Winkeladvokaten, die immer die übelsten Klienten vertraten. Ilona konnte ihn seit dem Vorfall mit Stöckel überhaupt nicht leiden. Sie war heute noch davon überzeugt, dass Käskopf die Hauptschuld an Stöckels Selbstmord trug. Ilona Hasleitner war neben Emil Mayer junior Steinböcks engste Mitarbeiterin. Inzwischen hatte sie ihre Ausbildung zur Streifenpolizistin abgeschlossen und hängte jetzt die Weiterbildung für den Kriminaldienst dran. Sie war Mitte 20, immer noch etwas korpulent, aber hatte, seitdem sie bei der Kripo arbeitete, schon 15 Kilo abgenommen. Wenn man ihr hübsches Gesicht genau betrachtete, konnte man eine leichte Bitterkeit erkennen, die der jahrelange Missbrauch durch ihren Vater in ihren Zügen hinterlassen hatte.

»Irgendwelche Nachbarn, die gestern etwas beobachtet haben?«, fragte Steinböck Ilona.

»Nix, es sind hautsächlich Büros im Haus und gestern war Sonntag. Die Eingangstür ist untertags meistens offen und wird erst gegen Abend von den Bewohnern abgeschlossen. Oder spätestens um 22 Uhr von einem Schließdienst, der die Tür kontrolliert. Es gibt hier drei Wohnungen, aber da war heut früh niemand zu Hause.«

»Sag mal, wann hast du denn das alles schon wieder recherchiert?«, fragte Steinböck verblüfft.

»Ich bin schon seit eineinhalb Stunden da«, antwortete Ilona und ein gewisser Vorwurf gegenüber Steinböck war nicht zu überhören.

»Mein Handy-Akku war leer«, entschuldigte er sich schuldbewusst.

Frau Merkel hatte inzwischen den ganzen Tatort untersucht und war schließlich auf den Flur gelaufen, um Staller bei seiner Arbeit zu beobachten. Der kniete immer noch auf dem Boden und fischte mit einer Pinzette nach einigen Fusseln, die er dann in eine kleine Plastiktüte zu stecken versuchte. Plötzlich verharrte er in seiner Bewegung, hob langsam den Kopf und sah sich Aug in Aug mit der verhassten Katze, die keine 30 Zentimeter von ihm entfernt saß. Für einen Moment überlegte er, nach ihr zu schlagen, aber bevor er sich dazu entschließen konnte, schwebte sie nach oben. Steinböck hatte Frau Merkel geschickt unter dem Bauch gegriffen und mit elegantem Schwung zu sich heraufgezogen.

»Wird Zeit, dass wir ins Büro kommen«, brummte der Kommissar und stieg flott die Treppen hinab.

»Das sind sechs Stockwerke. Hörst du, alter Mann, lass mich sofort herunter. Ilona würde mir nie verzeihen, wenn du wegen mir den Löffel abgibst.«

*

Als Steinböck das Kommissariat in der Ettstraße erreichte, sorgte er wieder mal durch mehrere Fehlzündungen seines alten VW Käfers für Aufregung. Kurz ertönte der Alarm im Präsidium, wurde aber gleich wieder abgeschaltet. An der Pforte erntete er einen vorwurfsvollen Blick von Wachmann Schneehofer, der aber das Problem mit Steinböcks Wagen zur Genüge kannte.

»Irgendwann mal schalt ich den Alarm ab und es hat wirklich einer g’schossen«, schimpfte er. »Kauf dir doch endlich a g’scheits Auto.«

Der Kommissar zuckte grinsend mit den Schultern.

»Warum? Der fahrt doch noch gut.«

»Sag mal, stimmt des, dass an Käskopf um’bracht ham?«, wechselte Schneehofer das Thema.

»Das hat sich ja schnell herumgesprochen.«

»Ned schad um die Sau.«

»Jetzt mal langsam«, sagte Steinböck. »Vergiss ned, du bist Polizist.«

»Is ja wahr, 1.200 Euro hat der mei’m Neffen ab’knöpft, bloß weil er ein paar Sachen aus dem Internet heruntergeladen hat.«

»So, damit hat sich der Käskopf auch beschäftigt«, brummte Steinböck nachdenklich.

»Ja, was glaubst denn du, wie der zu so viel Kohle gekommen ist«, schimpfte Schneehofer.

Der Kommissar grüßte noch mal kurz und schlenderte dann zum Aufzug. Die Katze wand sich aus seinem Arm und sprang elegant die Treppe hinauf.

Im Büro angekommen füllte sich Steinböck zuallererst seinen Kaffeehafen auf. Emil war nicht zu sehen und Ilona wollte am Tatort noch die Mädels aus dem Büro befragen. In diesem Moment kam Emil durch die Tür gerollt, die Katze auf den Knien, die er offensichtlich unterwegs aufgegabelt hatte.

»Ich hab bei der Tamara in der Kantine ein paar Brezen geholt«, sagte er und warf eine Tüte auf den Schreibtisch. »Zuerst wollte sie mir keine geben. Ich sollte in die Bäckerei gehen, aber dann hab ich voll meinen Behindertenbonus ausgespielt.«

»Was macht des aus, ob ich die Brezen in der Kantine esse oder sie mitnehm?«, fragte Steinböck genervt.

»Du kennst sie doch, unsere ostpreußische Weißwurstdesignerin«, sagte Emil verschmitzt. Dann fuhr er ernst fort: »Sag mal, Chef, die Leich in der Maximilianstraß, ist des tatsächlich der Käskopf?«

Steinböck nickte.

»Und was wissen wir schon?«, fragte Mayer junior nach.

»Irgendjemand hat ihn mit Kabelbinder an seinem Bürostuhl gefesselt und ihm den Mund mit Euroscheinen vollgestopft.«

»Des klingt ja nach einer Hinrichtung.«

»Genau, jetzt müssen wir nur noch wissen, was Klessel als Todesursache feststellt. Und du, Emil, krieg alles raus, was du über den Käskopf erfahren kannst.«

»Jawohl, mon général«, sagte er feixend und rollte hinter seinen Schreibtisch. Die Katze sprang aufs Fensterbrett, öffnete mit Pfote und Kopf den Fensterflügel und verschwand nach draußen.

»Ich geh mich mal ein bisschen umschauen«, hörte Steinböck sie noch.

»Bleib bloß vom Staller weg«, rief er hinterher.

»Geh, Chef, redest schon wieder mit der Katz?«

»Die beiden saßen sich vorhin grad dicht gegenüber. Die Merkel und der Staller. Wer weiß, was passiert wär, wenn ich nicht eingegriffen hätte.«

»Und deswegen hast ihr jetzt noch mal ins Gewissen geredet?«

»Ach wo, du weißt doch, dass ich nur Spaß mache«, sagte er verlegen und nahm einen Schluck aus dem Kaffeebecher. »Guten Kaffee hast heut gemacht, Emil«, versuchte er abzulenken.

»Ja, ja, einen guten Kaffee«, spöttelte Emil.

*

Mojo Guambo, Anna Maria Becker und Ulf Heisel saßen um einen Monitor und sichteten die Filmaufnahmen, die Mojo und Ulf in Ghana gemacht hatten.

»Das sind erschreckende Bilder«, murmelte Anna Maria.

»Du vergisst den Gestank«, sagte Ulf Heisel und verzog das Gesicht. »Das Schlimmste ist der Gestank. Dadurch wird alles um ein Vielfaches potenziert.«

»Eure Aufnahmen sind großartig. Jetzt müsst ihr einen Dokumentarfilm daraus machen. Ihr habt meine vollste Unterstützung«, sagte Anna Maria. »Und ihr konntet den Peilsender wirklich bis Accra verfolgen?«

»Über 7.000 Kilometer. Dort hat er noch genauso gesendet wie hier in Schwabing, wo wir ihn in den defekten Fernseher eingebaut hatten.«

»Das ist doch strafbar, oder?«, fragte Becker.

»Eindeutig. Nach dem Basler Übereinkommen, das auch Deutschland unterschrieben hat, ist der Export von Elektroschrott verboten.«

»Also bestätigt sich der Verdacht, dass die Firma Brezen-PC-Recycling ihren angenommenen Elektroschrott illegal nach Afrika verschifft.«

»Der Verdacht ja, aber das allein wäre noch kein Beweis. Sie hätten ihren Schrott auch an andere weitergeben können, die dann für die Ausfuhr verantwortlich sind. Doch wir haben den Beweis: Wir konnten Kümmerle, den Chef der Firma Brezen-PC-Recycling, tatsächlich an dem Tag vor Ort filmen, als das Schiff mit dem Schrott in Afrika ankam. Er gehört zu den besonders Gierigen. Er gibt sich nicht damit zufrieden, den Schrott mit Gewinn zu verkaufen, sondern möchte auch noch das Geschäft vor Ort machen.«

»Gut, dann lass ich euch jetzt weiterarbeiten. Es wäre fabelhaft, wenn wir morgen den anderen Kommilitonen eine Rohfassung zeigen könnten.«

*

Inzwischen waren Ilona und auch die Katze ins Büro zurückgekehrt. Emil brachte Ilona einen Kaffee und Steinböck reichte ihr eine Butterbrezen.

»Was ist los mit euch?«, fragte sie misstrauisch. Da stimmt doch was nicht, wenn ihr so zuvorkommend seid!«

Steinböck grinste und zeigte auf Emil. »Des war seine Idee.«

»Ich bin nämlich ein Frauenversteher«, sagte dieser und nickte ernst.

»Ich dachte schon, in dieses Büro wäre ein gewisser Hauch von Höflichkeit und Noblesse eingezogen. Aber ich habe mich wohl geirrt.«

»Also was ist, Ilona, was hast du herausgefunden?«, fragte Steinböck und blinzelte Emil zu.

»Ich will wissen, was hier los ist? Irgendetwas stimmt hier nicht.«

»Jetzt erzähl schon, wir wollten bloß ein bisserl nett sein«, sagte Steinböck mit unverändertem Gesicht.

Ilona musterte die beiden skeptisch, und selbst die Katze zeigte einen treudoofen Gesichtsausdruck.

»Also, dann zum Käskopf. Seine Leute waren nicht besonders gut auf ihn zu sprechen. Er hatte zehn Angestellte. Sie mussten dauernd Überstunden machen und außerdem hat er schlecht bezahlt.«

»Was haben denn all die Leute bei ihm gemacht? Da waren doch bloß drei Schreibtische im Büro!« Steinböck war überrascht.

»Die sitzen alle eine Etage tiefer. Der Käskopf hatte dort weitere Büroräume angemietet. Da arbeiten auch einige Studenten auf 450-Euro-Basis für ihn.«

»Und was machen die?«, wollte Emil wissen.

»Die durchforsten das Internet nach illegalen Downloads.«

Steinböck erinnerte sich daran, was Schneehofer vor einer Stunde über seinen Neffen gesagt hatte. »Und wie funktioniert des?«, fragte er.

»Soweit ich das verstanden habe, überprüfen die vor allem die Tauschbörsen. Da schreiben sie sich die IP-Adressen heraus, legen die bei Gericht vor und erreichen damit, dass das jeweilige Telekommunikationsunternehmen die zugehörigen Namen und Adressen herausgibt. Anschließend werden Abmahnungen verschickt. Zwischen 400 und 5.000 Euro.«

»Aber es trifft dann nur die, die wirklich illegal heruntergeladen haben?«, hakte Emil nach.

»Da bin ich mir nicht so sicher. Es gibt viele Ungereimtheiten. Die Mädels aus Käskopfs Vorzimmer wollten mir darauf nicht antworten.«

»Rentiert sich denn das?«, fragte der Kommissar.

»Ich glaub, darüber sollten wir mal mit unserm IT-Fachmann, dem Rutnichek, sprechen.«

»Und wie reagieren die Betroffenen?«, wollte Steinböck wissen.

Ilona stand auf, ging zu ihrer Tasche und zog einen dicken Ordner heraus, den sie vor dem Hauptkommissar auf dessen Schreibtisch legte. »Hier, der Käskopf war sehr akribisch. Das allein sind die Beschuldigten, die ihn bedroht oder beschimpft haben. Etwa 700 von 6.000 Fällen in den letzten Jahren. Und unter denen könnte unser Täter sein.«

»Und du meinst, wir sollen jetzt die ganzen 700 Fälle durchschauen?«, fragte Emil.

»Genau, so schaut’s aus«, stellte Steinböck fest.

»Ja, Emil, des wird a langer Toag für uns«, sagte Ilona Hasleitner lächelnd.

»Weniger für dich als für den Emil«, murmelte Steinböck.

»Was soll des heißen?«, fragte Ilona verwundert.

»Du musst heute Nachmittag die Begleitung für einen Besucher spielen, der sich die Arbeit im Kommissariat näher anschauen will.«

»Deswegen der Kaffee und die Butterbrezen? Aber so schlimm ist des doch ned, jemanden des Kommissariat zu zeigen, wenn’s ned grad a Riesenorschloch wie beispielsweise der Staatssekretär Bruchmayer ist.«

Ilona sah lachend in die Runde – und in zwei betroffene Gesichter. Kein Geräusch, kein Hüsteln. Emil konzentrierte sich auf den Bildschirm und Steinböck hob verlegen die Schultern.

Ilonas Lächeln erstarrte förmlich und sie sah ihn entsetzt an. »Es ist der Bruchmayer?«, fragte sie flüsternd.

Steinböck nickte.

»Der Bruchmayer«, schrie sie jetzt. »Du Judas. Für a Tass Kaffee und a Butterbrezen hoast du mi verkauft.«

»Jetzt reg dich doch ned so auf. Befehl vom Polizeipräsidenten. Der Bruchmayer will für seine Inspektion unbedingt in unser Team, wahrscheinlich um mich zu ärgern. Der Emil kommt nicht infrage, weil er mit ihm verwandt ist, und von mir kannst des wirklich net erwarten. Spätestens um 15 Uhr hab ich den erschossen.«

Wütend stand Ilona auf, packte ihre Tasche und stampfte zur Tür.

»Ich bin in der Kantine. Wenn der Herr Staatssekretär kommt, soll er mich da abholen.«

Bevor sie das Büro verließ, drehte sie sich noch mal um.

»Judas«, zischte sie Steinböck an.

Der Kommissar saß ziemlich bedeppert da und Emil tat sich schwer, sich ein Grinsen zu verkneifen.

»Hast du gewusst, dass unsere Ilona so ein Tier ist?«

»Ich hab’s befürchtet«, sagte Steinböck. »Des verzeiht die mir so schnell ned.« Einen Moment lang beobachtete er die Bürotür und erst als er sicher war, dass sie nicht noch mal zurückkommen würde, wandte er sich wieder Emil zu. »Erzähl, was hast du über unser Opfer rausbekommen?«

»Also, Hasso Käskopf, geboren am 13. November 1951 in Murnau. Beide Eltern Lehrer. Abitur in Weilheim, dann Studium in München, wo er 1980 nach 15 Semestern sein Jurastudium beendet hat. Dreimal verheiratet und dreimal geschieden. Einen Sohn aus erster Ehe. Ab 1981 versuchte er sich mehr oder weniger erfolgreich als Schickimicki-Anwalt in München. Erst seit ein paar Jahren floriert die Kanzlei. Dabei macht er des meiste Diridari mit den Abmahnungen. Villa in Bogenhausen und Haus am Gardasee. In den letzten Jahren liefen eine Menge Anzeigen gegen ihn. Alle aufgrund der Abmahnungen. Die Verfahren sind jedoch alle eingestellt worden. Käskopf war allgemein unbeliebt. Des heißt, halb München kommt als Täter infrage.«

»So ähnlich hab ich mir des vorgestellt«, brummte Steinböck und erhob sich von seinem Schreibtisch. »Ich geh jetzt mal zum Klessel und dann versuch ich, den IT-Spezialisten zu erreichen. Wie heißt der gleich noch mal?«

»Rutnichek.«

»Ich komm mit, mal sehen, wen Klessel gerade auf dem Seziertisch hat. Vielleicht ist es noch der Käskopf. Den wollt ich schon immer mal von innen sehen.«

»Du hältst dich zurück«, schimpfte Steinböck laut.

»He, Chef, warum? Auch wenn ich im Rolli sitze, kann ich genau so viel leisten wie ihr.«

Steinböck verließ, dicht gefolgt von der Katze, entnervt das Büro.

*

Als Steinböck die Rechtsmedizin erreichte, fand er seinen Freund Thomas Klessel am Seziertisch. Frau Merkel sprang auf einen nahe stehenden Besteckwagen und betrachtete interessiert Käskopfs toten Körper.

»Da schau, der Dr. Frankenstein im grünen Kittel. Du wirst doch nicht selber schnipseln«, feixte der Kommissar.

»So ein Kunstwerk der plastischen Chirurgie ist mir noch nie untergekommen«, sagte Klessel, ohne sich umzudrehen. »Haarimplantat, geliftet, das Kinn mit Botox aufgespritzt. Am Bauch deutliche Zeichen für eine Fettabsaugung, und die Arschbacken hat er sich mit Silikon unterfüttern lassen.«

»Jetzt fehlt nur noch a Penisverlängerung«, warf Steinböck ein.

»So weit bin ich noch nicht, aber wundern tät mich des nicht.«

»Also, du Genie, woran ist der Käskopf gestorben?«

Thomas Klessel drehte sich um, zog sich betont langsam die Handschuhe aus und schob sich den Mundschutz über die Stirn. Steinböck wusste, was jetzt kommen würde. Er musterte die Katze und zog die Augenbrauen nach oben. Klessel warf die Handschuhe in einen Eimer, öffnete die oberen Knöpfe des grünen Kittels und brachte seinen kleinen silbernen Flachmann zum Vorschein.

»Mein Gott, jetzt geht das wieder los. Thomas Klessel, der genialste Rechtsmediziner seit Karl Friedrich Boerne«, spottete die Katze, sprang vom Tisch und verließ den Raum.

»Was hat sie denn? Sie ist doch sonst immer so neugierig.«

»Ich glaub, die muss mal.«

Bedächtig schraubte Klessel den Deckel des Flachmanns herunter, füllte ihn vorsichtig und kippte dann den Inhalt hinunter.

»Aaaaah«, stieß er genüsslich aus und verdrehte dabei die Augen. »Magst auch einen?«

»Was hast denn diesmal drin?«, fragte Steinböck skeptisch.

»Linie Aquavit, garantiert in eichenen Sherryfässern zweimal den Äquator gekreuzt.«

»Und was soll des bringen?«

»Das macht ihn besonders mild.«

»Mei, Thomas, du glaubst auch jeden Schmarren.«

»Und, was ist jetzt, magst einen?«, bohrte Klessel nach.

»Weißt was, frag mich wieder, wenn du einen Whiskey drin hast, mit dem du zweimal die schottische Grenze überquert hast. Also jetzt zum Käskopf. Was ist die Todesursache?«

»Er ist erstickt und zwar gestern gegen 20 Uhr, plus/minus 30 Minuten.«

»Und dafür hast du jetzt so lange gebraucht?«, fragte Steinböck mitleidig.

»Aber der Mörder war schon besonders perfide«, sagte Klessel und schraubte seinen Flachmann wieder zu. »Da, schau her, hier an der Nase, siehst du die Abdrücke?«

Steinböck beugte sich vor. »Sieht aus wie die Druckstellen von einer Brille. Nur ein bisschen weiter unten.«

»Genau, der Mörder hat unserem Käskopf eine sogenannte Nasenklammer verpasst und ihm anschließend das Geld in den Rachen gestopft. Dann hat er sich vermutlich vor sein Opfer gesetzt und gewartet. Irgendwann hat sich der Käskopf erbrochen und ist daran schließlich erstickt.«

»Woraus schließt du diesen Hergang?«, fragte der Kommissar verdutzt.