Fischkatz - Kaspar Panizza - E-Book

Fischkatz E-Book

Kaspar Panizza

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  • Herausgeber: GMEINER
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Äußerst makaber, wenn ein Toter im Englischen Garten auf Münchens Top-Attraktion, der Eisbachwelle, surft. Vor allem, wenn er mit einem Strick um den Hals am Brückengeländer hängt und wie ein Hüpfball auf der Welle reitet. Ein Highlight für Schaulustige und Touristen, ein verzwickter Fall für Kommissar Steinböck und sein Team. Die Spuren führen sowohl zu einer dubiosen Sekte als auch zu einem ungelösten Mord. Und zu all dem kommt die nervige Katze Frau Merkel, die ihre Vorliebe fürs Angeln entdeckt hat …

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Seitenzahl: 262

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Kaspar Panizza

Fischkatz

Frau Merkel und der Eisbachsurfer

Zum Buch

Eiskalt Auf der berühmten Eisbachwelle an einem Seil hängend zu surfen, ist nichts Besonderes. Dumm nur, wenn der Strick um den Hals statt um den Knöchel liegt und das andere Ende am Brückengeländer festgebunden ist. Was anfänglich wie ein Gag einer verrückten Surfgemeinde erscheint, entpuppt sich schnell als raffinierter Mord. Für Schaulustige und Touristen eine Attraktion, für Kommissar Steinböck ein verzwickter Fall. Die Spuren des unbekannten Opfers führen sowohl zu einer dubiosen Sekte als auch zu einem lange zurückliegenden, ungelösten Mord. Als Steinböcks Intimfeind, Staatssekretär Bruchmayer, unter Verdacht gerät, folgt ihm der Kommissar bis an die Ostsee, während sein Team in München ermittelt. Mithilfe der dortigen Kollegen erfährt er mehr über die tragische Herkunft des toten Eisbachsurfers. Ein verschwundener Ferdel Bruchmayer und eine nervende Katze machen die Ermittlungen für ihn nicht leichter. Eines wird Steinböck bald klar: Für die Lösung des Eisbachmordes muss er schnellstens zurück nach München.

Kaspar Panizza wurde 1953 in München geboren. Den Autor, der aus einer Künstlerfamilie stammt, prägten die Arbeiten seines Vaters, eines bekannten Kunstmalers, sowie die Bücher seines Urgroßonkels Oskar Panizza. Nach dem Pädagogikstudium machte Kaspar Panizza eine Ausbildung zum Fischwirt, erst später entdeckte er seine Liebe zur Keramik. Nach abgeschlossener Ausbildung mit Meisterprüfung arbeitete er zunächst als Geschirr-Keramiker und später als Keramik-Künstler im Allgäu. 2004 übersiedelte er nach Mallorca, wo er eine Galerie mit Werkstatt betrieb und zu schreiben begann. Seit 2009 lebt Kaspar Panizza in Ribnitz-Damgarten an der Ostsee, wo er zusammen mit seiner Ehefrau bis 2018 ein Keramik-Atelier führte. Seither widmet er sich ganz dem Schreiben.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Christine Braun

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Yuliya Alekseeva / shutterstock und khunkorn / shutterstock und Viktor / AdobeStock und PublicDomainPictures / Pixabay

ISBN 978-3-8392-7412-5

Stammprotagonisten in nahezu jedem Band

Frau Merkel: die Katze, die Steinböck mit ihren nervigen Kommentaren oft zur Verzweiflung bringt

Steinböck (SB): sehr eigenwilliger Hauptkommissar; Leiter des Ermittlungsteams

Emil Mayer junior: Kommissar; mittelmäßig pigmentierter Afro-Bayer und Rollstuhlfahrer

Ilona Hasleitner: Kommissarin; Recherche-Genie und Herrin der Butterbrezen

Dr. Thomas Klessel: Leiter der Gerichtsmedizin; zele-briert gerne den Inhalt seines silbernen Flachmanns

Dr. Horst Schmalzl: Psychotherapeut; Gerichtsgutachter, der von Frau Merkels Genialität überzeugt ist (Katze!!)

Dr. Nepomuk Sanghäusel: Staatsanwalt

Peter Obstler: Informant; SBs Freund und direkter Draht zur Münchner Unterwelt

Bernulf Valentin Schwäble: Polizeibeamter in der Mordkommission

Ferdel Bruchmayer: schleimiger Staatssekretär und SBs Intimfeind

Schneehofer: Kommissar; Pforte und Information

Sabine Husup: nervige und neugierige Lokalreporterin

Lotta Nilson: Leiterin der Mordkommission

Tamara: Kantinenchefin und heimliche Herrscherin des Kommissariats

Der Berliner: Besitzer eines Imbisswagens vor dem Revier

Veronika: Steinböcks Nachbarin

Harti Kleverlä: alias Sokrates; Isarphilosoph

Phan Lan Huong: IT-Genie und illegale Reinigungskraft im Dezernat

Amely und Götz von Domenik: SBs Vermieter

Wichtige Personen in diesem Band

Sepp Brackelmann: Bruchmayers Chauffeur

Oskar König: Bruchmayers Privatsekretär

Tabea und Franz Mücke: Reichsbürger und Sektenführer

Timo und Linda Hackel: Inhaber der Firma Hackbit

Oleg Petersohn: Journalist aus Rostock

Tanja Schmittler: Olegs Freundin und Sektenmitglied

*

Die Leute von der Ostsee:

Der stumme Robert: ein seltsamer Kauz mit Vergangenheit

Sörensen, »Zander Wolli«: Exkommissar aus Rostock

Brösel und Diana: SBs sächsische Heinzelmännchen

Walter Becker, der »Schweinebaron«: Ex-Stasi-Offizier und Olegs rechtlicher Vater

26.05.1992

Nie hätte er geglaubt, dass er noch einmal hierherkommen würde. Die vertraute Landschaft, die so anders als diejenige in seiner neuen Heimat München war, huschte am Fenster des Zugabteils vorbei. Nur noch wenige der riesigen Rapsfelder leuchteten gelb. Die meisten waren bereits abgeblüht. Er hatte seiner Frau erzählt, dass er beruflich nach Frankfurt müsse. Den wahren Grund seiner Reise konnte er ihr nicht erzählen. Er hatte keine vernünftige Erklärung für das Unfassbare.

Er wusste, wen er zuerst aufsuchen musste. In einer Stunde würde er in Rostock sein. Zum wiederholten Male kramte er das Bild aus seiner Brieftasche und starrte darauf. Dann nahm er den Filzschreiber und kreiste den Kopf des Mannes ein. Er musste ihn finden.

Vorsichtig steckte er den Zeitungsausschnitt zurück, lehnte den Kopf gegen das Polster und schloss die Augen. Das monotone Rattern ließ ihn in einen unruhigen Halbschlaf fallen. Plätze und Gesichter von früher fuhren im Rhythmus der Schwellen durch seinen Traum. Wenn er gewusst hätte, dass es sein letzter Traum sein würde, hätte er ihn mehr genossen.

Prolog

Verdammt, er hatte verschlafen. Das laute Zwitschern der Vögel war ein eindeutiges Zeichen, dass die Morgendämmerung angebrochen war.

Hastig öffnete Pit Knoll den Reißverschluss seines Schlafsacks, den er sich zum Schutz über den Kopf gezogen hatte. Sosehr er das Rauschen des Eisbachs liebte – wenn man versuchte, an seinem Ufer einzuschlafen, war es nervig. Die Sonne war noch nicht über den Münchner Horizont gekommen, und auch der Verkehrslärm aus Richtung Prinzregentenstraße war um diese Uhrzeit kaum zu hören.

Er tastete nach seinem Board. Zärtlich glitten seine Finger über die glatte Oberfläche. Plötzlich fiel ihm ein, warum er hier war. Schnell schlüpfte er aus dem Schlafsack. Ein Blick auf seine Armbanduhr ließ ihn schmunzeln. Heute war er sicherlich einer der Ersten, die auf der Welle reiten würden.

Geübt rollte er den Schlafsack zusammen und verstaute ihn in der dazugehörigen Plastikhülle. Dann zwängte sich Pit Knoll in seinen Neoprenanzug, stopfte die Klamotten in den Rucksack, griff sich sein Board und eilte zur 30 Meter entfernten Eisbachwelle.

Aus der ganzen Welt kamen Surfer, um die Welle zu reiten. Und so mancher Freiwasserprofi musste feststellen, dass es verdammt schwierig war, hier zu bestehen. Und all das immer unter den Augen kritischer Zuschauer. Für viele Münchner und Touristen eine besondere Attraktion. Nicht nur für die, die mit ihrem Brett gut umgehen konnten. An schönen Tagen im Sommer kam es vor, dass weit über 100 Leute auf der Brücke und an den beiden Ufern standen.

Doch heute Morgen war er der erste Surfer. Zufrieden legte er Schlaf- und Rucksack ab und stieg zum Ufer hinunter.

Erst jetzt fiel Pit das gespannte Seil auf, das jemand an einem der Eisengitter, die die runden Maueröffnungen der Brückenbalustrade sicherten, befestigt hatte. Interessanter erschien ihm jedoch die Person, die am anderen Ende des Seiles hing.

Er hatte von den Anfängen des Eisbachsurfens hier in München gehört. Schon seit 50 Jahren gab es die Tradition des sogenannten »Schleppbrettsurfens«. Dazu band man ein Holzbrett mit einem Seil an die Brücke oder an einen Baum am Flussufer, um anschließend darauf bäuchlings auf der Strömung zu reiten.

Ganz anders und bestimmt weniger vergnüglich war die Variante, die von dem Surfer am Ende des Seils ausgeübt wurde. Zeitweise befand sich sein Körper unter Wasser, dann spülte ihn die Welle wieder nach oben. Dabei hüpfte er wie einer dieser schmutzigen Styroporbrocken über die Oberfläche. Dummerweise lag das Ende des Seils in Form einer Schlinge um den Hals des armen Schluckers, was seinen Spaß am Surfen wohl beträchtlich einengte.

Pit eilte zurück zu seinem Rucksack und kramte hastig sein Smartphone heraus. Nachdem er den Notruf abgesetzt hatte, konnte er es sich nicht verkneifen, die Szene ausgiebig zu filmen.

Sonntag

Eines konnte man zweifelsfrei sagen: Seitdem Veronika in der Fallmerayerstraße eingezogen war, gab es wieder regelmäßig etwas zu feiern. Diesmal sollte es der Kauf ihrer neuen Waschmaschine sein. Es war schwierig, ihren Einladungen zu entgehen. Und weil es Usus war, dass ein jeder Fleisch und Getränke selbst mitbrachte, steuerte Veronika nur ihren legendären Kartoffelsalat bei. Außerdem stand sie wie immer hinter dem Grill, was den Männern große Bewunderung abrang. Der Grund, warum dichter Qualm aufstieg, war Emils Schweinebauchspeck, dessen Schwarte in der Hitze zusammenschrumpfte und in die Glut tropfte.

»Bei dem fetten Zeug helfen dir die Klimmzüg an der Teppichstange auch ned viel«, lästerte Kommissar Steinböck in Richtung seines jungen Kollegen Emil Mayer junior.

Der grinste nur dreckig und reichte seinen Teller Veronika, die ihm mithilfe der Grillzange eine weitere Scheibe Bauchspeck darauflegte.

»Das sagt gerade der Richtige«, mokierte sich die Katze Frau Merkel, die neben Steinböck in Schulterhöhe auf einem Mauervorsprung saß, von dem aus sie alle im Blick hatte. »Ich erinnere mich daran, dass mein schwarzer Bruder heute Morgen wie eine Feder aus seinem Rollstuhl schnellte und dann in kurzer Zeit 20 Klimmzüge ausführte, wobei er die letzten fünf mit einer Hand machte.«

»So, und des hast du heut Morgen gesehen?«, fragte der Kommissar zweifelnd.

»Hab ich«, schnurrte Frau Merkel und stellte ihre Vorderpfoten auf Steinböcks Schulter. »Ich erinnere mich auch daran, dass eine halbe Stunde später eine übergewichtige Person in Boxershorts ebenfalls Klimmzüge an der Teppichstange versuchte und dabei kläglich scheiterte.«

»Des war nur, weil ich eine Zerrung im Oberarm hab.«

»Ja, ja, vom Zigarettendrehen. Das soll häufig vorkommen«, bemerkte sie boshaft und verschwand in der Dunkelheit.

Ilona Hasleitner, die junge Kommissarin, die Steinböcks Team komplettierte, beobachtete ihren Chef amüsiert. »Wenn’s nicht so abwegig wäre, würde ich darauf schwören, dass ihr beide miteinander redet.«

»Geh, Ilona, des hab ich dir schon etliche Male g’sagt, dass ich ned mit der Katz red«, beschwichtigte Steinböck sie. »Was möchst denn essen? Ich hol dir einen Teller«, säuselte er.

»Sehr verdächtig, du alter Macho. Ich glaub, du willst nur ablenken. Vielleicht hab ich ja doch recht«, frotzelte sie.

Auch die Hausbesitzer Amely und Götz von Domenik, die vor zwei Wochen von einer dreimonatigen Karibik-Kreuzfahrt zurückgekommen waren, hatten an Veronikas Grillabenden Gefallen gefunden.

»Eine angenehme und gesellige Person«, flötete Amely auf ihre typische Art. Wie immer trug sie eine Bluse, deren Material Steinböck an die Vorhänge seines Elternhauses erinnerten. Zu ihrem extravaganten Auftreten passte es, dass sie sich diesmal ihre Haare grün hatte färben lassen. Sie rückte dicht an Steinböck heran, nachdem dieser einen Teller für Ilona organisiert hatte. »Da haben Sie uns wirklich eine tolle Nachmieterin für Aurelia besorgt.«

»Ja, unsere Veronika bringt Leben in die Bude«, schmunzelte er. »Wie war’s denn in der Karibik?«

»Ein Traum!« Sie krallte sich mit ihren kleinen Händen in seinen Unterarm und lächelte verzückt. »Wunderbare Menschen, so freundlich. Und erst der Rum«, rief sie aufgeregt. »Götz, mein Schatz, könntest du bitte nach oben gehen und eine Flasche von diesem köstlichen karibischen Getränk holen?« Sie scheuchte ihren Gatten auf, der neben Veronika am Grill stand und die Steaks mit einer scharfen Marinade einpinselte.

Rum gehörte nicht gerade zu Steinböcks Lieblingsgetränken. Gegen einen echten Islay-Malt-Whisky hätte er nichts einzuwenden, aber die Höflichkeit verlangte es natürlich, dass er den Rum der Domeniks probierte.

Er war mehr als erstaunt. Der Geschmack haute ihn vom Hocker. Zwölf Jahre im Holzfass gereift. So etwas hatte er zuvor nie getrunken.

Zwangsläufig blieb bis zum Ende des Grillabends nicht mehr viel in der Flasche. Ein gelungener Abend, den Steinböck für sich gegen 23 Uhr beendete und anschließend mit einem ordentlichen Hackel sein Bett aufsuchte.

Montag

Blinzelnd versuchte er die Augen zu öffnen. Das Glitzern der reflektierenden Sonne auf den Wellen schmerzte ihn. Er konzentrierte seinen Blick auf den braun gebrannten Rücken vor sich. Jedes Mal, wenn der junge Mann das Paddel durch das smaragdgrüne Wasser der Karibik zog, spürte Steinböck den sanften Ruck, mit dem sich das Kanu fortbewegte. Weniger witzig fand er, dass seine Beine und Hände mit einer Art Liane gefesselt waren. Wenigstens keine Kabelbinder, dachte er bei sich.

Er ließ seinen Blick umherschweifen. Grandios! Um ihn herum mindestens 30 weitere voll besetzte Kanus verschiedener Größen, die die Wellen lautlos durchschnitten. Da ist wohl der ganze Stamm unterwegs, überlegte er und wunderte sich, dass selbst die Kinder mucksmäuschenstill waren.

Jetzt erkannte er auch das Ziel, auf das sie zusteuerten. Eine Vulkaninsel, deren mächtige Palmen bis dicht ans Ufer wuchsen. Erstaunlich schnell näherten sie sich dem Eiland. Die ersten Boote erreichten den hellen Strand. Bronzehäutige, halb nackte Menschen zogen die Kanus auf den warmen Sand. Auch die beiden Männer aus seinem Boot stiegen aus und schoben es auf festen Grund. Steinböck ließen sie etwas abseits alleine zurück. Der ganze Stamm versammelte sich unter einer riesigen Palme und fasste sich an den Händen. Außer dem sanften Rauschen der Wellen war nichts zu hören.

Plötzlich stimmte einer der Eingeborenen einen monotonen Singsang an, und bald fielen alle anderen mit ein. Im gleichen Rhythmus neigten sich ihre Köpfe vor und zurück. Zwei Männer traten aus der Menge und griffen nach Steinböck. Sie hoben ihn auf ihre starken Arme und brachten ihn zum Ufer. Dort schnitten sie seine Fesseln durch und setzten ihn in eine aus Palmblättern geflochtene Sänfte. Der Gesang wurde lauter und die Leute bewarfen ihn mit farbenprächtigen Blütenblättern.

Erleichtert lächelte er den singenden Menschen zu, als vier kräftige Männer die Sänfte mit einem Ruck auf ihre Schultern hoben. Der Singsang verstummte und ein ohrenbetäubender Jubel brach aus. Steinböck lehnte sich zurück und winkte huldvoll in die Menge. Langsam setzte sich der Zug in Richtung Inselmitte in Bewegung. Er hatte es geschafft. Nur einmal hätte er sich diese Wertschätzung von seiner Vorgesetzten und den Kollegen aus der Mordkommission gewünscht.

Die Umgebung war exakt so, wie er sie aus Hochglanz-Prospekten kannte. Niedliche Äffchen und farbenprächtige Papageien begleiteten den Zug den Berg hinauf. Steinböck betrachtete nun die Eingeborenen näher. Alle hatten sie kräftige, gesunde Körper. Selbst die Älteren kletterten aufrecht und behände hangaufwärts. Er blickte verschämt auf seinen Bauch und war sich klar, dass er hier der Einzige mit einem Body-Mass-Index über 30 war. Vielleicht mit Ausnahme des Mannes, der an der Spitze des Zuges ging. Abgesehen davon, dass dessen Hautfarbe deutlich heller als die der anderen war, trug er um die Hüften einen ansehnlichen Rettungsring, der dem Steinböcks in keiner Weise nachstand. Auf seinem Kopf prangte ein ausladender Kranz aus Palmblättern. Vermutlich handelte es sich bei ihm um einen Häuptling oder Hohepriester.

Schließlich erreichten sie ihr Ziel: eine Art Kamin, der offensichtlich mit dem Vulkan in Verbindung stand. Leichter Rauch stieg aus ihm auf und erklärte den schwefligen Geruch, der in der Luft lag. Der Hellhäutige mit dem Blätterturban streckte die Hände zum Himmel. Dann warf er eine Handvoll Beeren, die ihm ein kleines Mädchen reichte, in die Öffnung. Der Rauch färbte sich rot, und der ganze Stamm jubelte Steinböck erneut zu. Frauen hoben kleine Kinder in seine Richtung, und er lächelte würdevoll zurück. Erstmals drehte sich der Hohepriester der Menge und damit auch ihm zu. Als der Kommissar sein Gesicht erkannte, gefror ihm sein huldvolles Lächeln. Das war eindeutig Bruchmayer, der ihn da hämisch angrinste. Nicht mal in seinen Träumen konnte ihn der Ferdel in Ruhe lassen!

Erst überlegte Steinböck aufzuwachen, dann beschloss er trotzig, sich von dem dubiosen Staatssekretär die Show nicht verderben zu lassen.

Jetzt schütteten junge Frauen körbeweise Früchte in den Kamin. Ein leises Brodeln war zu hören, und daraufhin begann der komplette Stamm wieder mit seinem monotonen Singsang. Die vier Männer, die seine Sänfte trugen, näherten sich dem Schlot. In diesem Moment wurde ihm klar, wer als Nächstes im Rachen des Kamins verschwinden sollte. Wütend versuchte er, aus dem Tragsessel zu klettern, stellte aber entsetzt fest, dass er sich nicht bewegen konnte. Der Geruch aus dem Schlot erinnerte nicht mehr an Schwefel, sondern ans Einkochen von Marmelade, und anscheinend sollte er die nächste Zutat sein.

Nur noch wenige Meter und der Stolz der Münchener Mordkommission würde einem karibischen Vulkan geopfert.

Plötzlich klang aus dem Unterholz ein furchterregendes Fauchen, begleitet von den lauten Rhythmen der Bonanza-Melodie. Panisch flüchteten die Menschen den Berg hinab. Nur Bruchmayer, der wieder mal nichts kapierte, blieb stehen und starrte auf das Gebüsch, aus dem das schreckliche Gebrüll ertönte. Als ein riesiger schwarzer Panther auf der Lichtung erschien, sackte er mit schreckensgeweiteten Augen auf die Knie. Die zugegeben schöne Raubkatze duckte sich und sprang in Richtung Bruchmayer.

Das Ende eines bayerischen Staatssekretärs, dachte Steinböck, ohne jedoch viel Mitleid zu spüren. Um dem Anblick des Gemetzels zu entgehen, schloss er vorsichtshalber die Augen. Eines musste man dem Ferdel lassen: kein Schreien oder Wehklagen. Lauter wurde nur die Bonanza-Melodie.

Steinböck fühlte den heißen Atem der Bestie nun in seinem Gesicht. Begleitet von einem ekelhaften Gestank. Vermutlich Bruchmayers alte Knochen. Jetzt war wirklich die allerletzte Gelegenheit gekommen, um aus diesem beschissenen Traum aufzuwachen.

»Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du diese harten Sachen nicht verträgst! Warum bleibst du nicht bei deinem veganen, alkoholfreien Diät-Weißbier? Ich habe keine Lust, dich dauernd aus höchster Gefahr zu retten.«

»Dieser karibische Rum war einfach klasse! Zwölf Jahre im Holzfass. Du lässt die Thunfischröllchen von einem Sternekoch ja auch nicht liegen«, konterte Steinböck erleichtert, als er feststellte, dass er in seinem eigenen Bett lag.

»Ich bekomm immerhin keine Albträume davon. Und jetzt geh endlich ans Telefon!«

Steinböck hatte das Gefühl, dass seine Zunge am Gaumen festgeklebt war. Unter erheblichen Kopfschmerzen verfolgte er sein Smartphone, das vibrierend über den Tisch hüpfte und dabei die Bonanza-Melodie spielte.

»Kruzifix, halb sechs in der Früh«, brummte er unleidig und nahm das Gespräch von Ilona Hasleitner an. Er lauschte eine Weile, dann krächzte er: »Bin gleich da, wartets auf mich.«

Der Kommissar schwang sich erstaunlich behände aus dem Bett, was Frau Merkel sofort wieder zu einer boshaften Bemerkung veranlasste. »Langsam, alter Mann. Denk an deine Bandscheiben. Hier wirst du niemanden finden, der dich auf einer Sänfte durch die Gegend trägt.«

»Geh, Katz, sei doch staad. Fahrst mit? Es gabat a Leich.«

»Den Spruch solltest du lieber den Kollegen aus Rosenheim überlassen«, lästerte sie. »Natürlich komm ich mit. Einer muss ja auf dich aufpassen.«

*

Ein Streifenpolizist erkannte Steinböcks alten VW Käfer und ließ ihn vor der Brücke auf der Prinzregentenstraße parken. Eine Traube Neugieriger wurde durch ein Absperrband davon abgehalten, sich bis zur Balustrade der Eisbachbrücke vorzudrängen. Als der Kommissar unten durchschlüpfte, erklang allgemeines Murren.

»Der ist von der Mordkommission«, erklärte ein junger Mann. »Den hab ich schon a paarmal gefahren.«

Steinböck erkannte den Taxifahrer. Einen Dauerstudenten mit einem Riesenballon an Rastalocken, die er in einer vermutlich selbst gestrickten Wollmütze geschickt auf seinem Kopf balancierte.

»Und die Katz?«, meckerte ein anderer im Muskelshirt, dessen Tätowierungen ihm bis hinter die Ohren reichten. »Gehört die auch dazu?« Er bückte sich und versuchte Frau Merkel zu greifen.

»Ned anlangen«, rief der Kommissar scharf. »Die Katz hat Tollwut.«

»Warum schläferts ihr des Viech dann ned ein?«

»Des ist ned so einfach. Das ist eine hoch qualifizierte Drogenkatze. Die Ausbildung hat die Stadt ein Vermögen gekostet. Deshalb hat man sie jetzt mit einem speziellen Impfstoff aus den USA behandelt. Es wird besser, aber sie könnt immer noch ansteckend sein.«

»So ein Schmarren! Verarschen kann ich mich selber«, maulte der Tätowierte und versuchte erneut, Frau Merkel zu fassen. Ganz dumm.

Die Katze fuhr die Krallen aus und verpasste ihm einen Hieb. Die blutigen Schrammen gingen schräg durch das Gewehr, das der Mann auf den Handrücken tätowiert hatte.

»Ich glaub, so was nennt man Aktionskunst«, schmunzelte der Kommissar.

»Frieden schaffen ohne Waffen«, bemerkte Frau Merkel und führte dann einen Veitstanz auf, indem sie einen Buckel machte und seitwärts wie eine Ziege in den abgesperrten Bereich hüpfte. Das Ganze beendete sie mit einer Art Rückwärtssalto. »Na, wie war ich?«

»Super«, antwortete Steinböck grinsend.

»Das Viech hat mich verletzt«, winselte der mit den tätowierten Ohren. »Wenn ich jetzt Tollwut krieg!«

»Ich hab dich gewarnt. Vielleicht gehst besser zum Arzt«, feixte der Kommissar.

»Die Katz hat mich angegriffen«, jammerte er. »Du bist mein Zeuge«, wandte er sich an den jungen Taxler.

»Ich hab nichts g’sehen«, antwortete der. »Ich muss weiter, die Arbeit ruft.«

Steinböck hatte sich inzwischen dem Uniformierten zugewandt, der vor dem Geländer kniete. »Und, kriegts ihr den Knoten auf?«

»Koi Chance. Das Wasser hat zu viel G’walt. Ich wart, bis die Kollegen von der Wasserwacht unten im Eisbach sind und die Leich auffangen. Dann schneid ich das Seil durch.«

»Ihr werdet des schon machen«, erwiderte der Kommissar, umrundete die Brüstung und stieg zur Plattform hinunter, auf der sonst die Surfer für ihren Auftritt anstanden. Die Kollegin Hasleitner erwartete ihn bereits.

»Morgen, Ilona. Klar, dass du wieder vor mir da bist.«

»Ich hab an dem Rum ja nur genippt. Du bist doch ned etwa selber g’fahren?«, fragte sie vorwurfsvoll.

»Des passt schon, die Katz hat auf mich aufgepasst. Jetzt erzähl, weißt du bereits Näheres?«

»Ned viel. Wir wollten den Toten erst abschneiden, wenn wir ihn unten auffangen können. Wer weiß, wie weit der Körper sonst abtreibt, bevor wir ihn erwischen.«

Das Gemurmel der Schaulustigen, die seitwärts im Wald standen, wurde lauter. Als das Seil durchgeschnitten wurde, hörte man trotz des tosenden Wassers einen leisen Knall. Die beiden Kollegen, die unten bis zur Brust im Bach standen, fingen den leblosen Körper auf, der schnell auf sie zutrieb.

Inzwischen war auch Thomas Klessel angekommen. Der Gerichtsmediziner begrüßte sie kurz und ging dann flussabwärts, wo die Kollegen den Leichnam ans Ufer zogen.

»Wer hat ihn gefunden?«, wollte Steinböck wissen.

Ilona deutete auf einen Mann im Neoprenanzug, der sich mit den Unterarmen auf sein Surfbrett lehnte.

Viel ergab die Befragung von Pit Knoll nicht, außer dass es nach 23 Uhr und vor 4.30 Uhr passiert sein musste. Also wanderte Steinböck zu Thomas Klessel hinunter.

Der Anblick der Leiche gehörte zu den weniger schönen Anblicken an diesem Morgen. Die unnatürliche Stellung des Kopfes ließ nichts Gutes erahnen, und die heraushängende Zunge hielt den Kommissar davon ab, ein Foto zu machen, das man den Leuten zeigen konnte.

»Ich vermute, dass du mir nichts erzählen kannst, bevor der Tote bei dir auf dem Tisch liegt?«

»So isses. Auf jeden Fall Exitus, und ein natürlicher Tod war’s nicht.«

Steinböck schaute ihn entgeistert an.

»Wie sagt der Schwab so schön: Späßle g’macht«, grinste Klessel verschmitzt. »Jetzt lassen wir erst mal die SpuSi ran. Obwohl ich glaub, die meisten Spuren hat’s bereits den Eisbach nunterg’schwappt.«

»Du bist heut aber witzig«, bemerkte der Kommissar grantig.

»Hast schlecht g’schlafen?«

»Zwölf Jahre alter Rum aus der Karibik«, erklärte Ilona Hasleitner, die inzwischen dazugekommen war und den letzten Teil des Wortwechsels mitbekommen hatte.

»Auweh«, lachte Klessel. »Da wär ich gern dabei gewesen. Weißt was, kommst heut Nachmittag in die Gerichtsmedizin, dann kann ich dir bestimmt mehr sagen.«

»Geh, Thomas, sei so nett und schick mir ein Foto, wenn du ihn soweit hergerichtet hast. Sodass wir damit die Leute befragen können.«

»Habt ihr etwas gefunden, womit wir den Mann identifizieren können?«, wollte Hasleitner von dem Kollegen der SpuSi wissen, der die Taschen des Toten durchsucht hatte.

Der schüttelte verneinend den Kopf.

Nachdem er den Reißverschluss des Leichensacks über dem Gesicht des Toten zugezogen hatte, drehte sich Ilona um und wandte sich wieder ihrem Chef zu. »Glaubst du, es war Selbstmord?«

»Spricht einiges dafür«, überlegte der Kommissar.

»Wäre eine originelle Art, sich aus dem Leben zu verabschieden. Trotzdem, glaub ich, solltest du eher in die andere Richtung ermitteln.«

Wenn die Katze auch sonst zu nichts zu gebrauchen war, registrierte er ihren Kommentar. Bisher hatte sich ihr Instinkt immer bewahrheitet, wenn es darum ging, ob ein Verbrechen vorlag oder nicht.

Nachdem der Totensack weggetragen worden war, verliefen sich die Schaulustigen, die seitlich der Eisbachwelle unter den Bäumen standen. Das Absperrband an der Prinzregentenstraße hatten die Kollegen abgenommen, denn die Anzahl der Neugierigen war mittlerweile überschaubar.

Staller von der SpuSi kündigte an, dass er und sein Team fertig seien. »Willst du den Tatort abgesperrt lassen?«, fragte er den Kommissar. »Viel Sinn wird des nicht machen. Die Surfer scharren schon mit den Hufen. Wenn wir weg sind, gehen die bestimmt gleich auf die Welle.«

Erst jetzt realisierte Steinböck die Gruppe Surfer, die vor der Einstiegsplattform rumhing und erwartungsvoll in seine Richtung sah. Mit der Hand gab er ihnen ein Zeichen, und es dauerte keine zwei Minuten, bis der Erste sein Brett ins Wasser ließ. Ein kurzes Vergnügen. Vermutlich hatte er zu lange gewartet. Er ruderte wild mit den Armen, dann ging es flussabwärts. Auch der Zweite verschwand nach wenigen Sekunden kopfüber in der Welle. Schmunzelnd verließ der Kommissar zusammen mit Hasleitner und der Katze den Tatort.

»Nimmst mich mit in deinem Huastenguatsel oder willst du noch mal nach Hause?«

Steinböck schaute auf die Uhr seines Smartphones und winkte frustriert ab. »Von mir aus fahren wir ins Büro«, brummte er missmutig.

»Jammer nicht. Wir halten auch kurz bei der Bäckerei an.«

Der Gedanke an eine frische Butterbrezen und einen Latte macchiato zauberte ein kleines Lächeln auf sein verkatertes Gesicht.

*

Als sie nach einem kurzen Abstecher zur Bäckerei Höflinger endlich das Präsidium erreichten, war Mayer junior bereits im Büro. Frau Merkel begrüßte ihn, indem sie auf seinen Schoß sprang und den Kopf an seinem Arm rieb.

»Ihr warts ja heut schon früh unterwegs«, empfing Emil sie und kraulte die Katze hinter den Ohren.

»Meinst jetzt uns oder die Katz?«, wollte Steinböck wissen, der die Kaffeemaschine ansteuerte. Um sich seine Butterbrezen zu sichern, bereitete er zuerst einen Cappuccino für Ilona vor.

»Geht’s dir wieder besser?«, bohrte Mayer junior nach.

»Wie meinst du das?«, fragte Steinböck misstrauisch.

»Du hast gestern mit unserem Vermieter eine ganze Flasche Rum niedergemacht, da war das Aufstehen bestimmt kein Spaß.«

»Wie es wohl dem Götz von Dominik geht? Der ist immerhin 20 Jahre älter als ich«, überlegte Steinböck laut und ließ sich seinen obligatorischen Latte macchiato einlaufen.

»Der ist heut Morgen schon mit dem Radel zum Semmelnholen g’fahren«, bemerkte Emil trocken.

»Das Leben ist einfach ungerecht.«

»Jammere nicht. Du könntest morgens auch zur Arbeit radeln. Es gibt da vorzügliche Fahrradkörbe für Katzen. Manche sind sogar aus Weidenzweigen geflochten.«

Inzwischen hatte Hasleitner ein paar Butterbrezen vorbereitet und sich an ihren Schreibtisch gesetzt.

»Also, was ist das für eine Sache am Eisbach?«, wollte Emil wissen.

Sie lehnte sich zurück, nahm einen Schluck von ihrem Cappuccino und begann zu erzählen.

»Das schaut mir wie ein spektakulärer Selbstmord aus«, folgerte Emil, nachdem Ilona geendet hatte.

»Meine Rede«, sagte sie mit vollem Mund.

»Und was meinst du, Chef?«

»Ich bin mir da nicht sicher«, murmelte er und blickte nachdenklich auf die Katze, die sich auf der Fensterbank zusammengerollt hatte. »Wir brauchen ein ordentliches Foto von dem Toten. Gibt es irgendwelche neuen Vermisstenmeldungen?«

»Nichts über einen Mann in seinem Alter. Moment mal, Klessel hat mir ein Foto geschickt«, stellte Ilona fest.

Nun piepsten auch die anderen Smartphones.

»Der schaut jetzt deutlich besser aus. Da hat sich unser Schönheitschirurg Mühe gegeben«, brummte Steinböck. »Also, Emil, das volle Programm, und du, Ilona, schnappst dir Bernulf Valentin und schaust dich in der Eisbachsurfer-Szene um. Vielleicht ist des kein Zufall, dass der junge Mann in der Welle hing, und irgendjemand kennt ihn.«

»Seids vorsichtig, des ist ein ganz spezieller Haufen«, erklärte Emil. »Es gibt verschiedene Crews, die sich nicht unbedingt grün sind. Die ›FUS‹ oder die ›Most Hated‹ und einige andere Gruppen. Am besten, ihr versucht den Hausmeister zu sprechen.«

»Woher kennst du dich da so gut aus?«, wollte Ilona wissen.

»Aus meiner Vor-Rolli-Zeit. Du wirst es nicht glauben, ich bin auch schon die Welle geritten.«

»Respekt, Emil«, flüsterte Ilona. »Du überraschst mich immer wieder.«

»Na ja, jetzt mach mal halblang. Von den Cracks war ich weit entfernt, aber zumindest haben sie mich auf die Welle gelassen. Und des will was heißen.«

»Möchtest dann nicht du die Befragung durchführen?«, mischte sich Steinböck ein.

»Na, na, lass nur die Ilona gehen. Es gibt Sachen, die sollte man ruhen lassen.« Emil räusperte sich bewegt. »Ich kümmer mich um die Datenbank.«

»Mein Emil – ein Eisbachsurfer. Noch ein Grund, warum er die Abteilung übernehmen sollte.«

»Wenn du willst, Ilona, kannst die Katz mitnehmen. Ich glaub, sie möcht die Welle reiten.«

»Nix da!« Ilona hob abwehrend die Hände. »Eure Unstimmigkeiten könnts ihr allein austragen.«

*

Emils Recherche in der Datenbank anhand des Fotos blieb genauso erfolglos wie die Nachforschungen der SpuSi bei den Fingerabdrücken. Ein Ergebnis aus der DNA-Datenbank würde mindestens bis morgen dauern.

Dafür meldete sich Dr. Thomas Klessel schneller als erwartet bei Steinböck. »Der Mann ist eindeutig am Genickbruch gestorben, den er sich durch den Strick um den Hals zugezogen hat. Dass er sich selbst umbringen wollte, ist dagegen ausgeschlossen. In den Lungen war nur wenig Wasser. Er lebte noch, als er ins Wasser fiel, war aber garantiert ohne Bewusstsein. Eindeutig K.-o.-Tropfen«, erklärte der Gerichtsmediziner. »Vermutlich hat er das Mittel zusammen mit einem Bier eingenommen. Eine Pizza Tonno könnte auch dabei gewesen sein. Den genauen Bericht bekommst du morgen. Auf jeden Fall hast du es hier mit Mord zu tun.«

*

Als Hasleitner am Englischen Garten eintraf, schienen noch mehr Zuschauer als üblich an der Welle zu sein. Es war einfach, die Surfer zu befragen, weil sie an beiden Ufern des Eisbachs in Gruppen darauf warteten, ihr Brett ins Wasser zu lassen. Bernulf Valentin und Ilona versuchten getrennt voneinander auf je einer Seite des Ufers, mithilfe des Fotos etwas über die Identität des Opfers herauszufinden. Ein aussichtsloses Unterfangen, wie sich bald herausstellte. Niemand kannte den Mann. Auch die Suche nach dem »Hausmeister« blieb ergebnislos.

»Der hat sich vor ein paar Jahren nach Sardinien abgesetzt und baut jetzt Didgeridoos«, erklärte einer der Surfer grinsend. »Vielleicht fragst den dahinten, den Typ mit dem Pferdeschwanz und den Krücken. Der Hansi ist einer von der Crew der ›Most Hated‹. Der ist schon ewig dabei. Angeblich kennt er jeden, der schon mal auf der Welle gesurft ist.«

Ilona bedankte sich und stieg das Ufer hinauf. Hansi, dessen Alter sie auf Mitte 50 schätzte, hatte sich gegen einen Baum gelehnt und drehte sich gerade eine Zigarette.

»War des ein Surfunfall?«, fragte Hasleitner und deutete mit dem Kopf auf die Krücken.

»Na, zu blöd zum Radelfahren. Hab einen Bordstein übersehen.« Er zündete sich die Zigarette an, dann schob er den Haargummi, der seinen grauen Zopf zusammenhielt, nach oben. »Du bist von der Bullerei, oder?«

»Sieht man des?«

Hansi sah sie abschätzend an und schmunzelte. »Na, eigentlich ned, aber ich hab halt g’sehen, wie du die Leut befragt hast.«

»Und ich hab gehört, dass du schon lang dabei bist und ein jeden kennst«, schmeichelte Hasleitner und zeigte das Foto.

Der Mann mit dem Pferdeschwanz musterte das Bild sorgfältig. »Ein Surfer ist des nicht. Aber ich hab den schon mal gesehen.« Er runzelte die Stirn und die Sekunden vergingen. »Des ist mindestens 15 Jahre her. Er wollte unbedingt das Surfen lernen. Der Bursche war in eins der Madel verknallt. Er hat mich nicht in Ruhe gelassen. Da hab ich ihm angeboten, dass ich ihm a bisserl was zeig. Wir haben uns für den Nachmittag verabredet, aber er ist nicht gekommen. Danach hab ich ihn nie mehr gesehen.«

»Weißt du einen Nachnamen oder wo er gewohnt hat?«

Der Mann schüttelte verneinend den Kopf. »Tut mir leid, da kann ich dir nicht helfen.«

»Trotzdem danke. Hier ist meine Visitenkarte, falls dir noch was einfällt.«

»Ilona – a schöner Name«, lachte er und steckte die Karte in seine Brusttasche.

Geschmeichelt verabschiedete sie sich und stieg das Ufer zur Eisbachbrücke hinauf, wo sich der Kollege Bernulf Valentin von Pit Knoll verabschiedete.

»Und, hast du etwas herausgefunden?«, wollte er wissen.

»Leider nichts Konkretes. Ein Zeuge, der sich daran zu erinnern glaubt, ihn vor Jahren mal gesehen zu haben. Und du?«

»Keiner kennt ihn. Zur Clique der Surfer gehört er auf jeden Fall nicht.«

*

Gerade als Steinböck das Smartphone weglegen wollte, klopfte es an die Tür. Bevor er etwas sagen konnte, wurde sie heftig aufgestoßen.

»Morgen, Kommissar, sagen Sie jetzt nicht, ich hätte nicht angeklopft«, tönte Sabine Husup und wuchtete ihre Tasche auf Hasleitners Bürostuhl. Sie kramte in ihrer tragbaren Zweizimmerwohnung und förderte schließlich ihr Handy zutage. »Sämtliche Sozialen Medien sind voll mit verschiedenen Filmchen, und auf jedem hüpft ein Eisbachsurfer mit einem Strick um den Hals wie ein Ping-Pong-Ball übers Wasser.«

»Da waren andere wohl schneller als Sie«, stellte er hämisch fest, nachdem er sich eine der Aufnahmen auf Husups Smartphone angesehen hatte.

»Das kann passieren«, giftete sie zurück. »Vor allem, wenn man als Pressevertreterin so wenig Unterstützung von der lokalen Polizei erfährt.«